6. Kapitel
6. Kapitel
Anthony als Buchmacher
»Die menschliche Natur«, erklärte Anthony Newton, »wird von zwei bösen Fehlern beherrscht – von Leichtgläubigkeit und Dummheit. Man sagt, daß jede Minute ein Narr geboren wird – und das stimmt auch. Aber es dauert sehr lange, bis er aufgewachsen ist, und wahrscheinlich hat ihm schon jemand das Fell über die Ohren gezogen, bevor du ihm begegnest.«
»Das hast du gesagt wie ein alter, herzloser Verbrecher«, erwiderte Bill Farrel lässig. Sie saßen gerade bei einem opulenten Abendessen im Empress-Hotel.
»Ich mache diese Bemerkung nur, weil ich gerade von einer Unterredung mit dem liebenswürdigen Polizeiinspektor Parrit von Scotland Yard komme. Der Polizei ist eine merkwürdige Heldentat berichtet worden, die von Leuten ausgeführt wurde, die anscheinend wenig Respekt vor dem Gesetz haben. Mit anderen Worten, man erzählt sich in den offiziellen Kreisen des Polizeipräsidiums, daß eine inoffizielle Polizeitruppe in zwei Spielhäusern eine Razzia abhielt und dabei achthundert Pfund erbeutete. Außerdem haben die Leute Mr. Jepburn, den vornehmen Eigentümer, noch um gewisse Kunstgegenstände bestohlen, die ihren Gefallen erregten, als sie ihn in seiner Wohnung besuchten.«
»Ich habe doch aber nicht die goldene Schnupftabaksdose genommen«, rief Bill Farrel.
»Das habe ich getan«, sagte Anthony seelenruhig. »Ich habe eine gewisse Vorliebe für kleine goldene Dosen, die mit Rubinen besetzt sind. Nebenbei bemerkt, soll sie auch noch ein gewisses historisches Interesse haben. Ich glaube, sie stammt von einem der Zaren. Es war ein Geschenk Friedrichs des Großen an einen Vorfahren Mr. Jepburns. Ich will damit nicht behaupten, daß dieser Jepburn überhaupt einen Vorfahren hatte, den zu erwähnen sich lohnte. Aber es ist eine Schwäche reicher Leute, sich zu ihren Lebzeiten eine ganze Reihe von Ahnen zuzulegen.«
»Was hat denn die Polizei gesagt?« fragte Farrel interessiert.
»Man weiß ganz genau, daß ich für die Sache verantwortlich bin«, erwiderte Anthony kühl. »Und man hat mich davon verständigt, daß man nicht hoffe, daß ich noch einmal die Polizei nachahme. Ich habe gefragt, ob die Leute, die in die Spielhöllen eindrangen, sich denn selbst als Polizei bezeichnet hätten, und man mußte zugeben, daß das nicht der Fall war. Nur das schlechte Gewissen der Damen und Herren, die Mr. Jepburns Spielhöllen besuchten, führte zu der Annahme, daß die acht wetterharten, gut aussehenden früheren Infanterieoffiziere, die so bestimmt auftraten und das Spiel so rauh unterbrachen, von Scotland Yard kommen müßten.« Er schüttelte sich vor Lachen.
»Die Sache ist aber weniger zum Lachen«, sagte Bill Farrel ernst. »Ich bin fest davon überzeugt, daß der wahnsinnige Grieche, der dich neulich auf der Straße anfiel, von Jepburn gedungen war.«
»Das steht fest. Ich war heute morgen bei Mr. Jepburn und habe ihm mitgeteilt, daß ich ihn mit meinen Freunden wieder in seiner Wohnung besuchen würde, wenn noch einmal ein verrückter Ausländer versuchen sollte, mir auf offener Straße ein Messer zwischen die Rippen zu jagen. Ich habe ihm versprochen, ihn ans Bett zu binden und seine Fußsohlen so lange mit Federn zu kitzeln, bis er verrückt würde.«
Farrel sah ihn atemlos an.
