Tierethik

Einordnung der Tierethik

Die Tierethik ist Teil der praktischen Ethik, der die begründete moralische Stellungnahme zu Eingriffen des Menschen in tierisches Leben untersucht. Sie gehört damit zu Bioethik.

Unterschied zwischen Mensch und Tier

Wollen wir eine Tierethik betreiben, ist es sinnvoll, sich Klarheit über den Unterschied zwischen Mensch und Tier zu schaffen.

Eine Trennlinie zwischen Mensch und Tier zu ziehen ist schwer, aber sicher nicht unmöglich. Schließlich gibt es auch Möglichkeiten zwischen verschiedenen Tierarten zu unterscheiden.

Die Frage ist, ob es einen moralisch relevanten Unterschied gibt.

Der Gebrauch von Werkzeugen kann ein solcher Unterschied nicht sein, denn man fand Galapagos-Inseln Spechte die einen Kaktusdorn verwenden, um Insekten aus Baumspalten herauszustochern.

Auch die Schaffung von Werkzeugen kann ein solcher Unterschied nicht sein. Jane Goddall hat nämlich herausgefunden, dass Schimpansen im Dschungel von Tansania Blätter kauen, aus denen sie Schwämme machen, um Wasser damit aufzunehmen. Die Schimpansen reißen auch Blätter ab, die sie zu Werkzeugen umgestalten, um damit Insekten zu fangen.

Auch der Gebrauch der Sprache ist kein geeignetes Kriterium. Zum einen konnten Schimpansen und Gorillas die Zeichensprache der Taubstummen lernen, zum anderen können nicht alle Menschen eine Sprache gebrauchen.

Weitere Unterschiede die diskutiert wurden sind Selbstbewusstsein und Autonomie. Aber auch die vielen anderen Versuche mit den versucht wird, zu bestimmen wann jemand eine Person ist, kommen als Kriterien in Frage.

Singer hat zu zeigen versucht, dass auch Tiere Personen sein können [1], doch seine Argumentation ist nicht sehr schlüssig, da es ihm nicht gelingt, zu zeigen, dass sie Selbstbewusstsein haben, Selbstbewußsein aber seiner Meinung nach eine Bedingung für das Personsein ist.

Bei diesen lassen sich am ehesten Unterschiede zwischen Mensch und Tier zeigen.

Das Problem ist jedoch zu erklären warum die Unterschiede – wenn es denn welche sind – moralisch relevant sind.

Speziesismus

Der Begriff Speziesismus ist ein Begriff, der in polemischer Absicht den Begriffen Rassismus und Sexismus nachgebildet wurde. Der Vertretern des Speziesismus wird ein Art-Chauvinismus oder Art-Egoismus vorgeworfen, weil sie die Angehörigen anderer Arten gegenüber den Menschen (moralisch) diskriminieren würden.

Es wird ein unqualifizierter und ein qualifizierter Speziesismus unterschieden.

Der unqualifizierte Speziesismus hält die Zugehörigkeit zur menschlichen Spezies per se für moralisch relavent.

Der qualifizierte Speziesismus verknüpft das biologische Gattungsmerkmal mit anderen für wertvoll gehaltenen Eigenschaften (Gottesebenbildlichkeit, Sprachbegabung, Rationalität u. a.).

Die Tierethik tritt selten als anthropozentrische Ethik, sondern zumeist als pathozentrische Ethik auf. D. h. sie geht davon aus, dass das für die Grundlegung der Ethik wichtige Gleichheitsprinzip sich auch auf die Tiere erstreckt.

Das erste Argument für eine solche These ist die Analogie zur Sklavenhaltergesellschaft. Auch die Sklaven wurden einstmals vom Gleichheitsprinzip ausgeschlossen und kaum jemand würde dies heute hoch fordern.

Für den pathozentrischen Ansatz in der Tierethik gibt es eine klassische Stelle bei J. Bentham:

"Der Tag mag kommen, an dem die übrigen Geschöpfe jene Rechte erlangen werden, die man ihnen nur mit tyrannischer Hand vorenthalten konnte. Die Franzosen haben bereits entdeckt, dass die Schwärze der Haut kein Grund dafür ist, jemand schutzlos der Laune eines Peinigers auszuliefern. Es mag der Tag kommen, da man erkennt, dass die Zahl der Beine, der Haarwuchs oder das Ende des os sacrum gleichermaßen unzureichende Gründe sind, ein fühlendes Wesen demselben Schicksal zu überlassen. Was sonst ist es, das hier die unüberwindliche Trennlinie ziehen sollte? Ist es die Fähigkeit zu denken, oder vielleicht die Fähigkeit zu sprechen? Aber ein ausgewachsenes Pferd oder ein Hund sind unvergleichlich vernünftigere und mitteilsamere Lebewesen als ein Kind, das erste einen Tag, eine Woche oder selbst einen Monat alt ist. Doch selbst vorausgesetzt, sie wären anders, was würde es ausmachen? Die Frage ist nicht: können sie denken? oder: können sie sprechen?, sondern können sie leiden?"

