4. Kapitel

 

Ein Beitrag für wohltätige Zwecke

 

Anthony Newton war nicht für jede Art von Wohltätigkeit zu haben. Er hielt es mehr mit den einfachen Almosen, die man den Armen an der Haustür gab, denn er hatte ein tiefes Mißtrauen gegen die Ehrlichkeit der großen Wohltätigkeitsorganisationen. Er hatte auch durchaus kein Interesse für die Handelsmarine, noch hatte er die leiseste Absicht, Heime für alte Seeleute zu gründen, bis er mit Mr. Match zusammenkam.

 

Anthony erzählte später immer, daß die Sache, die er mit diesem Reeder durchführte, sein größter Erfolg war. Er erschien ihm deswegen größer als alle anderen, weil er keinen persönlichen Vorteil aus diesem Unternehmen zog.

 

Man muß nicht glauben, daß Scotland Yard die Existenz und die Manöver eines gewissenlosen Briganten duldete, aber auch Scotland Yard ist machtlos, wenn nicht jemand Klage führt, so daß man einen Grund zum Einschreiten hat. Mr. Newton verdankte seine Sicherheit und Straflosigkeit teils der Zurückhaltung der Leute, die er geschädigt hatte, teils der Scheu seiner Opfer vor der Öffentlichkeit, denn die Berichte und Verhandlungen über ihr eigenes Betragen vor dem Strafgericht in Old Bailey hätten ihren Ruf zweifellos schwer geschädigt.

 

Anthony und seine Helfer hatten schon einen größeren Ruf erlangt, als er selbst ahnte. Er entdeckte dies eines Tages, als er bei Erledigung eines »Falles« nach Newcastle reiste.

 

Er saß mit Bill Farrel schon eine Stunde in der Dämmerung und rauchte schweigend seine Pfeife. Der Abendhimmel war noch vom Glanz der untergehenden Sonne erleuchtete und durch das offene Fenster drangen die lauten Stimmen der Kinder herein, die unten auf der Straße spielten; denn in London ist die Straße das große Colosseum, in dem sich die Kinder tummeln, sie ist die Arena, die große Schule, in der die Jugend auf den bitteren Kampf ums Dasein vorbereitet wird.

 

»Wer ist Theodore Match?« fragte Anthony unerwartet, und Bill wandte sich um.

 

Anthony sprach in dem höflichen Ton eines Schulmeisters, der auf liebenswürdige Art eine Antwort von einem nervösen Schüler bekommen will.

 

»Der Schiffskönig.«

 

»Und was ist ein Schiffskönig?«

 

»Ein Schiffskönig?« sagte Bill zögernd, »nun das ist jemand, dem Schiffe gehören.«

 

Anthony lächelte trübe.

 

»Ein Schiffskönig ist ein Mann, der überall Schwierigkeiten sieht. Wenn man seine Berichte liest oder hört, so ist er immer im Begriff, nächstes Jahr den Bankerott zu erklären. Wenn der Handel gut geht, läuft er Gefahr, weil es zuwenig Schiffsraum gibt. Und wenn viele Schiffe zu haben sind, dann droht ihm der Ruin, weil das Frachtgeschäft darniederliegt. Manchmal sieht er auch seinen Untergang vor Augen, weil die Charter zu gering ist, manchmal, weil der Kohlenpreis zu hoch ist. Er hat immer Schaden, wenn nicht auf diese, so auf eine andere Weise, durch die Extra- und die Einkommensteuer und die Steuern für außerordentliche Gewinne – und dabei weiß er nicht, was er mit seinem Geld anfangen soll.«

 

»Großer Gott«, sagte Bill erstaunt.

 

»Der Schiffskönig ist eigentlich der Mann, der am wenigsten für sein Vaterland tut. Während des Krieges habe ich Schiffskönige getroffen, die über den Mut und die Geschicklichkeit ihrer Seeleute mit Tränen in den Augen sprachen. Sie liebten diese Männer mit den rauhen Händen, die sich trotz der schrecklichen U-Boot-Gefahr auf die See hinauswagten. Alles, was sie für diese tüchtigen Menschen tun konnten, taten sie, nur ihre Gehälter erhöhten sie nicht und gaben ihnen auch keine besseren Schlafplätze. Ich habe Schiffsreeder gekannt, die den Witwen der einfachen Seeleute, die durch feindliches Geschützfeuer getötet wurden, nur zwanzig Pfund zahlten.«

 

»Das scheint mir allerdings sehr wenig zu sein«, meinte Bill.