»Das ist aber eine schreckliche Drohung!«
»Anders kann man mit solchen Kreaturen nicht sprechen. Wie geht es denn unseren Kameraden?«
Bill grinste.
»Die freuen sich über ihre unrechtmäßig erworbenen Gelder je nach ihrer Veranlagung. Dinky Brown wird einen Hutladen in der Regent Street aufmachen, Tommy Barlow hat sich ein neues System ausgedacht, wodurch er beim Rennen verdienen will, Foreman, der frühere Oberst des 112. Regimentes, hat sich eine kleine Farm gekauft.«
Anthony nickte.
»Und was hast du selbst mit deinem Gelde angefangen?« fragte Bill.
»Ich habe meinen Anteil angelegt. Es reichte gerade dazu.«
»Wo hast du ihn denn angelegt?«
Anthony faßte in seine Westentasche und zog einen Zeitungsausschnitt hervor. Bill nahm ihn und las.
Stiller Teilhaber gesucht mit etwa tausend Pfund Einlage. Große Verdienste. Kein Risiko. Anfragen unter Box 943 Megaphone.
»Der Herr heißt Yarrow«, erklärte Anthony. Dabei blies er den Rauch seiner Zigarre zur Decke empor. »Er betreibt das Geschäft eines Buchmachers.«
»Eines Buchmachers?« fragte Bill ungläubig.
Anthony bejahte.
»Er hat eine etwas bewegte Vergangenheit und hat früher schon andere Teilhaber gehabt, die sich mit tausend Pfund an seinem Geschäft beteiligten. Aber diesmal bekommt er keinen stillen Teilhaber.«
»Welchen Zweck hat es denn, tausend Pfund in dem Geschäft eines obskuren Buchmachers anzulegen? Wahrscheinlich wird der Mann auch nicht genügend Kunden haben?«
»Yarrows Vater hat einen großen Namen an der Börse. Er hat sehr viel Geld, aber er ist ein schlechter Mensch, geradezu ein Verbrecher. Er ist genauso ein Schwindler und Schuft wie sein Sohn. Aber vergiß das eine nicht, Bill, Yarrow senior ist ein vermögender Mann.«
»Ich fürchte, du wirst dabei zu Schaden kommen«, warnte ihn Bill.
Aber Anthony lächelte nur.
Am nächsten Morgen ging er zu Silvester Yarrow, der zwei Geschäftsräume im dritten Stockwerk eines Hauses in der Nähe von Piccadilly unterhielt. Die Büros waren sehr hübsch möbliert, auch die übliche Schreibmaschine und das Telefon waren zu sehen.
Mr. Yarrow selbst war ein geschniegelter, tadellos gekleideter junger Mann, der sich viel Pomade in die Haare gestrichen hatte, so daß sie glänzten. Als er in das Büro trat, brachte er ein feines Parfüm mit sich, irgendeinen exotischen Duft, den er besonders bevorzugte. Er reichte Anthony eine weiße, wohlmanikürte Hand.
»Guten Morgen, Mr. Newton«, sagte er lächelnd. »Wollen Sie bitte näher treten.«
Anthony folgte ihm in den inneren Raum, den man eigentlich nach seiner Einrichtung eher für ein Boudoir als ein Büro hätte halten können. Mr. Yarrow liebte schöne Dinge, Gemälde von Kunstwert, dicke Teppiche, dickes Briefpapier und purpurroten Siegellack.
Er war geschmeidig, sah etwas melancholisch aus, hatte glänzende, dunkle Augen und sprach sehr liebenswürdig mit einer weichen, fast frauenhaften Stimme.
»Ich halte mir weder einen Sekretär noch eine Sekretärin. Man kann solchen Leuten niemals trauen«, erklärte er. »Nun, Mr. Newton, Sie haben ja meinen Vorschlag gelesen. Sind Sie entschlossen, in mein Geschäft einzutreten?«
»Ja, das ist meine Absicht. Nur..«
Mr. Yarrow sah ihn schnell von der Seite an.
