Bones, Sanders und noch jemand

 

Nach Isongo, dem Hauptort des gleichnamigen Distriktes, kam eine Frau der Isisi, die ihren Mann verloren hatte. Durch eine Vorsehung des Schicksals war er von einem Baum erschlagen worden. Ich sage »durch eine Vorsehung des Schicksals«, denn es war allgemein bekannt, daß er einen bösen Charakter gehabt hatte. Er war ein Trinker und ein Freund schlechter Menschen gewesen. Auch hatte er Zauberei im Walde ausgeübt, und es ging das Gerücht, daß er ein Vertrauter Baschunbis, des Bruders des großen Teufels M’shimba-M’shamba, gewesen war. Er schlug seine Frauen, und einmal steckte er aus reiner Bosheit seine Hütte in Brand.

 

Als er nun auf einer aus Gras geflochtenen Totenbahre zum Dorf zurückgetragen wurde und die Frauen seines Hauses sich mit grünen Blättern bedeckten und Arm in Arm die Dorfstraße entlang den Totentanz tanzten, klang ihr Gesang nicht sehr traurig, und ihr Schritt war fröhlicher und lustiger, als er bei dieser Gelegenheit hätte sein sollen.

 

D’wiri, ein alter Mann, der alle Tanzschritte genau kannte, sah es von seiner Hütte aus und sagte entrüstet, daß die Frauen schamlos seien. Aber er war alt und fürchtete außerdem, daß bei seinem eigenen Tode die guten Sitten außer acht gelassen werden könnten, wenn man derartigen Ausschreitungen nicht beizeiten entgegenträte.

 

Als M’lama, das Weib des G’mami, sah, daß ihr Herr und Gebieter in einem Boot zu den Inseln in der Mitte des Stromes gerudert wurde, wo er begraben werden sollte, klagte sie noch während der vorgeschriebenen Zeit um ihn, dann wusch sie am Flußufer den Staub von ihrem Körper und ging in ihre Hütte zurück. Und alle Trauer um den Toten war mit dem Staub und der Asche weggewaschen worden.

 

Viele Monde wechselten am Himmel, ehe M’lama ihre außerordentlichen Gaben zeigte. Man sagte, daß ihre Kräfte sich zum ersten Male in einer Nacht nach einem großen Sturm kundtaten, als die Blitze wie Schloßen auf den Strom niederfuhren. Selbst der alte D’wiri konnte sich nicht an ein ähnliches Unwetter erinnern. In dieser Nacht brachte die Frau eines Jägers ihr sterbendes Kind in die Hütte der Witwe. Es hatte eine Fischgräte verschluckt, die ihm im Halse steckengeblieben war, und es war schon beinahe erstickt. M’lama streckte ihre Hand aus, legte sie auf den Kopf des Kindes, und sofort flog die große Gräte heraus.

 

»Dabei erscholl ein Schrei, der so schrecklich und furchtbar war wie das Geschrei eines Leoparden, der in den Wäldern von Geistern verfolgt wird.« (Nach dem Bericht Ahmets.)

 

Eine Woche später fiel ein kleines Kind in Krämpfe. M’lama legte ihre Hand auf seine Stirn, und siehe, die Krämpfe wichen, es wurde ruhig und schlief ein.

 

Ahmet, der Hauptspäher der Regierung, hörte von diesen Dingen und kam während einer dreitägigen Reise auf dem Strom zu dem Orte Isongo.

 

»Was sind das alles für Wundergeschichten?« fragte er.

 

»Capita«, sagte der Häuptling, indem er die ehrende Anrede gebrauchte, die in dem belgischen Kongogebiet üblich ist, »dieses Weib M’lama ist wirklich eine Hexe, sie hat übernatürliche Gaben, denn durch die Berührung ihrer Hand weckt sie die Toten auf. Das habe ich selbst mit meinen eigenen Augen gesehen. Auch sagt man, daß sie Ugomis schwere Wunden heilte, als er beim Holzfällen sich mit der Axt in den Fuß schlug.«

 

»Ich will M’lama sehen«, erwiderte Ahmet ernst.

 

Er fand sie in ihrer Hütte. Sie warf müßig vier Ziegenknochen auf den Boden, und jedesmal fielen sie anders. »O Ahmet«, sagte sie, als er eintrat, »du hast ein krankes Weib, und dein erstgeborener Sohn kann nicht sprechen, obgleich er sechs Jahre alt ist.«

 

Ahmet setzte sich an ihrer Seite nieder. »Weib, sage mir etwas, worüber nicht am ganzen Fluß geredet wird, und ich werde deinen Zauber glauben.«

 

»Morgen wird dein Herr, der große Sandi, dir ein Buch (Brief) senden, worüber du sehr glücklich sein wirst.«

 

»Mein Herr schickt mir jeden Tag ein Buch«, entgegnete Ahmet zweifelnd, »und jedesmal bin ich glücklich, wenn ich es empfange. Auch weiß man am Fluß, daß um diese Zeit Boten kommen mit Beuteln voll Silber und Säcken voll Salz, um die Leute nach ihrem Verdienst zu bezahlen.«

 

Sie ließ sich nicht verblüffen. »Du hast einen kranken Finger, den niemand gerade machen kann – aber sieh her!«

 

Bei diesen Worten nahm sie seine Hand in die ihre und drückte auf das aus dem Gelenk gesprungene Glied. Ahmet fühlte einen heftigen Schmerz im ganzen Arm und stöhnte. Als er aber seine Hand wieder zurückzog, war sein Finger wieder in Ordnung, denn er konnte ihn biegen. Der Militärarzt an der Küste hatte vergeblich versucht, ihn wieder einzurenken.

