10. Kapitel. Ein gefährlicher Nebenbuhler

Anna von Oesterreich hatte recht: das Erscheinen des Königs bei Madame gab den Dingen nach allem, was vorgefallen war, einen feierlichen Zug. Es war im Jahre 1662 keine Kleinigkeit, wenn Monsieur über Madame Klage führte und der König sich in Privatangelegenheiten seines Bruders mischte. Daher sah man denn auch plötzlich die Höflinge ganz auffällig sich von Guiche fern halten, und der Graf, ebenfalls von Schrecken erfaßt, begab sich schleunigst in seine Wohnung.

Der König trat bei der jungen Herzogin mit freundlichem Gruß ein. Die Ehrendamen verneigten sich fast bis zur Erde. Der König sah sich um und musterte mit einem raschen Blick die ganze Reihe von errötenden Schönheiten, die am Eingang zu den Gemächern Spalier bildeten. Er begab sich in das Innenkabinett, wo seine Schwägerin in halb liegender Stellung auf weichen Kissen ruhte. Sie stand auf, machte eine Verbeugung und dankte mit ein paar befangenen Worten für die Ehre dieses Besuches. Dann setzte sie sich wieder, von lieblicher Röte übergossen.

»Liebe Schwägerin,« begann Ludwig, »ich möchte fragen, zu welcher Zeit Ihnen heute abend die Ballettprobe genehm wäre.« – »Ah, Majestät,« antwortete die Prinzessin und schüttelte ihre Locken, »ich wollte mich eben bei Ihnen entschuldigen lassen, ich fühle mich nicht Wohl und werde nicht erscheinen.« – »Nicht wohl?« rief Ludwig. »Ei, so will ich die Aerzte rufen lassen.« – »Die vermögen nichts gegen meine Krankheit,« erwiderte Lady Henriette. »Mir tut nur eins not: ich muß nach England zurück.« – »Ist das Ihr Ernst?« versetzte der König betroffen. – »Ja. Es tut mir sehr leid, es sagen zu müssen; aber ich fühle mich am Hofe Eurer Majestät unglücklich. Ich will zu meiner Familie zurück. O, Sire,« rief sie aus, als sie sah, daß Ludwig sie unterbrechen wollte, »ich bin an Leiden gewöhnt. Schon in frühester Jugend bin ich schlecht behandelt und gedemütigt worden – sagen Sie nicht, das sei übertrieben! Aber damals konnte ich dem unglücklichen Geschick die Schuld geben. Doch jetzt befinde ich mich wieder auf den Stufen eines Thrones, mein Bruder ist wieder König, und durch die Verbindung mit einem französischen Prinzen glaubte ich noch einen Schritt höher zu steigen und auch mein Lebensglück zu finden. Aber ich habe nur einen Mann gefunden, der mich unterjochen, mich zur Sklavin herabdrücken will – und das empört mich. Nun kommen Sie zu mir, Sire! Doch sicher nicht, mich zur Balletprobe einzuladen. Sie wissen alles, was geschehen ist, und wollen dem, was Ihr Bruder an mir getan hat, gar noch königlichen Nachdruck verleihen? O, Sire, ich bitte um die Erlaubnis, nach England zurückzukehren!«

Der König war durch diesen unerwarteten Angriff nicht nur in Verlegenheit gesetzt, sondern völlig entwaffnet. »O, Schwägerin!« rief er, kaum wissend, was er sagen sollte, »Sie nach England zurückzulassen, das ist ja ganz unmöglich. Bedenken Sie das doch! Was hat man Ihnen denn getan?« – Madame lächelte matt; sie wußte, daß sie gesiegt hatte; war doch der König gekommen, um zu fragen: »Was haben Sie meinem Bruder getan?« und nun fragte er statt dessen: »Was hat man Ihnen getan?«

