14

 

Mr. Boyd Salter saß an einem kleinen Tisch in der Nähe des offenen Fensters seiner Bibliothek. Von hier aus konnte er das ganze Tal und auch einen Teil von Beverley Green überschauen. Er war damit beschäftigt, Patiencen zu legen, wurde aber doch nicht so davon in Anspruch genommen, daß er nicht von Zeit zu Zeit eine Pause gemacht und aus dem Fenster gesehen hätte. Einmal interessierte ihn eine Schafherde, die gerade des Weges kam, dann beobachtete er einen Habicht, der plötzlich herabstieß und sich mit seiner Beute wieder in die Lüfte erhob. Er wurde auf einen Mann in einem langen dunklen Mantel aufmerksam, der sich sehr merkwürdig benahm. Aber die Entfernung war zu groß, um feststellen zu können, was er eigentlich tat. Er ging an dem Rand einer Pflanzung entlang, aus der er vermutlich herausgekommen war.

 

Mr. Salter drückte den Knopf einer elektrischen Klingel.

 

»Bringen Sie mir meinen Feldstecher, Tilling. Wissen Sie, ob dort ein Parkwächter in der Gegend herumstreift?«

 

»Ich glaube nicht. Madding ist unten im Leutezimmer.«

 

»Schicken Sie ihn, bitte, herauf, aber bringen Sie erst mein Glas.«

 

Mr. Salter stellte den Feldstecher ein, aber er konnte den Fremden nicht erkennen, der etwas zu suchen schien. Der Mann kam nur langsam vorwärts und bewegte sich nicht in gerader Linie.

 

Boyd Salter wandte den Kopf. Ein untersetzter Mann mit rotem Gesicht, der einen Anzug aus Manchestersamt und Gamaschen trug, war eingetreten.

 

»Madding, wer geht dort bei Spring Covert?«

 

Der Wächter legte die Hand über seine Augen.

 

»Sieht mir so aus, als ob es einer von diesen Leuten aus Beverley Green wäre. Ich glaube, es ist Wilmot.«

 

Mr. Salter schaute wieder hinaus.

 

»Sie werden wohl recht haben. Gehen Sie hin, bestellen Sie einen schönen Gruß von mir und fragen Sie, ob Sie etwas für ihn tun können. Vielleicht hat er etwas verloren. Warum aber gerade auf meinem Grundstück etwas vermißt wird, ist mir ein Rätsel.«

 

Madding ging hinaus, und Mr. Salter wandte sich wieder seinen Karten zu. Als er nach einiger Zeit noch einmal hinaussah, eilte der Wächter mit großen Schritten durch das Gelände. Später konnte er nur Madding allein ins Glas bekommen, der Fremde war verschwunden.

 

Boyd Salter nahm die Karten zusammen, mischte sie und legte sie von neuem auf. Bald darauf kam Madding zurück.

 

»Ich danke Ihnen, ich habe schon gesehen, daß Sie ihn nicht mehr angetroffen haben.«

 

»Dieses Ding habe ich gefunden, Sir. Es lag etwas weiter entfernt von der Stelle, wo Mr. Wilmot suchte. Wahrscheinlich hat er danach gesucht.«

 

Er reichte Salter ein goldenes Zigarettenetui, von dem er den Lehm abgewischt hatte. Der Boden um Spring Covert war feucht und lehmig.

 

Mr. Salter nahm das Etui und öffnete es. Es enthielt zwei feuchte Zigaretten und ein abgerissenes Stück Zeitungspapier, auf dem mit Bleistift eine Adresse geschrieben war.

 

»Es ist gut, Madding. Ich werde dafür sorgen, daß es Mr. Wilmot zurückerhält. Es wird ihm gehören, hier ist sein Monogramm. Ich glaube, daß er Ihnen eine gute Belohnung geben wird. Ich habe gehört, Sie haben heute morgen ein Hermelin gefangen? Diese Tiere sind doch die größten Feinde der jungen Fasane. Sagten Sie nicht, daß es in diesem Jahr viele gibt? Nun, es ist gut, ich danke Ihnen, Madding.«

 

»Entschuldigen Sie bitte, Sir, ich möchte Ihnen noch etwas mitteilen.«

 

Der Parkwächter wartete einen Augenblick, bis Salter ihm zunickte weiterzusprechen.

