3. Kapitel. Bragelonne in England

Graf Rudolf weilte in Hampton Court, dem herrlich am Ufer der Themse gelegenen Lustschloß Karls II. Der prachtvolle Park mit den weiten Rasenflächen und imposanten Baumgruppen war der Schauplatz seiner träumerischen Spaziergänge, seiner Seufzer, seiner schwermütigen Gedanken. Kein Wunder, daß er mit seiner Vorliebe für die Einsamkeit eine interessante Figur an dem leichtlebigen Hofe Karl II. bildete, wo man in kokettem Flirt zwischen Kavalieren und Hofdamen dem Hofe Ludwig XIV. um nichts nachstand. Kein Wunder, daß sich die Damen oftmals in ihren Gesprächen mit Rudolf beschäftigten und daß er auch das Thema war, über das sich die zwei jungen Mädchen unterhielten, die an einem schönen, sonnigen Tage am Themseufer lustwandelten.

»Liebe Graffton,« rief die eine mutwillig, »wenn wir uns nach dieser Seite wenden, so kommen wir zu der Bank, wo der junge Franzose einsam sitzt und seufzt.«

»Nein, dorthin gehe ich nicht,« antwortete Miß Mary Graffton. »Doch sage mir, liebe Lady Stewart, du weißt ja um die kleinen Geheimnisse des Königs – warum ist Herr von Bragelonne in England, und was macht er hier?« – »Mein Gott,« antwortete Lady Stewart, »sein König hat ihn zu unserm König geschickt. Er hat wohl nichts Wichtiges hier zu tun. Das Schreiben, das er unserm Herrscher überbracht hat, war sehr kurz und nichtssagend – oder sehr vielsagend, wie man’s nimmt. Es lautete nämlich: ›Mein Bruder, ich sende Ihnen einen Edelmann, den Sohn eines Herrn, den Sie lieben. Behandeln Sie ihn gut und machen Sie ihm England angenehm.‹ Das habe ich über des Königs Achsel hinweg gelesen, Mary. Der König von Frankreich hat wahrscheinlich triftige Gründe, Bragelonne fernzuhalten und anderweitig – als in Frankreich – zu verheiraten.«

»Und deshalb hat Karl II. ihn also so fürstlich aufgenommen und behandelt ihn mit so großer Zuvorkommenheit?« – »Ja, und deshalb hat er dich mit ihm zusammengeführt. Du erscheinst ihm als das schönste Geschenk, das er dem Franzosen anbieten kann, du die Erbin von einer halben Million. Ich fürchte nur, Herr von Buckingham wird eifersüchtig werden.«

Als sie diese Worte sprach, trat Herzog von Buckingham, über die Terrasse schreitend, auf sie zu. »Sie irren sich, Miß Lucy Stewart, ich bin nicht eifersüchtig, wenn Miß Mary Graffton sich Herrn von Bragelonne widmet. Ja, ich bitte Sie, sich ihm jetzt wieder zu widmen, weil ich ein paar Worte mit Ihnen, Mylady, zu sprechen habe.« – Mit diesen Worten verneigte er sich vor Fräulein Graffton und ergriff dann zierlich Lady Lucys Fingerspitzen, um sie fortzuführen. Mary Graffton stand eine Weile zaudernd da, dann schritt sie quer über den Rasen zu jener Bank, auf der Rudolf von Bragelonne, in Gedanken versunken, saß.

»Man sendet mich zu Ihnen, mein Herr,« sprach sie. »Ist’s Ihnen recht?« – »Und wem verdanke ich diese Ehre, Fräulein?« fragte Rudolf. – »Herrn von Buckingham,« antwortete sie. »Sie sehen, es scheint sich alles zu verschwören, uns immer wieder und wieder zusammenzuführen. Einmal läßt der König mich bei der Tafel neben Ihnen sitzen, ein ander Mal wieder heißt Buckingham mich Sie aufsuchen. Macht man’s in Frankreich ebenso deutlich?«

»Miß Graffton, ich bin ja kaum ein Franzose,« antwortete Rudolf, ein wenig befangen, »ich habe viel in fremden Ländern gelebt, meistens im Kriegslager.« – »Und es gefällt Ihnen in England nicht?« fragte die Schöne. – Rudolf sagte nichts, erst nach einer Weile schaute er auf, erkannte wohl, daß das Fräulein eine Frage an ihn gestellt habe, und sagte: »Verzeihung, ich habe nicht gehört –« – »Man tat sehr unrecht, mich hierher zu schicken,« sagte Fräulein Mary. – »Ja, ich bin ein trauriger Gesellschafter, Gnädige. Sie langweilen sich bei mir. Aber wie kann Lord Buckingham Sie zu mir schicken – er liebt Sie doch, und Sie –«

»Nein, Buckingham liebt nur die Herzogin von Orléans,« antwortete Mary, »und ich hege auch keine Liebe zu ihm.« Rudolf sah das Fräulein erstaunt an. – »Aber dennoch hätte er mich nicht zu Ihnen schicken sollen, denn Sie lieben auch eine andere. Ihr Herz weilt in der Ferne, und kaum gönnen Sie mir das Almosen Ihres Geistes. Herr Graf, gestehen Sie es nur.« – »Ja, Fräulein, ich gestehe es,« sagte Rudolf. – Er war so schlicht und schön, sein Auge hatte so warmen Glanz, sein ganzes Wesen drückte so deutlich Freimütigkeit und festen Sinn aus, daß es einer ausgezeichneten Dame wie Mary Graffton nicht einfallen konnte, ihn für unhöflich zu halten. Sie begriff, er liebte mit der ganzen Innigkeit seines Herzens eine andere.

»Sie lieben ein Mädchen Ihrer Heimat,« sprach sie. »Weiß der Herzog von Buckingham um diese Liebe?«

»Nein? Warum sagen Sie es mir? Weil Sie glauben, ich hätte Sie vielleicht liebgewinnen können, und weil Sie viel zu sehr Edelmann sind, um einer flüchtigen Zerstreuung halber die Hand einer Dame zu nehmen. Ich danke Ihnen, Herr von Bragelonne. Wie sollte ich es Ihnen verargen, daß Sie eine Französin lieben? Bin ich doch selbst halb Französin; denn meine Mutter stammte aus Ihrem Vaterlande, Herr Graf. Ich habe auch jetzt noch eine Verwandte in Frankreich; eine Schwester. Sie ist Witwe. Marquise von Bellière – kennen Sie sie vielleicht?« Rudolf stutzte, als er diesen Namen hörte. Ja, er kannte sie dem Namen nach. Er wußte, daß sie die erklärte Geliebte des Herrn Fouquet war, und daß man von ihr erzählte, sie habe vor kurzem erst,, um den Oberintendanten aus einer argen Geldverlegenheit zu retten, all ihr Silbergeschirr und ihre sämtlichen Schmucksachen – man sagte, ihre Diamanten seien die schönsten von Paris – für anderthalb Millionen Livres an einen Goldschmied verkauft. – »Sie schreibt mir, sie liebe wieder und werde wiedergeliebt, also ist sie glücklich,« fuhr Mary Graffton fort. »Wir Grafftons haben sonst nicht viel Glück in der Liebe. Doch reden wir von Ihnen! Wer ist denn Ihre Geliebte?«

»Ein sanftes, blasses, armes Mädchen.« – »Aber wenn Sie von ihr geliebt werden, warum sind Sie so traurig?« – »Weil man mir sagt, sie liebe mich nicht mehr,« antwortete Rudolf. »Ich habe einen anonymen Brief erhalten; lesen Sie!« – Mary Graffton nahm das Schreiben, das der Vicomte schon hundertmal gelesen hatte; es lautete: »Vicomte! Amüsieren Sie sich wacker mit den Schönen in England, Sie tun recht daran, denn am Hofe Ludwigs wird die Hochburg Ihrer Liebe belagert. Bleiben Sie also für immer in London, armer Graf, oder aber kehren Sie schnell nach Paris zurück!«

»Anonym!« rief die Graffton. »Das ist gemein. Das glaubt man nie!« – »Täte ich auch nicht,« antwortete Rudolf. »Aber ich habe noch einen zweiten Brief erhalten, von einem guten, treuen Freunde. Als ich abreiste, sagte ich zu ihm: Wenn irgend etwas nicht in Ordnung sein sollte, dann schreibe mir nur die Worte: Komme zurück! Nun lesen Sie!« – Und Mary Graffton las: »Mein Freund! Ich bin verwundet und liege krank darnieder. Rudolf, kommen Sie zurück! Ihr Graf Guiche.« –

»Und was denken Sie nun zu tun?« fragte Mary Graffton. – »Ich habe den König um Urlaub gebeten. Aber der König antwortete, mein Gebieter hätte mich ja noch gar nicht zurückgerufen. Er hat recht – ich habe noch keinen Befehl zur Rückreise erhalten. Ich muß also bleiben.« – »Und Ihre Geliebte – schreibt sie Ihnen?« »Niemals.« – »O, dann liebt sie Sie nicht! Doch still, der Herzog kommt.«

Buckingham erschien am Ende der Allee und kam lächelnd näher. – »Haben Sie sich nun verständigt?« fragte er. – »Worüber?« versetzte die Graffton. – »Ueber das, was Sie glücklich und Rudolf weniger unglücklich machen könnte, liebe Mary,« antwortete der Herzog. – »Mylord, Herr von Bragelonne ist glücklich,« entgegnete Mary. »Er liebt und wird wiedergeliebt.« – »Herr von Bragelonne,« antwortete Buckingham ernst, »steht vor einer schweren Katastrophe. Er hat es mehr als jemals nötig, daß man für sein Herz Sorge trägt.«

»Mylord, ich verstehe Sie nicht!« rief Rudolf, »erklären Sie sich deutlicher! – »Nach und nach,« erwiderte Buckingham. »Doch kann ich Miß Mary sagen, was Sie noch nicht hören dürfen.« – »Sie spannen mich auf die Folter, Mylord!« entgegnete der Vicomte. – »Mylord, ja! was quälen Sie ihn? Ich habe Ihnen doch gesagt, er liebt ein Mädchen seiner Heimat,« sagte Miß Graffton.

»Er hat unrecht. Denn er liebt ein Weib, das seiner unwürdig ist,« sagte Buckingham mit jenem Phlegma, dessen nur ein Engländer fähig ist.

Miß Mary stieß einen Schrei aus; Bragelonne erbebte. »Herzog, was sagen Sie da! Ich werde keine Sekunde säumen, mir die nähere Erklärung in Paris zu holen!« rief er. – »Sie werden bleiben,« versetzte Buckingham. »Denn Sie haben kein Recht abzureisen. Man vernachlässigt königlichen Dienst nicht um eines Weibes willen.« – »So geben Sie mir Aufschluß!« – »Das will ich tun. Ich werde offen mit Ihnen sprechen.«

In diesem Augenblick erschien ein Lakai des Königs und forderte den Herzog auf, sich zu Seiner Majestät zu verfügen. Der Herzog gehorchte und fand den König vor seinem Schreibtische. – »Kommen Sie herein, lieber Buckingham,« sagte Karl II., »und machen Sie die Tür zu. Wie steht es mit unserm Franzosen?« – »Ich bin seinetwegen in Verzweiflung, Majestät,« antwortete der Herzog. »Die reizende Mary Graffton möchte ihn gern heiraten, aber er will nicht.« – »Sehr einfach, so läßt er’s bleiben,« sagte der König. – »Und dabei habe ich ihm schon angedeutet, daß seine Lavallière ihn hintergeht,« setzte Buckingham hinzu. – »Was sagte er dazu?«

»Er tat einen Sprung, als wolle er gleich über das Aermelmeer setzen,« sagte der Herzog. – »So ist er von neuem Willens abzureisen?« fragte Karl II. – »Anfangs schien es, als sei keine Macht der Erde imstande, ihn zurückzuhalten, aber Marys schöne Augen –« – »Nun, sieh, Buckingham,« unterbrach ihn der König, »niemand kann gegen seine Bestimmung. Und dieser junge Mann ist dazu bestimmt –« – »Bestimmt?« wiederholte Buckingham, »wozu?« – »Betrogen zu werden, was nichts ist, – und es mitanzusehen, was viel ist. Er kehrt nach Paris zurück.«

»Aber, Majestät, das ist ganz unmöglich!« rief Buckingham, »dieser junge Mann ist ein Löwe. Sein Zorn ist furchtbar, und wenn er sein Unglück vor Augen hat, dann wehe dem Urheber des Unglücks. Und ob es der König selbst ist, ich möchte dann nicht in seiner Haut stecken.« – »Hier lies und sage mir, was du an meiner Stelle tun würdest,« sagte Karl II. und reichte dem Herzog ein Schreiben, das ihm eben erst durch den Expreßboten aus Frankreich überbracht worden war.

Buckingham las: »Mein königlicher Bruder! Wenn Ihnen Ihre Ehre und meine Ehre und das Heil aller Unsrigen am Herzen liegt, so schicken Sie auf der Stelle Herrn von Bragelonne nach Frankreich zurück. Ihre Schwester Henriette Stuart, Herzogin von Orléans.« – »Was sagst du dazu, Villiers?« fragte Karl II. – »Nichts,« antwortete Buckingham. – »Du hast die Nachschrift nicht gelesen, Villiers. Es steht noch eine Zeile ganz versteckt am Rande.« – Buckingham sah noch einmal auf das Blatt und las die Worte: »Tausend herzliche Grüße allen, die mich lieben.« – Er erblaßte und sah zu Boden. Das Blatt Papier zitterte in seiner Hand.

»Bragelonne folge seinem Schicksal,« sprach Karl II., »wie wir dem unsern folgen mußten. Jeder trägt sein Kreuz auf dieser Welt. Ich habe sogar zwei tragen müssen, mein eigenes und das meiner Familie. Ich mache mir keine Sorgen mehr um andere Leute. Zum Teufel damit! Villiers, rufe mir den Franzosen!«

Bragelonne trat ein. »Herr Graf,« redete Karl II. ihn an, »Sie baten mich gestern um Urlaub, ich schlug es Ihnen ab mit der Begründung, der König von Frankreich habe Sie noch nicht zurückgerufen. Ich bin jetzt in der Lage, Ihrem Wunsche zu willfahren. Wenn Sie noch abreisen wollen, so können Sie es tun. Meine Erlaubnis haben Sie. Sie können heute abend noch in Dover sein. Um zwei Uhr früh ist Flut. Ich sage Ihnen also hiermit Lebewohl, Herr von Bragelonne, und wünsche Ihnen alles Glück. Empfehlen Sie mich mit herzlichen Grüßen dem Herrn Grafen de la Fère!« Er winkte huldvoll mit der Hand, Rudolf war entlassen. Buckingham folgte ihm.

In einem Vorsaal trafen sie Lucy Stewart und Mary Graffton. – »Miß Mary,« sagte Buckingham, »Herr von Bragelonne reist ab. O, bitten Sie ihn doch zu bleiben.« – »Ich werde ihn vielmehr bitten zu reisen,« antwortete Mary. »Ich gehöre nicht zu den Frauen, die mehr Stolz als Herz haben. Wenn er eine Geliebte in Frankreich hat, so kehre er dorthin zurück und segne mich dann, daß ich ihm geraten habe, treu zu bleiben. Wenn er in Frankreich nicht mehr geliebt wird, so kehre er nach England zurück, und ich werde ihn wieder lieben. Er wird durch sein Unglück in meinen Augen nichts verlieren. Das Wappen meines Hauses hat einen Spruch, nach dem ich immer gehandelt habe: »Dem Besitzenden wenig, dem Darbenden alles!«

»Ich bezweifle, Freund,« sagte Buckingham zu Rudolf, »daß Sie drüben so viel finden werden, wie Sie hier verlassen.« – »Ich hoffe wenigstens,« sagte Rudolf mit düsterer Stimme, »daß das, was ich liebe, meiner würdig ist. Ist es aber wahr, was Sie gesagt haben, und finde ich eine Unwürdige, so will ich sie aus meinem Herzen reißen, und sollte ich mir das Herz selbst mit der Liebe ausreißen!«

Nach diesen Worten verneigte er sich und ging.

»Ach, Herzog!« rief das junge Mädchen schluchzend und lehnte das Haupt an die Brust Buckinghams. »Er wird nie wiederkommen!« – »Nun denn, so sage ich Ihnen, Mary,« rief der Lord, »er findet in Frankreich sein Glück zerstört, seine Braut gehört einem andern, seine Ehre ist befleckt! Was wird ihm übrigbleiben, da er hier doch immerhin Ihre Liebe hat schätzen lernen?«

Miß Graffton sah träumerisch auf und sprach mit erstickter Stimme die Verse aus »Romeo und Julia«:

»Ich muß von hinnen und leben
Oder muß bleiben und sterben!«

Der König hatte recht gesprochen. Um zwei Uhr früh war Flut, und Rudolf von Bragelonne trat die Rückfahrt nach Frankreich an.

4. Kapitel. Frau von Chevreuse

Aramis, in seiner alten Tracht als Musketier, im malerischen Wams, mit dem Degen und dem breiten Hut – eine Erscheinung, der man den Bischof nicht ansah, – schritt in einer von Bäumen eingerahmten Allee wartend auf und nieder. Nicht lange, so fuhr ein Wagen vor, eine Dame stieg aus und wurde von einem bewaffneten Diener zu dem Chevalier geleitet. Sie hob den Schleier auf und enthüllte ein Gesicht, das nicht mehr jung und schön war, doch immer noch die stattlichen Züge einer einstmals imposanten Frau zeigte. Aramis reichte ihr graziös die Hand.

»Liebe Herzogin,« sagte er. »guten Tag!« – Es war beiden lieb, daß tiefer Schatten herrschte; sie hatten jeder für sich Ursache, ihr Mienenspiel nicht allzu deutlich zu zeigen. – »Mein lieber Aramis,« antwortete die Dame, »Sie haben seit unserm Zusammentreffen in Fontainebleau nichts mehr von sich hören lassen. Ich bekenne, es hat mich sehr gewundert, daß Sie in die Geheimnisse eines gewissen Ordens so vollständig eingeweiht waren. Sie haben mir das nicht erklärt, und wir sind doch so alte gute Freunde.«

»Werteste Frau von Chevreuse,« entgegnete d’Herblay, »trotzdem haben wir jetzt aber nicht mehr dieselben Interessen wie einstmals. Wie ist es Ihnen denn überhaupt gelungen, meine Adresse zu ermitteln?« – »Ich war neugierig, Chevalier,« antwortete Frau von Chevreuse. »Ich wollte wissen, was Sie jenem Franziskaner waren, mit dem ich zu tun hatte und der auf so sonderbare Weise gestorben ist. Als wir auf dem Kirchhof von Fontainebleau zusammentrafen, hat unsere Teilnahme für den armen Mönch uns beide so völlig unpersönlich gestimmt, daß wir ganz vergaßen, uns auszusprechen. Als wir uns getrennt hatten, tat es mir leid, und ich stellte Nachforschungen an – ich wußte ja, daß Sie ein Freund Fouquets seien, und so suchte ich Sie bei ihm.«

»Ein Freund – das sagt zuviel, Madame,« antwortete d’Herblay. »Ein armer Priester, den er begünstigt und der ihm deshalb treu ergeben ist.« – »Und den er zum Bischof gemacht hat,« fuhr Frau von Chevreuse fort; »für ihn haben Sie auch Belle-Ile zur Festung gemacht.« – »O nicht doch,« unterbrach Aramis sie lächelnd, »alles Kriegerische habe ich verlernt, seit ich ein Mann der Kirche bin.« Sie antwortete mit einem vielsagenden Lächeln. – »Genug! meinen Brief haben Sie in Saint-Mandé erhalten, wie ich sehe. Freuen wir uns gegenseitig, daß wir uns als gute alte Freunde wiedergefunden haben! Was brauche ich Ihnen da Schritt für Schritt aufzuweisen, wie ich Ihre Spur entdeckte? Sie hatten ja auch gar keine Ursache, sich vor mir zu verbergen, lieber Aramis. Und nun,« setzte sie hinzu, nachdem beide ein diplomatisches Lächeln getauscht hatten, »lassen Sie mich von der Angelegenheit sprechen, die ich mit Ihnen zu verhandeln habe.«

Er verneigte sich leicht und antwortete: »Es betrifft jenen Franziskaner, nicht wahr? Nun, was hatten Sie mit ihm?« – Sie sah ihn an, als wollte sie sagen: »Das wissen Sie jetzt jedenfalls ebensogut wie ich.« Aber sie antwortete nicht auf seine Frage, sondern stellte eine andere: »Sie wissen, daß meine Kinder mich zugrunde gerichtet haben?« – »O, welch ein Unglück, Herzogin!«

»Ja, mein Kredit ist erschöpft, bei Hofe darf ich mich nicht mehr sehen lassen, Freunde habe ich keine mehr, und wenn ich nicht eine gewisse Pension bezogen hätte –«

»Vom Orden der Jesuiten?« warf Aramis ein. – »Ja. Der General, eben jener Franziskaner, ließ sie mir auszahlen. Ohne diese Pension wäre ich der Armut preisgegeben. Dafür mußte ich nun aber zum Schein auch Dienste leisten, und ich wurde beauftragt, für den Orden zu reisen. Sie begreifen, es war nur Formalität. Dennoch reicht diese Pension nicht aus, mein Landgut Dampierre wohnlich herzurichten und aus der Hand meiner Gläubiger, die es völlig mit Beschlag belegt haben, zu lösen.« – »Und die Königin-Mutter, die Ihnen so viel Dank schuldig ist, sieht das alles gleichgültig mit an?« fragte Aramis. »Haben Sie nicht versucht, sich wieder in Gunst zu setzen?« – »Der junge König hat die Antipathie geerbt, die sein Vater gegen mich hegte. Doch weiter! Ich kam also als Reisende des Jesuitenordens nach Fontainebleau – jener Franziskaner hatte mich hinbestellt. Sie wußten doch wohl, daß er der General des Jesuitenordens war?« – »Ich habe es vermutet, Herzogin.« – »Woher kennen Sie ihn denn?« – »Ich habe mit ihm zusammen in Parma Theologie studiert – wir wurden Freunde, doch sind wir später nicht mehr zusammengekommen, bis wir uns nach vielen, vielen Jahren in Fontainebleau wiedersahen.« – »Und ganz durch Zufall?« fragte die Herzogin lauernd. »Zufällig an demselben Tage, wo so viele Reisende des Ordens dort zusammentrafen?« – »Ganz durch Zufall,« erwiderte Aramis ruhig. »Ich war zu einer Audienz beim König beschieden, die mir Herr Fouquet vermittelt hatte, und auf dem Wege begegnete ich dem Franziskaner. Ich erkannte ihn – er war sehr krank und ist ja dann auch in meinen Armen gestorben.«

»Und hinterließ Ihnen eine so große Macht,« murmelte Frau von Chevreuse, »daß Sie in seinem Namen unbeschränkte Befehle erteilen.« – »Er trug mir nur einige Besorgungen auf,« erwiderte d’Herblay. – »Auch etwas für mich?« – »Ja. Ich sollte 12 000 Livres an Sie auszahlen lassen. Sie haben die Summe doch inzwischen erhalten?« – »Allerdings. O, lieber d’Herblay, man hat mir gesagt, Sie hätten die Weisung mit einer solchen Bestimmtheit und in so geheimnisvoller Weise erteilt, daß man Sie allgemein für den Nachfolger des Generals hält.« – Aramis errötete leicht. – »Ich erkundigte mich daraufhin beim König von Spanien und erfuhr, daß jeder neue Jesuitengeneral von ihm ernannt werden und Spanier sein muß. Sie sind kein Spanier und auch nicht vom König von Spanien ernannt worden.«

»Da sehen Sie also, daß Sie im Irrtum waren,« sagte Aramis. – »Nun ja, allein ich weiß auch, daß Sie Spanisch sprechen, drei Jahre in Flandern und fünf Monate in Madrid gelebt haben. Das genügt, um berechtigt zu sein, sich in Spanien naturalisieren zu lassen, wenn man nur will, und,« setzte sie in bedeutungsvollem Tone hinzu, »ich bin gut angeschrieben beim König von Spanien.« – »Ich nicht schlecht,« antwortete Aramis trocken. »Ich danke Ihnen, Herzogin.« – Sie schwieg verdrießlich. »Ich hätte Ihnen gern einen Dienst erwiesen,« sprach sie dann, »weil ich nämlich auch an Sie eine Bitte habe. Ich brauche Geld, um die Schuldenlast zu tilgen, die auf meinem Gute Dampierre lastet.« – »Wieviel?« – »O, keine kleine Summe.« – »Schlimm! Ich bin nicht reich, wie Sie wissen.« – »Sie nicht – aber der Orden, und wenn Sie General gewesen wären –« – »Jenun, ich bin es doch einmal nicht.« – »Immerhin haben Sie Herrn Fouquet zum Freunde.«

»Herr Fouquet,« antwortete d’Herblay, der wohl wußte, daß sie nun auf den Punkt gekommen war, auf den sie die Unterredung hatte hinlenken wollen, »ist sogut wie zugrunde gerichtet.« – »Ich hörte, aber ich glaube es nicht,« erwiderte sie, »denn ich besitze einige Briefe vom Kardinal Mazarin, die über gewisse sonderbare Rechnungen aufklären, über entlehnte Gelder, verkaufte Renten, kurz, ich erinnere mich nicht genau. Nur das eine steht fest, nach diesen Briefen Mazarins hat der Oberintendant 13 Millionen der Staatskasse entnommen. Eine heikle Geschichte!«

»Solche Briefe haben Sie?« fragte Aramis, »und haben Herrn Fouquet nichts davon mitgeteilt?« – »Lieber Aramis, solche Dinge verschweigt und verwahrt man, um erst an einem Tage der Not damit herauszurücken.« – »Und dieser Tag der Not ist nun gekommen?« – »Ich verhehle es nicht.« – »Und Sie müssen, so schwer es Ihnen wird, zu dieser Hilfsquelle greifen,« fuhr Aramis fort, »um sich Geld zu verschaffen.« – »Ich brauche Geld. Doch wenn ich Böses hätte tun wollen,« sagte Frau von Chevreuse, »so hätte ich, statt den Ordensgeneral oder Herrn Fouquet um die 500 000 Livres zu bitten, die ich haben muß –« – »500 000 Livres!« rief Aramis.

»Finden Sie das viel? Soviel brauche ich für Dampierre mindestens,« antwortete die Herzogin. »Statt also Sie oder den Oberintendanten zu bitten, hätte ich bloß zur Königin-Mutter zu gehen brauchen. Mit meinen Briefen wäre ich vorgelassen worden. Und von ihr hätte ich das Geld bekommen. Woran denken Sie?« – »Ich addiere,« sagte Aramis. – »Und Herr Fouquet subtrahiert. Ich versuche zu multiplizieren. Nun, wir drei Rechenmeister,« sagte sie lachend, »werden uns doch wohl verständigen können. Antworten Sie! Ist’s ja oder nein?«

»Madame, es sollte mich sehr wundern, wenn Herr Fouquet zur Stunde noch über 500 000 Livres verfügte,« erwiderte Aramis kalt, »und sicherlich wird die Königin-Mutter für Sie tun, was der Oberintendant nicht tun kann.« – »Sie sagen also nein? Soll ich etwa selbst mit Herrn Fouquet über diese Briefe sprechen?« fragte Frau von Chevreuse, gleichwohl noch einmal einlenkend.

»Wie Sie wollen,« versetzte der Prälat. »Aber Herr Fouquet fühlt sich nicht schuldig, und wäre dies auch der Fall, so würde er zu stolz sein, es einzugestehen. Sie werden ihn mit Ihrer Drohung nur beleidigen.«

»Sie urteilen immer wie ein Engel!« sagte die Herzogin spöttisch. – »Also werden Sie Herrn Fouquet bei der Königin-Mutter denunzieren?« fragte Aramis. – »Denunzieren, o, welch häßliches Wort,« erwiderte die Chevreuse lächelnd. »Das sagt ein Diplomat? Partei nehmen gegen ihn – weiter nichts. Und bin ich bei der Königin-Mutter wieder in Gunst, so kann ich ihm allerdings gefährlich werden.« – »Herr Fouquet steht sehr gut mit dem König von Spanien, wissen Sie das?« entgegnete Aramis. – »Und infolgedessen auch mit dem Jesuitengeneral, wollen Sie sagen?« versetzte sie. »Der Orden wird mir also die Pension entziehen, die er mir bis jetzt gezahlt hat?« – »Das kann geschehen.« – »Ich werde mich zu trösten wissen,« sagte die Chevreuse. – »Es sind immerhin 48 000 Livres,« meinte der Bischof. »Und dann – Sie wissen, wenn man sich einmal mit dem Orden überworfen hat, so hat man einen schweren Stand. Wer Geheimnisse besitzt, die den Orden kompromittieren könnten, muß auf der Hut sein. Es gibt Gefängnisse, liebe Herzogin.«

Frau von Chevreuse heftete einen flammenden Blick auf Aramis. »Sehen Sie, das ist ernstlicher,« sagte sie nach kurzem Schweigen. »Ich werde mich in acht nehmen. Sagten Sie mir nicht auch, Herr Fouquet wäre schon jetzt sogut wie zugrunde gerichtet? Nach dem, was man spricht, wird er kaum zwei Monate noch Minister sein. Dennoch wäre eine Veröffentlichung der Briefe –« – »Herzogin,« schnitt Aramis ihr das Wort ab, »Sie kennen meine Meinung. Lassen Sie Gnade walten!«

Und er verneigte sich vor ihr und öffnete den Wagenschlag. Allein wenn er sie nun in der Ueberzeugung verließ, sie eingeschüchtert zu haben, so irrte er sich. Nur zum Schein hatte sie sich gefügig gezeigt. Die bejahrte Intrigantin ließ sich zu Herrn Colbert fahren. Man machte Schwierigkeiten, sie vorzulassen, denn der Bediente, der ihr ins Gesicht gesehen hatte, wußte, daß sein Herr keine alten Damen zu denjenigen Bekanntschaften zählte, von denen er Besuche in seinem Hause empfing. Da schrieb Frau von Chevreuse ihren Namen auf ein Blatt Papier – diesen Namen, der Ludwig XIII. und dem großen Kardinal oft unangenehm in den Ohren geklungen hatte. Sie schrieb ihn mit der großen schwerfälligen Schrift der vornehmen Gesellschaft jener Zeit und reichte dem Bedienten das Blatt mit so gebieterischer Miene, daß der Mann, gewohnt, feine Leute zu wittern, in ihr eine Prinzessin vermutete und sie einließ.

Als Colbert ihren Namen las, stieß er einen Schrei aus, der dem Diener verriet, daß es tatsächlich ein außergewöhnlicher Besuch sei. Er wartete daher auch nicht erst den Befehl seines Herrn ab, sondern öffnete ohne weiteres Frau von Chevreuse die Tür. Sie blieb an der Schwelle stehen und betrachtete den Mann, mit dem sie zum ersten Mal zusammenkam. Sie kannte ihn schon vom Hörensagen und fand ihn so, wie sie ihn sich nach allem, was man von ihm erzählte, vorstellte: vierschrötig, mit einem auffallend dicken, runden Kopf, dichten Brauen und einem grob geschnittnen Gesicht, das gleichwohl imponierend wirkte durch die gewaltigen Proportionen der leuchtenden Stirn. »Ich habe da meinen Mann gefunden,« das war der Eindruck, den sie von ihrer Musterung gewann.

Sie trat näher und setzte sich, von Colbert dazu eingeladen. – »Herr Colbert, Sie sind Finanz-Intendant?« begann sie. »Und trachten danach, Ober-Intendant zu werden?« – »Frau Herzogin!« verwahrte er sich. »Wie können Sie glauben, ich suchte meinen Vorgesetzten zu verdrängen!« – »Verdrängen? Habe ich das Wort gebraucht? Wir Diplomaten sagen: ersetzen. Sie suchen Herrn Fouquet zu ersetzen.« – »Nun, wenn der König Herrn Fouquet absetzen sollte,« erwiderte Colbert, »dann ja.« – »Und wenn Sie Herrn Fouquet bis jetzt noch nicht ersetzt haben,« fuhr Frau von Chevreuse fort, »so geschah es, weil Sie es noch nicht konnten. Ich bin Frau von Chevreuse, dieselbe Frau, die mit Richelieu Politik gemacht hat, und Sie als Mann von Geist werden sich sogleich sagen, daß ich nur zu dem Zweck zu Ihnen komme, um Ihnen das zu geben, was Ihnen noch fehlt.«

»Madame,« antwortete Colbert gemessen, »ich muß Ihnen da im voraus sagen, es laufen seit zehn Jahren Anklagen über Anklagen gegen Herrn Fouquet ein, und doch hat man ihm noch nicht das Geringste anhaben können.« – »Aber Sie haben noch keine Anklage von Frau von Chevreuse erhalten,« entgegnete sie, »noch keine solchen Beweise, wie es die sechs Briefe des Kardinals Mazarin sind, die sich in meinen Händen befinden und in denen das Vergehen aufgedeckt wird–« – »Ein Vergehen, das Herr Fouquet begangen hat?« rief Colbert lauernd. – »Ein Verbrechen, wenn das besser lautet. Nichts anderes! Ei, Herr Colbert, Sie empfingen mich mit kalter, nichtssagender Miene – jetzt strahlt Ihr Gesicht. Ich bin entzückt, daß meine Eröffnung Sie so freudig erregt.« – »O, Madame, was schließt dieses Wort Verbrechen nicht alles in sich –?!« – »In erster Linie Ihre Ernennung zum Ober-Intendanten,« fuhr Frau von Chevreuse ruhig fort. »Und dann Herrn Fouquets Verbannung zu lebenslänglichem Gefängnis. O, ich weiß, was ich sage!« rief sie und unterbrach ihn mit einer kalten Handbewegung, als er sprechen wollte. »Ich habe nicht so sehr weit von Paris gelebt und bin über alle Vorgänge unterrichtet. Der König haßt Fouquet und wird ihn vernichten, sobald er Grund dazu hat. Und ihm diesen Grund in die Hände zu geben, mache ich mich anheischig gegen Zahlung von 500 000 Livres.«

»Ich verstehe,« antwortete Colbert. »Da Sie einen Verkaufspreis festsetzen, so spezifizieren Sie bitte auch die Ware.« – »Sechs Briefe von Herrn Mazarin, aus denen unwiderleglich hervorgeht, daß der Kardinal zusammen mit Herrn Fouquet den Staatsschatz um 13 Millionen Livres betrogen hat. Wollen Sie lesen?« – »Gern. Sie geben mir wahrscheinlich nur die Abschriften?« – »Selbstverständlich,« antwortete die Herzogin und zog ein Päckchen aus dem Busen. Colbert entfaltete die Briefe, las und rief: »Vortrefflich! Aber es ist hierin nicht gesagt, um welches Geld im besondern –« – »Ah,« antwortete die Herzogin, »wenn wir einig sind, so werde ich diesen sechs Briefen noch einen siebenten hinzufügen, der die letzten Aufschlüsse gibt. Ist es abgemacht?« – »Sofern Sie Ihre Forderung ermäßigen–«

»Wie, Sie feilschen?« – »Weil mir daran liegt, redlich zu bezahlen. Ich zahle in bar – aber nur 200 000 Livres.«

Frau von Chevreuse lachte ihm gerade ins Gesicht. Dann schien sie sich eines andern zu besinnen. »Warten Sie! ein Vorschlag,« sagte sie. »Geben Sie mir 300 000, und ich will damit zufrieden sein, wenn Sie mir außerdem noch –« – »O, es ist nicht davon zu reden, Herzogin,« fiel Colbert ihr ins Wort. – »Beruhigen Sie sich, ich will ja kein Geld weiter, sondern nur einen Empfehlungsbrief an die Königin-Mutter.« – »Madame, Ihr Name hat bei Hofe keinen guten Klang – es könnte mich kompromittieren.« – »Mein Name soll auch gar nicht genannt werden, Herr Intendant,« antwortete die Chevreuse. »Ich will von Ihnen nur ein paar befürwortende Zeilen für eine Bettelnonne aus Brügge, die Ihrer Majestät ein Heilmittel gegen den Brustkrebs geben kann, an dem sie hinsiecht. Das wird Ihrem Renommee nichts schaden. Im Gegenteil, mir eine Zusammenkunft mit der Königin-Mutter ermöglichen, heißt sie vom Tode erlösen.«

»Hinter Ihrer großen Liebe für Anna von Oesterreich steckt doch wohl auch ein kleines persönliches Interesse«, sagte Colbert. – »Verhehle ich das?« versetzte sie. »Ich will von Ihnen nur 300 000 Livres, weil ich hoffe, daß Anna von Oesterreich mir für mein Heilmittel 200 000 geben wird. So kommen die 500 000 zusammen, die ich für meine Briefe haben will.« – »Gut, Frau Herzogin,« stimmte der Intendant bei, »ich werde die Ehre haben, Ihnen 100 000 Taler auszuzahlen. Wie aber erhalte ich die Originalbriefe?« – »Sie können Sie sofort haben gegen Ihre Gutschrift auf diese Summe.«

Colbert schrieb eine Anweisung und reichte sie der Herzogin. »Da!« sagte er, »Sie sind bezahlt.« – Sie machte eine leichte Verneigung, griff in den Busen, und sagte: »Hier sind die Papiere!«

Colberts dicke schwarze Brauen stiegen an seiner Stirn auf und ab wie zwei Fledermausflügel. Er lachte düster, und Herr Colbert lachte fast nie. Madame von Chevreuse lachte ebenfalls. Sie war zufrieden mit dem Geschäft, erhielt das ausbedungene Empfehlungsschreiben und nahm Abschied, um alsbald zu Hofe zu fahren.