 

»Sehr wenig! Gott im Himmel, hast du eine Ahnung, Bill! Weißt du denn, was man für zwanzig Pfund kaufen kann? Dafür kann man sechs große Flaschen Champagner haben, fünfzig Zigarren Colorado Claros – oder zwanzig Körbe Pfirsiche! Und diese Leute erklären großherzig, daß sie auf all diese Genüsse verzichten wollen, damit eine einfache Frau, die nicht einmal Champagner von Apfelwein unterscheiden kann und die noch nie einen Pfirsich gegessen hat, ihr ganzes Leben in Luxus zubringen kann!«

 

»Doch nicht etwa für zwanzig Pfund?« fragte Bill ungläubig. »Du hältst mich zum besten!«

 

»Vielleicht habe ich auch nur einen Scherz gemacht aber Theodore Match, der niemals einen Pfennig für Wohltätigkeitszwecke gegeben hat, wird jetzt dem Urenkel eines braven Mannes, der bei Trafalgar mitgekämpft hat, die nötigen Mittel zur Verfügung stellen, um in die Höhe zu kommen. Mit dem Urenkel meine ich mich selbst – mein Urgroßvater war nämlich ein Seemann, und wir haben sein hölzernes Bein viele Jahrzehnte in der Familie als Andenken bewahrt.«

 

Bill klopfte die Asche aus seiner Pfeife.

 

»Match ist gerade kein schlechter Mensch«, entgegnete er. »Er hat eine neue Bibliothek gestiftet …«

 

»Du brauchst Mr. Match nicht in den Himmel zu erheben. In der nächsten Liste der Standeserhebungen werden wir auch den Namen Sir Theodore Match finden. Aber er weiß noch nicht, wie großzügig, seine Wohltaten sein werden. Sage einmal, ist dein Tabak nicht teurer geworden? Ist das Fleisch nicht in die Höhe gegangen? Kostet das Brot nicht mehr? Sind nicht alle Preise der Waren gestiegen, die von Übersee kommen? Wer hat deiner Meinung nach wohl die Extragelder eingesteckt? Die Pflanzer und Farmer haben ja auch eine Kleinigkeit davon erhalten, die haben aber auch dafür gearbeitet, und ihnen will ich keinen Vorwurf machen, im Gegenteil, ich wünsche ihnen weiteres Glück. Aber Theodore Match hat weit mehr davon gehabt, als auf seinen Anteil fällt. Er hat von allem profitiert, er hat auf alles eine Taxe gelegt – auf alles, was wir essen und trinken oder sonstwie verbrauchen. Er hat einfach seine Frachtsätze erhöht. Kohle ist teurer, Arbeit ist teurer – kurzum alles ist teurer. Aber er ist der teuerste von allen. Bei ihm ist nichts billig, es sei denn das Leben der Leute, die auf seinen Schiffen arbeiten und die er in seinem Geschäft angestellt hat. – Und nun möchte ich dir nur noch sagen, daß ich diesen Mann mit achttausend Pfund auf die Zeichnungsliste für ›Anthony Newtons Altersheim für Seeleute‹ eingetragen habe – und du kannst gewiß sein, daß ich die Summe auch von ihm bekomme.«

 

Bill Farrel nickte langsam und sah seinen Kameraden bewundernd an.

 

»Ich wette, daß du dein Ziel erreichst«, erwiderte er begeistert.

 

Die Theodore Steamship Line ist eine der bedeutendsten Frachtlinien Englands, wie jedermann weiß. Sie verfügt über eine Flotte von fünfundzwanzig großen Schiffen, die nach Südamerika und nach China fahren, hauptsächlich aber zwischen England und Nordamerika verkehren. Vor dem Kriege machte sie sogar ein großes Geschäft zwischen Hamburg und Ostafrika.

 

Die Hauptbüros dieser Firma waren in Newcastle, und Anthony Newton reiste mit seinem tüchtigen Adjutanten dorthin, um seinen Plan auszuführen. Sie kamen spät am Abend an und mieteten sich im Bahnhofshotel ein.

 

Am nächsten Morgen machte er sich auf seinen ersten Erkundungsgang. Die Büros der Theodore Steamship Line befanden sich in einem Häuserblock, der nicht weit vom Hotel entfernt lag. Aus der Geschäftigkeit der Angestellten und der Anzahl der Kunden, die in den verschiedenen Büros warteten, schloß Anthony, daß das Geschäft sehr gut ging.

 

Er trat in das Empfangsbüro, gab seine Karte ab und wurde sofort in das Privatbüro von Mr. Theodore Match geführt. Der Raum war groß und licht und halb mit Eichenpaneel bedeckt. An den Wänden hingen die Fotografien vieler Schiffe. Mr. Match selbst war ein Mann mittleren Alters, war liebenswürdig und hatte heitere Augen, denen man ansah, daß sie von Sorgen und Kummer dieser Welt nichts wußten.

