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Er begleitete Diana nach unten, und sie plauderten noch einige Augenblicke in der Halle. Vor der Tür wartete ein Privatauto auf sie, und sie erklärte ihm diesen anscheinenden Luxus. Die Familie Gray hatte ihr den Wagen zur Verfügung gestellt, der den Versicherungsbeamten und Frau gegen zwei Uhr abholen sollte.

 

In diesem Augenblick kam ein Beamter aus einem der Erdgeschoßräume auf ihn zu.

 

»Ferngespräch für Sie, Sir.«

 

»Kommen Sie mit«, sagte Larry. »Vielleicht läßt sich die Sache gleich erledigen, und dann kann ich mich mal als Millionär fühlen und mit Ihnen fahren.«

 

Er ging dem Mädchen voran in sein Zimmer zurück. Es war der Inspektor vom Polizeibüro in Oxford Lane, der ihn anrief.

 

»Ist dort Inspektor Holt?« fragte er.

 

»Am Apparat«, war Larrys Antwort.

 

»Sie haben die Beschreibung eines Manschettenknopfes aus schwarzer Emaille mit Brillanten veröffentlicht!«

 

»Jawohl«, sagte Larry schnell.

 

»Ein Mr. Emden, in Firma Emden & Smith, Pfandleihe, erwähnte ein Paar Manschettenknöpfe, die genau mit der Beschreibung in der amtlichen Diebstahlsliste übereinstimmen.«

 

»Haben Sie sie bei sich?« fragte Larry eifrig.

 

»Nein, Sir«, antwortete der Inspektor. »Aber Mr. Emden ist hier im Büro, falls Sie ihn zu sprechen wünschen. Er kann Ihnen die Knöpfe morgen früh geben. Heute nach dem Abendessen las er die amtliche Liste und stieß auf die Beschreibung der Manschettenknöpfe. Er ist dann sofort hierhergekommen; er wohnt ganz in der Nähe.«

 

»Gut. Ich komme sofort hin«, sagte Larry.

 

»Was gibt es denn?« fragte Diana. »Sind die Manschettenknöpfe gefunden worden?«

 

Larry schüttelte den Kopf.

 

»Man hat ein Paar Manschettenknöpfe gefunden; die genau so sind wie der eine, den wir in Stuarts Hand gefunden haben«, sagte er etwas verblüfft. »Das ist mir unverständlich. Ja, wenn es ein halber Knopf oder anderthalb Knöpfe gewesen wären, würde das sicherlich ein Beweisstück für unseren Fall bedeuten.«

 

Er blickte zögernd auf den Mann, der die Telephonzentrale bediente.

 

»Wenn Sergeant Harvey anruft, sagen Sie ihm bitte, er möchte noch einmal anklingeln oder hierherkommen und auf mich warten. Und jetzt«, sagte er zu dem jungen Mädchen, als sie beide vor die Tür traten, »werde ich Sie in Ihrer fürstlichen Fahrgelegenheit nach Haus bringen.«

 

Vor ihrer Haustür lungerte ein Mensch herum, der Larry grüßte.

 

»Sie lassen mich doch nicht bewachen?« fragte das junge Mädchen überrascht. »Ich glaube, das ist wirklich nicht nötig, Mr. Holt.«

 

»Meine eigenen Erfahrungen haben mich gelehrt, daß es sehr nötig ist«, versetzte Larry grimmig. »Dem liebenswürdigen Herrn, der mich herumgeschlenkert hat, als ob ich eine Feder wäre, fehlt es weiß Gott nicht an Mut. Gibt es außer diesem hier noch einen anderen Eingang im Haus?« fragte er den Detektiv.

 

»Nein, Sir, ich habe mich ganz genau umgesehen und habe auch die Zimmer der jungen Dame untersucht.«

 

»Wie ist denn das möglich?« sagte sie verdutzt.

 

»Ich habe mir einen Nachschlüssel machen lassen«, sagte Larry. »Hoffentlich sind Sie mir deshalb nicht böse. Und, da wir gerade von Schlüsseln sprechen«, fügte er hinzu, »das Erscheinen des blinden Jake in dem Zimmer Fanny Weldons ist auch kein Rätsel mehr. Sie hatte ihm für den Fall, daß sie ihn mit ihrer Beute in der Sonnabendnacht verpassen sollte, ihren Hausschlüssel gegeben. Er sollte dann nach oben kommen. Sie hatte eine solche Angst vor ihm, daß sie nicht wagte, ihm den Schlüssel zu verweigern. Sie mußte das aber völlig vergessen haben, da sie sich sonst niemals zum Schlafen niedergelegt hätte.«

 

Er wünschte ihr »Gute Nacht« und ging zu Fuß nach Oxford Lane.

 

Mr. Emden war ein kleiner, freundlicher Mann und trug einen Klemmer.

 

»Ich war dabei, die amtliche Diebstahlsliste durchzulesen und fand dann Ihre Beschreibung der Knöpfe, Mr. Holt.«

 

Er zeigte ihm das Blatt Papier mit der Zeichnung des Knopfes, dessen Gegenstück gesucht wurde.