»Was man mir getan hat?« versetzte sie. »Das kann nur eine Frau nachfühlen. Man hat mich weinen gemacht.« Und mit ihren schneeweißen Fingerchen deutete sie auf ihre Augen, die eben noch frohlockend gestrahlt hatten und jetzt sich schon wieder von Tränen trübten. – »Schwägerin, ich bitte Siel« rief der König, sprang hinzu und ergriff diese Hand, die sie ihm zitternd überließ. – »Was man mir getan hat?« fuhr Madame fort. »Zuerst hat man einen Freund meines Bruders, den Lord Buckingham, aus meiner Nähe verjagt – jawohl, verjagt, leugnen Sie es nicht! Er war ein Landsmann, er kannte mich, kannte meine Liebhabereien, wir haben so manche Fahrt zusammen auf den Gewässern von St. James gemacht.« – »Aber bedenken Sie doch, Madame, Villiers war in Sie verliebt!« wandte der König ein. »Was schadet das?« versetzte sie naiv. »Würden Sie zufrieden sein, wenn bloß ein Untertan Sie liebte?« – Sie lächelte dabei so zärtlich, daß dem König das Herz höher schlug. – »Und diesen Landsmann,« fuhr sie fort, »hat man vertrieben, man hat ihm die Tür gewiesen, wie einem schnöden Handelsmann, wie einem gemeinen Abenteurer. Das ist des galantesten Hofes nicht würdig.« »Schwägerin, ich bin daran nicht schuld,« beteuerte Ludwig. »Mir gefiel Buckingham sehr gut.« – »Ah, Sie sind nicht schuld daran?« rief Henriette. »Das freut mich! Nun weiß ich doch, auf wessen Betreiben es geschah. Ich glaubte nun Ruhe zu haben – doch nein, Monsieur findet einen neuen Vorwand.« – »Und an Buckinghams Stelle tritt ein anderer,« setzte der König scherzend hinzu. »Das ist ja auch ganz natürlich. Sie sind schön, Madame; man wird Sie immer lieben.«

»Gut, ich will eine Einöde um mich her schaffen,« versetzte sie. »Darauf allein ist es ja abgesehen. Doch nein, ich werde nach London zurückkehren, dort denkt man nicht so kleinlich; dort kann ich meine Freunde um mich versammeln, ohne daß sie gleich für Liebhaber gehalten werden. O pfui, wie schnöde! Ich hielt Monsieur für einen Kavalier, aber durch diese Verdächtigung hat er sehr in meinen Augen verloren. Er ist ein Tyrann!« – »O, nicht doch,« antwortete Ludwig. »Der einzige Fehler meines Bruders ist, er liebt Sie!« – »Er und mich lieben! Haha!« Sie lachte laut auf. »Monsieur wird nie ein Weib lieben. Er liebt nur sich selbst.«

»Nun, dann werden Sie aber doch zugeben, daß von Guiche Sie liebt,« sagte nun der König, der auf diesen Einwand der Prinzessin allerdings nichts zu erwidern wußte. – »Ist mir ganz neu,« versetzte sie. – »Aber das müssen Sie doch sehen; ein Verliebter verrät sich.« – »Von Guiche hat das bis jetzt noch nicht getan.« – »Schwägerin – Schwägerin, Sie verteidigen ihn noch!« »Ich? Ihn verteidigen? Das fehlte noch, daß auch Sie mich verdächtigen, Sie, der König!« rief sie aus.

»Nicht doch! Werden Sie nicht wieder traurig,« entgegnete Ludwig lebhaft. »Ich beschwöre Sie, bleiben Sie ruhig.« – Sie weinte schon wieder, große Tränen fielen auf ihre Hand, und diesmal beugte sich die Majestät herab und sog eine dieser flüssigen Perlen mit den Lippen auf. Sie sah ihn dabei so zärtlich an, daß ihm weich ums Herz wurde. »Sie fühlen also nichts für Herrn von Guiche?« fragte er in unruhigerem Tone, als sich für einen Vermittler geziemte. – »Nein, gar nichts.« – »Und ich kann meinen Bruder beruhigen?« – »Ihn? O, nichts wird ihn beruhigen. Er ist gar nicht eifersüchtig, man hat ihn nur aufgehetzt, und Monsieur ist von unruhigem Temperament.« – »Das kann man wohl sein, wenn Sie im Spiele sind,« antwortete der König und hielt noch immer ihre Hand.

Als Madame nach langer Pause endlich diese Hand langsam zurückzog, hielt sie darin die Palme des Sieges.

»Madame, ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen,« sagte der König. »Statt sich auf einen nicht recht schicklichen Umgang zu beschränken, statt uns durch Ihre Zurückgezogenheit zu beunruhigen, sollen Sie sich uns recht oft zeigen, sollen Sie täglich mit uns zusammen sein. Ich weiß, Graf Guiche ist ein liebenswürdiger Mensch, aber wenn wir auch nicht so geistreich sind wie er –« – »O, Sire,« unterbrach sie ihn, »Sie spielen den Bescheidenen.« – »Nein, selbst ein König kann einsehen, daß er sich hier und dort weniger Hoffnung machen darf zu gefallen, als mancher seiner Kavaliere.« – »Das glauben Sie selbst nicht,« rief sie dazwischen. – »Gleichviel! Sie sollen nicht die Zeit mit fremden Herren zubringen, sondern in unserer Gesellschaft. Sie sind die Sonne unsers Hofes. Alles Licht kommt von Ihnen.«

