An einer anderen Stelle des königlichen Gartens sah man den Oberintendanten Fouquet an der Seite des Bischofs von Vannes. Der Minister musterte die festlichen Vorkehrungen, die man von seinem Gelde hergerichtet hatte, und suchte mit den Blicken in der Schar von Höflingen und Edelherren, die plaudernd umherstanden, den Mann, mit dem er sich in der letzten Zeit so viel zu beschäftigen hatte, Colbert, den emsigen Minierer, der sich’s in den Kopf gesetzt hatte, Fouquets Größe zu untergraben. – »Da ist er,« sagte er zu seinem Begleiter. »Man beweihräuchert ihn von allen Seiten, sehen Sie nur! Er ist wirklich schon eine Macht.« – Colbert näherte sich, von einer ganzen Schar von Höflingen umringt, deren jeder ihm etwas Schmeichelhaftes zu sagen hatte. Fouquet begrüßte ihn mit etwas spöttischer Miene. – »Nun, gnädigster Herr,« sagte Colbert, »gefällt Ihnen, was wir hier zustande gebracht haben?«
»Sehr gut,« antwortete Fouquet trocken. – »Wie nachsichtig,« versetzte der Intendant spitz. »Wir Leute des Königs sind arm. Fontainebleau kann sich nicht mit Vaux vergleichen. Wir haben getan, was wir mit unsern geringen Hilfsmitteln vermochten. Aber von Ihrer Prachtliebe läßt es sich wohl erwarten, daß Sie dem König zu Ehren ein Fest in Ihren eigenen Gärten veranstalten werden – in jenen Gärten, die Ihnen jährlich sechs Millionen kosten.« – »Sieben,« berichtigte Fouquet. »Und glauben Sie, Majestät würde meine Einladung annehmen?« – »Daran zweifle ich nicht,« antwortete Colbert. »Ja, ich würde dafür einstehen?« – »Sehr gütig,« erwiderte Fouquet. »Wenn ich auf Sie zählen kann, so werde ich es mir überlegen.« – »Ueberlegen, wenn der König –?« unterbrach ihn Colbert. – »Jawohl, ich will überlegen, für welchen Tag ich am besten den König einladen könnte,« sagte Fouquet. »Meine Herren, ich möchte gleich auch Sie alle einladen,« setzte er hinzu und sah sich lächelnd rings um, »aber Sie wissen, wo Majestät zu Gaste ist, da ist er der Herr. Sie müssen also die Einladung vom König selbst erwarten.« – Er grüßte und entfernte sich.
»Eitler Prahler!« murmelte Colbert hinter ihm her. »Du nimmst es an und weißt doch, daß es dich zehn Millionen kosten wird.« – »Ich bin ruiniert!« sagte Fouquet im Weggehen. – »Sie sind gerettet,« antwortete Aramis ruhig.
Fouquet ließ sich beim König melden. – »Fouquet?« rief Ludwig. »Ich habe ihm geschrieben, er solle früh in Fontainebleau sein, und jetzt ist es zwei Uhr morgens. Das nenne ich Eifer! Er soll kommen.« – Fouquet trat ein, und Ludwig stand auf, ihn zu empfangen. – »Guten Abend, Herr Fouquet,« sagte er mit huldvollem Lächeln, »freut mich, daß Sie so pünktlich sind. Sie können doch aber meine Botschaft erst spät erhalten haben.« – »Um neun Uhr abends,« antwortete der Minister. – »Sie haben in diesen Tagen viel gearbeitet, Herr Fouquet,« sagte der König. »Man hat mir versichert, Sie hätten in der letzten Zeit so viel gearbeitet, daß Sie wochenlang nicht aus Ihrem Kabinett gekommen seien.« – »Allerdings, Sire,« erwiderte Fouquet, sich verneigend. »Ich arbeitete in Ihrem Dienst, und da ich nach so langer Zeit wieder vor Sie trete, Majestät, darf ich wohl um eine Gunst bitten, die von Ihnen bewilligt worden ist, um eine Audienz für meinen Begleiter, den Bischof von Vannes. Eure Majestät haben geruht, ihn auf meine Empfehlung hin vor drei Monaten zum Bischof zu ernennen.« – »Das ist möglich,« antwortete der König, der unterzeichnet hatte, ohne zu lesen. »Ist er da?« – »Ja, Majestät, Bischof d’Herblay wartet draußen.«