 

»Ich sehe, du bist wirklich eine Zauberin«, sagte er bewundernd, denn die Eingeborenen haben eine Abscheu gegen Krankheit und Mißbildung jeder Art.

 

Ahmet sandte einen langen Bericht an Sanders über alles, was er gesehen und gehört hatte.

 

Distriktsgouverneur Sanders saß in der schönen Residenz an der Küste und erhielt auch viele andere Nachrichten. Manche von ihnen erfreuten ihn, andere verursachten ihm Sorge und Kummer. Die überseeische Post war gerade von einem schnellen Dampfboot zur Küste gebracht worden.

 

Captain Hamilton, der die Haussa befehligte, hatte einen dicken Brief bekommen, der von einer Frauenhand geschrieben war, und brachte Sanders, wie er dachte, frohe Nachricht. Der Distriktsgouverneur war allerdings im Zweifel, ob diese Nachricht gut oder böse sei.

 

»Es wird Ihr sicher in diesem Lande gefallen«, meinte er, »besonders in dieser Gegend – aber was wird Bones dazu sagen?«

 

»Bones!« wiederholte Captain Hamilton ein wenig verächtlich. »Kommt es darauf an, was Bones dazu sagt?« Trotzdem ging er zum Ende der Veranda, die dem Meere zu lag und rief mit lauter Stimme, so daß er die Brandung übertönte. »Bones!«

 

Aber es kam keine Antwort, was auch seinen guten Grund hatte.

 

Sanders trat aus dem Hause. Er hatte den Tropenhelm in den Nacken geschoben und rauchte eine große Zigarre.

 

»Wo ist er denn?«

 

Hamilton wandte sich um. »Ich gab ihm den Auftrag – das heißt, er bot sich eigentlich freiwillig dazu an –, einen Schützengraben auszuheben.«

 

»Erwarten Sie denn einen Angriff?«

 

Hamilton grinste. »Bones erwartet ihn. Er ist ganz begeistert von der Idee und hat mir schon erzählt, wie der Schützengraben ausgehoben werden müsse. Er fühlt sich sehr niedergeschlagen … Sie wissen, was ich meine. Sein Regiment war bei Mons dabei.«

 

Sanders nickte. »Ja, das verstehe ich«, sagte er ruhig. »Und Sie … Sie sind auch ein alter Soldat, Hamilton – wie ertragen Sie es denn?«

 

Hamilton zuckte die Schultern. »Man hätte mich beinahe den Truppen in Kamerun zugeteilt, aber jemand muß doch hierbleiben«, erwiderte er resigniert. »Es ist nun einmal mein Los, hier auszuhalten und die Pflicht zu tun, die mir das Schicksal auferlegt hat. Meine Aufgabe … ist hier …«

 

Sanders legte ihm die Hand auf die Schulter. »Das ist recht«, sagte er und sah ihn so sanft und mild wie eine Mutter an. »Hier haben wir keinen Krieg … wir sind hier die Hüter des Friedens.«

 

»Es ist schrecklich schwer …«

 

»Ich weiß es, ich fühle es selbst. Wir haben keinen Teil an dem Ruhm, an den Möglichkeiten … an dem Schicksal. Aber nicht wir allein müssen aushalten. Denken Sie an die Leute in Indien, die sich vor Gram verzehren … die auf Befehl warten, der sie aus einem schönen Leben in Elend und Tod schickt… sie aber auch an dem Glanz und Ruhm des Krieges teilhaben läßt.«

 

Er seufzte und schaute sinnend auf das blaue Meer hinaus.

 

Hamilton winkte einen Haussa-Korporal heran, der gerade durch den Garten der Residenz ging. »Hallo, Mustaf«, sagte er in dem eigentümlichen Küstenarabisch, »wo kann ich meinen Herrn Tibbetti finden?«

 

Der Mann wandte sich um und zeigte auf das Gehölz, das hinter dem Gebäude lag und sich dreihundert Meilen weit ohne Unterbrechung hinzog. »Herr, er ging dorthin und nahm viele seltsame Dinge mit sich – auch sein Diener Ali Abid war bei ihm.«

 

Hamilton reichte mit seinem Spazierstock durch das offene Fenster und angelte seinen Tropenhelm vom Tisch. »Wir werden Bones aufsuchen«, sagte er grimmig. »Er ist schon drei Stunden fort, und er hat Zeit genug gehabt, die ganzen Schützengräben von Verdun auszuheben.«

 

Es dauerte einige Zeit, bis sie die Arbeitskolonne entdeckten.

