Chevalier d’Artagnan hatte sich das Treiben in Fontainebleau zwei Tage lang mitangesehen, dann war er sich klar darüber geworden, daß dieser Mummenschanz nichts für seinen kriegerischen Gaumen sei. Fast alle Augenblicke wurde er von Leuten gefragt: »Chevalier, wie steht mir dieser Frack?« Und er antwortete dann mit grimmem Spott: »Prachtvoll! Sie sehen aus wie ein Affe vom Sankt-Lorenzmarkte.« – Und wenn ihn jemand fragte: »Chevalier, was werden Sie diesen Abend anziehen?« dann erwiderte er grimmig: »Ich werde mich ausziehen.« Worüber dann sogar die Damen lachen mußten. Als er sich überzeugt hatte, daß der König inmitten dieser Spiele Paris, Saint-Mandé und Belle-Ile vergessen zu haben schien, daß Colbert nur noch an Feuerwerk dachte, daß Fouquet sein Geld bereitwillig zu den unsinnigsten Albernheiten hergab, da trat er vor den König und bat »wegen Familienangelegenheiten« um Urlaub, der ihm auch alsbald bewilligt wurde. Er hauste nun wieder bei Planchet in der Lombardstraße. Aber Planchet wunderte sich darüber, daß er so verdrießlich war, daß er in der Nacht schlecht schlief und bei Tage zerstreut umherging, ohne Freude, ohne Teilnahme.

»Herr Chevalier,« sagte Planchet, »es fehlt Ihnen an Zeitvertreib. Gibt es nicht wieder einen König, dem man zum Throne verhelfen kann, nicht wieder einen General Monk, den man in einer Kiste übers Meer fahren kann?« – »Nein, Freund,« antwortete der Kapitän, »alle Könige sitzen auf ihren Thronen, zwar nicht so behaglich wie ich auf diesem Schemel, aber sie sitzen doch drauf.« – »Herr Chevalier, ich glaube, Sie werden mager,« sagte der Kaufmann. »Und das muß gerade in meinem Hause passieren. Das kann ich nicht dulden. Ich werde den Schurken aufsuchen, der an Ihrem Kummer schuld ist, und ich werde zu ihm sprechen: Herr d’Herblay, ich schneide Ihnen die Kehle ab!«

»Potzblitz!« rief der Chevalier, »was hat denn d’Herblay damit zu tun?« – »Er verursacht Ihnen schwere Träume!« antwortete Planchet. »Seit drei Nächten haben Sie Alpdrücken, und dann rufen Sie immer: Aramis, du Duckmäuser!« – »Rufe ich?« fragte d’Artagnan. »Träume sind Schäume. Ich interessiere mich eben immer noch für meine alten Freunde.« – »Schon recht, aber darüber darf man nicht mager werden,« versetzte der Handelsmann. »Machen Sie es wie ich; schaffen Sie sich Zerstreuung. Haben Sie nicht bemerkt, daß ich mich zu gewissen Zeiten entferne?« – »Ja. Am 15. und 30. jedes Monats.« – »Und zu welchem Zwecke? Was meinen Sie wohl?« – »Ei, in Geschäftssachen. Ich denke mir, du kaufst Reis, Zucker, Pflaumen, Sirup und so weiter. Ich wundere mich gar nicht mehr, daß du ein Krämer geworden bist. Dieser Beruf bringt viel Abwechslung und versüßt das Leben im buchstäblichen Sinne.« – »Sie irren sich,« schmunzelte Planchet, »Einkäufe stecken nicht dahinter. Nein, ich gehe dann immer auf mein Landhaus.« – »Was? Du hast ein Landhaus?« – »In Fontainebleau, ja.« – »Da komme ich ja her.« – »Ja, und nun sollen Sie mit mir wieder hin. Es ist sehr hübsch auf meinem Landhause. Sie werden sich amüsieren, ich gebe Ihnen mein Wort darauf.« – »Du bist ein toller Kerl, Planchet,« rief d’Artagnan, »ich bin doch nun schon viele, viele Jahre mit dir bekannt, und doch kenne ich dich noch nicht. Wie ich schon damals sagte, als du in Boulogne den Schurken Lubin, den Kammerdiener von Wardes‘ um ein Haar erwürgtest, du bist unerschöpflich an gescheiten Einfällen. Schön, ich komme mit!«

Aber als d’Artagnan sich auf seinem Zimmer befand, dachte er schon nicht mehr an die Zerstreuung, die Planchet für ihn im Sinne hatte, sondern seine Gedanken weilten abermals bei jenen Rätseln, die ihm in der letzten Zeit so sehr viel Kopfzerbrechen gemacht hatten. Wenn Planchet in dieser Nacht an der Tür des Chevaliers gehorcht hätte, wäre er von neuem auf den Herrn d’Herblay böse geworden; denn der Musketier träumte abermals von ihm, und als er am Morgen erwachte, wiederholte er sich: »Diese drei Rätsel lassen mir nun einmal keine Ruhe; ich muß sie ergründen. Erstens: Was hat Aramis mit Baisemeaux zu tun? Zweitens: Warum läßt Aramis gar nichts von sich hören? Drittens: Wo steckt Porthos? Da meine Freunde sich im verborgenen halten, so muß ich all meinen Scharfsinn anwenden.«

Am folgenden Morgen begab er sich zunächst in die Bastille, um Herrn Baisemeaux einen Besuch zu machen und ihn ein wenig auszuhorchen. Aber der Gouverneur der Bastille war kalt und undurchdringlich wie die Mauern seiner Kerker: es war nichts aus ihm herauszubringen. Als d’Artagnans Fragen ihm lästig wurden, entfernte er sich mit dem Vorwand, sich seinen Gefangenen widmen zu müssen, und blieb so lange weg, daß der Chevalier die Geduld verlor und die Bastille verließ, ohne Baisemeaux‘ Rückkehr abzuwarten. Da er sich sagte, Baisemeaux würde nichts Eiligeres zu tun haben, als Aramis von seinem – d’Artagnans – Besuch Nachricht zu geben, so wartete er in der Nähe des Gefängnistors, ob ein Bote erscheinen würde. Er irrte sich nicht. Nach einer Stunde etwa erschien ein Soldat, der einen Brief im Gürtel trug und sogleich die Richtung nach der Vorstadt Saint-Antoine einschlug. Ohne Frage betraf dieser Brief ihn, den Kapitän der Musketiere. Aber wie sollte er ihn in die Hände bekommen?