 

Er schaute seinen Besucher durch seine goldeingefaßte Brille strahlend an.

 

»Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Mr. Newton«, sagte er zum größten Erstaunen Anthonys. »Nehmen Sie Platz und machen Sie es sich bequem. Wollen Sie eine Zigarre haben?« Er reichte ihm einen silbernen Kasten, und Anthony bediente sich. »Nun?« fragte Mr. Match lächelnd. »Wollen Sie etwa zehntausend Pfund für einen vergrabenen Schatz haben oder wünschen Sie eine Partnerschaft, die eine Million Pfund wert ist?«

 

Für den Bruchteil einer Sekunde war Anthony sprachlos.

 

»Ich glaube, daß ich die Teilhaberschaft wählen würde, obwohl ich keine so große Summe brauche.«

 

Mr. Match lehnte sich in seinen Stuhl zurück, schüttelte sich vor Lachen und rieb sich die Hände.

 

»Ich bin in alles eingeweiht, Mr. Newton. Ich kann Ihnen ja auch sagen, daß ich schon vor Ihnen gewarnt worden bin. Ich will ganz offen mit Ihnen sprechen. Sie haben ein kleines Büro in der Theobald’s Road, ich kenne sogar Ihre Porträtgalerie – ich habe nämlich neulich einen Detektiv dort hingeschickt, der sich einmal dort umsehen sollte. Ebenso habe ich von Ihrem Abenteuer mit Mr. Montague Flake erfahren, der ein guter Kunde von mir ist. Zufällig ist mir auch Mr. Gerald Mansar bekannt. Ich weiß, wie Sie Flake um achttausend Pfund erleichterten und ihm dafür einen alten Kasten aufhängten. Ich habe mich noch nie so königlich amüsiert wie bei dieser Geschichte. Sie glauben, daß Sie die Mission haben, reichen Leuten ihr unverdientes, überflüssiges Geld wegzunehmen. Habe ich recht, Mr. Newton?«

 

Anthony war nun ganz bei der Sache. Er hatte sofort die Situation überschaut und überlegte blitzschnell.

 

»Sie haben vollkommen recht.«

 

Anthony hatte bisher nicht den Wunsch gehabt, irgend jemand außer sich selbst zu helfen, aber in diesem Augenblick faßte er den Entschluß, auch für andere zu sorgen.

 

»Sie haben also ein Dutzend abscheulicher, reicher Leute vorgemerkt, die zu Ihrem Nutzen Gelder hergeben sollen.«

 

»Vollständig richtig.«

 

»Wenn ich Sie also recht verstehe, halten Sie mich für einen Gewinnler und sind mit einem großartig ausgeklügelten Plan nach Newcastle gekommen, damit ich Ihnen wieviel – zahlen soll?«

 

»Ich habe früheren Soldaten geholfen«, erklärte Anthony. »Ich will jetzt auch einige Heime für alte Seeleute von der Handelsmarine errichten.«

 

»Sie sind ein großer Menschenfreund – ich bewundere Sie.« Mr. Theodore Match sah ihn wohlwollend an und strich nachdenklich seinen Bart. »Ja, Sie sind ein Menschenfreund«, sagte er dann noch einmal. »Und wieviel soll ich denn Ihrer Meinung nach zu Ihrem interessanten Projekt beitragen?«

 

»Ich habe Sie mit achttausend Pfund auf meine Liste gesetzt«, erwiderte Anthony ruhig.

 

»Warum schreiben Sie denn nicht gleich lieber acht Millionen Pfund? Ich werde Ihnen weder das eine noch das andere geben. Aber Sie haben sich wahrscheinlich einen gewissen Kriegsplan ausgedacht, um zu diesem Gelde zu kommen. Nun, wir wollen die Sache in aller Ruhe besprechen, Mr. Newton«, sagte er liebenswürdig. »Was haben Sie mit mir vor? Wollen Sie mir auch vergrabene Schätze verkaufen? Wollen Sie mich nicht lieber gleich über den Trick aufklären, den Sie anwenden wollen, um mir mein sauer verdientes Geld zu nehmen?«

 

Anthony lachte.

 

»Da Sie mir gegenüber ganz offen sind, will ich es auch sein. Ich habe mir wirklich noch nicht überlegt, wie ich es anfangen soll.«

 

»Nun, so sagen Sie es doch!«

 

In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und ein junger Mann trat herein. Er war groß und kräftig gebaut, hatte eine gesunde Gesichtsfarbe und runde Backen.