Anna von Oesterreich war sehr krank geworden. Sie hatte an diesem Abend vergebens auf den König gewartet und befand sich in sehr schlechter Stimmung. Frau von Motteville und die spanische Amme Molina bemühten sich umsonst, sie zu erheitern. Das Wetter am Hofe deutete auf einen Sturm. Auf den Korridoren und in den Vorzimmern wichen die Höflinge und Ehrendamen einander aus, um nicht in ein Gespräch gefährlicher Art hineingezogen zu werden. Die drei Frauen machten in heuchlerischen Redensarten – denn keine wagte ohne Hehl zu sprechen – ihrer Verstimmung über die Lavallière Luft.

»O, diese Kinder!« seufzte die Königin-Mutter. »Habe ich ihnen nicht alles geopfert?!« Und sie hob die Augen zu dem blassen Porträt Ludwigs XIII. empor. Ein tiefes Schweigen folgte auf diese Worte. Dann sagte die spanische Amme: »Majestät, es ist die Stunde, da die Bettelnonne aus Brügge empfangen werden sollte, welche vorgibt, ein Heilmittel für Ihr Leiden zu besitzen.« – »Ist sie da?« – »Sie wartet draußen.« – »Gut, ich bin bereit,« antwortete die Fürstin. »Motteville, Ihr Dienst ist beendet. Gute Nacht!« – Frau von Motteville küßte der Königlichen Hoheit die Hand und ging hinaus.

»Führ‘ das Weib vor,« befahl Anna von Oesterreich. – Da öffnete sich die Tür, die Gestalt einer maskierten Dame zeigte sich und eine feste, zugleich sanfte Stimme sprach: »Hier ist das Weib, Königliche Hoheit, ich bin eine Beghine aus Brügge und bringe das Mittel, das Sie heilen wird.« – »Reden Sie!« antwortete die Königin-Mutter. – »Nur unter vier Augen,« versetzte die Maskierte. – Anna winkte der Spanierin, und die Amme ging hinaus.

Die Fremde trat dicht an die Königin-Witwe, machte eine tiefe Verbeugung und sah sie durch die Oeffnungen ihrer Maske fest und lange an. Die Fürstin erwiderte diesen Blick mißtrauisch und sprach: »Ich bin sehr krank. Mir täte Heilung not.« – »Doch nicht hoffnungslos krank, Hoheit,« antwortete die angebliche Beghine. – »So wissen Sie, woran ich leide?« – »Hoheit haben Freunde in Flandern.« – »Und diese haben hergeschickt? Nennen Sie sie.« – »Das ist nicht nötig,« antwortete die Nonne. »Ihr Gedächtnis, Hoheit, ist schon von Ihrem Herzen aufgeweckt worden.«

Anna hob den Kopf und suchte unter der dichten Maske und unter der geheimnisvollen Rede den Namen ihrer Besucherin zu entdecken. »Madame,« sagte sie dann, »man darf zu königlichen Personen nicht mit einer Maske vorm Gesicht sprechen.« – »Ich bitte mich zu entschuldigen,« antwortete die Fremde, »mein Gelübde bindet mich. Wir Schwestern haben geschworen, Leidenden zu helfen, ohne jemals unser Gesicht zu zeigen. Doch sollten Sie darauf bestehen, so müßte ich mich zurückziehen.« – »Es steht einer Leidenden nicht zu, die Tröstungen zu verschmähen, die Gott ihr sendet,« entgegnete Anna von Oesterreich. »Bleiben Sie also und reden Sie! Bringen Sie meinem Körper Linderung!«

»Lassen Sie uns zuerst von der Seele sprechen,« entgegnete die Beghine. »Sie leiden wohl auch seelisch. Es gibt verzehrende Krebsgeschwüre, Königliche Hoheit, nicht nur am Leibe – noch mehr an der Seele. Sie fressen den Geist an und zerreißen das Herz.« – »Die Uebel, von denen Sie reden,« antwortete die Königin-Mutter, »sind für uns Große der Erde unumgänglich. Wir wissen, Gott wird sie uns verzeihen, mögen sie noch so schwer sein. Soweit ich davon bedrückt bin, vermag ich sie noch zu tragen. Wenn Sie mir nichts weiter zu sagen haben als dies, so können Sie gehen. Ich mag eine Prophetin nicht anhören, denn ich fürchte mich vor der Zukunft.« – »Ich dachte vielmehr,« antwortete die Fremde, »Sie fürchteten sich vor der Vergangenheit.«

Anna von Oesterreich erhob sich und rief in kurzem, gebieterischem Tone: »Reden Sie – erklären Sie sich bündig und ohne Umschweife, oder –« – »Drohen Sie nicht, Königin! Sie werden sehen, daß ich Ihre Freundin bin! Ist Ihrer Majestät nicht vor 23 Jahren ein großes Unglück geschehen?« – »Ein großes Unglück –?« fragte die Königin, die Zähne aufeinanderpressend, »ich verstehe Sie nicht.« – »Wurde nicht am 5. September 1638 abends um acht Uhr der König geboren?« fuhr die Nonne fort. – »Und das nennen Sie ein Unglück?« versetzte Anna von Oesterreich, sich zur Ruhe zwingend.

»Das Unglück geschah danach, Majestät,« sagte die Beghine. »Eure Königliche Hoheit war in Gegenwart von Monsieur, Madame und den Prinzen und Prinzessinnen des Hauses entbunden worden. Man trug den neugeborenen Prinzen zum König, der wohlgemut soupierte. Die Freude war groß, die frohe Kunde lief in der Stadt um, alles Volk jauchzte. Eure Majestät waren allein mit der Hebamme und dem Diener Laporte und lauschten traumverloren auf das Geschrei des Dauphins, 11 als Sie plötzlich selbst einen furchtbaren Schrei ausstießen und die Hebamme herbeiriefen. Die Aerzte speisten in einem entlegnen Zimmer. Es war ein Viertel nach elf Uhr. Im Palast schlief schon alles, die Ehrenposten waren eingezogen worden, es standen nur noch die nächtlichen Außenposten.«

Anna von Oesterreich hatte den Kopf tief gesenkt. Ein Schüttelfrost lief durch ihren Leib; sie schwieg und atmete laut. – »Die Hebamme untersuchte Eure Majestät und schickte darauf Laporte zu dem König, um ihn herbeizuholen. Der König trat in dem Augenblick ein, als die Hebamme Eure Majestät von einem zweiten Prinzen entband. O, Königliche Hoheit, warum so traurig? Wenn Sie nun dieses Kind von Hofe entfernten, weil es nur einen Dauphin geben durfte, so sind Sie deshalb keine schlechte Mutter. Nein! es gibt Leute, welche recht wohl wissen, wieviel Tränen Sie um diesen Nachgeborenen geweint haben, wieviel Küsse Sie ihm in das dunkle, armselige Leben mitgaben, zu welchem die Rücksicht auf das Wohl des Staates den Zwillingsbruder Ludwigs XIV. verurteilt hat. Der König zitterte für das Heil Frankreichs, als er nun zwei Kronprinzen, gleich an Alter und Rechtsansprüchen, hatte; doch Kardinal Richelieu machte der Sache rasch ein Ende, indem er erklärte: » Ein Kronprinz ist Friede und Sicherheit, zwei Prinzen sind Krieg und Anarchie.« Und er verbannte den Unglücklichen auf ewige Zeiten.«

»Sie wissen davon nur zu viel!« schrie Anna von Oesterreich, sprang auf und stürzte auf die Fremde zu, als wenn sie sie zerreißen wollte. »Sie dringen in Staatsgeheimnisse ein. Nur von Freunden, die uns verraten haben, können Sie in den Besitz dieses Wissens gelangt sein, und diese falschen Freunde sind dann ihre Mitschuldigen. Herab mit der Maske, oder ich lasse Sie durch den Kapitän der Garden verhaften! Dieses Geheimnis wird mit Ihrem Leben erlöschen!«

»Lernen Sie die Treue und Verschwiegenheit Ihrer verlassenen Freunde kennen, Majestät,« antwortete die Beghine und nahm die Maske ab. – »Frau von Chevreuse!« rief die Königin-Mutter. – »Mit Ihrer Majestät die einzige, die um das Geheimnis weiß.« – »Umarmen Sie mich, Herzogin!« rief Anna. »Wie konnten Sie so mit meinem Schmerz spielen?« – Sie lehnte das Haupt an die Brust der Chevreuse, und ein Quell bitterer Tränen entströmte ihren Augen. – »O, wie jung Sie noch sind, Königliche Hoheit!« rief die Herzogin. »Sie können noch weinen. Verzeihen Sie mir, daß ich von diesen alten Leiden mit Ihnen sprach. Reden wir von etwas anderem, wir zwei alten, durch die Bosheit der Menschen getrennten Freundinnen. Ja ja, Majestät, es war schwer, es war bitter für mich, Sie verlassen zu müssen, fern von Ihnen zu leben!«

»Ach ja, der König ist Ihnen nicht freundlich gesinnt, Herzogin, doch könnte ich im stillen –« Aber die Chevreuse lächelte verächtlich. Anna fuhr fort: »Sie taten gut daran, sich wieder sehen zu lassen, sei es auch nur, um das Gerücht von Ihrem Tode Lügen zu strafen.«

»Bin ich wirklich totgesagt worden?« – »Allerorten. Und ich habe es auch geglaubt. Sind wir nicht alle sterblich? Der Tod kommt oft ganz schnell und unerwartet.«

»O, Königliche Hoheit, wenn ich gestorben wäre,« sagte die Chevreuse ganz ruhig, »dann hätten Sie davon hören müssen. So schwere Geheimnisse verlangen Erleichterung des Herzens, ehe man in die Grube fährt, und dann würden Hoheit auch an meinem Sterbetage alle die Papiere zurückerhalten, die ich noch von unserm stillen, geheimnisvollen Briefwechsel aufbewahrt habe.«

»Wie? Sie haben das nicht verbrannt?« rief Anna von Oesterreich entsetzt. – »Majestät, nur ein Verräter verbrennt eine königliche Korrespondenz,« versetzte die Herzogin. »Ein Getreuer aber bewahrt solche kostbaren Schätze, bis er eines Tages vor die betreffende königliche Person hintritt und zu ihr spricht: Majestät, ich werde alt; wenn ich plötzlich sterbe, könnten die Papiere gefunden, die Geheimnisse entdeckt werden. Nehmen Sie die kompromittierenden Papiere zurück und verbrennen Sie sie selber.«

Anna von Oesterreich fing an zu begreifen. – »Besonders ein Schreiben Eurer Majestät kommt hier in Frage,« fuhr die Herzogin ruhig fort, »in welchem Sie von diesem lieben unglücklichen Kinde – das sind Ihre Worte – sprechen und mich bitten, es zu besuchen.« – Ein tiefes Schweigen folgte. – »Ja, ein unglückliches Kind,« rief die Königin-Mutter dann. »Ein trauriges Dasein und dann ein grausames Ende.« – »So ist es tot?« rief die Herzogin. – »Tot und vergessen, tot und verwelkt wie eine arme Blume!« antwortete Anna von Oesterreich. »Gestorben in den Armen des treuen Erziehers, der den Verlust nicht lange überlebt hat.« – »Das ist begreiflich,« murmelte die Chevreuse. »Ein schwaches Herz bricht unter der Last eines solchen Geheimnisses zusammen. Hoheit,« fuhr sie dann rücksichtslos fort, »ich habe mich vor einigen Jahren in Noisy-le-Sec nach dem Schicksal dieses Kindes erkundigt. Man sagte allgemein, es gelte nicht für tot. Ich erfuhr, es sei eines Abends im Jahre 1645 von einer vornehmen, maskierten Dame abgeholt worden; tags darauf seien der Erzieher und die Wärterin verschwunden.«

»Das ist auch richtig. Doch wenige Tage später starb das Kind an einer jener verhängnisvollen Krankheiten, die das Kindesalter bedrohen.« – »Wenn Majestät es sagen, so muß es wohl wahr sein,« antwortete die Chevreuse, »obwohl mir mein Gewährsmann versichert, das Kind habe an dem Tage, wo es abgeholt wurde, blühend ausgesehen. Doch ich scheine Eure Hoheit zu ermüden – das will ich nicht. Ich erlaube mir daher, mich zu verabschieden.«

»Bleiben Sie noch, Herzogin,« erwiderte Anna. »Plaudern wir ein wenig von Ihnen. Sie sind ja meine älteste Freundin. Wir müssen trachten, einander wieder näherzukommen, ehe der Tod uns scheidet.« – »Königliche Hoheit, ich kann ja nicht an den Hof kommen,« antwortete die Chevreuse, »doch wenn Hoheit mir einen Beweis Ihrer Freundschaft geben und mich auf meinem Gute in Dampierre besuchen wollten – doch nein, was sage ich da, Dampierre ist nicht in dem Stande, der zu einem Empfang Ihrer Majestät erforderlich ist –« – »Wäre das alles?« antwortete Anna. – »Majestät, was denken Sie? Es ist eine große Gnade, um die ich Sie da bitte.« – »Ich gewähre sie Ihnen von Herzen gern und würde mich freuen, wenn mein Besuch Ihnen Nutzen brächte.« – »Nutzen? O nicht doch!« rief die Herzogin frohlockend. »Freude, unvergeßliches Glück!« Und sie bedeckte die Hand der Fürstin mit Küssen. – »Wollen Majestät mir vierzehn Tage Frist lassen?« fragte sie dann. »Da ich in Ungnade bin, wird es mir nicht leicht fallen, die 100 000 Taler aufzutreiben, die ich unbedingt haben muß, um Dampierre in empfangsfähigen Zustand zu setzen. Wenn man erfahren wird, daß ich das Geld brauche, um Eure Majestät zu bewirten, so werden mir gewiß alle Kassen offen stehen.«

»Wie?« fragte die Königin-Witwe. »Sie brauchen 100 000 Taler, um Ihr Landgut reparieren zu lassen? Aber, Herzogin, die will ich Ihnen leihen.« – »O, ich wagte nicht –« – »So wahr ich Königin bin. Es ist ja keine nennenswerte Summe. Ich schreibe Ihnen sogleich eine Anweisung auf Herrn Fouquet, er hat mich noch nie im Stich gelassen.«

Frau von Chevreuse hatte ihren Zweck erreicht: sie hatte aus ihren beiden Geheimnissen die Summe gezogen, mit der sie für den Rest ihres Lebens auszukommen hoffte, und auch Colbert hatte seinen Zweck erreicht, indem er dadurch, daß er Frau von Chevreuse mit einem Teil ihrer Forderung an Fouquet weisen ließ, dem Oberintendanten abermals eine Schlappe zufügte.

  1. Titel des Kronprinzen.

1. Kapitel. Porthos bei Hofe

Chevalier d’Artagnan hatte sich das Treiben in Fontainebleau zwei Tage lang mitangesehen, dann war er sich klar darüber geworden, daß dieser Mummenschanz nichts für seinen kriegerischen Gaumen sei. Fast alle Augenblicke wurde er von Leuten gefragt: »Chevalier, wie steht mir dieser Frack?« Und er antwortete dann mit grimmem Spott: »Prachtvoll! Sie sehen aus wie ein Affe vom Sankt-Lorenzmarkte.« – Und wenn ihn jemand fragte: »Chevalier, was werden Sie diesen Abend anziehen?« dann erwiderte er grimmig: »Ich werde mich ausziehen.« Worüber dann sogar die Damen lachen mußten. Als er sich überzeugt hatte, daß der König inmitten dieser Spiele Paris, Saint-Mandé und Belle-Ile vergessen zu haben schien, daß Colbert nur noch an Feuerwerk dachte, daß Fouquet sein Geld bereitwillig zu den unsinnigsten Albernheiten hergab, da trat er vor den König und bat »wegen Familienangelegenheiten« um Urlaub, der ihm auch alsbald bewilligt wurde. Er hauste nun wieder bei Planchet in der Lombardstraße. Aber Planchet wunderte sich darüber, daß er so verdrießlich war, daß er in der Nacht schlecht schlief und bei Tage zerstreut umherging, ohne Freude, ohne Teilnahme.

»Herr Chevalier,« sagte Planchet, »es fehlt Ihnen an Zeitvertreib. Gibt es nicht wieder einen König, dem man zum Throne verhelfen kann, nicht wieder einen General Monk, den man in einer Kiste übers Meer fahren kann?« – »Nein, Freund,« antwortete der Kapitän, »alle Könige sitzen auf ihren Thronen, zwar nicht so behaglich wie ich auf diesem Schemel, aber sie sitzen doch drauf.« – »Herr Chevalier, ich glaube, Sie werden mager,« sagte der Kaufmann. »Und das muß gerade in meinem Hause passieren. Das kann ich nicht dulden. Ich werde den Schurken aufsuchen, der an Ihrem Kummer schuld ist, und ich werde zu ihm sprechen: Herr d’Herblay, ich schneide Ihnen die Kehle ab!«

»Potzblitz!« rief der Chevalier, »was hat denn d’Herblay damit zu tun?« – »Er verursacht Ihnen schwere Träume!« antwortete Planchet. »Seit drei Nächten haben Sie Alpdrücken, und dann rufen Sie immer: Aramis, du Duckmäuser!« – »Rufe ich?« fragte d’Artagnan. »Träume sind Schäume. Ich interessiere mich eben immer noch für meine alten Freunde.« – »Schon recht, aber darüber darf man nicht mager werden,« versetzte der Handelsmann. »Machen Sie es wie ich; schaffen Sie sich Zerstreuung. Haben Sie nicht bemerkt, daß ich mich zu gewissen Zeiten entferne?« – »Ja. Am 15. und 30. jedes Monats.« – »Und zu welchem Zwecke? Was meinen Sie wohl?« – »Ei, in Geschäftssachen. Ich denke mir, du kaufst Reis, Zucker, Pflaumen, Sirup und so weiter. Ich wundere mich gar nicht mehr, daß du ein Krämer geworden bist. Dieser Beruf bringt viel Abwechslung und versüßt das Leben im buchstäblichen Sinne.« – »Sie irren sich,« schmunzelte Planchet, »Einkäufe stecken nicht dahinter. Nein, ich gehe dann immer auf mein Landhaus.« – »Was? Du hast ein Landhaus?« – »In Fontainebleau, ja.« – »Da komme ich ja her.« – »Ja, und nun sollen Sie mit mir wieder hin. Es ist sehr hübsch auf meinem Landhause. Sie werden sich amüsieren, ich gebe Ihnen mein Wort darauf.« – »Du bist ein toller Kerl, Planchet,« rief d’Artagnan, »ich bin doch nun schon viele, viele Jahre mit dir bekannt, und doch kenne ich dich noch nicht. Wie ich schon damals sagte, als du in Boulogne den Schurken Lubin, den Kammerdiener von Wardes‘ um ein Haar erwürgtest, du bist unerschöpflich an gescheiten Einfällen. Schön, ich komme mit!«

Aber als d’Artagnan sich auf seinem Zimmer befand, dachte er schon nicht mehr an die Zerstreuung, die Planchet für ihn im Sinne hatte, sondern seine Gedanken weilten abermals bei jenen Rätseln, die ihm in der letzten Zeit so sehr viel Kopfzerbrechen gemacht hatten. Wenn Planchet in dieser Nacht an der Tür des Chevaliers gehorcht hätte, wäre er von neuem auf den Herrn d’Herblay böse geworden; denn der Musketier träumte abermals von ihm, und als er am Morgen erwachte, wiederholte er sich: »Diese drei Rätsel lassen mir nun einmal keine Ruhe; ich muß sie ergründen. Erstens: Was hat Aramis mit Baisemeaux zu tun? Zweitens: Warum läßt Aramis gar nichts von sich hören? Drittens: Wo steckt Porthos? Da meine Freunde sich im verborgenen halten, so muß ich all meinen Scharfsinn anwenden.«

Am folgenden Morgen begab er sich zunächst in die Bastille, um Herrn Baisemeaux einen Besuch zu machen und ihn ein wenig auszuhorchen. Aber der Gouverneur der Bastille war kalt und undurchdringlich wie die Mauern seiner Kerker: es war nichts aus ihm herauszubringen. Als d’Artagnans Fragen ihm lästig wurden, entfernte er sich mit dem Vorwand, sich seinen Gefangenen widmen zu müssen, und blieb so lange weg, daß der Chevalier die Geduld verlor und die Bastille verließ, ohne Baisemeaux‘ Rückkehr abzuwarten. Da er sich sagte, Baisemeaux würde nichts Eiligeres zu tun haben, als Aramis von seinem – d’Artagnans – Besuch Nachricht zu geben, so wartete er in der Nähe des Gefängnistors, ob ein Bote erscheinen würde. Er irrte sich nicht. Nach einer Stunde etwa erschien ein Soldat, der einen Brief im Gürtel trug und sogleich die Richtung nach der Vorstadt Saint-Antoine einschlug. Ohne Frage betraf dieser Brief ihn, den Kapitän der Musketiere. Aber wie sollte er ihn in die Hände bekommen?

Während er noch darüber nachsann, kam ihm der Zufall zu Hilfe. Zwei Schutzleute erschienen, die einen anscheinend den besseren Kreisen angehörenden Mann zwischen sich führten. Als der Verhaftete den Soldaten erblickte, rief er ihn um Hilfe an, stürzte auf ihn zu und klammerte sich an ihm fest. Sofort sammelte sich eine Menge Volkes an, die teils für die Schutzleute, teils für den Gefangenen Partei ergriff. D’Artagnan zauderte nicht, sich die entstehende Verwirrung zunutze zu machen, trat von hinten an den Soldaten heran und entriß ihm den Brief. Dann eilte er in den nächsten Hausflur, öffnete das Schreiben, ohne das Siegel zu verletzen, und las folgendes: »An Herrn du Vallon, bei Herrn Fouquet in Saint-Mandé. – Lieber Herr Baron, lassen Sie Herrn d’Herblay wissen, Er sei dagewesen und habe versucht, auf den Strauch zu klopfen. Ihr ergebener Baisemeaux.« – »So!« sagte d’Artagnan, »nun weiß ich Bescheid, und nun brauche ich den Brief nicht mehr. Der arme Soldat soll meinetwegen nicht in die Patsche kommen.« Er trat auf die Straße und ließ das Papier fallen.

Der Streit war inzwischen zugunsten der Schutzleute entschieden worden, die ihren Häftling weiterführten. Der Soldat ging wieder seines Weges. Nach einigen Schritten fiel es ihm ein, an seinen Gurt zu fühlen, ob er auch seinen Brief noch bei sich habe, und als er merkte, daß er ihn verloren, sah er erschrocken ringsumher. Zu seiner Freude lag das Schreiben nicht weit von ihm auf dem Pflaster. Er hob es auf, wischte den Staub davon ab, betrachtete es, entdeckte, daß es geöffnet worden war, schien sich darüber aber keine Gedanken weiter zu machen, steckte es wieder in den Gürtel und ging weiter.

D’Artagnan folgte ihm in einiger Entfernung. Es war seine Absicht, eine Viertelstunde nach Ablieferung des Briefes bei Porthos zu erscheinen.

Der Türhüter machte Schwierigkeiten, doch als der Chevalier seinen Titel, »Generalkapitän der königlichen Musketiere«, nannte, siegte bei dem Lakai der Respekt des ehemaligen Soldaten über die Bedenklichkeit des gewissenhaften Dieners, und er ließ den Chevalier eintreten. Man wies ihn in einen entlegenen Teil des Palastes, und auf dem Wege dorthin hatte der Kapitän Gelegenheit, die wahrhaft königliche Einrichtung dieses Hauses zu bewundern. Es war ihm, als sei er in einem Feenschlosse, und der Gedanke, daß Porthos in einem solchen Eden wohne, flößte ihm eine höhere Meinung von seinem ehemaligen Waffenbruder ein; man sieht, selbst große Geister lassen sich von äußeren Eindrücken beherrschen.

D’Artagnan wurde in einen Salon geführt und brauchte nicht lange zu warten. Gleich darauf dröhnte der Boden des Nebenzimmers unter den wohlbekannten Tritten, die Tür wurde aufgestoßen, und Porthos, der Riese, warf sich mit einer gewissen Verlegenheit, die ihn ganz gut kleidete, in die Arme seines Freundes.

»Sie hier?« rief er. – »Und Sie hier?« antwortete der Gaskogner, »o, Sie Heimlichtuer!« – »Ja, Sie Wundern sich, mich in Herrn Fouquets Hause zu finden, nicht wahr?« versetzte der Baron lächelnd. – »Keineswegs! Weshalb sollten Sie nicht ein Freund des Herrn Fouquet sein?« entgegnete der Chevalier. »Herr Fouquet hat ja viele Freunde, namentlich unter den geistreichen Leuten.« – Porthos war jedoch so bescheiden, das Kompliment nicht auf sich zu beziehen. – »Nun ja, Sie haben mich ja in Belle-Ile gesehen,« sagte er. »Es ist wahr, ich kenne Herrn Fouquet.« – »Sie haben unverantwortlich gegen mich gehandelt, lieber Freund,« erklärte der Chevalier. »Ich war in Belle-Ile, und Sie wissen, ich stehe in königlichen Diensten. Ahnten Sie denn nicht, daß der König den verdienstvollen Mann, der den Bau dieser allgemein gelobten Befestigungen leitete, kennen zu lernen wünscht, daß der König mich abgeschickt hatte, um zu ermitteln, wer dieser Mann sei?« – »Wie? deshalb hatte der König Sie abgeschickt? Wenn ich das gewußt hätte!« rief Porthos. – »Dann hätten Sie nicht von Vannes Reißaus genommen, nicht wahr?« – »Jawohl. Aber was dachten Sie denn, als Sie mich nicht mehr fanden?«

»Ich habe die Wahrheit erraten,« antwortete d’Artagnan. »Ich dachte mir, Fouquet wolle es geheim halten, daß er Belle-Ile befestigen lasse, weil er dem König damit eine Ueberraschung bereiten wollte. Der Beweis dafür ist: Fouquet hat dem König die Besitzung zum Geschenk gemacht. Ja, ich war selbst dabei, wie er es dem König anbot. Und er hat zu ihm gesagt: ›Ein guter Freund von mir hat den Bau der Befestigungen geleitet: Herr du Vallon, Baron von Bracieux und Pierrefonds.‹–›Schön,‹ antwortete der König, ›stellen Sie mir diesen Mann vor.‹« – »Das hat der König geantwortet?« rief Porthos. – »So wahr ich d’Artagnan heiße!« – »Aber warum hat man mich dann nicht vorgestellt?« rief der Riese. »Man hat wohl davon gesprochen, aber noch heute warte ich darauf.«

»O, warten Sie nur getrost, der Tag wird ja wohl noch kommen,« meinte der Gaskogner spöttisch. »Uebrigens habe ich gehört, daß Sie in den ersten Tagen nach Ihrer Ankunft –« – »Mich nicht recht bewegen konnte, ja, das stimmt,« fiel Porthos ein. – »Wie? Sie konnten sich nicht bewegen? weshalb das?« fragte der Chevalier lächelnd. – »Nun ja,« versetzte Porthos, der nun einsah, daß er eine Dummheit gesagt hatte, »ich war auf schlechten Pferden hierher geritten.« – »Das dachte ich mir,« erwiderte d’Artagnan, »denn ich ritt hinter Ihnen her und fand sieben oder acht totgerittene Pferde auf der Landstraße.« –»Sie wissen, ich bin sehr schwer,« sagte Porthos. »Der Ritt hat mich kaputt gemacht. Nun, Fouquet schickte mir seinen Arzt, und ich war bald wieder wohl. Als ich mich das erste Mal wieder ankleidete, waren mir Hosen und Wams zuweit geworden. Stellen Sie sich mein Entsetzen vor!«

»Inzwischen hat sich dieser Schaden wieder ausgeglichen, wie ich sehe,« sagte der Chevalier. »Sie amüsieren sich jedenfalls in Gesellschaft unsers Freundes Aramis hier ausgezeichnet.« – »Aramis ist nicht hier, sondern in Fontainebleau,« entgegnete du Vallon. – »Aramis in Fontainebleau? Dort ist ja Fouquet auch. Armer Porthos,« sagte der Gaskogner, »dort wird niemand an Sie denken, denn man hat in Fontainebleau jetzt nur für Tanzmusik und Gelage Sinn. Aramis, lassen Sie sich das sagen, will die Früchte Ihrer Arbeit allein einheimsen. Er gibt sich als Ingenieur von Belle-Ile aus und sagt, Sie seien dort weiter nichts gewesen als Handwerker, als Maurermeister, als Taglöhner. Aber ich will ihm einen Strich durch die Rechnung machen. Ich selbst werde Sie jetzt dem König vorstellen. Ich bin bei Hofe noch besser gelitten als Aramis, ja ich bin der vertraute Freund des Königs. Kommen Sie mit!«

»Aber Aramis wird mir böse sein –« – »Bah, ob Sie von ihm oder von mir vorgestellt werden, das ist doch gleichgültig. Hauptsache ist, daß Sie Ihren Zweck erreichen.« – »Ja, aber was wird Fouquet sagen, wenn ich sein Haus verlasse?« – »Sind Sie denn Gefangener, daß Sie gar nicht ausgehen?« – »Das nicht, aber ich hatte Herrn Fouquet versprochen, nicht ohne sein Einvernehmen sein Haus zu verlassen.« – »Nun, wechseln Sie nicht Briefe mit Aramis?« fragte d’Artagnan. – »Ja, ich schicke ihm Briefe.« – »Weshalb wollen Sie sie ihm nicht mal persönlich überbringen? Haben Sie jetzt solche Briefe?« – »Eben habe ich einen bekommen. Ich weiß nicht, ob er von Bedeutung ist, denn ich lese das Zeug nicht.« – »Nun, so haben Sie ja gleich eine Gelegenheit. Fahren Sie nach Fontainebleau, geben Sie Aramis den Wisch, und da der König in Fontainebleau ist, so werde ich Sie vorstellen.«

»Doch das Versprechen, das ich Fouquet gegeben?« wandte der Baron ein. – »Was denn? Fouquet ist ebenfalls in Fontainebleau, und Sie werden Ihr Versprechen, sich nicht aus dem Hause zu entfernen, ohne es ihm mitzuteilen, dadurch erfüllen, daß Sie vor ihn hintreten mit den Worten: Herr Fouquet, ich habe die Ehre, Ihnen bekannt zu geben, daß ich Saint-Mandé verlassen habe.« – »Und wenn er mich beim König sieht,« setzte Porthos hinzu, sich in die Brust werfend, »dann wird er mir keine Vorwürfe zu machen wagen.«

»Das wollte ich eben auch sagen, Porthos,« sagte d’Artagnan. »Aber Ihr Scharfsinn kommt mir in allem zuvor. Sie sind eben eine reich begabte Natur, an der die Jahre spurlos vorübergegangen sind. Es bleibt also dabei, Sie kommen mit nach Fontainebleau.«

»Es trifft sich gut, Fouquet hat mir zwei Pferde geschenkt,« sagte Porthos. – »Die lassen Sie lieber hier,« antwortete der Gaskogner. »Es ist vielleicht für später besser, Sie nehmen keine Geschenke von dem Oberintendanten an.« – Porthos ließ den Kopf hängen. »Lieber Freund,« sagte er, »das klingt, als wenn Politik im Spiele wäre, und Sie wissen, von der Politik lasse ich die Finger. Ich fürchte mich so sehr vor ihr, daß ich dann lieber doch nach Pierrefonds zurückkehre.«

»Sie würden recht haben, wenn es der Fall wäre,« versetzte d’Artagnan, »aber bei mir, lieber Porthos, ist von Politik nicht die Rede. Wer sich mit mir einläßt, erhält immer klaren Wein eingeschenkt. Sie haben an der Befestigung von Belle-Ile gearbeitet, der König wünscht den Baumeister kennen zu lernen, Sie sind bescheiden wie alle wahrhaft großen Männer, Aramis will Sie nicht vorstellen, um Ihr Licht unter den Scheffel zu stellen; also führe ich Sie beim König ein, damit Sie belohnt werden: das ist meine Politik.« – »Das kann die meinige auch sein,« antwortete Porthos mit Handschlag.