»Nur möchte ich kein stiller Teilhaber sein, ich möchte aktiv in dem Geschäft tätig sein.«
Mr. Yarrow schaute zur Decke empor.
»Kennen Sie denn das Buchmachergeschäft? Das ist ein ganz schrecklicher Beruf, und ich schäme mich fast, daß ich selbst ihn ergriffen habe. Aber man muß schließlich leben.«
»Ich weiß von all diesen Dingen sehr wenig«, erwiderte Anthony. »Es ist mir nur bekannt, daß die Leute Ihnen telegrafieren und Geld auf Pferde setzen. Wenn sie gewinnen, dann haben Sie den Gewinn auszuzählen, und wenn sie verlieren, dann müssen die Leute Ihnen zahlen.«
Mr. Yarrow lächelte glücklich.
»Ja, es ist ein verteufelt anziehendes Metier, das gebe ich zu. Verteufelt interessant. Nun gut, wenn Sie gern tätig mitarbeiten wollen und nichts dagegen haben, daß Sie draußen an dem Schreibtisch in dem anderen Räume Platz nehmen, dann soll es mich freuen, wenn Sie tätigen Anteil am Geschäft nehmen. Wie gesagt, ich habe keinen Sekretär, und Sie können ja das Telefon bedienen, die Telegramme öffnen und auf ein Formular alle Wetten eintragen.«
Es schien Anthony ein trostlos langweiliges Geschäft zu sein, denn den ganzen Nachmittag rief niemand an, und es kamen auch keine Telegramme.
»Es ist heute der erste Tag der Rennen von Newmarket«, erklärte Mr. Yarrow. »Da wettet niemand.« Er sah auf die Uhr. »Gehen Sie jetzt und trinken Sie eine Tasse Tee. Wenn Sie zurückkommen, werde ich gehen.«
Anthony ging auf den Vorschlag ein und blieb etwa eine Viertelstunde weg. Als er zurückkam, sah er, daß Mr. Yarrow ein verzweifeltes, ernstes Gesicht machte.
»Es ist inzwischen eine verflucht unangenehme Sache passiert«, sagte er. »Gerade nachdem Sie weggegangen waren, kam ein gewisser Bertie Feener ins Büro und setzte fünfzig Pfund auf ›Merriboy‹ – und der verrückte Gaul hat doch tatsächlich mit 6 : 1 gewonnen!«
»Das ist ja gut«, sagte Anthony.
Mr. Yarrow erhob sich und verließ das Büro.
Am nächsten Tag gab es mehr zu tun. Fremde Leute riefen an und wetteten, allerdings nur sehr geringe Beträge. Anthony schrieb alles genau auf und berichtete es seinem Partner, der bequem in seinem duftdurchtränkten Raum saß und nur damit beschäftigt war, seine Fingernägel zu polieren. Um vier Uhr ging Anthony wieder weg, um eine Tasse Tee zu trinken. Als er zurückkam, trat ihm Mr. Yarrow schon entgegen.
»Dieser Feener hat doch ein verteufeltes Glück! Gerade vorhin hat er wieder hundert Pfund auf ein Pferd gesetzt, das mit 4 : 1 durchs Ziel ging.«
»Das ist ja ein gutes Geschäft«, sagte Anthony. »Sie haben vermutlich öfters solche Glücksserien.«
»O ja«, sagte der andere anscheinend äußerst erleichtert, daß sein Partner die Sache so ruhig aufnahm. »Manchmal dreht sich auch die Sache, und wir haben dann auch ganze Serien von Gewinnen. Die Tausende rollen dann nur so ins Büro.«
Am nächsten Nachmittag ging Anthony nicht zum Tee.
»Es ist eigentlich zu teuer«, meinte er. »Außerdem möchte ich gern auch einmal mit Bertie Feener sprechen.«
Mr. Yarrow schien sich nicht recht wohl zu fühlen.