»D’Herblay?« murmelte Ludwig XIV., als erinnere er sich, diesen Namen früher einmal gehört zu haben. »Lassen Sie ihn hereinkommen.« – Fouquet gab dem Türsteher einen Wink, und Aramis trat ein. Der König ließ ihn die Begrüßungsworte sprechen und heftete währenddem einen langen Blick auf das charakteristische Gesicht, das niemand, der es einmal gesehen, vergessen konnte. – »Sie sind Bischof von Vannes?« fragte Ludwig XIV. – »Ja, Sire.« – »Vannes liegt in der Bretagne, und nahe am Meer?« – »Einige Meilen von Belle-Ile,« antwortete Aramis, sich abermals verneigend. – »Man sagt, Herr Fouquet habe dort ein schönes Schloß.« – »Ja, so sagt man,« erwiderte Aramis mit einem gleichgültigen Blick auf den Minister. – »Sagt man? Wie? So haben Sie selbst wohl Belle-Ile noch gar nicht gesehen?« – »O, wir armen Diener der Kirche,« sagte Aramis, »bleiben, wo wir wohnen.« – »Bringt Vannes so wenig ein?« fragte Ludwig. – »6000 Livres, Majestät.« – »Aber Sie sind doch wohl vermögend?« – »Ich besitze nichts, Sire. Doch Herr Fouquet bezahlt für einen Kirchenstuhl jährlich 12 000 Livres an mich.«
»Ich werde an Sie denken. Herr d’Herblay,« sagte der König. – Aramis verneigte sich; denn er wußte, daß die Audienz beendet war. Der König verneigte sich ebenfalls. Mit seiner schlichten Landpfarrermiene ging Aramis hinaus.
»Ein merkwürdiges Gesicht,« murmelte der König, ihm nachsehend. »Herr Fouquet,« wandte er sich an den Minister, »wir haben in diesen Tagen viel ausgegeben. Werden Sie nicht böse sein?« – »Majestät haben noch zwanzig Jugendjahre vor sich,« antwortete der Oberintendant, »und dürfen in diesen zwanzig Jahren noch eine Milliarde ausgeben.« – »Nun, in den nächsten zwei Monaten werde ich Sie nicht mehr in Anspruch nehmen,« sagte der König. – »Ich werde die Zeit benützen, für Sie zu sparen,« entgegnete der Minister. »Majestät haben übrigens auch an Herrn Colbert und mir zwei schätzenswerte Diener.« – Dieses dem Feinde gespendete Lob flößte dem König Bewunderung ein. Er streckte die Waffen vor dieser Klugheit und diesem Edelmut. – »Sie loben Herrn Colbert?« fragte er, nur mit Mühe sein Erstaunen verbergend. – »Gewiß. Herr Colbert hat hier alles trefflich angeordnet.« erwiderte Fouquet, »und verdient auch das Lob Eurer Majestät.«
Herr Fouquet verstand es meisterhaft, in den Ton dieser Worte ein gewisses Etwas zu legen, das absprechend klang. Ludwig hatte für solche Feinheiten ein ebenso feines Gefühl und erkannte, daß nach Fouquets Meinung die Festlichkeiten in Fontainebleau noch glänzender hätten sein können. Er empfand nun etwas von jenem Aerger des Provinzlers, der in prächtigen Kleidern nach Paris kommt und wenig beachtet wird. Die zurückhaltende, feine Aeußerung Fouquets flößte dem König noch mehr Respekt vor dem Charakter und den Fähigkeiten dieses Mannes ein. Als Ludwig XIV. sich in dieser Nacht das ganze Fest noch einmal vergegenwärtigte, fand er nachträglich auch einiges auszustellen. Fouquet aber hatte durch seine Höflichkeit und sein Lob Colbert mehr geschadet, als dieser durch seine Heimtücke dem Finanzminister bisher je hatte schaden können.