Während er noch darüber nachsann, kam ihm der Zufall zu Hilfe. Zwei Schutzleute erschienen, die einen anscheinend den besseren Kreisen angehörenden Mann zwischen sich führten. Als der Verhaftete den Soldaten erblickte, rief er ihn um Hilfe an, stürzte auf ihn zu und klammerte sich an ihm fest. Sofort sammelte sich eine Menge Volkes an, die teils für die Schutzleute, teils für den Gefangenen Partei ergriff. D’Artagnan zauderte nicht, sich die entstehende Verwirrung zunutze zu machen, trat von hinten an den Soldaten heran und entriß ihm den Brief. Dann eilte er in den nächsten Hausflur, öffnete das Schreiben, ohne das Siegel zu verletzen, und las folgendes: »An Herrn du Vallon, bei Herrn Fouquet in Saint-Mandé. – Lieber Herr Baron, lassen Sie Herrn d’Herblay wissen, Er sei dagewesen und habe versucht, auf den Strauch zu klopfen. Ihr ergebener Baisemeaux.« – »So!« sagte d’Artagnan, »nun weiß ich Bescheid, und nun brauche ich den Brief nicht mehr. Der arme Soldat soll meinetwegen nicht in die Patsche kommen.« Er trat auf die Straße und ließ das Papier fallen.

Der Streit war inzwischen zugunsten der Schutzleute entschieden worden, die ihren Häftling weiterführten. Der Soldat ging wieder seines Weges. Nach einigen Schritten fiel es ihm ein, an seinen Gurt zu fühlen, ob er auch seinen Brief noch bei sich habe, und als er merkte, daß er ihn verloren, sah er erschrocken ringsumher. Zu seiner Freude lag das Schreiben nicht weit von ihm auf dem Pflaster. Er hob es auf, wischte den Staub davon ab, betrachtete es, entdeckte, daß es geöffnet worden war, schien sich darüber aber keine Gedanken weiter zu machen, steckte es wieder in den Gürtel und ging weiter.

D’Artagnan folgte ihm in einiger Entfernung. Es war seine Absicht, eine Viertelstunde nach Ablieferung des Briefes bei Porthos zu erscheinen.

Der Türhüter machte Schwierigkeiten, doch als der Chevalier seinen Titel, »Generalkapitän der königlichen Musketiere«, nannte, siegte bei dem Lakai der Respekt des ehemaligen Soldaten über die Bedenklichkeit des gewissenhaften Dieners, und er ließ den Chevalier eintreten. Man wies ihn in einen entlegenen Teil des Palastes, und auf dem Wege dorthin hatte der Kapitän Gelegenheit, die wahrhaft königliche Einrichtung dieses Hauses zu bewundern. Es war ihm, als sei er in einem Feenschlosse, und der Gedanke, daß Porthos in einem solchen Eden wohne, flößte ihm eine höhere Meinung von seinem ehemaligen Waffenbruder ein; man sieht, selbst große Geister lassen sich von äußeren Eindrücken beherrschen.

D’Artagnan wurde in einen Salon geführt und brauchte nicht lange zu warten. Gleich darauf dröhnte der Boden des Nebenzimmers unter den wohlbekannten Tritten, die Tür wurde aufgestoßen, und Porthos, der Riese, warf sich mit einer gewissen Verlegenheit, die ihn ganz gut kleidete, in die Arme seines Freundes.

»Sie hier?« rief er. – »Und Sie hier?« antwortete der Gaskogner, »o, Sie Heimlichtuer!« – »Ja, Sie Wundern sich, mich in Herrn Fouquets Hause zu finden, nicht wahr?« versetzte der Baron lächelnd. – »Keineswegs! Weshalb sollten Sie nicht ein Freund des Herrn Fouquet sein?« entgegnete der Chevalier. »Herr Fouquet hat ja viele Freunde, namentlich unter den geistreichen Leuten.« – Porthos war jedoch so bescheiden, das Kompliment nicht auf sich zu beziehen. – »Nun ja, Sie haben mich ja in Belle-Ile gesehen,« sagte er. »Es ist wahr, ich kenne Herrn Fouquet.« – »Sie haben unverantwortlich gegen mich gehandelt, lieber Freund,« erklärte der Chevalier. »Ich war in Belle-Ile, und Sie wissen, ich stehe in königlichen Diensten. Ahnten Sie denn nicht, daß der König den verdienstvollen Mann, der den Bau dieser allgemein gelobten Befestigungen leitete, kennen zu lernen wünscht, daß der König mich abgeschickt hatte, um zu ermitteln, wer dieser Mann sei?« – »Wie? deshalb hatte der König Sie abgeschickt? Wenn ich das gewußt hätte!« rief Porthos. – »Dann hätten Sie nicht von Vannes Reißaus genommen, nicht wahr?« – »Jawohl. Aber was dachten Sie denn, als Sie mich nicht mehr fanden?«

»Ich habe die Wahrheit erraten,« antwortete d’Artagnan. »Ich dachte mir, Fouquet wolle es geheim halten, daß er Belle-Ile befestigen lasse, weil er dem König damit eine Ueberraschung bereiten wollte. Der Beweis dafür ist: Fouquet hat dem König die Besitzung zum Geschenk gemacht. Ja, ich war selbst dabei, wie er es dem König anbot. Und er hat zu ihm gesagt: ›Ein guter Freund von mir hat den Bau der Befestigungen geleitet: Herr du Vallon, Baron von Bracieux und Pierrefonds.‹–›Schön,‹ antwortete der König, ›stellen Sie mir diesen Mann vor.‹« – »Das hat der König geantwortet?« rief Porthos. – »So wahr ich d’Artagnan heiße!« – »Aber warum hat man mich dann nicht vorgestellt?« rief der Riese. »Man hat wohl davon gesprochen, aber noch heute warte ich darauf.«

