Philosophie Wörterbuch

Aequivok

Äquivokation

Als Äquivokation bezeichnet man eine Aussage, bei der ein äquivoker Begriff zu Mißdeutungen führen kann, z. B. Die Birne ist rot, kann eine Frucht aber auch eine Glühbirne meinen.

Die Äquivokation kann die Grundlage eines logischen Fehlschlusses sein, wenn ein äquivoker Begriff in verschiedener Bedeutung verwendet wird.

Afortior

A fortiori

A fortiori (lat., um so mehr, in noch größerem Maße) nennt man einen Modus des Potenzschlusses. Er hat die Form:

A ist größer als B
B ist größer als C
A ist größer als C

Alexandros von Aphrodisias berichtet, dass bereits Chrysippos diesen Modus kannte.

Agrippa

Agrippa’s Trilemma

Agrippa’s Trilemma heißt das Argument gegen die Vollständigkeit jeder Begründung.

Soll eine Begründung vollständig sein, müsste n die begründenden Behauptungen auch begründet werden können. Es gibt nur drei gleichfalls inakzeptable Möglichkeiten:

  1. Wir enden in einem unendlichen Regreß der Begründung.
  2. Wir bekommen einen Zirkelbeweis, demzufolge wir annehmen, was erst bewiesen werden soll.
  3. Wir enden mit der dogmatischen Annahme der Wahrheit einer Behauptung, ohne diese zu begründen.

Agrippa’s Trilemma wird auch als Fries’s Trilemma, als Münchhausentrilemma, als erkenntnistheoretisches Regreßargument oder als epistemisches Regreßproblem bezeichnet.

Das Trilemma wird im Skeptizismus als Argument des unendlicher Regreß der Rechtfertigung verwendet.

Akademie

Akademie

Die Bezeichnung Akademie leitet sich von dem Bezirk des Heros Akademos in Athen ab, wo Platon in seinen Gärten die Schüler versammelte.

Von Platon 388 v.u.Z. nach dem Vorbild des pythagoreischen Bundes gegründet, hat die Akademie die rechtliche Stellung einer Genossenschaft.

Ihre Mitglieder entrichteten monatliche finanzielle Beiträge.

Lehrer und Schüler wohnten gemeinsam in den verschiedenen Häusern des Anwesens. Lehrveranstaltungen und Disputationen erfolgten nach festgelegten Lehrplänen.

Ursprünglich zur Lehre der platonischen Philosophie gegründet unterlag die Akademie in ihrer fast 1000-jährigen Geschichte vielen Wandlungen, war aber das Zentrum des Platonismus ihrer Zeit.

Der alten Akademie (388 – 270 v. u. Z.) stand Platon bis zu seinem Tod 347 v. u. Z. selber vor. Die Leitung der Akademie (Scholarchat) und die Verwendung ihres Vermögens übertrug Platon testamentarisch seinem Neffen Speusippos, später wurde sie durch Wahl bestimmt.

Leiter der Akademie in dieser Zeit waren nach Speusippos auch Xenokrates, Polemon und Krates.

Außerdem sind Platons Schülerinnen Axiothea aus Phlius und Lasthenia aus Mantinea sowie Krantor der alten Akademie zuzurechnen.

Speusippos und Xenokrates setzten die mathematisch ausgerichteten logischen und metaphysischen Spekulationen des späten Platon fort und verbanden diese zum Teil mit der pythagoreischen Tradition. Im Anschluß an Platons mathematische Kosmologie und seine mündlich überlieferte Lehre konzentrierte man sich u. a. auf die Festlegung formaler metaphysischer Grundprinzipien.

Später verlagerte sich das Interesse von der abstrakten Metaphysik auf die Ethik. Diese Entwicklung wirkte u. a. auf die ältere Stoa.

Die mittlere Akademie (etwa 270 bis 150 v.u.Z.) enstand, als Arkesilaos die Leitung übernahm.