 

»Dies ist mein. Sohn – hier stelle ich dir Mr. Newton vor, von dem ich dir schon vor einiger Zeit erzählte, Tom«, sagte Theodore Match. »Es wird Sie vielleicht interessieren, daß mein Sohn fünfunddreißig Jahre alt, Junggeselle und vollkommen gesund ist. Aber während des Krieges war er in meinem Geschäft unentbehrlich, so daß man ihn vom Dienst befreite. Stimmt doch, Tom?«

 

Der junge Mann grinste.

 

»Das sind ja gerade Dinge, die ich gern höre«, meinte Anthony.

 

»Nach Ihrer Meinung«, führ Mr. Match fort, »hätte er in den unheimlichen, feuchten Schützengräben Flanderns liegen müssen, statt in einem warmen, hübschen Zimmer in Newcastle zu sitzen. Also, nun wollen wir zur Sache kommen. Mr. Newton. Ich glaube, daß ich nun alles getan habe, um Sie in Ihrem Eifer gegen mich aufzustacheln.«

 

»Sagen Sie mir, bevor wir weitersprechen, ob Sie willens sind, etwas zu meinem wohltätigen Plan beizutragen?«

 

»Nicht das geringste«, erwiderte Mr. Match lächelnd. »Warum sollte ich das tun? Sitze ich hier in meinem Büro, um für meine Angestellten oder für mich zu schaffen? Arbeite ich denn den ganzen Tag und den größten Teil der Nacht und sitze über Plänen, um eine höhere Schiffstaxe herauszuschlagen, nur um den Unterhalt von soundso vielen wohltätigen Anstalten zu bestreiten? Nein, Mr. Newton!« Er schlug mit der Faust auf den Tisch. »Wie es meinen Angestellten geht, interessiert mich durchaus nicht, und was sie mit ihrem Geld machen, interessiert mich ebensowenig. Und was ich mit meinem eigenen Geld anfange, geht Sie und andere nichts an.«

 

»Brauchst du mich noch?« fragte der junge Mann.

 

»Nein, Tom. Ich wollte nur, daß du Mr. Newton kennenlernst.«

 

Mit einem kurzen Kopfnicken verließ Tom den Raum.

 

»Ich verdiene eben mehr Geld als der tüchtige Seemann, weil ich klüger bin als er. Das ist der Triumph des Verstandes über die brutale Kraft. Zeigen Sie mir jemand, der klüger ist als ich, der mag mir ruhig mein Geld nehmen. Ich will nichts dazu sagen, wenn er ungestraft damit entkommt. Wenn Sie« – er zeigte mit einem Bleistift auf Anthony und sprach langsam und nachdrücklich – »durch irgendeinen Trick oder eine List mit Ausnahme gemeinen Betrugs, Einbruchs oder Diebstahls achttausend Pfund von mir herausbekomrnen, oder sagen wir zehntausend Pfund, so tun Sie es bitte. Ich sage Ihnen ganz offen, Mr. Newton, daß ich für das Wohlergehen von Seeleuten nicht das geringste Interesse habe. Ich bilde mir auch nicht ein, daß Sie sich dafür begeistern. Dieses Heim für Seeleute der Handelsmarine war eine momentane Erfindung von Ihnen. Sie kamen hierher, um einen rein persönlichen Schwindel auszuführen, aber darauf wollen wir jetzt nicht näher eingehen. Wenn Sie irgendeinen Weg finden, mich zu übertrumpfen, wenn Sie mich fangen und in einem unbewachten Augenblick durch irgendeine List dazu bringen können, Ihnen die Summe zu zahlen, die Sie eben nannten, dann verspreche ich Ihnen, daß ich Sie nicht zur Anzeige bringen werde, selbst wenn Sie dabei Mittel angewandt haben, die nach dem Gesetz strafbar sind.«

 

Er stand auf und streckte lächelnd seine große Hand aus. Anthony ergriff sie. Es war etwas an diesem Menschen, das. ihn anzog. Wenn er schon brutal war, so war er es doch in offener und ehrlicher Weise.