»O, warten Sie nur getrost, der Tag wird ja wohl noch kommen,« meinte der Gaskogner spöttisch. »Uebrigens habe ich gehört, daß Sie in den ersten Tagen nach Ihrer Ankunft –« – »Mich nicht recht bewegen konnte, ja, das stimmt,« fiel Porthos ein. – »Wie? Sie konnten sich nicht bewegen? weshalb das?« fragte der Chevalier lächelnd. – »Nun ja,« versetzte Porthos, der nun einsah, daß er eine Dummheit gesagt hatte, »ich war auf schlechten Pferden hierher geritten.« – »Das dachte ich mir,« erwiderte d’Artagnan, »denn ich ritt hinter Ihnen her und fand sieben oder acht totgerittene Pferde auf der Landstraße.« –»Sie wissen, ich bin sehr schwer,« sagte Porthos. »Der Ritt hat mich kaputt gemacht. Nun, Fouquet schickte mir seinen Arzt, und ich war bald wieder wohl. Als ich mich das erste Mal wieder ankleidete, waren mir Hosen und Wams zuweit geworden. Stellen Sie sich mein Entsetzen vor!«

»Inzwischen hat sich dieser Schaden wieder ausgeglichen, wie ich sehe,« sagte der Chevalier. »Sie amüsieren sich jedenfalls in Gesellschaft unsers Freundes Aramis hier ausgezeichnet.« – »Aramis ist nicht hier, sondern in Fontainebleau,« entgegnete du Vallon. – »Aramis in Fontainebleau? Dort ist ja Fouquet auch. Armer Porthos,« sagte der Gaskogner, »dort wird niemand an Sie denken, denn man hat in Fontainebleau jetzt nur für Tanzmusik und Gelage Sinn. Aramis, lassen Sie sich das sagen, will die Früchte Ihrer Arbeit allein einheimsen. Er gibt sich als Ingenieur von Belle-Ile aus und sagt, Sie seien dort weiter nichts gewesen als Handwerker, als Maurermeister, als Taglöhner. Aber ich will ihm einen Strich durch die Rechnung machen. Ich selbst werde Sie jetzt dem König vorstellen. Ich bin bei Hofe noch besser gelitten als Aramis, ja ich bin der vertraute Freund des Königs. Kommen Sie mit!«

»Aber Aramis wird mir böse sein –« – »Bah, ob Sie von ihm oder von mir vorgestellt werden, das ist doch gleichgültig. Hauptsache ist, daß Sie Ihren Zweck erreichen.« – »Ja, aber was wird Fouquet sagen, wenn ich sein Haus verlasse?« – »Sind Sie denn Gefangener, daß Sie gar nicht ausgehen?« – »Das nicht, aber ich hatte Herrn Fouquet versprochen, nicht ohne sein Einvernehmen sein Haus zu verlassen.« – »Nun, wechseln Sie nicht Briefe mit Aramis?« fragte d’Artagnan. – »Ja, ich schicke ihm Briefe.« – »Weshalb wollen Sie sie ihm nicht mal persönlich überbringen? Haben Sie jetzt solche Briefe?« – »Eben habe ich einen bekommen. Ich weiß nicht, ob er von Bedeutung ist, denn ich lese das Zeug nicht.« – »Nun, so haben Sie ja gleich eine Gelegenheit. Fahren Sie nach Fontainebleau, geben Sie Aramis den Wisch, und da der König in Fontainebleau ist, so werde ich Sie vorstellen.«

»Doch das Versprechen, das ich Fouquet gegeben?« wandte der Baron ein. – »Was denn? Fouquet ist ebenfalls in Fontainebleau, und Sie werden Ihr Versprechen, sich nicht aus dem Hause zu entfernen, ohne es ihm mitzuteilen, dadurch erfüllen, daß Sie vor ihn hintreten mit den Worten: Herr Fouquet, ich habe die Ehre, Ihnen bekannt zu geben, daß ich Saint-Mandé verlassen habe.« – »Und wenn er mich beim König sieht,« setzte Porthos hinzu, sich in die Brust werfend, »dann wird er mir keine Vorwürfe zu machen wagen.«

»Das wollte ich eben auch sagen, Porthos,« sagte d’Artagnan. »Aber Ihr Scharfsinn kommt mir in allem zuvor. Sie sind eben eine reich begabte Natur, an der die Jahre spurlos vorübergegangen sind. Es bleibt also dabei, Sie kommen mit nach Fontainebleau.«

»Es trifft sich gut, Fouquet hat mir zwei Pferde geschenkt,« sagte Porthos. – »Die lassen Sie lieber hier,« antwortete der Gaskogner. »Es ist vielleicht für später besser, Sie nehmen keine Geschenke von dem Oberintendanten an.« – Porthos ließ den Kopf hängen. »Lieber Freund,« sagte er, »das klingt, als wenn Politik im Spiele wäre, und Sie wissen, von der Politik lasse ich die Finger. Ich fürchte mich so sehr vor ihr, daß ich dann lieber doch nach Pierrefonds zurückkehre.«

»Sie würden recht haben, wenn es der Fall wäre,« versetzte d’Artagnan, »aber bei mir, lieber Porthos, ist von Politik nicht die Rede. Wer sich mit mir einläßt, erhält immer klaren Wein eingeschenkt. Sie haben an der Befestigung von Belle-Ile gearbeitet, der König wünscht den Baumeister kennen zu lernen, Sie sind bescheiden wie alle wahrhaft großen Männer, Aramis will Sie nicht vorstellen, um Ihr Licht unter den Scheffel zu stellen; also führe ich Sie beim König ein, damit Sie belohnt werden: das ist meine Politik.« – »Das kann die meinige auch sein,« antwortete Porthos mit Handschlag.

