16

 

Danty blickte die junge Frau erstaunt und zugleich entsetzt an. Seine Bestürzung erschien beinahe komisch.

 

»Sie haben das ganze Geld zurückgegeben, das Sie von ihm hatten?« stotterte er.

 

Sie nickte. Ihre Augen lagen fest auf seinem Gesicht.

 

»Und warum nicht? Ich habe genug zu leben«, sagte sie. »Mr. Steele, der Vermögensverwalter, hat mir ein genügendes Einkommen ausgesetzt.«

 

Er konnte sie nur sprachlos anstarren. All seine seinen Pläne waren zunichte geworden, waren wie eine Rauchfahne vom Winde verweht. Sie ersparte ihm die Anstrengung zu sprechen, und gab ihm Zeit, sich ein wenig von diesem Schlage zu erholen, denn sie fuhr fort:

 

»Luke ist die ganze Zeit hindurch niemals in Paris gewesen – jemand, der ein besonderes Interesse daran zu haben scheint, muß das Telegramm gesandt haben. Ich habe beinahe das Gefühl, als ob ich ein derartiges Telegramm zu erhalten wünschte, damit ich wenigstens vor mir selbst eine Entschuldigung hätte für die häßliche Art und Weise, mit der ich Luke behandelt habe.« Sie lächelte. »Es würde mir außerordentlich unangenehm sein, wenn ich annehmen müßte, daß die Geldfrage Ihre zukünftigen Pläne ungünstig beeinflussen könnte. Glücklicherweise sind Sie ja ein reicher Mann, Danton.«

 

Danton nickte langsam. Am gleichen Morgen hatte er einen Mahnbrief seiner Bank erhalten. In der Meinung, daß seine finanzielle Lage absolut gesichert wäre, hatte er mehr Geld ausgegeben, als er durfte, hatte große Summen in verschiedenen Spielhöllen verloren und sein Konto stark überzogen.

 

Mit beinahe übermenschlicher Anstrengung fand er sein Gleichgewicht wieder und zwang seine Stimme zu einem ruhigen Ton, als er antwortete:

 

»Ich bin nicht ganz überzeugt, daß Sie sehr klug gehandelt haben. Haben Sie mit Ihren Anwälten gesprochen?«

 

Sie schüttelte den Kopf.

 

»In Gewissensfragen wendet man sich nicht an seine Rechtsanwälte«, antwortete sie ruhig.

 

Es war schwierig genug, auch nur die einfachste Unterhaltung im Gang zu halten. Ihre ganze Haltung ihm gegenüber erschien ihm wie ein hoher Wall, der seinen so leichten, angenehmen Lebensweg versperrte, ein Wall, im Augenblick unübersteigbar. Er mußte Zeit gewinnen; seine angeborene Verschlagenheit sagte ihm, daß noch kein Grund war, alle Hoffnung zu verlieren, solange sie auf seiner Seite war. Er hatte von Hunderttausenden geträumt, war sicher gewesen, Zehntausende zu erhalten, und es war immerhin noch möglich, ein- oder zweitausend Pfund zu erraffen, vielleicht sogar noch mehr, wenn er seine Karten nur richtig ausspielte.

 

»Wann haben Sie die Absicht, nach Ronda abzureisen?«

 

»In ungefähr zwei Tagen«, antwortete sie schnell, und zwar so schnell, daß er fühlte, sie hatte die Zeit auf die Stunde genau ausgerechnet. »Sobald ich sicher weiß, daß Luke in Ronda ist, fahre ich zu ihm.«

 

»Und was wollen Sie ihm eigentlich sagen?«

 

Er konnte sich diese Frage nicht verbeißen, obgleich er im gleichen Augenblick, als er die Worte sprach, wußte, daß er sich eines taktischen Fehlers schuldig gemacht hatte.

 

Er sah sofort ihre Zurückhaltung, und ein kühl erstaunter Blick erschien von neuem in ihren wundervollen Augen.

 

»Das ist eine Angelegenheit, die nur Luke und mich angeht. Ich befürchte, ich habe die Schuld an allem, und ich muß versuchen, dies wiedergutzumachen.«

 

In seiner Enttäuschung beging er einen neuen Fehler.

