Aramis, in seiner alten Tracht als Musketier, im malerischen Wams, mit dem Degen und dem breiten Hut – eine Erscheinung, der man den Bischof nicht ansah, – schritt in einer von Bäumen eingerahmten Allee wartend auf und nieder. Nicht lange, so fuhr ein Wagen vor, eine Dame stieg aus und wurde von einem bewaffneten Diener zu dem Chevalier geleitet. Sie hob den Schleier auf und enthüllte ein Gesicht, das nicht mehr jung und schön war, doch immer noch die stattlichen Züge einer einstmals imposanten Frau zeigte. Aramis reichte ihr graziös die Hand.
»Liebe Herzogin,« sagte er. »guten Tag!« – Es war beiden lieb, daß tiefer Schatten herrschte; sie hatten jeder für sich Ursache, ihr Mienenspiel nicht allzu deutlich zu zeigen. – »Mein lieber Aramis,« antwortete die Dame, »Sie haben seit unserm Zusammentreffen in Fontainebleau nichts mehr von sich hören lassen. Ich bekenne, es hat mich sehr gewundert, daß Sie in die Geheimnisse eines gewissen Ordens so vollständig eingeweiht waren. Sie haben mir das nicht erklärt, und wir sind doch so alte gute Freunde.«
»Werteste Frau von Chevreuse,« entgegnete d’Herblay, »trotzdem haben wir jetzt aber nicht mehr dieselben Interessen wie einstmals. Wie ist es Ihnen denn überhaupt gelungen, meine Adresse zu ermitteln?« – »Ich war neugierig, Chevalier,« antwortete Frau von Chevreuse. »Ich wollte wissen, was Sie jenem Franziskaner waren, mit dem ich zu tun hatte und der auf so sonderbare Weise gestorben ist. Als wir auf dem Kirchhof von Fontainebleau zusammentrafen, hat unsere Teilnahme für den armen Mönch uns beide so völlig unpersönlich gestimmt, daß wir ganz vergaßen, uns auszusprechen. Als wir uns getrennt hatten, tat es mir leid, und ich stellte Nachforschungen an – ich wußte ja, daß Sie ein Freund Fouquets seien, und so suchte ich Sie bei ihm.«
»Ein Freund – das sagt zuviel, Madame,« antwortete d’Herblay. »Ein armer Priester, den er begünstigt und der ihm deshalb treu ergeben ist.« – »Und den er zum Bischof gemacht hat,« fuhr Frau von Chevreuse fort; »für ihn haben Sie auch Belle-Ile zur Festung gemacht.« – »O nicht doch,« unterbrach Aramis sie lächelnd, »alles Kriegerische habe ich verlernt, seit ich ein Mann der Kirche bin.« Sie antwortete mit einem vielsagenden Lächeln. – »Genug! meinen Brief haben Sie in Saint-Mandé erhalten, wie ich sehe. Freuen wir uns gegenseitig, daß wir uns als gute alte Freunde wiedergefunden haben! Was brauche ich Ihnen da Schritt für Schritt aufzuweisen, wie ich Ihre Spur entdeckte? Sie hatten ja auch gar keine Ursache, sich vor mir zu verbergen, lieber Aramis. Und nun,« setzte sie hinzu, nachdem beide ein diplomatisches Lächeln getauscht hatten, »lassen Sie mich von der Angelegenheit sprechen, die ich mit Ihnen zu verhandeln habe.«
Er verneigte sich leicht und antwortete: »Es betrifft jenen Franziskaner, nicht wahr? Nun, was hatten Sie mit ihm?« – Sie sah ihn an, als wollte sie sagen: »Das wissen Sie jetzt jedenfalls ebensogut wie ich.« Aber sie antwortete nicht auf seine Frage, sondern stellte eine andere: »Sie wissen, daß meine Kinder mich zugrunde gerichtet haben?« – »O, welch ein Unglück, Herzogin!«
»Ja, mein Kredit ist erschöpft, bei Hofe darf ich mich nicht mehr sehen lassen, Freunde habe ich keine mehr, und wenn ich nicht eine gewisse Pension bezogen hätte –«
»Vom Orden der Jesuiten?« warf Aramis ein. – »Ja. Der General, eben jener Franziskaner, ließ sie mir auszahlen. Ohne diese Pension wäre ich der Armut preisgegeben. Dafür mußte ich nun aber zum Schein auch Dienste leisten, und ich wurde beauftragt, für den Orden zu reisen. Sie begreifen, es war nur Formalität. Dennoch reicht diese Pension nicht aus, mein Landgut Dampierre wohnlich herzurichten und aus der Hand meiner Gläubiger, die es völlig mit Beschlag belegt haben, zu lösen.« – »Und die Königin-Mutter, die Ihnen so viel Dank schuldig ist, sieht das alles gleichgültig mit an?