Als d’Artagnan mit seinem Freunde Fouquets Haus verließ, dachte er bei sich: »Porthos war Aramis‘ Gefangener; wir werden sehen, wie man seine Befreiung aufnimmt.«

Sie begaben sich zu Fuß in die Lombardstraße, und d’Artagnan führte den alten Waffenbruder zu Planchet, dem ehemaligen Kriegsgefährten. Der Handelsmann hatte noch dasselbe Herz wie früher; obgleich er nur noch inmitten von Waren lebte, war er dennoch keine Krämerseele geworden; trotz des herannahenden Alters hatte sein Gemüt sich jugendliche Frische bewahrt. Er empfing den Baron mit großer Herzlichkeit, obwohl er von seiner Seite für seine Warenvorräte viel zu fürchten hatte. Porthos interessierte sich sehr für Traubenrosinen, Mandeln und Haselnüsse und griff mit seinen großen Händen in die Säcke hinein, um sich den Mund wacker vollzustopfen. Die Nußschalen zersplitterten unter seinen mächtigen Zähnen, und der Fußboden war binnen kurzem mit Schalen bedeckt, die unter den Füßen der ein- und ausgehenden Kunden knackten. Dann löste er mit den Lippen die großen violetten Muskatrosinen mit solcher Gewandtheit von den Stengeln ab, daß er immer gleich ein halbes Pfund auf einmal verschlang. Das nannte Porthos die Bekanntschaft erneuern.

Die Ladenschwengel hatten sich vor dem Riesen respektvoll in eine Ecke verkrochen und starrten ihn aus gemessener Entfernung mit sehr geteilten Gefühlen an. Sie hatten einen Menschen wie Porthos noch nie gesehen. Das Geschlecht jener Titanen, die in den Rüstungen eines Hugo Capet, eines Franz I. gesteckt, war im Aussterben, und die engbrüstigen Handelsgehilfen fragten sich, ob dieser unheimliche Patron nicht der Werwolf aus dem Märchen sei, der nun den ganzen Laden des Herrn Planchet in seinen unersättlichen Magen schicken werde.

Während Porthos immerfort knackte, kaute und verschlang, sagte er von Zeit zu Zeit: »Sie haben da ein hübsches Geschäft, Herr Planchet.« – »Wir werden es bald zumachen können, wenn das so fort geht,« rief der erste Gehilfe in Heller Verzweiflung und ließ sich hinreißen, auf Porthos loszugehen, der vor einem Fasse gedörrter Aepfel stand. – »Was wünschten Sie, mein Freund?« fragte der Riese herablassend. – »Ich will ins andere Zimmer, bitte lassen Sie mich vorbei,« antwortete der Gehilfe. – »O, keine Umstände!« versetzte Porthos, hob den jungen Mann wie eine Puppe in die Höhe und setzte ihn jenseits des Fasses nieder. Dem Burschen schlotterten die Knie, und er fiel rücklings in eine Kiste voll geräucherter Heringe. Planchet machte gute Miene zum bösen Spiel, und als Porthos zur Abwechslung noch etwa ein halb Pfund Honig geschleckt und einen kleinen Eimer Wasser ausgetrunken hatte, fragte er den Kaufmann: »Wann wird bei Ihnen soupiert? Ich habe Appetit.« – »Wir nehmen nur einen kleinen Imbiß, denn wir reiten heute abend noch nach meinem Landhause,« antwortete Planchet. – »Ah, nach Ihrem Landhause?« rief Porthos, »da bin ich neugierig.« – »Sie erweisen mir zu viel Ehre, Herr Baron,« sagte Planchet.

Als die Ladendiener den unheimlichen Menschen, der doch immerhin kein Werwolf sein konnte, da man ihn »Herr Baron« titulierte, dem Laden den Rücken kehren sahen, atmeten sie auf und sagten: »Gott behüte deinen Ausgang und lasse dich nicht wiederkehren!«

Es war schon spät, als die drei Männer sich auf den Weg nach Fontainebleau machten. Sie legten die Strecke in der vergnügtesten Laune zurück. D’Artagnan beteiligte sich jedoch wenig an der Unterhaltung der beiden andern; er war in Gedanken versunken, und nur einmal sah er lachend auf, als der Baron, der in alter Freundschaft Planchet schon wieder mit Du anredete, dem guten Handelsmann, um seine Zufriedenheit auszudrücken, einen Schlag auf den Rücken gab, wobei das Pferd scheu wurde und mit einem gewaltigen Sprung vorwärts jagte.

»Sieh dich vor Planchet!« rief d’Artagnan, »wem Porthos allzu gut ist, den drückt er platt. Er ist immer noch stark wie ein Bär.« – »O, Mousqueton lebt auch noch, und der Herr Baron ist ihm doch sehr gut,« antwortete Planchet. – »Allerdings,« sagte Porthos mit einem Seufzer, »und ich habe Sehnsucht nach ihm.«

»Meine Herren, wir sind am Ziel,« rief Planchet und sprang aus dem Sattel. Man befand sich vor einem kleinen Häuschen an der Grenze der Ortschaft, hinter welchem man im Mondlicht die weißen Kreuze des Friedhofs schimmern sah. Planchet öffnete das Hoftor, und seine beiden Gefährten trieben ihre Pferde hinein, stiegen ab und folgten ihrem Wirt. Planchet rief einen alten Bauersmann herbei, der zur Besorgung der täglichen Wirtschaftsarbeiten angestellt war, übergab ihm die Pferde und führte seine Gäste in das Haus. Sie betraten ein kleines, gemütliches Zimmer, das durch eine Hängelampe erhellt wurde. Ihr Schein fiel auf ein schneeweißes Tischtuch und ließ die zwei sauberen Gedecke blitzen, die in Erwartung eines Besuchs zurechtgelegt waren. Hinter dem Tische saß in einem Lehnstuhl eine Frauensperson von etwa dreißig Jahren – eine dralle, runde Wirtschafterin mit rosigen Backen und kirschroten Lippen. Sie schlief und hatte eine schöngefleckte Katze auf dem Schoße.

»Ha, du Sybarit!« rief d’Artagnan, »jetzt begreife ich, weshalb du so oft von deinem Laden abwesend warst!«

»Bravo, Planchet, bravo!« fügte Porthos mit Donnerstimme hinzu. – Bei diesem Lärm setzte die Katze mit weitem Sprunge von ihrem warmen Plätzchen herab, und die Frau sprang auf, rieb sich die Augen und begrüßte die Herren mit einem freundlichen Lächeln. – »Erlauben Sie mir, Trudchen,« sagte Planchet, »Ihnen hier den Herrn Chevalier d’Artagnan und den Herrn Baron du Vallon, Bracieux und Pierrefonds vorzustellen.« – Porthos machte eine Verbeugung, mit der Anna von Oesterreich, die doch sehr viel auf Galanterie hielt, zufrieden gewesen wäre. D’Artagnan ergriff ihre Hand und verneigte sich mit ritterlichem Anstande. Planchet aber nahm sie in die Arme und gab ihr einen herzhaften Kuß.