 

»Aber in Erinnerung an Ihren Bruder Rex müßten Sie doch – ich weiß ja nicht, wie Ihre Gefühle zu Luke sind – aber eine Tatsache läßt sich doch leider nicht ableugnen: Luke könnte das Leben Ihres Bruders gerettet haben! Aber im Gegenteil, als er herausgefunden hatte, Rex war ruiniert, hat er ihn noch weiter in sein Unglück hineingetrieben. Geld ist sein Gott –«

 

»Und doch gab er mir alles«, warf sie ruhig ein; »und als ich ihm Geld verweigerte, ging er seiner Wege … ohne ein Wort zu sagen. Ist es Ihnen denn nicht klar, daß, wenn Luke sich an seine Anwälte gewendet hätte, wenn die Sache vor Gericht gekommen wäre, wenn er irgend etwas dieser Art unternommen hätte, daß ich ihm dann jeden Pfennig hätte zurückgeben müssen? Nicht, weil er vielleicht rechtliche Ansprüche darauf hatte, sondern weil ich es niemals gewagt hätte, eine solche öffentliche Verhandlung durchzumachen. Er mag kleinlich, er mag unglaublich grausam gewesen sein, aber das gibt mir noch nicht das Recht, Böses mit Bösem zu vergelten. Das sind die Überlegungen, die mich veranlaßt haben, die Verwaltung des ganzen Vermögens Mr. Steele zu übertragen«, die letzten Worte kamen in mehr entgegenkommendem, beinahe freundlichem Tone. »Die unglückselige Angelegenheit mit Rex muß klargestellt werden – das ist häßlich und schmerzhaft, und ich kann auch jetzt noch nicht mit Ruhe daran denken. Luke wird sicher eine Erklärung für sein Verhalten geben können; vielleicht hatte er schwerwiegende Gründe, um meinem Bruder weitere Hilfe zu verweigern. Auf jeden Fall ist es meine Sache und – mein Wunsch, die volle Wahrheit herauszufinden.«

 

Er war leichenblaß vor Wut, die er kaum verbergen konnte. Seine Lippen verzogen sich höhnisch.

 

»Es scheint mir, das einzige Resultat Ihrer Versöhnung – denn dazu wird es meiner Meinung nach kommen – wird sein, daß man mich im Stich läßt, daß ich mit jedem Menschen hier auseinanderkomme. In finanzieller Hinsicht kann das meinen Ruin bedeuten. Luke hat einen außerordentlichen Einfluß in der City, und schon allein eine leise Andeutung, daß ich gegen ihn war, wurde genügen, um mir große Schwierigkeiten zu bereiten.«

 

Zu seiner Überraschung lachte sie.

 

»Danton«, rief sie beinahe fröhlich. »Was denken Sie sich denn von mir! Können Sie denn annehmen, ich würde zugeben, daß ein Freund von Rex zu leiden hat, weil er versuchte, mir zu helfen?«

 

Danton Morell sah sie verblüfft an. Warum war sie so freudig bewegt? Dann fiel es ihm ein: in wenigen Tagen würde sie in Ronda, würde wieder mit ihrem Gatten vereinigt sein. Der Gedanke schmerzte ihn, langsam begann er zu verstehen, welch einen großen Platz diese Frau in seinem Leben eingenommen hatte. Es sah Danton Morell nicht ähnlich, irgendeiner Frau Einfluß auf sich selbst einzuräumen. Aber ganz allmählich, ihm selbst fast unverständlich, war Margaret, die sein Opfer werden sollte, jetzt ein Hauptfaktor in seinem Leben geworden … es erschien ihm kaum glaublich.

 

Zu gleicher Zeit wurde es ihm zweifellos klar, daß sie ihren Mann liebte!

 

Er war gerade im Begriff, zu antworten, als an die Tür geklopft wurde und das Zimmermädchen hereintrat.

 

»Ein Herr möchte Sie sprechen, gnädige Frau – ein Mr. Haynes.«

 

Hätte Margaret Danton angeblickt, würde sie gesehen haben, wie er erblaßte.