»Majestät,« antwortete Henriette ernst und setzte ihrem Triumph stolz die Krone auf, »ein Umstand nur läßt mich zweifeln, ein Umstand, den auch Sie nicht beseitigen können – die Erinnerung an das Vergangene.«

»Wie meinen Sie das? Ich verstehe Sie nicht recht,« entgegnete der König, der jedoch nur zu wohl verstanden hatte. – »Sire, ich habe das Unglück gehabt,« fuhr die Herzogin fort, »Ihnen so lange zu mißfallen, daß ich fast das Recht habe, mich heute zu fragen, wie Sie mich zur Schwägerin annehmen konnten.« – »Madame, unser Bündnis beginnt heute,« rief der König mit ungeheuchelter Wärme. »Lassen wir die Vergangenheit, wir haben es nur mit der Gegenwart zu tun. Und die Gegenwart sind Sie!« – »Es wird dennoch ein unzuverlässiges Bündnis,« wandte sie ein. – »Soll ich schwören?« rief der König. – »O, einen ehrlichen Schwur weise ich nicht zurück,« antwortete sie, und der König kniete nieder und ergriff ihre Hand. Mit einem unbeschreiblich süßen Lächeln reichte sie ihm beide Hände, die Ludwig an die glühende Stirn drückte. Dann sprang er auf und eilte hinaus. Die Höflinge bemerkten, daß er rote Wangen hatte, und schlossen daraus, die Unterredung habe einen etwas stürmischen Verlauf genommen. Nur Herr von Lorraine sagte: »Meine Herren, wenn der König zornig ist, wird er blaß.«

Als Ludwig die junge Herzogin verließ, befand er sich in einer Aufregung, die er sich selbst nicht erklären konnte. Er stand mit einem Male ganz in ihrem Banne, bezaubert von ihrer Schönheit, von ihrer Anmut und von der koketten Geschmeidigkeit ihrer Worte. Dabei verhehlte er sich jedoch nicht, daß ihre Ehe mit seinem Bruder für ihn ein unübersteigliches Hindernis sei. Was die Prinzessin anbetrifft, so war sie als gefallsüchtige Natur, nachdem sie von Buckingham und von Guiche vergöttert worden war, ohne weiteres bereit, ihrem Ehrgeiz auf seinem erfolgreichen Wege zum höchsten Ziele freien Lauf zu lassen. Von dem immer noch streng denkenden englischen Lord zu dem skrupellosen französischen Grafen war schon ein Fortschritt gewesen. Hätte sie nun gegen die Bewunderung, die der König ihr zollte, unempfindlich bleiben sollen? War doch Ludwig XIV. nicht nur die erste Person seines Landes, sondern wirklich auch einer der schönsten, geistreichsten Männer seiner Zeit.

Der König zeigte seinem Bruder alsbald an, der Friede sei wiederhergestellt, Madame verdiene die aufrichtigste Hochachtung und Zuneigung und sei nur etwas stolz und leicht verletzlich, so daß man sie mit Schonung behandeln müsse. Das bedeutete für Philipp nichts weiter als eine Zurechtweisung. Man hatte also nicht ihm, sondern seiner Frau recht gegeben. Er antwortete dem König, daß nicht sie, sondern er sich beleidigt fühlen könne. – Der König versetzte in gereiztem Tone: »Madame ist, Gott sei Dank, über jeden Tadel erhaben.« – »Ueber den anderer, das gebe ich zu,« antwortete Orléans. »aber nicht über den meinigen.« – »Bruder,« sagte der König, dem eine innere Stimme zuflüsterte, daß Monsieur nicht ganz im Unrecht sei, »ich habe mich davon überzeugt, daß deine Klagen grundlos waren. Was sonst etwa noch in dieser Sache zu tun ist, das wird von mir aus geschehen.« – Diese Worte enthielten zugleich einen Befehl und einen Trost; Philipp fühlte das und ging.

Zur selben Zeit stattete Chevalier von Lorraine dem Grafen von Guiche einen Besuch ab. Er gab sich das Ansehen, als wolle er den Grafen über die Stimmung Monsieurs beruhigen. In Wahrheit befürchtete er, Guiche würde plötzlich abreisen, und wollte ihn nur zurückhalten, da er noch immer glaubte, das Renkontre vom Vormittag würde verhängnisvolle Folgen für Guiche haben, und natürlich verhindern wollte, daß der Graf sich ihnen entzöge. Von Guiche war nur zu sehr geneigt, den tröstlichen Worten des Chevaliers Glauben zu schenken, da sie seinen innersten Wünschen zuvorkamen. Abreisen zu müssen, wäre ja für ihn ein Stich ins Herz gewesen. – »Monsieur hat über die Dinerszene nur gelacht,« sprach Lorraine, »Majestät hat auch gelacht, und da Madame die einzige war, die nicht lachte, so ist Majestät zu ihr gegangen und hat ihr gut zugeredet. Am Programm des Tages wird nichts geändert, das ist der beste Beweis dafür, daß alles beim alten bleibt. Die Ballettprobe fällt nicht aus.«

