5

 

»Ich sehe gar keinen Grund, Luke, warum die Hochzeit aufgeschoben werden sollte.«

 

Die für alle Beteiligten so schmerzliche Sitzung der Totenschaukommission lag hinter ihnen. Es war festgestellt worden, daß sich die geschäftlichen Angelegenheiten des jungen Mannes in großer Verwirrung befanden, aber weitere Einzelheiten warm nicht verlangt worden.

 

Margaret Leferre verstand sich selbst nicht mehr; ihre eigene Ruhe überraschte sie. Hatte sie eigentlich den Mann geliebt, der vor ihr stand, von dem sie anscheinend glaubte, daß er der beste Freund ihres Bruders gewesen war? Zuweilen befürchtete sie, daß er in ihren Augen lesen könnte, wie sie ihn verabscheute. Sie war erstaunt, als sie sich selbst mit größter Ruhe und in traurigem, aber freundlichem Tone sagen hörte, daß ihrer Meinung nach kein Grund zum Aufschub der Hochzeit vorläge.

 

»Mein armer Liebling!«

 

Er nahm sie in seine Arme, und sie leistete keinen Widerstand. Sie bot ihm ihre kalten Lippen und haßte sich selbst dafür. Aber der Judaskuß kam von ihm und nicht von ihr, und das war eine kleine Genugtuung für sie.

 

»Es gibt nichts in der Welt, was ich nicht tun könnte, um das Leben für dich ein wenig angenehmer zu machen«, sagte er. »Wenn Geld dir Glück verschaffen könnte, würde ich gern zum Bettler werden.«

 

Sie lächelte schwach. Hier war ein Mann, der seine eigenen Götter verleugnete.

 

Er hatte Rex ruiniert; er hakte ihn immer gehaßt. Halb vergessene Worte kamen ihr ins Gedächtnis, kurze, gereizte Urteile über Rex‘ Nachlässigkeit in Geldangelegenheiten. Seine Hände lagen auf ihren Schultern, und er blickte sie forschend an. Die Blässe ihres Gesichtes und die schwachen Schatten unter ihren Augen verliehen ihr eine beinahe überirdische Schönheit.

 

»Selbstverständlich habe ich mich sehr gesorgt … was für ein Narr ich war, dir am Telephon von Versicherungen zu sprechen – das war direkt unpassend – ich wußte im Augenblick wirklich nicht, was ich redete –«

 

»Luke, bist du wirklich sehr reich?«

 

Sie überraschte ihn ständig mit derartigen unvermuteten Fragen.

 

»Reich? Ich glaube, ja. Die Bank hat zwar in der letzten Zeit nicht besonders gute Geschäfte gemacht, aber ich habe ein Privatvermögen von mindestens einer halben Million. Ich dachte, du wüßtest das –«

 

Sie lächelte gezwungen.

 

»Ich habe dich niemals gefragt. Nur habe ich Angst vor der – Armut. Wir sind so unglaublich arm gewesen. Mein Vater hat uns nichts hinterlassen – es muß wunderschön sein, soviel Geld zu haben, reich zu sein – sich niemals über Rechnungen Sorgen zu machen, niemals das Gefühl zu haben, man muß hinaus und seinen Lebensunterhalt verdienen.«

 

Er blickte sie mit ungeheucheltem Erstaunen an.

 

»Aber davon hatte ich ja gar keine Ahnung, Kleine. Das ist ja entsetzlich. Ich dachte, du hättest deine regelmäßigen Zinsen?«

 

Sie schüttelte den Kopf, und diesmal verstellte sie sich nicht.

 

»Wenn dir Geld das Gefühl von Sicherheit verschaffen kann, dann will ich dir geben, was du willst … Du kannst über jeden Pfennig, den ich besitze, verfügen –«

 

Er sah ihr ungläubiges Lächeln und ärgerte sich über sich selbst, als ob auch er in seinem eigenen großmütigen Anerbieten eine Spur von Unaufrichtigkeit fühlte.

 

»Warum nicht? Tausende von Männern schreiben ihr ganzes Vermögen auf den Namen der Frau. Übrigens eine ganz vernünftige Sache … das hält den Mann auf dem richtigen Wege … und macht uns beide auch in geschäftlicher Beziehung zu richtigen Kompagnons. Warte mal.«

 

Er stand schon am Telephon – eifrig und enthusiastisch wie ein Junge, der eine neue und entzückende Idee verfolgt.

 

»Luke … rufst du deinen Rechtsanwalt an?«

 

Ihr Gewissen sprach, und eine plötzliche Furcht packte sie; zum erstenmal kam ihr das Ungeheuerliche ihres Verrates zum Bewußtsein.

 

»Ja, Hilton – hier ist Luke Maddison … Sie haben doch den Heiratskontrakt aufgesetzt? – Gut, dann schließen Sie alles ein! Haben Sie die Liste meiner Wertpapiere? – Ja, alle. – Und das Konto in der Bank – jeden Pfennig – meinen Anteil an Maddisons – jawohl, alles mit übertragen – nein – ich bin nicht wähnsinnig!«

 

»Du bist wahnsinnig!«

 

Sie stand jetzt neben ihm, ihr Gesicht leichenblaß. Und ihre Worte kamen zögernd, schwankend:

 

»Du bist wahnsinnig, Luke – ich meinte es doch nicht so …«

 

Er lächelte und küßte sie zärtlich, aber in seinen Augen lag ein Ausdruck, der sie zurückschrecken ließ – ein gewisser Ausdruck, der ihr die Worte Danton Morells ins Gedächtnis rief:

 

»Im Augenblick sind Sie für ihn das Begehrenswerteste!« Sie stand neben ihm, ihre Hände warm ineinandergekrampft, und ihr Atem ging stoßweise, als sie hörte, wie er den Widerspruch, der von der anderen Seite des Drahtes kam, niederschlug, dann hing er den Hörer an und drehte sich ihr zu. Ein triumphierendes Lächeln lag auf seinem geröteten Gesicht.

 

»Du bist jetzt Maddisons!« sagte er feierlich. »Dir gehört alles, vom Keller bis zum Boden, mein Liebling – und ich bin jetzt, was der alte Bird so hübsch mit dem Namen ›ein Kind der Armen‹ bezeichnet.«

 

Und nicht einmal sie konnte wissen, wie prophetisch er gesprochen hatte.