»Das ist ein verdammter Kerl! Ich wünschte, er würde einmal tausend Pfund auf einen falschen Gaul setzen, aber merkwürdigerweise passiert ihm so etwas nie.«
Offensichtlich wettete Bertie Feener an diesem Tage nicht, denn er ließ sich im Büro nicht sehen, und die paar Wetten, die am Telefon abgeschlossen wurden, brachten Gewinn für die Firma.
Der vierte Tag war ein Freitag. Um drei Uhr nachmittags läutete das Telefon. Yarrow eilte hin und nahm den Hörer ab. Anthony gab sich den Anschein, als ob er an seinem Schreibtisch eifrig beschäftigt sei, aber er horchte genau auf die einsilbigen Antworten, die der sonst so gesprächige und höfliche Mr. Yarrow gab. Plötzlich wurde Mr. Yarrow jedoch mitteilsamer.
»Jawohl, alter Freund«, sagte er. »Sicher. Wird gemacht. Zweihundert Pfund? Dreihundert? Gut!«
Der Schreibtelegraf an Anthonys Tisch begann zu schwirren – es war das Ergebnis der Rennen von zwei Uhr dreißig.
»Jawohl …, ich nehme Ihre Wette an zu dreihundert Pfund – sicherlich.« Mr. Yarrow schaute zu Anthony hinüber und fragte leise: »Welches Pferd hat gewonnen?«
»Black Emperor«, sagte Anthony.
Wieder verdüsterte sich das Gesicht seines Teilhabers.
»Ist das nicht einfach verflucht? Der Teufel hat den Kerl wieder gewinnen lassen!«
»Fragen Sie ihn doch, ob er nicht ein anderes Pferd gemeint hat als Black Emperor?«
Mr. Yarrow nickte.
»Sind Sie noch da, Bertie?« fragte er. »Welches Pferd war es doch, auf das Sie dreihundert Pfund gesetzt hatten? Der ›Black Emperor‹? Sind Sie dessen auch sicher? – Nun, Sie Glücklicher, das Pferd hat gewonnen!«
Er hing den Hörer an und kam ganz verzweifelt zu dem Telegrafen.
»Ist das nicht ärgerlich?« fragte er, aber seine Stimme klang nicht sehr betrübt. »Solch ein Pech kann auch nur ich haben! Ausgerechnet eine Minute, bevor das Resultat durchkommt, muß er noch auf das Pferd setzen!«
Mr. Yarrow sah auf den Papierstreifen und plötzlich änderte sich sein Gesichtsausdruck.
»Der ›Black Emperor‹ hat ja gar nicht gewonnen«, rief er. »Es war ja ›Rarebell‹!«
»Das ist mein Versehen«, erwiderte Anthony kühl.
Wenn man Mr. Yarrows Stimme hörte, hätte man meinen können, daß ihm der Gewinn von dreihundert Pfund leid tat.
»Das ist aber sehr nachlässig von Ihnen, alter Freund«, meinte er, und es fiel ihm schwer, seine alte Liebenswürdigkeit beizubehalten. »Ich habe Bertie erzählt, daß sein Gaul gewonnen hat. Möglicherweise werden wir den Kunden dadurch los.«
»Das würde mir unendlich leid tun.«
An diesem Abend sah Anthony Bill Farrel.
»Nun, wie geht das Geschäft?« fragte Bill.