« fragte Aramis. »Haben Sie nicht versucht, sich wieder in Gunst zu setzen?« – »Der junge König hat die Antipathie geerbt, die sein Vater gegen mich hegte. Doch weiter! Ich kam also als Reisende des Jesuitenordens nach Fontainebleau – jener Franziskaner hatte mich hinbestellt. Sie wußten doch wohl, daß er der General des Jesuitenordens war?« – »Ich habe es vermutet, Herzogin.« – »Woher kennen Sie ihn denn?« – »Ich habe mit ihm zusammen in Parma Theologie studiert – wir wurden Freunde, doch sind wir später nicht mehr zusammengekommen, bis wir uns nach vielen, vielen Jahren in Fontainebleau wiedersahen.« – »Und ganz durch Zufall?« fragte die Herzogin lauernd. »Zufällig an demselben Tage, wo so viele Reisende des Ordens dort zusammentrafen?« – »Ganz durch Zufall,« erwiderte Aramis ruhig. »Ich war zu einer Audienz beim König beschieden, die mir Herr Fouquet vermittelt hatte, und auf dem Wege begegnete ich dem Franziskaner. Ich erkannte ihn – er war sehr krank und ist ja dann auch in meinen Armen gestorben.«
»Und hinterließ Ihnen eine so große Macht,« murmelte Frau von Chevreuse, »daß Sie in seinem Namen unbeschränkte Befehle erteilen.« – »Er trug mir nur einige Besorgungen auf,« erwiderte d’Herblay. – »Auch etwas für mich?« – »Ja. Ich sollte 12 000 Livres an Sie auszahlen lassen. Sie haben die Summe doch inzwischen erhalten?« – »Allerdings. O, lieber d’Herblay, man hat mir gesagt, Sie hätten die Weisung mit einer solchen Bestimmtheit und in so geheimnisvoller Weise erteilt, daß man Sie allgemein für den Nachfolger des Generals hält.« – Aramis errötete leicht. – »Ich erkundigte mich daraufhin beim König von Spanien und erfuhr, daß jeder neue Jesuitengeneral von ihm ernannt werden und Spanier sein muß. Sie sind kein Spanier und auch nicht vom König von Spanien ernannt worden.«
»Da sehen Sie also, daß Sie im Irrtum waren,« sagte Aramis. – »Nun ja, allein ich weiß auch, daß Sie Spanisch sprechen, drei Jahre in Flandern und fünf Monate in Madrid gelebt haben. Das genügt, um berechtigt zu sein, sich in Spanien naturalisieren zu lassen, wenn man nur will, und,« setzte sie in bedeutungsvollem Tone hinzu, »ich bin gut angeschrieben beim König von Spanien.« – »Ich nicht schlecht,« antwortete Aramis trocken. »Ich danke Ihnen, Herzogin.« – Sie schwieg verdrießlich. »Ich hätte Ihnen gern einen Dienst erwiesen,« sprach sie dann, »weil ich nämlich auch an Sie eine Bitte habe. Ich brauche Geld, um die Schuldenlast zu tilgen, die auf meinem Gute Dampierre lastet.« – »Wieviel?« – »O, keine kleine Summe.« – »Schlimm! Ich bin nicht reich, wie Sie wissen.« – »Sie nicht – aber der Orden, und wenn Sie General gewesen wären –« – »Jenun, ich bin es doch einmal nicht.« – »Immerhin haben Sie Herrn Fouquet zum Freunde.«
»Herr Fouquet,« antwortete d’Herblay, der wohl wußte, daß sie nun auf den Punkt gekommen war, auf den sie die Unterredung hatte hinlenken wollen, »ist sogut wie zugrunde gerichtet.« – »Ich hörte, aber ich glaube es nicht,« erwiderte sie, »denn ich besitze einige Briefe vom Kardinal Mazarin, die über gewisse sonderbare Rechnungen aufklären, über entlehnte Gelder, verkaufte Renten, kurz, ich erinnere mich nicht genau. Nur das eine steht fest, nach diesen Briefen Mazarins hat der Oberintendant 13 Millionen der Staatskasse entnommen. Eine heikle Geschichte!«
»Solche Briefe haben Sie?« fragte Aramis, »und haben Herrn Fouquet nichts davon mitgeteilt?« – »Lieber Aramis, solche Dinge verschweigt und verwahrt man, um erst an einem Tage der Not damit herauszurücken.« – »Und dieser Tag der Not ist nun gekommen?« – »Ich verhehle es nicht.« – »Und Sie müssen, so schwer es Ihnen wird, zu dieser Hilfsquelle greifen,« fuhr Aramis fort, »um sich Geld zu verschaffen.« – »Ich brauche Geld. Doch wenn ich Böses hätte tun wollen,« sagte Frau von Chevreuse, »so hätte ich, statt den Ordensgeneral oder Herrn Fouquet um die 500 000 Livres zu bitten, die ich haben muß –« – »500 000 Livres!« rief Aramis.