Sie vollzog eine Abkehr von der platonischen Philosophie, indem sie mit Argumenten von Pyrrhon und z. T. der Sophistik eine Erkennbarkeit der Wirklichkeit bestritt. Da es kein Wahrheitskriterium gäbe, sei die Zurückhaltung jedes Urteils über die Wirklichkeit notwendig (epoche). Für das menschliche Handeln hielt die mittlere Akademie bloße Wahrscheinlichkeit für ausreichend.

Die neuere Akademie (etwa von 150 v.u.Z. bis 529 u.Z.) wurde von Karneades gegründet. Sie begann mit der Sammlung und Ausarbeitung aller skeptischen Argumente gegen eine Erkenntnis der Wirklichkeit und unterzog alle bedeutenden Philosophen einer skeptischen Kritik. Ihr Kampf gegen die Teleologie und den Gottesbegriff der Stoa führte z.T. zu atheistischen Gedankengänge.

Nachfolger von Karneades war Kleitomachos.

Unter Philon von Larissa kam es zum Bruch mit dem Skeptizismus.

Mit der Übernahme der Leitung durch Antiochos von Askalon (ca. 88-68 v. u. Z.) begann die eklektische Phase der Akademie. Die Akademie begann vor allem auf dem Gebiet der Ethik aristotelische, platonische, pythagoreische und stoische Gedanken zu vereinen.

Anhänger dieses Eklektizismus waren u. a. Cicero und Terentius Varro sowie wahrscheinlich auch Caerellia. In dieser Zeit war auch Simplikios an der Akademie.

529 wurde die Akademie durch Justinian geschlossen.

Als Fortsetzer der Akademie betrachtete sich die platonische Akademie von Florenz, die 1459 gegründet wurde und deren Tätigkeit die Renaissancephilosophie wesentlich beeinflußte.

Seither werden mit Akademie gelehrte Gesellschaften und bestimmte wissenschaftliche Institutionen bzw. Bildungseinrichtungen bezeichnet.

Akadphil

Akademisch-Philosophischer Verein zu Leipzig

Über den Akademisch-Philosophischen Verein zu Leipzig ist nicht viel bekannt. Paul Barth, der von 1876 bis 1881 in Leipzig war, schreibt:

"Sehr viel auch verdanke ich dem schon genannten Philosophischen Verein, den ich zu meiner großen Freude in Leipzig vorfand, dessen Mitglied ich sofort wurde und bis zum Ende meiner Studienzeit blieb. In heißen Debatten wurden dort alle Probleme der Philosophie sowie die jeweiligen Zeitfragen erörtert, und zwar desto fruchtbarer, weil wir einen älteren Studenten unter uns zählten, Moritz Wirth, der schon im Mannesalter stand, darum Autorität hatte und durch sein vielseitiges Wissen und seinen logischen Scharfsinn immer wieder zu befestigen wußte, der in dieser Erziehung der jüngeren seine Aufgabe sah und sich ihr mit großem Eifer widmete." [1]

Paul Barth berichtet, dass er im Sommer 1876 einen Vortrag zu Hegels Philosophie der Geschichte vor diesem Verein hielt.

Literatur

  • Paul Barth. In: Die Philosophie der Gegenwart in Selbstdarstellungen. Leipzig 21923, 1 – 20


[1] Paul Barth. In: Die Philosophie der Gegenwart in Selbstdarstellungen. Leipzig 21923, 2

Akt

Akt

Akt (lat. actus) ist die scholastische Übersetzung des Begriffs energeia bei Aristoteles.

Der Akt ist die Tätigkeit, durch die eine Fähigkeit aktualisiert wird, oder die Verwirklichung einer Möglichkeit (vgl. dynamis/energeia). Gegenüber der Antike erfährt Akt bei Thomas von Aquin eine wesentliche Erweiterung, da das Wesen des endlichen Seienden als Potenz aufgefaßt wird, die zu ihrer Verwirklichung auf eine Wirklichkeit angewiesen ist, die ihrerseits reine Wirklichkeit, actus purus, einziger unendlicher Geist, ist.

