7. Kapitel

 

Miss Plumpudding

 

»Noch niemand ist dadurch ruiniert worden, daß er sich mit kleinen Profiten begnügte«, orakelte Anthony Newton.

 

»Der Ausspruch kommt mir so bekannt vor – ich muß ihn in einem Buch gelesen haben«, sagte Pinkey.

 

Sie speisten miteinander in einem vornehmen Lokal zu Abend.

 

»Es ist doch merkwürdig, daß ich noch niemals hereingelegt worden bin. Ich habe aus den schärfsten und schlimmsten Geschäftsleuten der Stadt Geld herausgeholt, ich habe selbst Kautionsschwindler übers Ohr gehauen, ich habe Geld von einem Wucherer der schlimmsten Sorte genommen und es nicht zurückgezahlt. Ich habe mich mit Tod und Teufel herumgeschlagen und dem Schicksal meinen Lebensunterhalt abgetrotzt.«

 

»Das Merkwürdigste an Ihnen ist Ihre schamlose Bescheidenheit«, meinte Pinkey.

 

Pinkey Stephens war ein Rechtsanwalt, der zwar ein Büro unterhielt, aber außerdem als Autor von Liebesgeschichten viel Geld verdiente. Seine Romane erschienen meistens in der Jungmädchenzeitschrift »Jedes Mädchenherz schlägt höher«. Seine Praxis als Jurist brachte ihm nur so viel ein, daß er seine Zigaretten und seine Fahrten in das Büro davon hätte bezahlen können. Trotz seiner Jugend besaß Pinkey schon einen kahlen Kopf; eine einzige, glänzende, glatte Fläche zog sich von der Stirn bis zum Genick. Außerdem hatte er die Angewohnheit, eine lange Pfeife zu rauchen und nie mit Autobussen zu fahren.

 

»Es tut mir leid, daß Sie mir das sagen«, erwiderte Anthony nachdenklich. »Ich dachte immer, daß Schüchternheit meine Schwäche sei. Möglicherweise irre ich mich darin. Aber sehen Sie, ich brachte mein kleines Vermögen dadurch zusammen, daß ich gemeinen Menschen Geld abnahm, das sie auf unehrliche Weise erworben hatten. Ein Erfolg zieht den anderen nach sich. Der Name eines erfolgreichen Mannes geht von Mund zu Mund. Ich darf wohl sagen, daß ich einigermaßen stolz sein kann, daß mir jetzt eine hervorragende Firma in der City eine schwierige Aufgabe anvertrauen will, bei deren Lösung andere, ich will gerade nicht sagen bessere Leute, versagt haben.«

 

»Wer will denn Ihre Hilfe haben – etwa die Rothschilds?«

 

Aber Anthony schüttelte den Kopf.

 

»Darüber muß ich natürlich Stillschweigen bewahren«, sagte er ernst, als er sich erhob und es Pinkey überließ, das Essen zu zahlen. »Entschuldigen Sie mich, wenn ich jetzt schon aufbreche, aber ich muß noch einige Zeitungen durchsehen.«

 

»Ich habe den ›Star‹ auch noch nicht gelesen – wer hat eigentlich das Lehrlingsrennen gewonnen?«

 

Anthony Newton hatte seine Schwächen. Er gab sie zwar zu, aber doch in einer solchen Weise, daß man sie in Wirklichkeit für Tugenden und Charakterstärke halten mußte. So besaß er auch eine ausgeprägte Vorliebe für schöne Frauen, die sich jedoch. – nach seiner Behauptung – nur in scheuer Bewunderung äußerte.

 

*

 

Als er am nächsten Morgen die Treppe von seiner kostspieligen Wohnung am Russel Square hinunterstieg, sah er Miss Plumpudding. Und er wunderte sich, daß die Natur, wenn sie schon so etwas Hilfloses wie ein Mädchen hervorbrachte, ihm nicht wenigstens die Schönheit mit in die Wiege legte, um etwas zu schaffen, das gut anzusehen sei. Aber Miss Plumpudding war keine Augenweide. Sie war plump und dick, ihre Haare sahen aus, als wären sie mit einem Staubsauger frisiert worden, und ihr Teint erweckte den Eindruck, als sei er durch ein Sieb von der Sonne bestrahlt worden. Wenn sie lächelte, was bei ihrem gutmütigen Charakter häufig geschah, so zeigte sich auch, daß sie sehr schlechte Zähne hatte.

 

»Wer ist denn diese aufgetakelte Schönheit?« fragte Anthony den Portier. Er wohnte nämlich in einer Pension, in der es einen richtigen Portier und wirkliche Kellner mit weißen Vorhemden gab.

 

»Das ist Miss Jibble, mein Herr, Miss Eliza Jibble.«

 

»So sieht sie auch aus«, sagte Anthony ungalant.

 

Er dachte für sich, daß sie wie ein Plumpudding aussähe, den allerdings ein Koch zubereitet hatte, der nur aushilfsweise tätig war, während der wirkliche Koch Ferien hatte.

 

Zum erstenmal hatte er sie in der Diele gesehen, die von der Inhaberin der Pension ›der Ruheplatz‹ genannt wurde. Aber sie wäre wohl sehr ärgerlich geworden, wenn sie jemand dabei ertappt hätte, der sich dort auf der Chaiselongue wirklich hingelegt hätte. Miss Jibble saß damals mit einem dunkelhäutigen, dicken, jungen Mann zusammen. In ihrer Gesellschaft befand sich noch eine ältere Frau, die offenbar Miss Jibbles Mutter war. Sie trug überall Diamanten, wo man sie nur überhaupt anbringen konnte.

 

Sie unterhielten sich eifrig und leise, als Anthony an dem Vorhang vorbeikam, der den Zugang zur Diele nur halb verdeckte. Er sah, wie der junge Mann Miss Plumpudding neckisch ins Ohr zwickte, und schüttelte sich vor Grauen.