 

»Gut, ich nehme Ihre Herausforderung an. In einer Woche werden Sie achttausend Pfund für einen wohltätigen Zweck gezahlt haben – ganz gegen Ihren Willen.«

 

»Das wird Ihnen nicht gelingen«, sagte Mr. Match entschieden. »Ich habe den höchstgestellten Persönlichkeiten des Landes auf ihre dringenden Anforderungen hin nichts gegeben. Sehen Sie einmal her.« Er ging zu seinem Schreibtisch zurück, zog eine Schublade auf und nahm mehrere Drucksachen heraus, die mit einer Klammer zusammengeheftet waren. »Das kam zufällig gerade heute morgen an – ›Sammlung des Thronfolgers für die Angehörigen der Handelsmarine‹. Das ist ein besserer Mann als Sie. Man hat eine Million von mir haben wollen«, sagte er lachend. »Ich habe es nicht abgelehnt, nein, ich gehe nur mit Stillschweigen darüber hinweg. Wenn ich strikt ablehne, komme ich in schlechten Ruf. Sie verstehen, daß wir vertraulich als Ehrenmänner miteinander sprechen! Wenn der Prinz nach Newcastle kommen sollte, muß ich ihm aus dem Wege gehen. Sollte er mir einen persönlichen Brief schreiben, so müßte ich krank werden, damit ich ihm nicht antworten könnte. Ich habe in meinem Leben noch keinen Schilling für wohltätige Zwecke gegeben, und ich habe auch nicht die Absicht, es jemals zu tun. Wenn ich sterbe, werde ich in meinem Testament kein Geld für Hospitäler oder Kirchen hinterlassen; weder wirkliche noch angebliche Arme werden etwas von mir bekommen.«

 

Mr. Match war ein kluger, tüchtiger Mann mit einer schnellen Auffassungsgabe, wie man sie gewöhnlich bei Geldleuten und Buchmachern findet. Er brauchte nicht besonders auf der Hut zu sein und keine besonderen Vorsichtsmaßregeln zu ergreifen. Er hatte sich ein Urteil über Anthony gebildet und wußte, daß er in ihm einen Feind hatte, der ihm ebenbürtig gegenüberstand. Aber er fühlte sich ihm in jeder Weise gewachsen und glaubte, allen Plänen dieses begabten und skrupellosen Mannes begegnen zu können. Wenn er die Schriftstücke, die ihm jetzt zur Unterschrift vorgelegt wurden, etwas genauer prüfte, wenn er den Umgang seines Sohnes mehr überwachte, wenn er etwas argwöhnischer alle die geschäftlichen Vorschläge betrachtete, die ihm vorgetragen und unterbreitet wurden, so war das eigentlich keine besondere Mehrbelastung für ihn, denn er war von Natur aus vorsichtig und stets auf seiner Hut.

 

In den ersten drei Tagen sah er nichts von Anthony. Ein Privatdetektiv, den er engagiert hatte, berichtete ihm, daß Mr. Newton die meiste Zeit in seinen Privaträumen im Hotel mit seinem Freunde zubrachte, und daß die beiden gelegentlich von Newcastle wegfuhren.

 

Zufällig traf er Anthony am vierten Tage auf der Straße. Er kam von der anderen Seite herüber, um ihn zu begrüßen.

 

»Nun?« fragte Mr. Match selbstbewußt und schaute ihn vergnügt an. »Wie kommen Sie denn vorwärts?«

 

»O danke schön, es geht sehr gut. Ihr Geld ist so gut wie in meiner Tasche.«

 

Mr. Match lachte.

 

»Haben Sie denn schon einen Plan ausgearbeitet?«

 

Anthony schüttelte den Kopf.

 

»Nein, noch nicht, aber nach und nach bringe ich die Einzelheiten schon zusammen. Watt erfand die Dampfmaschine dadurch, daß er einen Dampfkessel sah. Ich beobachtete den Einfluß eines zu großen Selbstvertrauens auf die Sicherheit der reichen Leute.«

 

»Beobachten Sie ruhig weiter«, meinte Mr. Match und gab ihm die Hand. »Sie werden noch müde und kranke Augen davon bekommen.«

 

Er wollte sich gerade umdrehen, aber Anthony legte ihm die Hand auf den Arm.

 

»Warten Sie noch einen Augenblick – ich möchte Ihnen noch etwas sagen. Es gibt viele Wege, das Geld von Ihnen zu erhalten, aber sie sind alle unehrlich. Ich könnte leicht Ihren Namen fälschen – als Verbrecher würde ich große Erfolge haben – ich könnte Ihr prachtvoll ausgestattetes Haus in Morpeth berauben – ich habe mir das Grundstück eingehend angesehen, man kann bequem durch das Fenster über dem Haupteingang eindringen …«

 

»Versuchen Sie es nur!«

 

»Oh, ich weiß alles über die elektrischen Alarmglocken. Aber ich kann sie mit Hilfe eines Bohrers und eines Drahtes lahmlegen. Ich könnte in Ihrer Maske auftreten und Sie imitieren, so daß Ihr, eigener Sohn getäuscht würde, aber alles das will ich nicht tun. Darin liegt keine große Kunst. Ich will das Geld nicht auf solche Art an mich bringen. Ich gebe zu, daß Sie sehr klug sind und daß es schwer ist, mit Ihnen fertig zu werden. Sie sind zu groß, ich kann nichts wirklich Gemeines an Ihnen entdecken.«

 

»Sie Schmeichler«, lächelte Mr. Match.