»Großartig«, erwiderte Anthony begeistert. »Aber denke dir, Yarrow hat überhaupt keine Kunden. Er bucht nur zum Schein, wenn ich nicht im Büro bin. Die ganze Sache ist furchtbar einfach. Sobald ich nur den Rücken drehte, telefoniert ein gewisser Bertie Feener und setzt auf ein Pferd, das später todsicher gewinnt. Dadurch verliere ich dann einige hundert Pfund. Und wenn meine Einlage erschöpft ist, wird er sich ja einen anderen Teilhaber suchen.«
»Wer ist denn eigentlich Bertie Feener?«
»Es gibt überhaupt keinen Bertie Feener. Als Mr. Yarrow diese nette Unterhaltung darüber hatte, daß sein Freund auf den ›Black Emperor‹ setzte, habe ich genau gesehen, daß er mit seinem Finger den Haken herunterdrückte. Das eine Gespräch hatte er längst beendet.«
Am nächsten Nachmittag ging Anthony zu Yarrows größtem Erstaunen wieder zum Tee, trotzdem es ein großer Renntag war. Aber bevor er das Büro verließ, stellte er noch eine wichtige Frage.
»Haben Sie eigentlich eine Begrenzung Ihrer Wettsummen mit Mr. Feener verabredet?«
»Nein«, entgegnete Mr. Yarrow lächelnd. »Das wäre nicht ratsam, wenn wir so tief in seiner Schuld stecken. Ich bin der Ansicht, man soll ihm nur genügend Spielraum lassen, dann wird er sich schon einmal selbst hereinlegen.«
Als Anthony zurückkehrte, hatte ihm Mr. Yarrow wieder eine sehr traurige Geschichte zu erzählen. Er ging unter den offenbaren Zeichen größter Erregung im Büro auf und ab.
»Dieser verdammte, niederträchtige Kerl!«, stöhnte er. »Ich wünschte, ich hätte mich niemals mit ihm eingelassen.«
»Was – ist es wieder mit Bertie Feener?« fragte Anthony unschuldig. »Was hat er denn schon wieder gemacht?«
»Hat der Mensch doch gerade wieder zweihundert gewettet und ist mit 4:1 herausgekommen. Kaum waren Sie die Treppe hinunter, als er anrief. Zuerst wollte ich seine Wette nicht annehmen, aber schließlich war ich doch wieder dumm genug und habe seine Buchung angenommen.«
»Dann haben wir also achthundert Pfund verloren?« fragte Anthony nachdenklich.
Mr. Yarrow nickte.
»Sie haben verdammt wenig Glück, mein Junge. So etwas ist früher noch nie im Geschäft passiert. Wir haben doch diese Woche faktisch mehr als tausend Pfund verloren.«
»Ja, damit müssen wir uns eben abfinden«, entgegnete Anthony gelassen. »Gehen Sie jetzt zum Tee, Mr. Yarrow. Ich werde inzwischen den Scheck für Mr. Feener ausschreiben. Sie können mir ja seine Adresse geben, wenn Sie zurückkommen.«
Mr. Yarrow machte sich vergnügt auf den Weg. Das letzte Rennen war vorüber, und das Resultat war schon zwanzig Minuten durchgegeben, bevor er zurückkehrte.
»Nun, ist irgend etwas passiert?« fragte er, als er seinen Hut anhängte.
»Ja. Bertie Feener hat angeläutet und wettete zwölfhundert Pfund auf ›Blue Diamond‹. Er hat verloren. Ich gratuliere Ihnen.«
Mr. Yarrow sah ihn mit offenem Munde an.
»Was hat Bertie Feener gemacht?« fragte er dumm. Er schien seinen Ohren nicht trauen zu wollen.
»Er hat zwölfhundert Pfund auf ›Blue Diamond‹ gesetzt. Der Gaul gewann aber nicht«, erwiderte Anthony zuversichtlich und froh. »Er hat gerade in dem Augenblick angerufen, als Sie die Treppe hinuntergingen, ich zögerte schon und wollte ihn ablehnen, aber dann besann ich mich, daß Sie ihm bei seinen Wetten keine Grenze gesetzt haben, und dachte, man sollte es ruhig riskieren. Wir sind nun mit ihm quitt, Yarrow.«
Er reichte seinem Partner die Hand, aber der nahm sie nicht.