 

»Du mußt das abnehmen, Liz«, sagte Miss Jibbles. Mutter.

 

Miss Plumpudding drehte sich um und erblickte Anthony in der Türöffnung. Sofort zog sie ihre dicke Hand von dem Tisch zurück.

 

Anthony beobachtete es, als er die Pension verließ. Dies hatte sich ein paar Tage früher ereignet, bevor er ihren Namen erfuhr und bevor er den ungewöhnlichen Auftrag von der Firma Tanker & Co. erhielt.

 

Es ging Anthony verhältnismäßig gut, und er war fest entschlossen, es weiterzubringen. Er hatte jenen festen Glauben an sich, der den Grundstock jedes Vertreters und besonders des Geschäftsreisenden ist. Er war davon überzeugt, daß er auch altmodische Hüte an die Mitglieder einer Freiluftkolonie verkaufen könnte, die Sandalen trugen, barhäuptig herumliefen und nur von Liebe und Rohkost lebten.

 

Als er aus dem Kriege zurückkam und die Uniform auszog, fand er, daß die Welt hart und unfreundlich geworden war und man darin schwer seinen Platz behaupten konnte. Wenn er die Zeitung aufschlug, fand er Annoncen und Stellenangebote, unter denen ausdrücklich die Worte standen: »Frühere Offiziere und Sträflinge dürfen sich nicht meiden.« Trotzdem bewarb er sich, obgleich er das eine war und ernstlich überlegte, ob es nicht ratsam sei, das andere zu werden.

 

Nun war er auf dem Wege zur City. Er schwang einen Spazierstock mit einem beinahe goldenen Knopf und hatte ein Monokel ins Auge geklemmt. Sein Zylinder war tadellos glatt und spiegelblank, und seine echte Platinuhrkette glitzerte in der Sonne. Außerdem trug er zitronengelbe Handschuhe.

 

Zu dem Büro der Firma Tanker & Co. mußte man eine Anzahl von Treppen emporsteigen. Das Haus lag in einer engen Seitenstraße der City, wo von morgens bis abends von Pferden schwere Wagen auf Schienen gezogen wurden und den ganzen Verkehr behinderten. Die Straße ist beinahe unpassierbar, nur ganz dünne oder rücksichtslose Leute können sich durchzwängen. In der City kennt man mehrere solcher Straßen.

 

Anthony eilte die Treppe empor, indem er immer zwei Stufen zugleich nahm, und drängte sich durch eine Tür, die gerade groß genug war, um die Büros, die dahinter lagen, zugig zu machen. Er kam durch einen schmalen, engen Gang zu einem Schalter, der durch ein Messinggitter geschlossen war. Dahinter saß eine Frau, die Anthony für eine frühere Bardame hielt und die wohl schon bessere Tage gesehen hatte.

 

»Mr. Tanker erwartet Sie bereits – wollen Sie, bitte, näher treten?« fragte sie in einem halb traurigen Ton. Er ging durch eine andere Tür in einen Büroraum, von dem aus man die enge, schmutzige Straße übersehen konnte.

 

Ein älterer Herr saß vor seinem Schreibtisch und schaute den Besucher über die Gläser seiner Brille an.

 

»Ach, Sie sind Mr. Newton. Treten Sie bitte näher, treten Sie näher. Was für ein schöner Tag, was für ein schöner Tag!«

 

»Das stimmt, das stimmt!« erwiderte Anthony.

 

Mr. Tanker hätte die Angewohnheit, alle platten Redensarten, die er vorbrachte, zu wiederholen.

 

»Nehmen Sie Platz, nehmen Sie Platz, Mr. Newton. Ich glaube, ich kann diese Angelegenheit sehr schnell und in sehr kurzer Zeit mit Ihnen erledigen – in sehr kurzer Zeit. Ich habe Ihnen geschrieben, daß ich von Ihnen hörte.« Mr. Tanker sprach sehr rasch. »Sind noch ein junger Mann, ein junger Mann? Noch kräftig, gesund und all dergleichen? Haben Sie auch Geld?«

 

»O ja, ich habe ein wenig Vermögen«, entgegnete Anthony bescheiden.

 

»Natürlich haben Sie das! Mein Freund Belter erzählte mir, daß Sie mit dem Gedanken umgehen, das Medusa-Hotel zu kaufen.«

 

In der Tat hatte Anthony schon daran gedacht, die verschiedensten Hotels zu kaufen. In seiner freien Zeit ging er zu Häuseragenten, und in seinem Zimmer lagen ihre Ankündigungen herum. Er hatte schon manchen schönen Prospekt durchgeblättert, in dem meistens auf. kostbaren Papieren eine Ansicht der Halle oder des Parkes, eine Partie aus dem Rosengarten oder von der Terrasse, oder der Speiseraum von der Musikgalerie aus abgebildet waren. Er pflegte seine Post im Bett zu öffnen und war unentschlossen, ob er sich wohler fühlen würde in Fothingay Manor (›540 Morgen, weitere Ländereien können dazu erworben werden. Vier Einzelhäuser: jeder moderne Komfort‹) oder in Soke Priory (›Der Eigentümer hat ungefähr zehntausend Pfund zur Verbesserung der Anlage aufgewandt. Sandiger Boden und herrliche Aussicht auf die Gegend von Chiltern Hundreds‹).

 

Und dann pflegte er aufzustehen und sein Bankbuch nachzurechnen, weil der Leiter der Depositenkasse geschrieben hatte, daß sein Konto überzogen sei.