 

Bones lag in einem bequemen Klappstuhl im Schatten einer großen Isisi-Palme. Er hatte seinen Tropenhelm über das Gesicht gestülpt, so daß der vordere Schirmrand auf der Nasenspitze ruhte. Seine dünnen braunen Arme waren auf der Brust verschränkt, und seine regelmäßigen Atemzüge deuteten an, daß er sanft eingeschlafen war. Nur zwei Pfähle waren in die Erde geschlagen, und zwischen ihnen hing eine Schnur, die sich traurig im Winde hin und her bewegte.

 

Unter einem nahen Gebüsch lag zusammengerollt vermutlich Ali Abid. Man muß sagen vermutlich, denn es war weiter nichts zu sehen als ein Stück seidigglänzender, brauner Haut, das zwischen dem Hosengurt und einer enganliegenden Segeltuchjacke hervorlugte.

 

Sanders und Hamilton schauten lange Zeit schweigend auf den schlafenden Bones.

 

»Was wird er wohl sagen, wenn ich ihn durch einen Stoß aufwecke?« fragte Hamilton. »Was vermuten Sie?«

 

Sanders runzelte nachdenklich die Stirn. »Er wird erklären, daß er ein neues Schützengrabensystem ausgedacht hat«, meinte er. »Er hat mich neulich fast zum Sterben gelangweilt, als er mir immer wieder von Schützengräben und ähnlichen albernen Dingen erzählte.«

 

Hamilton schüttelte den Kopf. »Diese Lüge wird er Ihnen nicht auftischen. Meiner Ansicht nach wird er als Entschuldigung vorbringen, daß er letzte Nacht so lange aufbleiben mußte, weil ich ihm die Besoldungslisten zur Ausarbeitung gegeben habe, und daß er deshalb heute nicht wachbleiben kann.«

 

Bones schlief ruhig weiter.

 

»Vielleicht erklärt er auch, daß der Kaffee nach dem Essen eine einschläfernde Wirkung auf ihn hat«, sagte Sanders nach einer Weile. »Neulich behauptete er, daß Kaffee ihn müde mache.«

 

»Er sagte sogar ohnmächtig«, verbesserte ihn Hamilton. »Aber ich glaube nicht, daß er jetzt so etwas vorbringt. Höchstens führt er an, daß er die unregelmäßigen Verben der Bomongo-Sprache wiederholt. Bones!« Keine Antwort.

 

Hamilton bückte sich, brach einen langen Grashalm ab und kitzelte Leutnant Tibbetts damit am Ohr. Bones schlug im Schlaf mit der Hand danach, aber er öffnete die Augen nicht.

 

»Bones«, rief Hamilton laut und stieß ihn heftig mit dem Fuß an. »Stehen Sie auf, Sie fauler Teufel – der Feind greift an!«

 

Bones sprang auf, schwankte ein wenig hin und her, blinzelte seinen Vorgesetzten an, riß sich dann zusammen und grüßte stramm militärisch. »Feindlicher Angriff von der linken Flanke her«, meldete er. »Werden wir jetzt zum Abendbrot gehen oder ein Auto nehmen?«

 

»Wachen Sie auf, Napoleon«, rief Hamilton. »Sie sind hier mitten in der Schlacht von Waterloo!«

 

Bones fand allmählich zur Wirklichkeit zurück.

 

»Ich fürchte, ich lag bewußtlos da, mein lieber guter Offizier«, bekannte er. »Tatsächlich …«

 

»Passen Sie auf, was jetzt kommt!« sagte Hamilton zu Sanders.

 

»Tatsächlich bin ich eingeschlafen«, erklärte Bones mit Würde. »Dieser niederträchtige Kaffee, den ich nach Tisch getrunken habe! Außerdem war ich übermüdet, denn ich saß die halbe Nacht bei den Soldlisten. Ich dachte gerade dieses hervorragende Schützengrabensystem aus – es sind nämlich Verbindungsgräben, in denen man nicht naß wird, wenn es regnet –, als ich ohnmächtig wurde.«

 

Hamilton sah ihn enttäuscht an. »Hatten Sie denn nicht die Bomongo-Verben vor?«

 

Bones Augen leuchteten auf. »Aber natürlich!« rief er froh. »Natürlich – ich habe die ganzen unregelmäßigen Verben für mich wiederholt …«

 

»Wecken Sie Ihren Diener auf und kommen Sie mit nach Hause«, unterbrach ihn Hamilton. »Es gibt Arbeit für Sie, mein Junge.«

 

Bones ging zu dem Busch hinüber und weckte den Schläfer durch einen sanften Fußtritt.

 

Ali Abid fuhr in die Höhe.

 

Er hatte ein viereckiges Gesicht, einen großen Mund und braune, unschuldige Augen. Außerdem war er ungeheuer dick. Obgleich er sich den arabischen Namen »Ali« zugelegt hatte, war er seiner Abstammung nach doch ein Küstenneger, was ihm deutlich anzusehen war. Er stand langsam auf, grüßte erst seinen Herrn, dann Sanders und Hamilton.