»Wie? sie soll heute abend stattfinden?« rief der Graf. »Wissen Sie das gewiß? Sie raten mir also –? – »Ich rate Ihnen, ganz ruhig hier zu bleiben,« antwortete Lorraine. – In diesem Augenblick trat Rudolf ein. »Und ich,« rief er sogleich mit finsterer Miene, »rate Ihnen das Gegenteil. Werfen Sie sich aufs Pferd und reiten Sie auf Ihre Güter. Und dann können Sie den Rat des Chevaliers befolgen und ganz ruhig dort bleiben.« – »Aber warum sollte der Herr Graf abreisen?« fragte Lorraine, den Erstaunten spielend. – »Weil alle Welt bei Hofe von einem stürmischen Auftritt zwischen Monsieur und Herrn von Guiche spricht,« antwortete Rudolf. »Und weil ein solcher Auftritt schlimme Folgen haben kann. Ich weiß, Monsieur hat gedroht, und Madame hat geweint.« – »Madame hat geweint!« rief Guiche, die Hände faltend, – »Das ist das Neueste, was ich höre,« rief Lorraine. »Herr Vicomte, da sind Sie ja besser unterrichtet als ich.« – »Und deshalb eben gebe ich Herrn von Guiche den Rat abzureisen. Er muß fort. Um des Königs willen! Denn der König hat sich dieser Sache angenommen.«

»Bah, der König ist dem Herrn Grafen sehr zugetan,« wandte der Chevalier ein. »Und überdies würde eine Abreise einem Bekenntnis der Schuld gleichkommen.«

»Man kann auch reisen aus Verdruß, aus Kränkung,« entgegnete Bragelonne. »Und wenn wir beide versichern, daß wir alles getan haben, Herrn von Guiche zurückzuhalten – Sie wenigstens können das ja mit bestem Gewissen sagen – dann wird man uns glauben, daß Graf Guiche sich verletzt gefühlt habe, weil er sich unschuldig wisse und sich trotzdem aber eine Verantwortung nicht erlauben dürfe. Seine freiwillige Verbannung wird überdies nur von kurzer Dauer sein, er kann zurückkehren, wann er will, und wird dann allseitig freudiges Entgegenkommen finden. Eine üble Laune des Königs aber kann ein Ungewitter herbeiführen, für dessen Folgen niemand einstehen kann.«

»Lieber Freund,« beendete nun Guiche selbst den Streit, »es ist bei mir fest beschlossen: ich bleibe!« – »Dann wehe dir, Guiche!« antwortete Rudolf. »Ich habe meine Pflicht getan.« – »Rudolf, heute abend ist Ballettprobe–« – »Liegt dir daran so viel?« – »Das nicht! ich meine damit nur, ein Hof, an dem so flott getanzt wird, ist nicht zu inneren Kriegen gerüstet.« – »Ich habe nichts mehr zu sagen,« erwiderte Bragelonne achselzuckend.– »Sie glauben gut unterrichtet zu sein, Herr Vicomte,« sagte Lorraine, »aber wie wollen Sie es besser wissen als ich, der ich doch zu den vertrautesten Freunden Monsieurs gehöre?« – »Vor dieser Erklärung strecke ich das Gewehr,« antwortete Rudolf. »Sie müssen es besser wissen, das sehe ich ein. Und da ein Edelmann nichts anderes sagen kann, als was er weiß, und nicht anders sprechen kann, als wie er denkt, so erkläre ich mich für überwunden und räume Ihnen das Feld. Guiche, ob es nun gut oder böse abläuft, in jedem Falle dürfen Sie auf mich zählen. Adieu!«

Die Ballettprobe fand am Abend statt. Ludwig XIV. ließ die Herren und Damen, denen man Rollen bei der geplanten Tanzveranstaltung überwiesen hatte, in ihren verschiedenen Charakterkostümen Revue passieren. Monsieur allein hatte kein Kostüm angelegt. Er war noch in so verdrießlicher Stimmung, daß selbst eine Anprobe neuer kostbarer Gewänder an diesem Tage keinen Reiz für ihn hatte. Ludwig dagegen schien in bester Laune: er äußerte lachenden Mundes Beifall oder Tadel, lachenden Mundes machte er Glückliche und Unglückliche. Plötzlich fiel sein Blick auf den Grafen von Guiche, der in der Tracht eines Königs des Lenzes erschien. Ludwigs Lippen preßten sich zusammen – das Lachen verschwand, die heitere Stirn zog sich in Falten. – »Meine Herren und Damen!« rief er, sich abwendend. »Ich erhalte eben die Nachricht, daß zur Abreise nach Fontainebleau alles bereit ist. Morgen bricht der Hof auf. Sie alle sind eingeladen, mir zu folgen.« – Nach diesen Worten drehte er sich plötzlich um und trat einen Schritt auf Herrn von Guiche zu. – »Sieh da, Herr Graf,« rief er laut. »Ich hatte Sie noch nicht bemerkt. Es ist jetzt die Zeit der zweiten Aussaat. Ihre Pächter in der Normandie werden sich freuen, wenn Sie sich dort mal ein wenig um den Betrieb kümmern.« – Darauf wendete er dem Unglücklichen wieder den Rücken zu.