 

»Ja, da haben Sie recht, aber ich will gerade jetzt im Augenblick noch nicht kaufen.« Er wußte nicht, ob die Firma Tanker & Co. Hausagenten waren. Auf dem Briefkopf stand nur: »Generalagentur in Vertrauenssachen.« Das ließ sich doch nicht gut mit einem Häuseragenten in Einklang bringen, denn an dessen Geschäft ist nichts Geheimnisvolles, da er ja im allgemeinen nichts zu verschweigen hat. Er erzählt höchstens dem Käufer nicht gleich alle Mängel des Daches und der Röhren und ähnliches.

 

»Ich verstehe, ich verstehe«, sagte Mr. Tanker, der dadurch in keiner Weise berührt zu sein schien. »Wirklich, Mr. Newton, ich glaube, da tun Sie ganz gut daran, da tun Sie ganz gut daran. Häuser und feste Liegenschaften sind zur Zeit eine schlechte Kapitalsanlage, eine schlechte Kapitalsanlage.«

 

Also war Mr. Tanker kein Häuseragent, dachte Anthony.

 

»Ich will Sie in einer sehr diskreten Angelegenheit sprechen. Ich möchte Ihnen gern etwas anvertrauen. Kann ich das? Kann ich das?«

 

»Tun Sie es nur, tun Sie es nur.«

 

»Ich bin gestern abend direkt in Ihre Pension gekommen, um Sie zu sehen. Nicht um mit Ihnen zu sprechen, o nein, o nein. Ich wollte Sie nur sehen, nur sehen. Ich verstehe mich sehr gut auf die Beurteilung der Charaktere. Ich wußte vorher noch nicht, ob Sie der richtige Mann für mich wären, auch noch nicht, als ich Ihre Zusage erhalten hatte. Aber jetzt weiß ich es, Mr. Newton. Sie sind mein Mann, Sie sind mein Mann.«

 

Er streckte seine Hand aus, und Anthony nahm sie, obgleich nichts darin war.

 

»Ich will Ihnen jetzt einmal den Fall ganz kurz erzählen. Wir sind keine Rechtsanwaltsfirma. Früher war ich es wohl, aber jetzt habe ich es aufgegeben. Vor vielen Jahren ist einmal eine unangenehme Sache passiert. Ich konnte eigentlich nicht dafür verantwortlich gemacht werden, weil ich zu der Zeit verreist war, aber es würde mir doch schließlich alles in die Schuhe geschoben, aber das hat nichts zu sagen, das hat nichts zu sagen.«

 

Mit einer Handbewegung hatte er die ganze Sache abgetan. Solche Kleinigkeiten wie die Ausstoßung aus dem Rechtsanwaltsstande, waren nicht wert, daß man darüber sprach.

 

»Aber obwohl ich kein Rechtsanwalt bin, habe ich doch viele Klienten, Leute mit großen Titeln, Leute mit bedeutendem Vermögen. Manchmal haben wir auch ganz sonderbare und merkwürdige Aufträge auszuführen.«

 

»Natürlich«, sagte Anthony zuvorkommend. »Jedes Geschäft, das mehr als zehn Prozent abwirft, ist sonderbar und merkwürdig.«

 

Mr. Tanker zog die Stirne kraus.

 

»Ich spreche augenblicklich nicht von Geldgeschäften, nein, nein. Obgleich wir sehr gut bezahlt werden und auch sehr gut zahlen.«

 

Er öffnete eine Schublade seines Schreibtisches und nahm ein Bündel Papiere heraus, die mit einer roten Schnur zusammengebunden waren. Er öffnete die Schnüre nicht, sondern sah Anthony an.

 

»Haben Sie jemals Liebesbriefe geschrieben?« fragte er plötzlich unerwartet.

 

»Hunderte, es können auch Tausende gewesen sein.«

 

Mr. Tanker nickte.

 

»Würden Sie für ein gutes Gehalt, sagen wir einmal zwanzig Pfund für das einzelne Schreiben, Liebesbriefe an eine Dame schreiben, die Sie noch nicht gesehen haben? – Ich muß Ihnen das natürlich erklären«, fuhr er fort, als er Anthonys erstauntem Blick begegnete. »Meine Klientin ist eine reiche Witwe, die eine junge, wunderbar schöne, aber romantisch veranlagte Tochter hat. Unglücklicherweise hat sich das Mädchen in den Chauffeur Ihrer Hoheit – bitte vergessen Sie, was ich eben sagte, und denken Sie nur, daß es sich um eine ganz gewöhnliche Frau handelt. Meine Klientin hat natürlich den Chauffeur sofort entlassen. Das junge Mädchen trauert ihm nun nach – sie ist gerade nicht verliebt in ihn – sie ist eben verliebt, weil sie gerade in dem Alter ist – Sie verstehen, was ich meine?« Er machte eine Pause und sah seinen Besucher bedeutsam an.

 

»Was soll ich denn nun tun?« fragte Anthony, der schon ganz für die Sache gewonnen war.

 

»Sie sollen ihr schreiben, daß Sie sie im Park gesehen haben. Erzählen Sie ihr, daß ihr bloßer Anblick Sonnenschein ist, daß na, und all so etwas. Sagen Sie ihr, vielmehr schreiben Sie ihr, daß Sie sich ihr selbst zu Füßen werfen wollen – aber das alles müssen Sie doch selber viel besser wissen. Wir wollen nur erreichen, daß das Mädchen den Chauffeur vollständig vergißt. Eine Liebe verdrängt die andere. Jetzt ist nur noch die Frage, ob Ihre Ausdrucksweise auch genügend romantisch und blumenreich ist?«

 

»Ach, darüber brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen«, erwiderte Anthony. »Ich habe einen wunderbaren Stil. Soll ich die Briefe mit meinem eigenen Namen unterzeichnen?«

 

Mr. Tanker zuckte die Schultern.