 

»Er sagte, er wäre mit Mr. Maddison bekannt«, fuhr das Mädchen fort, »und es läge ihm außerordentlich viel daran, mit Ihnen zu sprechen.«

 

Danty fuhr sie an:

 

»Sie haben ihm doch nicht erzählt, daß ich hier bin –« er unterbrach sich, als er Margarets erstauntem Blick begegnete.

 

»Kennen Sie ihn?«

 

Er nickte und sah bedeutungsvoll auf die Zofe.

 

»Warten Sie, bitte, einen Augenblick«, sagte Margaret, und als sich die Tür hinter dieser schloß: »Wer ist denn das?«

 

»Ein Mann, den ich nicht zu sehen wünsche, und den Sie nicht sehen dürften. Ein Verbrecher, der Mann, der an jenem Abend in Ritz-Carlton verhaftet worden ist. Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, so empfangen Sie ihn nicht.«

 

Sie zögerte.

 

»Wenn er Luke kennt«, begann sie.

 

»Er kennt ihn nicht – das ist doch nur ein Trick, um an Sie heranzukommen. Höchstwahrscheinlich will er Geld haben, und er ist ein ziemlich gefährlicher Mensch.«

 

»Dann wäre es doch besser, Sie würden dabei sein, wenn ich ihn empfange«, warf Margaret ein und sah an seiner Verwirrung, daß ihm dieser Vorschlag keineswegs angenehm war. »Ich möchte doch lieber mit ihm sprechen. Wollen Sie, bitte, unterdessen in dem kleinen Salon warten?«

 

Margaret, in einer solchen Stimmung, war nicht zu beeinflussen; verdrossen folgte er ihrer Aufforderung und war in dem nebenliegenden Raum, als er den schnellen Tritt des Gunners an der Tür vorbeigehen hörte.

 

Margaret war auf die Art von Mann, der jetzt den Salon betrat, keineswegs vorbereitet. Das tiefgebräunte Gesicht mit seinen scharfen Zügen, eine verfeinerte Kultur, die über dem ganzen Mann lag, hatte sie nicht erwartet.

 

»Sind Sie Mrs. Maddison? … mein Name ist Haynes – der Polizei bin ich als Gunner Haynes bekannt. Neben anderen Sachen beschäftige ich mich auch mit Juwelendiebstahl«, waren seine Worte.

 

Seine Stimme war ruhig, als ob er sich als Mitglied einer sehr ehrenwerten Kaufmannsgilde vorstellte.

 

»Ich bin einmal mit Ihrem Gatten zusammengetroffen, und er versuchte, mir einen Dienst zu leisten – ich würde gern dasselbe ihm gegenüber tun, Mrs. Maddison.«

 

Sie nickte.

 

»Mr. Danton Morell ist ein Freund Ihres Hauses?« fragte er. »Ja«, antwortete sie kühl. »Warum?«

 

Sie sah, wie es um seine Lippen zuckte.

 

»Ich wollte es gern wissen … Mrs. Maddison, würden Sie es für eine große Impertinenz meinerseits halten, wenn ich Sie fragen würde, warum Ihr Gatte Sie verlassen hat?«

 

Sie blickte ihn fest an.

 

»Würden Sie es für eine solche halten?« antwortete sie ruhig und sah, wie er leise lächelte.

 

»Es würde noch etwas mehr als impertinent sein. Und doch, Mrs. Maddison, habe ich ein weitgehendes Interesse für die Angelegenheiten Ihres Mannes. Ich habe sicher viele schlechte Eigenschaften, aber Undankbarkeit ist nicht darunter. Ihr Gatte machte sich die Mühe, mich zu warnen, und zwar in einem Augenblick, wo er wußte, die Polizei war auf dem Wege, mich zu verhaften. Wenn es jemals einen aufrechten und anständigen Menschen gegeben hat, so war es Luke Maddison. Ich hätte eine solche Frage nicht an Sie richten und noch weniger eine Antwort darauf erwarten dürfen. Das einzige, was ich brennend gern erfahren möchte, ist: Haben Sie eine Ahnung, wo sich Ihr Mann aufhält?«

 

»Wollen Sie ihn sehen?« sagte sie herausfordernd.