Als d’Artagnan mit seinem Freunde Fouquets Haus verließ, dachte er bei sich: »Porthos war Aramis‘ Gefangener; wir werden sehen, wie man seine Befreiung aufnimmt.«

Sie begaben sich zu Fuß in die Lombardstraße, und d’Artagnan führte den alten Waffenbruder zu Planchet, dem ehemaligen Kriegsgefährten. Der Handelsmann hatte noch dasselbe Herz wie früher; obgleich er nur noch inmitten von Waren lebte, war er dennoch keine Krämerseele geworden; trotz des herannahenden Alters hatte sein Gemüt sich jugendliche Frische bewahrt. Er empfing den Baron mit großer Herzlichkeit, obwohl er von seiner Seite für seine Warenvorräte viel zu fürchten hatte. Porthos interessierte sich sehr für Traubenrosinen, Mandeln und Haselnüsse und griff mit seinen großen Händen in die Säcke hinein, um sich den Mund wacker vollzustopfen. Die Nußschalen zersplitterten unter seinen mächtigen Zähnen, und der Fußboden war binnen kurzem mit Schalen bedeckt, die unter den Füßen der ein- und ausgehenden Kunden knackten. Dann löste er mit den Lippen die großen violetten Muskatrosinen mit solcher Gewandtheit von den Stengeln ab, daß er immer gleich ein halbes Pfund auf einmal verschlang. Das nannte Porthos die Bekanntschaft erneuern.

Die Ladenschwengel hatten sich vor dem Riesen respektvoll in eine Ecke verkrochen und starrten ihn aus gemessener Entfernung mit sehr geteilten Gefühlen an. Sie hatten einen Menschen wie Porthos noch nie gesehen. Das Geschlecht jener Titanen, die in den Rüstungen eines Hugo Capet, eines Franz I. gesteckt, war im Aussterben, und die engbrüstigen Handelsgehilfen fragten sich, ob dieser unheimliche Patron nicht der Werwolf aus dem Märchen sei, der nun den ganzen Laden des Herrn Planchet in seinen unersättlichen Magen schicken werde.

Während Porthos immerfort knackte, kaute und verschlang, sagte er von Zeit zu Zeit: »Sie haben da ein hübsches Geschäft, Herr Planchet.« – »Wir werden es bald zumachen können, wenn das so fort geht,« rief der erste Gehilfe in Heller Verzweiflung und ließ sich hinreißen, auf Porthos loszugehen, der vor einem Fasse gedörrter Aepfel stand. – »Was wünschten Sie, mein Freund?« fragte der Riese herablassend. – »Ich will ins andere Zimmer, bitte lassen Sie mich vorbei,« antwortete der Gehilfe. – »O, keine Umstände!« versetzte Porthos, hob den jungen Mann wie eine Puppe in die Höhe und setzte ihn jenseits des Fasses nieder. Dem Burschen schlotterten die Knie, und er fiel rücklings in eine Kiste voll geräucherter Heringe. Planchet machte gute Miene zum bösen Spiel, und als Porthos zur Abwechslung noch etwa ein halb Pfund Honig geschleckt und einen kleinen Eimer Wasser ausgetrunken hatte, fragte er den Kaufmann: »Wann wird bei Ihnen soupiert? Ich habe Appetit.« – »Wir nehmen nur einen kleinen Imbiß, denn wir reiten heute abend noch nach meinem Landhause,« antwortete Planchet. – »Ah, nach Ihrem Landhause?« rief Porthos, »da bin ich neugierig.« – »Sie erweisen mir zu viel Ehre, Herr Baron,« sagte Planchet.

Als die Ladendiener den unheimlichen Menschen, der doch immerhin kein Werwolf sein konnte, da man ihn »Herr Baron« titulierte, dem Laden den Rücken kehren sahen, atmeten sie auf und sagten: »Gott behüte deinen Ausgang und lasse dich nicht wiederkehren!«

Es war schon spät, als die drei Männer sich auf den Weg nach Fontainebleau machten. Sie legten die Strecke in der vergnügtesten Laune zurück. D’Artagnan beteiligte sich jedoch wenig an der Unterhaltung der beiden andern; er war in Gedanken versunken, und nur einmal sah er lachend auf, als der Baron, der in alter Freundschaft Planchet schon wieder mit Du anredete, dem guten Handelsmann, um seine Zufriedenheit auszudrücken, einen Schlag auf den Rücken gab, wobei das Pferd scheu wurde und mit einem gewaltigen Sprung vorwärts jagte.

»Sieh dich vor Planchet!« rief d’Artagnan, »wem Porthos allzu gut ist, den drückt er platt. Er ist immer noch stark wie ein Bär.« – »O, Mousqueton lebt auch noch, und der Herr Baron ist ihm doch sehr gut,« antwortete Planchet. – »Allerdings,« sagte Porthos mit einem Seufzer, »und ich habe Sehnsucht nach ihm.«

»Meine Herren, wir sind am Ziel,« rief Planchet und sprang aus dem Sattel. Man befand sich vor einem kleinen Häuschen an der Grenze der Ortschaft, hinter welchem man im Mondlicht die weißen Kreuze des Friedhofs schimmern sah. Planchet öffnete das Hoftor, und seine beiden Gefährten trieben ihre Pferde hinein, stiegen ab und folgten ihrem Wirt. Planchet rief einen alten Bauersmann herbei, der zur Besorgung der täglichen Wirtschaftsarbeiten angestellt war, übergab ihm die Pferde und führte seine Gäste in das Haus. Sie betraten ein kleines, gemütliches Zimmer, das durch eine Hängelampe erhellt wurde. Ihr Schein fiel auf ein schneeweißes Tischtuch und ließ die zwei sauberen Gedecke blitzen, die in Erwartung eines Besuchs zurechtgelegt waren. Hinter dem Tische saß in einem Lehnstuhl eine Frauensperson von etwa dreißig Jahren – eine dralle, runde Wirtschafterin mit rosigen Backen und kirschroten Lippen. Sie schlief und hatte eine schöngefleckte Katze auf dem Schoße.

»Ha, du Sybarit!« rief d’Artagnan, »jetzt begreife ich, weshalb du so oft von deinem Laden abwesend warst!«

»Bravo, Planchet, bravo!« fügte Porthos mit Donnerstimme hinzu. – Bei diesem Lärm setzte die Katze mit weitem Sprunge von ihrem warmen Plätzchen herab, und die Frau sprang auf, rieb sich die Augen und begrüßte die Herren mit einem freundlichen Lächeln. – »Erlauben Sie mir, Trudchen,« sagte Planchet, »Ihnen hier den Herrn Chevalier d’Artagnan und den Herrn Baron du Vallon, Bracieux und Pierrefonds vorzustellen.« – Porthos machte eine Verbeugung, mit der Anna von Oesterreich, die doch sehr viel auf Galanterie hielt, zufrieden gewesen wäre. D’Artagnan ergriff ihre Hand und verneigte sich mit ritterlichem Anstande. Planchet aber nahm sie in die Arme und gab ihr einen herzhaften Kuß.

»Das lasse ich mir gefallen,« sagte d’Artagnan, »Freund Planchet weiß sich das Leben zu verschönern.«

»Liebe Freundin,« sagte Planchet zu seiner Haushälterin, »ich habe Ihnen schon oft von diesen beiden Helden erzählt. Sorgen Sie dafür, daß sie hier bewirtet werden, wie es ihnen zukommt.« – »Es soll an nichts fehlen,« sagte die Frau mit merklich niederländischem Akzent. »Wo aber sind die beiden andern, die in Ihren Erzählungen die gleiche Rolle spielten wie diese zwei Herren?«

»Madame ist eine Holländerin?« fragte d’Artagnan. – »Ich bin aus Antwerpen,« erwiderte sie. – »Und sie heißt Frau Gechter,« setzte Planchet hinzu. – »Aber du nennst Madame nicht so?« – »Nein, ich nenne sie Trudchen.« – »Ein lieblicher Name!« – »Trudchen ist mit zweitausend Gulden aus Antwerpen hierhergekommen,« erklärte Planchet. »Sie war vor einem Haustyrannen geflüchtet, der sie mißhandelte. Da ich aus der Picardie bin, so habe ich die Artesierinnen immer gern gehabt. Von Artois nach Flandern ist ja nur ein Katzensprung. Sie suchte Schutz bei ihrem Vetter, meinem Vorgänger in der Lombardstraße und legte dann ihre zweitausend Gulden bei mir an. Ich habe das Geld arbeiten lassen so daß es inzwischen schon zehntausend Gulden geworden sind. Sie ist nun frei und vermögend, hat hier eine Kuh, eine Magd und den alten Bauer zur Dienerschaft, spinnt für mich Leinwand, strickt meine Strümpfe und sieht mich nur alle vierzehn Tage bei sich. Und dabei scheint sie sich sehr glücklich zu fühlen.«

»Ja, ich bin glücklich,« antwortete Trudchen lächelnd.

Porthos drehte in sehr verdächtiger Weise an seinem Schnurrbart herum. Trudchen schien ihm gar sehr zu gefallen. Die Haushälterin aber eilte hinweg und trieb ihre Magd und ihren Bauer an, so daß in erfreulich kurzer Zeit ein Souper hergestellt war, das selbst den anspruchsvollen Porthos befriedigte. Dazu gab es Wein aus Planchets Keller, der unerschöpflich schien wie sein Laden in Paris. Ueber den Flaschen erzählten die drei sich die Kriegsabenteuer längst vergangener Zeiten. In ziemlich schwüler Stimmung trennten sie sich schließlich, um zur Ruhe zu gehen.

Am andern Morgen sahen sie sich erst richtig um, guckten sich das Haus, den Garten und die Umgebung an und kamen dabei auch auf den Friedhof zu sprechen, den sie eben aus dem Fenster betrachteten, als der melancholische Gesang einer Beerdigung zu ihnen heraufscholl.

»Das ist nicht sehr heiter, Freund Planchet,« sagte d’Artagnan, »mich dünkt, du wirst hier sehr oft an die Vergänglichkeit alles Irdischen erinnert.« – »Das ist wahr,« antwortete Planchet, »aber es soll sehr gut sein, wenn der Mensch sich mit dem Gedanken an den Tod befreundet. Dies ist übrigens ein Begräbnis der niedrigsten Klasse,« setzte er hinzu, die Nase rümpfend. »Es ist nur der Chorknabe, der Meßner und ein Priester dabei. Wen tragen sie da zur Gruft, Trudchen?«

»Es soll ein armer Franziskaner-Mönch sein, der im Gasthause verstorben ist,« antwortete die Haushälterin. – »Es ist nicht der Mühe wert, sich das anzusehen,« meinte Planchet. – Allein d’Artagnan ging nicht vom Fenster weg, sondern sah mit großem Interesse zu.

Hinter der Bahre, die zwei Männer trugen, schritt ein einzelner Mann, in einen Mantel gehüllt, den er sich über das Gesicht gezogen hatte, als wünschte er von den Trägern und dem Totengräber nicht gesehen zu werden. Das Grab wurde zugeschüttet, die Leute zerstreuten sich, der Vermummte ließ sie gehen und warf dann die Kapuze zurück.

»Potzblitz!« rief d’Artagnan, »das ist ja Aramis!«

Er hatte recht gesehen. Es war der Bischof von Vannes, der dem toten Jesuiten-General die letzte Ehre erwiesen hatte. Er blieb stehen und sah sich um, da erschien eine Frau, die er mit Ehrerbietung begrüßte. – »Merkwürdig!« rief d’Artagnan, »der Herr Prälat trifft sich heimlich mit Damen. Er ist doch noch immer der Alte.« – Er lachte.

Aramis führte die Dame an eine Stelle, wo Kastanien und Trauerweiden dichte Schatten gaben, und unterhielt sich hier etwa eine halbe Stunde lang mit ihr. Dann verneigte sich die Dame sehr tief vor Aramis und entfernte sich. Aramis ging nach der entgegengesetzten Seite fort.

Der Gaskogner zauderte nicht, seine Neugierde ließ ihm keine Ruhe. Er eilte auf die Straße hinunter und lief hinter der Frau her, deren Gesicht er bis jetzt noch nicht hatte sehen können. Sie schritt, das Haupt senkend, langsam auf eine Kutsche zu, die am Saume des Waldes hielt. D’Artagnan stampfte mit Riesenschritten hinter ihr drein. Sie fürchtete wohl verfolgt zu werden und sah sich plötzlich um. D’Artagnan erschrak und blieb so jäh stehen, als hätte er eine Ladung Schrot in die Waden bekommen.

»Frau von Chevreuse!« 8 rief er. Dann machte er schnell kehrt, um nicht von ihr gesehen zu werden.

Unterwegs blieb er noch einmal stehen. »Und das soll ein armer Franziskaner gewesen sein, den sie da beerdigt haben,« dachte er bei sich. »Nein, dem hätte ein Aramis nicht das Geleit gegeben. Dahinter steckt mehr.«

*

Am folgenden Abend war im Schlosse große Audienz für die Deputierten der Provinzen und dann für die sonst noch neu vorzustellenden Personen. In einem Winkel des großen Empfangssaals saßen d’Artagnan und Porthos und warteten geduldig, bis die Reihe an sie käme. Der Chevalier stieß den Baron an. »Sehen Sie da!« flüsterte er, »Fouquet kommt mit Aramis, den er dem König vorstellen will, und als was? Als Ingenieur von Belle-Ile. Und Sie hat man in Saint-Mandé sitzen lassen, und wäre ich nicht gekommen, säßen Sie noch dort!« – Porthos seufzte tief auf.

Fouquet wendete sich an den König. »Sire,« sagte er, »ich habe Sie um eine Gnade zu bitten. Chevalier d’Herblay, der Bischof von Vannes, ist nicht ehrgeizig, aber er wünscht, Eurer Majestät zu nützen. Majestät brauchen jetzt gerade einen Agenten in Rom. Niemand eignet sich besser dazu als d’Herblay. Wir können ihm den Kardinalshut verschaffen.« – Der König runzelte die Stirn. – Fouquet sah dies und fügte hinzu: »Ich komme nicht oft mit einer Bitte, Sire.« – »Das ist eine Sache, über die ich nicht zu entscheiden habe,« antwortete der König. Das waren immer seine Worte, wenn er etwas von sich abwälzen wollte. – Fouquet konnte hierauf nicht antworten und sah Aramis an.

»Herr d’Herblay,« sagte der König, »kann uns ja auch in Frankreich dienstbar sein und viel nützen – zum Beispiel als Erzbischof.« – »Majestät überhäufen Herrn d’Herblay mit Huld,« erwiderte Fouquet mit der ihm eigenen Geschmeidigkeit. »Das Erzbistum kann ein Zusatz zum Kardinalshut sein; das eine braucht das andere nicht auszuschließen.«

Der König lächelte. »Hm,« meinte er, »gut gesagt! Selbst d’Artagnan würde nicht besser geantwortet haben.«

Der Kapitän sprang auf und trat rasch näher, seinen Freund mit sich ziehend. – »Majestät haben mich gerufen?« fragte er. – Aramis und Fouquet traten einen Schritt zurück. – »Erlauben Eure Majestät,« sagte d’Artagnan, ehe noch der König antworten konnte, »daß ich Ihnen Herrn Baron du Vallon, Bracieux und Pierrefonds vorstelle, einen der tapfersten Edelleute Frankreichs.« – Aramis erblaßte, als er Porthos sah; Fouquet ballte die Fäuste unter den Spitzenmanschetten. – D’Artagnan lächelte beide an, während Porthos sich verneigte.

»Porthos hier!« murmelte der Oberintendant. – »Still, da ist Verräterei im Spiele!« antwortete Aramis leise.

»Majestät,« fuhr der Gaskogner fort, »schon vor sechs Jahren hätte ich Ihnen den Baron du Vallon vorstellen sollen; aber manche Menschen gleichen gewissen Sternen, die nur nebeneinander zu leuchten vermögen. Das Plejadengestirn kann sich nicht auflösen, und deshalb nahm ich mir vor, den Baron du Vallon Eurer Majestät in dem Augenblick vorzuführen, wo Sie Herrn d’Herblay an seiner Seite sehen würden.« – »Wie? diese beiden Herren sind befreundet?« fragte der König verwundert. – »Sogar sehr befreundet, einer steht für den andern. Fragen Sie nur den Herrn Bischof von Vannes, wie Belle-Ile befestigt worden ist.« – Fouquet stutzte, doch Aramis antwortete rasch: »Belle-Ile ist von dem Herrn Baron befestigt worden.«

Ludwig sah schweigend von einem zum andern; die ganze Sache schien ihm nicht recht geheuer vorzukommen.

»Jawohl, Majestät,« bestätigte der Gaskogner, »aber fragen Sie nur auch den Baron, wer ihm bei diesen Arbeiten geholfen hat.« – »Aramis!« platzte Porthos heraus.

Nun machte Ludwig große Augen. »Wie?« rief er, »Herr d’Herblay, der Bischof von Vannes, heißt Aramis?« – »Es ist sein Spitzname aus den Tagen, da er noch Krieger war.« – »Ein Name, der im Freundeskreise üblich war,« setzte Aramis hinzu. – »Nur keine falsche Bescheidenheit!« rief der Kapitän der Musketiere. »In diesem Priester, Majestät, vereinen sich der brillanteste Offizier, der unerschrockenste Krieger und der gelehrteste Theologe Ihres Reiches.« – »Und ein Ingenieur,« setzte Ludwig hinzu, mit einem staunenden Blick auf Aramis.

»Gelegentlich auch Ingenieur,« antwortete d’Herblay, sich verneigend. – »Majestät, mein Waffenbruder bei den Musketieren,« fuhr d’Artagnan fort, »der Mann, dessen treffliche Ratschläge hundertmal die Minister Ihres Vaters aus den größten Schwierigkeiten retteten, das ist kein anderer als dieser Chevalier d’Herblay, der Bischof von Vannes. Und dieser Chevalier d’Herblay bildete mit dem Baron du Vallon, mit dem Grafen de la Fère und mit mir jenes vierblättrige Kleeblatt, das unter der Regierung Ihres hochseligen Vaters soviel von sich reden machte.«

»Und eben dieser d’Herblay,« sagte der König mit eigentümlicher Betonung, »hat jetzt Belle-Ile befestigt.«

»Um dem Sohn zu dienen, wie er dem Vater gedient hat.« – D’Artagnan sah Aramis durchdringend an, und selbst er ließ sich durch den warmen Ton aufrichtiger Ehrfurcht täuschen, den der Prälat in seine Worte legte. – »So spricht kein Lügner,« dachte er bei sich. Und auch König Ludwig war überzeugt, der Bischof spreche die Wahrheit. – »In diesem Falle,« sagte er zu Fouquet, »bewillige ich den Kardinalshut. Wir werden bei der nächsten Ernennung an Sie denken, Herr d’Herblay. Bedanken Sie sich bei Herrn Fouquet. Und Sie, Herr Baron du Vallon, was haben Sie auf dem Herzen? Auch einen Wunsch? Sprechen Sie! Ich belohne gern die treuen Diener meines Vaters!«

»Sire,« stammelte Porthos. – »Majestät,« rief d’Artagnan, seinem Freunde zu Hilfe kommend, »dieser tapfere Degen, der im Feuer von tausend Feinden wacker ausgehalten hat, ist durch die Gegenwart Ihrer erhabenen Person ein wenig aus der Fassung gebracht. Aber ich weiß, was er wünscht: ihn verlangt nur danach, Eure Majestät eine Viertelstunde lang betrachten zu dürfen.«

»Sie speisen heute abend bei mir,« sagte der König zu Porthos, und der Riese wurde kirschrot vor Freude. Darauf waren der Chevalier und der Baron entlassen. – »Aramis wird böse auf mich sein,« murmelte Porthos im Fortgehen. – »Er war Ihnen noch nie so gut, wie jetzt,« entgegnete d’Artagnan, »haben wir ihm doch zum Kardinalshut verholfen.« – »Das ist wahr,« meinte der Baron. »Sagen Sie, sieht der König es gern, wenn man an seiner Tafel viel ißt?« – »Das freut ihn sehr, denn er hat selber einen echt königlichen Appetit,« antwortete der Kapitän.

Auf dem Korridor trat Aramis zu ihnen. »Sie sind aus meinem Gefängnis entschlüpft?« sagte er zu Porthos, ihm die Hand drückend. – »Seien Sie ihm nicht gram, Freund,« antwortete d’Artagnan, »ich habe ihn entführt. Ihr geistlichen Herren seid sehr politisch, wir Kriegsmänner aber gehen immer gerade auf das Ziel los. Hören Sie also, wie es gekommen ist. Ich bin mal wieder zu meinem lieben Freunde Baisemeaux gegangen –« – »Da fällt mir ein,« rief Porthos dazwischen, »ich habe ja einen Brief von Baisemeaux an Aramis.« Und er überreichte ihn. Der Prälat öffnete das Schreiben und las es, ohne daß d’Artagnan, der ihm dabei zusah, die geringste Verlegenheit gezeigt hätte. Aramis selbst wußte sich so vortrefflich zu beherrschen, daß der Chevalier ihn aufs neue bewundern mußte.

»So? Sie haben also Baisemeaux besucht?« fragte der Bischof und steckte den Brief mit der größten Ruhe in die Tasche. – »Ja, dienstlich,« antwortete d’Artagnan, »und natürlich sprachen wir von unsern beiderseitigen Freunden. Ich muß sagen, Baisemeaux empfing mich kalt, so daß ich bald gegangen bin. Auf der Straße trat ein Soldat zu mir, der mich ohne Frage an der Uniform erkannte, und bat mich, ihm die Adresse eines Briefes vorzulesen, den er zu bestellen hatte. Der Bursche konnte selbst nicht lesen und hatte vergessen wo der Empfänger wohnte. Da las ich denn: An Herrn Baron du Vallon, bei Herrn Fouquet in Saint-Mandé. Halt, dachte ich da, ich will Porthos mal besuchen.« – »Und nun führten Sie ihn nach Fontainebleau?« – »Ja, in Planchets Häuschen.« – »Wie? Planchet wohnt in Fontainebleau?« fragte Aramis erstaunt. – »Ja, dicht beim Friedhof,« platzte Porthos heraus.

»Beim Friedhofe?« fragte Aramis argwöhnisch.– »Jawohl,« antwortete Porthos, »aber trotzdem ist’s sehr gemütlich bei ihm. Man braucht ja nicht hinzugucken, wenn solch eine trübselige Beerdigung stattfindet wie heute morgen –« – »Heute morgen?« wiederholte Aramis mit wachsender Unruhe. – D’Artagnan pfiff leise vor sich hin. – »Ah, es wurde ein armer Mann begraben,« sagte Porthos, »ich habe nicht hingeschaut, aber d’Artagnan scheint so etwas sehr gern zu sehen.«

Aramis erschrak und wendete sich zu dem Musketier, der aber bereits ein Gespräch mit Saint-Aignan angeknüpft hatte. D’Herblay fragte nun du Vallon noch weiter aus, und als er aus der riesigen Zitrone allen Saft ausgepreßt hatte, warf er die Schale weg. Er trat zu dem Gaskogner. »Auf ein Wort, lieber Freund. Sie haben doch noch fünf Minuten für mich übrig?« – »Zwanzig noch, denn solange wird es dauern, bis Majestät zu Tische geht.« – Sie setzten sich abseits auf eine Bank, und Aramis ergriff d’Artagnans Hand.

»Gestehen Sie, Freund, Sie haben Porthos eingeredet, mir sei nicht recht zu trauen,« begann der Bischof.

»Das gestehe ich – aber es war anders gemeint. Ich sah, Porthos langweilte sich, und beschloß, ihn dem König vorzustellen und damit etwas zu tun, was Sie selbst nie tun werden.« – »Das wäre?« – »Sie zu loben.« – »Das haben Sie allerdings getan,« antwortete Aramis mit seltsamem Lächeln. »Ich danke Ihnen.« – »Und den Kardinalshut, der schon in weiter Ferne zu entschwinden drohte, habe ich Ihnen wieder nähergebracht.« – »Ich muß gestehen,« sagte Aramis, »Sie verstehen es, Ihren Freunden zu helfen. Doch lassen Sie uns aufrichtig zu einander sein, aufrichtig und offen. Nicht wahr, Sie kamen im Auftrag des Königs nach Belle-Ile?« – »Selbstverständlich!« – »Sie wollten uns also die Freude rauben, dem König Belle-Ile in vollständig befestigtem Zustande anzubieten?« – »Um Ihnen diese Freude zu rauben, hätte ich doch erst um Ihre Absicht wissen müssen.« – »Und Sie haben nichts gewußt?« – »Jedenfalls nichts davon, daß Sie Ingenieur geworden seien und Festungen bauten. Und ebensowenig konnte ich ahnen, daß Porthos Baumeister geworden ist.«

»Als Sie dann aber hinter unser Geheimnis gekommen waren, hatten Sie nichts Eiligeres zu tun, als es dem König zu hinterbringen,« sagte d’Herblay. – »Sie hatten es jedenfalls noch eiliger,« antwortete d’Artagnan. »Wenn ein Mann von drei Zentnern auf Kurierpferden reist, wenn ein von der Gicht und der Steinplage befallener Prälat mehrere Pferde zu Tode jagt, so mußte ich doch wohl annehmen, daß diese zwei Freunde, die mir kein Wort von ihrer Abreise gesagt haben, höchst wichtige Dinge vor mir zu verbergen hätten. Da bin ich natürlich so schnell gereist, wie mir meine Magerkeit und meine gichtfreien Glieder erlaubten.«

»Lieber Freund, kam es Ihnen denn gar nicht in den Sinn, daß Sie damit mir und Porthos einen schlechten Streich spielen konnten?« – »Das schon, aber es kam mir auch in den Sinn, daß ich Ihnen und Porthos gegenüber auf Belle-Ile eine traurige Rolle gespielt habe.« – »Verzeihen Sie mir!« sagte Aramis. – »Und Sie mir,« sagte D’Artagnan.

»Und nun wissen Sie, daß ich sofort Herrn Fouquet in Kenntnis setzte, damit er Ihnen bei Seiner Majestät zuvorkommen konnte,« fuhr Aramis fort. – »Das Warum ist mir nicht recht klar,« antwortete der Gaskogner.

»Mein Gott, Herr Fouquet hat viele Feinde, und besonders einen, der ihm mehr als alle andern gefährlich ist. Um diesem Feinde die Spitze zu bieten, mußte Fouquet dem König ein großes Opfer bringen, und er hatte sich’s vorgenommen, Majestät eine große Überraschung zu bereiten, indem er ihm das fertig befestigte Belle-Ile zum Geschenk machte. Wenn Sie nun früher nach Paris gekommen wären, hätten Sie ihm die Freude verdorben. Denn hinterher hätte es so ausgesehen, als wenn er’s aus Furcht täte. Und das ist das ganze Geheimnis.«

»Da wäre es aber doch weit einfacher gewesen, mich auf Belle-Ile ins Vertrauen zu ziehen. Sie hätten doch bloß zu sagen brauchen: ›Lieber Freund, wir befestigen die Insel, um sie dem König zu schenken. Sagen Sie uns, wessen Freund Sie sind, ob Fouquets oder Colberts.‹ – Vielleicht hätte ich geschwiegen. Wenn Sie mich aber weitergefragt hätten: ›Sind Sie mein Freund?‹ so würde ich Ja geantwortet haben. Ich hätte dann zum König gesagt: ›Herr Fouquet macht eine starke Festung aus einer Insel, aber man hat mir diese Zeilen für Eure Majestät mitgegeben.‹ Dann wäre Ihr Geheimnis gewahrt geblieben, und ich hätte nicht die Rolle eines Einfaltspinsels gespielt. Dann brauchten wir uns auch jetzt nicht mit scheelen Blicken anzusehen.«

»Sie haben jedenfalls auch von Porthos erfahren,« fragte Aramis, sich auf die Lippe beißend, »wie es kam daß Porthos hinzugezogen wurde?« – »Nein,« antwortete d’Artagnan. »So neugierig ich bin, ich bin nie zudringlich, wenn ich merke, daß man etwas vor mir geheimhalten will.« – »Nun, ich will es Ihnen sagen.« – »Es lohnt nicht, sofern diese Mitteilung mich zu irgendetwas verpflichten soll.« – »Seien Sie unbesorgt,« antwortete d’Herblay. »Ich bin Porthos immer gut gewesen, er ist so aufrichtig und wahrhaftig, und ich hasse ja auch alle Falschheit und Intrige. So ließ ich ihn nun nach Vannes kommen, und Herr Fouquet, mein Gönner und Freund, fand Gefallen an ihm. Das ist das ganze Geheimnis. Und nun – wollen nicht auch Sie Fouquets Freund werden? Wollen Sie Marschall von Frankreich, Pair und Herzog werden, Besitzer eines Herzogtums, das eine Million wert ist?«

»Lieber Freund, was muß ich tun, um dies alles zu werden?« erwiderte d’Artagnan. – »Den Interessen Fouquets dienen.« – »Ich diene dem König.« – »Aber doch nicht ausschließlich?« – »Freund, wohl wünsche ich Marschall von Frankreich, Pair und Herzog zu werden, aber dazu wird mich der König machen.« – Aramis sah den Musketier scharf an. »Lieber Freund,« sagte er, »Könige sind undankbar, und wenn Ludwig Sie mal nicht mehr braucht –« – »Er wird mich einstweilen noch lange brauchen,« versetzte der Kapitän. »Sehen Sie, lieber Freund, wenn mal ein neuer Prinz von Condé zu verhaften ist, wer soll ihn verhaften? wer kann ihn verhaften? Dieses hier – sonst nichts in ganz Frankreich!« und bei diesen Worten schlug er stolz an sein Schwert.

»Da haben Sie recht,« sagte Aramis und erblaßte.

»Man ruft zum Souper,« sprach d’Artagnan. »Sie entschuldigen –« – »Ein Freund, wie Sie,« rief Aramis, »ist der schönste Edelstein der Krone.« Und sie trennten sich. »Ich dachte mir’s wohl,« sagte d’Artagnan zu sich selbst, »daß etwas dahinter steckt.« – »Die Mine muß in Brand gesetzt werden,« dachte d’Herblay, »d’Artagnan hat Lunte gerochen.«

  1. Man lese in dem Roman »Zwanzig Jahre nachher« das 10. Kapitel des 2. Teils. Herzogin von Chevreuse (vergleiche auch die Einleitung) ist die frühere Marie Michon und infolge eines pikanten Abenteuers Mutter des Grafen Rudolf von Bragelonne.

2. Kapitel. Madame und Graf von Guiche

Graf von Guiche lehnte in einer Nische, als ein Lakai der Herzogin von Orléans zu ihm trat. »Königliche Hoheit hat nach Ihnen gefragt, Herr Graf. Ist es Ihnen möglich, zu Madame zu kommen?« – »Ich stehe zu Ihrer königlichen Hoheit Befehl.« – »So belieben Sie mir zu folgen.« – Guiche trat bei Henriette ein und fand sie bleich und aufgeregt. – »Ah, Sie sind es, Herr Graf!« rief sie ihm entgegen. »Seien Sie willkommen. Fräulein von Montalais, Ihr Dienst ist zu Ende.« – Die Prinzessin blieb mit Guiche allein. – »Sagen Sie, Graf, finden Sie die Geschichte mit den Armbändern nicht sehr sonderbar? Glauben Sie an eine aufrichtige Liebe des Königs?« – Guiche sah sie lange an; sein Blick drang in ihr Herz; sie schlug die Augen nieder. – »Ich glaube, der König hat dabei nur die Absicht, jemand zu quälen,« antwortete er. »Sonst würde er es wohl kaum darauf ankommen lasten, ein junges Mädchen von tadellosem Rufe leichtsinnig zu kompromittieren.« – »O, die Schamlose!« rief Henriette außer sich. – »Hoheit,« entgegnete Guiche ehrfurchtsvoll, aber entschieden, »erlauben Sie mir zu erwidern, Fräulein von Lavallière wird von einem Manne geliebt, den man als Ehrenmann achten muß.« – »Bragelonne wohl, wie?« – »Mein Freund, ja, Madame.« – »Was kümmert’s den König, ob er ihr Freund ist?« – »Der König weiß um Bragelonnes Verlöbnis mit Fräulein von Lavallière; und da Rudolf sich im Dienst ausgezeichnet hat, wird Seine Majestät kein Unglück verursachen, das nicht wieder gutzumachen wäre.« – Madame antwortete mit einem Lachen, das den Grafen schmerzlich berührte. – »Ich wiederhole, Madame, ich glaube nicht, daß der König die Lavallière wirklich liebt. Ich möchte Sie fragen, wem der König damit einen Schabernack spielen will. Eure Hoheit wissen das vielleicht, denn es geht das Gerücht, Sie seien sehr intim mit dem König.« – Madame biß sich auf die Lippen, schien jedoch Guiches Worte zu überhören und sagte, wie zu sich selbst: »Wenn ich an die Armbänder denke, so könnte ich den Verstand verlieren.« – »Hoheit glaubten, der König würde sie Ihnen schenken?« fragte Guiche. – »Warum nicht?« – »Aber Hoheit sind nur des Königs Schwägerin – da wäre doch vor Ihnen erst die Königin selbst gekommen.« – »Und vor der Lavallière,« versetzte die Herzogin gekränkt, »kam ich – kam der gesamte Hof –« – »Wenn man Sie so reden hört, Madame, wenn man Ihre geröteten Augen und diese Träne sieht, die an Ihrer Wimper zittert, dann könnte man wirklich glauben. Königliche Hoheit wären eifersüchtig.«

»Eifersüchtig,« rief die Prinzessin stolz, »auf eine Lavallière?« – Sie erwartete, daß ihr hochfahrender Ton den Grafen überzeugen würde; er aber wiederholte fest und ruhig: »Jawohl, Madame, eifersüchtig auf die Lavallière.« – »Ich glaube, Herr Graf, Sie wollen mich insultieren?« rief sie. – »Ich glaube nicht, Madame,« erwiderte der Graf ein wenig gereizt. – »Gehen Sie!« herrschte sie ihn an, erbittert über seine Kaltblütigkeit.