 

»Ein Anfangsbuchstabe würde genügen, aber das können Sie machen, wie Sie wollen. Ich möchte jedoch nicht, daß das junge Mädchen sich nun tatsächlich in Sie verliebt, Mr. Newton. Sie ist die Erbin eines großen Vermögens, das würde heillose Verwicklungen geben. Ich verlange von Ihnen, daß Sie die Dame nicht ohne mein Vorwissen treffen und daß Sie alle Briefe durch meine Hände gehen lassen.«

 

»Ich will mir die Sache noch überlegen«, meinte Anthony.

 

Aber noch am selben Abend schrieb er an die Firma Tanker und legte einen Probeliebesbrief bei, der alle Wirkungen beschrieb, die der erste Anblick ihres Blumengesichts in ihm hervorgerufen hatte. Er schilderte mit einer solchen Genauigkeit, wie sein Herz darauf reagierte, wie wild es schlug, wie seine Pulse bebten und flogen, daß ein begeisterter Medizinstudent nach seiner ersten klinischen Erfahrung es nicht besser hätte machen können. Er schrieb davon, wie sein Kopf schwirrte und wie die ganze Welt plötzlich dreimal schöner erschien, und er sprach von den Erinnerungen, die er nun in seine einsame Wohnung mitgenommen hatte, und von dem kleinen Blatt, das er aufgehoben hatte, nachdem ihre Elfenfüße über den Rasen gewandelt waren.

 

Das Antwortschreiben kam sehr prompt und enthielt eine Zwanzigpfundnote. Später am Morgen klingelte Mr. Tanker Anthony an.

 

»Sie haben Ihre Sache sehr gut gemacht, bitte, fahren Sie nur so fort. Aber der zweite Brief müßte ein bißchen leidenschaftlicher sein. Sie wissen schon, was ich meine? Dann zu der Sache: Blatt und Rasen. Die Dame geht stets nur auf geebneten Wegen, meistens auf Asphalt. Sie haben doch hoffentlich nichts dagegen, daß ich Ihnen diesen kleinen Fingerzeig gebe?«

 

»Ich bin Ihnen sehr dankbar dafür. Wird mir die Dame auch schreiben?«

 

»Das ist möglich«, entgegnete Mr. Tanker diplomatisch. »Wenn irgendwelche Briefe bei mir einlaufen, werde ich sie Ihnen sofort zusenden.«

 

Die Antwort auf seinen Brief kam denn auch zwei Tage später. Sie war begeistert und ekstatisch, und Anthony sah daraus, daß die Erinnerung an den Chauffeur längst aus ihrem Gedächtnis verschwunden war, und sie sich danach sehnte, ihren unbekannten Liebhaber zu sehen. Sie fragte auch an, ob er jemals in Baden-Baden oder in Aix gewesen sei.

 

Anthony suchte in seiner Pension nach Kursbüchern und Reiseführern, um die Kosten eines solchen Aufenthaltes wenigstens ungefähr berechnen zu können. Er schrieb wieder, und der zweite Brief war schon zehn Seiten lang. Als er von Tanker wiederum zwanzig Pfund erhielt, dachte er, daß es eigentlich eine Schande sei, das Geld anzunehmen. Der dritte Brief folgte am nächsten Sonntag. Er schrieb darin von den Wundern der Natur, von Sternen, vom Mond und vom Himmel, von Lilien, Wolken, Rosen, duftdurchglühten Nächten, von Seen, von zarten, schmeichelnden Winden, von Träumen, von Visionen und von Baden-Baden. Schon innerhalb vierundzwanzig Stunden hatte er die Antwort in der Hand. Das junge Mädchen erzählte ihm nun von Hunden, von Kleidern, von Geistlichen, von Liebe, von Motorrädern, vom Firmament und von Lockenwicklern, vom Tod und von kastanienbraunen Handschuhen.

 

Anthony war ganz hingerissen, als er das alles las. Und ohne an seine Belohnung zu denken, setzte er sich die halbe Nacht hin und beantwortete das Schreiben. Er hörte erst auf, als er kein Briefpapier mehr hatte. Am nächsten Morgen sandte er den Brief an Tanker. Der Portier, der das Kuvert in der Hand wog, meinte, es wäre doch wohl billiger, wenn man es mit der Paketpost schickte.

 

Der Tag ging zu langsam hin, und der Morgen brachte seiner von Sehnsucht gequälten Seele keine Linderung. Er liebte sie schon, diese kleine Herzogin. Ihr Name war Phyllis, Lady Phyllis Blank. Er lehnte sich in seinen Stuhl zurück und träumte von ihr, von ihren tiefen, blauen, durchsichtigen, ernsten und klaren Augen. Er überlegte sich, ob sie wohl Milanese-Strümpfe trüge. Er wußte, daß sie klein und zierlich von Gestalt war und eine elfenbeinfarbene Haut besaß. Natürlich konnte sie auch singen und musizieren. Er stellte sie sich vor in einem dunklen Raum, mit großen weiten Fenstern, die sich nach einem Rasenabhang öffneten. Weit hinten in der Ferne zogen sich bewaldete Hügel hin und erglänzten feuerrot im Schein der untergehenden Sonne gegen den amethystfarbenen Himmel. Sie spielte eine weltferne Melodie, klagend und doch wunderbar süß, einen Sang von Tod und Liebe, und von süßen, entschwebenden Erinnerungen.

 

Am dritten Tag kam endlich Nachricht. Zu seinem größten Erstaunen erhielt er sie direkt zugestellt. »Anthony Newton, Esq.« Seine Adresse war ganz richtig angegeben. Schon bei den ersten Worten schlug sein Herz heftiger.

 

»Einzig Geliebter meiner Träume«, war die Anrede. Sie wollte ihn sehen, ihm nahe sein, ihm in die Augen schauen, den süßen Klang seiner wohllautenden Stimme hören …

 

Anthony wischte sich den Schweiß von der Stirn Und lächelte zärtlich. Er war ihr alles. Verwandte, Reichtum, selbst liebenswürdige Chauffeure waren in Nichts versunken. Und so ging es fort bis zur Nachschrift.