Von Guiche taumelte. Dann raffte er sich gewaltsam auf und trat auf den König zu. Hochaufgerichtet stand er vor ihm und begegnete stolz dem Blicke der Majestät. – »Habe ich recht verstanden?« stieß er hervor. – Ludwig sah über die Schulter mit jenem kalten, festen Ausdruck, der wie ein unbiegsames Schwert den in Ungnade Gefallenen ins Herz drang. »Ich sprach von Ihren Gütern,« wiederholte er langsam und scharf. – Dem Grafen trat der Schweiß auf die Stirn, der Hut entsank seinen zitternden Fingern. Er sah sich starren Auges um und erblickte Madame. Die Prinzessin plauderte lächelnd mit Frau von Noailles. Sie schien gar nichts gehört zu haben. Die Gesellschaft zerstreute sich – Guiche blieb allein zurück.

Als er über den Korridor schritt, trat Rudolf zu ihm. – »Nun, hatte ich recht?« fragte er. – »Du hattest recht,« stammelte der Graf tonlos. – »Und sie?« fragte Bragelonne. – »Sie! Sie!« rief der Unglückliche und hob die geballte Faust. »Sie lacht dazu!«

1. Kapitel. Noch immer eifersüchtig

Seit vier Tagen befand sich der königliche Hof in Fontainebleau. Die prachtvollen Gärten boten einen feenhaften Anblick, und namentlich in der Nacht verbreiteten die von Colbert unter großem Kostenaufwand geschaffenen Beleuchtungseffekte märchenhaften Glanz über den herrlichen Park. Fouquet hatte die vier Millionen abgeliefert, von denen nun Colbert dieses Fest bezahlte. Aber er bemerkte bald zu seinem Entsetzen, daß das Geld ebenso rasch verpuffte, wie die Feuerwerkskörper, die allabendlich abgebrannt wurden. Jeder der unglaublich farbenschönen Raketenregen kam auf 100 000 Livres zu stehen, jede Beleuchtung der Wasserkunst kostete 30 000, und die Kleider für die Waldgötter, die Nymphen und Dryaden, die in den Balletten auftraten, waren ebenfalls sehr teuer. Kurz und gut, Colbert bemerkte, daß trotz aller Sparsamkeit die Ebbe in seiner Kasse nahe bevorstand.

Madame war die Königin aller Feste. Sie empfing mit unnachahmlicher Anmut die verschiedenen Deputationen von Abgesandten fremdartiger oder längst ausgestorbener Völkerschaften: die Skythen, die Hyperboräer, die Kaukasier und Patagonier. Sie war die Diana jeder einzelnen Jagd und fand an jedem Tage Gelegenheit, ihren Witz und ihre Unerschöpflichkeit an entzückenden Gedanken zu zeigen. Sie nahm die Huldigungen in Empfang, die ihr von allen Seiten dargebracht wurden, und man verglich den König mit dem Sonnengott und sie mit Phoebe. Von Monsieur war bei allem gar nicht die Rede, ganz als ob der König nicht mit Maria-Theresia von Spanien, sondern mit Lady Henriette von England vermählt gewesen sei.

Das freudetrunkene Paar drückte sich verstohlen die Hände und genoß in langen Zügen den durch Jugend, Schönheit, Macht und Liebe versüßten Trank des Glücks. Niemand konnte mehr im Zweifel darüber sein, daß Madame die erste Dame des Hofes geworden war. Man nannte sie ganz leise die Königin. Das hatte zur Folge, daß Monsieur, statt die zweite Person des Reiches zu sein, auf den dritten Platz gedrängt worden war. Und er mußte erkennen, daß es nach der Verbannung seines zweiten Feindes, des Grafen von Guiche, abermals schlimmer geworden war. Dem Grafen hatte er wenigstens Furcht einjagen können – jetzt aber stand ihm der König selbst im Wege. Und was konnte er gegen diesen tun? Ueberdies kam Madame an jedem Abend völlig erschöpft von den vielen Lustbarkeiten des Tages in ihre Gemächer und war für ihn auch dann nicht mehr zu sprechen.