 

Bones hatte ihn einst auf einer Erholungsreise in Cape Coast Castle gefunden. Ali Abid war der richtige Diener für ihn, er schien ihm vom Himmel gesandt zu sein. Sanders graute es sonst vor Eingeborenen, die englisch sprachen, aber Ali beherrschte diese Sprache vollkommen, denn er war fünf Jahre lang der Diener des Professor Garrileigh gewesen, der ein bedeutender Bakteriologe war und dessen Forschungsergebnisse auf dem Gebiet der tropischen Medizin acht starke Bände füllten.

 

Sie gingen zusammen zur Residenz zurück. Ali Abid bildete die Nachhut.

 

»Sie müssen nach Isongo gehen, Bones«, sagte Sanders. »Es ist möglich, daß es Unruhen gibt – eine Frau tut dort Wunder. Gehen Sie taktvoll vor, kommen Sie aber vor dem Siebzehnten zu unserem Fest zurück.«

 

»Wie?« fragte Bones.

 

Bones hatte die merkwürdige Gewohnheit, etwas nicht verstehen zu wollen, was er sehr wohl gehört hatte. Er neigte dann den Kopf mit fragendem Gesichtsausdruck vor, legte die Stirn in Falten, die Hand ans Ohr und wartete auf eine Wiederholung.

 

»Sie haben doch gehört, was der Distriktsgouverneur gesagt hat«, brummte Hamilton. »Fest – F-E-S-T.«

 

»Mein Geburtstag ist erst im April, Exzellenz«, erklärte Bones.

 

»Es handelt sich nicht um ein Geburtstagsfest, sondern um eine kleine Empfangsfeier für Miß Hamilton«, erwiderte Sanders.

 

Bones staunte und sah seinen Vorgesetzten ungläubig an.

 

»Was, Sie haben eine Schwester, mein lieber alter Offizier?« fragte er.

 

»Warum, zum Teufel, soll ich keine Schwester haben?«

 

Bones zuckte die Schultern. »Das ist eine ganz einfache, logische Schlußfolgerung. Augenscheinlich hatten Sie in Ihrer Jugend keine begütigende und liebevolle Behandlung. Ich schließe das aus Ihrer Hartherzigkeit und Ihrem Hang, dauernd zu nörgeln, und aus Ihrem rauhen und unliebenswürdigen Charakter – eine Schwester, großer Gott!«

 

»Trotzdem kommt sie hierher«, entgegnete Hamilton. »Und sie ist sehr erpicht, Sie kennenzulernen. Ich habe ihr schon sehr viel von Ihnen berichtet.«

 

Bones lächelte. »Natürlich haben Sie übertrieben – Frauen wollen nicht gern enttäuscht sein. Wissen Sie, was Sie eigentlich hätten tun müssen? Sie hätten mich als einen dummen Esel beschreiben müssen, zwar begabt und so, aber doch als einen ganz gewöhnlichen, dummen Kerl.«

 

»Genau das habe ich auch getan, Bones. Ich habe ihr mitgeteilt, wie Bosambo Sie um zwanzig Pfund betrog; wie Sie hereinfielen und sich hinters Licht führen ließen, als Sie vergrabene Schätze heben wollten; wie die Isisi versuchten, Ihnen ein fliegendes Krokodil zu verkaufen und es Ihnen auch tatsächlich verkauft hätten, wenn ich nicht rechtzeitig dazugekommen wäre. Dann habe ich ihr noch …«

 

»Ich denke, das ist schon genug, Sir!« Bones war rot geworden. »Es sei ferne von mir, mich auf Ihre gemeinen Verleumdungen einzulassen«, erwiderte er hochmütig. »Miß Hamilton wird ja nicht viel von mir zu sehen bekommen. Ein unerschütterliches Pflichtgefühl wird mich von den frivolen Zirkeln menschlicher Gesellschaft fernhalten. Stets tätig und ohne zu schlafen …«

 

»Schützengräben«, sagte Hamilton nur.

 

Bones seufzte, sah seinen Vorgesetzten einen Augenblick schmerzlich an, grüßte dann, machte kurzum kehrt und ging fort. Ali Abid folgte ihm.

 

Am nächsten Morgen brach er auf, und sowohl Sanders als auch Hamilton kamen zu dem festen Betonkai, um bei der Abfahrt der »Zaire« zugegen zu sein. Sanders gab ihm letzte Instruktionen:

 

»Wenn die Frau das Volk aufrührerisch macht, verhaften Sie sie; wenn sie einen zu großen Anhang hat, verhaften Sie sie; wenn sie aber harmlos ist und nur den Leuten hilft, lassen Sie sie gehen und kommen zurück.«

 

»Und vergessen Sie nicht den Siebzehnten«, fügte Hamilton hinzu.