Der Graf erhob sich, erblaßte, machte aber mit Ruhe seine Verbeugung und schickte sich an zu gehen. »Es war nicht der Mühe wert, mich rufen zu lasten, wenn Sie weiter nichts von mir wollen,« sagte er. – Doch er war kaum fünf Schritte gegangen, als Madame hinter ihm herstürzte, ihn beim Arme faßte und ungestüm zurückzog. »Ihre erheuchelte Ehrerbietung,« stieß sie zitternd hervor, »ist noch beleidigender als die Beleidigung selbst. Sprechen Sie meinetwegen Beleidigungen aus, aber sprechen Sie wenigstens!«

»Und Sie, Madame,« versetzte der Graf und zog den Degen, »durchstoßen Sie mir die Brust, aber martern Sie mich nicht langsam zu Tode!« – Sie weinte. – Guiche nahm sie in seine Arme und trug sie in den Fauteuil zurück. Sie sank wie ohnmächtig nieder. – »Warum bekennen Sie mir nicht Ihren Schmerz?« flüsterte er, ihr zu Füßen knieend. »Lieben Sie jemand anders? Sagen Sie es mir – es wird mich das Leben kosten – aber ehe ich sterbe, werde ich doch noch Ihren Schmerz lindern, Sie trösten, Ihnen dienen können.«

»Wie?« antwortete sie, plötzlich besänftigt, »so lieben Sie mich?« – »Ja, Madame, so liebe ich Sie.« – Sie reichte ihm beide Hände. – »Nun ja, ich liebe,« flüsterte sie so leise, daß die Worte kaum zu verstehen waren. – »Den König?« fragte er. – Sie schüttelte den Kopf und lächelte. »O, nein, in einem Herzen, das sich seines Wertes bewußt ist, wohnt eine andere Liebe. Ich bin auf einem Thron geboren und stolz auf meinen Rang. Graf, warum nähert der König sich unwürdigen Geschöpfen?« – »Madame,« erwiderte er. »Sie sprechen von einem Mädchen, das die Gattin meines Freundes werden wird.«

»Sind Sie wirklich so einfältig, das zu glauben?« fragte sie. – »Wenn ich es nicht glaubte, so würde Bragelonne morgen erfahren, was hier vorgeht,« antwortete der Graf. »Wenn ich glaubte, die Lavallière hätte den Schwur vergessen, den sie Rudolf geleistet – – doch nein! es wäre ein Verbrechen, einen Freund um seine Ruhe zu bringen.« – »Sie meinen, gar nichts davon zu wissen, sei besser?« fragte sie. – »Ich glaube es,« antwortete er. »Und dann – wo sind die Beweise? Einstweilen spricht noch der ganze Hof, der König liebe Sie, und Sie liebten den König.« – »Wie? Sie wollen dem unglücklichen jungen Manne nicht die Augen öffnen?« fragte Madame. »Sie wollen ruhig zusehen, wie er sie trotz allem weiterliebt?« – »Ja, bis ich mich überzeugt habe, daß die Lavallière wirklich treulos ist.«

Die Herzogin schwieg nachdenklich. Sie fühlte, Graf Guiche glaubte schon jetzt an die Treulosigkeit der Lavallière und an die Liebe des Königs, nur wollte er seine Meinung nicht rückhaltlos aussprechen, um ihr nicht wehzutun. Sie mußte sich gestehen, es war das erste Mal, daß ein Liebhaber das gewöhnliche Mittel verschmähte, einen Nebenbuhler aus dem Felde zu schlagen, indem er ihn des Verhältnisses mit einer andern verdächtigte. Kurz, sie erkannte so viel echten Edelmut im Herzen ihres Verehrers, daß ihr eigenes Herz bei der Berührung mit einer so reinen Flamme sich läuterte. Ihre Gefühle für ihn wurden dadurch um vieles inniger und wärmer. »Graf,« sagte sie, ihm die Hand reichend, »mag der König die Lavallière lieben oder nicht, mag die Lavallière den König lieben oder nicht, wir beide wollen uns nicht mehr darum kümmern. Ich bin zwar die Schwester des Königs, die Schwägerin seiner Gemahlin, aber ich will mich mit seinen Familiengeschichten nicht befassen, ich bin ja selbst verheiratet. Und das muß auch für Sie eine Mahnung sein, mir stets mit der größten Ehrerbietung zu nahen. Sie sehen also, Graf, ich habe auf zwei Rollen Bedacht zu nehmen, auf die Rolle der Schwägerin und auf die der Gemahlin –«

»O,« rief Graf Guiche und fiel ihr zu Füßen. – »Doch mich dünkt,« flüsterte sie, »ich habe daneben noch eine dritte Rolle, die ich trotz allem nicht vergessen darf: ich bin ein Weib und liebe!« – Er stand auf, sie breitete die Arme aus, beider Lippen berührten sich.

Hinter der Tapetentür hörte man Tritte. Die Montalais klopfte. »Madame,« rief sie, »man sucht den Grafen von Guiche.« – Der Graf verneigte sich vor der Herzogin und entfernte sich rasch. In seiner Wohnung fand er einen Kurier, der ihm ein Schreiben von Rudolf von Bragelonne überbrachte. Der Graf las es bei der brennenden Kerze.

»Lieber Freund! Auf meiner Reise habe ich Wardes getroffen. Sie wissen, er ist von Charakter gehässig und boshaft. Er sprach von Ihnen und Madame und ließ durchblicken, daß er um Ihre Liebe zur Herzogin wisse. Er sprach auch von einer Person, die mir sehr nahesteht, und zwar in eigentümlichen Ausdrücken des Bedauerns, die mich – so sehr ich mich dagegen sträube – mit ungewisser Furcht erfüllen. Ich weiß, er liebt es, den Geheimnisvollen zu spielen, aber er behauptete, bestimmte Nachricht vom Hofe zu haben. Er deutete an, der König habe seine Liebe inzwischen einer andern Dame zugewandt, von der man infolgedessen allerdings nicht viel Gutes spreche. Wardes ist im Begriff, nach Paris abzureisen; ich habe keine näheren Erklärungen von ihm verlangt, weil ich mich nicht erst wieder mit ihm einlassen wollte. Auf der Weiterreise habe ich mir nun allerhand Gedanken gemacht. Ganz sicher haben die Andeutungen Wardes‘ einen ganz bestimmten Sinn, sofern es sich um jene von mir geliebte Dame handelt. Ich wende mich nun an Sie. Suchen Sie zu erfahren, was er gemeint hat, wenn Sie es nicht schon wissen. Empfehlen Sie mich, lieber Freund, dem Fräulein von Lavallière, dem ich ehrerbietig die Hand küsse. Mit herzlichem Gruße Ihr Vicomte von Bragelonne. – Nachschrift: Sollte sich etwas Wichtiges ereignen, so senden Sie mir einen Eilboten mit dem einzigen Worte: »Kommen Sie!« und in 36 Stunden bin ich in Paris.«

Guiche steckte den Brief seufzend ein. »Eine dumme, dumme Geschichte!« murmelte er. »Wer weiß, wie das noch endet! Und Wardes,« setzte er mit drohender Gebärde hinzu, »mischt sich in meine Angelegenheiten und erlaubt sich, von meinem Verhältnis zu Madame zu sprechen? Warten Sie, Marquis, Sie werden es mit mir zu tun haben! Armer Rudolf, du hast mir ein deinem Herzen teures Gut anvertraut – nun, ich werde auf der Hut sein.«

Von Wardes traf am andern Tage bei Hofe ein und wurde freundlich aufgenommen. Er hatte sich so lange ferngehalten, um den unliebsamen Auftritt im Zimmer d’Artagnans bei allen, die dabei gewesen, in Vergessenheit geraten zu lassen, und nun wurde er namentlich von Monsieur, der gern einmal ein neues Gesicht sah, mit einer Freude begrüßt, die eines bessern würdig gewesen wäre. Das empfand selbst Chevalier von Lorraine, der zusammen mit Guiche diesem Empfange beiwohnte. Als Wardes vom Herzog entlassen worden war, traf Guiche mit ihm zusammen. Beide begrüßten sich nach höfischer Art und wechselten liebenswürdige Komplimente. »Glücklich wieder hier, Herr von Wardes?« sagte Graf Guiche. »Was bringen Sie Neues mit?« – »Nichts,« antwortete der junge Mann. »Neues hoffe ich hier zu erfahren.« – »Pardon, Sie haben doch erst vor kurzem einen meiner Freunde getroffen,« sagte der Graf. – »Richtig, ja, Bragelonne,« versetzte der Marquis, über den Ton des Grafen stutzend. »Ich muß gestehen, ich weiß nicht recht, was wir miteinander geredet haben. Sie wissen ja, es besteht eine gewisse Spannung zwischen uns.« Er merkte an der kalten, würdevollen Haltung Guiches, daß das Gespräch eine für ihn üble Wendung nehmen würde und beschloß, auf der Hut zu sein. »Die Geschichte mit der Lavallière habe ich wohlweislich verschwiegen,« setzte er hinzu.

»Was ist das mit der Lavallière?« fragte Guiche. »Das muß eine seltsame Geschichte sein, daß Bragelonne sie von Ihnen in Calais erfahren mußte, während er doch von hier kam.« – »Wie, Herr Graf! Fragen Sie das im Ernst, Sie, der bevorzugte Günstling unserer schönen Prinzessin?« – »Welcher Prinzessin?« rief Guiche und errötete vor Zorn. – »Ich kenne nur eine, Graf – Madame. Oder sollten Sie noch eine zweite im Herzen tragen?«

Ein Streit zwischen den beiden jungen Kavalieren war kaum noch zu umgehen. Aber von Wardes wollte es so wenden, daß die Prinzessin die Ursache sei, während von Guiche den Zwist nur in Sachen der Lavallière annehmen mochte. Er parierte daher die Finte des Marquis. »Von Madame ist hier gar keine Rede,« versetzte er, »sondern von Bragelonne und Fräulein von Lavallière oder vielmehr von einer Geschichte –« – »Die Ihnen ebenso bekannt ist wie mir,« sagte Wardes.

»Auf Ehre, nein!« – »Sie scherzen! Ich komme von weit her, und Sie haben den Hof keinen Augenblick verlassen. Sie haben mit eigenen Augen gesehen, was mir das Gerücht zugetragen, und Sie geben Ihr Ehrenwort, nichts zu wissen. Sie tun sehr verschwiegen – aber ja doch, die Klugheit gebietet es Ihnen.«

»Sie wollen also weder mir noch Bragelonne etwas sagen?« – »Bragelonne?« entgegnete Wardes. »Der wird sobald nicht wiederkommen. Oder glauben Sie etwa man habe ihn zum Spaße nach London geschickt? Nein, man will ihn sich recht lange vom Halse halten.«

»Ha, Marquis, wenn Sie das Bragelonne gegenüber angedeutet haben, so verstehe ich allerdings, daß er sehr besorgt an mich geschrieben hat,« sagte Graf Guiche.

»Er hat an Sie geschrieben? So!« antwortete der Marquis kalt. »Was denn?« – »Daß Sie boshafte Andeutungen über Fräulein von Lavallière gemacht und über seine Zuversicht zu ihrer Treue gelächelt hätten.«

»Das habe ich allerdings getan, aber der tapfere Bragelonne regte sich nicht auf,« antwortete Wardes. »Da würden Sie es gewiß anders machen, wenn ich Ihnen zum Beispiel sagte, die schöne Prinzessin habe Lord Buckingham nur deshalb weggeschickt, um sich Ihnen zu widmen.« – »Das würde mich gar nicht verletzen,« antwortete der Graf, »denn eine solche Gunst wäre Balsam für mich.«

»Mag sein, aber wenn mir’s um einen Streit zu tun wäre, dann würde ich noch weiter gehen und von einem gewissen Gebüsch sprechen, wo Sie mit der Prinzessin zusammentrafen, von einem Kniefall, von einem Handkusse – und Sie würden dann als diskreter Kavalier –« – »Nein, wahrlich nicht!« rief Guiche, obgleich er totenblaß war, »das würde mich nicht rühren – ich würde Ihnen nicht widersprechen. Alles, was meine Person betrifft, läßt mich kalt, ich erhitze mich nur für meine Freunde. Und für einen Freund besonders gehe ich ins Feuer!«

»Aber, lieber Graf,« erwiderte Wardes, »wir können doch unmöglich so viele Worte um Bragelonne und die unbedeutende Lavallière wechseln.« – In diesem Augenblick gingen mehrere Höflinge vorbei, und Wardes rief, als er dies sah, mit lauter Stimme: »Ja, Herr Graf, wenn die Lavallière kokett wäre, wie Madame, deren freilich harmlose Neckereien erst Lord Buckingham nach England zurückgetrieben und dann Sie in die Verbannung jagten –« – »Mein Gott!« erwiderte Guiche, das Spiel Wardes‘ durchschauend und entschlossen, ihn zu übertrumpfen, »ich bin nun mal ein Geck und bildete mir was ein; aber ich habe meinen Irrtum erkannt, Abbitte getan und meinen Fehler abgelegt. Ich bin ein anderer Mensch geworden und lache jetzt über Dinge, die mir vor vierzehn Tagen noch das Herz zerrissen hätten. Aber Rudolf liebt noch immer wahr und glaubt sich wiedergeliebt. Er kann noch nicht über die Gerüchte lachen, die Sie ihm hinterbracht haben, obwohl Sie so gut, wie einzelne der Herren dort, wissen, daß diese Gerüchte die reine Verleumdung sind.«

Die Herren traten näher, Saint-Aignan und Manicamp an der Spitze.

»Nichts als Verleumdung!« rief Graf Guiche. »Meine Herren, gestatten Sie, daß ich Sie zu Richtern in dieser Sache mache. Hier ist der Brief, den Bragelonne mir geschrieben hat. Er teilt mir darin mit, was Herr von Wardes zu ihm gesagt hat. Hören Sie es!« Und er las Rudolfs Schreiben vor. »Und nun kann ich eben nicht mehr daran zweifeln, daß Herr von Wardes durch boshafte Reden deren Grundlosigkeit er selber kannte, meinen teuren Freund unglücklich machen wollte.«

Von Wardes sah sich um und erkannte, daß er von den Umstehenden keinen Beistand erhoffen durfte; denn bei dem Gedanken, daß er die Lavallière, die jetzt die Göttin des Tages war, beleidigt hätte, schüttelte jedermann den Kopf. Das entging Herrn von Guiche nicht. »Meine Herren,« fuhr er fort, »mein Wortwechsel mit von Wardes darf nur bis hierher von Zeugen gehört werden; das weitere lassen Sie uns bitte unter vier Augen abmachen.« – »Aber, meine Herren!« rief Manicamp, in der Absicht zu vermitteln. – »Oder sollten Sie meinen, ich sei im Unrecht, wenn ich Fräulein von Lavallière gegen seine Beleidigungen in Schutz nehme?« fragte von Guiche. »In diesem Falle müßte ich allerdings –« – »O, keineswegs, keineswegs!« unterbrach ihn Saint-Aignan. »Fräulein von Lavallière ist ein Engel.« – »Sie ist die Tugend, die Keuschheit selbst,« setzte Manicamp hinzu. – »Sie sehen, Herr von Wardes, ich bin nicht der einzige, der das arme Kind verteidigt. Meine Herren, nochmals, lassen Sie uns allein!«

Die Kavaliere entfernten sich.

»Ich muß sagen, das haben Sie gut gemacht,« murmelte Wardes. »Man sieht, in der Provinz rostet man ein; Sie aber haben im Umgang mit gewandten Damen viel gelernt.« – »Herr von Wardes, alle Welt kennt Sie als einen boshaften Menschen. Ich im besonderen kenne Sie jetzt auch noch als Feigling.« – »Sie möchten mich gern totschießen, nicht wahr, Herr Graf?« entgegnete Wardes. »Ich bin aber willens, auf Herrn von Bragelonne zu warten. Er hat das Vorrecht.« – »Nein, Sie werden nicht auf ihn warten,« versetzte der Graf spöttisch. »Sie haben selbst gesagt, er wird lange fortbleiben. Sie wollen die Zeit benützen, um zu flüchten.«

»Sind Sie von Sinnen?« rief der Marquis zurücktretend. – »Sie sind ein erbärmlicher Fant. Wenn Sie sich nicht gutwillig schlagen, so soll der König erfahren, daß Sie das Fräulein von Lavallière beleidigt haben.« »Ah! also doch!« rief Wardes triumphierend, »und das nennen Sie Freundestreue, Herr Graf! Gut, ich nehme an. Setzen wir uns zu Pferde und wechseln wir drei Pistolenschüsse! Sie sind ja ein trefflicher Schütze.« – »Sie nicht minder,« antwortete Guiche. »Ja, Sie sind dabei im Vorteil, denn ich habe Sie mal Schwalben im Fluge schießen sehen.« – »Gut, es bleibt bei der Abrede. Ich lasse sogleich mein Pferd satteln. Wohin reiten wir?« – »In den Wald. Ich weiß einen guten Platz.« – »Reiten wir zusammen?« – »Warum nicht?«

Beide gingen zu den Pferdeställen und waren schon nach wenigen Minuten unterwegs nach einem Orte von dem vielleicht nur einer lebend wiederkehren würde.

3. Kapitel. Souper beim König

Während die beiden Kavaliere in einem nahen Walde ihren Ehrenhandel ausfochten tafelte der König inmitten einer glänzenden Gesellschaft. Ludwig XIV. war jung und kräftig und als leidenschaftlicher Jäger ungestümen Leibesübungen ergeben; er besaß daher jene natürliche Wärme des Blutes, die rasch verdauen hilft und bald frischen Appetit entstehen läßt. Er war ein gefürchteter Tischgenosse, der gern die Köche tadelte, aber wenn er ihren Leistungen Ehre erwies, dann geschah es gewöhnlich in sehr weitgehendem Maße.

Das Mahl begann in der Regel mit verschiedenen Suppen, zwischen die Ludwig je ein Glas alten Weins einschaltete. Er aß schnell und ziemlich gierig. Als Porthos, der neben d’Artagnan saß, den König wacker einhauen sah, flüsterte er dem Musketier zu: »Mich dünkt, man könnte auch anfangen. Majestät geht mit gutem Beispiel voran.« – »Der König plaudert aber dabei immer noch,« erwiderte der Musketier, »und wenn er Sie anspricht, so hüten Sie sich, mit vollem Munde zu antworten.« – »Soll ich da etwa gar nicht essen?« fragte Porthos. »Aber ich habe Hunger, und es riecht alles so gut. Ich lasse es darauf ankommen.« – »Nichts zu essen, wäre das Allerverkehrteste, das würde Majestät als Beleidigung auffassen,« sagte der Gaskogner. »Der König pflegt zu sagen: Wer wacker arbeitet, darf auch wacker essen. Er sieht’s nicht gern, wenn man bei Tische lange Zähne macht. Wenn er Sie anspricht, dann schlucken Sie nur rasch hinunter, ehe Sie antworten.«

Porthos nahm sich das zu Herzen und aß mit Enthusiasmus. Der König sah von Zeit zu Zeit über seine Tischgefährten hin. »Herr du Vallon!« rief er plötzlich. – Porthos verschlang einen großen Bissen Hasenfleisch.

»Majestät!« rief er mit erstickter Stimme. – »Man reiche Herrn du Vallon dieses Hammelfilet,« sagte der König. »Essen Sie so etwas gern, Herr du Vallon?« – »Ich esse alles gern, Majestät,« antwortete Porthos. – »Besonders das, was Eure Majestät mir zuschickt,« flüsterte d’Artagnan ihm zu, und Porthos wiederholte diese Worte. – Der König lächelte. »Wer wacker arbeitet, darf auch wacker essen,« sagte er. »Möchten Sie einmal diese Speise aus süßem Rahm kosten?«

»Majestät sind sehr gütig,« antwortete Porthos, »aber wenn ich die Wahrheit sagen darf, so mache ich mir nicht viel aus dem zuckrigen Geschlapper; diese Crèmes blähen den Magen auf und verrichten nichts; sie nehmen einen Platz weg, der mir viel zu kostbar erscheint, als daß man ihn schlecht ausfüllen sollte.« – »Ha, meine Herren!« lachte Ludwig, »da haben wir mal einen wahrhaften Gastronomen! So aßen unsere Väter, und sie wußten noch gut zu essen! Wir tun ja nur so.« – Dabei nahm er sich Geflügelragout, während Porthos ein Gemengsel von Lachs und Rebhuhn versuchte. Der Mundschenk füllte Ludwigs Glas. »Geben Sie von meinem Wein Herrn du Vallon!« sagte er. – Das war eine der großen Ehren bei Tafel. D’Artagnan drückte unterm Tische seinem Freunde das Knie.

»Herr du Vallon,« sagte der König, »wenn Sie den Wildschweinskopf da zur Hälfte verzehren, so mache ich Sie zum Herzog und Pair.« – »Ich will mich gleich darüber hermachen,« antwortete Porthos phlegmatisch, und er aß nicht nur die Hälfte davon, sondern drei Viertel. – »Wahrlich, ein Edelmann, der so tüchtig essen kann und so prachtvolle Zähne hat,« sagte der König, »muß der erste Kavalier meines Reiches sein.« Und zum größten Vergnügen der Gäste fuhren Ludwig XIV. und Porthos fort zu essen und ließen alle andern weit hinter sich zurück. Dann aber stieg dem König das Blut ins Gesicht – das erste Zeichen der Sättigung. Er dachte nun nicht mehr an Porthos, sondern sah nach der Tür, in der Erwartung, Saint-Aignan mit einer ersehnten Nachricht kommen zu sehen. Endlich trat der Graf ein – Ludwig XIV. stand auf – das Souper war zu Ende.

»Herr du Vallon,« sagte der König, schon auf der Türschwelle, »es hat mich gefreut, Sie kennen zu lernen; es wird mir stets Freude machen, Sie wiederzusehen. Herr d’Artagnan, meinen Dank, daß Sie mich mit dem Herrn Baron bekannt gemacht haben. Meine Herren, morgen kehre ich nach Paris zurück, um die Gesandten von Spanien und Holland zu verabschieden.«

Der König zog seinen Hofmeister in ein Nebenzimmer und hörte dort, was jener ihm von Fräulein von Lavallière zu berichten hatte. Er brachte ein Briefchen, das Majestät mit großer Begierde öffnete und las. – »Sie schreibt, sie wäre in sehr erregter Stimmung. Weshalb das?« fragte er. – »O, wegen des Unfalls, der dem Grafen von Guiche zugestoßen ist,« antwortete Saint-Aignan. »Er hat eine Hand verloren, ist in der Brust verwundet worden und liegt auf den Tod. Herr von Manicamp hat es von einem Arzt gehört.« – »Wer hat ihm das getan?« rief der König. – »Man sagt, es sei ein Streit zwischen ihm und einem andern Edelmann entstanden,« sagte Saint-Aignan. »Und dann sei Guiche nicht im Duell, gegen das Eure Majestät ja sehr strenge Befehle erlassen haben, sondern aus dem Hinterhalt verwundet worden.« – »Und wer hat es getan?« – »Das weiß man nicht. Vielleicht kann Herr von Manicamp es sagen. Denn er hat mit noch einem andern den Verwundeten heimgeschafft.« – »Wo ist es geschehen?« – »Im Walde von Rochin, auf einer Lichtung,« antwortete der Hofmeister.

»Unbegreiflich,« sagte der König. »Rufen Sie d’Artagnan.« – Saint-Aignan gehorchte. – Der Musketier trat ein. – »Herr Kapitän,« sagte der König, »reiten Sie sofort nach der Lichtung im Walde von Rochin. Kennen Sie die Stelle? – »Sire, ich habe mich dort zweimal duelliert.« – Der König fuhr auf. – »Sire,« fügte d’Artagnan sogleich hinzu, »zu der Zeit, als noch Richelieu regierte.« – »Das ist etwas anderes,« sagte der König. »Reiten Sie hin. Es soll dort ein Mann tödlich verwundet worden sein. Stellen Sie eine genaue Untersuchung an und sagen Sie mir dann Ihre Meinung.« D’Artagnan ging, und der König sagte zu Saint-Aignan: »Und Sie, Herr Graf, holen Sie mir meinen Arzt.« – Der Mediziner kamen zehn Minuten später an, atemlos vom raschen Laufen. »Doktor,« sagte Ludwig XIV. zu ihm, »folgen Sie Herrn von Saint-Aignan, wohin er Sie führen wird, und berichten Sie mir dann ausführlich über den Zustand des Kranken, den Sie in dem Hause finden werden, wohin mein Hofmeister Sie bringt. Und Sie, Saint-Aignan, schicken mir noch Herrn von Manicamp her.«

Während Ludwig XIV. diese Befehle erteilte, sprengte d’Artagnan, eine Laterne am Gürtel, in den Wald von Rochin, stieg bei der Lichtung ab und untersuchte den Platz sorgfältig. Er ging ihn nach allen Seiten hin ab, maß, prüfte und überlegte und war nach einer halben Stunde wieder beim König.

»Nun, Kapitän, was haben Sie ermittelt?« rief Ludwig. – »Majestät, ich habe ein totes Pferd auf der Lichtung gefunden – das ist das erste,« begann d’Artagnan. »Ich habe die vier Wege untersucht, die zur Lichtung führen, und nur der von Fontainebleau aus wies frische Spuren auf. Dort sind zwei Pferde nebeneinander gegangen, die acht Hufe sind deutlich zu unterscheiden.« – »Sie sind also überzeugt, daß zwei Herren dorthin geritten sind?« fragte Ludwig. – »Ja. Sire. Am Rande der Lichtung haben sie haltgemacht, vielleicht um sich über die Bedingungen des Zweikampfes zu einigen. Dann ist einer von ihnen über die Lichtung geritten, um sich vor seinem Gegner aufzustellen. Der andere ist dann im Galopp geradeaus gesprengt, in der Meinung, er werde so auf den Gegner treffen, der aber hatte sich seitwärts im Walde versteckt. Es ist so finster gewesen, Sire – was es nebenbei jetzt auch noch ist – daß die beiden einander erst aus der Nähe sehen konnten.«

»Haben Sie irgendwelchen Anhalt, der auf die Personen hindeutet?« – »Ja, Sire, derjenige, der sich seitwärts versteckte, hat einen Rappen geritten.« – »Woher wissen Sie das?« – »Ein paar Haare vom Schweif sind an dem Brombeerstrauch hängen geblieben, der dort am Rande des Waldes steht. Was das andere Pferd anbetrifft, so ist es leicht zu erraten, wem es gehörte, denn es ist ja tot auf dem Platze geblieben.«

»Wie ist dieses Pferd getötet worden?« – »Durch einen Schuß in die Schläfe,« fuhr d’Artagnan fort. »Und zwar durch einen Pistolenschuß. Die Kugel ist also von der Seite gekommen, während die Spuren des Pferdes in gerader Richtung verlaufen, und daraus schließe ich, daß der Reiter dieses Pferdes seinen Gegner in gerader Richtung vermutete, während jener sich heimtückischerweise, die Dunkelheit benützend, seitwärts geschlagen hat, um seinem Feinde in die Flanke zu fallen. Weitre Einzelheiten beweisen das noch. Das Pferd war auf der Stelle tot.«

»Woher wissen Sie das?« – »Der Reiter hatte nicht mehr Zeit, aus dem Sattel zu springen. Er stürzte mit dem Pferde. Ich sah die Spur jenes Fußes, den er nur mit Mühe unter dem Leibe des gestürzten Tieres hervorgezogen hat. Der Sporn hat die Erde aufgerissen. Als er wieder auf den Beinen war, wußte er, wo er seinen Gegner zu suchen hatte, und ging geradeswegs auf ihn los. Er ist sehr schnell gelaufen. Als er auf Schußweite heran war, stemmte er die Hacken fest auf, um sicher zu stehen und gut zu zielen, und drückte auf seinen Gegner ab. Er hat gefehlt.« – »Und woher wissen Sie das?« – »Ich fand den von der Kugel durchbohrten Hut am Waldesrande.« – »Ah, das ist ein Beweisstück!« rief der König. – »Ein unzulängliches, Sire,« antwortete d’Artagnan, »denn der Hut hat keinerlei Merkzeichen, er ist von einer Art, die hunderte tragen.« – »Und dieser Mann mit dem durchlöcherten Hute?« fragte der König. – »Er hatte nun Zeit wieder zu laden, aber der Schuß seines Gegners hatte ihn erschreckt, daß seine Hand zitterte.« – »Woher wissen Sie denn nun das?«

»Er verschüttete die Hälfte des Pulvers und warf auch noch den Ladestock weg, da er keine Zeit mehr hatte, ihn an die Pistole zu stecken.« – »Herr Kapitän, was Sie da sagen, ist vortrefflich,« rief der König. »Man sieht, wie sich alles abgespielt hat, wenn man Sie anhört.« – »Ich habe nur Untersuchungen angestellt,« antwortete d’Artagnan, »die jeder Schnapphahn ebenso machen könnte.«

»Weiter! Nun also schoß der Mann, dem der Hut durchlöchert worden war?« – »Ja, und sein Schuß war furchtbar. Er traf den andern, der aufs Gesicht niederstürzte, nachdem er drei Schritte weit getaumelt war.« – »Wo ist er getroffen worden?« – »An der Hand und in der Brust.« – »Wie haben Sie das ermitteln können?«

»Sehr einfach; ich fand die Splitter eines zerschmetterten Ringes, den der Verwundete am kleinen Finger getragen haben mußte. Und dann sah ich dort zwei Blutstreifen im Grase, an dem einen hatte die Hand das Gras aus dem Boden gerissen, an dem andern war das Gras bloß durch das Körpergewicht niedergedrückt worden. Beide Streifen lagen so zueinander, daß, wenn der eine von der Hand herrührte, was nicht zu bezweifeln ist, der andere von der Brust herrühren muß.«

»Der arme Guiche!« rief der König –. – »Ah, Sie wissen, daß es Guiche war?« sagte d’Artagnan. »Ich hatte auch die Vermutung, doch wollte ich es nicht so ohne weiteres aussprechen. Das Zaumzeug des gestürzten Pferdes trägt nämlich das Wappen derer von Grammont, es ist also in der Tat aus Guiches Marstall.«

»Und können die Wunden schwer sein?« – »Herr von Guiche ist sehr schwer verwundet; denn er konnte sich nicht vom Platze bewegen. Nachher allerdings ist er, von zwei Freunden gestützt, nach Fontainebleau zurückgekehrt.« – »Sie sind ihm also begegnet?« – »Nein, aber ich habe die Spuren von drei Männern gesehen, und die mittlere deutete auf einen sehr schwerfälligen Gang und wies überdies hier und dort Blutstropfen auf.« – »Herr General-Kapitän, Sie haben den ganzen Zweikampf so vortrefflich ausgekundschaftet,« sagte der König, »daß Sie mir gewiß auch etwas über den Gegner des Herrn von Guiche sagen können.« – »Sire, ich kenne ihn nicht.« – »Sie haben aber doch alles andere ermittelt. Sie haben alles so genau gesehen.« – »Ich sehe wohl alles, Majestät, aber ich sage nicht alles,« versetzte der Musketier. »Der arme Teufel ist entschlüpft. Majestät gestatten mir also, seinen Namen zu verschweigen.« – »Aber wer sich duelliert, ist strafbar.« – »In meinen Augen nicht, Sire.« erwiderte d’Artagnan ruhig.

»Herr, wissen Sie, was Sie da sagen?« rief der König. – »Vollkommen, Sire! In meinen Augen ist ein Mann, der sich wacker schlägt, ein wackerer Mann. Das ist meine Meinung. Majestät können über diesen Punkt anderer Meinung sein, deshalb werde ich jedoch –« – »Herr d’Artagnan, ich habe Ihnen befohlen –« begann Ludwig XIV. ungestüm. – D’Artagnan unterbrach den König mit einer ehrfurchtsvollen Handbewegung. »Majestät haben mir aufgetragen,« antwortete er, »Ermittelungen über den Verlauf eines Zweikampfes anzustellen, das habe ich getan. Wenn Sie mir befehlen, den Gegner des Grafen von Guiche zu verhaften, so werde ich es tun. Wenn Sie mir aber befehlen, ihn zu denunzieren, so werde ich Ihnen den Gehorsam verweigern.«

»Nun denn, so verhaften Sie ihn!« – »Dann bitte ich um seinen Namen, Majestät.« – Ludwig stampfte mit dem Fuße. Nach kurzem Bedenken sprach er jedoch: »Sie haben zehnmal, zwanzigmal, hundertmal recht.« – »Das denke ich, Sire, und es freut mich,« sagte der Musketier, »daß Eure Majestät ebenso denken.« – »Sie haben mir noch nicht alles erzählt?« fragte Ludwig. »Was geschah, als von Guiche gefallen war?«

»Sein Gegner entfloh, ohne ihm zu helfen.« – »Der Elende!« – »Das kommt von Ihren Verordnungen, zum Teufel! Man ist beim Duell dem Tode entronnen, man will ihn nicht durchs Gericht finden.« – »Und so wird man feige!« – »Nein, aber klug. Der Gegner des Grafen von Guiche ritt ins Schloß, und dann sind zwei Männer zu Fuße hingegangen und haben den Grafen geholt.« – »Und woran haben Sie erkannt, daß diese Männer erst nach dem Zweikampf gekommen sind?« – »Daran, daß während des Kampfes Regen fiel, so daß die Tritte der Pferde sich sehr tief in den Boden gedrückt haben. Nachher aber war es wieder trocken, und die Fußspuren haben sich nur wenig eingeprägt.«

»Herr d’Artagnan,« rief der König und klatschte unwillkürlich in die Hände, »Sie sind wahrlich der durchtriebenste Mann in meinem Reiche.« – »Sire,« antwortete d’Artagnan, »das war im stillen auch Richelieus Meinung, und Mazarin hat sie sogar ausgesprochen.« – »Nun bleibt uns nur übrig, Ihre Ermittelungen nachzuprüfen und festzustellen, ob Ihre Vermutungen dem wahren Sachverhalt entsprechen. Ich habe Herrn von Manicamp herbestellt.« – »Meinen Sie, daß er das Geheimnis weiß?« fragte der Chevalier. – »Graf Guiche hat vor Manicamp keine Geheimnisse,« antwortete Ludwig. – Der Musketier schüttelte den Kopf. »Ich wiederhole, Majestät, bei dem Kampfe war niemand zugegen,« sagte er. »Manicamp kann also höchstens einer der beiden Männer gewesen sein, die Herrn von Guiche ins Schloß gebracht haben.« – »Still,« unterbrach ihn der König. »Da kommt er. Bleiben Sie hier und hören Sie zu.«

Manicamp und Saint-Aignan erschienen in der Tür. Der erste verneigte sich, der letztere trat zu d’Artagnan. Der König erwiderte den Gruß des jungen Kavaliers. – »Herr von Manicamp, ich habe Sie rufen lassen, um von Ihnen zu hören, auf welche Weise Herr von Guiche zu den Wunden gekommen ist, an denen er darniederliegt. Waren Sie dabei?«

Herr von Manicamp erkannte an dem Ton, den der König anschlug, daß er sich auf eine schwierige Unterredung gefaßt machen mußte. Er erwog im Geiste rasch seine Lage und beschloß bei sich, keinesfalls seinen Freund Guiche bloßzustellen. Die Gefahr war für den Grafen ebenso schwer wie für von Wardes, denn nach dem Gesetz waren beide Duellanten der Todesstrafe verfallen.

»Ich war nicht unmittelbar dabei,« antwortete der junge Kavalier zögernd. – »Aber wenige Augenblicke nach dem Geschehnis betraten Sie den Schauplatz?«

»Jawohl, Sire, eine halbe Stunde später.« – »Es geschah auf einer Lichtung im Walde von Rochin, nicht wahr?« – »Ja, Majestät, auf dem bekannten Sammelplatz der Jäger.« – »Nun, so erzählen Sie, was Sie von dem Unglück wissen.«

»Vielleicht sind Majestät schon unterrichtet, und ich würde durch die Wiederholung nur ermüden,« antwortete Manicamp diplomatisch. – »Das brauchen Sie nicht zu befürchten,« erwiderte der König. – Der junge Kavalier sah nach den beiden Herren, aber Ludwig XIV. behielt auch diese scharf im Auge, so daß sie ihm nicht einmal durch Blicke einen Wink geben konnten. Er mußte daher seinen Weg ganz allein suchen.