Die Unterscheidung von Akt und Potenz (dynamis, potentia) stützt sich auf sachliche und begriffliche Gründe.

Sachlich ist die Differenz dadurch motiviert, dass eine Potenz rein für sich existent statuiert werden kann, unabhängig vom Akt, oder, wenn sie mit bzw. im Akt statthat, als diesen in seinem Bestand (ontisch) ermöglichend bzw. fundierend ausgewiesen scheint. Die begriffliche (logische) Differenz von Akt und Potenz scheint somit fachlich fundiert.

Es ist bezweifelt worden, ob die Differenz gerechtfertigt ist, da ein Akt seine Möglichkeit einschließt, ein wechselseitiges, nicht notwendigerweise aber ein sachlich (ontisch) reziprokes Verhältnis der Termini vor. Eine Potenz für sich kann nicht eigentlich bestehen, sie ist (nach Aristoteles) anzusiedeln zwischen Sein und Nichtsein und sie entzieht sich direkter Wahrnehmung. Sie ist spezifisch auf denjenigen Akt verwiesen, in dem sie erst zur Realisierung kommt.

Damit kann das Problem auf die Unterscheidung von möglichem und wirklichem Akt.

Ein bloß möglicher Akt ist eigentlich kein Akt und kann als nichtrelevant betrachtet werden. Ein verwirklichter Akt ist jedoch konstatierbar, auch ohne besonderen Ausweis der ihm zugeschriebenen inhärenten Möglichkeit oder Fähigkeit.

Immer wenn ein Akt stattfindet, ist seine implizite Möglichkeit mit dem präsent und kommt nur in ihm, in einseitiger Abhängigkeit von ihm zur Erfüllung; sie kann mithin nicht real, sondern nur durch begriffliche Unterscheidung als von ihm getrennt betrachtet werden.

Bei Husserl ist Akt ein intentionales Erlebnis, das auf einen Gegenstand gerichtet ist im Gegensatz zum Sinneseindruck, der bloß das Erlebnismaterial (griech. hyle) für das Gegenstandserlebnis bedeutet. Mit der Verwendung des Begriffs Akt bekundet Husserl, dass die Gegenstandserfahrung eine Tätigkeit enthält.

Abstrbeg

Abstrakter Begriff

Ein Begriff, in dem nicht ein bestimmter Gegenstand als solcher widergespiegelt wird (vgl. konkreter Begriff), sondern irgendeine Eigenschaft von Gegenständen, die gedanklich getrennt wurde, z. B. das Weiße, Mut, Schwere. Abstrakte Begriffe sind Individualbegriffe oder allgemeine Begriffe.

Absurdum

Reductio ad absurdum

Als reductio ad absurdum oder Zurückführung auf Sinnloses buw. reduction ad impossible oder Zurückführung auf eine Unmöglichkeit bezeichnet man die Widerlegung einer Behauptung durch den Nachweis, dass in ihr ein logischer Widerspruch enthalten ist. Gezeigt wird, dass die Annahme ihrer Gültigkeit zu einem Widerspruch mit gesicherten Thesen führt.

Man findet diese Argumentationsfigur in der Philosophiegeschichte unter anderem bei den Sophisten, bei Sokrates und bei den Eristikern.

Abtreib

Abtreibung

Einordnung des Problems

Die Abtreibung ist nach wie vor ein zentrales Problem der medizinischen Ethik.

Eine präzise Trennung der Abtreibungsproblematik von der Euthanasisproblematik ist nicht möglich, aber wohl auch nicht nötig.

In vielen Punkten eng verwandt mit der Abtreibungsproblematik ist die Diskussion um die In-Vitro-Fertisilation.

Die Argumente für die Abtreibung laufen gewöhnlich darauf hinaus, zu zeigen, dass die Argumente für die Abtreibung inkonsistent sind. Aber selbst wenn alle bisherigen Theorien gegen die Abtreibung inkonsistent wären, wäre das zwar ein Indiz, aber keine Begründung für eine Position, die Abtreibungen zulässt.