Eines Tages war Monsieur spät aufgestanden, kleidete sich sehr sorgfältig an und nahm sich vor, mit Madame und seinem Hofstaat nach Moret zu fahren, um dort zu soupieren. Er begab sich in den Pavillon seiner Gemahlin und entdeckte zu seiner Verwunderung, daß die gesamte Dienerschaft verschwunden war. Nur eine Näherin fand er, die ihm berichtete, Madame sei mit allem Gefolge ins Bad gefahren. – »Das ist eine gute Idee,« dachte Monsieur. »Es ist eine drückende Hitze, ich will auch ein Bad nehmen.« – Aber als er nun ein Pferd verlangte, erfuhr er, daß weder Pferde noch Stallknechte da seien; es war alles ausgeflogen.

In höchst verdrießlicher Stimmung machte er sich – Muttersöhnchen, das er war – abermals auf den Weg zur Frau Mama. Im Begriff einzutreten, sah er, daß Ludwigs Gattin, Maria-Theresia von Spanien, bei Anna von Oesterreich war. Monsieur, der bereits die Portiere in die Höhe gehoben hatte, trat leise zurück und wollte nun mit anhören, was die beiden Frauen sprachen. Aber leider führten sie ihre Unterhaltung in spanischer Sprache, und der Prinz konnte nur aus dem Tonfall der Worte entnehmen, daß die junge Königin sich beklagte. Auch hörte er sie weinen. Er zweifelte nicht daran, daß sie Beschwerde über den König führte, der nur auf Vergnügungen bedacht war, an denen sie keinen Teil hatte.

Anna von Oesterreich tröstete ihre Schwiegertochter, doch schien diese sich nicht trösten zu lassen. Monsieur hörte, daß sie sich zum Gehen anschickte, und da er sich nicht beim Horchen überraschen lassen wollte, so trat er jetzt ein. Bei seinem Anblick trocknete die junge Königin sich rasch die Augen und setzte eine gleichgültige Miene auf. Monsieur bewahrte trotz aller Verstimmung den Takt des Hofmannes und belästigte die Damen nicht durch Fragen nach der Ursache ihrer Betrübnis.

»Verzeihung,« begann er, »ich glaubte, Madame hier zu finden.« – »Madame ist im Bade,« antwortete Anna von Oesterreich. – »Und der König?« fragte Monsieur in einem Tone, bei dem seine Mutter unwillkürlich erbebte. – »Ist auch im Bade,« sagte Maria-Theresia, »mitsamt dem ganzen Hofe.« – »Außer Ihnen, Majestät,« sagte Philipp. – »O, ich bin ein Schrecken für alle, die sich vergnügen,« murmelte die Infantin von Spanien. – »Ich scheinbar auch,« ergänzte Orléans.

Anna von Oesterreich gab ihrer Schwiegertochter einen Wink, und die Königin zog sich zurück. »Nun, was gibt es denn wieder?« wandte sie sich an ihren Sohn. – »Wissen Sie es nicht schon von meiner Schwägerin?« versetzte der Herzog. »Sie hat Ihnen doch eben ihr Leid geklagt.« – »Mein Gott, sie ist kindisch eifersüchtig,« antwortete Anna. – »Ich auch, Frau Mama,« sagte Philipp. »Jawohl! Der König fährt mit meiner Frau zum Bade, und seine Frau läßt er zu Hause. Und meine Frau geht mit und sagt mir nicht einmal was davon. Da soll ich nun wohl nicht einmal drüber böse sein?« – »Lieber Philipp, du übertreibst,« erwiderte die Fürstin. Du hast Buckingham vertrieben, du hast Guiche verbannen lassen, möchtest du nun vielleicht gar den König vom Hofe verjagen?« – »Das maße ich mir nicht an,« entgegnete er. »Aber ich kann meiner Wege gehen.« – »Wie? Eifersüchtig auf den König – auf den eigenen Bruder?« – »Ja, Mama! Eifersüchtig auf den König! eifersüchtig auf den Bruder! Eifersüchtig, eifersüchtig!« – »Wahrhaftig, Philipp,« antwortete sie mit erkünsteltem Unwillen, »ich muß glauben, du hast es drauf abgesehen, mir die Ruhe zu rauben. Ich muß dich dir selbst überlassen; denn gegen solche hirnverbrannten Ideen habe ich keine Waffen.« Damit ging sie hinaus.

Monsieur stand verblüfft da, dann erwachte sein Zorn; er eilte in seine Zimmer, zertrümmerte das beste Porzellan und legte sich dann gestiefelt und gespornt ins Bett.

