Philosophie Wörterbuch

Stoaerk

Stoische Erkenntnistheorie

Die Unterscheidung zwischen Wissen (episteme) und Meinung (doxa) ist in der griechischen Philosophie seit Xenophanes geläufig.

Für das Wissen ist nach stoischer Auffassung die Begründung oder Argumentation (logos) wesentlich. Wer etwas weiß kann es begründen. Von Wissen kann nur dann die Rede sein, wenn die gewusste Aussage durch keinerlei Argumentation widerlegt werden kann. Wissen impliziert Wahrheit. Wenn ich p weiß, dann folgt daraus, dass p wahr ist; andernfalls meine ich lediglich, p zu wissen. Eine Meinung kann wahr sein, aber sie ist im Unterschied zum Wissen nicht notwendig wahr.

Der Erkenntnisprozeß beginnt nach den Stoikern, damit dass die Sinne eine Einwirkung von außen erfahren. Dieses Erleiden (pathos) bezeichnen sie als Sinneseindruck (phantasia). Dieser Begriff ist mit dem heutigen Begriff des Sinnesdatums verwandt.

Diokles spricht von einer Prägung in der Seele und einer Veränderung der Seele [1].

Innerhalb der Sinneseindrücke haben sie eine Klasse hervorgehoben, die erfassenden Sinneseindrücke.

Zenon von Kition charakterisiert ihn durch zwei Bedingungen:

  1. Er wird durch etwas verursacht, das tatsächlich ist.
  2. Er ist entsprechend dem, was tatsächlich ist, eingesiegelt und abgedrückt, d.h. er gibt die Sache so wieder, wie sie tatsächlich ist. [2]

Der erfassende Eindruck ist das Wahrheitskriterium. Es fragt sich, wie man erkennen kann, dass diese beiden Bedingungen erfüllt sind. Ein Vergleich des Eindrucks mit der Sache ist nur durch den Eindruck gegeben. Außerdem wäre dann der erfassende Eindruck kein Wahrheitskriterium mehr. Wahrheitskriterium wäre dann vielmehr die Übereinstimmung des Eindrucks mit der Wirklichkeit.

Die Stoiker antworten mit dem Hinweis auf ein dem erfassenden Sinneseindruck internes Charakteristikum (idioma), ein nur ihm zukommendes besonderes Merkmal, durch das er sich von anderen Sinneseindrücken unterscheidet.

Durch eine Qualität, die ausschließlich ihm zukommt, gibt er zu erkennen, dass er die wahrgenommene Sache so wiedergibt, wie sie tatsächlich ist. [3]

Die stoischen Denker führen den Begriff katalepsis (Erfassen) als epistemeologischen Begriff ein.

In der stoischen Erkenntnistheorie bezeichnet Chrysipp die durch Vernunft geprüfte und Zustimmung erfordernde Vorstellung eines Gegenstandes als kataleptische (begriffsbildende) Vorstellung (phantasia kataleptike). Der Begriff findet sich auch bei anderen Stoikern, so bei Zenon von Kition.

Der erfassende Sinneseindruck ist noch keine Erkenntnis, d.h. – in der Terminologie – kein Erfassen (katalepsis).

Er ist vielmehr nur die notwendige Voraussetzung, welche es ermöglicht, die ihn verursachende Sache zu erfassen, d.h. er ist ein Erfaßbares (katalepton).

Tatsächlich erfaßt wird die Sache jedoch erst, wenn der Verstand ihr seine Zustimmung gibt. Dies ist ein freiwilliger Akt und wird vom Eindruck nicht erzwungen.

Der im Akt der Zustimmung bejahte erfassende Sinneseindruck ist das Erfassen (katalepsis) der Sache [4]

Zenon von Kition – auf den der Begriff Erfassen zurückgeht – verglich den Eindruck mit der ausgestreckten Hand, die Zustimmung mit dem Zusammenziehen der Finger und das Erfassen mit der zusammengepreßten Faust. [5]

Der erfassende Sinneseindruck gibt den Gegenstand, wie er an sich ist, nicht vollständig wieder. Unsere Sinne sind eingeschränkt, das Auffassungsvermögen zieht unserer Erkenntnis eine Grenze.