»Finden Sie das viel? Soviel brauche ich für Dampierre mindestens,« antwortete die Herzogin. »Statt also Sie oder den Oberintendanten zu bitten, hätte ich bloß zur Königin-Mutter zu gehen brauchen. Mit meinen Briefen wäre ich vorgelassen worden. Und von ihr hätte ich das Geld bekommen. Woran denken Sie?« – »Ich addiere,« sagte Aramis. – »Und Herr Fouquet subtrahiert. Ich versuche zu multiplizieren. Nun, wir drei Rechenmeister,« sagte sie lachend, »werden uns doch wohl verständigen können. Antworten Sie! Ist’s ja oder nein?«
»Madame, es sollte mich sehr wundern, wenn Herr Fouquet zur Stunde noch über 500 000 Livres verfügte,« erwiderte Aramis kalt, »und sicherlich wird die Königin-Mutter für Sie tun, was der Oberintendant nicht tun kann.« – »Sie sagen also nein? Soll ich etwa selbst mit Herrn Fouquet über diese Briefe sprechen?« fragte Frau von Chevreuse, gleichwohl noch einmal einlenkend.
»Wie Sie wollen,« versetzte der Prälat. »Aber Herr Fouquet fühlt sich nicht schuldig, und wäre dies auch der Fall, so würde er zu stolz sein, es einzugestehen. Sie werden ihn mit Ihrer Drohung nur beleidigen.«
»Sie urteilen immer wie ein Engel!« sagte die Herzogin spöttisch. – »Also werden Sie Herrn Fouquet bei der Königin-Mutter denunzieren?« fragte Aramis. – »Denunzieren, o, welch häßliches Wort,« erwiderte die Chevreuse lächelnd. »Das sagt ein Diplomat? Partei nehmen gegen ihn – weiter nichts. Und bin ich bei der Königin-Mutter wieder in Gunst, so kann ich ihm allerdings gefährlich werden.« – »Herr Fouquet steht sehr gut mit dem König von Spanien, wissen Sie das?« entgegnete Aramis. – »Und infolgedessen auch mit dem Jesuitengeneral, wollen Sie sagen?« versetzte sie. »Der Orden wird mir also die Pension entziehen, die er mir bis jetzt gezahlt hat?« – »Das kann geschehen.« – »Ich werde mich zu trösten wissen,« sagte die Chevreuse. – »Es sind immerhin 48 000 Livres,« meinte der Bischof. »Und dann – Sie wissen, wenn man sich einmal mit dem Orden überworfen hat, so hat man einen schweren Stand. Wer Geheimnisse besitzt, die den Orden kompromittieren könnten, muß auf der Hut sein. Es gibt Gefängnisse, liebe Herzogin.«
Frau von Chevreuse heftete einen flammenden Blick auf Aramis. »Sehen Sie, das ist ernstlicher,« sagte sie nach kurzem Schweigen. »Ich werde mich in acht nehmen. Sagten Sie mir nicht auch, Herr Fouquet wäre schon jetzt sogut wie zugrunde gerichtet? Nach dem, was man spricht, wird er kaum zwei Monate noch Minister sein. Dennoch wäre eine Veröffentlichung der Briefe –« – »Herzogin,« schnitt Aramis ihr das Wort ab, »Sie kennen meine Meinung. Lassen Sie Gnade walten!«
Und er verneigte sich vor ihr und öffnete den Wagenschlag. Allein wenn er sie nun in der Ueberzeugung verließ, sie eingeschüchtert zu haben, so irrte er sich. Nur zum Schein hatte sie sich gefügig gezeigt. Die bejahrte Intrigantin ließ sich zu Herrn Colbert fahren. Man machte Schwierigkeiten, sie vorzulassen, denn der Bediente, der ihr ins Gesicht gesehen hatte, wußte, daß sein Herr keine alten Damen zu denjenigen Bekanntschaften zählte, von denen er Besuche in seinem Hause empfing. Da schrieb Frau von Chevreuse ihren Namen auf ein Blatt Papier – diesen Namen, der Ludwig XIII. und dem großen Kardinal oft unangenehm in den Ohren geklungen hatte. Sie schrieb ihn mit der großen schwerfälligen Schrift der vornehmen Gesellschaft jener Zeit und reichte dem Bedienten das Blatt mit so gebieterischer Miene, daß der Mann, gewohnt, feine Leute zu wittern, in ihr eine Prinzessin vermutete und sie einließ.