Die konservative Position

Die konservative Position lässt sich wie folgt rekonstruieren:

  1. Es ist unrecht, ein unschuldiges menschliches Wesen zu töten.
  2. Ein menschlicher Fötus ist ein unschuldiges menschliches Wesen.
  3. Also: Es ist unrecht, ein menschliches Fötus zu töten.

Häufig wird versuch diese Position mit einer Ablehnung der zweiten Prämisse zurückzuweisen. Dagegen halten die Vertreter der konservativen Position das Sorites-Argument, man solle doch zeigen, wann menschliches Leben beginnt, man solle einen Punkt aufzeigen der eine moralisch bedeutsamen Zäsur markiert. Argumente zur Auflösung das Sorites-Paradox sind daher immer auch für die Abtreibungsdebatte wichtig.

Als Thesen für eine solche Zäsur sind vorgeschlagen worden:

  1. Geburt
  2. Lebensfähigkeit
  3. Bewegung des Fötus
  4. Einsetzen des Bewußtseins
  5. Befruchtung der Eizelle

Die Befruchtung der Eizelle diskutiere ich im Zusammenhang mit der In-Vitro-Fertilisation.

Gegen die Geburt als Kriterium kann vor allem das Sorites-Argument selbst herhalten. Die Geburt als Kriterium ist kaum nachzuvollziehen, da sich das Kind kurz vor der Geburt und das nach der Geburt kaum voneinander unterscheiden und in beiden Fällen die gleiche Fähigkeit hat Schmerz zu empfinden. Der wesentlichste Unterschied ist, ob es zu sehen ist oder nicht (und selbst dieser Unterschied ist bei der heutigen Technik keiner mehr). Folglich ist dieses Kriterium keines.

Das Kriterium der Lebensfähigkeit soll diesem Gegenargument standhalten. Wir wollen diese Position die Position der Lebensfähigkeit nennen. Dem Kriterium der Lebensfähigkeit ist entgegengehalten worden, dass sich die Zeit ab der der Fötus außerhalb des Mutterleibs überleben kann, mit der Entwicklung der medizinischen Technik und der medizinischen Erkenntnisse verändert hat. Aber dies ist kein Einwand, sondern nur eine Bemerkung, die auf die Konsequenz einer solchen Position hinweist: Mit Entwicklung der medizinischen Technik müsste n Vertreter dieser Position auch eine Änderung des spätestens Abtreibungszeitpunktes annehmen. Aber dies können Vertreter dieser Position ja durchaus zugestehen. Die Position scheint damit konsistent vertretbar. Die Vertreter die Position müßten allerdings auch einen Unterschied zu verschiedenen Orten (wegen der unterschiedlichen Ausstattungsstandards) akzeptieren.

Letzteres führt allerdings zu einigen Problemen, da sich, wenn Schwangere von einem Ort zum anderen reisen, sich die Situation für das Ungeborene ändert.

Ein weiteres der diskutierten Kriterien für den Schwangerschaftsabbruch war die Bewegung des Fötus. Dabei macht es durchaus einen Unterschied, ob man den Zeitpunkt wählt zu dem die Mutter die Bewegung spürt oder der Zeitpunkt zu dem sich der Fötus bewegt (wann letzteres der Fall ist ließ sich nun auch wiederum verschieden bestimmen, mit weitreichenden Konsequenzen für die Entscheidung). Die Frage ist zudem, ob eine solche Ansicht nicht konsequenterweise zur Diskriminierung von Menschen mit fehlendem physischen Bewegungsvermögen führt. Aber dies sind alles keine brauchbaren Argumente gegen die Bewegungsthese, sondern nur Aufforderungen diese These zu präzisieren.

Das Kriterium des Bewußtseins ist etwas außer Mode gekommen, da unklar ist, ab wenn der Fötus in der Lage ist, Schmerz zu empfinden und erst recht, ab wann man ihm Bewußtsein zusprechen kann. Allein dies sind keine Argumente gegen das Kriterium, sondern ein Forschungsprogramm.