»Aber Mr. Feener ist doch aufs Land gefahren – er wollte doch mit dem Vieruhrzug reisen. Er hat es mir gesagt, als ich ihn heute nachmittag am Telefon sprach.«
»Das stimmt auch – er hat nämlich vom Bahnhof aus angerufen«, entgegnete Anthony ruhig.
Mr. Yarrows Gesicht verfärbte sich.
»Nun, dann ist es ja gut.«
»Aber ich glaube, es wäre besser, wir lassen uns nicht mehr auf telefonische Wettanlagen ein. Es ist viel vernünftiger, wenn Ihre Kunden telegrafieren.«
»Damit bin ich auch einverstanden«, sagte Mr. Yarrow kurz.
»Es war aber doch wirklich ausgezeichnet, daß ich hier war, als Bertie anrief. Ich nenne ihn jetzt nur noch mit dem Vornamen, ich denke, er wird mir deswegen nicht böse sein.«
Mr. Yarrow saß an seinem Tisch und wagte nicht aufzuschauen.
»Wenn Sie hiergewesen wären, hätten Sie wahrscheinlich gezögert, eine so große Wette anzunehmen. Glücklicherweise können wir die Woche nun ohne Verluste beschließen.«
»Ich verstehe aber nicht recht, wie wir unser ganzes Geschäft nur telegrafisch abmachen wollen«, meinte Mr. Yarrow jetzt unwirsch. »Kaum ein Wettbüro nimmt höhere Wetten als fünfzig Pfund an, wenn das Rennen beginnt. Es sind nur wenige, die so etwas machen.«
»Dann wollen wir eben eine Ausnahme sein«, meinte Anthony und sah, wie sich die Züge seines Teilhabers erhellten. »Wollen wir den Leuten doch eine Chance geben, daß sie eintausend oder zweitausend auf ein Pferd setzen können, wenn der Start eben begonnen hat, solange sie nur die Telegramme mit ihrem Namen zeichnen und sie uns bekannt sind. Es ist doch möglich, Yarrow, daß wir auf diese Weise ein kolossales Geschäft machen.«
»Das könnte sein«, sagte Mr. Yarrow nun wieder etwas vergnügter. »Ich werde mir die Sache überlegen und Ihnen am Montagmorgen darüber Bescheid geben.«
Am Montagmorgen war Mr. Yarrow sehr zufrieden.
»Sie sind ein verdammt schlauer Kerl, Newton. Ich habe mir alles überlegt. Ihr Vorschlag ist eine ganz gute Idee. Ich habe meinen Vater gefragt, der mit meinem Geschäft ja eigentlich nicht einverstanden ist, wie Sie wohl begreifen können. Aber er sagt auch, daß das eine ausgezeichnete Sache sei. Er wettet auch ab und zu, er läßt ja selbst sechs Pferde laufen. Unter diesen Bedingungen will er uns all seine Wettaufträge zukommen lassen. Wir werden einen eigenen, einfachen Code ausarbeiten, mit der Maschine schreiben lassen und an alle unsere Kunden schicken, so daß sie lange Nachrichten senden können, ohne daß nachher Mißverständnisse entstehen. Was sagen Sie dazu?«
Nach Anthony Newtons Haltung und Gesichtsausdruck zu urteilen, war er außer sich vor Freude.
»Wir wollen es zunächst einmal eine Woche lang versuchen«, meinte er. »Am Mittwoch muß ich nach Gloucester fahren, aber an diesem Tage kann ja auch nichts Großes passieren.«
»Aber da sind doch die Rennen in Hurst Park«, sagte Mr. Yarrow aufgeregt und gab sich die größte Mühe, gleichgültig zu erscheinen. »Aber ich glaube auch nicht, daß wir an dem Tag große Wettaufträge bekommen werden. Nach welchem Teil von Gloucester werden Sie gehen?«
»Nach Gloucester selbst. Ich bin aber abends schon wieder zurück. Würden Sie so gut sein und mir ein Telegramm senden, wenn etwas Ungewöhnliches vorgehen sollte?«
Anthony verließ London mit dem Zehnuhrzuge, der den Vorteil hatte, daß er in Reading hielt. Mr. Yarrow, der absolut sicher sein wollte, war auf die Paddington-Station gekommen, um seinen Partner abfahren zu sehen. Er wußte allerdings nichts davon, daß der Zug in Reading hielt.