Aramis begab sich nach der Audienz in den Gasthof von Fontainebleau, der den Namen »Zum schönen Pfau« führte. Dort waren an diesem Tage – ein seltenes Ereignis für die Herberge – sieben Reisende eingekehrt, wobei die Dienerschaft der Herren gar nicht mitgezählt ist: ein Brigadier von der deutschen Armee, namens Wostpur, mit einem Sekretär, einem Arzt, drei Bedienten und sieben Pferden – ein spanischer Kardinal namens Herrebia mit zwei Neffen, zwei Sekretären, einem Diener und zwölf Pferden; ein reicher Kaufmann aus Bremen mit einem Diener und zwei Pferden; ein venetianischer Senator mit Frau und Tochter, der sich Signor Marini nannte; ein schottischer Laird mit sieben Hochländern und dem stolzen Namen Mac Cumnor; und ein Oesterreicher aus Wien, den man nur den »Herrn Rat« nannte; endlich eine Dame, welche ebenfalls keinen Familiennamen nannte, sondern nur als »die flämische Dame« einkehrte. Obwohl alle diese Reisenden an ein und demselben Tage ankamen, entstand im Gasthof keine Verwirrung, denn die Zimmer waren schon seit einer Woche bestellt und instand gesetzt.
Als sie sich auf ihre Stuben verteilt hatten, langte vor dem Gasthof eine Sänfte an, aus der man einen Franziskanermönch, der schwerkrank zu sein schien, heraushob. Für ihn war ein kleines Zimmer, ganz abseits von den andern gelegen, bereitgehalten worden. Man brachte ihn dorthin. Er ließ sich in einen Lehnstuhl setzen und rief den Wirt herbei.
»Guter Mann,« sagte er zu ihm, »schicken Sie die Leute da nicht weg, ohne ihnen eine Kleinigkeit für ihren guten Willen zu verabreichen. Ich bin ein armer Bettelmönch, der nichts übrig hat. Hätten sie mich aber nicht, halbverschmachtet wie ich war, von der Straße aufgehoben und hierher gebracht, so läge ich jetzt vielleicht tot im Graben.« – Der Wirt machte große Augen, dann verneigte er sich, ohne etwas zu antworten, sehr ehrerbietig vor dem armen Pilger und ging mit den Bauern hinaus, die sich nicht wenig darüber wunderten, daß der Besitzer des Hauses einem armen Bettelmönch so große Achtung erwies.
Der Franziskaner strich mit der vom Fieber ausgedörrten Hand über die gelbliche Stirn. In seinen Augen glühte ein unheimliches Feuer, das, dem Erlöschen nahe, noch einmal in aller Kraft aufzuflackern schien. Er zog ein Pack Papiere aus der Kutte und wühlte darin herum. Aber bald sank er matt zurück; stöhnend sah er sich um. Die Tür öffnete sich, er verbarg seine Dokumente und wandte sich mit einem Stöhnen dem Eintretenden zu. – »Sie sind der Arzt Grisart?« fragte er. »Kommen Sie her. Es ist keine Zeit zu verlieren. Befühlen Sie meinen Puls und geben Sie Ihr Urteil ab.« – »Der Wirt hat mir versichert, ich hätte es hier mit einem Jünger Jesu zu tun,« antwortete der Arzt. – »Dem ist so,« erwiderte der Mönch. »Sagen Sie mir also die Wahrheit.« – Der Arzt ergriff die welke Hand des Greises. – »Ein böses Fieber,« murmelte er. – »Herr Doktor,« versetzte der Franziskaner schroff, »keine Ausflüchte! Sie stehen vor einem Meister, vor einem Jesuit im elften Grade. Ich will wissen, wie es mit mir steht.« – »Nun denn, Ihr Zustand ist hoffnungslos,« war die Antwort des Arztes. »Sie haben noch zwei Stunden zu leben.«