 

»Es ist wegen des Mordes. Ich habe die Vermutung, daß der Täter durch den Park geflohen ist.«

 

»Wie kommen Sie darauf?«

 

»Ich war in jener Nacht draußen unterwegs. Die Leute von Beverly wildern schlimmer denn je. Mr. Goldings Oberwächter erzählte mir erst heute wieder, daß er einen Mann gefaßt hat, der sechs Fasanen in seinem Rucksack hatte. Als ich so herumstreifte, hörte ich unten bei Vally Bottom einen Schuß. Ich lief so schnell wie möglich hin, obgleich ich mir sagte, daß sich Wilddiebe im allgemeinen hier nicht mit Gewehren herumtreiben. Als ich eine Strecke weit gegangen war, hielt ich an und horchte. Ich kann einen Eid darauf leisten, daß ich hörte, wie jemand über den hartgetretenen Weg ging, der nach Spring Covert führt, wo eben auch Mr. Wilmot war. Ich rief ihn an, aber da hörte ich keine Schritte mehr. ›Bleiben Sie stehen, Sie sind erkannt!‹ rief ich, da ich dachte, es sei ein Wilddieb. Ich habe aber nichts mehr gehört und auch niemand gesehen.«

 

»Haben Sie der Polizei das alles mitgeteilt? Das hätten Sie tun sollen, Madding. Es könnte ein wichtiger Anhaltspunkt sein. Glücklicherweise besucht mich Mr. Macleod heute nachmittag.«

 

»Ich wußte nicht recht, was ich tun sollte. Ich habe den Schuß nämlich nicht mit dem Mord in Verbindung gebracht. Erst als ich es meiner Frau erzählte, sagte sie, daß ich Ihnen das mitteilen müsse.«

 

»Ihre Frau hat recht, Madding«, erwiderte Salter lächelnd. »Bleiben Sie in der Nähe, wenn Doktor Macleod kommt.«

 

Andy, der Mr. Salter wegen der Leichenschau verschiedenes zu fragen hatte, hörte die Geschichte des Parkwächters mit Interesse an und erkundigte sich nach der genauen Zeit, wann er den Schuß gehört hatte.

 

»Madding hat auch ein Zigarettenetui gefunden, das Mr. Wilmot gehört«, sagte Boyd Salter und erzählte, daß er Artur auf der Suche nach einem Gegenstand gesehen habe. »Ich danke Ihnen, Madding, Sie brauchen nicht zu warten, wenn nicht Doktor Macleod noch weitere Fragen an Sie hat. Nein? Dann können Sie gehen.«

 

Andy betrachtete das Etui.

 

»Wie kam er denn in die Nähe von Spring Covert? Führt dort ein öffentlicher Weg vorbei?«

 

»Nein, er hat unerlaubt fremdes Gebiet betreten, obgleich ich so harte Worte nicht gern von den Spaziergängen eines Nachbarn auf meinem Grund und Boden gebrauche. Unsere Freunde in Beverley Green haben die Erlaubnis, hier auf meinem Gelände Picknicks zu veranstalten. Sie müssen nur meinem Wächter davon Mitteilung machen. Aber sie kommen eigentlich nie nach Spring Covert – es ist nicht besonders schön dort.«

 

Andy öffnete das Etui und nahm das Stückchen Zeitungspapier heraus. »Es ist wohl eine Adresse«, meinte Mr. Salter.