Als Colbert ihren Namen las, stieß er einen Schrei aus, der dem Diener verriet, daß es tatsächlich ein außergewöhnlicher Besuch sei. Er wartete daher auch nicht erst den Befehl seines Herrn ab, sondern öffnete ohne weiteres Frau von Chevreuse die Tür. Sie blieb an der Schwelle stehen und betrachtete den Mann, mit dem sie zum ersten Mal zusammenkam. Sie kannte ihn schon vom Hörensagen und fand ihn so, wie sie ihn sich nach allem, was man von ihm erzählte, vorstellte: vierschrötig, mit einem auffallend dicken, runden Kopf, dichten Brauen und einem grob geschnittnen Gesicht, das gleichwohl imponierend wirkte durch die gewaltigen Proportionen der leuchtenden Stirn. »Ich habe da meinen Mann gefunden,« das war der Eindruck, den sie von ihrer Musterung gewann.
Sie trat näher und setzte sich, von Colbert dazu eingeladen. – »Herr Colbert, Sie sind Finanz-Intendant?« begann sie. »Und trachten danach, Ober-Intendant zu werden?« – »Frau Herzogin!« verwahrte er sich. »Wie können Sie glauben, ich suchte meinen Vorgesetzten zu verdrängen!« – »Verdrängen? Habe ich das Wort gebraucht? Wir Diplomaten sagen: ersetzen. Sie suchen Herrn Fouquet zu ersetzen.« – »Nun, wenn der König Herrn Fouquet absetzen sollte,« erwiderte Colbert, »dann ja.« – »Und wenn Sie Herrn Fouquet bis jetzt noch nicht ersetzt haben,« fuhr Frau von Chevreuse fort, »so geschah es, weil Sie es noch nicht konnten. Ich bin Frau von Chevreuse, dieselbe Frau, die mit Richelieu Politik gemacht hat, und Sie als Mann von Geist werden sich sogleich sagen, daß ich nur zu dem Zweck zu Ihnen komme, um Ihnen das zu geben, was Ihnen noch fehlt.«
»Madame,« antwortete Colbert gemessen, »ich muß Ihnen da im voraus sagen, es laufen seit zehn Jahren Anklagen über Anklagen gegen Herrn Fouquet ein, und doch hat man ihm noch nicht das Geringste anhaben können.« – »Aber Sie haben noch keine Anklage von Frau von Chevreuse erhalten,« entgegnete sie, »noch keine solchen Beweise, wie es die sechs Briefe des Kardinals Mazarin sind, die sich in meinen Händen befinden und in denen das Vergehen aufgedeckt wird–« – »Ein Vergehen, das Herr Fouquet begangen hat?« rief Colbert lauernd. – »Ein Verbrechen, wenn das besser lautet. Nichts anderes! Ei, Herr Colbert, Sie empfingen mich mit kalter, nichtssagender Miene – jetzt strahlt Ihr Gesicht. Ich bin entzückt, daß meine Eröffnung Sie so freudig erregt.« – »O, Madame, was schließt dieses Wort Verbrechen nicht alles in sich –?!« – »In erster Linie Ihre Ernennung zum Ober-Intendanten,« fuhr Frau von Chevreuse ruhig fort. »Und dann Herrn Fouquets Verbannung zu lebenslänglichem Gefängnis. O, ich weiß, was ich sage!« rief sie und unterbrach ihn mit einer kalten Handbewegung, als er sprechen wollte. »Ich habe nicht so sehr weit von Paris gelebt und bin über alle Vorgänge unterrichtet. Der König haßt Fouquet und wird ihn vernichten, sobald er Grund dazu hat. Und ihm diesen Grund in die Hände zu geben, mache ich mich anheischig gegen Zahlung von 500 000 Livres.«
»Ich verstehe,« antwortete Colbert. »Da Sie einen Verkaufspreis festsetzen, so spezifizieren Sie bitte auch die Ware.« – »Sechs Briefe von Herrn Mazarin, aus denen unwiderleglich hervorgeht, daß der Kardinal zusammen mit Herrn Fouquet den Staatsschatz um 13 Millionen Livres betrogen hat. Wollen Sie lesen?« – »Gern. Sie geben mir wahrscheinlich nur die Abschriften?« – »Selbstverständlich,« antwortete die Herzogin und zog ein Päckchen aus dem Busen. Colbert entfaltete die Briefe, las und rief: »Vortrefflich! Aber es ist hierin nicht gesagt, um welches Geld im besondern –« – »Ah,« antwortete die Herzogin, »wenn wir einig sind, so werde ich diesen sechs Briefen noch einen siebenten hinzufügen, der die letzten Aufschlüsse gibt. Ist es abgemacht?« – »Sofern Sie Ihre Forderung ermäßigen–«