Die Folgen restriktiver Gesetze

Es gibt einige Argumente, die nicht die 2. Prämisse der konservativen Position angreifen, sondern aus eigener Motivation den Schwangerschaftsabbruch rechtfertigen.

Das erste Argument lautet: Gesetze gegen die Abtreibung verhindern die Abtreibung nicht, sondern drängen sie lediglich in den Untergrund. Sie gehen zu Kurpfuschern oder versuchen es mit primitiven Mitteln selbst. Daher besteht die Wirkung des Verbots von Schwangerschaftsabbrüchen in der Zunahme von Schwierigkeiten und Gefahren für Frauen mit ungewollten Schwangerschaften.

Dieses Argument wird übrigens auch in der Diskussion der Drogenproblematik gerne gebraucht.

Man beachte, dass sich dieses Argument gegen ein rechtliches Abtreibungsverbot richtet, jedoch die Abtreibung keineswegs moralisch rechtfertigt oder verwirft. Somit betrifft dieses Argument die Abtreibungsgesetzgebung, nicht aber die Moral des Schwangerschaftsabbruchs.

Es ist weder ein Argument gegen die konservative Position, noch eines gegen die Position der Lebensfähigkeit, die Bewegungsposition oder die Bewußtseinposition.

Abtreibung ist nicht Gesetzessache

Es gibt ein weiteres Argument für die Abtreibung, nämlich jenes, das die Gesetzgebung sich in diesem Punkt nicht in das Leben einzumischen habe.

Dieses Argument findet sich in allgemeinerer Form schon bei Mill. Dieser schreibt:

"Daß der einzige Zweck, zu welchem über irgendein Mitglied eines zivilisierten Gemeinwesens gegen dessen Willen rechtmäßig Macht ausgeübt werden darf, darin besteht, andere vor Schaden zu schützen […]. Niemand kann rechtmäßig gezwungen werden zu handeln oder nicht zu handeln, weil es für ihn besser wäre, weil es ihn glücklicher machen würde, weil es nach der Meinung der anderen weise oder sogar richtig wäre."

Diejenigen die Abtreibung für ein Verbrechen ohne Opfer halten, sagen also

  1. dass jeder Mensch in bezug auf Abtreibung so denken und handeln kann wie ihm beliebt,
  2. kein Teil des Gemeinwesens versuchen sollte, andere zu zwingen, sich seiner besonderen Sichtweise anzuschließen.

Dieses Argument krankt daran, dass noch zu zeigen wäre, dass es sich hier um ein Verbrechen ohne Opfer handelt. Dieses Argument mag bei der Homosexualität arbeiten, im Falle der Abtreibung funktioniert es aber nicht, solange diese Voraussetzung nicht gezeigt und damit die Debatte am alten Punkt angelangt ist.

Oder sagen wir es präziser, dieses Argument ist bisher nicht besser (und nicht schlechter) begründet als die konservative Position, die Position der Bewegungsfähigkeit, die Position der Überlebensfähigkeit und die Bewußtseinsposition.

Nebenbei bemerkt irrt Mill wenn er sagt

" Niemand kann rechtmäßig gezwungen werden zu handeln oder nicht zu handeln, weil es für ihn besser wäre, weil es ihn glücklicher machen würde, weil es nach der Meinung der anderen weise oder sogar richtig wäre."

Das Bevormundungsparadoxon zeigt gerade, dass aus den utilitaristischen Prinzipien die ethische Verpflichtung zur Bevormundung folgt.

Das Thomson-Argument

Das hier zur Debatte stehende Argument besagt, dass die Frau ein Recht darauf hat, zu entscheiden, was mit ihrem eigen Körper geschieht.