Jede weitere Erkenntnis beruht auf dem Fundament der erfassenden Sinneseindrücke. Aus ihnen werden die Begriffe und die Prinzipien gebildet, die den Menschen dann zum rationalen Denken befähigen. Weil der erfassende Sinneseindruck zeigt, dass das wahrgenommene Objekt existiert, und weil er innerhalb der Grenzen unserer Sinne zeigt, wie es an sich ist, dient er als Kriterium für die Wahrheit von Aussagen [6]

Allein die erfassenden Sinneseindrücke reichen jedoch nicht aus. Wir sind angewiesen auf die Erinnerung, wir müssen die Zukunft planen, unsere unmittelbaren Wahrnehmungen bedürfen der Ergänzung durch nicht Wahrgenommenes, wir müssen sie in einen umfassenderen Zusammenhang einordnen.

Das Erfassen bildet die Grundlage sowohl des Wissens als auch der Meinung. Der Tor stimmt ebenso wie der Weise dem erfassenden Sinneseindruck zu, der Unterschied liegt darin, wie sie ihn ergänzen. Der Weise kann sich auf sein Wissen stützen. Er kann bei der Einordnung des Wahrnehmungsurteils in den umfassenden Zusammenhang nicht fehlgehen. Das einzelne Erfassen erhält dadurch, dass es sich widerspruchsfrei in den größeren Kontext des Wissens einordnet, eine zusätzliche Bestätigung.

Auch dafür hatte Zenon eine Geste. Er nahm die linke Hand, preßte mit ihr die Faust fest zusammen und sagte, solcherart sei das Wissen und dazu sei nur der Weise fähig. [7]

Während für das Wissen als Folge des umfassenden Begründungszusammenhangs eine feste, unerschütterliche Zustimmung charakteristisch ist, ist die mit der Meinung gegebene Zustimmung schwach, weil sie sich nicht auf Gründe stützen und daher jederzeit durch Einwände verunsichert werden kann.

Für die Stoiker ist die Zustimmung ein sittlicher Akt. Die Zustimmung des Weisen ist sittlich richtig, weil sie verantwortet werden kann. Dagegen ist die Zustimmung, in welcher der Tor sich eine Meinung zu eigen macht, leichtfertig und als solche sittlich verwerflich. Wissen und Unwissenheit sind deshalb für den Stoiker sittliche Haltungen.

Ausgenommen von dieser sittlichen Bewertung ist die Zustimmung zum erfassenden Sinneseindruck. Der erfassende Sinneseindruck ist das einzige, dem auch die Menschen, die keine Weisen sind, Vertrauen schenken dürfen. [8]

Der akademische Skeptiker Arkesilaos hat eine umfassende Kritik der stoischen Erkenntnistheorie geliefert.

[1] Diogenes Laërtios: Leben und Meinungen berühmter Philosophen, VII 50
[2] Diogenes Laërtios: Leben und Meinungen berühmter Philosophen, VII 46
[3] Ac. 41
[4] Ac. 40f.
[5] Luc. 145
[6] Diogenes Laërtios: Leben und Meinungen berühmter Philosophen, VII 54
[7] Luc. 145
[8] Ac. 42

Streben

Streben

Streben nennt man die zielgerichtete Tätigkeit des Menschen. Streben setzt voraus, dass man sich ein Ziel vorstellt, es bejaht und mit den entsprechenden Mitteln zu verfolgen sucht.

In der Naturphilosophie werden mitunter auch biologische oder organische Prozesse als vegetatives bzw. animalisches Streben beschrieben. Dadurch wird eine charakteristische Form der Lebensaktivität bezeichnet. Das Ziel wird durch die Naturanlagen festgelegt und ist nicht frei wählbar.

Nach Theodor Lipps hat jedes psychische Geschehen den Charakter des Strebens. Streben ist das innere Zielen oder Gerichtetsein. Es besteht in einem psychischen Geschehen, in dessen Natur es liegt, in irgendwelcher Weise fortzugehen, und dem dabei eine Hemmung begegnet. Es gibt aktives und passives Streben, mein Streben und Streben in mir. Das Wollen ist das Streben, dass etwas geschehe durch mich, durch mein Zutun.


Subalbeg

Subalterner Begriff

Andere Bezeichnung für subordinierte Begriffe.

Solipsis

Solipsismus

Solipsismus tritt in zwei Varianten auf.

In der ersten Variante besagt der Solipsismus, dass einzig das dem Bewußtsein unmittelbar gegebene real ist.