»Zwei Stunden?« rief der Kranke. »In zwei Stunden läßt sich viel tun. Ich werde sie zum Ruhme des Ordens ausnützen und einen Würdigen zu meinem Nachfolger bestimmen. Gehen Sie, Herr Doktor, ich danke Ihnen. Schicken Sie mir den Wirt herein!« – Der Wirt kam. – »In Ihrem Hause weilen acht Personen, mit denen ich sprechen muß. Lassen Sie zuerst den deutschen Baron, Herrn von Wostpur, zu mir kommen. Sagen Sie ihm, der Erwartete sei angekommen.« – Gleich darauf hörte man schnelle Schritte auf dem Korridor. Der Baron trat ein, hocherhobenen Hauptes, als wenn er mit seinem Federbusch die Decke hätte einstoßen wollen. Er sah sich in dem kleinen, schmucklosen Zimmer um und fragte erstaunt: »Wer hat mich rufen lassen?«
»Ich,« antwortete der Franziskaner. – Der Baron näherte sich dem Platze des Greises und wollte sprechen. Der Mönch winkte mit der Hand. »Sie sind hierhergekommen,« sprach er, »einer Unterredung wegen. Sie hoffen, zum General des Jesuitenordens gewählt zu werden?« – »Ich hoffe es.« – »Und Sie wissen, was von dem Manne gefordert wird, der auf diese hohe Würde Anspruch macht, der durch diese Würde zum Herrn über die Könige der Erde, zum Bruder des Papstes werden will?« – »Wer sind Sie?« fragte der Baron mit einem hochmütigen Blick auf den armen Franziskaner. »Wie kommen Sie dazu, ein Verhör mit mir anzustellen?«
Statt aller Antwort drehte der unscheinbare Mönch einen Ring, den er am Finger trug, herum, so daß ein bis dahin verborgener Stein sichtbar wurde. Er zeigte ihn dem Deutschen, der erbleichte und zurücktrat. Er hatte das Merkzeichen des Jesuitengenerals erkannt, des Obersten dieses über die ganze Erde verbreiteten, damals allgewaltigen Ordens.
»Sie sind es, hochwürdiger Herr!« rief der Baron. »Und Sie wohnen in diesem erbärmlichen Zimmer? Und Sie sind hier, um selbst Ihren Nachfolger zu bestimmen?«
»Keine unnützen Worte, die Zeit ist kostbar,« antwortete der General. »Erfüllen Sie rasch die Hauptbedingung: offenbaren Sie dem Orden ein Geheimnis von solcher Tragweite, daß der Orden auf grund desselben sich einen der großen Höfe Europas für alle Zeit dienstbar machen kann. Sie haben in Ihrem schriftlichen Gesuch versichert, ein solches Geheimnis zu besitzen. Reden Sie!« – »Ich verfüge über eine Truppe von 50 000 Mann, die an der Donau lagert; meine Offiziere sind gewonnen. In acht Tagen kann ich den Kaiser von Oesterreich stürzen, der, wie Ihnen bekannt ist, gegen den Orden arbeitet, und kann einen dem Orden ergebenen Prinzen an seine Stelle setzen.« – »Ist das alles?« versetzte der Franziskaner. – »Mein Plan birgt eine Umwälzung ganz Europas in sich,« erwiderte der Deutsche. – »Herr Baron, Sie werden Antwort erhalten. Einstweilen haben Sie binnen einer Viertelstunde von Fontainebleau abzureisen.« – Wostpur verneigte sich und ging.