 

»Ich werde wahrscheinlich nicht zu diesem Zeitpunkt zurückkehren können«, erwiderte Bones ernst. »Ich möchte nicht der steinerne Gast auf Ihrem netten Fest sein, mein alter Sportsmann und Vorgesetzter. Sie werden wohl schon so liebenswürdig sein und meine Abwesenheit Miß Hamilton gegenüber entschuldigen. Ich werde wahrscheinlich Kopfschmerzen oder so etwas Ähnliches haben.«

 

Er winkte traurig zum Abschied, als die »Zaire« in weitem Bogen zur Mitte des Stromes fuhr, und stand melancholisch und in schwermütige Gedanken versunken da, solange Sanders und Hamilton ihn noch sehen konnten.

 

Aber kaum war er außer Sicht, so war er wieder der alte, lustige Bones.

 

»Leutnant Ali«, sagte er, »gehen Sie und holen Sie mein Logbuch. Bringen Sie es in die Kabine des alten Sanders. Dann machen Sie mir eine Tasse Tee und steuern Sie das Schiff nach Ost-Nord-Ost.«

 

»Jawohl, Sir«, entgegnete Ali in fließendem Englisch.

 

Das Logbuch, das Bones führte, war ein Geheimdokument, das seinen Vorgesetzten niemals zu Gesicht kam. Darin standen etwa folgende Eintragungen:

 

Wind NNW. See ruhig. Feindliches Fahrzeug gesichtet an Backbord um 10.31 vormittags. Hauptquartier durch Funkspruch benachrichtigt um 10.32. Kapitän des feindlichen Schiffes angerufen und ihn gewarnt, nicht im Fahrwasser zu fischen. 12.17 kommt Cape M’Gooboori in Sicht. Anker geworfen, um Mittag zu essen und Feuerholz einzunehmen.

 

Cape M’Gooboori war ein Dorf gleichen Namens, und die »ruhige See« war weiter nichts als der Strom. Das »feindliche Schiff« war ein armseliges Kanu, in dem ein alter Isisi-Mann saß, der Fische speerte. Bones umgab alle Dinge mit seiner Phantasie, denn seinem nach Abenteuer lechzenden jugendlichen Gemüt war die graue Wirklichkeit viel zu dürftig.

 

Bei Sonnenuntergang fuhr die »Zaire« langsam zwischen den Sandbänken durch, die vor dem Ufer von Isongo liegen. Bones ging an Land, um seine Nachforschungen anzustellen.

 

Zufällig hatte die Hexe M’lama gerade diesen Abend gewählt, um einige wunderbare Handlungen vorzuführen, und das ganze Dorf lag fast verlassen da.

 

An einer Waldlichtung saß M’lama unter hohen Bäumen und warf Ziegenknochen in die Luft. Männer und Frauen hockten im Kreise vor ihr oder gingen ängstlich und vorsichtig auf Zehenspitzen um sie herum. Sie ließen ihr einen weiteren Spielraum. Ein helles, großes Feuer brannte zu ihrer Seite, von Zeit zu Zeit hielt sie kleine, roh zusammengeflochtene Stäbchen hinein, zog sie brennend heraus, blies die Flamme aus und betrachtete die übriggebliebene Asche.

 

»Hört mich an, ihr Leute«, sagte sie, »und schweiget, damit nicht mein großer Ju-ju euch schlägt, daß ihr sterbt. Wer hat mir dies gegeben?«

 

»Ich war es, M’lama«, sagte eine hagere Frau, deren Gesicht vor Erregung zuckte, als sie ihre braune Hand aufhielt.

 

Die Hexe schaute auf die Sprecherin.

 

»O F’sela«, sagte die Zauberin in singendem Tonfall, »dir wird ein männliches Kind geboren, das größer sein wird als Häuptlinge, aber dann wird dich eine Krankheit befallen, so daß du wahnsinnig wirst.«

 

»O ko!«

 

Die Frau war teils entsetzt über das Geschick, das ihr drohte, teils vor Freude außer sich über die glänzende Zukunft ihres noch ungeborenen Sohnes. Sie starrte ungläubig und furchtsam auf M’lama.

 

Wieder wurde ein geflochtenes Strohstöckchen ins Feuer gehalten, herausgezogen und ausgeblasen, und wieder prophezeite M’lama.

 

Manchmal waren es Ehren und Reichtümer, die sie verhieß, viel öfter aber sah sie Tod und Unglück voraus.

 

Mitten unter diese zitternde Gruppe von Menschen trat plötzlich Bones. Er trug eine tadellos weiße Uniform, aber er war müde, denn die Nacht war nahe und er hatte einen langen und mühseligen Marsch hinter sich.

 

Die Leute, die umhergesessen hatten, sprangen plötzlich auf und hielten die Handknöchel an die Zähne. Sie waren erschrocken und verwirrt.

 

»O M’lama«, sagte Bones liebenswürdig in dem weichen Dialekt der Isisi, die am Strome wohnen, »weissage auch mir!«

 

Sie sah traurig aus, denn sie fürchtete Unannehmlichkeiten für sich selbst.

