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Digby Groat wußte nichts von dem Besuch des Kapitäns und war zufrieden, daß der Wachtposten von der Kabine zurückgezogen war. Jetzt stand nichts mehr zwischen ihm und der Frau – nur noch ihre eigene Kraft und Stärke. Er liebte sie in seiner Art, so verworfen er auch sonst war. Er kam den Gang entlang und klopfte an die Tür, denn er fand einen Gefallen daran, diese gesellschaftliche Form aufrechtzuerhalten, die doch im Augenblick bedeutungslos war. Als aber keine Antwort kam, öffnete er die Tür langsam und trat ein.

 

Eunice stand am anderen Ende der Kabine. Die seidenen Vorhänge waren zurückgezogen, und die Tür zu ihrem Salon stand weit offen. Sie war vollständig angekleidet und hielt die Hände auf dem Rücken.

 

»Mein Liebling«, sagte Digby schmeichelnd und liebenswürdig, »warum ermüden Sic Ihre schönen Augen? Sie hätten sich zu Bett legen und schlafen sollen.«

 

»Was wollen Sie?«

 

»Was könnte ein Mann, der eine so schöne Frau hat, anderes wünschen, als sich mit ihr zu unterhalten und das Vergnügen ihrer Gesellschaft zu genießen?« fragte er heiter.

 

»Bleiben Sie stehen«, rief sie ihn scharf an, als er den Versuch machte, weiter vorzudringen. Ihre gebieterische Stimme veranlaßte ihn, zu gehorchen.

 

»Aber Eunice«, sagte er kopfschüttelnd. »Sie machen soviel Unannehmlichkeiten und Umstände – das ist doch in dieser Situation nur töricht von Ihnen. Sie brauchen nur vernünftig zu sein, dann gibt es nichts in der Welt, was ich Ihnen nicht geben könnte und möchte!«

 

»Sie können mir nichts geben und haben nichts zu verschenken außer dem Geld, das Sie mir gestohlen haben«, sagte sie eisig. »Warum sprechen Sie denn vom Schenken, wenn ich doch diejenige bin, der alles gehört? Sie können höchstens mein Mitleid erregen.«

 

Er starrte sie an und war verblüfft über ihre Ruhe, da sie doch in größter Gefahr schwebte. Er lachte auf und ging langsam auf sie zu. Seine dunklen Augen glühten.

 

»Bleiben Sie stehen!« rief Eunice wieder und zeigte nun die Waffe, um ihrer Aufforderung Nachdruck zu verleihen.

 

Digby starrte auf die Mündung der Pistole, die auf ihn gerichtet war und taumelte zurück. »Legen Sie das Ding weg«, schrie er heiser. »Verdammt, wollen Sie es wohl tun? Sie sind doch überhaupt nicht gewöhnt, mit Feuerwaffen umzugehen! Das Ding könnte ja losgehen!«

 

»Es wird auch losgehen«, sagte Eunice mit tiefer, eindringlicher Stimme. All der Abscheu, der in ihr aufgespeichert war, kam zum Durchbruch. »Digby Groat, ich sage Ihnen, daß ich Sie wie einen Hund erschießen werde und daß ich mich freue, wenn Sie niederstürzen. Ich werde weniger Erbarmen mit Ihnen haben als Sie mit dem Spanier, den Sie ermordeten.«

 

»Legen Sie die Waffe fort! Wer hat sie Ihnen gegeben? Um Gottes willen, Eunice, machen Sie keinen Unsinn damit!«

 

»Es gab Zeiten, da ich Sie sehr gern getötet hätte«, sagte sie. »Hätte ich damals eine Waffe gehabt, lebten Sie nicht mehr.« Als sie sah, wie er sich feige zurückzog, senkte sie die Pistole.

 

Er wischte sich mit einem seidenen Taschentuch den kalten Schweiß von der Stirn. Seine Knie zitterten.

 

»Wer hat Ihnen die Pistole gegeben?« fragte er heftig. »Sie hatten sie noch nicht, als wir von Kennett Hall abfuhren. Wo haben Sie sie her? Haben Sie sie in einer der Schubladen gefunden?« Er sah nach dem Schreibtisch. Eine der Schubladen stand halb offen.

 

»Darauf kommt es gar nicht an, Mr. Groat. Gehen Sie jetzt aus meiner Kabine und lassen Sie mich in Ruhe.«

 

»Ich hatte gar nicht die Absicht, Ihnen irgendwie zu nahe zu treten«, sagte er furchtsam. Er sah noch sehr bleich aus. »Es war nicht nötig, mich mit der Pistole zu bedrohen. Ich wollte Ihnen Gute Nacht sagen.«

 

»Da hätten Sie sechs Stunden früher kommen sollen«, sagte sie ironisch.

 

»Hören Sie mich an, Eunice«, beharrte er und wollte sich ihr wieder nähern. Aber als sie die Pistole wieder auf ihn richtete, sprang er zur Tür. »Wenn Sie mir so drohen, gehe ich«, rief er und schlug die Tür hinter sich zu.

 

Sie lehnte sich gegen die silbernen Bettpfosten, denn sie war am Ende ihrer Kraft. Sie mußte sich jetzt niederlegen und wenigstens etwas ruhen. Schlafen durfte sie ja nicht, da ihr immer noch Gefahr drohte. Sie ging in das nebenan liegende Wohnzimmer, dann in das Bad, um zu sehen, ob man von dort aus in ihre Räume eindringen könne, aber sie war von dieser Seite aus sicher. Sie hatte alle Paneele untersucht, ob sie keine Geheimtüren fände.