»Das ist ein Komplott, aber kein Geheimnis,« murmelte der Mönch. »Und Europas Zukunft hängt nicht mehr vom Hause Oesterreichs ab.« Mit diesen Worten nahm er einen Notstift und strich den Namen des Barons von der Liste der Kandidaten. Abermals wurde der Wirt gerufen. – »Ich möchte den Kardinal Herrebia sprechen,« sagte der Kranke, und der Wirt ging und holte den Spanier, der bleich und unruhig hereintrat. – »Ich werde hierher gebeten,« sprach er und raffte seinen Purpur zusammen, um mit der unscheinbaren Kutte des Franziskaners nicht in Berührung zu kommen. »Was kann ich für Euch tun, armer Bruder?«
Der Ring des Generals verfehlte auch bei ihm seine Wirkung nicht. – »Und nun erfüllen Sie die Bedingung,« sagte der Franziskaner. »Schnell, wir haben nicht viel Zeit, denn ich bin todkrank. Ihr Geheimnis! – Sie können spanisch sprechen.« – »Sie wissen, hochwürdiger Herr,« begann der Kardinal in reinstem Kastilianisch, »als der König von Frankreich die Infantin von Spanien heiratete, mußten Maria-Theresia und ihr Gemahl auf jede Apanage von seiten Spaniens ausdrücklich verzichten. Daraus folgt, daß der Friede und das freundschaftliche Zusammengehen beider Reiche von der Beobachtung dieser Klausel des Ehekontrakts abhängt. Ein Mann, der in die Zukunft zusehen vermag, könnte eine ungeheure Katastrophe verhüten und die kommenden Ereignisse zum größten Vorteil des Ordens ausnützen. Mir ist genau bekannt, daß der König von Frankreich beim ersten einigermaßen brauchbaren Anlaß, zum Beispiel beim Tode des Königs von Spanien oder des Bruders der Infantin mit den Waffen in der Hand das Erbteil der Maria-Theresia einfordern wird. Ludwigs XIV. Feldzugsplan befindet sich in meinen Händen.« – »Von wessen Hand geschrieben?« fragte der General. – »Von der meinen,« antwortete Herrebia.
»Haben Sie nichts mehr zu sagen?« fragte der General weiter. – »Ich glaube doch sehr viel gesagt zu haben,« erwiderte der Kardinal. – »Gewiß, Sie haben dem Orden einen Dienst erwiesen,« antwortete der Franziskaner. »Wie sind Sie in den Besitz der genauen Kunde gelangt?« – »Die untere Dienerschaft des Königs von Frankreich steht in meinem Solde,« versetzte der Kastilianer. – »Sehr sinnreich,« sagte der General, »Sie werden Antwort erhalten. Reisen Sie binnen einer Viertelstunde von Fontainebleau ab.«
Als der Kardinal gegangen war, machte der Franziskaner ein Kreuz vor seinen Namen und befahl dem Wirt, den venetianischen Kaufmann zu schicken. Sein Geheimnis war: der Papst fürchte, daß der Orden, der sich immer weiter ausdehnte, zu mächtig werden könne, und sänne infolgedessen darauf, alle Höfe Europas zur Austreibung des Jesuiten-Ordens aus ihren Reichen zu bestimmen. Der Venetianer nannte auch diejenigen Politiker, die dem Papst dabei am eifrigsten Hilfe leisteten, und er bezeichnete sogar sie Insel, die als Verbannungsort der Obersten des Ordens ins Auge gefaßt worden sei. Seine Mitteilung war kein geringer Dienst, doch schien der General auch ihr keine allzu weittragende Bedeutung beizumessen.
»Diese Leute,« sprach er bei sich selbst, als der Venetianer gegangen war, »sind allesamt Spione oder Sbirren, aber keiner eignet sich zum General, sie haben ein Komplott, aber kein Geheimnis entdeckt. Es ist uns nicht um Krieg und Vernichtung zu tun, sondern durch geheimnisvolles Wissen, durch geistige Ueberlegenheit wollen wir unsere Macht behaupten. Nein, noch ist der Mann nicht gefunden, der nach mir herrschen soll. Und mein Ende ist nahe – die zwei Stunden sind bald vorüber – die Uhr bald abgelaufen.«
Während er diesen Gedanken nachhing, öffnete sich die Tür, und Aramis trat ein, näherte sich dem Bett und bekreuzte sich. »Hochwürdiger Herr General,« begann er und zeigte sich damit als den ersten, der, ohne den Ring gesehen zu haben, die wahre Würde des armen Mönchs erkannte, »verzeihen Sie, daß ich unaufgefordert vor Sie trete. Ihr Zustand läßt mich befürchten, daß der Tod Sie ereilen möchte, ehe die Reihe an mich kommt, denn ich bin der letzte auf Ihrer Liste.« – »Sie sind der Chevalier d’Herblay, auch Aramis genannt, Bischof von Vannes?« – »Ja, hochwürdiger Vater.« – »Sie treten als Mitbewerber auf?« fuhr der General fort, »nun, was haben Sie mir zu sagen?«
»Ein Geheimnis von so großer Wichtigkeit teilt man nicht mündlich mit,« antwortete Aramis. »Wir sind allein, aber die Luft kann eine einzige kleine Schallwelle an ein aufmerksames Ohr tragen, und ein einmal mitgeteilter Gedanke ist nicht mehr Eigentum dessen, der ihn gefaßt hat. Ich habe mein Geheimnis niedergeschrieben.«
»Aber mich dünkt,« versetzte der Franziskaner, »die Schrift ist noch gefährlicher als die Sprache.« – »Hochwürdiger Herr, in diesem Umschlag,« antwortete der Bischof von Vannes, »werden Sie eine Schrift finden, die nur uns beiden verständlich ist. Es sind jene Zeichen, die Ihr verstorbener Sekretär Juan Jujan benützte.« – »Und die sind Ihnen bekannt?« fragte der General betroffen. – »Ihr Sekretär hatte sie von mir,« erwiderte Aramis und verneigte sich.