 

»Ja – die Adresse des ermordeten Sweeny –, und Wilmot hat sie am selben Tag erhalten, an dem der Mord begangen wurde!«

 

Er drehte den kleinen Fetzen um. Er war von einer Sonntagszeitung abgerissen, oben war noch zu lesen … onntag, den 23. Juni…

 

Offenbar hatte diese Zeitung Sweeny gehört, dachte Andy. Wahrscheinlich hatten sich die beiden getroffen, miteinander gesprochen, Wilmot hatte sich währenddessen überlegt, daß ihm der Sekretär Albert Selims vielleicht noch irgendwie nützlich sein könnte, und hatte sich deshalb seine Adresse notiert. Diese Begegnung hatte aber schwerlich in Spring Covert stattgefunden, wo das Etui gefunden worden war. Sie mußten sich dort nach Einbruch der Dunkelheit noch einmal getroffen haben, oder Wilmot hatte nachts diesen Platz heimlich aufgesucht. Die erste Möglichkeit erschien Andy wahrscheinlicher.

 

Wilmot hatte also doch etwas mit der Sache zu tun.

 

»Worüber denken Sie nach?« fragte Boyd Salter.

 

»Es ist merkwürdig, ich weiß nicht, was ich aus diesem Fund machen soll. Ich werde Wilmot aufsuchen und ihm das Etui zurückgeben, wenn Sie gestatten.«

 

Als er nach Beverley Green zurückging, fiel es ihm plötzlich auf, daß fast alle wichtigen Ereignisse während seines Aufenthaltes doppelt eingetreten waren. Er hatte die Drohung Wilmots vor Merrivans Haus und die Wutausbrüche Nelsons vor dessen Tür gehört. Sowohl in Merrivans als auch in Nelsons Haus hatte er verbrannte Papiere entdeckt. Und nun war wieder etwas gefunden worden –

 

»Wir haben einen kostbaren Brillantring gefunden – vielmehr Mr. Nelson hat ihn auf dem Rasen entdeckt«, begrüßte ihn der Polizeiinspektor. »Ich habe nicht gehört, daß irgendwo ein Ring vermißt würde. Niemand im ganzen Dorf bekennt sich als Eigentümer des Schmuckstücks.«

 

Stella war doch wirklich zu achtlos! Sie streute verdächtigende Gegenstände wie der ›Fuchs‹ bei der Schnitzeljagd.

 

»Der Eigentümer wird sich schon noch melden«, meinte Andy gleichgültig.

 

Am Abend traf er Wilmot, der gerade nach Hause kam.

 

»Ich glaube, das gehört Ihnen«, sagte Andy und hielt ihm das Etui hin.

 

Wilmot wurde rot.

 

»Ich glaube kaum. Ich habe nichts verloren –«

 

»Aber Ihr Monogramm ist doch darauf, und zwei Leute haben es bereits als Ihr Eigentum erkannt.«

 

Das war zwar nicht die Wahrheit, aber Andy hatte Erfolg mit dieser Methode.

 

»Tatsächlich! Ich danke Ihnen, Doktor Macleod. Ich hatte es noch nicht vermißt.«

 

Andy lächelte.

 

»Dann haben Sie oben bei Spring Covert wohl nach etwas anderem gesucht?«

 

Wilmot wurde jetzt blaß.

 

»Wann haben Sie sich Sweenys Adresse notiert?«

 

Wilmot sah Andy haßerfüllt an. Entweder war Wilmot schuldig oder eifersüchtig. Wahrscheinlich war Eifersucht die Ursache – er wußte oder vermutete doch, wie Andy zu Stella Nelson stand.

 

»Ich traf ihn am Sonntagmorgen, er bat mich, ihn für eine neue Stellung zu empfehlen. Ich hatte ihn kennengelernt, als er in den Diensten meines Onkels stand. Ich traf ihn auf dem Golfplatz, und so schrieb ich seine Adresse auf ein Stück Zeitungspapier.«

 

»Sie haben aber weder mir noch Inspektor Dane gesagt, daß Sie ihm begegnet waren.«

 

»Das hatte ich ganz vergessen – nein, das stimmt nicht, aber ich wollte nicht in diesen Fall verwickelt werden.«

 

»Sie haben ihn dann nachts noch einmal gesehen – warum wählten Sie Spring Covert als Treffpunkt?«

 

Wilmot schwieg, und Andy mußte seine Frage wiederholen.