 

»O Herr«, entgegnete sie mit geheimem Groll und versteckter Tücke, »du wirst sehr krank im Herzen werden – du wirst in ferne Gegenden gehen und dort sterben, und niemand wird dich vermissen.«

 

Bones wurde dunkelrot und drohte der Prophetin mit dem Finger. »Du bist eine unnütze alte Märchenerzählerin«, erwiderte er etwas verwirrt. »Deine Reden drücken das Volk nieder, du nichtsnutziges Frauenzimmer. Ich hasse dich!«

 

Da er englisch sprach, machte es keinen Eindruck auf sie.

 

»Du gehst im Lande umher und hältst die Leute von ihrer Beschäftigung ab«, rief er wütend, »erzählst ihnen dumme Geschichten – verdammt noch einmal, ich werde sehr strenge mit dir sein!«

 

Und er war wirklich strenge, denn er verhaftete sie zur Erleichterung der Zuhörer, die lange warteten, ob nicht ihr Ju-ju ihn totschlagen würde. Als dieses Ereignis nicht eintrat, zerstreuten sie sich allmählich.

 

Dicht vor dem Landungssteg der »Zaire« überredete sie einen der Haussa, die sie festhielten, sie freizulassen. Ihre Überredungskunst war sehr einfach, denn sie biß ihn einfach in den Arm und stürzte davon.

 

Sie ergriffen sie wieder und brachten sie an Bord. Aber sie war halb wahnsinnig vor Schrecken und Furcht vor ihrem kommenden Schicksal.

 

Bones, der zu nahe an die kämpfende Gruppe herankam und aufgeregt zusah, erhielt eine ehrenhafte Verwundung, da seine Nase von einer der wild umherschlagenden Fäuste getroffen wurde.

 

»Sperrt sie in die Vorratskammer ein«, befahl er zornig. »Was ist das doch für eine schlechte Frau!«

 

Am nächsten Morgen war die »Zaire« in voller Fahrt, als Ali mit einer betrübenden Meldung zu Bones kam. »Euer Exzellenz wird sehr traurig sein zu erfahren, daß der weibliche Gefangene seine Kleider vernichtet hat.«

 

»Vernichtet …?« wiederholte der erstaunte Bones und strich vorsichtig mit der Hand über das Pflaster auf seiner Nase.

 

»Während der Nacht hat dieses Subjekt Symptome von Wahnsinn gezeigt. Sie hat sich völlig ihrer Kleider begeben, das heißt, sie hat sie zerrissen.«

 

»Sie hat ihre Kleider zerrissen?« fragte Bones atemlos. Sein Haar sträubte sich.

 

Ali nickte.

 

Die Kleidung der Eingeborenenfrauen variiert je nach dem Grade, den der Einfluß der Missionare auf sie erreicht hat. Isongo lag dicht bei der Missionsstation am Fluß, deshalb bestand M’lamas Kostüm aus einem Stück bedruckten Kattun, das sie eng um den Körper geschlungen hatte. Es sah aus wie ein Rock und hüllte sie von den Achselhöhlen bis zu den Füßen ein.

 

Bones trat an das offene Schiebefenster der Gefängniszelle, schaute aber nicht hinein.

 

»M’lama!«

 

Es kam keine Antwort. Er rief noch einmal.

 

»M’lama, was wird Sandi sagen, wenn du so böse Dinge tust?« Er sprach freundlich zu ihr in der Eingeborenensprache.

 

Es war nur ein seufzender Schmerzenslaut zu hören.

 

»Oh, ai!« schluchzte sie.

 

»M’lama, wir werden bald an die Missionsstation kommen, wo die Gottesmänner wohnen. Dort werde ich dir ein Kleid besorgen, und das wirst du anziehen.«

 

Bones starrte immer noch an dem Fenster vorbei auf das Wasser hinaus, das durch die Schiffsschrauben aufgewühlt wurde. »Denn wenn mein Herr Sandi dich sieht, wie ich dich sehe – das heißt, wie ich dich nicht sehe, du unverschämte Weibsperson«, verbesserte er sich schnell in englisch – »wenn mein Herr Sandi dich sieht, dann würde er große Scham empfinden, ebenso«, fügte er hinzu, als ihm plötzlich ein schrecklicher Gedanke kam und es ihm kalt über den Nacken lief, »wird sich die Dame für dich schämen, die zu meinem Herrn Militini zu Besuch kommt …«

 

Glücklicherweise war eine Jesuitenniederlassung in der Nähe. Bones hielt dort an und besuchte den untersetzten, gutmütigen Pater, der die Station leitete.

 

»Es ist merkwürdig, daß sie alle dasselbe tun«, meinte der Pater nachdenklich, als er mit Bones zu dem Vorratshaus ging. »Ich habe erlebt, daß Frauen in den Polizeigefängnissen im Osten Londons ihre Kleider zerrissen – Frauen unserer eigenen Rasse.«

 

Er kramte in einer großen Schachtel herum und holte verschiedene Kleidungsstücke hervor. »Das ist meine letzte Sendung, die ich von einer wohlmeinenden Londoner Gesellschaft erhalten habe«, sagte er lächelnd und legte einen Haufen Kleider, Hüte, Schuhe und Strümpfe auf den Tisch. »Eine oder zwei Rollen bedruckten Kattun hätte ich sehr gut brauchen können, aber die letzten Pariser Modelle lassen sich nicht recht in Einklang mit strengen religiösen Überzeugungen bringen.«

 

Bones wurde rot, fühlte sich unbehaglich, packte einen Armvoll Kleider und bedankte sich unter vielen Entschuldigungen bei dem liebenswürdigen Pater.