Um die pathozentrische Ethik von biozentrischen oder holistischen Ansätzen abzugrenzen, fordern einige Tierethiker, so z. B. Singer [2], die Fähigkeit zu leiden als Voraussetzung für die Fähigkeit, Interessen haben zu können.

Die Auszeichnung der Leidensfähigkeit gegenüber anderer Merkmale, z. B. das Geschlecht, die Fähigkeit zur Photosynthese oder zur Verdauung, die Intelligenz, die Rationalität, das Selbstbewusstsein, die Autonomie oder die Interessen wird aber zumeist nicht begründet, womit eine solche Ethik auf schwachen Füßen steht.

Dieses Argument zeigt, dass jemand Speziesist sein und trotzdem anerkennen kann, d aß Schweine oder Mäuse ebenso Schmerzen empfinden wie Menschen, es sei denn es werden bessere anti-speziesistische Argumente gefunden.

Um es deutlich zu sagen, auch wenn ich das Argument für schwach halte, bin ich doch gegen den Speziesismus.

In einem anderen, eher schwachen Sinne ist jedoch jede Ethik speziesistisch. Da jede Ethik sich darum bemüht menschliche Entscheidungen zu bewerten oder zu analysieren, ist jede Ethik in einem schwachen Sinne speziesistisch oder was ein Synomym für dasselbe ist anthroporelational.

Es gibt eine wichtige Paradoxie einer jeden Leidensethik: normale erwachsene Menschen haben geistige Fähigkeiten, derentwegen sie unter gewissen Umständen mehr leiden als Babies, geistig Behinderte aber auch Tiere.

"Würden wir etwa beschließen, äußerst schmerzhafte oder tödliche Experimente an normalen erwachsenen Menschen durchzuführen, die man wahllos aus öffentlichen Parks zu diesem Zweck entführt, so würden die Erwachsenen, die einen Park betreten, sich vor einer Entführung zu fürchten beginnen. Der daraus resultierende Schrecken wäre eine Form von Leiden, die zu den Schmerzen des Experiments hinzukäme. Dieselben Experimente würden aber bei nichtmenschlichen Lebewesen weniger Qual verursachen, weil die Tiere nicht im voraus befürchten würden. entführt und zu Experimenten mißbraucht zu werden." [3]
Ebenso würde geistig Behinderte und Babies weniger leiden. Konsequenz einer Ethik, die auf die Minimierung des Gesamtleidens zielt, wäre, dass Babies, geistig Behinderte und Tiere bevorzugt für solche Experimente benutzt werden müsste n. Dies wird aber zumindest für Babies kaum jemand einsehen. Es muss also ein Fehler in der Leidensethik vorliegen.

Es gibt verschiedene Ansätze dieser Paradoxie zu entgehen. Der erste Ansatz besteht darin zu behaupten, dass geistig behinderte Menschen, die nicht die Fähigkeiten haben, die den normalen Menschen von anderen empfindungsfähigen Lebewesen abgrenzen, trotzdem so behandelt werden sollten, als hätten sie diese Fähigkeiten, weil sie zu einer Spezies zählen, deren Mitglieder sie normalerweise besitzen.

Das Gegenargument ist dasselbe wie das Argument gegen die Ungleichbehandlung wegen genetischer Verschiedenheit.

Der zweite Ansatz ist, zu sagen, dass wir zu den Artgenossen eine besondere Beziehung haben, die wir zu den Tieren nicht haben.

Das Gegenargument ist, dass diese Position die Entscheidung zu nahe an die Gefühle bindet. Aus der Nähe unserer Gefühle zu Menschen des gleichen Volkes, können wir jedoch nicht auf den Rassismus schließen. Und: fast jeder wird es wohl ablehnen, wenn der Lehrer, die Lehrerin Kinder bevorzugt, die sie besonders mag.

Weitere Ansätze auf das Paradox zu reagieren laufen auf Argumente der schiefen Ebene hinaus.

Solche Ansätze sagen, wenn wir keinen klaren Trennstrich zwischen Menschen und Tieren in der Ethik ziehen, kommen wir auf die schiefe Bahn und das führt schließlich dazu, dass wir einige Menschen so behandeln werden wie die Tiere (Zucht von Menschen, Umgang mit geistig Behinderten wie mit Tieren usw.).