 

»Er war von Beverley Green fortgegangen und wollte mich noch einmal sprechen. Er dachte, daß es mir peinlich sei, wenn man uns zusammen sähe.«

 

»Wann dachte er denn das? Am Morgen, als die zweite Verabredung vereinbart wurde?«

 

»Ja«, entgegnete Wilmot zögernd. »Wollen Sie nicht hereinkommen, Macleod.«

 

»Sind Sie allein?«

 

»Ja, ich bin allein im Haus. Die Dienstboten haben heute alle Ausgang. Sie kommen auch sonst nur in mein Zimmer, wenn ich sie rufe.«

 

Artur Wilmots Haus war das kleinste von allen, aber es war mit hervorragendem Geschmack eingerichtet. Wenn es Andy trotzdem nicht vollständig befriedigte, so lag das wohl daran, daß ihm der Charakter der Einrichtung zuwenig männlich erschien.

 

Auf dem Tisch des Zimmers, in das sie traten, lag ein halbfertiger Damenhut. Wilmot unterdrückte einen Ausruf. Es war eine mit prachtvoller, farbiger Seide überzogene Hutform.

 

Ihre Ankunft mußte irgend jemand gestört haben. Andy tat, als ob er nichts gesehen hätte, aber Wilmot war zu aufgeregt, um die Sache übergehen zu können, und versuchte, Andy eine Erklärung zu geben.

 

»Vermutlich hat wieder eins der Dienstmädchen hier gearbeitet!« Mit diesen Worten packte er den Hut und schleuderte ihn in eine Ecke.

 

Der Zwischenfall, der eigentlich Wilmots Verwirrung hätte vergrößern müssen, schien die entgegengesetzte Wirkung zu haben. Seine Stimme war klar und fest, als er jetzt sprach.

 

»Ich habe Sweeny zweimal getroffen, und es war töricht von mir, es nicht sofort zuzugeben. Sweeny haßte meinen Onkel. Er kam zu mir, um mir etwas zu erzählen – er deutete wenigstens an, daß er etwas wüßte, durch das ich Mr. Merrivan in meine Hand bekäme. Die zweite Zusammenkunft in Spring Covert diente dazu, über die Bedingungen zu verhandeln, unter denen Sweeny mir seine Informationen geben wollte. Ich wünschte, ich wäre nicht hingegangen, ich bin auch nicht lange dort gewesen. Ich versprach Sweeny, ihm zu schreiben, und damit hatte die Sache ein Ende.«

 

»Worin bestand denn Sweenys Geheimnis?«

 

Wilmot zögerte.

 

»Offen gestanden, ich weiß es nicht. Ich hatte nur den Eindruck, daß Mr. Merrivan irgendwie in Selims Schuld war – Selim war der Name von Sweenys Chef. Aber das kann ich nicht recht glauben, es kommt mir fast lächerlich vor. Mein Onkel war ein reicher Mann.«

 

Andy schwieg und überlegte, ob Wilmot die Wahrheit gesagt haben könnte.

 

»Haben Sie irgendeine Ahnung, wer Ihren Onkel getötet haben könnte?«

 

Wilmot runzelte die Stirn. »Haben Sie denn eine Vermutung?«

 

Andy wußte, wen Wilmot beschuldigen würde, wenn auch nur der geringste Verdacht auf ihn selbst fallen sollte.

 

»Ich habe mir viele Theorien zurechtgelegt«, erwiderte er kühl. »Aber es wäre übereilt, wenn ich mich jetzt schon endgültig für eine von ihnen entscheiden würde. Da fällt mir etwas ein, Mr. Wilmot. Als wir uns das letztemal sahen, sprachen Sie von einem nichtswürdigen Mädchen. Das interessiert mich. Sie beschwerten sich heftig über sie und sagten, daß Sie ihretwegen Streit mit Ihrem Onkel gehabt hätten. Das könnte ein wichtiger Anhaltspunkt sein. Wer war diese Dame?«

 

Das war ein meisterhafter Angriff, der wohlüberlegt im günstigsten Augenblick geführt wurde.