Die Hofgesellschaft kehrte vom Bade zurück. Der prächtige Zug bewegte sich die Allee entlang, über der das Laub der zu beiden Seiten stehenden Bäume sich zu einem grünen Dach vereinte. Madame war schöner als je; der Aufenthalt im Wasser hatte sie erfrischt. Ihr noch feuchtes, rabenschwarzes Haar wallte auf den Nacken hernieder, und aus ihren schönen Augen strahlten Frohsinn und Gesundheit. Sie ritt einen andalusischen Zelter, dessen langer Schweif den Boden fegte. Man erzählte sich, daß Majestät sie in den Sattel gehoben und sie dabei den Arm um seinen Nacken geschlungen habe. Jetzt ritt der König an ihrer Seite und wich keinen Augenblick von ihr. Sie waren in ein sehr lebhaftes Gespräch vertieft, von dem jedoch die in gemessener Entfernung folgenden Kavaliere und Damen nichts verstanden. Nur hin und wieder schlug ein halb ersticktes Lachen oder ein leiser Schrei der Freude an die trotzdem neugierig gespitzten Ohren.

In das Schloß zurückgekehrt, begab sich Madame sogleich zu Monsieur, und der König wollte zu seiner Gattin. Aber sie ließ ihn nicht vor, und er mußte sich mit seiner Mutter begnügen, die ihm nun über ihre Unterredungen mit Maria-Theresia und mit Monsieur berichtete. In verdrießlicher Stimmung ging er auf sein Privatzimmer; dort brachte man ihm einen Brief. Er öffnete den Umschlag und las: »Kommen Sie geschwind, ich habe Ihnen tausend Dinge zu sagen. Ihre Schwägerin.«

In fünf Minuten war er bei Madame. Allein sie hatte, um jedes Aufsehen zu vermeiden, ihre Wohnung verlassen und war mit ihrem Gefolge in den Garten gegangen, unter dem Vorwande, eine Jagd auf Nachtschmetterlinge halten zu lassen. Sie saß in der Mitte eines großen Rasenplatzes auf einer Bank, von der aus man alles übersehen konnte, auch selbst von allen Seiten sichtbar war, jedoch keine Lauscher zu fürchten hatte. Sie wählte diesen Platz mit Absicht und erwartete hier den König, der, anscheinend von der Schönheit des Abends verlockt, das Schloß verließ und sich beim Anblick der fröhlichen Gesellschaft sofort nach dieser Seite des Gartens wendete. Darin konnte selbst das argwöhnischste Auge keine Verabredung vermuten.

»Mein Billett hat Sie überrascht, Sire?« begann die Prinzessin. – »Erschreckt sogar,« antwortete der König. »Aber ich habe Ihnen noch etwas viel Wichtigeres zu sagen.« – »Als ich Ihnen?« unterbrach ihn Henriette. »Unmöglich! Denken Sie sich, mein Mann hat mich heute abend nicht vorgelassen.« – »Meine Frau mich auch nicht,« sagte Ludwig. »Statt ihrer empfing mich meine Mutter mit einer großen Gardinenpredigt. Der langen Rede kurzer Sinn ist: Monsieur ist jetzt eifersüchtig auf mich.« – »Wir haben doch gar keine Veranlassung gegeben,« antwortete die Herzogin. »Ich wenigstens nicht.« – »Monsieur bezichtigt Sie der Koketterie. Er scheint obendrein noch ungerecht zu sein,« sagte Ludwig. »Nun will er sich nicht mehr beruhigen lassen.« – »Er hätte besser getan, sich gar nicht erst zu beunruhigen,« sagte Madame. »Eine böse Welt, daß nicht einmal Bruder und Schwester miteinander umgehen können, ohne Verdacht zu erregen. Wir tun doch nichts Böses und haben auch gar nicht die Absicht.«

Sie warf dabei dem König den ihr eigenen halb unschuldigen, halb verführerischen Blick zu, der selbst den kältesten Mann bezaubert haben würde.