 

Kaum hatte sie wieder ihr Schlafzimmer erreicht, als sie plötzlich von hinten angefallen wurde. Digby Groat hatte sich heimlich hereingeschlichen und neben der Tür auf sie gewartet. Seine Hand entwand ihr die Pistole, die Waffe fiel polternd zu Boden. Im nächsten Augenblick schloß er sie in seine Arme.

 

»Ich werde deinen Widerstand brechen«, sagte er atemlos. »Dein Gesicht soll nahe an dem meinen sein, ich will deine schönen Augen sehen, deinen herrlichen Mund fühlen!«

 

Er preßte seine Lippen auf die ihren und drückte begehrliche Küsse auf ihre Wangen, ihren Hals, ihre Augen.

 

Sie fühlte, wie ihre Kräfte versagten. Er preßte sie so stark an sich, daß ihr Rückgrat schmerzte. Der plötzliche Schrecken hatte sie so gelähmt, daß sie sich nicht mehr gegen seine Liebkosungen wehren konnte. Sie blickte starr auf seine Augen, die ihr so nahe waren. Sie war gelähmt wie ein Vogel durch den Blick einer Schlange.

 

»Du bist jetzt mein – hörst du – du wirst Jim Steele vergessen – du wirst alles vergessen und nur noch daran denken, daß ich dich anbete!« Als er sah, daß sie zur Tür schaute, wandte er sich plötzlich um.

 

Der kleine Kapitän stand dort, hatte die Hände in die Hüften gestemmt und beobachtete den Vorgang. Seine Züge waren undurchdringlich und hart.

 

Digby ließ Eunice los.

 

»Was, zum Teufel, haben Sie denn hier zu tun? Machen Sie, daß Sie hinauskommen!« schrie er.

 

»Ein Flugzeug ist hinter uns her. Wir haben einen Funkspruch von ihm bekommen.«

 

Digby erschrak. Mit dieser Möglichkeit hatte er nicht gerechnet.

 

»Was ist es für ein Flugzeug? Wie heißt der Funkspruch?«

 

»›Nichts gesichtet. Fliege nach Süden.‹ Dann ist noch die genaue Lage des Flugzeugs angegeben. Wenn es weiter nach Süden kommt, wird Mr. Steele uns finden.«

 

Digby taumelte einen Schritt zurück.

 

»Steele?« fragte er heiser.

 

Der Kapitän nickte.

 

»Mit diesem Namen war die Botschaft unterzeichnet. Ich glaube, es ist ratsam für Sie, an Deck zu kommen.«

 

»Ich komme an Deck, wann es mir beliebt«, schrie Digby. Der Teufel in ihm erwachte, und er verlor seine Selbstbeherrschung vollständig.

 

»Werden Sie jetzt so gut sein und an Deck kommen?«

 

»Ich werde kommen, wenn ich diese Angelegenheit hier geregelt habe.«

 

»Sie haben erst Ihre Angelegenheiten an Deck zu regeln!«

 

»Machen Sie, daß Sie hinauskommen!« brüllte Digby.

 

Er hatte nicht gesehen, daß der Kapitän eine Bewegung machte; aber plötzlich ertönte ein Schuß, dessen betäubender Knall die enge Kabine erfüllte. Ein Holzpaneel hinter Digbys Kopf splitterte.

 

Groat starrte auf den Revolver in der Hand des Brasilianers. Er hatte die Zusammenhänge im Augenblick noch nicht erfaßt.

 

»Ich hätte Sie ebensogut auch erschießen können«, sagte der Kapitän ruhig. »Aber ich habe zuerst einmal einen Warnungsschuß dicht an Ihrem Ohr vorbei abgegeben. Kommen Sie bitte mit an Deck!«

 

Digby gehorchte.

 

Verstört und bleich lehnte er an der Reling und sah finster auf den Brasilianer, der zwischen ihn und die Frau getreten war, die er hatte demütigen wollen.

 

»Nun sagen Sie mir, was das alles heißen soll, Sie Schwein!«

 

»Ich habe Ihnen vieles zu sagen, was Sie nicht gern hören werden«, entgegnete der Kapitän.

 

Plötzlich dämmerte Digby eine Erkenntnis auf. »Haben Sie ihr den Revolver gegeben?«

 

»Ja. Ich wollte Sie davor bewahren, unüberlegte Handlungen zu begehen, mein Freund. Spätestens in einer Stunde wird Steele uns gesichtet haben. Ich kann Ihnen auf der Karte zeigen, wo er schon ist. Wollen Sie noch mehr Verbrechen begangen haben, wenn er an Bord kommt?«

 

»Das ist meine Sache«, zischte Digby Groat. Sein Atem ging schnell; er fühlte, daß er ersticken würde, wenn die Wut, die sich in ihm aufgespeichert hatte, nicht irgendwie zur Entladung kam.

 

»Aber es ist auch meine Sache, denn ich beabsichtige nicht, in ein englisches Gefängnis zu ziehen. In England ist es mir zu kalt, ich würde den Winter nicht überleben. Es bleibt jetzt nur noch eins übrig. Wir müssen strikt unseren westlichen Kurs einhalten. Hoffentlich bemerkt uns das Flugzeug nicht; wenn es uns entdeckt, ist es zu Ende.«

 

»Machen Sie, was Sie wollen«, sagte Digby, wandte sich kurz um und ging in seine Kabine.

 

Er war geschlagen, und das Ende kam heran. Er nahm aus einer Schublade eine kleine Flasche mit einer farblosen Flüssigkeit und entleerte sie in ein Glas, das er in Reichweite auf den Tisch stellte. Er würde keine großen Schmerzen spüren – ein Schluck, dann schlief er ein, und alles war vorbei. Dieser Gedanke beruhigte ihn.