»Das lasse ich mir gefallen,« sagte d’Artagnan, »Freund Planchet weiß sich das Leben zu verschönern.«

»Liebe Freundin,« sagte Planchet zu seiner Haushälterin, »ich habe Ihnen schon oft von diesen beiden Helden erzählt. Sorgen Sie dafür, daß sie hier bewirtet werden, wie es ihnen zukommt.« – »Es soll an nichts fehlen,« sagte die Frau mit merklich niederländischem Akzent. »Wo aber sind die beiden andern, die in Ihren Erzählungen die gleiche Rolle spielten wie diese zwei Herren?«

»Madame ist eine Holländerin?« fragte d’Artagnan. – »Ich bin aus Antwerpen,« erwiderte sie. – »Und sie heißt Frau Gechter,« setzte Planchet hinzu. – »Aber du nennst Madame nicht so?« – »Nein, ich nenne sie Trudchen.« – »Ein lieblicher Name!« – »Trudchen ist mit zweitausend Gulden aus Antwerpen hierhergekommen,« erklärte Planchet. »Sie war vor einem Haustyrannen geflüchtet, der sie mißhandelte. Da ich aus der Picardie bin, so habe ich die Artesierinnen immer gern gehabt. Von Artois nach Flandern ist ja nur ein Katzensprung. Sie suchte Schutz bei ihrem Vetter, meinem Vorgänger in der Lombardstraße und legte dann ihre zweitausend Gulden bei mir an. Ich habe das Geld arbeiten lassen so daß es inzwischen schon zehntausend Gulden geworden sind. Sie ist nun frei und vermögend, hat hier eine Kuh, eine Magd und den alten Bauer zur Dienerschaft, spinnt für mich Leinwand, strickt meine Strümpfe und sieht mich nur alle vierzehn Tage bei sich. Und dabei scheint sie sich sehr glücklich zu fühlen.«

»Ja, ich bin glücklich,« antwortete Trudchen lächelnd.

Porthos drehte in sehr verdächtiger Weise an seinem Schnurrbart herum. Trudchen schien ihm gar sehr zu gefallen. Die Haushälterin aber eilte hinweg und trieb ihre Magd und ihren Bauer an, so daß in erfreulich kurzer Zeit ein Souper hergestellt war, das selbst den anspruchsvollen Porthos befriedigte. Dazu gab es Wein aus Planchets Keller, der unerschöpflich schien wie sein Laden in Paris. Ueber den Flaschen erzählten die drei sich die Kriegsabenteuer längst vergangener Zeiten. In ziemlich schwüler Stimmung trennten sie sich schließlich, um zur Ruhe zu gehen.

Am andern Morgen sahen sie sich erst richtig um, guckten sich das Haus, den Garten und die Umgebung an und kamen dabei auch auf den Friedhof zu sprechen, den sie eben aus dem Fenster betrachteten, als der melancholische Gesang einer Beerdigung zu ihnen heraufscholl.

»Das ist nicht sehr heiter, Freund Planchet,« sagte d’Artagnan, »mich dünkt, du wirst hier sehr oft an die Vergänglichkeit alles Irdischen erinnert.« – »Das ist wahr,« antwortete Planchet, »aber es soll sehr gut sein, wenn der Mensch sich mit dem Gedanken an den Tod befreundet. Dies ist übrigens ein Begräbnis der niedrigsten Klasse,« setzte er hinzu, die Nase rümpfend. »Es ist nur der Chorknabe, der Meßner und ein Priester dabei. Wen tragen sie da zur Gruft, Trudchen?«

»Es soll ein armer Franziskaner-Mönch sein, der im Gasthause verstorben ist,« antwortete die Haushälterin. – »Es ist nicht der Mühe wert, sich das anzusehen,« meinte Planchet. – Allein d’Artagnan ging nicht vom Fenster weg, sondern sah mit großem Interesse zu.

Hinter der Bahre, die zwei Männer trugen, schritt ein einzelner Mann, in einen Mantel gehüllt, den er sich über das Gesicht gezogen hatte, als wünschte er von den Trägern und dem Totengräber nicht gesehen zu werden. Das Grab wurde zugeschüttet, die Leute zerstreuten sich, der Vermummte ließ sie gehen und warf dann die Kapuze zurück.

»Potzblitz!« rief d’Artagnan, »das ist ja Aramis!«

Er hatte recht gesehen. Es war der Bischof von Vannes, der dem toten Jesuiten-General die letzte Ehre erwiesen hatte. Er blieb stehen und sah sich um, da erschien eine Frau, die er mit Ehrerbietung begrüßte. – »Merkwürdig!« rief d’Artagnan, »der Herr Prälat trifft sich heimlich mit Damen. Er ist doch noch immer der Alte.« – Er lachte.

Aramis führte die Dame an eine Stelle, wo Kastanien und Trauerweiden dichte Schatten gaben, und unterhielt sich hier etwa eine halbe Stunde lang mit ihr. Dann verneigte sich die Dame sehr tief vor Aramis und entfernte sich. Aramis ging nach der entgegengesetzten Seite fort.

Der Gaskogner zauderte nicht, seine Neugierde ließ ihm keine Ruhe. Er eilte auf die Straße hinunter und lief hinter der Frau her, deren Gesicht er bis jetzt noch nicht hatte sehen können. Sie schritt, das Haupt senkend, langsam auf eine Kutsche zu, die am Saume des Waldes hielt. D’Artagnan stampfte mit Riesenschritten hinter ihr drein. Sie fürchtete wohl verfolgt zu werden und sah sich plötzlich um. D’Artagnan erschrak und blieb so jäh stehen, als hätte er eine Ladung Schrot in die Waden bekommen.

»Frau von Chevreuse!« 8 rief er. Dann machte er schnell kehrt, um nicht von ihr gesehen zu werden.