 

Er schüttelte den Kopf.

 

»Nein, aber ich würde gern genau wissen, wo er ist. Ich habe einen ganz besonderen Grund dafür. Ist er in London?«

 

»Im Augenblick ist er in Spanien«, entgegnete sie, »aber ich bin leider nicht in der Lage, Ihnen seine Adresse geben zu können.«

 

»Und Mr. Morell – ist er auch in Spanien? Verzeihen Sie, bitte, Mrs. Maddison, aber wenn ich einen Grund für die erste Frage habe, so bitte ich Sie, mir zu glauben, daß ich einen doppelt wichtigen Grund für die zweite habe. Morell gehört zu jener Art Männer, die keine Dame kennen sollte –«

 

Sie ging an den Tisch und drückte auf einen kleinen Onyx-Klingelknopf. Der Gunner lächelte.

 

»Das bedeutet natürlich, daß Sie mich hinauswerfen, und ich kann Ihnen nicht unrecht geben. Ich befürchte, ich habe dies Interview in jeder Beziehung verfahren, und ich hatte doch die Absicht, so diskret und diplomatisch wie möglich zu sein. Vor allen Dingen wollte ich nur wissen, wo Mr. Maddison ist –«

 

»Und darauf habe ich Ihnen bereits geantwortet«, sagte sie, als die Zofe auf der Türschwelle erschien.

 

»Was nun Danty Morell betrifft –« begann er.

 

Ihre Hand wies auf die Tür.

 

»Ich liebe es nicht, über meine Freunde zu sprechen – nicht einmal mit den eigenartigen Bekannten meines Mannes«, fiel sie ein und hörte ihn noch leise wie über einen guten Witz vor sich hin lachen, als er die Treppe hinabging.

 

Sie wartete, bis sie die Haustür zufallen hörte, und ging dann in den kleinen Salon, den sie leer fand. Von der Zofe erfuhr sie, daß Danty wenige Minuten nach der Ankunft Gunner Haynes fortgegangen wäre. Danty war kein Mann, der sich einem unnötigen Risiko aussetzte.

 

Sie hatte im Westend verschiedene Besorgungen zu erledigen und gab am späten Nachmittag ihrem Chauffeur die Weisung, durch den Park zu fahren. In der Nähe von Marble Arch ließ sie den Wagen halten und stieg aus. Sie wollte einige Augenblicke in der Einsamkeit des Parkes spazierengehen. Hier konnte sie ruhiger und klarer nachdenken.

 

Langsam schlenderte sie den Weg entlang, der neben dem großen Fahrweg herläuft, und sah einen Wagen auf der anderen Seite der Straße heranrollen. Ein elektrisches Coupé mit zwei Insassen: ein blendend schönes Mädchen, hochelegant gekleidet. Neben ihr, das Gesicht halb unter einem breitkrempigen Filzhut verborgen, ein bärtiger Mann von auffallendem Äußeren. Wenige Schritte vor Margaret gingen ein großer, starker Mann und ein hübsches junges Mädchen. Als sie an ihnen vorbeischreiten wollte, hörte sie den Mann sagen:

 

»Sehen Sie sich mal die elegante Dame da an! Das ist Jean Gurlay – eine der vollkommensten Hochstaplerinnen Londons.«

 

Sie erkannte den Spatz und seine Begleiterin und setzte sich auf eine Bank, da sie nicht wünschte, von den beiden gesehen zu werden. Ihre Augen folgten neugierig dem eleganten Wagen. Sie sah, wie er langsam wendete und auf ihrer Seite auf sie zukam, und beobachtete gleichgültig das hübsche Mädchen und den bärtigen Mann, dessen Kopf seiner Begleiterin zugewandt war. Als sie dicht an ihr vorbeifuhren, hörte sie den Mann sagen:

 

»Das ist alles so unklar. Was soll das eigentlich bedeuten?«

 

Im selben Augenblick war sie aufgesprungen – Blaß, an allen Gliedern zitternd. Sie hatte die Stimme des bärtigen Mannes erkannt – es war Luke!