 

Auf eine so direkte Frage war Wilmot nicht vorbereitet. Es war ihm klar, daß Macleod genau wußte, wen er gemeint hatte. Er mußte jetzt mit der Sprache heraus oder –

 

»Die Antwort darauf muß ich schuldig bleiben.«

 

Aber Andy war schon zu weit gegangen und hatte zu viel gewagt, um seinem Gegner jetzt noch gestatten zu können, das Gefecht abzubrechen.

 

»Das kann ich nicht gelten lassen. Entweder kennen Sie eine solche Dame oder Sie kennen sie nicht. Entweder haben Sie sich mit Ihrem Onkel gestritten oder nicht. Ich spreche jetzt als der Polizeibeamte, der mit der Untersuchung dieses Falles beauftragt ist, und ich muß die Wahrheit erfahren.«

 

Seine Stimme klang hart und drohend.

 

»Ich war damals sehr verwirrt«, sagte Artur Wilmot mürrisch und widerwillig. »Ich wußte nicht, was ich sagte. Ich meinte keine bestimmte Dame, auch habe ich mich mit meinem Onkel nicht gestritten.«

 

Langsam zog Andy ein Notizbuch aus der Tasche und schrieb diese Worte Wilmots, der ihn wütend beobachtete, auf.

 

»Ich danke Ihnen. Ich werde Sie jetzt wohl nicht wieder in dieser Angelegenheit belästigen müssen.«

 

Ohne ein weiteres Wort entfernte er sich.

 

Wilmot blieb zurück und trug sich mit Mordgedanken.

 

»Mr. Macleod!«

 

Andy drehte sich an der Gartenpforte noch einmal um. Wilmot kam hinter ihm her.

 

»Es ist jetzt sicher kein Grund mehr vorhanden, warum ich das Haus meines Onkels nicht betreten dürfte. Ich bin der gesetzmäßige Erbe Mr. Merrivans, und ich habe einige Vorbereitungen für seine Beerdigung zu treffen.«

 

»Ich muß Ihnen im Augenblick nur noch die eine Beschränkung auferlegen, daß Sie nicht in sein Arbeitszimmer gehen. Dieser Raum kann erst nach der Leichenschau freigegeben werden.«

 

Andy ging über die Straße und sprach mit dem Polizeisergeanten, der das Haus bewachte.

 

»So, diese Sache habe ich in Ordnung gebracht, Mr. Wilmot. Der Beamte wird Sie einlassen.«

 

Andy war weder überrascht noch belustigt über den Damenhut in Wilmots Zimmer, der zu vielen Vermutungen Anlaß geben konnte. Wilmots Verlegenheit war zu deutlich und seine Erklärung vollständig unglaubwürdig gewesen. Ein Dienstmädchen sollte den Hut dort genäht haben? Das stimmte doch nicht mit seiner Angabe überein, daß kein Dienstbote in sein Zimmer kommen dürfe, wenn er nicht gerufen war. Wilmot war Junggeselle wahrscheinlich nicht besser und nicht schlechter als alle Junggesellen. Aber es war doch ein wenig überraschend, daß er seine Damen nach Beverley Green brachte, wo alle Dienstboten bekanntermaßen klatschten. Eine solche Unbesonnenheit sah Artur Wilmot gar nicht ähnlich.

 

Er ging zu Nelsons. Wenn er nach seinen Wünschen hätte handeln können, wäre er jeden Tag dort hingegangen und die ganze Zeit dort geblieben. Er richtete es jetzt immer so ein, daß er Scottie in den frühen Morgenstunden draußen im Freien traf, gewöhnlich in den Parkanlagen.

 

Stella empfing ihn. Ihr Vater war im Atelier und arbeitete. Sie war begeistert, denn Kenneth Nelson hatte ein neues Gemälde begonnen, ein Porträt Scotties.

 

»Das ist ja großartig, weil ich dann immer ein gutes Bild von Scottie zur Verfügung habe«, meinte Andy. »Wenn ich ihn in Zukunft wieder einmal verhaften lassen muß, schicke ich meine Leute einfach zur Akademie, damit sie ihn vorher genau studieren können.«

 

»Er wird in Zukunft aber nichts mehr anstellen«, sagte sie, denn sie war über seine Worte erschrocken. »Er erzählte mir, daß er sein altes Leben aufgeben und nicht mehr stehlen wolle.«

 

Andy lächelte.