»Majestät wissen ja,« begann er, »es kommen sehr häufig Unfälle auf der Jagd vor – zumal auf dem Anstand.« – »Auf der Jagd? auf dem Anstand?« rief Ludwig erregt, denn er haßte die Lüge. »Geschah es auf dem Anstand? Und auf welches Wild war es denn da abgesehen?« – »Auf einen Eber, Sire,« antwortete Manicamp. – »Wie kommt aber Graf Guiche dazu, ganz allein einem Eber aufzulauern? Ein Mann, wie Graf Guiche, hat doch Hunde und Treiber zur Verfügung.« – Manicamp zuckte die Achseln und antwortete scheinheilig: »Junge Leute sind eben tollkühn.« – »Hm! Fahren Sie fort!«

Manicamp setzte bedächtig ein Wort nach dem andern, wie ein Sumpfvogel im Moor die Füße setzt, und sagte: »Der arme Guiche stellte sich also ganz allein auf den Anstand.« – »Ganz allein! Sieh an, ein netter Jäger, der Herr von Guiche!« rief der König. »Weiß er nicht, daß ein angeschossener Eber den Schützen anfällt?« – »Das eben ist geschehen, Majestät,« sagte Manicamp. – »Graf Guiche hat also genau gewußt, wo er den Eber zu suchen hatte?« – »Ja, Sire, Bauersleute hatten die Fährte des Tieres auf einem Kartoffelfelde entdeckt.« – »Und wie alt war das Vieh?« – »Ein zweijähriger Keiler, Sire.«

»Guiche muß es gerade auf einen Selbstmord abgesehen haben,« versetzte der König. »Ich habe oft mit ihm gejagt und kenne ihn als erfahrenen Weidmann. Wie kann er sich nun einem so gefährlichen Tier mit einer Pistole entgegenstellen!« – Manicamp fuhr zusammen. – »Diese Waffe taugt wohl, um sich mit einem Feinde zu messen, aber zum Kampfe mit einem Wildschwein nimmt man Karabiner!« – »Sire,« sagte Manicamp, »es gibt Dinge, die sich schwer erklären lassen.« – »Da haben Sie recht,« murmelte Ludwig. »Fahren Sie fort!«

»Wahrscheinlich ist die Sache so passiert,« sagte der junge Mann, »Guiche hat auf den Eber gewartet. Zu Pferde, Majestät. Schoß und fehlte. Das Tier lief ihn an. Das Pferd wurde getötet. Guiche kam mit zu Falle, und während er halb unter dem Pferde lag, verwundete ihn das wütende Wildschwein an Hand und Brust.« – »Schrecklich!« erwiderte Ludwig. »Aber Guiche ist selbst daran schuld. Wie kann er auch so unbesonnen sein und mit seiner Pistole –?« – »Sire, was einmal im Schicksalsbuche geschrieben steht–« meinte Manicamp. – »Ah, Sie sind Fatalist,« sagte der König. »Aber als Freund des Herrn Guiche hätten Sie ihn doch zurückhalten sollen. Und sein Pferd war also tot. Sonderbar!« – »Wieso, Majestät? Bei der letzten Jagd erging es dem Pferde des Herrn Saint-Maure ja ebenso.«

»Wohl, doch ihm ward der Bauch aufgerissen,« entgegnete Ludwig, »aber Guiches Pferd ist mit zerschmettertem Kopfe gefunden worden.«

Manicamp geriet abermals in Verwirrung. – »Das Pferd wird versucht haben, sich zu verteidigen,« stammelte er. – »Dann verteidigt es sich mit den Hinterfüßen, nicht mit dem Kopfe.« – »Nun, vielleicht ist das Pferd ganz außer sich gewesen vor Schreck und Mutlosigkeit, denn so ein Wildschwein –! Hat es doch den Reiter ebenso zugerichtet. Wie ich bereits zu bemerken die Ehre hatte, Majestät, es ist über Herrn von Guiche hergestürzt, hat ihm die Hand zerrissen, als er eben seinen zweiten Pistolenschuß tun wollte, und zerfleischte ihm dann noch mit den Hauern die Brust.«

»Gut!« sagte der König mit unverhohlenem Verdruß. »Sie wissen vortrefflich zu erzählen. Ich will von heute ab meinen Kavalieren verbieten, allein auf den Anstand zu gehen, lieber möchte ich das Verbot gegen den Zweikampf widerrufen.« – Manicamp wollte sich entfernen. »Bleiben Sie!« gebot Ludwig, »ich habe noch mit Ihnen zu reden.«

D’Artagnan, der während dieses Gesprächs mit keiner Wimper gezuckt hatte, brummte jetzt in seinen Bart: »Wieder mal einer, der nicht von unserem Schlage ist. Ach, wo gibt es noch Männer vom alten Schrot und Korn?«

In diesem Augenblick ließ der Türhüter Herrn Vallot, den Leibarzt des Königs, ein. – »Ah, sehr gut!« rief Ludwig. »Was bringen Sie mir für Nachrichten von dem Verwundeten?« – »Es steht sehr schlecht mit ihm,« antwortete der Arzt. – »Aber immerhin hat ihn das Wildschwein nicht gleich verschlungen,« warf der König ein. – »Was denn für ein Wildschwein?« fragte der Arzt erstaunt. – »Man sagt, Graf Guiche sei von einem Wildschwein angefallen worden,« antwortete Ludwig.– »Eher wird’s wohl ein Wildschütz gewesen sein,« sagte der Mediziner. »Ein eifersüchtiger Ehemann, ein gekränkter Liebhaber, der aus Rache auf ihn geschossen hat.« – »Was sagen Sie da, Herr Vallot?« rief der König. »Rühren denn die Wunden des Herrn von Guiche nicht vom Kampfe mit einem Wildschwein her?« – »Die Wunden des Grafen rühren davon her,« antwortete der Doktor und zeigte dem König eine Pistolenkugel, die sich plattgedrückt hatte. »Diese Kugel hat ihm den kleinen Finger der rechten Hand zerschmettert und ist dann in die Zwischenrippen der Brust gefahren. Zum Glück hat sie an einer Schnalle Widerstand gefunden.«

»Und diese Kugel hat in Guiches Brust gesteckt?« rief der König. »Herr von Manicamp, davon haben Sie mir nichts gesagt. Herr d’Artagnan, nun scheint mir doch Ihre Vermutung, es habe ein Zweikampf stattgefunden, richtig zu sein.« – Manicamp richtete einen Blick stummen Vorwurfs auf den Chevalier. D’Artagnan verstand diesen Blick, trat vor und sagte: »Majestät haben mir befohlen, die Lichtung zu untersuchen und zu melden, was nach meiner Meinung dort geschehen sei. Meine Feststellungen teilte ich Ihnen mit, doch ohne einen Namen zu nennen. Majestät haben selbst zuerst von Graf Guiche gesprochen.« – »Gut, gut,« antwortete der König würdevoll, »Sie haben Ihre Pflicht getan, aber Sie nicht, Herr von Manicamp. Sie haben mich belogen.« – »Belogen? Das ist ein hartes Wort, Majestät,« erwiderte der junge Mann. – »Finden Sie ein anderes?« – »Sire, ich suche nicht danach,« entgegnete Manicamp fest. »Ich hatte das Unglück, Eurer Majestät zu mißfallen, und nehme den Tadel ruhig hin.« – »Man mißfällt mir immer, wenn man nicht die Wahrheit sagt!« rief Ludwig. – »Manchmal weiß man sie nicht,« versetzte der junge Mann. – »Lügen Sie nicht noch weiter! Sie sehen, das Leugnen ist unnütz. Herr von Guiche hat sich duelliert.« – »Ich bestreite das nicht, Majestät,« sagte Manicamp. »Majestät hätten so gnädig sein sollen, einen Edelmann nicht zur Lüge zu zwingen.«

»Ich hätte Sie dazu gezwungen?« rief der König in wachsendem Zorne. »Das wird immer toller!« – »Sire! Herr von Guiche ist mein Freund. Majestät haben die Duelle bei Todesstrafe verboten. Ich konnte meinen Freund nur durch eine Lüge retten, also log ich.«

»Bravo,« murmelte d’Artagnan, »er ist doch ein ganz tüchtiger Kerl!« – »Ich will Ihnen ein Mittel nennen, Ihre Lüge wieder gutzumachen,« sagte der König. »Nennen Sie mir den Gegner des Herrn von Guiche.« – »Sire, ich kenne ihn nicht.« – »Bravo!« knurrte d’Artagnan. – »Herr von Manicamp, schnallen Sie den Degen ab, Sie sind verhaftet!« rief Ludwig mit einem Wink gegen den General-Kapitän. – Der junge Mann verneigte sich, entledigte sich lächelnd seiner Waffe und gab sie dem Musketier.

Da trat Saint-Aignan vor. – »Majestät erlauben,« sagte er, »Manicamp, Sie sind ein wackrer Mann, und der König wird trotz seines augenblicklichen Zornes Ihr Verhalten zu würdigen wissen. Aber Sie haben nun genug getan. Sie kennen den Namen, den Majestät von Ihnen verlangt. Sagen Sie ihn! Und wenn Sie es nicht tun wollen, so werde ich es tun. Beiseite mit falscher Großmütigkeit! Ich werde Sie nicht in die Bastille gehen lassen. Reden Sie, sonst rede ich! Seine Majestät wird mir verzeihen, wenn Sie erfahren, daß es sich dabei um die Ehre einer Dame gehandelt hat.«

Der König sah verwundert auf. – »Eine Dame war die Ursache des Zweikampfes?« fragte er. »Herr von Manicamp, wenn die Dame von Bedeutung ist, so werde ich es Ihnen nachsehen, daß Sie mich belogen haben.« – »Sire, für mich ist alles von Bedeutung, was das Haus des Königs oder seines Bruders betrifft –« antwortete Manicamp. – »Ah, eine Dame vom Hause meines Bruders?« rief Ludwig XIV. »Handelt es sich etwa um –?«

»Um ein Ehrenfräulein Ihrer königlichen Hoheit,« fiel Manicamp ein.

Ludwig XIV. sah sich betroffen um. »Meine Herren,« sagte er, »lassen Sie mich einen Augenblick mit Herrn von Manicamp allein. Ich sehe, er hat mir zu seiner Rechtfertigung etwas zu sagen, das er nicht gern vor Zeugen sagen möchte. Herr von Manicamp, nehmen Sie Ihren Degen wieder.« – Der junge Mann schnallte die Waffe um. – »Der Bursche hat Geistesgegenwart,« sagte d’Artagnan leise zu Saint-Aignan, während sie hinausgingen. – »Er wird sich gut aus der Patsche ziehen,« antwortete der Hofmeister. – »Ich hatte eine geringe Meinung von der jungen Generation,« sagte der Musketier. »aber ich habe mich geirrt. In diesen schmucken jungen Herren steckt doch was Gutes.«

»Nun, Herr von Manicamp,« sagte der König, als sie allein waren, »erklären Sie sich. Sie wissen ja, mir liegt nichts mehr am Herzen als die Ehre der Damen. Sie sagten, es handle sich um ein Ehrenfräulein meiner Frau Schwägerin.« – »Ja, um Fräulein von Lavallière,« antwortete Manicamp. – »O, sie ist beschimpft worden?« rief der König, in einem Tone, als hätte er einen Stoß ins Herz erhalten. – »Ich sage nicht geradezu, daß man sie beschimpft habe, Majestät,« antwortete Manicamp. »Aber man hat in ungebührlichen Ausdrücken von ihr gesprochen.« – »O, wer war der Unverschämte?« – »Herr von Saint-Aignan hat sich bereit erklärt, ihn Eurer Majestät namhaft zu machen,« erwiderte Manicamp mit einem festen Blick auf Ludwig.

»Jawohl, Sie haben recht,« antwortete der König. »Ich verlange nicht, daß Sie ihn nennen sollen. Das wäre jetzt wider die Abrede. Ich erfahre den Namen dessen, den ich bestrafen muß, auch noch früh genug. Und bestrafen werde ich ihn, nicht etwa weil es sich um Fräulein von Lavallière handelt,« setzte Ludwig hinzu, der selbst empfand, daß er sich von seinem Zorn ein wenig zu weit hatte hinreißen lassen, »sondern weil es eine Dame ist, die man beleidigt hat. Ich verlange, daß an meinem Hofe die Frauen hochgeachtet werden. Und was hat man von Fräulein von Lavallière gesprochen?«

»Majestät wissen wohl, welche gewagten Scherze zwischen den jungen Leuten vorkommen. Man behauptete, sie liebe jemand, und von Guiche trat dafür ein, sie dürfe lieben, wer ihr gefalle. Deshalb kam es zum Zank und dann zum Duell.« – Der König errötete vor Unwillen. »Und weiter wissen Sie nichts?« rief er. – »Sire, ich weiß nichts Bestimmtes. Ich habe nichts mitangehört, nichts erfahren und auch nichts belauscht.« – »Auch nichts über die Person, in die das Fräulein von Lavallière verliebt sein soll und die zu lieben Guiches Gegner für unstatthaft erklärte?« – »Ich kann nichts darüber sagen, Majestät,« antwortete Manicamp. »Wenn aber von Guiche, großherzig wie er ist, Fräulein von Lavallière verteidigte, so geschah es im Namen dieses von dem Fräulein geliebten Mannes, der zu hoch gestellt ist, um die Verteidigung selbst zu übernehmen.«

Diese Worte waren sehr durchsichtig; der König errötete wiederum, doch diesmal vor Freude. – »Herr von Manicamp,« sagte er, »Sie sind geistreich und tapfer. Und auch Ihr Freund, Herr von Guiche, ist ein Ritter nach meinem Geschmack. Sie werden ihm das ausrichten, nicht wahr?« Er reichte dem jungen Manne die Hand zum Kusse. »Und dann erzählen Sie vortrefflich. Die Geschichte mit dem Wildschwein haben Sie brillant geschildert – man sieht alles leibhaftig vor sich. Sie erzählen das so meisterhaft, daß ich wünschte, Sie erzählen dieses Abenteuer des Grafen Guiche aller Welt weiter.«

»Das Abenteuer mit dem zweijährigen Eber?« – »Ja, und zwar Wort für Wort, so, wie Sie es mir erzählt haben! Sie verstehen mich?« – »Sehr wohl, Majestät,« antwortete Manicamp lächelnd.

Darauf rief der König d’Artagnan und Saint-Aignan zurück, auch der Arzt, den Ludwig ja noch nicht entlassen hatte, kam wieder. – »Meine Herren,« sagte Ludwig, »Herrn von Manicamps Erklärung hat mich vollauf befriedigt. Herr von Manicamp, gehen Sie zum Grafen und sagen Sie ihm, er solle nur recht bald wieder gesund werden, und,« setzte er leise hinzu, »er soll sich’s nicht einfallen lassen, so etwas ein zweites Mal zu machen.« – »Er wird es immer wieder so machen,« versetzte Manicamp, »sobald es sich um die Ehre Eurer Majestät handelt.« – Das war etwas plump; aber Ludwig liebte den Weihrauch, auch wenn er ein wenig qualmte, sofern er nur seiner Person gespendet wurde. – Herr von Manicamp verneigte sich und ging hinaus.

»Herr d’Artagnan,« fuhr der König fort, »Sie haben doch sonst so scharfe Augen, wie können Sie nur diesmal so falsch gesehen haben?« – »Ich falsch gesehen?« antwortete der Musketier. »Na, es muß ja wohl wahr sein, wenn Majestät es sagen.« – »Ich meine, in bezug auf die Geschichte im Walde von Rochin.«

»Ah so, ah so!« – »Na ja, Sie wollen die Spuren von zwei Pferden gesehen, die Fußtritte zweier Männer erkannt haben, und Sie beschrieben mir sogar den ganzen Hergang eines Kampfes. Alles die reine Illusion.« –

»Ah so, ah so!« rief d’Artagnan wieder. – »Herr von Guiche hat‘ in der Tat gegen ein Wildschwein gekämpft, und dieser Kampf hat lange gedauert und furchtbar geendet.« – »Ah so, ah so!« wiederholte d’Artagnan.

»Und wenn ich denke, daß ich Ihrem Märchen auch nur auf einen Augenblick Glauben schenkte!« fuhr der König fort, »Aber Sie sprachen mit so großer Zuversicht.« – »Es muß wirklich optische Täuschung gewesen sein, Majestät,« sagte d’Artagnan mit so vielem Humor, daß Ludwig XIV. ganz entzückt war. – »Und nun sehen Sie Ihren Irrtum ganz klar ein?« – »Selbstverständlich. Ich hatte ja auch nur eine gewöhnliche Stalllaterne mit, jetzt aber habe ich alle Lichter im Kabinett Eurer Majestät um mich und obendrein die zwei Augen meines Königs, die heller als die Sonne leuchten.«

Der König lächelte. Saint-Aignan lachte laut. D’Artagnan fuhr fort: »Herrn Vallot ist es ebenso ergangen. Er hat sich eingebildet, Guiche sei von einer Kugel verwundet worden. Ja, bei ihm geht die Einbildung sogar so weit, daß er dem Verwundeten die Kugel aus der Brust gezogen haben will. Nicht wahr, Herr Vallot, Sie haben das nicht im Ernst geglaubt?« – »Ich habe es nicht nur geglaubt, sondern kann es beschwören,« antwortete der Gelehrte eigensinnig. – »Nun denn, lieber Doktor, Sie haben das geträumt!« rief d’Artagnan, »die Wunde des Herrn Guiche ist ein Traum, und die Kugel in der Wunde ist erst recht ein Traum. Glauben Sie mir das, und reden Sie nicht mehr davon.«

»Sehr gut, d’Artagnan!« rief der König. »Herr Doktor, der Rat, den Ihnen der General-Kapitän gibt, ist sehr gut. Sprechen Sie zu niemand über Ihren Traum, und Sie werden es nicht bereuen, so wahr ich ein Edelmann bin. Guten Abend, meine Herren! O, wie fatal ist es doch, ganz allein einem Wildschwein aufzulauern!« – »Ja, der Anstand auf ein Wildschwein kann sehr böse ablaufen,« rief d’Artagnan laut, und diese Worte wiederholte er in jedem Zimmer, durch das er ging.

Als der König mit Saint-Aignan allein war, sprach er: »Nun sagen Sie, wer war der Gegner des Herrn von Guiche?« – Saint-Aignan sah den König an. – »Zaudre nicht,« rief dieser, »ich weiß zu verzeihen.« – »Herr von Wardes,« sagte der Hofmeister. – Und Ludwig sprach bei sich selbst: »Verziehen ist nicht vergessen.«

4. Kapitel. Krankenbesuch

Ganz glücklich, sich so gut aus der Affäre gezogen zu haben, verließ Manicamp das Zimmer des Königs. Als er die Treppe hinabschritt, fühlte er sich am Aermel gezupft. Er sah sich um und erblickte Fräulein von Montalais. – »Mein Herr, bitte, folgen Sie mir!« sagte die Ehrendame. – »Ah, nun soll ich auch noch zu Madame,« sprach der junge Mann. »Nun, meinetwegen! ich bin einmal im Zuge. Aber die Jagdgeschichte wird diesmal keinen Erfolg haben. Wir werden etwas anderes erfinden müssen.«

Madame erwartete ihn mit sichtlicher Ungeduld. »Ah, endlich!« rief sie. – Manicamp verneigte sich ehrerbietig, die Montalais wurde entlassen. – »Sagen Sie doch, Herr von Manicamp, was gibt es denn nur? Was hört man da? Wir haben einen Verwundeten in Fontainebleau?« – »Leider, Madame. Graf von Guiche.« – »Ja, es wurde mir mitgeteilt,« fuhr die Herzogin fort. »Aber das ist ja schrecklich. Und Majestät hat doch die Zweikämpfe verboten.«

»Ganz recht, Madame, aber ein Zweikampf mit einem wilden Tiere entzieht sich der Gerichtsbarkeit des Königs.« – »Sie wollen mir doch nicht zumuten, ich glaubte diese absurde Fabel. Wer weiß, weshalb man überall erzählt, Herr von Guiche sei von einem Eber verletzt worden! Mir ist die Wahrheit wohlbekannt. Graf Guiche schwebt in doppelter Todesgefahr, erstens durch die Wunde, zweitens durch das Urteil des Königs. Haben Sie mit Majestät gesprochen?«

»Ich habe ihm erzählt, Graf Guiche sei auf dem Anstande von einem Wildschwein angefallen worden, er habe geschossen und nicht getroffen, worauf das Tier sein Pferd umrannte, tötete und ihn selbst an Brust und Hand verwundete.« – »Und das alles hat der König geglaubt?« – »Jawohl.« – »Herr von Manicamp, Sie machen mir da ein X für ein U,« sagte Madame und schritt auf und nieder, während der junge Mann regungslos auf seinem Platze stehenblieb. »Kein Mensch glaubt an diese Fabel. Alle Welt erklärt sich Guiches Unfall anders.« – »Und wie denn, Madame, wenn ich so unbescheiden sein darf, danach zu fragen?« antwortete Manicamp mit der ihm eigenen Harmlosigkeit. – »Das fragen Sie mich, Sie, ein intimer Freund, ein Vertrauter des Grafen?« – »Madame, Graf Guiche hat keine Vertrauten. Er ist einer von denjenigen Männern, die ihre Geheimnisse fest in ihre Brust verschließen. Herr von Guiche, Madame, plaudert nicht.«

»Nun, so werde ich Ihnen das Geheimnis des Herrn von Guiche mitteilen,« rief die Prinzessin ungeduldig. »Es könnte sein, der König fragt Sie noch einmal danach, und ein zweites Mal wird er sich vielleicht nicht mit Ihrer Erklärung zufriedengeben, wenn er von allen Seiten hört, Herr von Guiche habe in Sachen seines Freundes Bragelonne einen Wortwechsel gehabt, der schließlich in Streitigkeiten ausartete und zu einem Duell führte.« – »Ein Duell für Herrn von Bragelonne?« antwortete Manicamp mit gut gespieltem Erstaunen. »Was belieben Königliche Hoheit mir da zu sagen?«

»Sie wundern sich. Herr von Guiche ist rachsüchtig, jähzornig, hochfahrend.« – »Ich halte Herrn von Guiche im Gegenteil für sehr geduldig und zurückhaltend. Nur wenn es sich um eine gerechte Sache handelt, kann er außer sich geraten.« – »Ist die Freundschaft nicht solch eine gerechte Sache?« erwiderte Madame. »Und Graf Guiche ist Bragelonnes Freund. Er hat seine Partei genommen, denn Bragelonne ist abwesend und kann sich nicht selbst verteidigen. Das ist doch ganz klar. Sie sind allerdings nicht meiner Ansicht und haben etwas anderes zu sagen, wie ich sehe.«

»Ich habe nichts zu sagen, Madame,« entgegnete Manicamp. »Höchstens eins. Daß ich nämlich nichts von alledem verstehe, was Sie mir da erzählen.« – »Was? Sie wollen nichts wissen von dem Duell zwischen Herrn von Guiche und Herrn von Wardes?« rief nun die Herzogin erzürnt. – Manicamp schwieg. – »Sie wollen nichts davon wissen, daß eine mehr oder weniger boshafte, mehr oder weniger begründete Anspielung auf die Tugend einer gewissen Dame die Ursache dieses Duells gewesen ist?« – »Madame, Madame!« rief der junge Mann, »bedenken Sie, was Sie sprechen!« – Aber die Prinzessin war zu erregt, um seine Warnung zu hören, und fuhr fort: »Eine Anspielung auf die Tugend des Fräuleins von Lavallière!«

»Des Fräuleins von Lavallière?« rief Manicamp und machte einen Seitensprung, als hätte er diesen Namen am wenigsten zu hören erwartet. – »Was hüpfen Sie denn so, Herr?« rief die Prinzessin ironisch. »Sie sind hier nicht in der Menuettstunde. Oder sollten Sie etwa Zweifel in die Tugend der genannten Dame setzen?« – »Es handelt sich dabei ja nicht im geringsten um die Tugend des Fräuleins von Lavallière,« antwortete der junge Mann. – »So stellen Sie sich doch nicht länger unwissend,« fuhr Lady Henriette fort. »Sie sehen, ich bin gut unterrichtet. Und der König wird auch binnen kurzem wissen, daß sich Herr von Guiche als Bevollmächtigter des Herrn von Bragelonne dieser kleinen Abenteuerin angenommen hat, welche so gern die große Dame spielen möchte. Er wird erfahren, daß Herr von Bragelonne seinen Freund von Guiche als Schatzhüter zurückgelassen hat, und daß nun Guiche den ersten, der sich an diesem Schatz zu vergreifen wagte, den Herrn von Wardes, auf die Finger geklopft hat. Nun wird es Ihnen, Herr von Manicamp, auch bekannt sein, daß der König selber nach diesem Schatze lüstern ist und Herrn von Guiche für sein Cerberusamt wenig Dank wissen wird.«

»Sie werden Herrn von Guiche in Schutz nehmen, Madame,« antwortete Manicamp, scheinheilig wie immer. – »Sie sind närrisch, mein Herr!« rief die Herzogin schroff. – »Im Gegenteil, ich bin ganz bei Verstande und wiederhole, Sie werden Herrn von Guiche beim König verteidigen.« – »Weshalb wohl?« – »Weil Herrn von Guiches Sache,« antwortete Manicamp, diesmal mit Wärme und mit einem fast gefühlvollen Augenaufschlag, »zugleich Ihre Sache ist. Denn es wundert mich, Madame, daß Sie die wahre Ursache nicht durchschaut haben. Als Herr von Guiche sich wegen des Fräuleins von Lavallière ereiferte, war ihm nämlich nur darum zu tun, einen Deckmantel zu haben. Und damit, Madame,« setzte Manicamp hinzu, die Prinzessin fest ansehend, »glaube ich genug gesagt zu haben, um Eure Königliche Hoheit zur Fürsprache beim Könige zu bewegen.«

Die Prinzessin bedeckte das Gesicht mit den Händen und rief: »Herr, wissen Sie, was Sie da sprechen und zu wem Sie es sprechen?« – »Treiben Sie die Sache nicht soweit, Madame, daß ich Ihnen wider meinen eigenen Willen die Person nenne, die die wahre Ursache des Duells gewesen ist!« fuhr Manicamp fort. »Soll ich Ihnen darlegen, wie erbittert Graf Guiche über alle die Gerüchte war, die man über die besagte Person verbreitete? Soll ich, wenn Sie darauf beharren, diese Person nicht zu kennen, und mir die Achtung verbietet, sie namhaft zu machen, an die Auftritte zwischen Lord Buckingham und Monsieur erinnern, an Graf Guiches Eifer, dieser Person zu gefallen, die für ihn Leben und Tod bedeutet, ihr zu dienen, sie zu beschützen? oder begreifen Sie nun, daß der Graf, der schon lange auf gespanntem Fuße mit von Wardes stand, beim ersten verletzenden Wort, das dieser über jene Person fallen ließ, Feuer fing? Werden Sie sich nicht mehr über die große Geschicklichkeit, den feinen Takt wundern, mit dem der Graf diesem Streit eine andere Ursache unterzuschieben wußte, um jene Person ganz aus dem Spiele zu lassen? Und wenn nun diese Person, für die in Wirklichkeit der Graf sich duelliert hat, dem armen Verwundeten auch nur einigermaßen freundlich gesinnt ist, so wird es nicht zuviel sein für das Blut, das er für sie verspritzt hat, für den Schmerz, den er ihretwegen erleidet, wenn sie nun ihm ihren Schutz angedeihen läßt!«

Madame konnte sich nicht länger bezwingen. »So war es wirklich meinetwegen!« rief sie aus. Dann schwieg sie lange und preßte die Hände auf die Brust, um die stürmischen Wallungen ihres Busens zu hemmen. »Herr von Manicamp, Sie sprechen in einem Tone, als sei Graf Guiche schwer verwundet. Lassen Sie mich wissen –« – »Eine Hand ist ihm zerschmettert worden, aus der Brust hat man die Kugel entfernt.« – »Mein Gott! mein Gott!« rief Lady Henriette. »Das ist schrecklich! Und das hat dieser elende, feige Meuchelmörder Wardes getan. O, der Himmel ist wahrlich nicht gerecht. Schwebt Herr von Guiche in Lebensgefahr?«

»In doppelter, Madame, wie Sie bereits zu bemerken die Güte hatten,« antwortete Manicamp, »durch seine Wunden und durch des Königs Urteil. Ja, Madame, es ist möglich, daß er stirbt. Und vielleicht muß er sterben, ohne das tröstliche Bewußtsein, daß Ihnen bekannt sei, was er für Sie getan hat.«

»O, Sie werden es ihm sagen! Sind Sie nicht sein Freund?« rief Madame. – »Nein, Hoheit,« antwortete Manicamp fest, »ich werde ihm nur sagen, wie grausam Sie gegen ihn gewesen sind; denn er hat eine gute Natur und einen guten Arzt; es ist möglich, daß er mit dem Leben davonkommt, und dann soll er nicht nachträglich noch an gebrochenem Herzen sterben.«

»Welcher Arzt behandelt ihn?« fragte die Herzogin, sich auf die Lippe beißend. – »Herr Vallot, der Leibarzt des Königs. Er liegt in dem Hause des Arztes in der Feurrestraße.« – »Kehren Sie jetzt zu dem Kranken zurück?« – »Ja, Madame.« – »So erweisen Sie mir einen Dienst! Entfernen Sie alle Anwesenden – entfernen Sie sich auch selbst – o, verlieren wir keine Zeit mit unnützen Einwendungen!« schnitt sie dem jungen Manne das Wort ab, als sie sah, daß er Bedenken äußern wollte. »Fragen Sie nicht weiter nach und nehmen Sie hin, was ich Ihnen sage. Ich will zwei meiner Frauen hinschicken; Sie brauchen sie nicht zu sehen. Genügt Ihnen das?«

»Gewiß, Madame; ich werde sogar vor Ihren Botinnen hergehen und dafür sorgen, daß Sie nicht auf unerwartete Hindernisse stoßen.« – »Nun wohl, so warten Sie unten auf der Treppe. Drehen Sie sich nicht nach den Frauen um, sondern gehen Sie immer gerade Ihres Weges.« – »Zu Befehl, Hoheit!« – Manicamp verneigte sich und ging zufrieden von dannen. Er wußte, daß Madames Erscheinen der beste Balsam für die Wunden seines Freundes sein werde. Er brauchte keine Viertelstunde zu warten, dann erschienen zwei Frauen auf der Treppe, und Manicamp ging, wie verabredet, ohne sich umzuschauen.

Graf Guiche lag im Bette, bleich, mit verschleierten Augen, umfangen vom Delirium, von einem jener finstern Träume, die Gott denjenigen schickt, welche auf dem Wege sind, in die fremde Welt der Ewigkeit zu versinken. Manicamp trat ein, sprach ein paar Worte mit der Krankenwärterin und ging dann mit ihr in ein Nebenzimmer.

Zwei Frauen, in Mäntel gehüllt, eine Halbmaske vorm Gesicht, traten ein. Die eine gab der andern einen Wink, worauf diese an der Tür auf einem Schemel Platz nahm. Dann ging sie selbst ans Bett, hob die Vorhänge auf und sah in das blasse Gesicht des Bewußtlosen, dessen rechte Hand in weiße, stellenweise von Blut getränkte Leinwand gewickelt war. Die Brust trug einen ebensolchen Verband, der auch einige Blutspuren zeigte. Ein heiserer Ton wie Todesröcheln entklang den aufeinandergebissenen Zähnen des Grafen. Die Maskierte ergriff seine linke Hand, die heiß war wie glühende Kohle.

Als die kalte Hand der Dame sie berührte, war die Wirkung dieser Kälte so stark, daß Graf Guiche die Augen aufschlug. Doch schien er im ersten Moment nichts zu sehen, nichts zu erkennen. Die Dame gab ihrer Gefährtin, die an der Tür geblieben war, einen Wink, und diese sprach sofort laut und mit sorgfältiger Betonung: »Herr Graf, Ihre Königliche Hoheit, Madame, wünscht zu wissen, ob Ihre Wunden Sie sehr schmerzen, und Ihnen durch meinen Mund innigste Teilnahme auszusprechen.«

Bei dem Worte »Madame« bewegte sich der Graf und drehte sich nach der Seite um, von der die Stimme kam. Da ihn aber die kalte Hand nicht losließ, wandte er sich wieder nach dieser unbeweglichen Gestalt. – »Sind Sie es, Madame, die mit mir spricht?« flüsterte er, »oder ist jemand anders im Zimmer?« – »Ja,« antwortete die unbewegliche Gestalt. – »Nun, so sagen Sie Madame, ich danke ihr und werde nun gern sterben, da sie meiner gedacht hat.«

Die maskierte Dame weinte und vergaß, daß sie eine Larve trug. Bei dem Versuch, die Tränen abzuwischen, riß sie den Domino weg. Nun sah Graf Guiche ihr Gesicht und stieß einen Schrei aus. Aber alsbald starb jeder Laut auf seinen Lippen, der rechte Arm, den er ausgestreckt hatte, sank zurück, und die Wunde schien frisch aufzubrechen, denn die Leinwand färbte sich mit einem tiefen Rot. Dann lag der Kopf regungslos auf dem Kissen. Die Dame aber neigte sich über das leichenfahle Gesicht und drückte einen Kuß auf die Lippen. Wie von einem elektrischen Strome berührt, erwachte Guiche noch einmal, um sofort aufs neue in Ohnmacht zu fallen.

»Fort!« rief die Dame ihrer Gefährtin zu; »wenn ich noch länger hier bliebe, wäre ich imstande, eine Torheit zu begehen. Hebe den Domino auf!« – Sie schlüpften hinweg und kehrten rasch ins Palais zurück.

Die eine der beiden Damen verschwand in den Gemächern der Herzogin von Orléans, die andere begab sich in das Gelaß der Ehrendamen. Und diese letztere nahm die schwarze Larve, die die Besucherin des Kranken getragen hatte und betrachtete sie im Kerzenlicht. »Ich habe vergessen, sie Madame zurückzugeben,« murmelte sie, »ich werde es morgen tun! Doch sieh da!« rief sie aus, »die Innenseite ist ganz naß! O, Sie haben geweint, meine Gnädige. Das läßt tief blicken. Und noch mehr, hier ist gar ein Blutfleck! Sie müssen also den Wunden des Herrn von Guiche sehr nahe gekommen sein. O nein! diese Larve werde ich Ihnen nicht zurückgeben. Sie ist jetzt viel zu kostbar.«

4. Kapitel. Das Geheimnis der Jesuiten

An einer anderen Stelle des königlichen Gartens sah man den Oberintendanten Fouquet an der Seite des Bischofs von Vannes. Der Minister musterte die festlichen Vorkehrungen, die man von seinem Gelde hergerichtet hatte, und suchte mit den Blicken in der Schar von Höflingen und Edelherren, die plaudernd umherstanden, den Mann, mit dem er sich in der letzten Zeit so viel zu beschäftigen hatte, Colbert, den emsigen Minierer, der sich’s in den Kopf gesetzt hatte, Fouquets Größe zu untergraben. – »Da ist er,« sagte er zu seinem Begleiter. »Man beweihräuchert ihn von allen Seiten, sehen Sie nur! Er ist wirklich schon eine Macht.« – Colbert näherte sich, von einer ganzen Schar von Höflingen umringt, deren jeder ihm etwas Schmeichelhaftes zu sagen hatte. Fouquet begrüßte ihn mit etwas spöttischer Miene. – »Nun, gnädigster Herr,« sagte Colbert, »gefällt Ihnen, was wir hier zustande gebracht haben?«

»Sehr gut,« antwortete Fouquet trocken. – »Wie nachsichtig,« versetzte der Intendant spitz. »Wir Leute des Königs sind arm. Fontainebleau kann sich nicht mit Vaux vergleichen. Wir haben getan, was wir mit unsern geringen Hilfsmitteln vermochten. Aber von Ihrer Prachtliebe läßt es sich wohl erwarten, daß Sie dem König zu Ehren ein Fest in Ihren eigenen Gärten veranstalten werden – in jenen Gärten, die Ihnen jährlich sechs Millionen kosten.« – »Sieben,« berichtigte Fouquet. »Und glauben Sie, Majestät würde meine Einladung annehmen?« – »Daran zweifle ich nicht,« antwortete Colbert. »Ja, ich würde dafür einstehen?« – »Sehr gütig,« erwiderte Fouquet. »Wenn ich auf Sie zählen kann, so werde ich es mir überlegen.« – »Ueberlegen, wenn der König –?« unterbrach ihn Colbert. – »Jawohl, ich will überlegen, für welchen Tag ich am besten den König einladen könnte,« sagte Fouquet. »Meine Herren, ich möchte gleich auch Sie alle einladen,« setzte er hinzu und sah sich lächelnd rings um, »aber Sie wissen, wo Majestät zu Gaste ist, da ist er der Herr. Sie müssen also die Einladung vom König selbst erwarten.« – Er grüßte und entfernte sich.