Unterwegs blieb er noch einmal stehen. »Und das soll ein armer Franziskaner gewesen sein, den sie da beerdigt haben,« dachte er bei sich. »Nein, dem hätte ein Aramis nicht das Geleit gegeben. Dahinter steckt mehr.«

*

Am folgenden Abend war im Schlosse große Audienz für die Deputierten der Provinzen und dann für die sonst noch neu vorzustellenden Personen. In einem Winkel des großen Empfangssaals saßen d’Artagnan und Porthos und warteten geduldig, bis die Reihe an sie käme. Der Chevalier stieß den Baron an. »Sehen Sie da!« flüsterte er, »Fouquet kommt mit Aramis, den er dem König vorstellen will, und als was? Als Ingenieur von Belle-Ile. Und Sie hat man in Saint-Mandé sitzen lassen, und wäre ich nicht gekommen, säßen Sie noch dort!« – Porthos seufzte tief auf.

Fouquet wendete sich an den König. »Sire,« sagte er, »ich habe Sie um eine Gnade zu bitten. Chevalier d’Herblay, der Bischof von Vannes, ist nicht ehrgeizig, aber er wünscht, Eurer Majestät zu nützen. Majestät brauchen jetzt gerade einen Agenten in Rom. Niemand eignet sich besser dazu als d’Herblay. Wir können ihm den Kardinalshut verschaffen.« – Der König runzelte die Stirn. – Fouquet sah dies und fügte hinzu: »Ich komme nicht oft mit einer Bitte, Sire.« – »Das ist eine Sache, über die ich nicht zu entscheiden habe,« antwortete der König. Das waren immer seine Worte, wenn er etwas von sich abwälzen wollte. – Fouquet konnte hierauf nicht antworten und sah Aramis an.

»Herr d’Herblay,« sagte der König, »kann uns ja auch in Frankreich dienstbar sein und viel nützen – zum Beispiel als Erzbischof.« – »Majestät überhäufen Herrn d’Herblay mit Huld,« erwiderte Fouquet mit der ihm eigenen Geschmeidigkeit. »Das Erzbistum kann ein Zusatz zum Kardinalshut sein; das eine braucht das andere nicht auszuschließen.«

Der König lächelte. »Hm,« meinte er, »gut gesagt! Selbst d’Artagnan würde nicht besser geantwortet haben.«

Der Kapitän sprang auf und trat rasch näher, seinen Freund mit sich ziehend. – »Majestät haben mich gerufen?« fragte er. – Aramis und Fouquet traten einen Schritt zurück. – »Erlauben Eure Majestät,« sagte d’Artagnan, ehe noch der König antworten konnte, »daß ich Ihnen Herrn Baron du Vallon, Bracieux und Pierrefonds vorstelle, einen der tapfersten Edelleute Frankreichs.« – Aramis erblaßte, als er Porthos sah; Fouquet ballte die Fäuste unter den Spitzenmanschetten. – D’Artagnan lächelte beide an, während Porthos sich verneigte.

»Porthos hier!« murmelte der Oberintendant. – »Still, da ist Verräterei im Spiele!« antwortete Aramis leise.

»Majestät,« fuhr der Gaskogner fort, »schon vor sechs Jahren hätte ich Ihnen den Baron du Vallon vorstellen sollen; aber manche Menschen gleichen gewissen Sternen, die nur nebeneinander zu leuchten vermögen. Das Plejadengestirn kann sich nicht auflösen, und deshalb nahm ich mir vor, den Baron du Vallon Eurer Majestät in dem Augenblick vorzuführen, wo Sie Herrn d’Herblay an seiner Seite sehen würden.« – »Wie? diese beiden Herren sind befreundet?« fragte der König verwundert. – »Sogar sehr befreundet, einer steht für den andern. Fragen Sie nur den Herrn Bischof von Vannes, wie Belle-Ile befestigt worden ist.« – Fouquet stutzte, doch Aramis antwortete rasch: »Belle-Ile ist von dem Herrn Baron befestigt worden.«

Ludwig sah schweigend von einem zum andern; die ganze Sache schien ihm nicht recht geheuer vorzukommen.

»Jawohl, Majestät,« bestätigte der Gaskogner, »aber fragen Sie nur auch den Baron, wer ihm bei diesen Arbeiten geholfen hat.« – »Aramis!« platzte Porthos heraus.

Nun machte Ludwig große Augen. »Wie?« rief er, »Herr d’Herblay, der Bischof von Vannes, heißt Aramis?« – »Es ist sein Spitzname aus den Tagen, da er noch Krieger war.« – »Ein Name, der im Freundeskreise üblich war,« setzte Aramis hinzu. – »Nur keine falsche Bescheidenheit!« rief der Kapitän der Musketiere. »In diesem Priester, Majestät, vereinen sich der brillanteste Offizier, der unerschrockenste Krieger und der gelehrteste Theologe Ihres Reiches.« – »Und ein Ingenieur,« setzte Ludwig hinzu, mit einem staunenden Blick auf Aramis.

»Gelegentlich auch Ingenieur,« antwortete d’Herblay, sich verneigend. – »Majestät, mein Waffenbruder bei den Musketieren,« fuhr d’Artagnan fort, »der Mann, dessen treffliche Ratschläge hundertmal die Minister Ihres Vaters aus den größten Schwierigkeiten retteten, das ist kein anderer als dieser Chevalier d’Herblay, der Bischof von Vannes. Und dieser Chevalier d’Herblay bildete mit dem Baron du Vallon, mit dem Grafen de la Fère und mit mir jenes vierblättrige Kleeblatt, das unter der Regierung Ihres hochseligen Vaters soviel von sich reden machte.«

»Und eben dieser d’Herblay,« sagte der König mit eigentümlicher Betonung, »hat jetzt Belle-Ile befestigt.«

