Kapitel 24

 

Mark McGill atmete tief. Die Spannung in seinen Zügen ließ nach, aber er war noch nicht fähig zu sprechen. Er lehnte sich an den Tisch und sah Bradley mit unsicheren Blicken an, als ob er seinen Augen nicht trauen könne. Er wußte nicht, ob er träumte oder wachte. Bradley stand in der Mitte des Teppichs, direkt über dem Loch. Welche geheimnisvollen Kräfte trugen ihn? Mark riß sich zusammen.

 

»Wenn sich jemand hier einen Scherz erlaubt, dann sind Sie es. Sie haben Li Yoseph wahrscheinlich noch nicht an die frische Luft gelassen – wie lange soll ich denn hier auf ihn warten?«

 

Bradleys Züge wurden undurchdringlich.

 

»Sind Sie sicher, daß er hierherkommt, wenn er weiß, daß Sie da sind? Wäre es nicht möglich, daß er die – unangenehmen Erfahrungen, die er hier machen mußte, nicht wiederholen will?«

 

Er schob mit dem Fuß den Teppich beiseite und schaute auf den Fußboden. Mark sah, daß die Falltür nicht mehr offenstand. Sie hatte sich lautlos geschlossen, ohne daß er oder Tiser den Hebel berührt hatten.

 

»Haben Sie hier Spuren von Schüssen entdeckt?« fragte Bradley. »Ich vermute, Sie haben sich die Bretter genau angesehen.«

 

Er nahm das kleine Etui wieder aus seiner Westentasche, öffnete es und hielt es Mark hin.

 

»Sehen Sie sich die beiden Geschosse nur gut an, McGill.«

 

»Sie interessieren mich nicht«, erwiderte Mark kühl. »Sagen Sie mir lieber, wo Ihr Freund Li Yoseph ist! Sie denken doch nicht etwa, daß ich mich scheue, ihm gegenüberzutreten, oder daß ich mich vor den Anklagen dieses alten Fuchses fürchte? Es gibt keinen Gerichtshof in der ganzen Welt, der mich auf das Zeugnis eines Mannes hin verurteilt, der Geister und Gespenster sieht. Bringen Sie das doch vors Gericht – Sie werden von allen Seiten ausgelacht werden!«

 

In diesem Augenblick ging die Tür auf, und Mrs. Shiffan kam herein. Sie brachte einen Brief und schien nicht zu wissen, wem sie ihn geben sollte.

 

»Eben kam ein Junge und gab ihn an der hinteren Tür ab. Er sagte, er wäre von Mr. Li Yoseph hierher geschickt worden.«

 

Bradley nahm den Brief aus ihrer Hand, öffnete ihn und las.

 

»Er wird nicht vor elf Uhr nachts kommen«, sagte er dann. »Wahrscheinlich hat er nur diese Zeit gemeint. Eine merkwürdige Stunde.«

 

»Ich wüßte nicht, warum sie so besonders merkwürdig wäre«, entgegnete Mark.

 

Bradley lächelte düster.

 

»Um diese Stunde wurde er doch getötet – und um dieselbe Zeit starb auch Ronnie Perryman.«

 

Mark sah ihn überrascht an.

 

»Was sagen Sie da für einen Unsinn? Li Yoseph soll ermordet worden sein? Sie sind verrückt! Ich habe ihn doch gesehen.«

 

»Vielleicht haben Sie auch Perryman gesehen? Der ist nicht mehr am Leben. Nun gut, um elf Uhr sehen wir uns hier wieder.«

 

Er drehte sich um und ging zur Tür.

 

»Sie sehen ja so entsetzt aus, Tiser?« fragte er belustigt. »Wovor fürchten Sie sich denn? Aber vielleicht erzählen Sie mir das heute abend.«

 

Tiser rührte sich nicht, er war starr vor Schrecken.

 

Die Haustür fiel krachend ins Schloß. Mark gab Mrs. Shiffan ein Zeichen, sich zu entfernen. Als sie gegangen war, wandte er sich an Tiser, der noch immer entgeistert auf die Falltür schaute.

 

»Hast du es gesehen, Mark? Er ist auf den Teppich getreten und nicht hinuntergestürzt!«

 

Mark fuhr ihn wütend an.

 

»Weil die Tür geschlossen war, du Hasenfuß! Wer mag das nur getan haben?«

 

Plötzlich ertönte von irgendwoher, als ob es die Antwort auf Marks Frage wäre, der klagende Klang einer Violine. Jemand spielte Tostis »Chancon d’Adieu«.