»Ganz zufällig und merkwürdig, daß ich auch hier bin«, meinte er, als er vor der Coupétür stand. »Aber ich muß eine Tante abholen, die in einer Viertelstunde von Cardiff kommt. Deshalb dachte ich, es wäre ganz gut, wenn ich zum Zuge käme und mich von Ihnen verabschiedete. Um wieviel Uhr kommen Sie zurück?«
»Ungefähr um sechs heute abend. Ich werde mich nur eine Stunde in der Stadt aufhalten.«
In Reading nahm Anthony ein Mietauto, mit dem er schnell die nicht allzugroße Entfernung nach Hurst Park zurücklegte. Mr. Yarrow senior kannte Anthony nicht, aber Anthony kannte den Vater seines Teilhabers dem Aussehen nach, der ein großer, etwas vornübergeneigter Mann mit großem Mund und einer langen Nase war. Mr. Yarrow hatte in früheren Zeiten so viel merkwürdige und sonderbare Abenteuer, besonders bei Rennen, erlebt, daß er seine Memoiren hätte herausgeben können. Jetzt war er Friedensrichter und ein voraussichtlicher Kandidat für die nächsten Parlamentswahlen. Mit dem großen Vermögen, das er erworben hatte, mußte er jetzt die Art und Weise verdecken, mit der er es gewonnen hatte. Es muß aber gesagt werden, daß Mr. Yarrow sich jetzt mehr in acht nahm und nicht mehr derartige Indiskretionen beging, die früher seinen Namen in den besten Sport- und Buchmacherkreisen herabsetzten.
Das dritte Rennen des Tages war ein Ereignis, wie man es nicht häufig auf Rennbahnen findet. Alle die Einjährigen, die von ihren hoffnungsvollen Besitzern auf die Rennen geschickt werden, treffen sich drei Jahre nach ihrem Eintritt wieder bei einem besonderen Rennen, um sich um den Preis von tausend Pfund zu bewerben. Und es waren diesmal von fünfundneunzig nur drei übriggeblieben. Anthony hatte bei dem Überfliegen des Programms ganz richtig vermutet, daß Mr. Yarrow senior seinem Sohn bei diesem Rennen zur Erfüllung seines Herzenswunsches verhelfen wollte – nämlich die tausend Pfund Anthonys einzustecken.
Von den drei Pferden hatten offensichtlich nur zwei eine Chance, das dritte hatte nach den Erfahrungen bei allen vorhergehenden Rennen gar keine Aussicht. Aber Mr. Yarrow wollte nichts riskieren.
Anthony beobachtete ihn genau, als er sich mit dem Rücken gegen die Schranken lehnte, die den Raum umgaben, wo die Pferde abgesattelt wurden. Er sah, wie der alte Herr drei Telegrammformulare nahm und alle drei ausschrieb. Er ließ ihn nicht aus den Augen und bemerkte, daß er die drei Formulare in den Kasten warf, wo der Telegrafenbeamte saß. Sie waren an Yoksey, London, adressiert. Das war Mr. Yarrows Telegrammadresse. Auf jedem stand der Name eines anderen Pferdes und dahinter das Codewort ›Yail‹. Nach ihrem Code bedeutete das ›Ich wette zweitausend Pfund auf‹
Es ist kein Verbrechen, wenn man in einem Rennen auf drei verschiedene Pferde wettet. Das haben schon viele Sportsleute getan; die dadurch aber auf den Hund gekommen sind. Man konnte durchaus nichts Strafbares an der Tatsache sehen, daß man bei einem Rennen, in dem nur drei Pferde liefen, auf jedes Pferd setzte: Es war allerdings, um es milde auszudrücken, verrückt, aber es war schließlich kein Vergehen.