 

Aber dann kam eben die Nachschrift.

 

»O Anthony, was soll ich tun? Meine Mutter hat einen deiner Briefe gefunden, und mein Bruder ist furchtbar wütend und sagt, daß ich dich sofort heiraten muß.«

 

Anthony taumelte eine Sekunde. Glücklicherweise war er in seinem Zimmer. Es wäre nicht gut gewesen, wenn ihm das in der Öffentlichkeit passiert wäre. Er las weiter.

 

»Mein Bruder sagt, daß er schließlich noch den Chauffeur hätte entschuldigen können, weil er meine Hand hielt, während er mir Fahrunterricht gab. Auch daß der Kühler vollständig zertrümmert wurde, als wir gegen einen Baum auf der Landstraße fuhren, wäre nicht so schlimm gewesen. Aber er kann und will mir jetzt nicht vergeben, er weist mich aus dem Hause. Anthony, mein Lieber, ich komme zu dir!«

 

Anthony zerknitterte den Brief und steckte ihn in die Tasche, setzte seinen Hut auf und raste die Treppe hinunter. Unten angekommen sprach er noch schnell mit dem Portier.

 

»Wenn irgendeine Frau hierherkommt und nach mir fragt – ich bin aus – ich bin gestern abgereist. Und wenn ein Herr kommt, dann sagen Sie ihm, daß ich schon vorige Woche weggefahren bin. Wenn sie fragt, ob ich wohlhabend bin, dann sagen Sie: Nein! Und wenn sie fragt, ob ich gut aussehe, dann sagen Sie: NEIN!«

 

»Ja, das kann ich wohl ganz gut tun, Mr. Newton«, meinte der Portier.

 

Anthony sprang in das erste Mietauto, das ihm begegnete, und fuhr im schnellsten Tempo in die City. Die Straße, in der das Büro von Tanker & Co. lag, war wieder durch drei große Möbelwagen blockiert. Aber er arbeitete sich durch, und ohne sich vorher von der Dame hinter dem Messinggitter anmelden zu lassen, brach er sofort in Mr. Tankers Büro selbst ein. Der alte Herr schaute ihn wohlwollend über seine Brillengläser an.

 

»Kommen Sie wegen Ihres Geldes, Mr. Newton? Ich war gerade im Begriff, es Ihnen zu schicken.«

 

»Nein«, rief Anthony atemlos. »Deswegen bin ich nicht hier. Ich brauche kein Geld. Sie will mich heiraten!«

 

»Die Dame, mit der Sie in Korrespondenz stehen? Aber natürlich!«

 

»Was?« schrie Anthony wild auf.

 

»Aber natürlich, aber natürlich. Was ist denn nicht richtig dabei?«

 

»Ihre Mutter hat meine Briefe gefunden. Mr. Tanker, Sie müssen mir jetzt aus dieser Geschichte heraushelfen. Ich brauche ein Schreiben von Ihnen, das genau erklärt, warum ich an die Dame geschrieben habe.«

 

Mr. Tanker schüttelte traurig den Kopf.

 

»Dann würde ich das Vertrauen meiner Klientin verraten. Ich will noch weitergehen, Mr. Newton. Ich werde alle Kenntnis, die ich von der Sache habe, ganz abstreiten. Sie sind sehr gut bezahlt worden, und da müssen Sie natürlich auch alles Risiko mit in Kauf nehmen. Es tut mir sehr leid, wirklich sehr leid. Aber offiziell weiß ich von Ihnen überhaupt nichts.«

 

Anthony setzte sich in den Stuhl ihm gegenüber und staunte.

 

»Das Vertrauen eines Klienten ist für mich unantastbar«, fuhr Mr. Tanker geschäftsmäßig fort. »Ich würde ebensowenig auch nur im Traum daran denken, die Diskretion zu brechen und mich eines Vertrauensbruchs schuldig zu machen, als es mir einfiele, mich auf den Kopf zu stellen.«

 

»Aber ich werde Sie vor Gericht verklagen, Sie alter Schuft!« rief Anthony zornig.

 

Aber Mr. Tanker lächelte nur traurig.

 

»Wie wollen Sie denn das machen? Das ist ja ganz unmöglich. Sie werden es nicht dahin bringen, daß mein Name vor Gericht auch nur genannt wird – es sei denn, daß eine Klage wegen gebrochenen Heiratsversprechens erhoben wird. Aber Sie haben ja keine Beweisgründe.«

 

»Wer ist denn eigentlich die Dame?« fragte Anthony, der wieder Herr über seine Erregung geworden war.

 

»Es ist eine Dame aus guter Familie, die Sie eben liebt. Also machen Sie keine Dummheiten – Sie hören ja, daß die Dame Sie liebt. Sie ist sogar so sehr von Ihnen eingenommen, daß sie eine Woche lang in Ihrer Pension wohnte, bevor sie uns den Auftrag gab, daß wir uns Ihnen nähern sollten.«

 

»Meine Pension … gute Familie –«, wiederholte Anthony mit hohler Stimme.

 

Mr. Tanker nickte.

 

»Sie ist eine Miss Jibble – eine von den reichen Jibbles.«

 

»Jibble …!« Anthony sprach den Namen heiser aus. »Miss Plumpudding!« stöhnte er dann und sank in seinem Stuhl zusammen.

 

»Ich sehe, Sie haben sich schon getroffen«, sagte Mr. Tanker zufrieden. »Sie haben sich schon getroffen. Wenn nur nicht schon mehr passiert ist. Sie ist ein recht angenehmes junges Mädchen.«

 

Anthony ging die Treppe ganz langsam hinunter und stand dann bestürzt und verwirrt zwischen zwei großen Wagen auf der Straße. Plötzlich fiel ihm Pinkey ein, und er ging zu dessen Büro.