»Wie, Sie feilschen?« – »Weil mir daran liegt, redlich zu bezahlen. Ich zahle in bar – aber nur 200 000 Livres.«
Frau von Chevreuse lachte ihm gerade ins Gesicht. Dann schien sie sich eines andern zu besinnen. »Warten Sie! ein Vorschlag,« sagte sie. »Geben Sie mir 300 000, und ich will damit zufrieden sein, wenn Sie mir außerdem noch –« – »O, es ist nicht davon zu reden, Herzogin,« fiel Colbert ihr ins Wort. – »Beruhigen Sie sich, ich will ja kein Geld weiter, sondern nur einen Empfehlungsbrief an die Königin-Mutter.« – »Madame, Ihr Name hat bei Hofe keinen guten Klang – es könnte mich kompromittieren.« – »Mein Name soll auch gar nicht genannt werden, Herr Intendant,« antwortete die Chevreuse. »Ich will von Ihnen nur ein paar befürwortende Zeilen für eine Bettelnonne aus Brügge, die Ihrer Majestät ein Heilmittel gegen den Brustkrebs geben kann, an dem sie hinsiecht. Das wird Ihrem Renommee nichts schaden. Im Gegenteil, mir eine Zusammenkunft mit der Königin-Mutter ermöglichen, heißt sie vom Tode erlösen.«
»Hinter Ihrer großen Liebe für Anna von Oesterreich steckt doch wohl auch ein kleines persönliches Interesse«, sagte Colbert. – »Verhehle ich das?« versetzte sie. »Ich will von Ihnen nur 300 000 Livres, weil ich hoffe, daß Anna von Oesterreich mir für mein Heilmittel 200 000 geben wird. So kommen die 500 000 zusammen, die ich für meine Briefe haben will.« – »Gut, Frau Herzogin,« stimmte der Intendant bei, »ich werde die Ehre haben, Ihnen 100 000 Taler auszuzahlen. Wie aber erhalte ich die Originalbriefe?« – »Sie können Sie sofort haben gegen Ihre Gutschrift auf diese Summe.«
Colbert schrieb eine Anweisung und reichte sie der Herzogin. »Da!« sagte er, »Sie sind bezahlt.« – Sie machte eine leichte Verneigung, griff in den Busen, und sagte: »Hier sind die Papiere!«
Colberts dicke schwarze Brauen stiegen an seiner Stirn auf und ab wie zwei Fledermausflügel. Er lachte düster, und Herr Colbert lachte fast nie. Madame von Chevreuse lachte ebenfalls. Sie war zufrieden mit dem Geschäft, erhielt das ausbedungene Empfehlungsschreiben und nahm Abschied, um alsbald zu Hofe zu fahren.
Anna von Oesterreich war sehr krank geworden. Sie hatte an diesem Abend vergebens auf den König gewartet und befand sich in sehr schlechter Stimmung. Frau von Motteville und die spanische Amme Molina bemühten sich umsonst, sie zu erheitern. Das Wetter am Hofe deutete auf einen Sturm. Auf den Korridoren und in den Vorzimmern wichen die Höflinge und Ehrendamen einander aus, um nicht in ein Gespräch gefährlicher Art hineingezogen zu werden. Die drei Frauen machten in heuchlerischen Redensarten – denn keine wagte ohne Hehl zu sprechen – ihrer Verstimmung über die Lavallière Luft.
»O, diese Kinder!« seufzte die Königin-Mutter. »Habe ich ihnen nicht alles geopfert?!« Und sie hob die Augen zu dem blassen Porträt Ludwigs XIII. empor. Ein tiefes Schweigen folgte auf diese Worte. Dann sagte die spanische Amme: »Majestät, es ist die Stunde, da die Bettelnonne aus Brügge empfangen werden sollte, welche vorgibt, ein Heilmittel für Ihr Leiden zu besitzen.« – »Ist sie da?« – »Sie wartet draußen.« – »Gut, ich bin bereit,« antwortete die Fürstin. »Motteville, Ihr Dienst ist beendet. Gute Nacht!« – Frau von Motteville küßte der Königlichen Hoheit die Hand und ging hinaus.