 

»Ich meine es tatsächlich so. Ich würde auch niemals den Versuch machen, Ihnen irgendwie einen vergrabenen Schatz zu verkaufen oder Sie damit zu bluffen, daß ich etwas aus Ihrem früheren Leben wüßte. Sie sind ein ehrlicher Schuft, der sein Geld von den notwendigen Bedürfnissen des Volkes zusammenscharrt. Vollständig offen und überlegt haben Sie Ihren Sohn vom Militärdienst befreit. Sie haben keine falschen Entschuldigungen angegeben und, soweit ich sehen kann, haben Sie nur eine schwache Stelle.«

 

Mr. Match sah ihn erstaunt an.

 

»Sagen Sie mir die nur, damit ich auf der Hut sein kann.«

 

»Sie vertrauen sich selbst zuviel – das ist Ihre Achillesferse.«

 

»Beweisen Sie es doch!«

 

»Das wird mir schon noch gelingen!«

 

Sie standen dicht vor Anthonys Hotel, und es war ein Uhr.

 

»Darf ich Sie zum Mittagessen einladen? Ich verspreche Ihnen, daß ich Sie weder betäuben noch hypnotisieren, noch sonst irgend etwas mit Ihnen anstellen will.«

 

»Schön«, erwiderte Mr. Match herzlich. »Wir wollen unsere kleine Angelegenheit weiter besprechen. Sie machen mir Spaß.«

 

Aber erst nach Tisch kam Mr. Match wieder auf die Sache zurück. Während des Essens unterhielt Anthony seinen Gast in der glänzendsten Weise, und Mr. Match mußte zugeben, daß er selten so angenehme Gesellschaft gehabt hatte.

 

»Sie sprachen vorhin von meinem Selbstvertrauen, und daß ich dadurch zu Fall kommen könnte. Das interessiert mich sehr. Wollen Sie nicht so liebenswürdig sein, mir etwas Näheres darüber mitzuteilen?«

 

Mr. Newton zuckte die Schultern.

 

»Ich wollte damit nur ausdrücken, daß Sie alle Vorgänge des geschäftlichen Lebens beherrschen und sich zutrauen, darin niemals einen Fehler zu machen. Sie glauben zum Beispiel, jeder Lage gewachsen zu sein, die sich auf die Übereignung von Geld bezieht. Wenn ich Sie im Augenblick um einen Scheck über achttausend Pfund bitten würde, und Sie würden mir den Scheck geben, so wären Sie doch vollkommen davon überzeugt, daß Sie unter allen Umständen verhindern könnten, daß dieses Geld einem wohltätigen Zweck zugeführt wird.«

 

Der Reeder dachte einen Augenblick nach.

 

»Ja, das kann ich wohl behaupten. Es mag sein, daß mein Selbstvertrauen zu groß ist, aber ich glaube es nicht. Ich könnte Ihnen den Scheck geben, ja, ich will Ihnen sogar den Scheck jetzt überreichen – einen über achttausend Pfund.«

 

»Sie glauben, daß Sie die Auszahlung verhindern können. Wahrscheinlich werden Sie darauf vermerken ›Zu sperren‹.«

 

Mr. Match nickte.

 

»Und außerdem werden Sie ihn erst mit dem morgigen Datum versehen.«

 

Mr. Match nickte wieder.

 

»Sie haben ein so großes Vertrauen darauf, daß Sie alle Vorschriften und Praktiken der Banken beherrschen, daß Sie sicher sind, keinen Pfennig zu verlieren.«

 

»Ganz richtig. Sie werden auf diese Weise nicht zu Ihrem Ziele kommen, mein Freund.«

 

»Nun, es soll gleich sein, ob ich meinen Zweck erreiche oder nicht«, sagte Anthony und bot dem anderen sein Zigarettenetui an. »Ich möchte Sie bitten, mir den Scheck zu geben, und ich verspreche Ihnen, daß ich Sie nie wieder belästigen werde, wenn ich die Summe nicht dem wohltätigen Zweck zuführe, für den ich sie bestimmt habe.«

 

Einen Augenblick sah ihn der Reeder an und nahm dann mit einer schnellen Handbewegung, die charakteristisch für ihn war, sein Scheckbuch heraus. Im nächsten Moment hatte er seinen Füllfederhalter in der Hand und schrieb. Anthony schaute über den Tisch und las, daß der Scheck für den nächsten Tag ausgestellt wurde. Unter den Betrag schrieb Mr. Match die Worte: ›Dieser Scheck ist gesperrt und kann nur ausgezahlt werden, nachdem der Aussteller persönlich seine Ermächtigung dazu gegeben hat.‹

 

Er zeichnete ihn mit einem selbstgefälligen Lächeln und reichte ihn dann Anthony, der erleichtert aufatmete.