 

Pinkey Stephens waren Besuche eigentlich zu keiner Zeit willkommen, und es dauerte lange, bevor er Anthony die Türe öffnete. Er nahm an, daß vielleicht ein Klient käme, der ihn sprechen wollte, und er richtete es gewöhnlich so ein, daß er seine Klienten nicht zu sehen bekam.

 

»Hallo«, sagte er recht unliebenswürdig, »was wollen Sie denn hier?«

 

»Pinkey, ich bin ruiniert, ich bin ein geschlagener Mann!« seufzte Anthony.

 

Der Rechtsanwalt war betroffen.

 

»Sie sind doch nicht etwa hierhergekommen, um juristischen Beistand von mir zu verlangen?« fragte er ängstlich. »Ich habe eigentlich meine Rechtsanwaltspraxis vollständig aufgegeben, seitdem das ›Megaphone‹ meinen letzten Roman ›Getrennte Seelen‹ angenommen hat. Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?«

 

Anthony schüttelte den Kopf.

 

»Kennen Sie einen Mr. Tanker?« fragte er.

 

Pinkey Stephens‘ Züge erhellten sich plötzlich. Zufällig kannte er diesen Mann. Er gehörte zu den wenigen Bekannten außer den Literaten, die sich in der Bar »Zum grünen Drachen« trafen.

 

»Tanker war früher Rechtsanwalt, aber er wurde aus dem Verband ausgestoßen, weil, er in irgendeine dunkle Affäre verwickelt war. Es ist schon lange her. Jetzt hat er ein Heiratsbüro –«

 

Anthony stöhnte schwer auf wie ein verwundeter Hirsch.

 

»Nehmen wir einmal an, Sie haben eine Tochter, die Sie nicht an den Mann bringen können«, fuhr Pinkey fort, der nun mit einmal gesprächig wurde, »dann holen Sie sich den alten Tanker, der versorgt sie schon. Ich werde an einem der nächsten Tage einen neuen Roman anfangen ›Eine Frau durch das Heiratsbüro‹…«

 

»Wir wollen aber bitte im Augenblick nicht Ihre literarischen Pläne erörtern«, bat Anthony. »Also was geschieht dann, wenn man Tanker zu Rate zieht?«

 

»Der findet eben einen Mann. Er ist in der Beziehung der schlaueste Teufel, den es überhaupt gibt. Er hat schon die unmöglichsten Partien zusammengebracht. Er hat Lola Sabine verheiratet – Sie wissen doch, die junge Dame mit den Schwanenfüßen – und ausgerechnet mit Lord Pinnut. Sie ist jetzt Lola Gräfin von Pinnut und hat ein großes Haus in Regent’s Park. Sie spricht mit niemand, der nicht mindestens in Eton erzogen wurde. Dann hat er doch das junge Mädchen an den Mann gebracht, dessen Mutter einen Trödelladen mit alten Kleidern hatte. Er hat ihr Lesli Majest verschafft, den Löwen der vornehmen Gesellschaft, und dann …«

 

»Aber wie macht er denn das?« fragte Anthony ganz krank und blaß.

 

Aber hierüber konnte ihm Pinkey keine Auskunft geben.

 

»Das ist eben sein Geheimnis. Die meisten Leute glauben, daß er seine Verbindungen durch Erpressungen und Drohungen zustande bringt. Aber es gelingen ihm auch nicht alle Partien, einige werden noch im letzten Augenblick abgesagt, wenn man sich mit dem alten Tanker ins Einvernehmen setzen kann. Ich weiß zufällig sehr viel von ihm, weil einmal einer meiner Freunde auf ihn hereingefallen ist. Er war aber sehr reich, sein Vater hatte ein großes Messinggeschäft.«

 

»Wie hat er denn den gefangen?«

 

»So einfach und durchsichtig war die Sache, daß ich heute noch nicht verstehen kann, wie Bob auf diesen Leim gegangen ist«, sagte Pinkey zornig. »Dieser alte Kerl hat ihn doch angestiftet, einem unbekannten Mädchen Liebesbriefe zu schreiben – na, was ist denn mit Ihnen los?«

 

»Nichts, nichts«, erwiderte Anthony hastig. »Aber wie hat er ihn denn dazu gebracht, das zu tun?«

 

»Er hat ihm erzählt, daß die junge Dame gerade eine unglückliche Liebe gehabt hätte und daß man sie dem Leben erhalten müsse. Die Familie stände dahinter, und der Vater würde gern für diesen Dienst zahlen. Bob ist natürlich in die Falle gegangen. Es gibt ja keinen Mann, der nicht glaubt, daß er viel bessere und schönere Liebesbriefe schreiben könnte als alle anderen. Außerdem hat sich der dumme Kerl noch obendrein wirklich in das Mädel verliebt – aber wie er sie gesehen hat, war es aus! Es hat ihn fünftausend Pfund gekostet, um eine Klage wegen gebrochenen Heiratsversprechens abzuwenden. Ich habe nie verstanden, wie er so ein verrückter Esel sein konnte!«

 

»Ja, ja, das, kann passieren«, sagte Anthony verbissen. »Lassen Sie mich einmal nachdenken.«

 

Pinkey sah ihn plötzlich entsetzt an.

 

»Großer Gott, hat er Sie etwa auch hereingelegt?«

 

»Bis jetzt hat mich noch niemand hereingelegt«, erwiderte Anthony kurz. »Stören Sie mich jetzt einmal nicht. Ich überlege gerade, wie ich ihn fassen kann.«

 

Plötzlich lächelte er, denn es war ihm etwas eingefallen. Sein gutes Gedächtnis hatte ihm schon in vielen Fällen geholfen. Er ging zu seiner Wohnung zurück. Der Portier erzählte ihm, daß eine Dame gekommen sei und nach ihm gefragt habe. Sie warte mit ihrer Mutter oben in der Diele.