Das Argument lässt sich gut mit einer Analogie von Judith Jarvis Thomson veranschaulichen, die auch Grundlage des Thomson-Paradoxon ist:

Stell dir vor – so Thomson – du wachst eines Morgens auf und befindest dich in einem Krankenhausbett, und im Bett neben dir liegt ein bewusstloser Man, an den du irgendwie angeschlossen bist. Man erzählt dir, dieser Mann sei ein bekannter Geiger mit einem Nierenleiden. Er könne nur überleben, wenn sein Kreislauf an das Kreislaufsystem eines anderen Menschen mit derselben Blutgruppe angeschlossen werde, und du bist die einzige Person, deren Blut geeignet ist. Deshalb hat dich eine Gesellschaft von Musikliebhabern gekidnappt, die Operation des Ankoppelns vollziehen lassen, und da bist du nun. Da es sich um ein renommiertes Krankenhaus handelt, könntest du jetzt, wenn du dich dafür entscheidest, einen Arzt herbeirufen, um dich von dem Geiger abkoppeln zu lassen; aber der Geiger wird dann mit Sicherheit sterben. Wenn du dagegen für neun Monate mit dem Geiger verbunden bleibst, wird er genesen, und du kannst von ihm abgekoppelt werden, ohne ihn zu gefährden.

Thomson meint, dass du in dieser unerwarteten mißchen Situation nicht moralisch verpflichtet bist, dem Geiger die Benutzung deiner Nieren für neun Monate zu gestatten und setzt dieses Beispiel in Analogie zur Abtreibung bei Vergewaltigungsopfern.

Das interessant ist, dass in dem Thomson-Beispiel die Interessen des Geigers völlig unerheblich sind.

Peter Singer hat das Thomson-Argument auf Frauen erweitert, die durch Unwissen, Nachlässigkeit oder mangelnde Verhütung schwanger werden:

"Angenommen, du findest dich an den Geiger angeschlossen, nicht weil du von Musikliebhabern gekidnappt wurdest, sondern weil du im Krankenhaus eine kranke Freundin besuchen wolltest; doch im Lift hast du versehentlich auf den falschen Knopf gedrückt und bist in einer Abteilung gelandet, die normalerweise nur von denjenigen aufgesucht wird, die sich freiwillig zur Verfügung stellen, um an Patienten angeschlossen zu werden, die andernfalls nicht überleben würden. Ein Ärzteteam hat dich für den nächsten Kandidaten gehalten, du hast eine Betäbungsspritze bekommen und bist angeschlossen worden." [1]

Unabhängig davon weist Singer die Thomson-Beispiele zurück, weil sie nicht von den Konsequenzen ausgehen. Seiner Meinung nach muss der Entführte 9 Monate zugunsten des Stargeigers im Krankenhaus liegen und dies entspricht seiner utilitaristischen Position [2], wohl aber nicht dem Rechtsempfinden (der meisten Menschen). Damit kann er aber auch ihr Argument zugunsten der Abtreibung nicht akzeptieren. [3]

Der Streit wird also auf eine andere Bühne verschoben, nämlich auf die, ob die utilitaristische bzw. konsequentialistische Position besser ist als die von Thomson unterstellte Ethik.

Der Wert fötalen Lebens

Peter Singer hat im Gegensatz zu anderen Autoren die 1. Prämisse des konservativen Argumentes zurückgewiesen, das besagte, es sei unrecht, ein unschuldiges menschliches Wesen zu töten.

Dazu unterscheidet er zwei Fälle:

  1. mit menschlichem Leben ist gemeint, dass es um das Leben eines Mitglieds der Spezies Mensch handelt,
  2. mit menschlichem Leben ist das Leben einer Person gemeint [4].

Singer argumentiert gegen den 1. Fall, dass die bloße Zugehörigkeit zu unserer Spezies, für sich genommen ebenso unerheblich ist wie die Frage, ob es ein Mitglied unserer Rasse ist oder nicht [5].

