Anna von Oesterreich war seit einigen Tagen leidend und sank vom Höhepunkt ihrer Schönheit herab mit jener Schnelligkeit, mit der bei allen Frauen, die ein stürmisches Leben hinter sich haben, die weiblichen Reize verblassen. Die bedenklichen Aeußerungen des Arztes waren ihr weit weniger schmerzlich als die unerbittliche Kälte der Höflinge, die sich von ihr zurückzuziehen begannen, gleich den Ratten, die das im Sturme leck gewordene Schiff verlassen. Auch der König vernachlässigte sie jetzt; früher war er alle Morgen eine volle Stunde bei ihr gewesen; dann hatte er sein Bleiben auf eine halbe Stunde beschränkt, und jetzt fing er an, die Besuche allmählich ganz fallen zu lassen. Man sah sich in der Messe oder bei der Prinzessin, in deren Salon seit einiger Zeit die größten Réunions stattfanden. Anna hatte versucht, diese Gesellschaften in ihre Gemächer zu verlegen, aber sie mußte vor der jungen Herzogin die Waffen strecken. Nun machte sie verzweifelte Anstrengungen, sich auf der Höhe zu erhalten, und sie benutzte eine Zeitlang die Königin als Vermittlerin, allein die stets betrübte Gemahlin Ludwigs, die sich verlassen wie eine Witwe fühlte, hatte keine Energie zu einem Kampfe mit den höfischen Intrigen. Die Königin-Mutter mußte auf andere Mittel sinnen. Sie hatte in ihrem Leben viele Ränke gesponnen, zumal in jener Zeit, wo sie eine Freundin hatte, die fast noch ungestümer, noch feuriger war als sie. Diese Freundin war dann verbannt worden, und nun hatte sie sich jahrelang mit Frau von Motteville oder mit der Molena, ihrer spanischen Amme, begnügen müssen. Aber keine von beiden hatte ihr auch nur im entferntesten jene Freundin ersetzen können, Madame von Chevreuse, die Meisterin der Intrige. Und wenn sie jetzt an diese geistvolle Frau dachte, die nie um das rechte Mittel verlegen war, dann schien es, als wenn sie vor ihr stände und ihr mit ihrem charakteristischen feinen Lächeln einen Rat erteilte: »Alle diese Leute am Hofe brauchen Geld, um ihre Genußsucht zu befriedigen. Nur mit Geld können Sie sie an sich fesseln.« – Und Anna von Oesterreich handelte dementsprechend; sie verteilte Geschenke an die Personen, deren Einfluß sie sich sichern wollte, sie hatte die schönsten Juwelen von ganz Frankreich, und namentlich ihre Perlen waren so groß, daß sie dem König, sobald er sie sah, einen Seufzer entlockten, weil, mit ihnen verglichen, die Perlen seiner Krone nur Hirsekörner waren. Diese Schmucksachen machte nun Anna von Oesterreich zum Gegenstand von Lotterien, die in ihren Salons ausgespielt wurden, und es gelang ihr auch, sich auf diese Weise einen großen Kreis von Getreuen zu verschaffen und vor allem die Freundschaft Madames zu erringen, die an diesen vorzeitigen Erbschaften Geschmack fand.

Eines Abends bildeten zwei kostbare Armbänder den Gegenstand der Verlosung. Diese Schmucksachen waren weniger durch die darin verarbeiteten Juwelen, als vielmehr durch die antike Arbeit selbst wertvoll, denn es waren einzigartige Kabinettstücke einer vor mehreren Jahrhunderten üblichen Kunst und als Rarität von ganz unschätzbarer Kostbarkeit. Die Liste der zur Lotterie zugelassenen Personen war nach der strengsten Etikette aufgesetzt worden und wurde, als nach Erscheinen des Königs die Gesellschaft vollzählig war, unter großer Spannung verlesen. Es waren dreihundert Gäste bei der Königin-Witwe, und jedermann fragte sich, ob er mit zu den Bevorzugten gehören werde. Als die Verlesung beendet war, wandte Madame sich an Anna von Oesterreich.

»Wie?« flüsterte sie, »die neue Gottheit des Hofs, die kleine Lavallière, haben Sie ausgelassen? Das ist schade. Wenn sie das Glück gehabt hätte, die Armbänder zu gewinnen, so hätte sie sie versteigern und aus dem Erlös eine Aussteuer kaufen können, denn sie darf noch nicht heiraten, weil sie ihrem Gemahl keine Morgengabe mitbringen kann.« – »Die Arme!« entgegnete Anna von Oesterreich, »hat sie denn keine Kleider?« – »Ich glaube nicht,« versetzte Lady Henriette. »Wenigstens hat sie jetzt dasselbe Kleid an wie heute morgen auf der Promenade, wo es nur dank der Sorgfalt des Königs, der sie vor dem Regen schützte, sauber geblieben ist.«

Man sah den König vor Unwillen erröten, als er erkannte, daß die Lavallière von der Teilnahme am Spiel ausgeschlossen worden war. Luise bekundete weder durch eine Bewegung noch durch den Ausdruck ihres Gesichts, daß sie sich verletzt fühlte. Sie fühlte jedoch freudige Bewegung, als sie den Blick des Königs mit unverhohlener Innigkeit auf sich gerichtet sah. Unter den Vergessenen befanden sich auch die Montalais und Herr Malicorne, die sich gegenseitig über ihr Mißgeschick zu trösten suchten.