 

»Es ist Miss Jibble, mein Herr. Sie wohnte einmal eine Woche lang hier. Vielleicht entsinnen Sie sich ihrer noch?«

 

»Bestellen Sie den Damen, daß ich sie auf meinem Zimmer erwarte«, sagte Anthony ernst.

 

Kaum war er in seinem Wohnzimmer angekommen, als es auch schon an der Tür klopfte.

 

»Herein!« rief Anthony mit fester Stimme.

 

Miss Jibble trat näher und sah sich scheu um. Sie schien sehr aufgeregt zu sein. Mrs. Jibble. war entsetzlich aufgedonnert und konnte nicht abstoßender aussehen.

 

»Nehmen Sie bitte Platz!«

 

»Nein, ich kann mich nicht setzen«, sagte die ältere Dame. Sie hatte eine tiefe Baßstimme und sprach so laut, daß fast die Fensterscheiben klirrten. »Ich werde mich nicht länger in diesem lasterhaften und herzlosen Hause aufhalten, als es irgendwie nötig ist.«

 

»O Mutter, sprich nicht so zu ihm«, bat Miss Jibble in herzzerreißendem Ton. »Ich bin sicher, er hat einen guten Charakter. Rede doch mit ihr, Anthony.«

 

»Sie haben mit den Gefühlen eines jungen und unschuldigen Kindes gespielt, mein Herr! Ich fordere eine Erklärung von Ihnen!«

 

»Es ist weiter gar keine Erklärung nötig. Ich sah Ihre Tochter im Park, war von ihrer überirdischen Schönheit berauscht und habe mich unsterblich in sie verliebt.«

 

Einen Augenblick lang war selbst die hartherzige Mrs. Jibble sprachlos.

 

»Niemand, der diese Dame gesehen hat«, fuhr Anthony fort, und schaute flüchtig auf Miss Plumpudding, die ihm erstaunt und mit offenem Munde zuhörte, »kann sich ihren Reizen verschließen. Wenn man sie sieht, muß man sie lieben!«

 

Er breitete seine Arme aus, aber Eliza trat einen Schritt zurück.

 

»Sie wollen also meine Tochter heiraten?« fragte Mrs. Jibble aufgeregt. »Sie haben ihren guten Ruf entehrt …«

 

»Sie heiraten?« rief Anthony in höchster Ekstase. »Das wäre das höchste Glück meines Lebens!«

 

»Wollen Sie sie wirklich heiraten?« Mrs. Jibbles Stimme klang zweifelhaft und ungläubig, was gerade nicht sehr schmeichelhaft für ihre Tochter war.

 

»Aber natürlich, das ist doch der Traum meines Lebens! O Eliza – endlich!«

 

Aber wieder wich Miss Jibble zurück, und einen Augenblick sahen sich Mutter und Tochter voller. Verwirrung an. »Aber es ist doch gar nicht nötig, daß Sie Eliza heiraten«, sagte Mrs. Jibble hastig. »Meine Tochter muß jetzt nach Südfrankreich gehen, um sich von dieser Aufregung zu erholen. Sie als Gentleman werden für die Kosten dieser Reise fraglos aufkommen. Was bedeuten denn tausend Pfund für Sie?«

 

»Genau tausend Pfund«, antwortete Anthony prompt. »Und Südfrankreich ist gerade der Platz, den ich mir für die Flitterwochen ausgesucht habe.«

 

Mrs. Jibble atmete schwer.

 

»Die Sache muß doch nicht gleich übers Knie gebrochen werden. Vielleicht werden Sie morgen früh anders denken. Vielleicht sehen Sie morgen früh ein, daß eine so übereilte Heirat Sie beide nur unglücklich macht. Hier ist meine Karte, Mr. Newton.« Sie legte eine schöngravierte Visitenkarte auf den Tisch. »Morgen werden Sie es sich vielleicht überlegt haben und nicht mehr darauf bestehen, das Leben meines armen Kindes zu ruinieren. Komm mit, Eliza.«

 

Sie verließen beide das Zimmer, und Eliza war zuerst draußen.

 

Anthony brachte eine Stunde in einem öffentlichen Auskunftsbüro zu und ging dann noch zu einem wirklichen Rechtsanwalt, der noch niemals Liebesgeschichten und Romane geschrieben hatte. Anthony kannte ihn oberflächlich. Er war ein erfolgreicher und gesuchter Jurist, der so überlaufen war, daß man in seinem Büro kaum einen Stuhl finden konnte, der noch einen ganzen Sitz hatte. Auch der große Teppich auf dem Boden war schon sehr abgenutzt.

 

»Ich möchte Sie ersuchen, unverzüglich eine Klage gegen Miss Eliza Jibble, Clarence Palace Hotel, Regent’s Park, zu erheben.«

 

»Warum wollen Sie sie denn verklagen?« fragte der geschäftige Anwalt, indem er die Adresse aufschrieb.

 

»Wegen Bruch des Heiratsversprechens«, erwiderte Anthony ruhig.

 

Der Rechtsanwalt zeigte nicht das mindeste Erstaunen.

 

»Meine Klage ist sehr dringend«, betonte Anthony, »Wenn es nötig ist, will ich den ganzen Nachmittag in Ihrem Büro zubringen.«

 

»Das ist weder nötig noch erwünscht«, entgegnete ihm der Anwalt und klingelte seinem Schreiber.

 

Am nächsten Morgen um elf Uhr wurde Anthony von Mr. Tanker angerufen.

 

»Eben war ein Mann von der Rechtsanwaltsfirma Hall & Bennet hier.« Mr. Tankers Stimme zitterte ein wenig. »Er überreichte mir eine Vorladung unter Strafandrohung, weil ich Zeuge in einem Prozeß wegen Bruch des Heiratsversprechens sein soll. Was, zum Teufel, soll denn das heißen?«

 

Anthony war eiskalt.

