23

 

Gunner Haynes blickte ihn eigenartig an.

 

»Du erwartest Mrs. Maddison? Wer ist denn das?«

 

Connor nahm eine halbgerauchte Zigarre vom Aschenbecher, brannte sie an und sagte:

 

»Eine gute Bekannte von mir! – Was haben Sie denn mit Ihrem Freunde gemacht?«

 

»Wer ist Mrs. Maddison?«

 

Connor versuchte unbefangen zu erscheinen. Diesen scharfen Ton hatte er schon öfter gehört und war nicht zu entzückt darüber.

 

»Sie ist die Frau eines meiner Freunde«, sagte er endlich.

 

»Setz dich hin, und dann wollen wir mal miteinander reden.«

 

Widerwillig gehorchte Connor, zog einen Stuhl heran und ließ sich zögernd nieder. Während er dies tat, ging Gunner Haynes nach der Tür, verschloß sie, zog den Schlüssel ab und steckte ihn in die Tasche.

 

»Jetzt wollen wir mal miteinander sprechen«, wiederholte er und nahm dem Bandenführer gegenüber Platz.

 

»Hören Sie mal, Gunner, ich möchte durchaus keine Unannehmlichkeiten mit Ihnen haben«, begann Connor nervös. »Wenn irgendwas zu machen ist, sollen Sie Ihren Teil abbekommen. Ich habe keine Ahnung, ob Maddison die Wahrheit gesagt oder nicht. Verhält sich aber wirklich die Geschichte so, wie er erzählt hat, dann ist da noch viel Geld zu holen. Natürlich habe ich zuerst kein Wort von dem geglaubt, was er uns vorgejammert hat; aber als Sie mit ihm weggegangen waren, erzählte mir Bill – einer meiner Leute – daß er etwas über Maddisons Heirat in der Zeitung gelesen hätte. Ich schwatzte dann ein bißchen mit einem der Blauen, die ihre Nase in meine Angelegenheiten stecken wollten, und erfuhr, daß derselbe Mann, der am Nachmittag das Auto gefahren hatte, in der Nacht in Maddisons Wohnung eingebrochen war. Das stimmte mit dem überein, was mir Maddison erzählt hatte, und mit dem, was ich sonst noch wußte, ’s ist nicht das erstemal, daß ein reicher Kerl den Gauner spielt, aber ich habe noch niemals das Glück gehabt, so einen unter die Finger zu bekommen. Der Mann wird ’ne kleine Goldmine für mich werden.«

 

»Bist du denn sicher, daß er es gewesen ist?« fragte Haynes. Sein Gegenüber ließ sich durch die ruhige Frage täuschen und fuhr mit größerem Vertrauen fort:

 

»Ganz sicher! Ich habe einen meiner Leute, einen ganz gerissenen Kerl, nach Maddisons Büro geschickt, sollte mit seinem Prokuristen sprechen – Steele heißt er wohl. Na, und im Büro hängt ein Porträt von Maddison, das hat er gesehen, konnte auch die Firma des Photographen lesen. Er – hin zu dem Photographen und wollte einen Abzug von dem Bilde kaufen. Den konnte er nicht bekommen, aber man hat ihm erzählt, daß das Bild in einer Zeitung, auch den Namen bekam er heraus, veröffentlicht worden war. Und hier ist die betreffende Nummer!«

 

Connor zog die Schublade auf, nahm eine Zeitung heraus und gab sie Gunner Haynes.

 

»Das ist er, wie er leibt und lebt«, sagte Connor schmunzelnd. »Ich würde ihn sofort erkennen, mit oder ohne Schnurrbart. Maddison verschwand am Tage nach seiner Heirat, ’ne Frau steckt da mit zwischen –«

 

»Hast du aber einen schlauen Kopf«, unterbrach ihn der Gunner mit spöttischer Bewunderung, und Connor brummte ihn wütend an. Jede derartige Anspielung machte ihn wild. Seine Hauptschwäche war, daß er sich für den schlauesten und geriebensten Menschen hielt.

 

»Lassen Sie meinen Kopf aus dem Spiel! Die Hauptsache ist: Hier ist das Bild, und das ist unser Mann. Ich hätte ihn mir heute kaufen können, und er weiß das ganz genau. Wenn ich zehn Minuten mit ihm sprechen könnte, würde er schon Vernunft annehmen. Aber ich kann ja nicht gleich an ihn heran, und da dachte ich, es wäre eine feine Sache, seiner Frau einen Brief zu schreiben. Sie hat ja auch ein bißchen Geld –«

 

»Was für eine Art Brief war denn das?« unterbrach der Gunner. Der Mann zögerte.