Nun wurden die Lose verteilt; der König bekam das seine zuerst, dann die Königin, dann die Königin-Mutter, Monsieur, Madame und nach der königlichen Familie die Herren und Damen vom Adel gemäß der Abkunft und Rangabstufung. Die Königin-Witwe öffnete darauf einen Lederbeutel, in welchem sich zweihundert Kugeln aus Perlmutter mit eingravierten Ziffern befanden, und die Verlosung begann. Die Gewinnnummer fiel auf den König. Die ganze Gesellschaft bejubelte dieses erfreuliche Ergebnis, wenngleich sich niemand des Eindrucks erwehrte, daß die ganze Sache von vornherein abgekartet gewesen sei. Das war auch wirklich der Fall; Anna von Oesterreich rechnete darauf, daß der König die Armbänder Madame schenken werde; sie hoffte sich auf diese Weise die dauernde Gunst sowohl ihres Sohnes als ihrer Schwägerin zu sichern. Mitten unter den beglückwünschenden Zurufen der Versammlung nahm der König die Armbänder in Empfang.

»Sie sind also sehr wertvoll, diese Dingerchen?« fragte er, sie betrachtend. – »Sehen Sie sich nur einmal die Diamanten an,« erwiderte Anna von Oesterreich.– »Eine Schönheit für Kenner,« sagte der König. »In der Tat, die Arbeit dieser Kameen ist wundervoll. Ich habe noch nie so meisterhafte Ziselierung gesehen.« – Er reichte den Schmuck der Königin hin, doch mit einer Gebärde, daß niemand daran zweifeln konnte, er wünsche ihn nicht seiner Gattin zum Geschenk zu machen. Aber da Maria-Theresia zu erkennen glaubte, daß er auch nicht im Sinne habe, ihn Madame zu schenken, so war sie zufrieden, warf nur einen flüchtigen Blick darauf und gab ihn an Monsieur weiter. Der Herzog von Orléans musterte die Kostbarkeiten lange mit lüsternem Blick und reichte sie seufzend seiner Gemahlin. Madame sagte nur ein einziges Wort, das aber aus ihrem Munde mehr besagte als eine lange Lobrede: »Prachtvoll!« Dann reichte sie die Armbänder der ihr zunächst sitzenden Dame, und nun machten sie die Runde durch die ganze Reihe der Versammelten. Unterdessen sprach der König ununterbrochen und ganz ruhig mit den Herren Fouquet und von Guiche, aber man sah, er war zerstreut und behielt den wandernden Schmuck scharf im Auge.

Das Fräulein von Tonnay-Charente war die letzte auf der Liste der Lotterie-Teilnehmer gewesen, und sie gab jetzt die Armbänder an die erste derjenigen, die nicht für würdig erachtet worden: an Fräulein Aure von Montalais, die ihrerseits sie an die Lavallière weiterreichte. Die Gesellschaft schien der Meinung, als würde dem Geschmeide durch die unscheinbaren Hände, die es jetzt betasteten, aller Wert genommen. – »Du siehst diese wundervollen Armbänder so gleichgültig an, Luise,« sagte Fräulein von Montalais. »Begeistern sie dich nicht?« – »O, doch,« antwortete Luise, »aber warum etwas wünschen, was mir nie gehören kann?« – Und sie streckte die Hand aus, um die Armbänder weiterzugeben.

In diesem Augenblick erklang die Stimme des Königs: »Halt! Die Armbänder bleiben, wo sie jetzt sind.« Dabei stand er auf und ging auf die Lavallière zu. »Fräulein,« sprach er, »Sie sind im Irrtum; als Dame haben Sie ebensoviel Anspruch wie jede andere auf Damengeschmeide. Die Armbänder gehören Ihnen. Der König bittet Sie, das Kleinod nicht zu verschmähen.« – Die Lavallière erschrak heftig und wollte dem König das Kästchen in die Hand drücken, aber Ludwig XIV. wehrte lächelnd ab.

Eine tiefe Stille, ein Todesschweigen lag über der Versammlung; alle waren starr vor Erstaunen. Madame biß sich so heftig auf die Lippe, daß das Blut hervorsickerte. Die junge Königin sah von Madame zu Luise und fing zuletzt zu lachen an. Anna von Oesterreich starrte fassungslos den König an, der ihre kluge Rechnung so unbedacht vereitelte.