 

Er eilte mit seinen Kleidern zur »Zaire« zurück.

 

»Sieh, M’lama«, sagte er und schob das ganze Paket durch das kleine Guckfenster in der Tür der Zelle. »Hier sind viele schöne, gute Dinge, wie sie die großen Damen tragen, nun wirst du vor meinem Herrn Sandi erscheinen und schön aussehen.«

 

Er trug die Ereignisse in seiner blumenreichen Sprache in das Logbuch ein und war gerade mitten in dieser literarischen Übung, als der kleine Dampfer auf eine Sandbank auflief, bevor der Gang der Maschinen verlangsamt oder Rücklauf eingestellt werden konnte. Das Schiff hatte sich festgefahren.

 

Bones ging an Deck, überschaute wehmütig die Situation, kehrte dann wieder in seine Kabine zurück und trug in das Logbuch ein:

 

12.19 auf em Felsenriff in der B’lidi Bay aufgelaufen. Fürchte, Schiff vollständig verloren. Alle Boote klar zum Niederlassen.

 

In Wirklichkeit gab es überhaupt keine Rettungsboote an Bord der »Zaire«. Auch war nicht die geringste Notwendigkeit vorhanden, sie niederzulassen, denn die ganze Schiffsbesatzung war schon in den Strom gesprungen, stand bis zu den Hüften im Wasser und versuchte mit allen Kräften, die »Zaire« wieder in Fahrt zu bringen.

 

Aber alle Versuche mißlangen. Erst sechsunddreißig Stunden später schwoll der Fluß an, weil im Gebiet der Ochori schwerer Regen niedergegangen war, und bei dem höheren Wasserstand wurde die »Zaire« wieder flott.

 

Bones freute sich, daß er eine schöne Geschichte über seine glückliche Rettung in das Logbuch eintragen konnte.

 

M’lama hatte sich in der letzten Zeit sehr gut betragen, und Bones erlaubte ihr infolgedessen, an Deck zu gehen. Sie konnte sich dort frei bewegen, und außer einem heftigen Wortwechsel mit dem Korporal, den sie in den Arm gebissen hatte, gab es keine Rückfälle. Sie trug einen weißen Rock und eine weiße Bluse, auf ihrem Kopf balancierte sie geschickt einen wunderschönen gelben Strohhut mit lang herabfallenden heliotropfarbenen Samtbändern, die sie abwechselnd vorne oder hinten herunterhängen ließ.

 

»Ein schrecklicher Anblick«, sagte Bones und schüttelte sich vor Mißbehagen, als er sie zum erstenmal in diesem Aufzug sah.

 

Der Rest der Reise verlief ohne Zwischenfall, bis die »Zaire« die äußerste Nordgrenze des Gebietes erreicht hatte, das für die Residenz vorbehalten war.

 

Sanders hatte vier Quadratmeilen Land der kleinen Halbinsel, auf der die Gebäude standen, abholzen und trockenlegen lassen. Durch einen Zaun, der eng mit Stacheldraht umwunden war, und durch einen tiefen Graben waren die Regierungsgebäude von den wilden Wäldern im Norden abgetrennt.

 

An dieser Stelle zeigt der Fluß in der Mitte viele Sandbänke, und es gibt nur zwei tiefe Fahrrinnen, die dicht am östlichen und westlichen Ufer entlanglaufen.

 

Bones hatte sein Logbuch weggeschlossen und stand nun auf der Brücke. Er wiederholte im Geist noch einmal die Geschichte, mit der er seinem Vorgesetzten imponieren und seine Tätigkeit ins rechte Licht setzen wollte. Nebenbei würde er sich dadurch auch bei der neu angekommenen Dame von der besten Seite zeigen.

 

Er hatte auf der Reise ab und zu an Hamiltons Schwester gedacht.

 

Die »Zaire« fuhr dicht am westlichen Ufer, und zwar so nahe, daß eine kühne und gewandte Person an Land springen konnte.

 

Und die Hexe M’lama war kühn und sehr gewandt.

 

Bones wandte sich erstaunt um und sah irgend etwas Weibliches in einem weißen Gewand von Deck springen. Zwei heliotropfarbene Seidenbänder wehten lustig im Winde.

 

»Zum Donnerwetter! Was machst du denn? Das ist garstig – das ist unartig!« schrie Bones entsetzt.

 

Aber sie war im Unterholz verschwunden, bevor das große Schaufelrad der »Zaire« sich rückwärts drehte.