»Führ‘ das Weib vor,« befahl Anna von Oesterreich. – Da öffnete sich die Tür, die Gestalt einer maskierten Dame zeigte sich und eine feste, zugleich sanfte Stimme sprach: »Hier ist das Weib, Königliche Hoheit, ich bin eine Beghine aus Brügge und bringe das Mittel, das Sie heilen wird.« – »Reden Sie!« antwortete die Königin-Mutter. – »Nur unter vier Augen,« versetzte die Maskierte. – Anna winkte der Spanierin, und die Amme ging hinaus.
Die Fremde trat dicht an die Königin-Witwe, machte eine tiefe Verbeugung und sah sie durch die Oeffnungen ihrer Maske fest und lange an. Die Fürstin erwiderte diesen Blick mißtrauisch und sprach: »Ich bin sehr krank. Mir täte Heilung not.« – »Doch nicht hoffnungslos krank, Hoheit,« antwortete die angebliche Beghine. – »So wissen Sie, woran ich leide?« – »Hoheit haben Freunde in Flandern.« – »Und diese haben hergeschickt? Nennen Sie sie.« – »Das ist nicht nötig,« antwortete die Nonne. »Ihr Gedächtnis, Hoheit, ist schon von Ihrem Herzen aufgeweckt worden.«
Anna hob den Kopf und suchte unter der dichten Maske und unter der geheimnisvollen Rede den Namen ihrer Besucherin zu entdecken. »Madame,« sagte sie dann, »man darf zu königlichen Personen nicht mit einer Maske vorm Gesicht sprechen.« – »Ich bitte mich zu entschuldigen,« antwortete die Fremde, »mein Gelübde bindet mich. Wir Schwestern haben geschworen, Leidenden zu helfen, ohne jemals unser Gesicht zu zeigen. Doch sollten Sie darauf bestehen, so müßte ich mich zurückziehen.« – »Es steht einer Leidenden nicht zu, die Tröstungen zu verschmähen, die Gott ihr sendet,« entgegnete Anna von Oesterreich. »Bleiben Sie also und reden Sie! Bringen Sie meinem Körper Linderung!«
»Lassen Sie uns zuerst von der Seele sprechen,« entgegnete die Beghine. »Sie leiden wohl auch seelisch. Es gibt verzehrende Krebsgeschwüre, Königliche Hoheit, nicht nur am Leibe – noch mehr an der Seele. Sie fressen den Geist an und zerreißen das Herz.« – »Die Uebel, von denen Sie reden,« antwortete die Königin-Mutter, »sind für uns Große der Erde unumgänglich. Wir wissen, Gott wird sie uns verzeihen, mögen sie noch so schwer sein. Soweit ich davon bedrückt bin, vermag ich sie noch zu tragen. Wenn Sie mir nichts weiter zu sagen haben als dies, so können Sie gehen. Ich mag eine Prophetin nicht anhören, denn ich fürchte mich vor der Zukunft.« – »Ich dachte vielmehr,« antwortete die Fremde, »Sie fürchteten sich vor der Vergangenheit.«
Anna von Oesterreich erhob sich und rief in kurzem, gebieterischem Tone: »Reden Sie – erklären Sie sich bündig und ohne Umschweife, oder –« – »Drohen Sie nicht, Königin! Sie werden sehen, daß ich Ihre Freundin bin! Ist Ihrer Majestät nicht vor 23 Jahren ein großes Unglück geschehen?« – »Ein großes Unglück –?« fragte die Königin, die Zähne aufeinanderpressend, »ich verstehe Sie nicht.« – »Wurde nicht am 5. September 1638 abends um acht Uhr der König geboren?« fuhr die Nonne fort. – »Und das nennen Sie ein Unglück?« versetzte Anna von Oesterreich, sich zur Ruhe zwingend.
