13

 

»Willst du mir jetzt vielleicht sagen, was all diese Geheimnistuerei zu bedeuten hat?« begann Margot und setzte sich auf das Sofa. »Ich weiß, daß ich sehr heftig bin, aber alles hat seine Grenzen. Willst du mir dein Verhalten jetzt erklären?«

 

»Das kann ich nicht«, entgegnete Cecile traurig. »Ich möchte dir nur sagen, daß Frank weiß, warum ich diese Reise unternommen habe.«

 

»Das ist wenigstens etwas. Aber wie bist du hierhergekommen?«

 

»Ich entschloß mich, doch noch mit dem Dampfer zu fahren. Meine Freundin, Mrs. Dupreid, hielt sich in North Devon auf, ganz in unserer Nähe. Wir wollten sie ja, wie du dich wohl entsinnen kannst, auf unserem Wege zum Dampfer abholen.«

 

Margot nickte.

 

»Ich hatte eine Unterredung mit Frank und erzählte ihm gewisse Dinge. Er sah dann ein, daß es das beste wäre, wenn ich mit der ›Ceramia‹ führe. Aus gewissen Gründen aber konnte ich nicht unter meinem eigenen Namen reisen, denn ich wollte vor allem allein und ungestört sein, damit ich Handlungsfreiheit hatte und tun und lassen konnte, was ich wollte. Ich besuchte Mrs. Dupreid, und sie war so liebenswürdig, daß sie auf meinen Plan einging. Ich reiste also auf ihren Namen und Paß und nahm ihre Kabine. Sie wollte mit einem späteren Dampfer nachkommen, wenn ich ihr den Paß zurückgeschickt hatte.«

 

»Soweit kann ich ja alles verstehen, aber warum bist du denn hier? Und warum hast du Mrs. Markham in ihrer Kabine besucht?«

 

Cecile schüttelte den Kopf.

 

»Du mußt mir trauen.«

 

»Ich will dir ja auch trauen«, entgegnete Margot hoffnungslos. »Ich habe Jim vertraut, und ich traue dir, aber heute abend sah ich dich in seinen Armen, Cecile.«

 

»Ich war so verzweifelt, daß ich mich bei irgend jemand ausweinen mußte«, sagte die Schwägerin. »Ich war sehr erstaunt, ihn an Bord des Dampfers zu treffen. Wenn ich mich erhole, gehe ich nur auf dem Bootsdeck spazieren. Ich mußte mich vor allem von den anderen Passagieren getrennt halten. Ich mußte auch dir aus dem Weg gehen. Gestern abend traf ich ihn zufällig, und wir haben miteinander gesprochen –« sie zögerte.

 

»Das glaube ich sofort«, entgegnete Margot trocken und ironisch. »Ich muß schon sagen, es ist eine ganz besondere Art, sich zu unterhalten, wenn man sich von einem anderen Mann als dem eigenen umarmen läßt –« Aber dann wurde Margot milder. »Nun, ich habe ja nichts dagegen, wenn Jim dir mitfühlend zuhört und dich ein wenig tröstet. Hat er dir denn nicht gesagt, daß er selbst in einer sehr schweren Lage ist?«

 

»Ja. Er tut mir furchtbar leid.«

 

»Da hast du ihn wohl auch getröstet?«

 

Cecile antwortete nicht.

 

»Und er hat sich wohl auch an deiner Brust ausweinen müssen?« fragte Margot wieder gereizt. »Eine Liebe ist natürlich der anderen wert.«

 

»Margot, du bist herzlos, aber ich bin doch froh, daß ich dich hier sehe. Es war ein furchtbares Leben so allein –«

 

»Nun wollen wir einmal vernünftig miteinander reden. Wann soll ich nun in den Skandal hineingezogen werden?«

 

Cecile sah sie traurig und nachdenklich an.

 

»Vielleicht an dem Tag unserer Ankunft in New York, wenn – wenn –«

 

»Wenn?«

 

»Wenn sich alles nach Wunsch entwickelt«, begann Cecile vorsichtig.

 

»Weißt du auch von der Photographie?« fragte Margot zögernd.

 

Cecile nickte.

 

»Jim hat mir alles gesagt.«

 

»Hast du Mr. Sanderson schon früher getroffen?«

 

Cecile hatte sich von ihrer Schwägerin abgewandt und schüttelte den Kopf.

 

»Laß die Sache, bis wir in New York ankommen. Bitte, erfülle mir den Wunsch.«

 

»Schön, ich will warten. Ich möchte nur wissen, ob Jim oben auf mich gewartet hat?« sagte sie und eilte aus der Kabine.

 

Mit dem nächsten Fahrstuhl fuhr sie nach oben und sah gerade noch, daß er fortgehen wollte. Sie pfiff leise.