Die schwächere Lesart dieser Variante deutet die These epistemologisch: Alles Wissen über die Welt außerhalb des Selbst beruht auf dem Bewußtsein unmittelbar gegebener Wahrnehmungsdaten.

Die radikale Lesart deutet den Solipsismus metaphysisch: Nur das Selbst wird als real anerkannt. Diese Position hat Max Stirner vertreten.

Die radikale Lesart wird von Descartes als Ausgangspunkt in seinen Meditationes verwendet, um dann zum Abschluß der Untersuchung allerdings als absurde These hingestellt zu werden.

In der zweiten Variante ist Solipsismus die Bezeichnung für eine negative Position bezüglich des Problems des Fremdpsychischen. So wird einigen Theorien des Geistes vorgeworfen, sie hätten zur Folge, dass ein Subjekt lediglich sich selbst, aber keinem anderen Wesen geistige Zustände zuschreiben könne.

Nach meiner Meinung ist eine relative Skepsis bezüglich des Fremdpsychischen derzeit die korrekte Position. Zumindest solange, bis wir durch Analyse der Wirkungen äußerer Reize auf einen Menschen und der Vorgänge in ihm, auf seine geistigen Zustände schließen können, können wir glauben, dass der andere diese und jene geistigen Zustände hat, aber nicht beweisen, dass er dies oder jenes glaubt, weiß, will, ob er gerade lügt usw. Da helfen auch keine Lügendetektoren.

Vom Solipsismus ist der methodische Solipsismus und der methodologische Solipsismus zu unterscheiden.

Sophism

Sophismus

Als Sophismus bezeichnet man einen Fehlschluß, der mit Absicht erfolgt.

Im Gegensatz zum Sophismus steht der Paralogismus.

Der Überlieferung zufolge disputierte Hipparchia mit Theodoros, dem Atheisten, und überführte ihn durch ein Sophismus:

"Was Theodoros tut, ohne dafür eines Unrechtes geziehen zu werden, das kann auch Hipparchia tun, ohne dabei eines Unrechtes geziehen zu werden; Theodoros aber tut nicht unrecht, wenn er sich selbst schlägt, also tut auch Hipparchia nicht unrecht, wenn sie den Theodoros schlägt." (Diogenes Laërtios, Leben und Meinungen berühmter Philosophen, VI 96-98).

Bekannt sind auch die Sophismen Verhüllter und Gehörnter von Eubulides.

Weitere Beispiele für Sophismen:

  • Wer jemanden unterrichtet, der will, dass sein Schüler weise wird und aufhört ungebildet zu sein. Das heißt, er will, dass sein Schüler zu dem wird, das er nicht ist, und aufhört, das zu sein, was er jetzt ist. Folglich will er ihn aus dem Sein in das Nichtsein führen, d. h. ihn vernichten.
  • Dieser Hund hat Kinder, d. h. er ist Vater. Aber ist Dein Hund. Das heißt er ist Dein Vater. Da Du ihn schlägst, schlägst Du Deinen Vater.
  • Ein Tier ist etwas, was eine Seele hat. Mit meinem Eigentum kann ich nach Gutdünken verfahren. Meine Götter wurden mir von meinen Vätern vererbt und bilden mein Eigentum. Götter haben eine Seele, folglich sind sie Tiere. DAraus folgt: Mit meinen Göttern kann ich umgehen, wie es mir gefällt.
  • Wenn die Wand nicht atmet, weil sie kein Tier ist, so würde sie doch atmen, wenn sie ein Tier wäre. Aber viele Tiere, z. B. die Insekten, atmen nicht. Folglich atmet die Wand nicht deshalb nicht, weil sie kein Tier ist. Daraus folgt: Die Wand ist ein Tier, auch wenn sie nicht atmet.
  • Grammatisch Richtiges ist besser als Falsches. Frieden ist das Beste. Daraus folgt: Der Frieden ist etwas grammatisch Richtiges.
  • Ein Dieb will nichts Schlechtes erwerben. Der Erwerb von etwas Gutem ist eine gute Sache. Folglich will der Dieb etwas Gutes.
  • Diese Statue ist ein Kunstwerk. sie ist Deine. Daraus folgt: Die Statue ist ein Kunstwerk von Dir.


Sorites

Sorites-Paradox, Haufen-Argument

Dieses zur Gruppe der Slippery-slope-Argumente gehörende Paradox ist eines der Paradoxa des Eubulides aus Milet. Es findet sich auch bei Eukleides von Megara.