»Eitler Prahler!« murmelte Colbert hinter ihm her. »Du nimmst es an und weißt doch, daß es dich zehn Millionen kosten wird.« – »Ich bin ruiniert!« sagte Fouquet im Weggehen. – »Sie sind gerettet,« antwortete Aramis ruhig.

Fouquet ließ sich beim König melden. – »Fouquet?« rief Ludwig. »Ich habe ihm geschrieben, er solle früh in Fontainebleau sein, und jetzt ist es zwei Uhr morgens. Das nenne ich Eifer! Er soll kommen.« – Fouquet trat ein, und Ludwig stand auf, ihn zu empfangen. – »Guten Abend, Herr Fouquet,« sagte er mit huldvollem Lächeln, »freut mich, daß Sie so pünktlich sind. Sie können doch aber meine Botschaft erst spät erhalten haben.« – »Um neun Uhr abends,« antwortete der Minister. – »Sie haben in diesen Tagen viel gearbeitet, Herr Fouquet,« sagte der König. »Man hat mir versichert, Sie hätten in der letzten Zeit so viel gearbeitet, daß Sie wochenlang nicht aus Ihrem Kabinett gekommen seien.« – »Allerdings, Sire,« erwiderte Fouquet, sich verneigend. »Ich arbeitete in Ihrem Dienst, und da ich nach so langer Zeit wieder vor Sie trete, Majestät, darf ich wohl um eine Gunst bitten, die von Ihnen bewilligt worden ist, um eine Audienz für meinen Begleiter, den Bischof von Vannes. Eure Majestät haben geruht, ihn auf meine Empfehlung hin vor drei Monaten zum Bischof zu ernennen.« – »Das ist möglich,« antwortete der König, der unterzeichnet hatte, ohne zu lesen. »Ist er da?« – »Ja, Majestät, Bischof d’Herblay wartet draußen.«

»D’Herblay?« murmelte Ludwig XIV., als erinnere er sich, diesen Namen früher einmal gehört zu haben. »Lassen Sie ihn hereinkommen.« – Fouquet gab dem Türsteher einen Wink, und Aramis trat ein. Der König ließ ihn die Begrüßungsworte sprechen und heftete währenddem einen langen Blick auf das charakteristische Gesicht, das niemand, der es einmal gesehen, vergessen konnte. – »Sie sind Bischof von Vannes?« fragte Ludwig XIV. – »Ja, Sire.« – »Vannes liegt in der Bretagne, und nahe am Meer?« – »Einige Meilen von Belle-Ile,« antwortete Aramis, sich abermals verneigend. – »Man sagt, Herr Fouquet habe dort ein schönes Schloß.« – »Ja, so sagt man,« erwiderte Aramis mit einem gleichgültigen Blick auf den Minister. – »Sagt man? Wie? So haben Sie selbst wohl Belle-Ile noch gar nicht gesehen?« – »O, wir armen Diener der Kirche,« sagte Aramis, »bleiben, wo wir wohnen.« – »Bringt Vannes so wenig ein?« fragte Ludwig. – »6000 Livres, Majestät.« – »Aber Sie sind doch wohl vermögend?« – »Ich besitze nichts, Sire. Doch Herr Fouquet bezahlt für einen Kirchenstuhl jährlich 12 000 Livres an mich.«

»Ich werde an Sie denken. Herr d’Herblay,« sagte der König. – Aramis verneigte sich; denn er wußte, daß die Audienz beendet war. Der König verneigte sich ebenfalls. Mit seiner schlichten Landpfarrermiene ging Aramis hinaus.

»Ein merkwürdiges Gesicht,« murmelte der König, ihm nachsehend. »Herr Fouquet,« wandte er sich an den Minister, »wir haben in diesen Tagen viel ausgegeben. Werden Sie nicht böse sein?« – »Majestät haben noch zwanzig Jugendjahre vor sich,« antwortete der Oberintendant, »und dürfen in diesen zwanzig Jahren noch eine Milliarde ausgeben.« – »Nun, in den nächsten zwei Monaten werde ich Sie nicht mehr in Anspruch nehmen,« sagte der König. – »Ich werde die Zeit benützen, für Sie zu sparen,« entgegnete der Minister. »Majestät haben übrigens auch an Herrn Colbert und mir zwei schätzenswerte Diener.« – Dieses dem Feinde gespendete Lob flößte dem König Bewunderung ein. Er streckte die Waffen vor dieser Klugheit und diesem Edelmut. – »Sie loben Herrn Colbert?« fragte er, nur mit Mühe sein Erstaunen verbergend. – »Gewiß. Herr Colbert hat hier alles trefflich angeordnet.« erwiderte Fouquet, »und verdient auch das Lob Eurer Majestät.«

Herr Fouquet verstand es meisterhaft, in den Ton dieser Worte ein gewisses Etwas zu legen, das absprechend klang. Ludwig hatte für solche Feinheiten ein ebenso feines Gefühl und erkannte, daß nach Fouquets Meinung die Festlichkeiten in Fontainebleau noch glänzender hätten sein können. Er empfand nun etwas von jenem Aerger des Provinzlers, der in prächtigen Kleidern nach Paris kommt und wenig beachtet wird. Die zurückhaltende, feine Aeußerung Fouquets flößte dem König noch mehr Respekt vor dem Charakter und den Fähigkeiten dieses Mannes ein. Als Ludwig XIV. sich in dieser Nacht das ganze Fest noch einmal vergegenwärtigte, fand er nachträglich auch einiges auszustellen. Fouquet aber hatte durch seine Höflichkeit und sein Lob Colbert mehr geschadet, als dieser durch seine Heimtücke dem Finanzminister bisher je hatte schaden können.

Aramis begab sich nach der Audienz in den Gasthof von Fontainebleau, der den Namen »Zum schönen Pfau« führte. Dort waren an diesem Tage – ein seltenes Ereignis für die Herberge – sieben Reisende eingekehrt, wobei die Dienerschaft der Herren gar nicht mitgezählt ist: ein Brigadier von der deutschen Armee, namens Wostpur, mit einem Sekretär, einem Arzt, drei Bedienten und sieben Pferden – ein spanischer Kardinal namens Herrebia mit zwei Neffen, zwei Sekretären, einem Diener und zwölf Pferden; ein reicher Kaufmann aus Bremen mit einem Diener und zwei Pferden; ein venetianischer Senator mit Frau und Tochter, der sich Signor Marini nannte; ein schottischer Laird mit sieben Hochländern und dem stolzen Namen Mac Cumnor; und ein Oesterreicher aus Wien, den man nur den »Herrn Rat« nannte; endlich eine Dame, welche ebenfalls keinen Familiennamen nannte, sondern nur als »die flämische Dame« einkehrte. Obwohl alle diese Reisenden an ein und demselben Tage ankamen, entstand im Gasthof keine Verwirrung, denn die Zimmer waren schon seit einer Woche bestellt und instand gesetzt.

Als sie sich auf ihre Stuben verteilt hatten, langte vor dem Gasthof eine Sänfte an, aus der man einen Franziskanermönch, der schwerkrank zu sein schien, heraushob. Für ihn war ein kleines Zimmer, ganz abseits von den andern gelegen, bereitgehalten worden. Man brachte ihn dorthin. Er ließ sich in einen Lehnstuhl setzen und rief den Wirt herbei.

»Guter Mann,« sagte er zu ihm, »schicken Sie die Leute da nicht weg, ohne ihnen eine Kleinigkeit für ihren guten Willen zu verabreichen. Ich bin ein armer Bettelmönch, der nichts übrig hat. Hätten sie mich aber nicht, halbverschmachtet wie ich war, von der Straße aufgehoben und hierher gebracht, so läge ich jetzt vielleicht tot im Graben.« – Der Wirt machte große Augen, dann verneigte er sich, ohne etwas zu antworten, sehr ehrerbietig vor dem armen Pilger und ging mit den Bauern hinaus, die sich nicht wenig darüber wunderten, daß der Besitzer des Hauses einem armen Bettelmönch so große Achtung erwies.

Der Franziskaner strich mit der vom Fieber ausgedörrten Hand über die gelbliche Stirn. In seinen Augen glühte ein unheimliches Feuer, das, dem Erlöschen nahe, noch einmal in aller Kraft aufzuflackern schien. Er zog ein Pack Papiere aus der Kutte und wühlte darin herum. Aber bald sank er matt zurück; stöhnend sah er sich um. Die Tür öffnete sich, er verbarg seine Dokumente und wandte sich mit einem Stöhnen dem Eintretenden zu. – »Sie sind der Arzt Grisart?« fragte er. »Kommen Sie her. Es ist keine Zeit zu verlieren. Befühlen Sie meinen Puls und geben Sie Ihr Urteil ab.« – »Der Wirt hat mir versichert, ich hätte es hier mit einem Jünger Jesu zu tun,« antwortete der Arzt. – »Dem ist so,« erwiderte der Mönch. »Sagen Sie mir also die Wahrheit.« – Der Arzt ergriff die welke Hand des Greises. – »Ein böses Fieber,« murmelte er. – »Herr Doktor,« versetzte der Franziskaner schroff, »keine Ausflüchte! Sie stehen vor einem Meister, vor einem Jesuit im elften Grade. Ich will wissen, wie es mit mir steht.« – »Nun denn, Ihr Zustand ist hoffnungslos,« war die Antwort des Arztes. »Sie haben noch zwei Stunden zu leben.«

»Zwei Stunden?« rief der Kranke. »In zwei Stunden läßt sich viel tun. Ich werde sie zum Ruhme des Ordens ausnützen und einen Würdigen zu meinem Nachfolger bestimmen. Gehen Sie, Herr Doktor, ich danke Ihnen. Schicken Sie mir den Wirt herein!« – Der Wirt kam. – »In Ihrem Hause weilen acht Personen, mit denen ich sprechen muß. Lassen Sie zuerst den deutschen Baron, Herrn von Wostpur, zu mir kommen. Sagen Sie ihm, der Erwartete sei angekommen.« – Gleich darauf hörte man schnelle Schritte auf dem Korridor. Der Baron trat ein, hocherhobenen Hauptes, als wenn er mit seinem Federbusch die Decke hätte einstoßen wollen. Er sah sich in dem kleinen, schmucklosen Zimmer um und fragte erstaunt: »Wer hat mich rufen lassen?«

»Ich,« antwortete der Franziskaner. – Der Baron näherte sich dem Platze des Greises und wollte sprechen. Der Mönch winkte mit der Hand. »Sie sind hierhergekommen,« sprach er, »einer Unterredung wegen. Sie hoffen, zum General des Jesuitenordens gewählt zu werden?« – »Ich hoffe es.« – »Und Sie wissen, was von dem Manne gefordert wird, der auf diese hohe Würde Anspruch macht, der durch diese Würde zum Herrn über die Könige der Erde, zum Bruder des Papstes werden will?« – »Wer sind Sie?« fragte der Baron mit einem hochmütigen Blick auf den armen Franziskaner. »Wie kommen Sie dazu, ein Verhör mit mir anzustellen?«

Statt aller Antwort drehte der unscheinbare Mönch einen Ring, den er am Finger trug, herum, so daß ein bis dahin verborgener Stein sichtbar wurde. Er zeigte ihn dem Deutschen, der erbleichte und zurücktrat. Er hatte das Merkzeichen des Jesuitengenerals erkannt, des Obersten dieses über die ganze Erde verbreiteten, damals allgewaltigen Ordens.

»Sie sind es, hochwürdiger Herr!« rief der Baron. »Und Sie wohnen in diesem erbärmlichen Zimmer? Und Sie sind hier, um selbst Ihren Nachfolger zu bestimmen?«

»Keine unnützen Worte, die Zeit ist kostbar,« antwortete der General. »Erfüllen Sie rasch die Hauptbedingung: offenbaren Sie dem Orden ein Geheimnis von solcher Tragweite, daß der Orden auf grund desselben sich einen der großen Höfe Europas für alle Zeit dienstbar machen kann. Sie haben in Ihrem schriftlichen Gesuch versichert, ein solches Geheimnis zu besitzen. Reden Sie!« – »Ich verfüge über eine Truppe von 50 000 Mann, die an der Donau lagert; meine Offiziere sind gewonnen. In acht Tagen kann ich den Kaiser von Oesterreich stürzen, der, wie Ihnen bekannt ist, gegen den Orden arbeitet, und kann einen dem Orden ergebenen Prinzen an seine Stelle setzen.« – »Ist das alles?« versetzte der Franziskaner. – »Mein Plan birgt eine Umwälzung ganz Europas in sich,« erwiderte der Deutsche. – »Herr Baron, Sie werden Antwort erhalten. Einstweilen haben Sie binnen einer Viertelstunde von Fontainebleau abzureisen.« – Wostpur verneigte sich und ging.

»Das ist ein Komplott, aber kein Geheimnis,« murmelte der Mönch. »Und Europas Zukunft hängt nicht mehr vom Hause Oesterreichs ab.« Mit diesen Worten nahm er einen Notstift und strich den Namen des Barons von der Liste der Kandidaten. Abermals wurde der Wirt gerufen. – »Ich möchte den Kardinal Herrebia sprechen,« sagte der Kranke, und der Wirt ging und holte den Spanier, der bleich und unruhig hereintrat. – »Ich werde hierher gebeten,« sprach er und raffte seinen Purpur zusammen, um mit der unscheinbaren Kutte des Franziskaners nicht in Berührung zu kommen. »Was kann ich für Euch tun, armer Bruder?«

Der Ring des Generals verfehlte auch bei ihm seine Wirkung nicht. – »Und nun erfüllen Sie die Bedingung,« sagte der Franziskaner. »Schnell, wir haben nicht viel Zeit, denn ich bin todkrank. Ihr Geheimnis! – Sie können spanisch sprechen.« – »Sie wissen, hochwürdiger Herr,« begann der Kardinal in reinstem Kastilianisch, »als der König von Frankreich die Infantin von Spanien heiratete, mußten Maria-Theresia und ihr Gemahl auf jede Apanage von seiten Spaniens ausdrücklich verzichten. Daraus folgt, daß der Friede und das freundschaftliche Zusammengehen beider Reiche von der Beobachtung dieser Klausel des Ehekontrakts abhängt. Ein Mann, der in die Zukunft zusehen vermag, könnte eine ungeheure Katastrophe verhüten und die kommenden Ereignisse zum größten Vorteil des Ordens ausnützen. Mir ist genau bekannt, daß der König von Frankreich beim ersten einigermaßen brauchbaren Anlaß, zum Beispiel beim Tode des Königs von Spanien oder des Bruders der Infantin mit den Waffen in der Hand das Erbteil der Maria-Theresia einfordern wird. Ludwigs XIV. Feldzugsplan befindet sich in meinen Händen.« – »Von wessen Hand geschrieben?« fragte der General. – »Von der meinen,« antwortete Herrebia.

»Haben Sie nichts mehr zu sagen?« fragte der General weiter. – »Ich glaube doch sehr viel gesagt zu haben,« erwiderte der Kardinal. – »Gewiß, Sie haben dem Orden einen Dienst erwiesen,« antwortete der Franziskaner. »Wie sind Sie in den Besitz der genauen Kunde gelangt?« – »Die untere Dienerschaft des Königs von Frankreich steht in meinem Solde,« versetzte der Kastilianer. – »Sehr sinnreich,« sagte der General, »Sie werden Antwort erhalten. Reisen Sie binnen einer Viertelstunde von Fontainebleau ab.«

Als der Kardinal gegangen war, machte der Franziskaner ein Kreuz vor seinen Namen und befahl dem Wirt, den venetianischen Kaufmann zu schicken. Sein Geheimnis war: der Papst fürchte, daß der Orden, der sich immer weiter ausdehnte, zu mächtig werden könne, und sänne infolgedessen darauf, alle Höfe Europas zur Austreibung des Jesuiten-Ordens aus ihren Reichen zu bestimmen. Der Venetianer nannte auch diejenigen Politiker, die dem Papst dabei am eifrigsten Hilfe leisteten, und er bezeichnete sogar sie Insel, die als Verbannungsort der Obersten des Ordens ins Auge gefaßt worden sei. Seine Mitteilung war kein geringer Dienst, doch schien der General auch ihr keine allzu weittragende Bedeutung beizumessen.

»Diese Leute,« sprach er bei sich selbst, als der Venetianer gegangen war, »sind allesamt Spione oder Sbirren, aber keiner eignet sich zum General, sie haben ein Komplott, aber kein Geheimnis entdeckt. Es ist uns nicht um Krieg und Vernichtung zu tun, sondern durch geheimnisvolles Wissen, durch geistige Ueberlegenheit wollen wir unsere Macht behaupten. Nein, noch ist der Mann nicht gefunden, der nach mir herrschen soll. Und mein Ende ist nahe – die zwei Stunden sind bald vorüber – die Uhr bald abgelaufen.«

Während er diesen Gedanken nachhing, öffnete sich die Tür, und Aramis trat ein, näherte sich dem Bett und bekreuzte sich. »Hochwürdiger Herr General,« begann er und zeigte sich damit als den ersten, der, ohne den Ring gesehen zu haben, die wahre Würde des armen Mönchs erkannte, »verzeihen Sie, daß ich unaufgefordert vor Sie trete. Ihr Zustand läßt mich befürchten, daß der Tod Sie ereilen möchte, ehe die Reihe an mich kommt, denn ich bin der letzte auf Ihrer Liste.« – »Sie sind der Chevalier d’Herblay, auch Aramis genannt, Bischof von Vannes?« – »Ja, hochwürdiger Vater.« – »Sie treten als Mitbewerber auf?« fuhr der General fort, »nun, was haben Sie mir zu sagen?«

»Ein Geheimnis von so großer Wichtigkeit teilt man nicht mündlich mit,« antwortete Aramis. »Wir sind allein, aber die Luft kann eine einzige kleine Schallwelle an ein aufmerksames Ohr tragen, und ein einmal mitgeteilter Gedanke ist nicht mehr Eigentum dessen, der ihn gefaßt hat. Ich habe mein Geheimnis niedergeschrieben.«

»Aber mich dünkt,« versetzte der Franziskaner, »die Schrift ist noch gefährlicher als die Sprache.« – »Hochwürdiger Herr, in diesem Umschlag,« antwortete der Bischof von Vannes, »werden Sie eine Schrift finden, die nur uns beiden verständlich ist. Es sind jene Zeichen, die Ihr verstorbener Sekretär Juan Jujan benützte.« – »Und die sind Ihnen bekannt?« fragte der General betroffen. – »Ihr Sekretär hatte sie von mir,« erwiderte Aramis und verneigte sich.

» Ecce homo6 murmelte der Franziskaner und öffnete das Kuvert, das d’Herblay ihm reichte. Er las mit fliegender Hast, dann ergriff er die Hand des Prälaten. – »Durch wen ist Ihnen dies Geheimnis zuteil geworden?« fragte er. – »Durch Frau von Chevreuse, die Freundin der Königin-Mutter.« – »Und diese Frau von Chevreuse?« – »Ist tot.« – »Wußte sonst noch jemand darum?« – »Nur ein Mann und eine Frau aus dem Volke, die ihn aufgezogen hatten. Aber sie sind auch tot.« – »Und nun sind Sie der einzige, der darum weiß? Seit wie langer Zeit besitzen Sie das Geheimnis?« – »Seit fünfzehn Jahren.« – »Und haben es bewahrt?« – »Es hätte mich das Leben gekostet.« – »Und Sie vertrauen es nun dem Orden an, ohne auf Belohnung zu rechnen, ohne ehrgeizige Absichten?« – »Nein, mit ehrgeizigen Absichten und mit der Hoffnung auf Belohnung,« erwiderte Aramis. »Sie kennen mich jetzt, hochwürdiger Vater. Werden Sie mich zu dem machen, was ich sein, was ich werden muß?« – »Ja, ich mache dich zu meinem Nachfolger!« rief der Franziskaner, und mit diesen Worten zog er den Ring ab und schob ihn dem Bischof auf den Finger. »Krank an Körper, aber gesund an Geist, gebe ich freiwillig und aus eigenem Antrieb und aufrichtigster Ueberzeugung diesen Ring, das Zeichen der Allgewalt, Ihnen, Herr d’Herblay, Bischof von Vannes, und ernenne Sie zu meinem Nachfolger, zum General des Ordens Jesu.«

Aramis erblaßte; sein höchster Ehrgeiz war befriedigt. – »Mit diesem Zeichen,« fuhr der Franziskaner fort, »stürzen Sie um und bauen Sie auf. In hoc signo vinces! 7 Hören Sie, noch vieles ist zu sagen, und meine Kraft erlischt. Der Papst hat gegen den Orden konspiriert, er muß sterben.« – »Er wird sterben,« antwortete Aramis. – »Sechs Malteserritter – ihre Namen finden Sie unter diesen Papieren – haben durch Indiskretion eines Jüngers des elften Grades die dritten Mysterien entdeckt. Es muß ermittelt werden, in welcher Weise diese Leute ihre Mitwisserschaft ausgebeutet haben. Der Unbesonnene erhält eine Rüge.« – »Es soll geschehen.« – »Drei unzuverlässige Jünger sind verurteilt zur Verbannung nach Tibet, wo sie sterben sollen. Hier sind ihre Namen.« – »Das Urteil wird vollzogen werden.« – »In Antwerpen lebt eine Nichte Ravaillacs, die gewisse, den Orden kompromittierende Papiere besitzt. Sie erhält seit Jahren ein Schweigegeld von fünfzigtausend Livres. Das ist eine lästige Ausgabe – der Orden ist nicht reich. Man soll die Papiere gegen eine einmalige Abfindungssumme sich herausgeben lassen, oder das Schweigegeld einfach nicht mehr zahlen.« – »Ich werde das Nötige anordnen.« – »Von Lima wird ein Schiff erwartet. Es ist angeblich mit Schokolade, in Wahrheit aber mit Gold befrachtet. Jeder Goldbarren ist unter einer Schicht Schokolade verborgen. Das Schiff ist Eigentum des Ordens und 17 Millionen wert. Hier sind die Ladungsbriefe. Lassen Sie es in den Hafen von Bayonne einlaufen.«

Der Franziskaner hielt inne. Er konnte nicht mehr sprechen. Das Blut drang ihm aus Mund und Nase. Er sank zurück und war tot. Der Arzt eilte herbei. – »Herr Grisart,« sagte Aramis, auf ein Glas deutend, »Ihre Medizin hat gewirkt. Reinigen Sie das Glas. Von dem, was Sie auf Befehl des Großen Rats hineingetan haben, darf keine Spur zurückbleiben.« Dann steckte er die Papiere des Toten zu sich und entfernte sich rasch.

Er begab sich in den Palast Fouquets. Der Minister arbeitete am Schreibtisch. Er legte die Feder nieder und wandte dem Bischof ein trauriges Antlitz zu.

»Schon wieder schwermütig, Herr Oberintendant?« rief Aramis. – »Es geht doch alles, wie wir es wünschen.« – »Das könnte ich nicht behaupten,« antwortete der Minister, »aber Ihr nimmer rastender Geist, Herr d’Herblay, findet immer neue Mittel und Wege, den Zusammenbruch aufzuhalten. Nur fürchte ich, er ist nicht mehr lange aufzuhalten.« – »Immer neue Mittel und Wege, sehr richtig,« sagte der Bischof zuversichtlich, »und ich habe auch jetzt wieder ein neues. Haben Sie schon einmal an die kleine Lavallière gedacht?« – Fouquet sah mit skeptischem Lächeln auf. – »Im Ernst, Herr Oberintendant,« fuhr Aramis fort, »das kleine Fräulein ist sehr gern gesehen beim König, wie man sagt. Sie müssen sich um ihre Gunst bewerben. Sie wissen doch ganz genau, wieviel es wert ist, bei Frauen gut angeschrieben zu sein.«

»Und Sie meinen – –?« fragte Fouquet. – »Ich meine, rundheraus gesagt, Sie müssen der Kleinen eine richtige Liebeserklärung machen. Schreiben Sie ihr! Nach meiner Meinung ist das Interesse des Königs für die Lavallière nur ein Deckmantel, hinter dem er seine Liebe zu Madame verbergen will. Aber eben darum muß die Lavallière in das Geheimnis dieser beiden Liebenden eingeweiht sein, und ich brauche Ihnen nicht zu sagen, was ein gescheiter Mann mit einem solchen kompromittierenden Geheimnis anfangen kann. Die Lavallière ist arm, sie hat noch keine große Stellung bei Hofe – nun, Sie werden ihr Geld und Stellung verschaffen und sich auf diese Weise eine neue wertvolle Helferin erwerben. Wollen Sie einen Brief an sie schreiben?«

Fouquet nickte zerstreut; anscheinend legte er der Sache keine große Bedeutung bei; allein gewöhnt, die Ratschläge d’Herblays zu befolgen, ergriff er die Feder und sagte: »So diktieren Sie. Mir ist der Kopf so schwer, daß ich die richtige Form nicht finden würde.« – Aramis diktierte: »Mein Fräulein! Ich habe Sie gesehen und, was Sie nicht wundern wird, schön gefunden. Aber es fehlt Ihnen noch die Ihrer würdige Stellung; Sie verkümmern bei Hofe. Die Liebe eines hochgestellten Mannes kann Ihnen, sofern Sie Ehrgeiz haben, förderlich sein. So lege ich Ihnen meine Liebe zu Füßen. Wenn Sie sie erwidern, werde ich Ihnen meine Dankbarkeit erweisen, indem ich Sie auf immer frei und unabhängig mache.« – Der Minister sah auf. – »Unterzeichnen Sie!« sprach Aramis. – »Ist das durchaus notwendig?« fragte Fouquet. – »Ihre Unterschrift unter diesem Briefe ist eine Million wert, vergessen Sie das nicht, Herr Oberintendant.« – Fouquet setzte seinen Namen darunter. – »Und nun schicken Sie ihn durch einen zuverlässigen Boten an die Adressatin,« schloß der Bischof. – »Es mag geschehen,« sprach der Minister, »aber wenn Sie meinen, daß mir die Gunst einer Lavallière helfen könnte, so teile ich diese Zuversicht nicht. Ich sage Ihnen, wenn der König die Einladung, zu der Colbert mich zwingt, annimmt, so bin ich verloren. Nur das Geld gibt mir Macht über den König, und das Geld wird bald verbraucht sein.«

»Es wird sich Neues finden,« antwortete d’Herblay.

»Wo? das möchte ich wissen,« seufzte der Minister.

»Ich werde Ihnen sechs Millionen geben – wenn es sein muß, sogar zehn.« – »In der Tat, d’Herblay. Sie setzen mich in Erstaunen,« versetzte Fouquet. »Sie erlauben mir doch, daß ich diese Worte ein wenig skeptisch auffasse? Oder sollte ich mich in Ihnen irren? Sollten Sie etwas anderes sein, als mir bekannt ist? Sollten Sie geheime Absichten verfolgen?«

»Ich verfolge nur die Absicht,« antwortete der Bischof, »auf dem Thron von Frankreich einen König zu haben, der ein Freund des Herrn Fouquet ist.« – »Das wird der König nie sein,« erwiderte der Oberintendant. – » Der König nicht,« sprach Aramis. Fouquet stutzte. »Ich verstehe Sie nicht,« murmelte er.

»Kann nicht auch ein anderer als Ludwig XIV. König sein?« setzte der Prälat hinzu. – »Sie sind von Sinnen!« rief Fouquet. »Kein anderer als Ludwig XIV. kann König sein. Ich wüßte wenigstens keinen andern, es sei denn Monsieur.« – »Aber ich weiß einen andern,« entgegnete der Bischof. »Und mein König wird auch Ihr König sein. Also seien Sie unbesorgt.«

»Herr d’Herblay, Sie sagen das in einem Tone, der mich mit Schauder erfüllt,« sagte Fouquet. »Sie machen mir ja förmlich Angst.« – Aramis lächelte. – »Und nun lachen Sie gar noch?« – »Sie werden auch lachen – aber vorläufig muß ich es allein,« antwortete Aramis. »Fürchten Sie nichts. Wenn es Zeit ist, werde ich mein Geheimnis offenbaren. Der Tag wird kommen, wo Ihnen die Schuppen von den Augen fallen werden. Zehnmal schon sind Sie dem Abgrund entronnen, in den Sie ohne meine führende Hand gestürzt wären. Sie sind vom General-Prokurator zum Intendanten, vom Intendanten zum Oberintendanten aufgerückt, und Sie werden von diesem Range noch zu dem eines » Maire du palais« gelangen.«

»Sie haben noch nie so zu mir gesprochen – Sie haben sich noch nie so zuversichtlich, das heißt, so verwegen, gezeigt,« rief Fouquet. – »Man kann vermessen sein, wenn man mächtig ist!« antwortete Aramis. – »Sie haben mir zehn Millionen geboten, Sie haben von der Entthronung und Einsetzung von Königen gesprochen –« – »Man kann davon sprechen, wenn man selbst über den Thronen und Königen dieser Welt steht,« versetzte Aramis. – »Dann sind Sie ja allmächtig,« stammelte Fouquet. – »Ich habe es Ihnen schon einmal gesagt und wiederhole es,« antwortete der neue Jesuitengeneral mit leuchtenden Augen und triumphierender Miene.

  1. hier im Sinne von: »Das ist der Rechte.« (Anmerkung des Uebersetzers.)
  2. In diesem Zeichen wirst du siegen.

5. Kapitel. Pariert

Fräulein Aure von Montalais ging mit ihrer Freundin Luise, der sie sich jetzt wieder mit ganz besonderm Eifer widmete, im Park spazieren. »Gott sei Dank, daß man wieder eine freie Stunde hat!« sagte sie. »Seit gestern steht jedermann auf der Lauer, und ein Kreis von Aufpassern und Spionen umgibt uns, als wenn wir die gefährlichsten Hochverräter wären.« – Luise schlug die Augen nieder und schwieg. Sie handelte wie im Traume. Zuviel war in den letzten Stunden auf sie eingestürmt, als daß sie darüber schon mit sich selbst ins klare hätte kommen können. – »Nur meine unbedachtsame Aeußerung ist an allem schuld,« sagte sie nach einer Weile. »Darüber hält sich nun alle Welt auf.« – »Ja, und alle Welt schmückt dieses Ereignis mit immer neuen Phantasieblüten aus. Du hast die Ehre, daß der ganze Hof sich mit deiner Person beschäftigt,« fuhr die Montalais fort. »Was jedoch deine Lage wiederum ein wenig kritisch macht. Sprich, war es dir wirklich Ernst mit dem, was du gesagt hast?«

»Ich würde alles drum geben, wenn ich vergessen könnte, was ich gesagt habe,« antwortete Luise, »wenn ich es ungesagt machen könnte. Aber wie kannst du daran zweifeln, daß mir’s mit meinen Worten heiliger Ernst gewesen sei?« – »Liebst du denn nicht den Vicomte von Bragelonne?« rief die Montalais, und diese Frage war wie das erste Wurfgeschoß, das eine feindliche Armee in eine belagerte Stadt schleudert. – »Ob ich Rudolf liebe? meinen Bruder, meinen Jugendgespielen?« – »Du entschlüpfst mir nicht,« versetzte die Montalais. »Ich frage nicht, ob du Rudolf, deinen Jugendgespielen liebst, sondern ob du Rudolf, deinen Verlobten, liebst.«

»O, mein Gott, liebe Montalais, wie genau du es nimmst!« entgegnete Luise. – »Antworte mir nur auf meine Frage!« beharrte Aure. – »Du fragst nicht wie eine Freundin, aber ich werde dir wie eine Freundin antworten,« erwiderte die Lavallière. »Mein Herz ist schwer zugänglich, und ein sprödes Schloß liegt vor meinen weiblichen Gefühlen. Kein Mensch hat je in die Tiefe meines Gemüts geschaut.«

»Das weiß ich,« versetzte die Montalais. »Wenn ich hineinschauen könnte, so würde ich vielleicht also zu dir sprechen: Luise, du bist zu beneiden; Herr von Bragelonne ist ein liebenswürdiger Mensch und eine gute Partie für ein armes Mädchen, denn sein Vater wird ihm eine Rente von 15 000 Livres hinterlassen. Sieh nicht nach rechts und nicht nach links. Geh mit deinem Vicomte geradeswegs zum Traualtar.« – »Und für diesen Rat würde ich dir danken,« antwortete Luise, »obgleich er mir nicht gut erscheint. Aber es freut mich, daß du so sprichst, wie du es meinst.« – »Und nimm noch folgenden Rat, liebe Luise,« fuhr die Montalais fort, »es ist sehr gefährlich, tagelang sich von der Gesellschaft der andern auszuschließen, einsame Wege im Garten aufzusuchen und Buchstaben in den Sand zu schreiben, die weit eher dem L als dem B gleichen. Es ist sehr bedenklich, sich abenteuerliche Grillen in den Kopf zu setzen. Es gibt ein Märchen von einem armen, trübseligen Mädchen, das bildete sich ein, ein Prinz liebe sie; aber der Prinz liebte eine weit vornehmere Dame und benutzte das arme Kind nur zum Deckmantel, um die wahre Liebe zu verbergen. Denke dir, liebe Luise, wie tödlich für dieses arme Mädchen die Enttäuschung gewesen sein muß. Es war zuerst von allen umschwärmt, dann von allen verspottet, dann starb es in der Einsamkeit.«

Luise wurde bleich wie Leinwand und zitterte heftig.