 

»Ach, du bist es«, sagte er. »Nun, hast du die Dame erschlagen oder erdolcht?«

 

Margot zitterte.

 

»Sprich nicht so. Cecile habe ich immer gern gehabt, aber ich muß sagen, diese Geheimnistuerei und diese zärtliche Umarmung waren doch etwas zuviel für mich. Jim, war es denn wirklich notwendig, daß sie sich an deiner Brust ausweinte?«

 

Er zog sie fest an sich und küßte sie, und sie schmiegte sich auch wieder an ihn.

 

»Wann gehst du wieder in den Heizraum?« fragte sie.

 

»Darüber wollen wir lieber nicht sprechen, Margot. Ich möchte dich weiter ins Vertrauen ziehen, aber wenn ich dir etwas sage, dann mußt du auch nicht in mich dringen. Versprichst du das?«

 

»Ja, ich verspreche es.«

 

»Erstens möchte ich dir noch einmal versichern, daß ich Mrs. Markhams Juwelen nicht gestohlen habe. Das Schmuckstück wurde von den ›Vier Großen‹ erbeutet. Es steht außer jedem Zweifel, daß es eine solche Bande gibt. Es sind vier Leute, die schon immer zusammengearbeitet haben. Ihnen müssen auch die großen Juwelendiebstähle zur Last gelegt werden, die in der letzten Zeit soviel Aufsehen in Europa erregt haben. Ein Mitglied dieser Bande hat sich auch Mrs. Markhams Juwelen angeeignet.«

 

»Wer sind denn die Leute? Ach Verzeihung, das ist wohl eine Frage, die ich nicht stellen darf.«

 

»Teils, teils. Sie ist deshalb verboten, weil ich sie nicht leicht beantworten kann, und ich möchte auch nichts darüber sagen, weil ich meiner Sache nicht sicher bin. Wir wissen, daß die beiden Trentons zu der Bande gehören, die in den Vereinigten Staaten schon mehrere Gefängnisstrafen abgesessen haben. Sanderson hat mir das mitgeteilt. Es ist ein Mann und eine Frau. Wir haben hier zwei Detektive von Scotland Yard an Bord, die sehr eifrig unter den Passagieren der zweiten und dritten Klasse nach ihnen suchen. Der dritte ist ein Spanier namens Antonio Romano und der vierte der gerissenste und schlaueste von allen, ein gewisser Mr. Talbot, ein Meisterfälscher und Einbrecher, Spezialist für Brillanten und Schmucksachen. Aber nicht er, sondern Trenton ist der Führer der Bande. Es ist sicher, daß sich zwei von ihnen an Bord des Schiffes befinden. Scotland Yard hat darüber genaue Mitteilungen erhalten.«

 

»Woher weißt du das alles?«

 

»Weil einer der Detektive von Scotland Yard mit mir in derselben Wache im Kesselraum arbeitet.«

 

»Ist er denn auch Heizer?« fragte sie erstaunt. »Ist das etwa der Mann, den du Nosey nennst?«

 

»Ja. Ich vermutete schon, wer er war, als wir ihn damals zusammen sahen. Und als er mich fragte, ob ich Jim Bartholomew wäre, der wegen Mordes gesucht wird –«

 

Margot wurde bleich.

 

»Das hast du ihm doch nicht gesagt?« protestierte sie leise. »Sage mir doch, daß es nicht wahr ist.«

 

»Doch, er weiß es«, erklärte Jim. »Aber rege dich deswegen nicht auf, Liebling. Du nimmst doch nicht an, daß ich mich von jetzt ab mein ganzes Leben lang verstecken will? Wenn ich das Geheimnis, das über diesem Fall schwebt, auf dieser Reise nicht aufklären kann, gehe ich nach England zurück und stelle mich dem Gericht. Die Verhandlung wird dann ja ergeben, daß ich weder Sanderson erschossen noch die Juwelen gestohlen habe.«

 

Er küßte sie zärtlich, und für einen Augenblick wichen alle Sorgen von ihr.

 

Aber dann faßte sie ihn wieder hart am Arm. »Ich fürchte, daß ich noch graue Haare bekomme, ehe wir in New York sind.«

 

»Und ich bin ganz rotgebrannt von der Hitze im Kesselraum. Soll ich weitererzählen?«

 

»Ja, bitte.«

 

»Hätte ich nicht mit Sergeant Rawson von Scotland Yard gesprochen, so hätte ich nicht die Möglichkeit, in New York an Land zu gehen. Wenn wir in Ellis Island Anker werfen, wird eine ganze Schar amerikanischer Detektive an Bord kommen, um die Mitglieder der Bande auszukundschaften, und ich halte es für sicher, daß sie die Leute finden.«

 

»Wieso?«

 

»Einer von ihnen hat sich telegraphisch als Kronzeuge angeboten. Er schickte ein Radiotelegramm; an dem Abend wäre er beinahe umgebracht worden.«

 

Margot sah ihn verwundert an.