Eukleides von Megara formulierte das Paradox wie folgt:

Wenn fünfzig Körner einen Haufen bilden, dann auch neunundvierzig; wenn neunundvierzig, dann auch achtundvierzig. Setzen wir dieses Verfahren fort, so kommen wir zu der absurden Folgerung, dass zwei Körner einen Haufen bilden.

Nach Aristoteles geht das Haufen-Argument auf Zenon von Elea zurück [Aristoteles, Physik H 5, 250a 19f.].

Die Erkenntnis, dass diese Frage nicht eindeutig beantwortet werden kann, führte in die megarischen Schule dicht an die Dialektik von Kontinuität und Diskontinuität in der Begriffsbildung heran.

Da aber die Megariker Begriffe lediglich auf das Unveränderliche in den Erscheinungen bezogen, folgerten sie aus der mangelnden Eindeutigkeit von Begriffsbestimmungen auf die Nichtexistenz von realer Bewegung und Entwicklung.

Eine andere Version des Argumentes besagt, dass ein fallender Kornhaufen kein Geräuch machen kann, da der Haufen aus lauter Körner besteht, die einzeln genommen lautlos zu Boden fallen [Aristoteles, Physik H 5, 250 b 20].


Sinnlk

Sinnlichkeit

Als Sinnlichkeit bezeichnet man die Fähigkeit zur Perzeption. Man spricht daher auch (nicht ganz korrekt) vom Wahrnehmungsvermögen.

Im Empirismus wird die These vertreten, dass alles Wissen über die Wirklichkeit aus der Sinneserfahrung stammt und dass alle Begriffe von der Sinneserfahrung abgeleitet sind.

Im Sensualismus (Mach) wird die These vertreten, dass alle Erkenntnis aus des Sinneseindrücken stammt.

Kant beschreibt die Sinnlichkeit als Rezeptivität, die uns in der Begegnung der Gegenstände Anschauung ermöglicht.

Bei Hegel stellt die sinnliche Gewißheit ein erstes unmittelbares Wissen dar.

Skandal

Skandal der Philosophie

In der Kritik der reinen Vernunft schreibt Kant: "so bleibt es immer ein Skandal der Philosophie und allgemeinen Menschenvernunft, das Dasein außer uns … bloß auf Glauben annehmen zu müssen und, wenn es jemandem einfällt es zu bezweifeln, ihm keinen genugthuenden Beweis entgegenstellen zu können" [1].

Martin Heidegger hat 1927 in Sein und Zeit erwidert: "Der ‚Skandal der Philosophie‘ besteht nicht darin, dass dieser Beweis bislang noch aussteht, sondern darin, dass solche Beweise immer wieder erwartet und versucht werden", denn zu "beweisen ist nicht, dass und wie eine ‚Außenwelt‘ vorhanden ist, sondern aufzuweisen ist, warum das Dasein als In-der-Welt-sein die Tendenz hat, die ‚Außenwelt‘ zunächst ‚erkenntnistheoretisch‘ in Nichtigkeit zu begraben, um sie dann erst zu beweisen" [2].


[1] Kant, I.: Kritik der reinen Vernunft B XL
[2] Heidegger, M.: Sein und Zeit, &; 43a (1927, 91960, 205f.

Skepsis

Skeptizismus


Skepsis2

Skeptizismus

Etymologie

Die Bezeichnung Skeptiker (griech.: skeyiz, skeptikoz, neulat.: scepticus, engl. scepticism, sceptic; franz.: scepticisme, sceptique; ital.: scetticismo, scettico) wurde in der Spätantike für jene Philosophen geläufig, die als "sich des Urteils über alles Enthaltende" bezeichnet worden waren und die man heute auch die antiken Skeptiker nennt.

Das griechische Adjektiv skeptikoz heißt wörtlich: einer der (etwas) untersucht. skeyiz heißt also zunächst nichts anderes als eingehende Untersuchung.

Philon von Alexandrien benutzt das Wort skeptikoi, um Philosophen zu bezeichnen [1].

Zur Zeit von Sextus Empiricus wurde skeyiz oder skeptikoz die übliche Bezeichnung für den Pyrrhoneer. Die pyrrhonischen Skeptiker wurden auch Aporetiker (aporhtikoz), Zetetiker (xhthtikoz, Forschender) oder Ephektiker (efektikoz, Strebender)) genannt.