»Still!« flüsterte sie, »es kommt jemand.« – »In der Tat,« sagte die Montalais, »wer mag das sein? Alle Welt ist mit dem König in der Messe oder mit Monsieur im Bade. Luise, es ist Rudolf! Er kommt wie gerufen, er soll Schiedsrichter zwischen uns sein.« – »O, Montalais, Montalais!« rief Luise, »sage ihm um Gotteswillen nichts! Du warst grausam, sei nicht noch unerbittlich!«

»O, Herr Vicomte!« rief Aure dem jungen Manne zu, »Sie sind wahrlich schön wie Amadis. Und wie dieser auch gestiefelt und gespornt!« – »Weil ich abreise,« antwortete Bragelonne, sich vor den Damen verneigend. – Luise erschrak. »Sie reisen ab? Wohin denn?« rief sie. – »Liebe Luise,« sprach Rudolf, »ich gehe auf Befehl des Königs nach England.« – »Auf Befehl des Königs!« rief die Montalais, und beide Mädchen wechselten einen Blick der Verwunderung, den Bragelonne wohl bemerkte, aber nicht verstand. – »Majestät hat sich daran erinnert, daß der Graf de la Fère bei Karl II. gut angeschrieben steht,« sagte der Vicomte. »Heute morgen rief der König mich zu sich, als er mich erblickte, und befahl mir, zu Herrn Fouquet zu gehen, von dem ich Briefe an den König von England in Empfang nehmen sollte. Diese Briefe habe ich persönlich zu überbringen.«

»Mein Gott!« murmelte Luise, von unklaren Ahnungen erfaßt. – »So schnell schickt man Sie fort?« sagte die Montalais. »Das hat ja mit einem Male große Eile.« – »Ja, in der Tat, man hat mir schleunigen Aufbruch dringend ans Herz gelegt,« antwortete Rudolf. »Deshalb habe ich Sie aufgesucht, denn ich konnte nicht warten, bis wir uns im Schlosse wiedersehen. Luise!« sprach er und ergriff ihre Hand. »O, Ihre Hand ist eisig kalt« – »Es ist nichts,« murmelte sie. – »Die Kälte erstreckt sich nicht bis auf Ihr Herz, nicht wahr?« fuhr er fort. – »O, Sie wissen ja,« brachte sie mühsam hervor, »mein Herz kann gegen einen Freund wie Sie nie kalt sein.« – »Ich danke Ihnen, Luise,« sagte der Vicomte. »Ich kenne ja Ihr Herz und Ihr Gemüt und weiß, daß die darin wohnende Zärtlichkeit nicht nach der Berührung der Hand beurteilt werden kann. Luise, Sie wissen, ich liebe Sie innig, und mein Leben ist Ihnen geweiht. Es ist freilich abgeschmackt, mit Kummer von Ihnen zu gehen, allein trotzdem fällt mir der Abschied doch sehr schwer.«

»Werden Sie denn lange fortbleiben?« fragte Luise mühsam. – »Nein, wahrscheinlich nur vierzehn Tage. Doch es ist seltsam,« sagte Rudolf, »ich habe oft Abschied von Ihnen genommen, um auf gefahrvolle Unternehmungen auszuziehen. Doch da ging ich freudigen Herzens und träumte von meinem Glück, galt es auch, den Kugeln der Wallonen die Stirn, den Hellebarden der Spanier die Brust zu bieten. Heute gehe ich auf eine ganz ungefährliche Reise, und sogar mit der Hoffnung, die Gunst eines Königs zu gewinnen; und doch bin ich niedergeschlagen, mutlos, von unsagbarem Kummer erfüllt. Ich weiß nicht, weshalb – mir ist, als ließe ich etwas zurück, das ich nie wiederfinden werde!«

Luise zerfloß in Tränen und sank ihrer Freundin in die Arme. Auch der Montalais, die doch nicht zu den zartesten Naturen gehörte, traten die Tränen in die Augen. Rudolf kniete nieder und bedeckte Luisens Hand mit Küssen; man sah, er legte sein ganzes Herz in diese Liebkosung. Dann stand er rasch auf und ging. Wenige Minuten später hörte man auf der Landstraße die Hufschläge eines galoppierenden Pferdes.

An diesem Abend war bei Madame große Gesellschaft. Gegen acht Uhr stellten die Gäste sich ein. Da ihre Soireen immer einen ganz besonderen Reiz hatten, so fehlte niemand. Eine große Schar von Edelherren, Poeten, Gelehrten und geistreichen Männern und Frauen war man gewohnt bei ihr zu sehen. An diesem Abend versprach man sich, nachdem des Königs Abenteuer mit der Lavallière, einem Ehrenfräulein Madames, bekannt geworden war, noch ganz besondere Überraschungen.

Monsieur erschien in Gesellschaft des Herrn von Guiche. Als letzter stellte der König sich ein, in Begleitung seines Hofmeisters, des Grafen von Saint-Aignan Madame stand auf, um ihn zu begrüßen, warf aber im selben Moment einen Seitenblick auf Fräulein von Lavallière, die zwischen der Montalais und der Tonnay-Charente in der Reihe der Ehrendamen saß. Alle Häupter neigten sich vor Seiner Majestät, bei dessen Eintritt sich jedoch – da man ihn heute in fast unköniglicher Haltung, zwanglos und fröhlich, kommen sah – alsbald eine heitere Stimmung verbreitete. Der König nahm Platz, und der Kreis schloß sich um ihn her. Er ließ seine Blicke in der Runde schweifen, und Madame fand es unerhört, daß er sich nicht genierte, die Lavallière besonders lange aufmerksam zu betrachten. Um ihn abzulenken, bestürmte sie ihn mit Fragen, verstand doch niemand das Ausfragen besser als sie.

»Madame fragen zu viel,« antwortete schließlich der König und versuchte umsonst die Kälte seiner Worte durch ein liebenswürdiges Lächeln zu verbergen. »Ich muß Sie an Saint-Aignan verweisen, der kann besser erzählen als ich.« – »Ei, was soll ich erzählen?« rief Saint-Aignan, der nur auf einen Anlaß gewartet hatte, seiner Schwatzhaftigkeit Genüge zu tun. »Vielleicht die Geschichte von den drei Schäferinnen, die mir neulich eine indiskrete Dryade erzählte?« – Bei diesen Worten warf er einen Blick auf die drei Ehrendamen, von denen in den letzten Stunden soviel die Rede gewesen war, und die ganze Gesellschaft rückte mit einem Murmeln der Befriedigung noch enger zusammen. Man erwartete nun bestimmt die heiß ersehnte Sensation.

Saint-Aignan war als seiner Gesellschafter und gewandter Erzähler bekannt. Das tiefe Schweigen, das ringsum herrschte, die vielen Blicke, die er voll Spannung auf sich gerichtet sah, brachten ihn daher nicht aus der Fassung. Er begann: »Königliche Hoheit, die Dyraden wohnen in Bäumen des Waldes und ziehen besonders schöne und alte Bäume vor.« – Alle Zuhörer wußten, daß dies eine Anspielung auf die Königseiche war, und manches Herz klopfte laut vor Neugierde und Unruhe. »Da es in Fontainebleau sehr schöne Bäume gibt,« fuhr Saint-Aignan fort, »namentlich einige prachtvolle Eichen, so wird man mir glauben, wenn ich beteuere, daß es in Fontainebleau auch Dryaden gibt. Folgendes nun erzählte mir die Dryade des Parks von Fontainebleau. In dieser schönen, uns allen so lieben Ortschaft wohnen zwei Schäfer, von denen der eine Tirsis heißt. Er ist jung und schön, und seine Tugenden und Vorzüge machen ihn zum ersten, zum König der Schäfer. Seine Kraft ist so groß wie sein Mut. Er ist der Gewandteste auf der Jagd und der Weiseste im Rat. Natürlich erfreut sich der König der Schäfer hoher Gunst bei den Schönen seines Landes. Wer Tirsis gesehen und gehört hat, muß ihn lieben. Wer ihn liebt und von ihm wiedergeliebt wird, der hat das Glück gefunden. Tirsis hatte einen Gefährten, welcher sein untertänigster Diener war. Er hieß Amyntas. Von ihm ist wenig zu sagen. Neben Tirsis verblaßt er vollständig. Er ist keines Vergleiches mit ihm würdig. Er verlangt nichts anderes als einen Platz zu den Füßen des schönen Tirsis. Sein höchstes Glück ist, wenn Tirsis sich manchmal an ihn wendet und ihn zum Vertrauten seiner Herzensgeheimnisse macht. Er ist etwas älter als Tirsis und nicht ganz von der Natur vernachlässigt. Er sucht nicht zu glänzen, aber es verlangt ihn nach Liebe, und diese würde ihm gewiß zuteil werden, wenn man ihn richtig beurteilte.«

Diese Phrase galt dem Fräulein von Tonnay-Charente, dem der Graf bei diesen Worten einen eindringlichen Blick zuwarf, aber die Dame hielt diesen Angriff ganz ruhig aus. Lauter Beifall erklang; man rief dem Erzähler zu fortzufahren, und der König gab selbst durch Kopfnicken das Signal dazu.

»Eines Abends lustwandelte Tirsis mit Amyntas im Walde, und beide traten in ein tiefes Gebüsch, um hier einander ihr Liebesleid zu klagen. Da vernahmen sie plötzlich Stimmen.« – »Ha, jetzt, wird’s interessant!« flüsterte jemand, und Madame warf, gleich einem General, der wachsam auf seine Armee aufpaßt, einen zurechtweisenden Blick auf die Montalais und die Tonnay-Charente, die sich nicht zu beherrschen wußten.

»Diese lieblichen Stimmen,« erzählte der Graf weiter, »gehörten einigen Schäferinnen an, die sich ebenfalls im kühlen Walde ergingen und einen entlegenen Platz aufgesucht hatten, um ihre Gedanken über das Schäferdasein auszutauschen. Die Dryade hat mir versichert, alle drei seien sehr hübsch gewesen. Sie hat mir auch ihre Namen genannt: Phyllis, Amaryllis und Galathee. Sie plauderten also –«

»O, Herr Graf,« unterbrach ihn Madame lachend, »erzählen Sie hübsch der Reihe nach! Erst die Porträts der drei Schönen.« – Saint Aignan warf einen Blick auf den König, und Ludwig, der selbst schon ein wenig unruhig zu werden begann, fürchtete das gleiche von der Herzogin und glaubte, eine so gefährliche Fragestellerin nicht noch zur Neugier reizen zu sollen. Er gab durch ein Kopfnicken sein Einverständnis zur ausführlichen Beschreibung der drei Schäferinnen.

»Phyllis also,« erzählte Saint-Aignan weiter, »ist weder brünett noch blond, weder groß noch klein, weder kalt noch schwärmerisch. Aber sie ist geistreich wie eine Prinzessin und kokett wie eine Teufelin. Ihr Gesicht ist sehr anziehend. Sie gleicht einem Vogel, der beständig zwitschernd gern von einer Blume zur andern flattert und allen Vogelstellern trotzt, welche das Netz nach ihm stellen.«

Diese Schilderung war so ähnlich, daß aller Augen sich sogleich auf Fräulein von Montalais richteten; diese aber machte ein ganz unbefangenes Gesicht und hörte mit der größten Seelenruhe zu. – »Ich gehe zu Amaryllis über,« fuhr der Erzähler fort. »Sie ist die älteste der drei Schäferinnen, hat jedoch noch nicht die zwanzig erreicht. Sie ist groß, hat üppiges Haar, das sie in griechischer Art trägt, einen majestätischen Gang und würdevolle Manieren. Sie gleicht daher mehr einer Göttin als einer Sterblichen. Sie ist eine Diana, die ihre Pfeile ins Herz aller armen Schäfer schießt, welche in den Bereich ihrer Augen und ihres Bogens kommen.« Die Tonnay-Charente, die bisher ein wenig finster dreingeschaut hatte, lächelte jetzt heiter. –

»O, diese böse Schäferin!« rief Madame. »Wird nicht einmal eines der Geschosse, die sie unbarmherzig nach rechts und links abschießt, auf sie selbst zurückfliegen?« – »Das hoffen alle Schäfer,« antwortete Saint-Aignan. – »Und ganz besonders der Schäfer Amyntas, nicht wahr?« fragte Madame. – »Amyntas,« erwiderte Saint-Aignan und setzte seine bescheidenste Miene auf, »ist so schüchtern, daß niemand erfahren hat, ob er eine solche Hoffnung wirklich hegt. Er verbirgt sie in seines Herzens tiefster Tiefe.«

»Und Galathee?« fragte Madame, »ich bin auf dieses letzte Porträt besonders gespannt.« – »Galathee,« begann der Erzähler, »hat eine Haut, weiß wie Milch, ein Blondhaar, zart und sein wie Gold, Augen, rein und klar wie das Blau des Himmels. Wem sie ihr Herz schenkt, der ist glücklich zu preisen. Ihre jungfräuliche Liebe macht ihn zum Gott.« – Niemand zollte dieser Schilderung Beifall; Madame schwieg kalt, und die ganze Gesellschaft schien von diesem frostigen Gefühl angesteckt zu werden. Saint-Aignan hatte sein ganzes Erzählertalent aufgeboten und war sehr enttäuscht, als das rauschende Händeklatschen, das er erwartet hatte, sich nicht einstellte.

»Nun, Majestät,« unterbrach Henriette endlich die Pause, »was sagen Sie zu diesen drei Porträts?« – »Amaryllis könnte mir gefallen,« antwortete Ludwig.

»Mir ist Phyllis lieber,« sagte Monsieur, »sie scheint mir ein wenig burschikos. Das habe ich gern.« – Ein allgemeines Gelächter erscholl. Die Montalais errötete bis über die Ohren.

»Nun, und was erzählten sich die Schäferinnen?« fragte Madame, ehe noch jemand etwas über das Porträt der Galathee sagen konnte. – »Die Schäferinnen gestanden sich Herzensgeheimnisse,« fuhr Saint-Aignan fort. »Sie sagten, die Liebe sei ein gefährlich Ding, aber ohne Liebe zu leben, sei dem Tode gleich zu erachten. Und daraus folgerten sie, daß man lieben müsse. Eine Schäferin erklärte sich entschieden gegen jede Liebe, konnte dabei aber doch nicht verhehlen, daß auch sie das Bild eines Schäfers im Herzen trüge.« – »Das Bild des Tirsis?« fragte die Madame. – »Nein, Hoheit, des Amyntas,« antwortete Saint-Aignan. »Allein die sanfte Galathee mit den Märchenaugen antwortete, man könne doch unmöglich Amyntas lieben oder Tityrus oder Alphesibeus, oder wie sie heißen mochten, solange es einen Tirsis gebe. Tirsis verdunkle alle Männer, gleichwie die Eiche alle Bäume überrage. Und sie entwarf nun von Tirsis eine Schilderung, daß er, der dabei selbst im verborgenen zuhörte, sich geschmeichelt fühlte bei all seiner Größe. So waren denn Tirsis und Amyntas von Galathee und Phillis ausgezeichnet worden, das Geheimnis zweier Herzen hatte sich im Schatten der Nacht verraten. Das ist es, was die Dryade mir erzählt hat. Ich habe es nur nacherzählt.«

»Und Sie sind nun fertig, nicht wahr, Herr von Saint-Aignan?« fragte Madame mit einem Lächeln, das den König zittern machte. »Sie haben indessen einen Fehler begangen, daß Sie nur auf eine Dryade gehört haben, Sie hätten sich auch noch bei der Najade von Fontainebleau erkundigen sollen. Sie ist ebenso schwatzhaft und sogar noch besser unterrichtet als jene.« – »Eine Najade!« riefen mehrere Stimmen, begierig auf die Fortsetzung der Geschichte. – »Sie haust ganz in der Nähe der Königseiche in einem hübschen, kleinen Quell, der dort zwischen Vergißmeinnicht und Schlüsselblumen sprudelt,« fuhr Madame fort, scheinbar ohne zu bemerken, wie unruhig und erwartungsvoll der König sie ansah. »Hören Sie, was diese Najade mir erzählt hat, als ich gestern abend dort vorüberging. ›Stellen Sie sich vor, meine liebe Prinzessin,‹ sagte sie, denn wir beide sind gute Bekannte, ›was für ein ergötzliches Schauspiel ich gestern abend beobachten konnte. Zwei neugierige Schäfer, die wohl auf Liebesabenteuer ausgingen, haben sich nämlich von drei lustigen Schäferinnen auf ganz scharmante Weise nasführen lassen.‹«

Diese Worte trieben dem König das Blut in die Wangen, während man die Lavallière leichenblaß werden sah. Madame erzählte weiter: »›Diese zwei Schäfer,‹ fuhr meine Najade fort, ›folgten den drei Schäferinnen, und diese hatten es wohl bemerkt, und man kann es ihnen nicht verübeln, wenn sie beschlossen, sich einen Spaß mit ihnen zu machen. Sie setzten sich unter die Königseiche, und da sie die Horcher so nahe wußten, daß ihnen kein Wort entgehen konnte, machten sie ihnen nun die feurigsten Liebeserklärungen. Alle Männer sind von sich selbst eingenommen. Sentimentale Schäfer am meisten. Die Worte, die die Horcher vernahmen, waren daher ihren Ohren eine überaus süße Melodie.«

Man hörte Kichern und Lachen; der König erhob sich; ein Blitz sprühte aus seinen Augen. – »Meiner Treu, ein köstlicher Scherzi« rief er, »und sehr amüsant erzählt! Aber haben Sie die Sprache der Najade auch richtig verstanden?« – »Ich ließ sie ihre Erzählung vor einigen Damen meines Gefolges wiederholen,« antwortete Madame. »Sie werden bestätigen, daß meine Wiedergabe sich genau mit den Worten der Göttin deckt. Nicht wahr, Fräulein von Montalais, es ist so gewesen?« – »Jawohl, Madame,« antwortete Aure ohne Zaudern. – »War es so, Fräulein von Tonnay-Charente?« fragte Madam«. – »Es ist die reine Wahrheit,« erwiderte Athenais. – »Und Fräulein von Lavallière wird es auch bestätigen,« sagte die Herzogin.

Das arme Kind fühlte den forschenden Blick des Königs auf sich gerichtet; sie wagte weder zu leugnen noch zu lügen; sie nickte flüchtig, aber ein eisiger Schauer, schmerzlicher als der Hauch des Todes, durchbebte sie. Gegen dieses dreifache Zeugnis wußte der König nichts zu sagen; Saint-Aignan stammelte mit erzwungener Heiterkeit: »Ein famoser Spaß! Und auch ganz hübsch gespielt von diesen drei Schäferinnen.« – »Die gerechte Strafe für die Neugierde,« sagte der König mit heiserer Stimme. »Wer möchte sich nach einer solchen Zurechtweisung, wie sie Tirsis und Amyntas erfahren haben, noch für die Herzensgeheimnisse von Schäferinnen interessieren? Ich gewiß nicht mehr, meine Herren!«

»Ei, Graf!« rief Monsieur, sich mit lautem Lachen an Guiche wendend, »du sagst ja gar nichts. Bedauerst du etwa die Herren Tirsis und Amyntas?« – »Ja, ich bedaure sie von ganzem Herzen,« antwortete der Graf ernst. »Die Liebe ist ein so süßer Wahn, daß, um ihn betrogen zu werden, schlimmer ist als der Verlust des Lebens. Wenn die beiden Schäfer, die sich geliebt glaubten und an diesem Glauben ihr Glück fanden, nun einsehen müssen, daß es nur Spott war, dann halte ich Tirsis und Amyntas für die unglücklichsten Männer, die ich kenne.«

»Graf, Sie haben recht,« sagte der König. »Der Tod ist eine gar harte Strafe für ein bißchen Neugierde.« – Bei diesen Worten heftete er einen vernichtenden Blick auf Luise von Lavallière, die einer Ohnmacht nahe war. Ludwig, der sonst sehr lange an den Gesellschaften bei Madame teilnahm, empfahl sich, um in seine Gemächer zurückzukehren. Madame frohlockte über ihren Triumph.

Saint-Aignan folgte dem König; er war, als er ging, ebenso niedergeschlagen, wie er heiter gewesen war, als er kam. Aber das Fräulein von Tonnay-Charente, auf das der Graf einen nicht minder majestätischen Blick warf, als Ludwig auf Luise geworfen, war nicht so zartfühlend wie die Lavallière und blieb ganz gelassen.

6. Kapitel. Ein Strich durch die Rechnung

Der König kehrte rasch in seine Gemächer zurück. Vielleicht ging er so schnell, um nicht zu wanken. Niemand war im Zweifel darüber, was ihn bewog, die Gesellschaft so plötzlich zu verlassen. Madame war darüber nicht betrübt. Sie glaubte dem König gezeigt zu haben, daß er eine ihm ebenbürtige fürstliche Person lieben könne, ohne Skandal befürchten zu müssen; ja er war dann des Einverständnisses, der Verschwiegenheit, der Ehrerbietung aller gewiß. Sobald er sich aber auf einen gemeinen Liebeshandel einlasse, so stoße er sogleich auf scharfen Tadel, selbst bei seinen geringsten Untertanen, und bringe sich selbst um den Nimbus der Unverletzlichkeit. Bei Ludwig aber war die Eigenliebe noch größer als die Liebe, und indem Madame ihn beschämt hatte, war es ihr gelungen, sich wirksam für die durch Ludwig erlittene Zurücksetzung zu rächen.

Dennoch faßte sie die Dinge keineswegs tragisch auf. Leichtfertig wie sie war, kannte sie keine tiefen Leidenschaften, weder im Guten noch im Bösen. Sie war jung und schön, geistig regsam und kokett und ließ sich nur durch ihre Laune, ihre Phantasie und ihren Ehrgeiz leiten. Sie beurteilte den König nach sich selbst und meinte, er würde, wenn er die augenblickliche Verstimmung überwunden habe, über die Lavallière lachen und einsehen, daß die Prinzessin unendlich hoch über diesem unscheinbaren Mädchen stände und es eine Torheit gewesen sei, das Ehrenfräulein der Herzogin vorziehen zu wollen.

Sie irrte sich in ihrem Urteil über den König. Ludwig war weit tiefer und schmerzlicher verwundet, als sie glaubte. Wenn ihm ein ähnlicher Schlag aus dem Volk heraus, in Gestalt eines Aufruhrs, versetzt worden wäre, dann hätte er sich mit aller Kraft dagegen verwahrt. Aber gegen Frauen konnte er nicht kämpfen, an Frauen konnte er sich nicht vergreifen. Es war wohl eine entsetzliche Schmach für einen König, von einem Provinzfräulein angeführt worden zu sein, aber durch jede Maßnahme, die auch nur eine Spur von Zorn verraten hätte, würde die Schmach nur noch größer geworden sein. Ja, er durfte sich nicht einmal ungehalten zeigen, um keinen neuen Grund zum Lachen zu geben. In aller Stille mußte die Blamage hinuntergeschluckt werden, und unveränderte Leutseligkeit, selbst gegen die Missetäterinnen, war das einzige Mittel, über seinen Groll hinwegzutäuschen.

Wenn die Prinzessin die Anstifterin des ganzen Vorfalls gewesen wäre, so hätte sie recht gehabt. Das gab der König zu. Hatte er sich ihr nicht mit süßen Liebesworten genähert? War sie nicht nur seiner verführerischen Stimme gefolgt, indem sie ihn liebte? Und nun sah sie sich durch eine Untreue belohnt, die um so demütigender war, als sie wegen einer tief unter ihr stehenden Nebenbuhlerin erleiden mußte. Hatte sie aber keinen Teil an der Täuschung, dann hatte der König auch keinen Grund, ihr zu zürnen.

Das naive Bekenntnis der Lavallière hatte dem königlichen Herzen unendlich wohlgetan; er hatte an diese unschuldige, uneigennützige, reine Liebe geglaubt. Seine Seele, selbst noch naiv und jugendlich, war dieser andern Seele, die sich ihm offenbarte, entgegengeflogen. Und nun sollte es Lug und Trug gewesen sein: ein Fastnachtsscherz, eine Fopperei. Ein anspruchsloses Mädchen aus der Provinz, dem man im Grunde alles: Schönheit, Geburt, Geist, absprechen konnte, hatte den König genarrt – den König, der wie ein asiatischer Sultan nur mit den Augen zu suchen, nur die Hand auszustrecken, nur sein Taschentuch fallen zu lassen brauchte.

Und dieser König hatte sich 24 Stunden lang nur mit diesem Mädchen beschäftigt, ihr Bild im Herzen getragen und, nur an sie denkend, nach ihr schmachtend, die vielen schönen Frauen nicht beachtet, die seinen Hof belebten. In der Tat, es war zu viel! Und doch, es ließ sich gar nichts tun. Es blieb nichts weiter übrig, als die Sache auf sich beruhen zu lassen.

Als Ludwig zu diesem für seine gekränkte Eitelkeit schmerzhaften Ergebnis seiner Betrachtungen gelangte, trat ein Lakai herein und überreichte ein offenbar von Frauenhand geschriebenes Billett. – »An Seine Majestät,« sagte er. – »Von wem?« fragte der König. – »Das weiß ich nicht. Es ist mir von einem Hausoffizier übergeben worden,« war die Antwort. – Der König trat an den Leuchter, und im Schein der Wachskerzen öffnete er das Briefchen und las: »Sire, verzeihen Sie meine Zudringlichkeit, verzeihen Sie mir vor allem, daß ich gewisse Vorschriften außer acht lasse, aber ich kann nicht anders. Ich bin von Schmerz und innerm Kampfe erschöpft und bitte Eure Majestät um die Gnade einer Audienz, in welcher ich meinem König die volle Wahrheit sagen werde. Luise von Lavallière.«

Der König glaubte zu träumen. Aber ein unsagbar frohes, wonniges Gefühl wallte plötzlich über ihn hin, als wenn ihn der Hauch des Frühlings gestreift hätte. Er rief Saint-Aignan, der im Nebenzimmer seiner Befehle harrte. »Graf, nimm deinen Mantel und begleite mich!« gebot er, ohne sich zu besinnen. »Weißt du, wo die Ehrenfräulein der Herzogin von Orléans wohnen?« – »Gewiß.« – »Kennst du jemand, der uns Zutritt verschaffen kann?« – »Ja, ich kenne einen jungen Mann, der mit einem Fräulein sehr gut bekannt ist.« – »Mit der Tonnay-Charente?« – »Nein, leider nur mit der Montalais.« – »Wie heißt er?« – »Malicorne.« – »Ein häßlicher Name. Und meinst du, daß er uns helfen kann?« – »Ich denke, ja.« – »So laß uns gehen.«

Am Fuße der Treppe, die zu dem Zwischenstock führte, wo die Ehrendamen logierten, blieb Saint-Aignan stehen und ließ durch einen vorübergehenden Lakai Herrn Malicorne rufen. Er erschien nach zehn Minuten, der König zog sich in den dunkelsten Teil des Korridors zurück. Als Saint-Aignan seinen Wunsch zu erkennen gab, antwortete Malicorne ausweichend. – »Einlaß in die Wohnung der Ehrendamen?« sagte er, »das geht nicht gut, Herr Graf. Da muß man doch wissen, in welcher Absicht Sie hinein wollen.« – »Das kann ich Ihnen leider nicht mitteilen, lieber Herr Malicorne. Sie müssen mir also schon so über den Weg trauen – wir kennen uns ja doch.« – »Wenn schon, Herr Graf, und es wäre vielleicht nicht so bedenklich, wenn noch alle Ehrendamen hier wären, aber Madame hat die andern alle wieder in ihre Privatzimmer zurückkehren lassen und in diesem nur die Fräulein von Lavallière und von Montalais zurückbehalten. Sie begreifen – ich könnte nur zwei Herren Einlaß gewähren: dem Grafen von Bragelonne und dem König selbst.«

»So lassen Sie den König ein, ich befehle es Ihnen,« sagte Ludwig XIV., indem er vortrat und den Mantel auseinanderschlug. »Das Fräulein von Montalais wird zu Ihnen herunterkommen, während wir zu Fräulein von Lavallière gehen, denn ihr allein gilt unser Besuch.« – »Seine Majestät!« stammelte Malicorne, indem er dem Monarchen zu Füßen fiel. – »Ja, der König, der Ihnen sowohl für Ihren Widerstand wie für Ihre Nachgiebigkeit Dank weiß. Stehen Sie auf und lassen Sie uns ein.« – »Wie Majestät befehlen,« sagte Malicorne und schritt die Treppe voran.

»Rufen Sie Fräulein von Montalais heraus,« sagte der König, oben angelangt. »Sie darf nicht wissen, daß ich hier bin, verstanden?« – Malicorne verneigte sich. Aber während Malicorne öffnete und eintrat, besann sich Ludwig eines andern und erschien gleichzeitig mit ihm in dem Zimmer. Die Lavallière ruhte in einem Lehnstuhl, die Montalais stand vor einem Spiegel und kämmte sich das Haar. Als die Männer eintraten, stieß sie einen Schrei aus und entfloh. – Malicorne ging ihr nach. Saint-Aignan trat in eine Ecke des Gemachs; der König schritt auf Luise zu. Sie richtete sich wie ein galvanisierter Leichnam in die Höhe und sank gleich darauf in den Stuhl zurück.

»Sie wünschen eine Audienz, mein Fräulein,« begann Ludwig XIV., »ich bin bereit, Sie anzuhören.« – Die Lavallière erhob sich abermals. Zitternd stand sie vor dem König. Sie vermochte nur die Worte zu stammeln: »Majestät, verzeihen Sie mir!« – »Was soll ich Ihnen denn verzeihen?« fragte Ludwig. – »O, ich habe einen großen Fehler begangen, ja ein schweres Verbrechen: ich habe Eure Majestät beleidigt,« sagte Luise.

»Nicht im geringsten,« antwortete der König. – »Sire, ich bitte Sie inständigst, lassen Sie mich durch diesen furchtbaren Ernst nicht Ihren gerechten Zorn fühlen! Ich fühle es, ich habe Sie beleidigt, aber ich muß Ihnen erklären, daß dies ganz gegen meinen Willen geschehen ist.« – »Inwiefern haben Sie mich beleidigt, Fräulein?« versetzte Ludwig XIV., »ich sehe es nicht ein. Etwa durch jenen mädchenhaften Scherz? Was ist dabei, wenn sich ein junges Mädchen über einen leichtgläubigen jungen Mann lustig macht? Jede andere an Ihrer Stelle hätte ebenso gehandelt.«

»O, Eure Majestät geben mir mit diesen Worten den Todesstoß!« – »Ist das alles, was Sie mir zu sagen hatten?« fragte der König, indem er einen Schritt zurücktrat. – Die Lavallière aber folgte ihm und sah ihn mit ihren großen, verweinten Augen an. – »Majestät haben alles gehört, was ich unter der Königseiche gesprochen habe?« stammelte sie. – »Kein Wort ist mir entgangen,« antwortete Ludwig. – »Und haben Majestät wirklich auch nur auf einen Augenblick geglaubt, ich hätte Ihre Leichtgläubigkeit mißbrauchen wollen? Können Majestät sich nicht denken, daß ein armes Mädchen, wie ich, bisweilen gezwungen sein kann, sich stumm dem Willen anderer zu beugen?«

»Ich verstehe nicht,« erwiderte der König, »wie jemand, der den Mut hat, sich so frei zu äußern, wie Sie es unter der Königseiche taten, nachher sich von andern ducken lassen soll.« – »Aber die Drohung, Majestät –«

»Drohung?« rief Ludwig. »Wer hat Ihnen gedroht? wer hat es gewagt?« – »Jemand, der das Recht dazu hat. Verzeihen Sie, Sire, es gibt in Ihrer Umgebung hochstehende Personen, die sich für befugt halten, ein Mädchen ohne Zukunft und Vermögen, das nichts hat als ihren guten Namen, zugrunde zu richten.«

»Mein Fräulein,« antwortete der König streng, »ich liebe es nicht, daß man sich entschuldigt durch Verdächtigung anderer. Sie hätten es leicht, sich zu rechtfertigen. Es tut mir weh, daß Sie zu Vorwürfen und Anschuldigungen greifen.« – »Majestät schenken mir also keinen Glauben?« rief Luise. – Der König schwieg. Sie schlug die Hände zusammen. »Sie glauben mir nicht!« rief sie. »Sie glauben nur, ich hätte mich erdreistet, diesen lächerlichen Scherz zu treiben! Sie halten mich dieser schändlichen Frechheit fähig!« – »Es war weder lächerlich noch schändlich,« antwortete Ludwig. »Es war harmlos und spaßhaft, weiter nichts. Was ist denn natürlicher? Der König horcht; er will sich vielleicht auf Ihre Kosten einen Scherz machen. Also rasch den Spieß herumgedreht! Rasch die Fabel erdichtet, ich liebte ihn; der König ist ja naiv und außerdem so sehr von sich selbst eingenommen, daß er es glauben wird. Und dann erzählen wir die Geschichte aller Welt und lachen uns satt.«

»O, das zu denken, ist entsetzlich!« rief die Lavallière. »Sire, kein Wort mehr, ich bitte Sie! sehen Sie nicht, daß Sie mich zu Tode martern?« Sie sank auf die Knie nieder und faltete die Hände. »Sire, ich ziehe die Schmach der Lüge vor! Wenn ich Ihnen Vernunft und Ehre opfere, werden Sie dann an die Aufrichtigkeit meiner Gefühle glauben? Was Madame Ihnen heute abend erzählt hat, war eine Lüge. Was ich unter der Königseiche gesagt habe, war die Wahrheit. Und wenn ich vor Scham sterben müßte an dieser Stelle, wo meine Knie festgewurzelt sind, so werde ich doch, solange ich Atem habe, wieder und wieder bekennen: Ich liebe Sie! Ich liebe Sie so, wie ich es sagte! Ich liebe Sie, Sire, seit jenem Tage, da ich Sie in Blois zum ersten Male sah, seit jenem Tage, da Ihr leuchtender Blick wie Sonnenschein in meine Einsamkeit fiel. Ich weiß, es ist ein Majestätsverbrechen, wenn ein armes Mädchen wie ich den König liebt und es zu ihm sagt. Bestrafen Sie mich für meine Verwegenheit – verachten Sie mich wegen meiner Schamlosigkeit – aber sagen Sie nicht, ich hätte Sie verspottet, ich hätte meinen Scherz mit Ihnen getrieben. Ich bin aus einem Geschlecht, das dem Königtum stets ergeben war – und ich liebe meinen König – ich liebe ihn! O, ich kann nicht mehr.«

Ihre Kräfte waren erschöpft, ihre Stimme erlosch, sie sank ohnmächtig zu Boden. Den König hatte ihr leidenschaftliches Geständnis tief ergriffen. Jetzt nahm er die Ohnmächtige in die Arme, hielt sie fest umfangen und drückte sie an sein Herz. Aber die Lavallière gab kein Lebenszeichen von sich – ihr Kopf sank auf seine Schulter.

