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Als Diana nach Hause kam, war Gordon schon zurück. Er war nachdenklich und außerordentlich verlegen. Es war auch ganz ungewöhnlich, daß er noch auf war, im allgemeinen legte er sich sofort zur Ruhe, wenn er von einem Essen oder vom Theater nach Hause kam und ließ sich unter keinen Umständen um diese Zeit noch in große Unterhaltungen ein.

 

»Hast du dich gut amüsiert?« fragte er.

 

»Prächtig! Die Spitzen des Kolonialamtes waren da, es war eine auserlesene Gesellschaft. Du bist natürlich zu spät zur Verabredung gekommen – war sie sehr ärgerlich?«

 

Unter anderen Umständen hätte er eine solche Frage einfach unbeantwortet gelassen.

 

»Ich kam etwa fünf Minuten zu spät – die Dame war natürlich –«

 

»Verstimmt?« ergänzte sie. »Siehst du, es war doch eine Dame! Gordon, kann ich sie nicht einmal sehen?«

 

Er lächelte.

 

»Ich glaube nicht, daß du dich für sie interessieren würdest. Sie ist eine durchaus geistige Frau.«

 

Diana zeigte sich nicht beleidigt.

 

»Wovon hast du denn mit der Dame gesprochen? Über den freien Willen oder über Doppelwährung?«

 

Er war in guter Stimmung und sogar mitteilsam.

 

»Wir sprachen über Bücher und Menschen«, sagte er leichthin. »Und worüber hast du dich unterhalten?«

 

Sie legte ihr Cape über eine Stuhllehne, zog den Sessel nahe an den Kamin und setzte sich, um ihre Knie zu wärmen. Gordon, der sehr diskret war, setzte sich so, daß er es nicht sehen konnte.

 

»Wir haben über Handel im allgemeinen, über die Güte des australischen Rindfleisches, über die Schwierigkeit, gute Dienstboten zu bekommen, und über die Affäre von Mrs. Carter-Corrillio gesprochen. Es ist doch wirklich unglaublich, was diese Frau getan hat – sie ist mit dem Sekretär der montenegrinischen Gesandtschaft nach Frankreich gereist. Sie war nur drei Tage dort, aber wie Lady Penford betonte, hat jeder Tag vierundzwanzig Stunden. Manche Frauen sind doch nicht gescheit, und die meisten Männer sind in solchen Fällen verrückt. Seine Karriere ist natürlich ruiniert, obgleich er einen Eid darauf leistet, daß sie die Reise nur wegen der Gräberfunde von Abbeville unternommen haben. Sie sind beide interessiert an Archäologie.«

 

»Und warum sollte denn das nicht die richtige Erklärung für ihre Reise sein?« fragte Gordon trotzig. Dieser für Archäologie interessierte Gesandtschaftssekretär war ihm sehr sympathisch. »Warum sollen denn Männer und Frauen nicht auch einmal durch wissenschaftliche Interessen verbunden sein?«

 

»Wir können ja abwarten, was der Richter dazu sagt. Mr. Carter-Corrillio hat die Scheidungsklage eingereicht.«

 

»Was hat er denn als Grund angegeben? Gegenseitige Unverträglichkeit in archäologischen Fragen?«

 

»Sei doch nicht so verrückt. Die Konvention ist nun einmal das Gesetz der Gesellschaft, und wer dieses überschreitet, scheut wahrscheinlich auch nicht davor zurück, das wirkliche Gesetz zu verletzen.«

 

Er starrte sie verblüfft an, als sie diese inkonsequente Ansicht äußerte.

 

»Aber, Diana, du selbst wohnst hier ohne Anstandsdame im Hause eines Junggesellen –«

 

»Das ist etwas ganz anderes, wir sind doch miteinander verwandt«, erwiderte sie prompt. »Niemand sagt etwas davon, daß der Gesandtschaftssekretär der Vetter von Mrs. Carter-Corrillio ist. Das ist doch ein Unterschied. Außerdem weiß jedermann, wie unsympathisch ich dir bin.«

 

»Das stimmt zwar nicht, aber wenn du davon überzeugt bist, warum bleibst du denn noch hier?«

 

»Ich habe eine Mission hier«, erklärte sie so entschieden, daß er nichts mehr erwiderte. Er verschob die Mitteilung seiner bevorstehenden Abreise auf den nächsten Morgen.

 

»Ich habe die Absicht, nach Schottland zu fahren und dort auf die Hühnerjagd zu gehen«, sagte er beim Frühstück. Er hatte aber ein schlechtes Gewissen, als er ihr das vorlog.

 

»Was haben dir denn die Hühner getan?« fragte sie. Ihre großen, graublauen Augen sahen ihn vorwurfsvoll an.

 

»Nichts – aber man schießt sie doch in dieser Jahreszeit. Ihr habt doch vermutlich auch Schonzeiten in Australien?«

 

»Das weiß ich nicht, ich habe Känguruhs, Dingos, Kaninchen und andere Tiere geschossen, aber niemals Vögel. Nach Schottland? Das ist aber sehr weit weg, Gordon. Da werde ich mir Sorge um dich machen. Ich habe noch heute morgen von einem Eisenbahnunglück in der Zeitung gelesen. Wirst du mir auch telegrafieren, wenn du angekommen bist?«

 

»Von jeder Station«, sagte er sarkastisch. Er schämte sich aber, als sie seine Worte ernst nahm und ihm herzlich für sein Versprechen dankte.