 

»Ich danke Ihnen vielmals. Ich sehe, daß Sie ihn auf den Überbringer ausgeschrieben haben.«

 

»Der Überbringer wird manche Schwierigkeiten haben, das Geld zu bekommen«, meinte Mr. Match.

 

Der Reeder fuhr sofort zu seinem Büro zurück und rief seine Bank an.

 

»Sind Sie am Telefon, Gilbert? Hier ist Theodore Match. Ich habe soeben einen Scheck über achttausend Pfund ausgestellt, dem Überbringer zu zahlen – haben Sie mich verstanden? Notieren Sie bitte die Nummer des Schecks – es ist A. B. 714312 –, haben Sie es? Ich sperre die Auszahlung dieses Schecks; unter keinen Umständen darf die Summe abgehoben oder irgendwie zu meinen Lasten gebucht werden. Ich werde Ihnen dieses Telefongespräch noch schriftlich bestätigen.«

 

Theodore Match hatte ein großes Vergnügen daran, sich intellektuell zu betätigen. Er empfand volle Genugtuung darin, seine eigene Klugheit mit der Intelligenz von Leuten zu messen, die ihm in dieser Beziehung ebenbürtig oder beinahe ebenbürtig waren. Und er beurteilte seine Erfolge weniger nach dem Geld, das er dadurch verdiente, als nach der Befriedigung, die er darüber fühlte, seine Gegner mit geistigen Waffen geschlagen zu haben. Anthony mochte ihn mehr oder weniger durchschaut haben, bevor er nach Newcastle kam, aber jetzt hatte er ihn vollkommen erkannt.

 

Match interessierte sich nicht für die Geldsumme, um die es ging. Er liebte das Spiel um des Spieles willen, und es bereitete ihm Vergnügen, daß er jetzt gewappnet die Angriffe seines Gegners erwarten konnte.

 

Sein Detektiv brachte ihm am Nachmittag zwei Neuigkeiten: Bill Farrel war mit dem ersten Zug nach London abgereist, und Anthony hatte für zwei Tage das Schaufenster eines kleinen Konfektionsladens in der Hauptstraße gemietet. Die Auslagen waren bereits aus dem Schaufenster entfernt, um einer interessanten Ausstellung Platz zu machen. Aber weiter ereignete sich an diesem Nachmittag nichts. Anthony hatte zwar das Schaufenster gemietet, aber er stellte nichts darin aus. Erst am folgenden Nachmittag unternahm er etwas, und zwar gleichzeitig mit der Ausgabe der Tageszeitung.

 

Um halb drei erhielt Mr. Match ein Telegramm aus London.

 

»Herzlichste Glückwünsche und Dank für Ihre Hilfe.«

 

Es war mit Farrel unterschrieben.

 

»Wer, zum Teufel ist Farrel?« Match runzelte die Stirn. Er war in Gedanken versunken, als sein Sohn Tom ins Büro trat.

 

»Aber Vater«, sagte er atemlos. »Du hast mir ja gar nichts davon verraten, daß du so etwas machen wolltest!«

 

»Was meinst du denn?« fragte Mr. Match.

 

»Daß du der Sammlung des Thronfolgers ein Legat zuwenden wolltest. Du sagtest doch, du würdest keinen Pfennig dafür geben!«

 

Mr. Match sprang auf.

 

»Wie hoch soll sich denn meine Schenkung belaufen?«

 

»Achttausend Pfund – es steht in den Zeitungen. Dieser Newton hat ein Schaufenster in der High Street gemietet, das ganz mit Aufforderungen gefüllt ist, die für die Sammlung des Thronfolgers werben. Und eine fotografische Vergrößerung deines Schecks ist in der Mitte ausgestellt.«

 

Mr. Match sank wieder in seinen Stuhl.

 

»Großer Gott! Was sagen denn die Zeitungen?«

 

Tom nahm das Blatt und las ihm vor.