» Ecce homo,« 6 murmelte der Franziskaner und öffnete das Kuvert, das d’Herblay ihm reichte. Er las mit fliegender Hast, dann ergriff er die Hand des Prälaten. – »Durch wen ist Ihnen dies Geheimnis zuteil geworden?« fragte er. – »Durch Frau von Chevreuse, die Freundin der Königin-Mutter.« – »Und diese Frau von Chevreuse?« – »Ist tot.« – »Wußte sonst noch jemand darum?« – »Nur ein Mann und eine Frau aus dem Volke, die ihn aufgezogen hatten. Aber sie sind auch tot.« – »Und nun sind Sie der einzige, der darum weiß? Seit wie langer Zeit besitzen Sie das Geheimnis?« – »Seit fünfzehn Jahren.« – »Und haben es bewahrt?« – »Es hätte mich das Leben gekostet.« – »Und Sie vertrauen es nun dem Orden an, ohne auf Belohnung zu rechnen, ohne ehrgeizige Absichten?« – »Nein, mit ehrgeizigen Absichten und mit der Hoffnung auf Belohnung,« erwiderte Aramis. »Sie kennen mich jetzt, hochwürdiger Vater. Werden Sie mich zu dem machen, was ich sein, was ich werden muß?« – »Ja, ich mache dich zu meinem Nachfolger!« rief der Franziskaner, und mit diesen Worten zog er den Ring ab und schob ihn dem Bischof auf den Finger. »Krank an Körper, aber gesund an Geist, gebe ich freiwillig und aus eigenem Antrieb und aufrichtigster Ueberzeugung diesen Ring, das Zeichen der Allgewalt, Ihnen, Herr d’Herblay, Bischof von Vannes, und ernenne Sie zu meinem Nachfolger, zum General des Ordens Jesu.«
Aramis erblaßte; sein höchster Ehrgeiz war befriedigt. – »Mit diesem Zeichen,« fuhr der Franziskaner fort, »stürzen Sie um und bauen Sie auf. In hoc signo vinces! 7 Hören Sie, noch vieles ist zu sagen, und meine Kraft erlischt. Der Papst hat gegen den Orden konspiriert, er muß sterben.« – »Er wird sterben,« antwortete Aramis. – »Sechs Malteserritter – ihre Namen finden Sie unter diesen Papieren – haben durch Indiskretion eines Jüngers des elften Grades die dritten Mysterien entdeckt. Es muß ermittelt werden, in welcher Weise diese Leute ihre Mitwisserschaft ausgebeutet haben. Der Unbesonnene erhält eine Rüge.« – »Es soll geschehen.« – »Drei unzuverlässige Jünger sind verurteilt zur Verbannung nach Tibet, wo sie sterben sollen. Hier sind ihre Namen.« – »Das Urteil wird vollzogen werden.« – »In Antwerpen lebt eine Nichte Ravaillacs, die gewisse, den Orden kompromittierende Papiere besitzt. Sie erhält seit Jahren ein Schweigegeld von fünfzigtausend Livres. Das ist eine lästige Ausgabe – der Orden ist nicht reich. Man soll die Papiere gegen eine einmalige Abfindungssumme sich herausgeben lassen, oder das Schweigegeld einfach nicht mehr zahlen.« – »Ich werde das Nötige anordnen.« – »Von Lima wird ein Schiff erwartet. Es ist angeblich mit Schokolade, in Wahrheit aber mit Gold befrachtet. Jeder Goldbarren ist unter einer Schicht Schokolade verborgen. Das Schiff ist Eigentum des Ordens und 17 Millionen wert. Hier sind die Ladungsbriefe. Lassen Sie es in den Hafen von Bayonne einlaufen.«
Der Franziskaner hielt inne. Er konnte nicht mehr sprechen. Das Blut drang ihm aus Mund und Nase. Er sank zurück und war tot. Der Arzt eilte herbei. – »Herr Grisart,« sagte Aramis, auf ein Glas deutend, »Ihre Medizin hat gewirkt. Reinigen Sie das Glas. Von dem, was Sie auf Befehl des Großen Rats hineingetan haben, darf keine Spur zurückbleiben.« Dann steckte er die Papiere des Toten zu sich und entfernte sich rasch.