 

»Mr. Price«, sagte sie leise.

 

»Price oder Talbot, das ist derselbe. Ich hätte viel darum gegeben, wenn ich den Inhalt des Telegramms hätte lesen können. Talbot ist der Mann, auf den es im Augenblick ankommt, und durch ihn wird auch Mrs. Markham das gestohlene Diamantenhalsband wiederbekommen.«

 

»Nachdem ich das alles weiß, kann ich auch wieder aufatmen. Daß ich auf dieser Reise mit dir zusammensein darf, ist wunderbar.«

 

»Wenn du nur sehen könntest, wie braungebrannt ich von den Hüften an aufwärts bin. Aber trotz aller Hitze und aller Arbeit – die Stunden, die ich mit dir verbringen durfte, waren es wert.« Aber plötzlich änderte er seinen Ton. »Wir wollen auf das Promenadendeck gehen.«

 

Unten waren kaum noch Leute, und die beiden gingen auf und ab. Sie sprachen von Devonshire, von Amerika, nur nicht von den Sorgen, die sie hatten. Als sie sich umwandten, sahen sie Mr. Price, der an der Reling lehnte und nachdenklich aufs Meer hinausschaute. Etwa zwanzig Schritte von ihm entfernt saß ein gutgekleideter Mann in einem Deckstuhl. Margot erkannte ihn als den Passagier, den Jim Nosey genannt hatte.

 

»Siehst du den Herrn dort?« fragte Jim, als sie an ihm vorübergingen.

 

»Ja.«

 

»Das ist der andere Detektiv. Seine Aufgabe ist es, Price oder Talbot zu bewachen, damit die Mitglieder der Bande ihm nichts zu leide tun. Neulich abends hätten sie ihn beinahe erledigt.«

 

»Aber der Detektiv hat es sicher gut im Vergleich zu dem armen Rawson, der sich unten im Heizraum abquälen muß«, meinte sie.

 

Jim lachte.

 

»Sie haben darum gewürfelt, wer erster Klasse fahren dürfte, und mein Freund hat verloren.«

 

Dreimal gingen sie um das Promenadendeck herum, und immer noch lehnte Mr. Price an der Reling. Sein Kopf war auf die Brust gesunken, und er stützte sich mit den Ellbogen auf das Geländer. Als sie zum viertenmal vorbeikamen, blieb Jim vor dem Detektiv stehen.

 

»Unser Freund drüben ist schon ziemlich lange Zeit dort.«

 

Der Detektiv warf die Zigarette weg und sah das Deck entlang.

 

»Ja, ich beobachte ihn schon die letzte halbe Stunde.«

 

»Ist jemand in seiner Nähe gewesen?«

 

Allem Anschein nach kannte der Detektiv Jim. Später erfuhr Margot, daß die beiden Beamten mit Jim kurz vorher eine Konferenz in der Kabine des Chefingenieurs abgehalten hatten.

 

»Nein, es ist ihm niemand zu nahe gekommen. Natürlich sind mehrere Leute an ihm vorbeigegangen, genau wie Sie und ich.«

 

»Ich möchte nur wissen, worüber er solange nachgrübelt«, sagte Jim.

 

»Der arme Mann«, meinte Margot.

 

»Nun, Price kann sich glücklich schätzen«, entgegnete der Detektiv lachend. »Er hat heute ein Radiotelegramm erhalten, daß er wegen seiner Verbrechen begnadigt ist, und daß sein Zeugnis vom Staat angenommen wird.«

 

Langsam ging er auf Mr. Price zu und legte die Hand auf seine Schulter.

 

»Mr. Price, an Ihrer Stelle würde ich jetzt zu Bett gehen.«

 

Der Pfarrer antwortete nicht.

 

Der Detektiv neigte sich über ihn und sah ihn genauer an. Dann drehte er sich um und kehrte mit den Händen in den Taschen zurück.

 

»Miss Cameron, es wäre wohl am besten, wenn Sie sich zur Ruhe legten.«

 

Jim sah ihn an. Margot wechselte einen Blick mit ihm und nickte dann.

 

»Ist er – verletzt?« fragte sie leise.

 

»Das nicht, aber manchmal hat er solche Anfälle und wird ohnmächtig«, erklärte der Detektiv, »und es ist besser, daß er nicht von anderen Leuten in diesem Zustand gesehen wird.«

 

Sie glaubte, was er ihr sagte, lächelte Jim noch einmal an, verabschiedete sich und ging nach unten.

 

Jim und der Detektiv aber legten den Toten auf das Deck; dann zog der Beamte das Dolchmesser aus seiner Seite.