Anthony ging wieder auf seinen Platz, um das Rennen zu beobachten. ›Bird’s Eye‹ war erster Favorit, und die meisten Chancen nach ihm hatte ›Morton’s Pride‹. Die Wetten, die auf das dritte Pferd abgeschlossen waren, standen zwanzig zu eins.
Anthony beobachtete den Start. Es war aber weniger ein Rennen als eine Prozession, denn: ›Bird’s Eye‹ führte von Anfang an und gewann das Rennen mit großer Überlegenheit.
Zufrieden kehrte Anthony nach London zurück und kam Viertel nach sechs wieder im Büro an. Mr. Yarrow machte keinen Versuch, seine gute Stimmung irgendwie zu verbergen.
»Ja, mein alter Junge«, sagte er, »diesmal ist die Sache ins Auge gegangen.«
»Was ist denn los?«
»Mein alter Herr hat zweitausend Pfund auf ›Bird’s Eye‹ gesetzt. Das ist nun einmal ein entsetzliches Pech. Aber was soll man dagegen machen? Hier ist das Telegramm. Aufgabezeit und alles ist in Ordnung.«
Anthony nahm das Formular.
»Jawohl, das ist in Ordnung.«
»Wir haben nun tausend Pfund verloren und damit ist unsere Kasse erledigt, wenn Sie nicht neues Kapital einschießen können«, meinte Mr. Yarrow und strich seinen kleinen Schnurrbart.
»Aber ich rechne doch einen Verdienst von dreitausend Pfund für uns heraus«, erwiderte Anthony nachdenklich.
»Woher denn?« fragte Yarrow verwirrt.
»Wo sind denn die beiden anderen Telegramme, die Ihr Vater geschickt hat?«
Mr. Yarrow wurde rot.
»Was, zum Teufel, meinen Sie?«
Aber Anthony machte nur eine energische Handbewegung.
»Ihr Vater hat drei Telegramme gesandt, und zwar hat er auf jedes Pferd gesetzt. Seine einzige Chance wäre gewesen, wenn der Outsider das Rennen gemacht hätte. Aber der war so weit hinter den anderen, daß ich Bedenken habe, ob er jetzt schon das Ziel erreicht hat. Sie würden mir einen großen Gefallen tun, Yarrow, wenn Sie heute abend Ihren Vater aufsuchten und ihn dazu veranlaßten, daß er mir morgen früh die Summe von dreitausend Pfund zahlt. Sollte das nicht der Fall sein, so werde ich Sie beide verhaften lassen wegen gemeinsamen Betrugs. Ich weiß ganz genau, daß ich selbst mit dem Gesetz in Konflikt komme, wenn ich unter Drohungen Geld von Ihnen fordere. Aber ich weiß auch sehr wohl, was ich tue, Yarrow.«
»Ich sage Ihnen doch, daß keine anderen Telegramme angekommen sind!« brüllte der junge Mann.
»Doch es sind noch zwei andere angekommen«, erwiderte Anthony geduldig. »Aber Sie haben sie verbrannt oder sonst irgendwie beseitigt. Wahrscheinlich befinden sich die beiden zerknitterten Formulare in Ihrer Hosentasche. Aber es ist ja so leicht für mich, die Sache herauszubringen: Ich kann auf der Post Kopien von all den Telegrammen erhalten, die Ihr Vater von Hurst Park abgeschickt hat. Also seien Sie nun vernünftig und gehen Sie zu ihm. Ich gebe Ihnen Zeit bis morgen mittag um zwölf. Wenn dann meine Forderung nicht erfüllt ist, erstatte ich Anzeige in Scotland Yard. Und«, fügte er noch hinzu, als er schon in der Tür stand und sich zum Gehen wandte, »sagen Sie Ihrem Vater ausdrücklich, daß ich keinen Scheck, sondern nur Banknoten, und zwar von kleinen Werten, nehme.«