»Das Unglück geschah danach, Majestät,« sagte die Beghine. »Eure Königliche Hoheit war in Gegenwart von Monsieur, Madame und den Prinzen und Prinzessinnen des Hauses entbunden worden. Man trug den neugeborenen Prinzen zum König, der wohlgemut soupierte. Die Freude war groß, die frohe Kunde lief in der Stadt um, alles Volk jauchzte. Eure Majestät waren allein mit der Hebamme und dem Diener Laporte und lauschten traumverloren auf das Geschrei des Dauphins, 11 als Sie plötzlich selbst einen furchtbaren Schrei ausstießen und die Hebamme herbeiriefen. Die Aerzte speisten in einem entlegnen Zimmer. Es war ein Viertel nach elf Uhr. Im Palast schlief schon alles, die Ehrenposten waren eingezogen worden, es standen nur noch die nächtlichen Außenposten.«
Anna von Oesterreich hatte den Kopf tief gesenkt. Ein Schüttelfrost lief durch ihren Leib; sie schwieg und atmete laut. – »Die Hebamme untersuchte Eure Majestät und schickte darauf Laporte zu dem König, um ihn herbeizuholen. Der König trat in dem Augenblick ein, als die Hebamme Eure Majestät von einem zweiten Prinzen entband. O, Königliche Hoheit, warum so traurig? Wenn Sie nun dieses Kind von Hofe entfernten, weil es nur einen Dauphin geben durfte, so sind Sie deshalb keine schlechte Mutter. Nein! es gibt Leute, welche recht wohl wissen, wieviel Tränen Sie um diesen Nachgeborenen geweint haben, wieviel Küsse Sie ihm in das dunkle, armselige Leben mitgaben, zu welchem die Rücksicht auf das Wohl des Staates den Zwillingsbruder Ludwigs XIV. verurteilt hat. Der König zitterte für das Heil Frankreichs, als er nun zwei Kronprinzen, gleich an Alter und Rechtsansprüchen, hatte; doch Kardinal Richelieu machte der Sache rasch ein Ende, indem er erklärte: » Ein Kronprinz ist Friede und Sicherheit, zwei Prinzen sind Krieg und Anarchie.« Und er verbannte den Unglücklichen auf ewige Zeiten.«
»Sie wissen davon nur zu viel!« schrie Anna von Oesterreich, sprang auf und stürzte auf die Fremde zu, als wenn sie sie zerreißen wollte. »Sie dringen in Staatsgeheimnisse ein. Nur von Freunden, die uns verraten haben, können Sie in den Besitz dieses Wissens gelangt sein, und diese falschen Freunde sind dann ihre Mitschuldigen. Herab mit der Maske, oder ich lasse Sie durch den Kapitän der Garden verhaften! Dieses Geheimnis wird mit Ihrem Leben erlöschen!«
»Lernen Sie die Treue und Verschwiegenheit Ihrer verlassenen Freunde kennen, Majestät,« antwortete die Beghine und nahm die Maske ab. – »Frau von Chevreuse!« rief die Königin-Mutter. – »Mit Ihrer Majestät die einzige, die um das Geheimnis weiß.« – »Umarmen Sie mich, Herzogin!« rief Anna. »Wie konnten Sie so mit meinem Schmerz spielen?« – Sie lehnte das Haupt an die Brust der Chevreuse, und ein Quell bitterer Tränen entströmte ihren Augen. – »O, wie jung Sie noch sind, Königliche Hoheit!« rief die Herzogin. »Sie können noch weinen. Verzeihen Sie mir, daß ich von diesen alten Leiden mit Ihnen sprach. Reden wir von etwas anderem, wir zwei alten, durch die Bosheit der Menschen getrennten Freundinnen. Ja ja, Majestät, es war schwer, es war bitter für mich, Sie verlassen zu müssen, fern von Ihnen zu leben!«
»Ach ja, der König ist Ihnen nicht freundlich gesinnt, Herzogin, doch könnte ich im stillen –« Aber die Chevreuse lächelte verächtlich. Anna fuhr fort: »Sie taten gut daran, sich wieder sehen zu lassen, sei es auch nur, um das Gerücht von Ihrem Tode Lügen zu strafen.«
»Bin ich wirklich totgesagt worden?« – »Allerorten. Und ich habe es auch geglaubt. Sind wir nicht alle sterblich? Der Tod kommt oft ganz schnell und unerwartet.«
»O, Königliche Hoheit, wenn ich gestorben wäre,« sagte die Chevreuse ganz ruhig, »dann hätten Sie davon hören müssen. So schwere Geheimnisse verlangen Erleichterung des Herzens, ehe man in die Grube fährt, und dann würden Hoheit auch an meinem Sterbetage alle die Papiere zurückerhalten, die ich noch von unserm stillen, geheimnisvollen Briefwechsel aufbewahrt habe.«