 

»Ich würde ja nur zu froh sein, wenn es so wäre. Kennst du Artur Wilmot sehr gut, Stella?«

 

Sie wollte schon sagen, daß sie ihn nur allzugut kenne.

 

»Ich habe es einmal gedacht«, erwiderte sie. »Warum fragst du danach?«

 

»Weißt du, ob er irgendwelche Freundinnen oder weibliche Verwandte hat?«

 

Sie schüttelte den Kopf.

 

»Seine einzigen Verwandten waren Mr. Merrivan und eine alte Tante. Er hat nie Besuch gehabt mit Ausnahme seiner Tante, die aber gestorben ist, soviel ich weiß. Er hat nicht einmal Junggesellenabende gegeben. Ich weiß nicht mehr, was vorgeht. Hast du neue Anhaltspunkte gefunden? Der ganze Ort wimmelt von Zeitungsreportern. Einer kam und fragte mich, ob ich ihm irgendwelche Einzelheiten aus Mr. Merrivans Privatleben erzählen könne. Er fragte mich zum Beispiel, ob er regelmäßig zur Kirche gegangen und sonst ein ruhiger, stiller Mensch gewesen sei. Ich gab zur Antwort, daß ich nicht viel über ihn wisse. Er war leicht zufriedenzustellen.«

 

Andy seufzte. »Ich bin nur froh, daß Downer nicht gekommen ist.«

 

»Wer ist Downer?«

 

»Ein Journalist, der tüchtigste und geschickteste Mann von der ganzen Gesellschaft. Der gibt sich nicht so leicht zufrieden wie der Reporter, der dich aufgesucht hat. Er hätte auch nicht so dumme Fragen gestellt. Er hätte mit deinem Vater über Kunst gesprochen, wäre ins Atelier gegangen, hätte den Pygmalion bewundert und mit deinem Vater über Farbwerte, den Einfluß der Atmosphäre, über Beleuchtungs- und Bewegungsmotive diskutiert. Wenn er aber gegangen wäre, hättest du das unangenehme Gefühl gehabt, mehr gesagt zu haben, als gut war. Und zwar nicht über alte Meister, sondern über Mr. Merrivans Privatleben.«

 

Sie wandte die Augen nicht von ihm, während er sprach. Aber er sah sie nicht lange an, denn er fürchtete, er würde sie an sich reißen und nicht wieder freigeben.

 

»Du mußt unheimlich viele Menschen kennenlernen, diesen Downer zum Beispiel, und Leute wie Scottie. Ich nannte ihn übrigens aus Versehen auch Scottie, es schien ihm sehr angenehm zu sein. Gibt es eigentlich etwas Neues?«

 

»Inspektor Dane hat deinen Ring gefunden. Streust du deine Brillantringe immer so aus?«

 

Sie war nicht im mindesten verwirrt.

 

»Ich habe ihn weggeworfen, ich weiß nicht mehr, wo. Willst du schon gehen? Du bist noch kaum eine Minute hier und hast weder meinen Vater noch sein Gemälde gesehen.«

 

»Ich bin schon lange genug hiergewesen, um die ganze Nachbarschaft in Aufruhr zu bringen. Verstehst du nicht, daß ich dich nur besuchen kann, wenn ich unter dem einen oder anderen Vorwand auch zu allen anderen gehe? Jeden Tag mache ich zehn bis zwölf verschiedene Besuche und falle den Leuten auf die Nerven – nur um dich einmal sehen zu können.«

 

Sie begleitete ihn zur Tür.

 

»Ich wünschte, du würdest kommen und wieder Staub wischen«, sagte sie zärtlich.

 

»Und ich – ich wünschte, wir wären wieder bei dem zweiten Golfloch«, erwiderte er leise.

 

Sie lachte, und er hörte sie noch auf dem Gartenweg.