Tiere als Nahrung

Es ist die Frage zu stellen, ob – vorausgesetzt die medizinischen Erkenntnisse, dass eine vegetarische Ernährung unbedenklich ist, stimmen – es eine Rechtfertigung gibt, Tiere zu essen.

Das Problem wird besonders dort akut, wo Tiere in besonderem Maße unter leidvollen Bedingungen leben und wie Maschinen behandelt werden, die Futter in Fleisch verwandeln.

Eine Leidensethik hat das Leid durch den Genuß des Menschen abzuwägen und fällt gegen den Verzehr des Fleisches aus, dass industriell produziert wurde.

Benjamin-Franklin-Einwand

Benjamin-Franklin-Einwand hat Peter Singer den Einwand gegen den Vegetarier getauft [4], dass Tiere sich auch gegenseitig fressen. Franklin hat in seiner Autobiographie nämlich geschrieben, dass er ein Zeit lang Vegetarier war, der Verzicht auf tierisches Fleisch aber endete, als er Freunden dabei zuschaute, wie sie einen Fisch zubereiteten, den sie soeben gefangen hatten. Als der Fisch aufgeschnitten war, fand sich ein kleiner Fisch in seinem Magen.

Dieser Einwand läß sich mit folgenden Argumenten zurückweisen:

  • Viele Tiere würden verhungern, wenn sie nicht andere Tiere fressen würden.
  • Tiere sind nicht in der Lage Entscheidungen abzuwägen, können keine Wahl treffen.

Tierversuche

Ein erstes Argument gegen Tierversuche ist es, dass Tierversuche gewöhnlich gemacht werden, um Erkenntnisse über den Menschen zu gewinnen. Damit wird eine Analogie zwischen Mensch und Tier unterstellt und daher müsste n die Tiere auch wie Menschen behandelt werden.

Wird dieses Argument akzeptiert, ließen sich nur noch Tierversuche rechtfertigen, die mehr Leid vermeiden helfen als sie verursachen. Damit sind aber schon Methoden wie der Draize-Test, der LD 50-Test und viele andere Tierversuche aus dem Geschäft.

Aus einer anti-speziesistischen Perspektive lässt sich ein weiteres Argument gegen Tierversuche ableiten. Unterstellt man nämlich, dass Mensch und Tier gleich zu behandeln sind, dann könnten derart Versuche mit gleicher Berechtigung bei Waisen mit starken Gehirnschäden angewendet werden. Jeder der nicht bereit ist, solche Menschenversuche zu akzeptieren, muss, wenn er kein Speziesist ist, daher auch (zumindest die weitaus meisten) Tierversuche ablehnen.

Tiere töten

Nehmen wir an es gibt Tiere, die Personen sind und außerdem gelte ein allgemeines Tötungsverbot für Personen. Dann dürften wir diese Tiere nicht töten.

Wir wollen hier die Frage jedoch beiseite lassen, ob es Tiere gibt, die Personen sind und wollen die Frage, ob es aus ethischer Perspektive korrekt ist, Tiere zu töten für eine größere Gruppe von Tieren erwägen.

Setzen wir voraus, dass erlittener Schmerz ein Grund ist der gegen das Töten spricht, dürfen wir Tiere zumindest nicht schmerzvoll töten. Zu berücksichtigen sind in diesem Fall auch die Schmerzen der Artgenossen: der Schmerz des Partners eines Tieres (falls vorhanden), der Schmerz der Tiermutter, wenn ihr Junges getötet wird, der Schmerz der Tiergruppe, bei Tierarten, die einen solchen Schmerz empfinden.

Aus der Vorherige-Existenz-Ansicht folgt, das ein Wesen nicht getötet werden darf, wenn es in seinem Leben mehr Glück bzw. Lust empfinden wird als Leid bzw. Unlust. Aus dieser Perspektive folgt, dass Tiere unter anderem nicht getötet werden dürften, um sie zu essen.

Aus der Totalansicht, die ja allerdings aus anderen Gründen höchst problematisch ist, folgt das Gegenteil.


[1] Singer, P.: Praktische Ethik. Neuausgabe. Stuttgart 21994, 147-155
[2] Singer, P.: Praktische Ethik. Neuausgabe. Stuttgart 21994, 83
[3] Singer, P.: Praktische Ethik. Neuausgabe. Stuttgart 21994, 87
[4] Singer, P.: Praktische Ethik. Neuausgabe. Stuttgart 21994, 100
[5] Singer, P.: Praktische Ethik. Neuausgabe. Stuttgart 21994, 161