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Die schön ausgestatteten Büroräume des Rechtsanwalts Francis Henry lagen in Lincoln’s Inn Fields, und zwar im Erdgeschoß des Hauses Nr. 642.

 

Der Rechtsanwalt stand am Fenster und schaute auf die schönen Gärten hinaus, als ein Schreiber ihm die Ankunft des Inspektors Long meldete. Mr. Henry sah lächelnd auf die Karte.

 

»Bitten Sie ihn, näherzutreten.«

 

Er ging dem Detektiv entgegen, um ihn zu begrüßen.

 

»Sie kommen natürlich wegen Monkfords. Ich schrieb Ihnen gestern abend noch, aber ich telephonierte dann Heartsease an und hörte, daß Sie schon fortgefahren seien.«

 

Er schob seinem Besucher einen Stuhl hin und nahm selbst an seinem Schreibtisch Platz.

 

»Also, Mr. Long, was wünschen Sie zu wissen?«

 

Der Wetter hatte ein solches Entgegenkommen nicht erwartet und war durch die Freundlichkeit des Mannes ein wenig verblüfft.

 

»Ich will ganz offen mit Ihnen sein, Mr. Henry«, erwiderte er. »Ein paar Stunden vor seinem Tode unterhielt sich Monkford mit Jackson Crayley und mit Ihnen. Sie gingen auf dem Rasen unter meinem Fenster auf und ab. Als ich dann kurz darauf Monkford selbst sah, war seine Haltung gegen mich entschieden verändert und in gewisser Weise feindlich. Ich möchte nun von Ihnen erfahren, worüber Sie mit Monkford gesprochen haben.«

 

»Das kann ich Ihnen sagen. Ich habe Mr. Monkford mitgeteilt, daß Sie Miß Nora Sanders verehren und ihr einen kostbaren Ring geschenkt haben.«

 

Long war im ersten Augenblick betroffen. Er hatte unter keinen Umständen erwartet, daß dieses kleine Betrugsmanöver Monkford derartig gegen ihn aufbringen könnte.

 

»Ich verstehe aber nicht, daß diese Mitteilung solchen Eindruck auf Mr. Monkford machen konnte. Selbst wenn ich wirklich Nora Sanders verehrte und ihr ein Geschenk machte – warum hätte er sich denn darüber ärgern sollen?«

 

Henry sah ihn merkwürdig lächelnd an.

 

»Weil er selbst Miß Nora Sanders liebte.« Henry war äußerst zufrieden mit dem Eindruck, den seine Worte machten.

 

»Hat er die junge Dame tatsächlich verehrt?« fragte der Wetter ungläubig.

 

»Ja. Seine Liebe zu ihr ging sogar so weit, daß er am Nachmittag vor seinem Tode ein Testament zu ihren Gunsten machte und ihr sein ganzes Vermögen hinterließ.«

 

Long erhob sich.

 

»Donnerwetter, das ist ja kaum zu glauben!« sagte er langsam.

 

Der Rechtsanwalt zuckte die Schultern, um anzuzeigen, daß ihn die Schrullen des verstorbenen Monkford nicht interessierten.

 

»Das Testament ist in meinem Besitz. Es wurde auf Monkfords dringendes Verlangen aufgesetzt und von mir und Crayley als Zeugen unterschrieben.«

 

»Wer sind denn die Testamentsvollstrecker?« fragte der Wetter nach einer kurzen Überlegung.

 

»Miß Sanders selbst. Ich riet ihm natürlich davon ab, ein solches Testament zu machen, und schlug ihm vor, seinem eigenen Rechtsanwalt die Sache zu übergeben. Ich war vor allem sehr dagegen, daß Miß Sanders ihre eigene Testamentsvollstreckerin sein sollte. Aber er ließ sich in diesem Punkt nichts dreinreden. Er erwähnte auch, daß er nach dem Abendessen mit Ihnen sprechen und Ihnen alles erklären wollte. Er muß seinen Tod vorausgeahnt haben, da er so sehr darauf bestand, das Testament sofort aufzustellen. Ich war entschieden dagegen.«

 

»Das haben Sie schon vorher gesagt«, entgegnete der Wetter kühl. Seine ganze Haltung drückte aus, daß er an den Worten des Rechtsanwalts zweifelte, aber Mr. Henry war nicht allzu empfindlich.

 

Longs Gedanken arbeiteten fieberhaft. Er rekapitulierte kurz alle Tatsachen von der Verhaftung Clay Sheltons bis zu dem gegenwärtigen Augenblick.

 

»Ich muß sehr schnell arbeiten«, sagte er langsam. »Schneller als alle anderen. Und es wird mir gelingen. Wetten, daß?«