»Wie? Sie haben das nicht verbrannt?« rief Anna von Oesterreich entsetzt. – »Majestät, nur ein Verräter verbrennt eine königliche Korrespondenz,« versetzte die Herzogin. »Ein Getreuer aber bewahrt solche kostbaren Schätze, bis er eines Tages vor die betreffende königliche Person hintritt und zu ihr spricht: Majestät, ich werde alt; wenn ich plötzlich sterbe, könnten die Papiere gefunden, die Geheimnisse entdeckt werden. Nehmen Sie die kompromittierenden Papiere zurück und verbrennen Sie sie selber.«
Anna von Oesterreich fing an zu begreifen. – »Besonders ein Schreiben Eurer Majestät kommt hier in Frage,« fuhr die Herzogin ruhig fort, »in welchem Sie von diesem lieben unglücklichen Kinde – das sind Ihre Worte – sprechen und mich bitten, es zu besuchen.« – Ein tiefes Schweigen folgte. – »Ja, ein unglückliches Kind,« rief die Königin-Mutter dann. »Ein trauriges Dasein und dann ein grausames Ende.« – »So ist es tot?« rief die Herzogin. – »Tot und vergessen, tot und verwelkt wie eine arme Blume!« antwortete Anna von Oesterreich. »Gestorben in den Armen des treuen Erziehers, der den Verlust nicht lange überlebt hat.« – »Das ist begreiflich,« murmelte die Chevreuse. »Ein schwaches Herz bricht unter der Last eines solchen Geheimnisses zusammen. Hoheit,« fuhr sie dann rücksichtslos fort, »ich habe mich vor einigen Jahren in Noisy-le-Sec nach dem Schicksal dieses Kindes erkundigt. Man sagte allgemein, es gelte nicht für tot. Ich erfuhr, es sei eines Abends im Jahre 1645 von einer vornehmen, maskierten Dame abgeholt worden; tags darauf seien der Erzieher und die Wärterin verschwunden.«
»Das ist auch richtig. Doch wenige Tage später starb das Kind an einer jener verhängnisvollen Krankheiten, die das Kindesalter bedrohen.« – »Wenn Majestät es sagen, so muß es wohl wahr sein,« antwortete die Chevreuse, »obwohl mir mein Gewährsmann versichert, das Kind habe an dem Tage, wo es abgeholt wurde, blühend ausgesehen. Doch ich scheine Eure Hoheit zu ermüden – das will ich nicht. Ich erlaube mir daher, mich zu verabschieden.«
»Bleiben Sie noch, Herzogin,« erwiderte Anna. »Plaudern wir ein wenig von Ihnen. Sie sind ja meine älteste Freundin. Wir müssen trachten, einander wieder näherzukommen, ehe der Tod uns scheidet.« – »Königliche Hoheit, ich kann ja nicht an den Hof kommen,« antwortete die Chevreuse, »doch wenn Hoheit mir einen Beweis Ihrer Freundschaft geben und mich auf meinem Gute in Dampierre besuchen wollten – doch nein, was sage ich da, Dampierre ist nicht in dem Stande, der zu einem Empfang Ihrer Majestät erforderlich ist –« – »Wäre das alles?« antwortete Anna. – »Majestät, was denken Sie? Es ist eine große Gnade, um die ich Sie da bitte.« – »Ich gewähre sie Ihnen von Herzen gern und würde mich freuen, wenn mein Besuch Ihnen Nutzen brächte.« – »Nutzen? O nicht doch!« rief die Herzogin frohlockend. »Freude, unvergeßliches Glück!« Und sie bedeckte die Hand der Fürstin mit Küssen. – »Wollen Majestät mir vierzehn Tage Frist lassen?« fragte sie dann. »Da ich in Ungnade bin, wird es mir nicht leicht fallen, die 100 000 Taler aufzutreiben, die ich unbedingt haben muß, um Dampierre in empfangsfähigen Zustand zu setzen. Wenn man erfahren wird, daß ich das Geld brauche, um Eure Majestät zu bewirten, so werden mir gewiß alle Kassen offen stehen.«
»Wie?« fragte die Königin-Witwe. »Sie brauchen 100 000 Taler, um Ihr Landgut reparieren zu lassen? Aber, Herzogin, die will ich Ihnen leihen.« – »O, ich wagte nicht –« – »So wahr ich Königin bin. Es ist ja keine nennenswerte Summe. Ich schreibe Ihnen sogleich eine Anweisung auf Herrn Fouquet, er hat mich noch nie im Stich gelassen.«
Frau von Chevreuse hatte ihren Zweck erreicht: sie hatte aus ihren beiden Geheimnissen die Summe gezogen, mit der sie für den Rest ihres Lebens auszukommen hoffte, und auch Colbert hatte seinen Zweck erreicht, indem er dadurch, daß er Frau von Chevreuse mit einem Teil ihrer Forderung an Fouquet weisen ließ, dem Oberintendanten abermals eine Schlappe zufügte.