Erschrocken rief der König seinen Hofmeister. Der Graf war diskret in seinem Winkel geblieben und eilte nun herbei. Er brachte die Bewußtlose in ihren Lehnstuhl und bespritzte sie mit aromatischem Wasser. »Kommen Sie doch wieder zu sich, mein Fräulein!« rief er, »es ist ja alles gut, der König glaubt Ihnen! Er verzeiht Ihnen. Aber wenn Sie so lange ohnmächtig bleiben, das fällt dem König auf die Nerven, und Majestät hat ein sehr feines Gefühl. Fräulein, Fräulein, so hören Sie doch! Sie müssen wirklich wieder zu sich kommen – es ist die höchste Zeit – mein Gott, wie fatal – nehmen Sie sich doch ein bißchen zusammen!«

Aber Saint-Aignan redete umsonst; der König wußte ein besseres Belebungsmittel. Er kniete nieder und heftete glühende Küsse auf die Hand Luisens. Endlich schlug sie die Augen auf, sah den König schmachtend an und flüsterte: »Haben Eure Majestät mir wirklich verziehen?« – Der König konnte vor Bewegung nicht antworten. – »Und nun, Sire,« fuhr die Lavallière fort, »habe ich mich – so hoffe ich wenigstens – vor Ihnen gerechtfertigt. Gestatten Sie mir jetzt, mich in ein Kloster zurückzuziehen. Dort will ich mein Leben lang meinen König segnen und bis an meinen Tod Gott für diesen Tag des Glückes danken.« – »Nein, nein, Sie bleiben hier,« rief Ludwig. »Danken Sie Gott, ja! aber lieben Sie auch Ihren König, lieben Sie Ludwig, der Ihr Leben verschönern will – Ludwig, der, das schwört er Ihnen, Sie wiederliebt!«

Und seine Küsse wurden so glühend, daß Saint-Aignan es für geraten hielt, sich wieder in seine Ecke zurückzuziehen. – »O, Majestät,« flüsterte die Lavallière, von der Inbrunst des Königs entflammt, »soll ich denn meine Aufrichtigkeit bereuen? Soll ich denn glauben, Majestät verachteten mich?« – »Mein Fräulein,« antwortete Ludwig, »nichts auf der Welt liebe und ehre ich mehr als Sie, das schwöre ich Ihnen bei Gott! Niemand soll hinfort Ihnen gleich geachtet werden. Meine stürmischen Küsse waren nur der Ausdruck meiner Liebe – aber ich kann Ihnen beweisen, daß ich Sie nicht nur liebe, sondern auch über alles hochschätze. Sie stehen unter meinem Schutze. Sagen Sie niemand, welche Schmerzen ich Ihnen bereitet habe, und verzeihen Sie auch den andern die trüben Stunden, die Sie erlitten. Künftighin werden Sie so hoch über allen andern stehen, daß Sie niemand mehr zu fürchten brauchen.«

Er rief Saint-Aignan, verneigte sich vor Luise und sagte noch: »Ich schicke Ihnen Ihre Freundin sogleich zurück. Leben Sie wohl, mein Fräulein, und vergessen Sie mich nicht in Ihrem Gebet.« – »O, Sire,« antwortete die Lavallière, »Sie wohnen zusammen mit Gott in meinem Herzen.« – Diese letzten Worte erfüllten den König mit einem Gefühl hoher Freude und Wonne. Er kehrte mit seinem Hofmeister in seine Zimmer zurück. – Madame hatte diese Wendung nicht vorausgesehen: die Dryade und Najade wußten nichts davon.

Der folgende Tag war düster und schwül. Dennoch befahl der König, die Spazierfahrt nicht ausfallen zu lassen, und die Blicke aller Damen und Herren, die daran teilzunehmen hatten, richteten sich voll Besorgnis zum Himmel empor. Schon schwebte ein leichter Nebel auf den Gipfeln der Bäume, und die Sonne vermochte den dicken Wolkenschleier nicht zu durchdringen. Ludwig sah zum Fenster hinaus und versprach sich nichts Gutes von diesem Wetter; aber was ihn bewog, trotzdem die Ausfahrt nicht abzubestellen, das war das erhoffte Zusammentreffen mit der Lavallière, und er wollte es selbst dem Himmel nicht gestatten, ihm einen Strich durch seine Liebessehnsucht zu machen.

Ludwig ging wie sonst zur Messe, aber er vergaß an diesem Tage über ein gewisses erschaffenes Wesen den Schöpfer und zählte ungeduldig die Minuten, die ihn noch von dem Wiedersehen trennten. Von dem Auftritt, der am verflossenen Tage zwischen Ludwig und der Lavallière stattgefunden, hatte niemand etwas erfahren. Saint-Aignan erkannte den tiefen Ernst dieser Liebschaft und wußte, daß in diesem Falle seine Mitwissenschaft ein kostbarer Besitz sei. Die Montalais hätte gern geplaudert – schwatzhaft wie sie war – aber Malicorne hatte es ihr auf die Seele gebunden zu schweigen, wenn anders sie nicht sich und ihn ins Verderben stürzen wollte.

Ludwig war so glücklich, daß er der Herzogin von Orléans nicht grollen konnte. Er konnte sich ja auch im Grunde über ihre Täuschung nicht beklagen; denn ohne diese würde er keinen Brief von der Lavallière erhalten und sich nicht mit ihr ausgesprochen haben. Er war so zufrieden mit der Lösung der Dinge, daß in seinem Herzen kein Raum für Unmut war.

Da die Spazierfahrt erst gegen zwölf Uhr stattfand, so verblieben dem König noch ein paar Stunden, die er der Arbeit mit Colbert und Fouquet widmen wollte. Aramis, der sich in der Gesellschaft des Oberintendanten befand, mischte sich unter die Höflinge, die auf den Korridoren hin und her schritten.

»Sire,« sprach Fouquet, als die Arbeit beendet war und er sich verabschiedete, »Sie überhäufen mich seit einigen Tagen mit Anzeichen der Gnade. Gewiß haben Majestät besonderen Anlaß, mir ein so huldvolles Lächeln zu gönnen.« – »Sie stellen Mutmaßungen an?« erwiderte Ludwig. »Sie irren sich; ich bin vielmehr ärgerlich auf Sie. Jawohl, im Ernst!« – »Majestät erschrecken mich. Ich wüßte nicht, was ich getan –« –»Ich hörte von einem großen Fest, das Sie in Vaux geben wollen.« – Fouquet lächelte wie ein Kranker bei dem ersten Schauer eines vergessenen und wiederkehrenden Fiebers. – »Und zu diesem Fest haben Sie mich noch nicht eingeladen,« setzte Ludwig hinzu.

»Sire,« antwortete der Minister, »ich hatte gar nicht mehr an dieses Fest gedacht. Auch konnte ich ja nicht hoffen, daß Eure Majestät geruhen würde, aus Ihrer erhabenen Sphäre herabzusteigen und mein Haus mit Ihrer Königlichen Gegenwart zu beehren. Ich erwähnte deshalb das Fest nicht, weil noch gar nichts entschieden war und ich von Eurer Majestät eine ablehnende Antwort fürchtete. Und dennoch hegte ich den lebhaften Wunsch –«

»Daß Ihre Einladung huldreich aufgenommen würde, nicht wahr?« antwortete Ludwig. »Verständigen wir uns! Sie wünschen mich einzuladen, ich wünsche eingeladen zu werden. Laden Sie mich also ein, und ich werde erscheinen.« – »Wie? Majestät geruhen, meine Einladung anzunehmen?« stammelte der Minister. – »Ich glaube sogar noch mehr zu tun,« versetzte der König lachend, »mich dünkt, ich lade mich selbst ein.« – »Innigsten Dank, mein König,« antwortete Fouquet mit einer tiefen Verneigung, scheinbar frohlockend über diese Huld, die nach seiner Meinung doch sein Tod war. »Sie machen mich zum glücklichsten Menschen der Welt. Geruhen Majestät den Tag zu bestimmen.« – »Heute über einen Monat. Und bis dahin wünsche ich Sie recht viel um mich zu sehen.« – »Sire, ich habe die Ehre, heute an Ihrer Spazierfahrt teilzunehmen.« – »Schon, Herr Fouquet. Dort kommen bereits die Damen.«

Der König eilte mit von liebendem Verlangen beflügeltem Schritt hinaus.

Die Wagen fuhren vor, die Reitpferde stampften auf dem Pflaster des Schloßhofes. Der König ging hinunter und begrüßte seine Gattin, die eben mit Madame in einen Wagen stieg. Sein Gruß fiel ein wenig zerstreut aus, denn er erblickte die Lavallière, die mit drei anderen Ehrenfräulein in einer Kalesche Platz nahm. Die Königin befahl den Vorreitern die Richtung nach Apremont einzuschlagen. Der König schwang sich in den Sattel und blieb ein Weilchen neben dem Wagen der Prinzessinnen.

Die Hitze war drückend, das Wetter sah noch immer drohend aus, aber da der König daran keinen Anstoß nahm, so wagte niemand, eine Befürchtung zu äußern. Madame war in guter Stimmung; denn sie fühlte, daß der König nicht seiner Gattin wegen neben ihrem Wagen ritt. Sie glaubte daher, ihn durch ihr Manöver vom verflossenen Abend wieder an sich gefesselt zu haben. Allein schon nach einer Viertelstunde empfahl sich der König mit einer anmutigen Verneigung, hielt das Pferd an und ließ die Wagen und Reiter an sich vorbeidefilieren. Erst als der Wagen der Lavallière vorüberkam, ritt er weiter. Er begrüßte die Damen und hielt sich an ihrer Seite, als plötzlich die ganze Wagenreihe halt machte. Der König fragte nach der Ursache und erfuhr, Madame habe Halt befohlen; sie wünsche zu Fuß weiterzugehen. Wahrscheinlich hoffte Madame, der König würde es verschmähen, zu Fuße neben den Ehrendamen herzugehen.

Man befand sich mitten im Walde, an einem Kreuzungspunkte, von dem drei schöne schattige Alleen abzweigten. Maria-Theresia verließ den Wagen und gab damit für alle andern das Zeichen auszusteigen. Sie nahm den Arm ihrer Ehrendame, warf einen verdrießlichen Seitenblick auf den König und schlug einen Seitenweg ein, der zu beiden Seiten von dichtem Laub eingefaßt war. Nach der Königin stieg Madame aus und sah alsbald den Grafen von Guiche am Wagenschlag, der sich verneigte und ihr den Arm anbot. Monsieur hatte es vorgezogen, ins Bad zu gehen, und, in der festen Ueberzeugung, keinen Grund zur Eifersucht zu haben, Herrn von Guiche beurlaubt.

Es fanden sich noch mehrere Gruppen von Herren und Damen zusammen, die sich nun rings über die lauschigen Wege des Parks verstreuten. Der König war an der Seite der Lavallière geblieben. Als der Kutschenschlag geöffnet wurde, stieg er vom Pferde und bot Luise die Hand. Die Montalais und die Tonnay-Charente entfernten sich sofort mit einer tiefen Verbeugung und begnügten sich mit der Gesellschaft der Herren Malicorne und Saint-Aignan.

Das Gewitter kam näher; doch da der König es nicht sah, glaubte niemand das Recht zu haben, es zu sehen. Ludwig reichte der Lavallière den Arm und zog sie auf einem der Waldwege mit sich fort. Da er sah, daß der größte Teil der Gesellschaft Miene machte, ihm zu folgen, so schlug er ohne Zaudern einen schmalen Seitenpfad ein, wo ihm niemand mehr das Geleit zu geben wagte.

Nicht weit von diesem Paar schritten zwei Männer durch den Wald. Sie schienen sich ebenfalls um das drohende Gewitter nicht zu kümmern, denn sie waren in ein offenbar sehr angelegentliches Gespräch vertieft. Plötzlich zuckte ein Blitz durch die Luft, und der Donner rollte dumpf über den Wald hin. »Das Gewitter ist da, lieber d’Herblay!« rief der eine der beiden Männer. »Wollen wir zu den Kutschen zurückeilen?« – Aramis blickte umher. »O, es wird nicht so schlimm werden. Herr Oberintendant,« sagte er, »ich weiß eine Grotte in der Nähe, die uns Schutz gewährt. Folgen Sie mir.«

Fouquet eilte hinter ihm her. Dicke Tropfen fielen schon raschelnd in das Laub. – »Sie haben den König vor der Abfahrt noch gesprochen?« fragte der Bischof. »Wie fanden Sie ihn?« – »Sehr huldvoll. Er hat sich zu meinem Feste eingeladen, mit einer Dringlichkeit, in der ich Colberts Werk erkannt habe. Es soll in einem Monat stattfinden. Es wird mich mehrere Millionen kosten.« – »Sagen wir neun,« antwortete d’Herblay. »Sechs versprach ich Ihnen – drei können Sie selbst beschaffen.« – »Ich verstehe Sie nicht,« erwiderte der Oberintendant, »vor einigen Tagen noch konnten Sie nicht einmal die 50.000 Livres an Baisemeaux aus Ihrer Tasche bezahlen, und jetzt bieten Sie mir sechs Millionen.«

»Weil ich vor einigen Tagen so arm war wie Hiob, jetzt aber reicher bin als der König.« – »Ich weiß, Sie werden Ihr Wort halten und Ihr Geheimnis nicht brechen,« versetzte der Minister, »reden wir also nicht mehr davon.«

In diesem Augenblick geschah ein heftiger Donnerschlag. – »Ich sagte es ja,« rief Fouquet, »zurück zu den Kutschen!« – »Dazu ist es zu spät,« antwortete Aramis. »Mit wenigen Schritten sind wir bei der Grotte.« – Eine Regenflut prasselte auf das Laubdach des Waldes herab, und rasch begannen die Tropfen durchzusickern. »Hier ist die Grotte,« sagte der Bischof. »Doch still, ich höre Stimmen.« – »Nur hinein in den Schlupfwinkel, sagte Fouquet, bückte sich und trat in die kleine Steinhöhle, die, halb verborgen, im Gesträuch sich öffnete, »wer zuerst kommt, hat das Anrecht.«

»Wahrhaftig,« murmelte Aramis, »dort kommt ein Herr und eine Dame – aber sie wissen nichts von dem Vorhandensein unserer Grotte, denn der Herr späht nur nach einem dichten Baum aus. Meiner Treu, Herr Fouquet, es ist der König mit Fräulein von Lavallière.«

»Verstecken Sie sich,« flüsterte der Minister, »vielleicht fügt es der Zufall, daß sie in unserer Nähe stehenbleiben. Es wäre immerhin interessant zu hören, was Seine Majestät der kleinen Luise zu sagen hat.«

In der Tat machte Ludwig unter einer dicken, breitästigen Eiche unmittelbar neben der Grotte halt, in der Fouquet und Aramis Schutz gesucht hatten. Er hielt den Arm der Lavallière unter dem seinigen und beschützte sie mit seinem breiten Hute, obwohl große Tropfen sein Haar benetzten. – »Mein Fräulein,« sagte er, »ich bedaure aufrichtig, Sie von der Gesellschaft fortgeführt zu haben. Sie sind bereits durchnäßt. Ist Ihnen kalt? Sie zittern –« – »Aus Furcht, Sire, meine Abwesenheit könnte übel gedeutet werden.« – »Ich würde Ihnen den Vorschlag machen, zu den Kutschen zurückzukehren, doch urteilen Sie selbst; ob es in diesem Augenblick möglich ist, auch nur einen Schritt zu tun. Und wie sollte man es zu Ihrem Nachteil auslegen, daß Sie bei mir sind? Bin ich nicht der König von Frankreich und der erste Kavalier des Reiches?« – »Gewiß, Sire,« sagte die Lavallière, »und es ist eine große Ehre für mich. Ich fürchte auch nicht um meinetwillen die üble Nachrede, sondern nur Ihretwillen –« – »Ich verstehe Sie nicht,« sagte der König lächelnd. – »Haben denn Majestät schon vergessen, was sich gestern bei Madame ereignet hat?« – »O, erinnern Sie mich nicht daran! Doch ja, erinnern Sie mich, denn dies war die Ursache, weshalb Sie mir schrieben, und für diesen Brief danke ich Ihnen immer wieder.«

Die Lavallière lächelte. – »O, Sire,« sagte sie dann, »es regnet in Strömen, und Sie stehen entblößten Hauptes da.« – »Sprechen wir doch nur von Ihnen, mein Fräulein,« entgegnete Ludwig. – »O, ich bin ein Mädchen vom Lande und an jedes Wetter gewöhnt,« versetzte Luise, »auch kann es meinen Kleidern, wie Majestät sehen, nicht viel Schaden zufügen.« – »In der Tat, Fräulein, ich habe schon bemerkt, daß Sie alles Ihrer Person, nicht Ihren Toiletten verdanken. Sie sind gar nicht kokett, und das gefällt mir vor allem an Ihnen.« – »Ich bin nicht reich,« antwortete Luise offenherzig. – »Also lieben Sie doch das Schöne?« fragte Ludwig. – »Ich finde nur das Erreichbare schön,« antwortete sie. »Alles, was für mich zu hoch ist –«

»Nichts soll für Sie zu hoch sein,« sagte der König. »Ich werde dafür sorgen, daß Sie an meinem Hofe eine Ihnen gebührende Stellung einnehmen.« – »O, Sire, lassen Sie doch alles wie es ist,« antwortete die Lavallière. »Meine Wünsche waren erfüllt, als mir die Ehre zuteil wurde, in der Hofhaltung Ihrer Königlichen Hoheit der Herzogin von Orléans aufgenommen zu werden. Lasten Sie mich in meiner Mittelmäßigkeit! Nehmen Sie nicht meinen Gefühlen das freudige Bewußtsein der Uneigennützigkeit!« – »Welche herrliche, edle Sprache!« rief der König.

»Das ist wahr,« flüsterte Aramis dem Oberintendanten zu, »er ist nicht daran gewöhnt.« – »Es ist oft eine schlaue Berechnung, sich vor einem König uneigennützig zu zeigen,« meinte Fouquet. – »Das dachte ich eben auch,« sagte Aramis. »Wollen Sie nicht uneigennützig sein und dem König Ihren Platz anbieten?« – »Ich will im Gegenteil weiter zuhören,« antwortete der Minister.

Luise seufzte tief. – »Fräulein, so schwere Gedanken? Was kann Sie betrüben,« fragte der König, »da Sie doch unter meinem Schutze stehen?« – »Ich will es Ihnen sagen, Majestät,« sagte sie, ihre schönen blauen Augen zu ihm aufschlagend. »Sie gehören nicht sich selbst, Sie sind vermählt, Sire; jedes Gefühl, das Eure Majestät mir schenken, entziehen Sie der Königin, die Sie mit leicht begreiflicher Innigkeit liebt. Da sie das Glück gehabt hat, einen solchen Gemahl zu gewinnen, so bittet sie den Himmel mit Tränen, daß er nur ihr gehören möge. O, es wäre ein großes Unrecht, der Königin Ursache zur Eifersucht zu geben – verzeihen Sie mir dieses Wort, Majestät. Mein Gott, ich weiß, es ist unmöglich oder sollte es doch sein, daß die größte Königin der Welt auf ein armes Mädchen, wie ich bin, eifersüchtig wäre. Aber die Königin hat das Herz einer Frau, und böse Zungen können ihr Argwohn zutragen. Sire denken Sie an die Königin, nicht an mich!«

»Mein Fräulein, Sie verwandeln durch diese Worte meine Achtung in Bewunderung!« rief der König. – »Majestät legen in meine Worte einen Sinn, der nicht darin ist. Sie halten mich für besser, als ich bin. Sie machen mich größer, als Gott mich gemacht hat. Erbarmen Sie sich, Sire! Wenn ich den König nicht für den edelherzigsten Mann hielte, so würde ich glauben, er treibe Spott mit mir, daß er so zu mir spricht.« – »Ich bin ein unglücklicher Fürst,« sagte der König in aufrichtiger Betrübnis, »ich habe nicht einmal die Macht, die Person, die mir das Teuerste auf Erden ist, die mit ihrem Zweifel mir das Herz bricht, von der Wahrheit meiner Worte zu überzeugen.«

»Sire,« sagte Luise, den König sanft von sich wehrend, »ich glaube, der Regen läßt nach, das Gewitter hat sich verzogen. Noch einmal, Sire,« setzte sie hinzu und bewog Ludwig durch einen Druck der Hand, mit ihr fortzugehen, »bedenken Sie, welchen Unannehmlichkeiten Sie sich meinetwegen aussetzen wollen! Man sucht Sie jetzt schon. Die Königin wird besorgt sein – und Madame!« Und sie verstummte, als sei es vor Furcht.

Der König stutzte. »Was ist es mit Madame?« fragte er. – Luisens sonst schüchtern ausweichender Blick begegnete dem des Königs. – »Madame ist ebenfalls eifersüchtig,« stammelte sie. – »Madame hat kein Recht zur Eifersucht,« versetzte der König. »Sie ist ja sozusagen eine Schwester von mir.« – »Sire, es geziemt sich nicht für mich,« erwiderte Luise, »in die Geheimnisse Ihres Herzens zu dringen.« – »Wie? Sie glauben also auch –?« rief der König. – »Ich glaube, daß Madame eifersüchtig ist, ja,« antwortete die Lavallière. – »Hat Madame Sie das fühlen lassen?« rief Ludwig. »Hat Madame Sie vielleicht durch die Ihnen erwiesene Behandlung –« – »Keineswegs, ich bin ja viel zu unbedeutend,« erwiderte Luise. »Doch, man kommt, Sire – es regnet nicht mehr.«

»Was liegt daran, mein Fräulein?« rief Ludwig. »Mag kommen, wer will! Wer darf es wagen, daran Anstoß zu nehmen, daß ich dem Fräulein von Lavallière Gesellschaft geleistet habe? Ich habe, indem ich Sie schützte, nur meine Pflicht als Kavalier getan. Wehe dem, der die seinige vergessen hat und an dem Verhalten des Königs Kritik üben will!«

Man sah in der Tat einige neugierige Köpfe in der Allee erscheinen. Der junge König und das Fräulein von Lavallière wurden bemerkt, die Höflinge nahmen den Hut ab, zum Zeichen, daß sie den König erkannt hatten. Ludwig kehrte sich nicht daran, sondern führte Luise mitten durch die Schar der Herren und Damen zum Wagen zurück. Er hielt sogar, da noch immer einige Tropfen fielen, den Hut schützend über ihr Haupt, und alle sahen, daß sein eigenes Haar ganz naß geworden war. Die Königin und die Herzogin von Orléans bemerkten diese übertriebene Höflichkeit, und Madame vergaß darüber so sehr alle Etikette, daß sie ihre Schwägerin mit dem Ellbogen anstieß und flüsterte: »Sehen Sie doch nur!« – Die Königin schloß die Augen, legte die Hand über das Gesicht und verschwand rasch im Wagen. Madame stieg zu ihr.

Der König war neben dem Wagen der Ehrenfräulein stehengeblieben, bis die Lavallière Platz genommen hatte, dann schwang er sich aufs Pferd und ritt neben ihr her. – Jetzt erst verließen Fouquet und Aramis die Grotte. – »Sie liebt ihn leidenschaftlich,« sagte der Bischof, »und was noch schlimmer ist, er liebt sie. Sicherlich wird diese kleine Person den ersten Platz im Herzen des Königs einnehmen, und wir haben einen großen Fehler gemacht, Herr Fouquet!« – »Sie meinen den Liebesbrief, den ich an die Lavallière geschrieben habe?« antwortete der Minister. »Ich dachte auch daran« – »Sie müssen ihn um jeden Preis zurückholen,« sagte d’Herblay.– Fouquet nickte. Er war zu lange Zeit an den Intrigen des Hofes beteiligt gewesen, um die Gefahr geringzuschätzen, in die ihn ein indiskreter Gebrauch dieses Briefes, seit der König um die Liebe der Lavallière warb, stürzen konnte. Sobald die Gesellschaft in den Palast zurückgekehrt war, suchte Fouquet daher um eine Unterredung mit Fräulein von Lavallière nach und wurde von ihr mit jener Unbeholfenheit empfangen, die sie als Provinzdame noch nicht völlig abgelegt hatte. Sie war noch zu sehr Neuling im Hofleben, und der plötzliche Glanz der königlichen Gunst verwirrte sie vollends. Fouquet wußte als durchgebildeter Menschenkenner und vollendeter Kavalier den rechten Ton zu treffen, stellte sehr geschickt seine Fragen und erfuhr auf diese Weise, ohne sich selbst eine Blöße zu geben, daß die Lavallière den von ihm geschriebenen Brief gar nicht erhalten hatte. Das war zunächst beruhigend für ihn, aber die Frage, wohin der Brief geraten sei, drängte sich doch dazwischen und stimmte den Minister sehr bedenklich. Nach Hause gekommen, teilte er Aramis das Ergebnis der Unterredung mit. D’Herblay machte ein saures Gesicht und mochte nicht recht an die Ehrlichkeit der Lavallière glauben. Man ließ den Diener kommen, dem der Brief zur Bestellung übergeben worden war. Der Diener, ein Mann mit schlau blinzelnden Augen, dünnen Lippen und gekrümmtem Rücken, beteuerte, den Brief, wie ihm befohlen, im Zimmer der Lavallière an einer bestimmten Stelle niedergelegt zu haben, und erklärte, es wäre nur die eine Möglichkeit vorhanden, daß das Fräulein ihn bis jetzt dort noch nicht gefunden hätte. Er machte sich anheischig, ihn zurückzubringen, und Fouquet, der fest an die Treue des Alten glaubte, schickte ihn fort. Man wollte ja auch jedes Aufsehen vermeiden und der ganzen Angelegenheit nach außen hin keine große Wichtigkeit beilegen. Fouquet und Aramis warteten, aber der Diener kam nicht wieder. Als sie nach ihm forschten, stellte es sich heraus, daß er entflohen war.

»Nun denn, das Unglück ist geschehen,« sagte Aramis, »warten wir ab, was daraus wird. Wir haben immer noch Mittel genug, uns zu verteidigen. Das Fatalste ist, der Brief war nicht datiert.« – »Vor allen Dingen müssen wir den verräterischen Diener wiederfinden,« sagte Fouquet. – »O, den werden Sie nicht wiederfinden,« antwortete der Bischof. »Wenn er Ihnen wert war, so legen Sie nur Trauer um ihn an.«

7. Kapitel. Die neue Gottheit des Hofes

Anna von Oesterreich war seit einigen Tagen leidend und sank vom Höhepunkt ihrer Schönheit herab mit jener Schnelligkeit, mit der bei allen Frauen, die ein stürmisches Leben hinter sich haben, die weiblichen Reize verblassen. Die bedenklichen Aeußerungen des Arztes waren ihr weit weniger schmerzlich als die unerbittliche Kälte der Höflinge, die sich von ihr zurückzuziehen begannen, gleich den Ratten, die das im Sturme leck gewordene Schiff verlassen. Auch der König vernachlässigte sie jetzt; früher war er alle Morgen eine volle Stunde bei ihr gewesen; dann hatte er sein Bleiben auf eine halbe Stunde beschränkt, und jetzt fing er an, die Besuche allmählich ganz fallen zu lassen. Man sah sich in der Messe oder bei der Prinzessin, in deren Salon seit einiger Zeit die größten Réunions stattfanden. Anna hatte versucht, diese Gesellschaften in ihre Gemächer zu verlegen, aber sie mußte vor der jungen Herzogin die Waffen strecken. Nun machte sie verzweifelte Anstrengungen, sich auf der Höhe zu erhalten, und sie benutzte eine Zeitlang die Königin als Vermittlerin, allein die stets betrübte Gemahlin Ludwigs, die sich verlassen wie eine Witwe fühlte, hatte keine Energie zu einem Kampfe mit den höfischen Intrigen. Die Königin-Mutter mußte auf andere Mittel sinnen. Sie hatte in ihrem Leben viele Ränke gesponnen, zumal in jener Zeit, wo sie eine Freundin hatte, die fast noch ungestümer, noch feuriger war als sie. Diese Freundin war dann verbannt worden, und nun hatte sie sich jahrelang mit Frau von Motteville oder mit der Molena, ihrer spanischen Amme, begnügen müssen. Aber keine von beiden hatte ihr auch nur im entferntesten jene Freundin ersetzen können, Madame von Chevreuse, die Meisterin der Intrige. Und wenn sie jetzt an diese geistvolle Frau dachte, die nie um das rechte Mittel verlegen war, dann schien es, als wenn sie vor ihr stände und ihr mit ihrem charakteristischen feinen Lächeln einen Rat erteilte: »Alle diese Leute am Hofe brauchen Geld, um ihre Genußsucht zu befriedigen. Nur mit Geld können Sie sie an sich fesseln.« – Und Anna von Oesterreich handelte dementsprechend; sie verteilte Geschenke an die Personen, deren Einfluß sie sich sichern wollte, sie hatte die schönsten Juwelen von ganz Frankreich, und namentlich ihre Perlen waren so groß, daß sie dem König, sobald er sie sah, einen Seufzer entlockten, weil, mit ihnen verglichen, die Perlen seiner Krone nur Hirsekörner waren. Diese Schmucksachen machte nun Anna von Oesterreich zum Gegenstand von Lotterien, die in ihren Salons ausgespielt wurden, und es gelang ihr auch, sich auf diese Weise einen großen Kreis von Getreuen zu verschaffen und vor allem die Freundschaft Madames zu erringen, die an diesen vorzeitigen Erbschaften Geschmack fand.

Eines Abends bildeten zwei kostbare Armbänder den Gegenstand der Verlosung. Diese Schmucksachen waren weniger durch die darin verarbeiteten Juwelen, als vielmehr durch die antike Arbeit selbst wertvoll, denn es waren einzigartige Kabinettstücke einer vor mehreren Jahrhunderten üblichen Kunst und als Rarität von ganz unschätzbarer Kostbarkeit. Die Liste der zur Lotterie zugelassenen Personen war nach der strengsten Etikette aufgesetzt worden und wurde, als nach Erscheinen des Königs die Gesellschaft vollzählig war, unter großer Spannung verlesen. Es waren dreihundert Gäste bei der Königin-Witwe, und jedermann fragte sich, ob er mit zu den Bevorzugten gehören werde. Als die Verlesung beendet war, wandte Madame sich an Anna von Oesterreich.

»Wie?« flüsterte sie, »die neue Gottheit des Hofs, die kleine Lavallière, haben Sie ausgelassen? Das ist schade. Wenn sie das Glück gehabt hätte, die Armbänder zu gewinnen, so hätte sie sie versteigern und aus dem Erlös eine Aussteuer kaufen können, denn sie darf noch nicht heiraten, weil sie ihrem Gemahl keine Morgengabe mitbringen kann.« – »Die Arme!« entgegnete Anna von Oesterreich, »hat sie denn keine Kleider?« – »Ich glaube nicht,« versetzte Lady Henriette. »Wenigstens hat sie jetzt dasselbe Kleid an wie heute morgen auf der Promenade, wo es nur dank der Sorgfalt des Königs, der sie vor dem Regen schützte, sauber geblieben ist.«

Man sah den König vor Unwillen erröten, als er erkannte, daß die Lavallière von der Teilnahme am Spiel ausgeschlossen worden war. Luise bekundete weder durch eine Bewegung noch durch den Ausdruck ihres Gesichts, daß sie sich verletzt fühlte. Sie fühlte jedoch freudige Bewegung, als sie den Blick des Königs mit unverhohlener Innigkeit auf sich gerichtet sah. Unter den Vergessenen befanden sich auch die Montalais und Herr Malicorne, die sich gegenseitig über ihr Mißgeschick zu trösten suchten.

Nun wurden die Lose verteilt; der König bekam das seine zuerst, dann die Königin, dann die Königin-Mutter, Monsieur, Madame und nach der königlichen Familie die Herren und Damen vom Adel gemäß der Abkunft und Rangabstufung. Die Königin-Witwe öffnete darauf einen Lederbeutel, in welchem sich zweihundert Kugeln aus Perlmutter mit eingravierten Ziffern befanden, und die Verlosung begann. Die Gewinnnummer fiel auf den König. Die ganze Gesellschaft bejubelte dieses erfreuliche Ergebnis, wenngleich sich niemand des Eindrucks erwehrte, daß die ganze Sache von vornherein abgekartet gewesen sei. Das war auch wirklich der Fall; Anna von Oesterreich rechnete darauf, daß der König die Armbänder Madame schenken werde; sie hoffte sich auf diese Weise die dauernde Gunst sowohl ihres Sohnes als ihrer Schwägerin zu sichern. Mitten unter den beglückwünschenden Zurufen der Versammlung nahm der König die Armbänder in Empfang.

»Sie sind also sehr wertvoll, diese Dingerchen?« fragte er, sie betrachtend. – »Sehen Sie sich nur einmal die Diamanten an,« erwiderte Anna von Oesterreich.– »Eine Schönheit für Kenner,« sagte der König. »In der Tat, die Arbeit dieser Kameen ist wundervoll. Ich habe noch nie so meisterhafte Ziselierung gesehen.« – Er reichte den Schmuck der Königin hin, doch mit einer Gebärde, daß niemand daran zweifeln konnte, er wünsche ihn nicht seiner Gattin zum Geschenk zu machen. Aber da Maria-Theresia zu erkennen glaubte, daß er auch nicht im Sinne habe, ihn Madame zu schenken, so war sie zufrieden, warf nur einen flüchtigen Blick darauf und gab ihn an Monsieur weiter. Der Herzog von Orléans musterte die Kostbarkeiten lange mit lüsternem Blick und reichte sie seufzend seiner Gemahlin. Madame sagte nur ein einziges Wort, das aber aus ihrem Munde mehr besagte als eine lange Lobrede: »Prachtvoll!« Dann reichte sie die Armbänder der ihr zunächst sitzenden Dame, und nun machten sie die Runde durch die ganze Reihe der Versammelten. Unterdessen sprach der König ununterbrochen und ganz ruhig mit den Herren Fouquet und von Guiche, aber man sah, er war zerstreut und behielt den wandernden Schmuck scharf im Auge.

Das Fräulein von Tonnay-Charente war die letzte auf der Liste der Lotterie-Teilnehmer gewesen, und sie gab jetzt die Armbänder an die erste derjenigen, die nicht für würdig erachtet worden: an Fräulein Aure von Montalais, die ihrerseits sie an die Lavallière weiterreichte. Die Gesellschaft schien der Meinung, als würde dem Geschmeide durch die unscheinbaren Hände, die es jetzt betasteten, aller Wert genommen. – »Du siehst diese wundervollen Armbänder so gleichgültig an, Luise,« sagte Fräulein von Montalais. »Begeistern sie dich nicht?« – »O, doch,« antwortete Luise, »aber warum etwas wünschen, was mir nie gehören kann?« – Und sie streckte die Hand aus, um die Armbänder weiterzugeben.

In diesem Augenblick erklang die Stimme des Königs: »Halt! Die Armbänder bleiben, wo sie jetzt sind.« Dabei stand er auf und ging auf die Lavallière zu. »Fräulein,« sprach er, »Sie sind im Irrtum; als Dame haben Sie ebensoviel Anspruch wie jede andere auf Damengeschmeide. Die Armbänder gehören Ihnen. Der König bittet Sie, das Kleinod nicht zu verschmähen.« – Die Lavallière erschrak heftig und wollte dem König das Kästchen in die Hand drücken, aber Ludwig XIV. wehrte lächelnd ab.

Eine tiefe Stille, ein Todesschweigen lag über der Versammlung; alle waren starr vor Erstaunen. Madame biß sich so heftig auf die Lippe, daß das Blut hervorsickerte. Die junge Königin sah von Madame zu Luise und fing zuletzt zu lachen an. Anna von Oesterreich starrte fassungslos den König an, der ihre kluge Rechnung so unbedacht vereitelte.