Er begab sich in den Palast Fouquets. Der Minister arbeitete am Schreibtisch. Er legte die Feder nieder und wandte dem Bischof ein trauriges Antlitz zu.
»Schon wieder schwermütig, Herr Oberintendant?« rief Aramis. – »Es geht doch alles, wie wir es wünschen.« – »Das könnte ich nicht behaupten,« antwortete der Minister, »aber Ihr nimmer rastender Geist, Herr d’Herblay, findet immer neue Mittel und Wege, den Zusammenbruch aufzuhalten. Nur fürchte ich, er ist nicht mehr lange aufzuhalten.« – »Immer neue Mittel und Wege, sehr richtig,« sagte der Bischof zuversichtlich, »und ich habe auch jetzt wieder ein neues. Haben Sie schon einmal an die kleine Lavallière gedacht?« – Fouquet sah mit skeptischem Lächeln auf. – »Im Ernst, Herr Oberintendant,« fuhr Aramis fort, »das kleine Fräulein ist sehr gern gesehen beim König, wie man sagt. Sie müssen sich um ihre Gunst bewerben. Sie wissen doch ganz genau, wieviel es wert ist, bei Frauen gut angeschrieben zu sein.«
»Und Sie meinen – –?« fragte Fouquet. – »Ich meine, rundheraus gesagt, Sie müssen der Kleinen eine richtige Liebeserklärung machen. Schreiben Sie ihr! Nach meiner Meinung ist das Interesse des Königs für die Lavallière nur ein Deckmantel, hinter dem er seine Liebe zu Madame verbergen will. Aber eben darum muß die Lavallière in das Geheimnis dieser beiden Liebenden eingeweiht sein, und ich brauche Ihnen nicht zu sagen, was ein gescheiter Mann mit einem solchen kompromittierenden Geheimnis anfangen kann. Die Lavallière ist arm, sie hat noch keine große Stellung bei Hofe – nun, Sie werden ihr Geld und Stellung verschaffen und sich auf diese Weise eine neue wertvolle Helferin erwerben. Wollen Sie einen Brief an sie schreiben?«
Fouquet nickte zerstreut; anscheinend legte er der Sache keine große Bedeutung bei; allein gewöhnt, die Ratschläge d’Herblays zu befolgen, ergriff er die Feder und sagte: »So diktieren Sie. Mir ist der Kopf so schwer, daß ich die richtige Form nicht finden würde.« – Aramis diktierte: »Mein Fräulein! Ich habe Sie gesehen und, was Sie nicht wundern wird, schön gefunden. Aber es fehlt Ihnen noch die Ihrer würdige Stellung; Sie verkümmern bei Hofe. Die Liebe eines hochgestellten Mannes kann Ihnen, sofern Sie Ehrgeiz haben, förderlich sein. So lege ich Ihnen meine Liebe zu Füßen. Wenn Sie sie erwidern, werde ich Ihnen meine Dankbarkeit erweisen, indem ich Sie auf immer frei und unabhängig mache.« – Der Minister sah auf. – »Unterzeichnen Sie!« sprach Aramis. – »Ist das durchaus notwendig?« fragte Fouquet. – »Ihre Unterschrift unter diesem Briefe ist eine Million wert, vergessen Sie das nicht, Herr Oberintendant.« – Fouquet setzte seinen Namen darunter. – »Und nun schicken Sie ihn durch einen zuverlässigen Boten an die Adressatin,« schloß der Bischof. – »Es mag geschehen,« sprach der Minister, »aber wenn Sie meinen, daß mir die Gunst einer Lavallière helfen könnte, so teile ich diese Zuversicht nicht. Ich sage Ihnen, wenn der König die Einladung, zu der Colbert mich zwingt, annimmt, so bin ich verloren. Nur das Geld gibt mir Macht über den König, und das Geld wird bald verbraucht sein.«
»Es wird sich Neues finden,« antwortete d’Herblay.