 

»Sie haben ein Paar solcher Knöpfe, wie Sie sagen?«

 

»Ja, Sir«, antwortete der Pfandleiher. »Heute morgen sind sie bei mir versetzt worden. Ich habe übrigens selbst das Versatzstück in Empfang genommen. Gewöhnlich stehe ich ja nicht hinter dem Ladentisch, aber einer meiner Angestellten mußte etwas besorgen, und als der Kunde hereinkam, nahm ich die Knöpfe an und gab ihm vier Pfund dafür.«

 

»Kein gewöhnliches Muster!« sagte Larry, und Mr. Emden schüttelte den Kopf.

 

»Im Gegenteil. Ganz und gar ungewöhnlich«, sagte er. »Ich erinnere mich nicht, jemals Manschettenknöpfe wie diese gesehen zu haben. Ich glaube, es ist französische Arbeit. Sie waren etwas beschädigt. Drei Diamanten fehlten, sonst hätte ich auch viel mehr als vier Pfund dafür gegeben.«

 

»Kennen Sie den Mann, der die Knöpfe versetzt hat?«

 

»Nein, Sir. Er war ein sehr eleganter Herr, der mir erzählte, er hätte sich die Dinger übergesehen. Meiner Meinung nach aber war er…« Er zögerte.

 

»Nun«, fragte Larry.

 

»Ja – trotz seines guten Äußeren machte er mir den Eindruck eines jener eleganten Hochstapler, wie sie im West-End zu Hunderten herumlaufen. Ich hatte das Gefühl, daß er die Knöpfe versetzte, nicht weil er das Geld brauchte, sondern weil er sie loswerden wollte. Die Diebe machen das oft genug und riskieren es eben, daß der Pfandleiher herausfindet, die Schmucksachen werden vermißt und von der Polizei gesucht.«

 

Larry nickte.

 

»Elegant angezogen?« sagte er nachdenklich und fragte dann plötzlich: »Trug er irgendwelchen Schmuck? Diamanten?«

 

»Ja«, sagte der Pfandleiher, »und aus dem Grunde habe ich ja angenommen, daß er die Sachen loswerden wollte. Vier Pfund war ja nicht viel für so wertvolle Gegenstände, aber er verlor kein Wort darüber.«

 

»Was für einen Namen hat er angegeben?«

 

»Mr. Frederick und, wie ich annehme, eine x-beliebige Adresse.«

 

»Flimmer Fred!« sagte Larry. »Liegt Jermyn Street in Ihrem Bezirk?« fragte er den Inspektor.

 

»Ja, Sir«, war die Antwort.

 

»Nehmen Sie ein paar Leute und heben Sie Flimmer Fred aus. Bringen Sie ihn erst hierher und dann nehme ich ihn nach Cannon Row mit, falls es nötig ist.

 

»Soll er verhaftet werden?«

 

»Nein, er soll erst mal vernommen werden. Vielleicht kann er eine genügende Erklärung geben, aber er muß es schon äußerst geschickt anfangen, wenn er sich hier herauslügen will. Nun, Mr. Emden«, wandte er sich zu dem Pfandleiher, »ich bin leider nicht in der Lage, bis morgen früh warten zu können und muß Sie schon bitten, mich nach Ihrem Geschäft zu begleiten und mir die betreffenden Knöpfe auszuhändigen.«

 

»Mit Vergnügen«, sagte der kleine Mann. »Ich habe mir schon so etwas gedacht und gleich die Schlüssel mitgebracht. Mein Laden ist nur fünf Minuten von hier entfernt.«

 

Als Mr. Emden den Schlüssel in das Schloß gesteckt hatte und ihn herumdrehen wollte, gab die Tür nach.

 

»Nanu, die Tür ist ja offen«, sagte er verwundert und ging schnell in den Gang hinein. Es war unnötig, einen anderen Schlüssel zu suchen, um die Seitentür zu öffnen, denn diese stand halb offen, und Larry sah beim Schein seiner Taschenlampe die Spuren eines Brecheisens. Der Pfandleiher stürzte voran in den Laden und schaltete das Licht ein.

 

Auf dem Ladentisch lag das Kassabuch und war an der Seite aufgeschlagen, auf der die am letzten Tage gemachten Geschäfte eingetragen waren.

 

»Wo haben Sie die Knöpfe aufbewahrt?« fragte Larryhastig.

 

»Im Geldschrank in meinem Privatbüro«, sagte der Mann. »Sehen Sie«, er zeigte auf das Buch, »hier ist die Nummer.«

 

»Und das Wort ›Geldschrank‹ dahinter«, fügte Larry hinzu, »aber ich habe so die Empfindung, als ob Sie Ihren Geldschrank nicht ganz unberührt finden werden.«

 

Und seine Worte erwiesen sich als wahr. Der große »diebessichere« Geldschrank war in kläglicher Verfassung, ein Loch war in den Stahlmantel hineingebrannt und das Schloß war verschwunden. Von Wertgegenständen irgendwelcher Art keine Spur, nicht ein einziges Päckchen war zurückgeblieben.

 

»Ich glaube, sie haben die Knöpfe richtig erwischt«, sagte Larry verbissen.