»Um dem Sohn zu dienen, wie er dem Vater gedient hat.« – D’Artagnan sah Aramis durchdringend an, und selbst er ließ sich durch den warmen Ton aufrichtiger Ehrfurcht täuschen, den der Prälat in seine Worte legte. – »So spricht kein Lügner,« dachte er bei sich. Und auch König Ludwig war überzeugt, der Bischof spreche die Wahrheit. – »In diesem Falle,« sagte er zu Fouquet, »bewillige ich den Kardinalshut. Wir werden bei der nächsten Ernennung an Sie denken, Herr d’Herblay. Bedanken Sie sich bei Herrn Fouquet. Und Sie, Herr Baron du Vallon, was haben Sie auf dem Herzen? Auch einen Wunsch? Sprechen Sie! Ich belohne gern die treuen Diener meines Vaters!«

»Sire,« stammelte Porthos. – »Majestät,« rief d’Artagnan, seinem Freunde zu Hilfe kommend, »dieser tapfere Degen, der im Feuer von tausend Feinden wacker ausgehalten hat, ist durch die Gegenwart Ihrer erhabenen Person ein wenig aus der Fassung gebracht. Aber ich weiß, was er wünscht: ihn verlangt nur danach, Eure Majestät eine Viertelstunde lang betrachten zu dürfen.«

»Sie speisen heute abend bei mir,« sagte der König zu Porthos, und der Riese wurde kirschrot vor Freude. Darauf waren der Chevalier und der Baron entlassen. – »Aramis wird böse auf mich sein,« murmelte Porthos im Fortgehen. – »Er war Ihnen noch nie so gut, wie jetzt,« entgegnete d’Artagnan, »haben wir ihm doch zum Kardinalshut verholfen.« – »Das ist wahr,« meinte der Baron. »Sagen Sie, sieht der König es gern, wenn man an seiner Tafel viel ißt?« – »Das freut ihn sehr, denn er hat selber einen echt königlichen Appetit,« antwortete der Kapitän.

Auf dem Korridor trat Aramis zu ihnen. »Sie sind aus meinem Gefängnis entschlüpft?« sagte er zu Porthos, ihm die Hand drückend. – »Seien Sie ihm nicht gram, Freund,« antwortete d’Artagnan, »ich habe ihn entführt. Ihr geistlichen Herren seid sehr politisch, wir Kriegsmänner aber gehen immer gerade auf das Ziel los. Hören Sie also, wie es gekommen ist. Ich bin mal wieder zu meinem lieben Freunde Baisemeaux gegangen –« – »Da fällt mir ein,« rief Porthos dazwischen, »ich habe ja einen Brief von Baisemeaux an Aramis.« Und er überreichte ihn. Der Prälat öffnete das Schreiben und las es, ohne daß d’Artagnan, der ihm dabei zusah, die geringste Verlegenheit gezeigt hätte. Aramis selbst wußte sich so vortrefflich zu beherrschen, daß der Chevalier ihn aufs neue bewundern mußte.

»So? Sie haben also Baisemeaux besucht?« fragte der Bischof und steckte den Brief mit der größten Ruhe in die Tasche. – »Ja, dienstlich,« antwortete d’Artagnan, »und natürlich sprachen wir von unsern beiderseitigen Freunden. Ich muß sagen, Baisemeaux empfing mich kalt, so daß ich bald gegangen bin. Auf der Straße trat ein Soldat zu mir, der mich ohne Frage an der Uniform erkannte, und bat mich, ihm die Adresse eines Briefes vorzulesen, den er zu bestellen hatte. Der Bursche konnte selbst nicht lesen und hatte vergessen wo der Empfänger wohnte. Da las ich denn: An Herrn Baron du Vallon, bei Herrn Fouquet in Saint-Mandé. Halt, dachte ich da, ich will Porthos mal besuchen.« – »Und nun führten Sie ihn nach Fontainebleau?« – »Ja, in Planchets Häuschen.« – »Wie? Planchet wohnt in Fontainebleau?« fragte Aramis erstaunt. – »Ja, dicht beim Friedhof,« platzte Porthos heraus.

»Beim Friedhofe?« fragte Aramis argwöhnisch.– »Jawohl,« antwortete Porthos, »aber trotzdem ist’s sehr gemütlich bei ihm. Man braucht ja nicht hinzugucken, wenn solch eine trübselige Beerdigung stattfindet wie heute morgen –« – »Heute morgen?« wiederholte Aramis mit wachsender Unruhe. – D’Artagnan pfiff leise vor sich hin. – »Ah, es wurde ein armer Mann begraben,« sagte Porthos, »ich habe nicht hingeschaut, aber d’Artagnan scheint so etwas sehr gern zu sehen.«

Aramis erschrak und wendete sich zu dem Musketier, der aber bereits ein Gespräch mit Saint-Aignan angeknüpft hatte. D’Herblay fragte nun du Vallon noch weiter aus, und als er aus der riesigen Zitrone allen Saft ausgepreßt hatte, warf er die Schale weg. Er trat zu dem Gaskogner. »Auf ein Wort, lieber Freund. Sie haben doch noch fünf Minuten für mich übrig?« – »Zwanzig noch, denn solange wird es dauern, bis Majestät zu Tische geht.« – Sie setzten sich abseits auf eine Bank, und Aramis ergriff d’Artagnans Hand.

»Gestehen Sie, Freund, Sie haben Porthos eingeredet, mir sei nicht recht zu trauen,« begann der Bischof.

»Das gestehe ich – aber es war anders gemeint. Ich sah, Porthos langweilte sich, und beschloß, ihn dem König vorzustellen und damit etwas zu tun, was Sie selbst nie tun werden.« – »Das wäre?« – »Sie zu loben.« – »Das haben Sie allerdings getan,« antwortete Aramis mit seltsamem Lächeln. »Ich danke Ihnen.« – »Und den Kardinalshut, der schon in weiter Ferne zu entschwinden drohte, habe ich Ihnen wieder nähergebracht.« – »Ich muß gestehen,« sagte Aramis, »Sie verstehen es, Ihren Freunden zu helfen. Doch lassen Sie uns aufrichtig zu einander sein, aufrichtig und offen. Nicht wahr, Sie kamen im Auftrag des Königs nach Belle-Ile?« – »Selbstverständlich!« – »Sie wollten uns also die Freude rauben, dem König Belle-Ile in vollständig befestigtem Zustande anzubieten?« – »Um Ihnen diese Freude zu rauben, hätte ich doch erst um Ihre Absicht wissen müssen.« – »Und Sie haben nichts gewußt?« – »Jedenfalls nichts davon, daß Sie Ingenieur geworden seien und Festungen bauten. Und ebensowenig konnte ich ahnen, daß Porthos Baumeister geworden ist.«