 

»Darüber bin ich sehr froh. Ich habe immer Angst, daß Leute, die ich gern habe, bei Eisenbahnunglücken zu Schaden kommen könnten. Aber es ist gar nicht nötig, daß du mir telegrafierst, ich kann das ja auch tun. Ich kann ja an den Stationsvorsteher oder an das Hotel depeschieren, in dem du logierst.«

 

Gordon wurde es plötzlich klar, welch eine große Dummheit er wieder begangen hatte. Die an und für sich schon schwierige Situation war nun noch bedeutend verwickelter geworden. Jetzt konnte er ihr nicht mehr mit einer einfachen Entschuldigung kommen oder über ihre Ängstlichkeit lachen, mochte sie nun wirklich vorhanden oder nur vorgetäuscht sein. Er dachte an eine Lösung, aber er verwarf sie sofort wieder. Aber dann kam er doch wieder darauf zurück, weil sie unter den gegebenen Umständen der einzige Ausweg war. Aber er konnte diesen Plan nur auf Kosten seiner Selbstachtung durchführen. Beinahe fluchte er schon auf Heloise und den Idioten, der diese verrückte Reise vorgeschlagen hatte.

 

Trenter legte gerade den Anzug seines Herrn zurecht, den er am Abend tragen wollte, als Gordon in den Ankleideraum trat.

 

»Bleiben Sie hier, Trenter. Wann hatten Sie Ihren letzten Urlaub?«

 

»Im April, Sir.«

 

Gordon überlegte.

 

»Kennen Sie Schottland?«

 

»Jawohl, ich bin öfters mit den Familien, bei denen ich diente, im September dort auf der Jagd gewesen.«

 

»Nun, das ist gut. Trenter, ich muß in einer bestimmten Angelegenheit eine Reise machen, die ich selbst vor meinen besten Freunden geheimhalte. Ich habe sehr wichtige Gründe dafür, heimlich an einen bestimmten Platz zu fahren, während man mich woanders vermutet. Aber damit will ich Sie nicht beschweren, Sie würden es auch nicht verstehen.«

 

Trenter hatte wenig Anhaltspunkte für seine Vermutungen, aber er traf mit seiner ersten Anspielung gleich das Richtige.

 

»Handelt es sich um eine Dame, Sir?« fragte er diskret.

 

»Nein!«

 

Gordons Gesicht verdunkelte sich, er war sehr ärgerlich.

 

»Natürlich nicht. Es ist eine, rein geschäftliche Angelegenheit, die gar nichts mit einer Dame zu tun hat!«

 

»Es tut mir furchtbar leid«, sagte Trenter verlegen.

 

»Wir wollen über den Zweck meiner Reise nicht weiter sprechen. Ich wollte Ihnen nur folgendes sagen. Miss Ford ist etwas nervös und ängstlich und hat mich gebeten, ihr in kurzen Zwischenräumen von meiner Reise zu telegrafieren.«

 

»Und Sie wollen mich nun nach Schottland schicken, um die Telegramme abzusenden« fragte Trenter strahlend.

 

Gordon staunte über die schnelle Auffassungsgabe seines Butlers.

 

»Ja, das sollen Sie tun. Sie ersparen mir dadurch viele Unannehmlichkeiten. Wenn die Telegramme schließlich in andere Hände fallen sollten, so könnten sie dazu beitragen, noch jemand anders zu täuschen!«

 

Trenter nickte verständnisvoll. Er konnte nicht ahnen, wer mit dieser letzten Bemerkung gemeint sein sollte. Selbst Gordon kannte den Mann ja nicht. Aber er gewann allmählich mehr Sicherheit im Lügen – er war schon ganz rücksichtslos geworden.

 

»Aber daß Sie der Dienerschaft nichts davon erzählen«, warnte er.

 

Trenter lächelte. Gordon hatte ihn früher niemals lächeln sehen. Es war ein ungewohnter Anblick.

 

»Nein, Sir. Ich werde sagen, daß meine Tante in Bristol krank ist – das stimmt nämlich auch – und daß Sie mir Urlaub gegeben haben, sie zu besuchen. Wie lange soll ich fortbleiben, Sir?«

 

»Ungefähr eine Woche.«

 

Mr. Trenter ging sofort nach hinten in die Dienerstube.

 

»Der Chef hat mir eine Woche freigegeben, daß ich meine Tante besuchen kann. Ich werde morgen schon abreisen«, sagte er selbstbewußt und wichtig.

 

Eleanor war schon von Natur aus argwöhnisch.

 

»Das kommt etwas plötzlich. Der Herr fährt morgen auch ab, ihr Männer seid eigentlich recht unzuverlässige Teufel. Wir Frauen wissen niemals, wie wir mit euch daran sind.«

 

Trenter lächelte geheimnisvoll. Es schmeichelte ihm ungemein, daß man ihn wegen irgendwelcher Abenteuer in Verdacht hatte.

 

»Wir werden ja sehen«, meinte er.

 

»Verreist Miss Diana auch?« fragte die Köchin.

 

»Meinen Sie mit mir oder mit ihm?« fragte Trenter unverschämt. »Sie geht nicht mit ihm, und ich mache ihm deshalb auch keinen Vorwurf. Sie ist keine Dame – das ist meine feste Überzeugung.«

 

»Behalten Sie Ihre Weisheit nur für sich«, erwiderte Eleanor böse. »Ich dulde nicht, daß etwas Böses über Miss Diana gesagt wird.«

 

»Ihr Frauensleute steckt doch immer unter einer Decke!«

 

»Und ihr Männer haltet euch an gar nichts!« Eleanor war ein wenig inkonsequent. »Miss Diana ist viel zu gut für ihn. Ich vermute, daß ihr beide irgendwelche galanten Abenteuer vorhabt. Soweit ich in Betracht komme, können Sie ja schließlich machen, was Sie wollen. Für mich waren Sie eben nur eine Erfahrung. Jedes Mädchen muß seine Erfahrungen machen – bis zu einem gewissen Grade.«