»Wo? das möchte ich wissen,« seufzte der Minister.
»Ich werde Ihnen sechs Millionen geben – wenn es sein muß, sogar zehn.« – »In der Tat, d’Herblay. Sie setzen mich in Erstaunen,« versetzte Fouquet. »Sie erlauben mir doch, daß ich diese Worte ein wenig skeptisch auffasse? Oder sollte ich mich in Ihnen irren? Sollten Sie etwas anderes sein, als mir bekannt ist? Sollten Sie geheime Absichten verfolgen?«
»Ich verfolge nur die Absicht,« antwortete der Bischof, »auf dem Thron von Frankreich einen König zu haben, der ein Freund des Herrn Fouquet ist.« – »Das wird der König nie sein,« erwiderte der Oberintendant. – » Der König nicht,« sprach Aramis. Fouquet stutzte. »Ich verstehe Sie nicht,« murmelte er.
»Kann nicht auch ein anderer als Ludwig XIV. König sein?« setzte der Prälat hinzu. – »Sie sind von Sinnen!« rief Fouquet. »Kein anderer als Ludwig XIV. kann König sein. Ich wüßte wenigstens keinen andern, es sei denn Monsieur.« – »Aber ich weiß einen andern,« entgegnete der Bischof. »Und mein König wird auch Ihr König sein. Also seien Sie unbesorgt.«
»Herr d’Herblay, Sie sagen das in einem Tone, der mich mit Schauder erfüllt,« sagte Fouquet. »Sie machen mir ja förmlich Angst.« – Aramis lächelte. – »Und nun lachen Sie gar noch?« – »Sie werden auch lachen – aber vorläufig muß ich es allein,« antwortete Aramis. »Fürchten Sie nichts. Wenn es Zeit ist, werde ich mein Geheimnis offenbaren. Der Tag wird kommen, wo Ihnen die Schuppen von den Augen fallen werden. Zehnmal schon sind Sie dem Abgrund entronnen, in den Sie ohne meine führende Hand gestürzt wären. Sie sind vom General-Prokurator zum Intendanten, vom Intendanten zum Oberintendanten aufgerückt, und Sie werden von diesem Range noch zu dem eines » Maire du palais« gelangen.«
»Sie haben noch nie so zu mir gesprochen – Sie haben sich noch nie so zuversichtlich, das heißt, so verwegen, gezeigt,« rief Fouquet. – »Man kann vermessen sein, wenn man mächtig ist!« antwortete Aramis. – »Sie haben mir zehn Millionen geboten, Sie haben von der Entthronung und Einsetzung von Königen gesprochen –« – »Man kann davon sprechen, wenn man selbst über den Thronen und Königen dieser Welt steht,« versetzte Aramis. – »Dann sind Sie ja allmächtig,« stammelte Fouquet. – »Ich habe es Ihnen schon einmal gesagt und wiederhole es,« antwortete der neue Jesuitengeneral mit leuchtenden Augen und triumphierender Miene.