Selbst wenn man Singer darin Recht gibt, dass die Zugehörigkeit zur menschlichen Art moralisch irrelevant ist, kann ja trotzdem das Theorem gelten Alle Vertreter menschlicher Art dürfen nicht getötet werden (das konservative Argument in der hier dargestellten Fassung schränkt noch auf alle unschuldigen Vertreter menschlicher Art ein). Dieses Theorem hat Singer nicht begründet zurückgewiesen und es ist klar, dass man, wenn man dieses Theorem annimmt auch in der Euthanasie-Problematik zu anderen Ergebnissen kommt als Peter Singer, aber das machen die Vertreter der konservativen Position ja auch. Die Art wie heute ethische Theorien laufen (und vielleicht ist dies auch wegen des drohenden naturalistischen Fehlschlusses notwendig) legt nahe, dass man eine ethische Theorie nur zurückweisen kann, indem man ihr Inkonsistenten nachweist, gerade dies gelingt Singer hier aber nicht.

Im 2. Fall argumentiert Singer, dass man nicht sinnvoll behaupten kann, dass der Fötus eine Person ist (nach seiner Definition rational oder selbstbewusst ist) [6].

Nun werden die Föten in der Personentheorie häufig zu den Quasi-Personen gezählt (wozu nicht nur Menschen zählen müssen) und man kann in der 1. Prämisse des konservativen Argumentes menschliches Leben als Person oder Quasi-Person lesen und Singers Argument sticht ins Leere. Von meinen Einwänden gegen Singers Argumentation unabhängig ist klar, dass man, wenn man das konservative Argument in dieser Variante und einige der Argumente aus Singers Tierethik akzeptiert, nicht konsistent zugleich Lebensschützer und Fleischesser sein kann. Aber dies muss kein Argument für die Haltung bezüglich der Abtreibung, sondern es kann durchaus ein Argument gegen das Fleischessen der Lebensschützer sein.

Der Fötus als potentielles Leben

Wir hatten darauf verwiesen, dass zumindest im 2. Fall von Singer nicht berücksichtigt wird, dass es sich um eine Quasi-Person handeln könnte. Der Vorwurf ist nicht ganz korrekt, denn implizit wird von ihm bei der Diskussion um den Fötus als potentielles Leben, dieser Fall berücksichtigt.

Singer schwächt das konservative Argument zunächst ab. Es entsteht folgendes Argument:

  1. Es ist unrecht, ein potentielles menschliches Wesen zu töten.
  2. Ein menschlicher Fötus ist ein potentielles menschliches Wesen.
  3. Also: Es ist unrecht, einen menschlichen Fötus zu töten. [7]

Singer argumentiert nun gegen die 1. Prämisse und verweist unter anderem darauf, dass es auch im Rechtsleben Fälle gibt, wo man erst ein Recht zu einem bestimmten Zeitpunkt erfüllt bekommt (z. B. die Rechte eines Königs) und zum anderen es einen Unterschied macht ob man ein lebendes Huhn oder ein Hühnerei in kochendes Wasser wirft. [8]

Die Verwendung von Föten für medizinische Zwecke

Eng mit der Abtreibungsdebatte hängt das Problem der Verwendung von Föten für medizinische Zwecke zusammen. Im Vergleich mit Erwachsenengewebe scheint fötales Gewebe nach der Transplantation besser zu wachsen, und die Wahrscheinlichkeit, dass es vom Patienten abgestoßen wird, ist geringer. Daher ist erwogen worden fötales Gewebe bei der Parkinsonschen Krankheit, bei der Alzheimerschen Krankheit, bei der Huntingtonschen Krankheit und bei Diabetes einzusetzen.

Fötales Gewebe wurde bereits für die Rettung anderer Föten angewendet, wobei z. B. ein 30 Wochen alter Fötus in utero wegen höchst bedrohlicher Störungen des Immunsystems mit Zellen von nicht ausgetragenen Föten behandelt wurde.

Die Frage ist wie die Entscheidungen solche Operationen zu machen, ethisch zu bewerten sind.

Singer hat die Auflösung der Frage an die Schmerzfähigkeit des Föten gebunden, die – nach Singer – ein wichtiges Kriterium für die Entscheidung der Frage ist, ob der Fötus Bewußtsein hat.