»Als Sie dann aber hinter unser Geheimnis gekommen waren, hatten Sie nichts Eiligeres zu tun, als es dem König zu hinterbringen,« sagte d’Herblay. – »Sie hatten es jedenfalls noch eiliger,« antwortete d’Artagnan. »Wenn ein Mann von drei Zentnern auf Kurierpferden reist, wenn ein von der Gicht und der Steinplage befallener Prälat mehrere Pferde zu Tode jagt, so mußte ich doch wohl annehmen, daß diese zwei Freunde, die mir kein Wort von ihrer Abreise gesagt haben, höchst wichtige Dinge vor mir zu verbergen hätten. Da bin ich natürlich so schnell gereist, wie mir meine Magerkeit und meine gichtfreien Glieder erlaubten.«

»Lieber Freund, kam es Ihnen denn gar nicht in den Sinn, daß Sie damit mir und Porthos einen schlechten Streich spielen konnten?« – »Das schon, aber es kam mir auch in den Sinn, daß ich Ihnen und Porthos gegenüber auf Belle-Ile eine traurige Rolle gespielt habe.« – »Verzeihen Sie mir!« sagte Aramis. – »Und Sie mir,« sagte D’Artagnan.

»Und nun wissen Sie, daß ich sofort Herrn Fouquet in Kenntnis setzte, damit er Ihnen bei Seiner Majestät zuvorkommen konnte,« fuhr Aramis fort. – »Das Warum ist mir nicht recht klar,« antwortete der Gaskogner.

»Mein Gott, Herr Fouquet hat viele Feinde, und besonders einen, der ihm mehr als alle andern gefährlich ist. Um diesem Feinde die Spitze zu bieten, mußte Fouquet dem König ein großes Opfer bringen, und er hatte sich’s vorgenommen, Majestät eine große Überraschung zu bereiten, indem er ihm das fertig befestigte Belle-Ile zum Geschenk machte. Wenn Sie nun früher nach Paris gekommen wären, hätten Sie ihm die Freude verdorben. Denn hinterher hätte es so ausgesehen, als wenn er’s aus Furcht täte. Und das ist das ganze Geheimnis.«

»Da wäre es aber doch weit einfacher gewesen, mich auf Belle-Ile ins Vertrauen zu ziehen. Sie hätten doch bloß zu sagen brauchen: ›Lieber Freund, wir befestigen die Insel, um sie dem König zu schenken. Sagen Sie uns, wessen Freund Sie sind, ob Fouquets oder Colberts.‹ – Vielleicht hätte ich geschwiegen. Wenn Sie mich aber weitergefragt hätten: ›Sind Sie mein Freund?‹ so würde ich Ja geantwortet haben. Ich hätte dann zum König gesagt: ›Herr Fouquet macht eine starke Festung aus einer Insel, aber man hat mir diese Zeilen für Eure Majestät mitgegeben.‹ Dann wäre Ihr Geheimnis gewahrt geblieben, und ich hätte nicht die Rolle eines Einfaltspinsels gespielt. Dann brauchten wir uns auch jetzt nicht mit scheelen Blicken anzusehen.«

»Sie haben jedenfalls auch von Porthos erfahren,« fragte Aramis, sich auf die Lippe beißend, »wie es kam daß Porthos hinzugezogen wurde?« – »Nein,« antwortete d’Artagnan. »So neugierig ich bin, ich bin nie zudringlich, wenn ich merke, daß man etwas vor mir geheimhalten will.« – »Nun, ich will es Ihnen sagen.« – »Es lohnt nicht, sofern diese Mitteilung mich zu irgendetwas verpflichten soll.« – »Seien Sie unbesorgt,« antwortete d’Herblay. »Ich bin Porthos immer gut gewesen, er ist so aufrichtig und wahrhaftig, und ich hasse ja auch alle Falschheit und Intrige. So ließ ich ihn nun nach Vannes kommen, und Herr Fouquet, mein Gönner und Freund, fand Gefallen an ihm. Das ist das ganze Geheimnis. Und nun – wollen nicht auch Sie Fouquets Freund werden? Wollen Sie Marschall von Frankreich, Pair und Herzog werden, Besitzer eines Herzogtums, das eine Million wert ist?«

»Lieber Freund, was muß ich tun, um dies alles zu werden?« erwiderte d’Artagnan. – »Den Interessen Fouquets dienen.« – »Ich diene dem König.« – »Aber doch nicht ausschließlich?« – »Freund, wohl wünsche ich Marschall von Frankreich, Pair und Herzog zu werden, aber dazu wird mich der König machen.« – Aramis sah den Musketier scharf an. »Lieber Freund,« sagte er, »Könige sind undankbar, und wenn Ludwig Sie mal nicht mehr braucht –« – »Er wird mich einstweilen noch lange brauchen,« versetzte der Kapitän. »Sehen Sie, lieber Freund, wenn mal ein neuer Prinz von Condé zu verhaften ist, wer soll ihn verhaften? wer kann ihn verhaften? Dieses hier – sonst nichts in ganz Frankreich!« und bei diesen Worten schlug er stolz an sein Schwert.

»Da haben Sie recht,« sagte Aramis und erblaßte.

»Man ruft zum Souper,« sprach d’Artagnan. »Sie entschuldigen –« – »Ein Freund, wie Sie,« rief Aramis, »ist der schönste Edelstein der Krone.« Und sie trennten sich. »Ich dachte mir’s wohl,« sagte d’Artagnan zu sich selbst, »daß etwas dahinter steckt.« – »Die Mine muß in Brand gesetzt werden,« dachte d’Herblay, »d’Artagnan hat Lunte gerochen.«

  1. Man lese in dem Roman »Zwanzig Jahre nachher« das 10. Kapitel des 2. Teils. Herzogin von Chevreuse (vergleiche auch die Einleitung) ist die frühere Marie Michon und infolge eines pikanten Abenteuers Mutter des Grafen Rudolf von Bragelonne.