 

»Wie wir hören, ist der Sammlung des Thronfolgers für die Handelsmarine eine Schenkung von achttausend Pfund zugegangen. Unser Mitbürger, Mr. Theodore Match, hat diese große Summe gestiftet. Ein Scheck über diesen Betrag wurde für diesen Zweck von ihm gezeichnet.«

 

»Um Himmels willen«, rief Mr. Match. »Mit dieser List hat er mich also gefangen! Er konnte das Geld nicht für sich selbst bekommen und hat es deshalb diesem wohltätigen Zweck zugeführt.«

 

»Hast du ihm denn einen Scheck gegeben?«

 

Mr. Match nickte.

 

»Aber ich habe ihn gesperrt. Der Kerl ist doch wirklich zu schlau.«

 

»Aber du wirst doch unter keinen Umständen den Scheck auszahlen lassen!« sagte Tom aufgeregt.

 

»Aber nun sei doch vernünftig«, entgegnete Mr. Match ruhig. »Es sind zwei ganz verschiedene Dinge, ob ich einen Scheck sperre, der für irgendeinen von Newtons niederträchtigen Plänen bestimmt ist, oder ob ich einen Scheck für einen großen nationalen Fonds sperre. Er hat mich eben einfach übertrumpft. Kannst du denn nicht begreifen, was daraus entsteht, wenn ich meine Schenkung widerrufe? Ich würde in allen Zeitungen von einem Ende des Landes bis zum anderen an den Pranger gestellt werden!«

 

Seufzend nahm er den Telefonhörer ab und nannte eine Nummer.

 

»Sind Sie dort, Gilbert? Ich habe doch gestern mit Ihnen über einen Scheck gesprochen – ja, den über achttausend Pfund. Die Sache ist nun in Ordnung, zahlen Sie ihn ruhig aus.«

 

Er klingelte und diktierte seiner Sekretärin die schriftliche Bestätigung.

 

Am Abend ging er schweigsam und nachdenklich nach Hause und beantwortete die Gratulationsbriefe einiger bevorzugter Freunde, die es wagen konnten, ihm in dieser Angelegenheit zu schreiben.

 

Als er am nächsten Morgen in sein Büro kam, wartete Mr. Gilbert schon auf ihn.

 

»Ihr Scheck wurde sehr schnell abgehoben«, sagte der Bankmann.

 

Mr. Match sah ihn erstaunt an.

 

»Kurz nachdem ich Ihre telefonische Zustimmung bekam, wurde er von der Newcastler Zweigstelle der London and Midland-Bank kassiert. Und heute morgen lese ich einen Widerruf Ihrer Schenkung in den Zeitungen.«

 

Mr. Match nahm das Blatt, ohne ein Wort zu sagen.

 

Wir müssen einen Irrtum berichtigen. Wir meldeten gestern, daß die wohltätige Schenkung von Mr. Match der Sammlung des Thronfolgers für die Handelsmarine zufließen sollte. Unser Versehen ist erklärlich, weil eine Abbildung des Schecks in einem Schaufenster in der High Street ausgestellt war, umgeben von einer Anzahl von Aufrufen für die Sammlung des Thronfolgers, Die Summe ist in Wirklichkeit für Mr. Anthony Newtons Altersheim für Seeleute bestimmt.

 

Mr. Match ließ die Zeitung sinken.

 

»Ich habe ihm den Scheck gegeben, ich habe den Scheck gesperrt«, sagt er laut zu sich selbst, »dann habe ich die Zahlung selbst angeordnet – genau wie er es vorausgesehen hat. Das war wirklich ein schlaues Stück. Er hat den Scheck genommen und ihn bei der Midlandbank eingezahlt. Er muß zu dem Zweck ein besonderes Konto dort errichtet haben. Dann hat er auf die listigste Weise die Geschichte in die Welt gesetzt, daß meine Schenkung für den Kronprinzenfonds bestimmt sei. Er wußte ganz genau, daß ich danach sofort die Sperre über den Scheck aufheben würde – der Mann ist tüchtig. Ja, ich habe mir wirklich selbst zu viel vertraut.«

 

Er nahm den Telefonhörer auf.

 

»Verbinden Sie mich mit dem Bahnhofshotel. Ist Mr. Anthony Newton noch dort?« fragte er nach einer Pause.

 

»Bitte, verbinden Sie mich mit seinem Zimmer. Sind Sie dort, Newton?«

 

»Jawohl«, antwortete ihm Anthony mit Genugtuung.

 

»Wenn Ihnen Ihr jetziges Leben über ist, dann möchte ich Ihnen eine Teilhaberschaft in meiner Firma anbieten.«

 

»Nicht um alles in der Welt! Auf diese Weise werden Sie Ihr Geld nie zurückbekommen!«

 

Lachend hängte Mr. Match den Hörer wieder ein.