 

Bones bewies größte Geistesgegenwart. Ein gewöhnlicher Mann wäre natürlich sofort über Bord gesprungen, um den Flüchtling zu verfolgen, aber Bones war eben kein gewöhnlicher Mann. Er erinnerte sich in diesem kurzen kritischen Augenblick an die Neigung der Gefangenen, ihre Kleider zu vernichten. Mit ein paar Schritten war er in der Kabine, riß den Bezug des Deckbettes ab, sprang dann kurz entschlossen an Land und rannte in der Richtung vorwärts, in der M’lama entflohen war.

 

Einige Zeit konnte er sie nicht sehen, aber dann sah er durch die Zweige ein weißes Kleid leuchten und stürzte mit einem Schrei darauf zu.

 

Die Gestalt blieb einen Augenblick stehen und wandte sich dann zur Flucht. Aber er hatte sie eingeholt, bevor sie auch nur zwanzig Meter weit laufen konnte. Im Nu hatte er den Bettbezug über sie geworfen. Obwohl sie sich heftig wehrte und unterdrückte Schreie ausstieß, hob er sie auf und schwankte mit seiner Last an Bord zurück. Die »Zaire« hatte angehalten, und man hatte einen Landungssteg ans Ufer gelegt.

 

»Schließe die Fenster, öffne die Tür – so, du altes, nichtsnutziges Weibsbild!«

 

Er zog sie in die verdunkelte Zelle. Der Bettüberzug hüllte sie vollkommen ein, und sie taumelte hilflos zu Boden. Bones warf die Tür krachend ins Schloß, lehnte erschöpft und schweratmend an der Wand und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

 

Alles dies trug sich in der Nähe des Landungskais zu, auf dem Sanders und Hamilton warteten, Bones kam sich ungeheuer wichtig vor und grüßte strahlend.

 

»Alles in bester Ordnung«, meldete er und stand stramm und gerade wie ein General. »Keine feindlichen Zwischenfälle – außer der Verwundung an meiner Nase, die ich in meinem Rapport noch erwähnen werde – einen weiblichen Gefangenen gemacht nach anstrengender Verfolgung. Ich hoffe, daß Sie meinen Diensteifer und meinen Erfolg Ihrer vorgesetzten Behörde melden werden …«

 

»Schwätzen Sie nicht so viel, Bones«, sagte Hamilton. »Kommen Sie lieber an Land, damit ich Sie meiner Schwester vorstellen kann. Hallo, was ist denn das?«

 

Zwei eingeborene Polizisten kamen auf sie zu und führten die widerstrebende M’lama zwischen sich. Sie war beschmutzt, ihre Kleider saßen verkehrt, und der schöne Hut hing in einem schiefen Winkel vom Kopf nach hinten.

 

»Um Himmelswillen!« rief Bones. »Wer sitzt dann in der Zelle? … Das ist mein Gefangener, mein guter, alter Vorgesetzter.«

 

Hamilton zog die Stirn in Falten. »Ich hoffe, daß Patricia nicht erschrocken ist, sie ging gerade dort am Ufer spazieren.«

 

Bones wurde nicht ohnmächtig, aber die Knie wankten unter ihm. Er nahm sich jedoch sofort wieder zusammen und stützte sich auf den Arm seines treuen Ali. »Mein lieber, alter Freund«, stammelte er gebrochen, »schreckliche Ereignisse … ein Justizirrtum … die größte Tragödie meines Lebens …«

 

»Was ist denn mit Ihnen los?« fragte Sanders erschrocken, denn Bones war kreidebleich geworden.

 

Leutnant Tibbetts antwortete nicht, sondern eilte mit unsicheren Schritten zu der Gefangenenzelle und schloß sie auf.

 

Eine wütende und etwas in Unordnung geratene junge Dame trat heraus. Bones hatte noch nie eine so schöne und graziöse Gestalt gesehen.

 

Sie sah von ihrem verstörten Bruder auf Sanders und von Sanders auf ihren Gefängniswärter, der sich sehr elend fühlte.

 

»Aber was in aller Welt …«, begann Hamilton.

 

Plötzlich zuckten ihre Lippen, und sie brach in ein fröhliches Lachen aus.

 

»Wenn ich Sie in meinem Übereifer verwechselte«, sagte Bones heiser, »in der Dämmerung, Sie werden verstehen, gnädige Frau … das weiße Kleid …« Er streckte die Arme mit verzweifelter Gebärde aus. »Ich kann als Gentleman nicht anders handeln … ich habe einen geladenen Revolver in meiner Kabine … leben Sie wohl!«

 

Er machte eine tiefe Verbeugung vor der jungen Dame, grüßte seinen bestürzten Vorgesetzten militärisch, machte linksum kehrt und wäre über einen Eimer gefallen, wenn ihn Hamilton nicht gepackt hätte.

 

»Sie sind wirklich ein Esel«, rief Hamilton, indem er seine Empörung unterdrückte. »Patricia, darf ich dir Leutnant Tibbetts vorstellen, von dem ich dir schon so viel geschrieben habe?« Sie schaute Bones mit lachenden Augen an. »Ich habe mir gleich gedacht, daß er es war.«