 

»Billy schreibt viel besser als ich… ich habe erst neulich in der Zeitung gelesen, daß die meisten geschickten Menschen sehr schlecht schreiben und –«

 

»Die Ungeschickten auch!« fiel der Gunner ein.

 

Der Mann suchte in der Schublade und brachte zwei oder drei Bogen Schreibpapier hervor, die mit Bleistift bekritzelt waren.

 

»Ich habe es aufgesetzt, und dann hat Billy es abgeschrieben«, fuhr Connor fort. »Da Sie mitmachen, ist es besser, Sie sehen, was wir geschrieben haben.«

 

Er reichte die Bogen mit einer Hand über den Tisch; die andere hielt er im Schubfach, was Haynes wohl bemerkte. Er nahm die Bogen, und plötzlich lag vor ihm auf dem Tisch ein Revolver, dessen Mündung auf Connor gerichtet war.

 

»Die Hand aus der Schublade! Wenn hier ein Mord begangen werden soll, so ziehe ich es vor, diese Arbeit zu übernehmen.«

 

Connors Hand lag mit überraschender Geschwindigkeit auf der Tischplatte.

 

»Das habe ich nicht von Ihnen erwartet, Gunner – ich glaube, Sie würden nicht mal Ihrem besten Freunde trauen.«

 

»Und du bist nicht mal das!«

 

Mit einiger Schwierigkeit konnte er die folgenden Worte entziffern:

 

»Geehrte Frau Maddison, ich möchte Ihnen Nachricht von Ihrem Mann geben. Ich befürchte, er ist in ernste Schwierigkeiten gekommen, aber ich kann ihm heraushelfen. Er ist in schlechte Gesellschaft gekommen, aber ohne eigenes Verschulden –«

 

Der Gunner las den letzten Satz laut und blickte fragend auf Connor.

 

»Sicherheitshalber«, erklärte dieser. »Es soll doch so aussehen, als ob ich versuchen wollte, ihm zu helfen.« »Schlau!« murmelte der Gunner und las weiter. »Es wird sehr ernst, wenn die Polizei erst weiß, was ich über den Einbruch bei Taffanny weiß, aber ich glaube, ich kann ihm schon heraushelfen. Das wird etwas kosten, aber ich bin sicher, Sie werden das Geld gern bezahlen.« Haynes lächelte spöttisch, als er zu dieser Zeile kam.

 

»Zeigen Sie diesen Brief nicht der Polizei, sondern bringen Sie ihn mit. Wenn Sie zur Polizei gehen, wird Ihr Mann schwere Unannehmlichkeiten haben. Kommen Sie zu mir, wenn es dunkel ist …«

 

Hier folgten genaue Angaben; wie der Ladeplatz zu erreichen war.

 

»Das also war der Brief?« Der Gunner warf die Bogen auf den Tisch. »Ich dachte, du wärest Spezialist, Connor! Ich hatte nicht gewußt, daß du auch in Erpressung machst.«

 

»Das ist keine Erpressung«, rief Connor empört. »Das ist doch nur Entschädigung für weggeworfenes Geld. Und dann hat er noch behauptet, er wäre Australier, hieße Smith –«

 

»Stimmt alles nicht. Weil er in Lewings Gesellschaft war – du weißt doch, in der Nacht, wo Lewing erstochen wurde – hast du dir eingebildet, er müßte Smith sein«, sagte Haynes ruhig, zog eine Zigarre aus der Tasche, biß die Spitze ab und zündete sie an.

 

»Wenn sich aber Mrs. Maddison nun doch an die Polizei wendet – das wird dir zehn Jahre einbringen, alter Freund.«

 

Connor lächelte unsicher.

 

»Kaum anzunehmen –« begann er, als an die Tür geklopft wurde.

 

»Mach auf!« sagte der Gunner und warf ihm den Schlüssel zu.

 

Connor öffnete die Tür und sah einen seiner Leute vor sich stehen.

 

»Der Spatz kommt … mit ’ner Dame«, flüsterte der Mann ihm aufgeregt zu. Haynes sah, wie Connors Gesicht grau wurde.

 

»Haben Sie gehört?« fragte Connor heiser. »Der Spatz … sie hat ihn mitgebracht.«

 

Er ergriff die Bogen, die auf dem Tisch lagen, und warf sie ins Feuer. In demselben Augenblick hörten sie die schweren Tritte Inspektor Birds auf dem Gange.