 

»Sie sagten mir doch seinerzeit, daß Ihr Name vor Gericht nur genannt werden könnte, wenn eine Klage wegen Bruchs des Heiratsversprechens anhängig gemacht würde. Diese Klage habe ich jetzt eben erhoben.«

 

»Aber Sie werden doch mit dieser verdrehten Sache nicht weitergehen? Das ganze Gericht wird Sie ja auslachen!«

 

»Ich klage mindestens tausend Pfund Schadenersatz ein«, entgegnete Anthony entschieden. »Und wenn ich die tausend Pfund erst habe, können die Leute, die lachen wollen, ruhig lachen.«

 

»Sie sind verrückt«, schrie Mr. Tanker. »Es ist doch unerhört, eine junge Dame wegen Bruchs des Heiratsversprechens anzuzeigen! Nun seien Sie doch einmal vernünftig …«

 

»Das bin ich immer gewesen. Wir jungen Leute müssen ein für allemal gegen die Anschläge dieser hinterlistigen Weibsbilder geschützt werden.«

 

Eine Pause trat ein.

 

»Wenn Sie hundert Pfund bekommen, ist die Sache doch wohl in Ordnung?« fragte Mr. Tanker nach einer Weile. »Hundert Pfund ist eine Menge Geld – eine Menge Geld.«

 

»Das stimmt, das stimmt«, sagte Anthony. »Aber es sind nicht tausend, nicht tausend.«

 

Drüben wurde der Hörer angehängt.

 

Später erschien Mrs. Jibble auf der Bildfläche. Sie war in einer Verfassung, die an Wahnsinn grenzte.

 

»Was soll denn das heißen, mein Herr?« fragte sie und hielt Anthony ein Schriftstück entgegen.

 

»Das heißt, daß Ihre Tochter mich entweder heiratet oder mir Entschädigung dafür zahlt, daß sie meine heiligsten Gefühle verletzt hat. Ich lasse nicht mit mir spielen. Miss Plum – Ihre Tochter hat mein Leben vergiftet! Ich bin fest entschlossen, sie für ihr schändliches Betragen zahlen zu lassen!«

 

»Aber mein Herr …« Mrs. Jibble war den Tränen nahe, »wenn wir tausend Pfund zahlen sollen, sind wir ruiniert.«

 

»Sie können doch Ihre vielen Diamanten verkaufen«, sagte Anthony mit unerschütterlicher Ruhe. »Sie haben ja genug. Als Ihr zukünftiger Schwiegersohn …«

 

»Das werden Sie niemals werden«, schrie die Frau verzweifelt auf. »Ich würde lieber … ich würde eher …«

 

Die Unterredung endete sehr wenig zufriedenstellend für Mrs. Jibble.

 

Nachmittags um die Teezeit kam Mr. Tanker persönlich.

 

»Also sehen Sie, Mr. Newton, es hat doch gar keinen Zweck, daß wir vor Gericht gehen und uns streiten. Mrs. Jibble will nicht haben, daß Sie ihre Tochter heiraten. Sie ist bereit, Ihnen zweihundertfünfzig Pfund zu zahlen. Ich habe das Geld gleich mitgebracht.«

 

Er warf geräuschvoll ein Paket Banknoten auf den Tisch, und einen Augenblick lang war Anthony versucht, sie anzunehmen.

 

»O nein«, sagte er dann, »ich kann nicht meine heiligsten Gefühle für eine so schäbige Summe verkaufen. Das ist es ja, Mr. Tanker, ich habe Prinzipien.«

 

»Das ist ja alles gut und schön«, sagte Mr. Tanker unruhig. »Aber wir wollen nicht über Nebensachen sprechen, sondern uns an die Hauptsachen halten. Hier sind zweihundertfünfzig Pfund.«

 

»Hebe dich weg von mir, Satanas!« erwiderte Anthony.

 

Abends um elf Uhr suchte Anthony noch Pinkey Stephens auf, und diesmal war der Rechtsanwalt erfreut, seinen Bekannten zu sehen, denn er hatte ihm eine große Neuigkeit mitzuteilen.

 

»Mein Junge, wir werden eine Flasche Wein trinken.« Er suchte in seinem Büfett und brachte eine Flasche mit schwarzgoldenem Verschluß zum Vorschein. »Ich habe heute nämlich eine Geschichte für 300 Pfund verkauft.«

 

»Und ich habe meinen Roman für tausend verkauft«, entgegnete Anthony prompt. »Die Überschrift lautet: ›Trage niemals öffentlich deinen Ehering.‹ Der böse Schuft in der Geschichte ist ein früherer Rechtsanwalt, der irgendein verheiratetes Weibsstück engagierte, um den Helden in Liebesbande zu verstricken. Aber er vergaß dabei das Wichtigste, er sagte ihr nicht, daß sie ihren Trauring ablegen müsse. Das Frauenzimmer ist ebenso lieblich und anziehend wie eine bombardierte Lohgerberei. Der Kerl hat sie nur dazu angestellt, damit der jeweilige junge Mann, der immer ein hübscher und verständiger Junge ist, so aufsässig wird, daß er gerne ein kleines Vermögen zahlt, um dieses Scheusal wieder loszuwerden. Aber am Ende meines Romans triumphiert doch der Held. Er ist, wenn ich es noch nicht erwähnt haben sollte, ein schöner, junger Mann mit freundlichem Lächeln und tadellosem Auftreten, das überall Bewunderung hervorruft. Wenn er durch die. Straßen geht, schauen ihm die Frauen nach …«

 

»Das klingt nach Owen Nares«, sagte Pinkey, und Anthony fühlte sich ein wenig beleidigt.