Vor der Empfindungsfähigkeit – so Singer –

"gibt es kaum einen vernünftigen Grund für die Annahme, dass ein Fötus vor schädigenden Eingriffen der Forschung zu schützen sei; denn dem Fötus kann kein Schaden zugefügt werden. Nach dieser Zeit freilich muss der Fötus vor Schaden geschützt werden, und zwar aus demselben Grund, der für empfindungsfähige, nicht-selbstbewusste, nichtmenschliche Lebewesen gilt." [9]

Aus der Perspektive von Singer sind damit Schwangerschaftsabbrüche bis zur 18. Woche moralisch unbedenklich.

"Selbst zu einem späteren Zeitpunkt vorgenommen und mit Schmerz verbunden, könnten Schwangerschaftsabbrüche gerechtfertigt werden, wenn sich dadurch größeres Leiden verhindern ließe, etwa indem das Leben eines Kindes gerettet werden könnte, das an einer Störung des Immunsystems leidet oder indem man einer älteren Person die Parkinsonsche oder Alzheimersche Krankheit erfolgreich behandeln könnte." [10]

Die Einzigkeit des Lebens

In den Argumenten gegen die Schwangerschaftsabbrüche wird häufig auch auf die Einzigkeit des Föten hingewiesen.

Es ist die Frage, was dieses Argument soll. Es hat z. B. die interessante Konsequenz, dass man für Genexperimente sein muss, weil sie neue einzigartige Lebewesen hervorbringen.

Es hat aber auch die Konsequenz, dass Verhütungsmittel genauso verwerflich sind. Wer also dieses Argument benutzt, muß auch gegen Verhütungsmittel jeder Art sein. Nun gibt es solche Positionen. Nicht zuletzt der Papst lässt zuweilen behaupten, dass er eine solche Position habe.

Eine solche Position spricht dagegen konsequenterweise (und interessanterweise) nicht gegen die Abtreibung von einem von zwei eineiigen Zwillingen.

Interessanterweise lässt diese Position auch zu, dass man einer Frau eine Zelle des nicht ausgetragenen Fötus entnimmt, um ihn ihr zeitlich später wieder in ihren Uterus zu implantieren. Es ist unwahrscheinlich, dass die Vertreter der Einzigkeitsargumentes diese Konsequenz teilen, wenn sie dies aber tun, ist ihre Position wohl konsistent.

Die Form des Schwangerschaftsabbruchs

Vorausgesetzt Schwangerschaftsabbrüche sind in bestimmten Fällen aus ethischer Perspektive korrekt. Dann bleibt aber immer noch das Problem wie Schwangerschaftsabbrüche stattfinden. Singer hat zurecht darauf hingewiesen, dass wenn schon Schwangerschaftsabbrüche, dann so schmerzfrei für den Fötus wie möglich [11].


[1] Singer, P.: Praktische Ethik. Neuausgabe. Stuttgart 21994, 192
[2] Singer, P.: Praktische Ethik. Neuausgabe. Stuttgart 21994, 193f.
[3] Singer, P.: Praktische Ethik. Neuausgabe. Stuttgart 21994, 194
[4] Singer, P.: Praktische Ethik. Neuausgabe. Stuttgart 21994, 195
[5] Singer, P.: Praktische Ethik. Neuausgabe. Stuttgart 21994, 196
[6] Singer, P.: Praktische Ethik. Neuausgabe. Stuttgart 21994, 196
[7] Singer, P.: Praktische Ethik. Neuausgabe. Stuttgart 21994, 199
[8] Singer, P.: Praktische Ethik. Neuausgabe. Stuttgart 21994, 199
[9] Singer, P.: Praktische Ethik. Neuausgabe. Stuttgart 21994, 213f.
[10] Singer, P.: Praktische Ethik. Neuausgabe. Stuttgart 21994, 215
[11] Singer, P.: Praktische Ethik. Neuausgabe. Stuttgart 21994, 198

Adaequat

causa adaequata

Als causa adaequata (adäquate Ursache) bezeichnet man eine Ursache, die der Wirkung entspricht.