 

Ein wohlwollendes Lächeln lag auf seinem Gesicht, als er, gefolgt von einem hübschen jungen Mädchen, das Haynes schon einmal gesehen hatte, in das Zimmer trat.

 

»Was, der Gunner! Das ist aber ein unerwartetes Vergnügen!« rief der Spatz. »Noch achtunddreißig wie Sie, und wir haben die richtige Ali-Baba-Höhle.«

 

Haynes bemerkte, daß das junge Mädchen ihn wiedererkannt hatte. Er war aufgesprungen und begrüßte sie mit einem freundlichen, leichten Kopfnicken.

 

»Wie geht es Ihnen, Miß Bolford?« begann er, und der feinhörige Connor hörte, was der Gunner ihn auch hören lassen wollte. Haynes wünschte auf keinen Fall, daß der Erpresser sich verriet und eingestand, er erwartete Mrs. Maddison. Als er den Ausdruck von Erstaunen, dann aber von Erleichterung in Connors Gesicht sah, wußte er, der Mann hatte ihn verstanden.

 

»Ich wußte nicht, daß Sie zu dieser Bande gehörten«, begann der Spatz, »’n alter Freund von Ihnen, Miß Bolford.« Sein dicker Zeigefinger richtete sich auf Connor. »Das ist Connor, den müssen Sie kennenlernen … und diese Dame hier«, er wandte sich jetzt an den Gauner, »ist Reporter und möchte alle schlechten und beinah schlechten Leute von London kennenlernen. Gestern haben Sie hier eine kleine Razzia gehabt, stimmt’s nicht?«

 

»Das versuchen sie immer bei mir«, grinste Connor, »und niemals finden sie was, Mr. Bird.«

 

Birds Augen wanderten von dem einen zum anderen.

 

»Wie lange hausen denn Krähe und Falke schon in demselben Nest? Das kann ich nicht verstehen«, fragte er. »Sie kommen langsam herunter, Gunner. Was machen Sie denn hier?«

 

»Mal was anderes!« antwortete der Gunner kühl. »Von Zeit zu Zeit liebe ich es zu sehen, wie es in der Unterwelt eigentlich zugeht.«

 

Das Gesicht des Detektivs war ein einziges, breites Lächeln.

 

»Haben Sie das gehört?« rief er bewundernd. »Das ist die richtige, korrekte … hm … Konversation. So einen wie den gibt’s nicht wieder.«

 

Dies war für Haynes die günstige Gelegenheit. Er wußte, der Spatz würde sich noch eine Zeitlang mit dem würdigen Werftbesitzer unterhalten. Langsam setzte er den Hut auf und ging nach der Tür.

 

Und dann sah er Connors Augen boshaft aufflackern.

 

»Auf Wiedersehen, Gunner!« rief dieser laut. »Und wenn Sie einen Rat von mir annehmen wollen, dann hören Sie endlich einmal auf, ein Schießeisen mit sich herumzuschleppen; Ihnen nutzt es nichts und wird Ihnen bloß ein paar Jahre verschaffen, wenn Sie mal gefaßt werden.«

 

»Was … ein Revolver!« Der Spatz fuhr herum. »Dumme Sache, Gunner. Haben Sie einen Waffenschein?«

 

»Ich habe keinen Waffenschein«, antwortete Haynes lächelnd, »und Sie können mich durchsuchen; Sie haben kein Recht dazu, aber ich habe nichts dagegen.«

 

Er spreizte die Arme, und Mr. Birds Hände strichen an seinem Körper entlang. Miß Bolford beobachtete atemlos dies gefährliche Spiel.

 

»Nichts zu finden«, sagte der Spatz endlich, und zu Connor: »Was soll das heißen?«

 

»Was das heißen soll?« Der Gunner stand jetzt an der Tür. »Unser Freund da wollte durchaus ein kleines Geschäft in Feuerwaffen machen, aber ich war nicht dafür zu haben. Der einzige Revolver, den Sie höchstwahrscheinlich heute zu sehen bekommen können, liegt in dem Schubfach.«

 

Der Detektiv zog das Fach auf, wo der Mann gesessen hatte, und Mary Bolford sah, wie sein Gesicht plötzlich blaß wurde. In der hinteren Ecke des Faches lag ein silberbeschlagener Revolver.

 

»Das können Sie wohl allein erledigen«, sagte der Gunner ruhig und schlenderte zur Tür hinaus.

 

Bevor er aber die kleine Zauntür öffnete, die nach der Straße führte, nahm er seinen Hut so langsam ab, wie er ihn aufgesetzt hatte, holte den Browning hervor und steckte ihn in die Tasche.