»Für mich sind Sie ein Bruder,« fuhr sie fort; »wenn ich Ihre Hand halte, empfinde ich dabei nicht wie eine Liebende, sondern eben nur –« – »O, schweigen Sie!« rief Ludwig, »Sie foltern mich unbarmherzig.« – »Wieso denn?« fragte sie harmlos. – »Sie sagen es ja gerade heraus, daß Sie nichts für mich fühlen. Glauben Sie, ich sei von Marmelstein wie Sie? O, Henriette! Alle unsere Gespräche, die heimlichen Blicke, der oft getauschte Händedruck – das alles sollte –« – »Vorsicht,« warnte Madame, »Ihr Hofmeister Saint-Aignan sieht auf uns.«

»Ja doch!« rief Ludwig zornig. »Nie Freiheit, nie Aufrichtigkeit! Man glaubt, man hat einen Freund, und es ist ein Spion – man glaubt, man hat eine Freundin, und es ist nur eine Schwester.« – »Aber Monsieur ist doch eifersüchtig!« lispelte sie und sah ihn mit einem glühenden Blicke an. »Gegen Sie freilich hegt niemand Argwohn. Die Ruhe Ihres Hauses wird nicht gestört.« – »Ich sagte Ihnen doch schon, meine Frau ist auch eifersüchtig!« rief Ludwig. »Ich werde das Vergnügen haben, fortwährend schmollende Lippen und rotgeweinte Augen zu sehen.« – »Arme Majestät!« sagte Henriette und streichelte die Hand des Königs.

Sie schwiegen beide. Ihre Haare berührten sich, ihr Atem verschmolz zu einem, ihre Hände hielten sich fest. So vergingen fünf Minuten. Lady Henriette sah Ludwig in die Augen und erblickte im Innersten seines Herzens die Liebe, gleichwie ein Taucher die Perle in der Tiefe des Meeres wahrnimmt.

»Es gibt nur zwei Wege,« sagte sie leise. »Entweder ich kehre nach England zurück –« – »Das ist unmöglich, nennen Sie den zweiten!« fiel Ludwig ihr ins Wort. – »Oder,« fuhr sie fort, »man führt den Eifersüchtigen irre. Man tut so, als ob man einer andern den Hof machte.« – »Das ist ein sinnreiches Mittel, Henriette,« antwortete Ludwig, »und ich soll nun also unter den Damen Ihres Hofes eine auswählen, die wir als Scheinpüppchen gut verwenden können? Wie denken Sie über Fräulein von Tonnay-Charente?« 5 – »Sie ist ein wenig zu blond,« antwortete die Prinzessin und nannte damit den einzigen Fehler, den man an der sonst so vollkommenen Schönheit der späteren Madame von Montespan finden konnte.

»Ei, so wählen Sie selbst die Dame,« sagte Ludwig, »aber treffen Sie eine gute Wahl, damit ich meine Rolle auch einigermaßen glaubhaft spielen kann, damit ich nicht, während ich jene andere ansehen soll, doch nur nach Ihnen schaue, nicht zu Ihnen spreche, wenn ich mit jener reden soll, kurz damit ich nicht mit Herz, Mund und Augen doch nach wie vor an Ihnen allein hänge!« – Diese Worte entströmten wie eine Liebesflut den Lippen des jungen Königs, und die Prinzessin errötete wonnetrunken und fand keine Antwort; ihr Durst nach Huldigungen war befriedigt.

»Ich werde nicht nach Ihrem Wunsche wählen,« sagte Madame nach langem Schweigen; »denn aller Weihrauch, den Sie auf dem Altar einer andern Göttin opfern, würde mich eifersüchtig machen. Ich werde daher mit Ihrer Erlaubnis diejenige unter meinen Damen wählen, die mir am wenigsten geeignet erscheint, Eure Majestät zu zerstreuen und einen Schatten auf mein Bild zu werfen. Sehen Sie dort drüben am Rande des Gebüsches die einzelne Dame sitzen, die allein sich nicht an der Jagd beteiligt?« – »Ganz recht, es ist die Lavallière,« antwortete Ludwig, »und sie jagt nicht mit, weil sie lahmt. Aber Sie wollen mir doch nicht dieses Mädchen bestimmen, Henriette? Sie ist eine langweilige Person. Nein, nein, Henriette!« – Madame blieb unerbittlich. – »Sie hinkt, aber es ist kaum bemerklich,« sprach sie. »Sie schweigt fast immer, aber wenn sie spricht, zeigt sie die wunderschönsten Zähne, und sie ist sanft wie ein Lamm und wird sich’s gefallen lassen, von ihrem Könige getäuscht zu werden. Und wir werden endlich Ruhe haben.«

»Aber man wird sagen, ich habe einen sehr schlechten Geschmack!« rief Ludwig verdrießlich. »Das ist nicht sehr schmeichelhaft für mich.« – »Ei, alles was der König berührt, verwandelt sich in Gold,« antwortete Madame. »Man kommt. Majestät! Bieten Sie alle Vorsicht und Klugheit auf.« – »Nun, wenn es denn sein muß!« seufzte Ludwig. »Ich werde noch heute abend mit meiner Rolle beginnen.« – »Gemach!« versetzte Henriette. »Man würde nicht an die Echtheit des Gefühls glauben, wenn es so rasch aufloderte. Ein König sinkt nicht in einer Stunde von einer Henriette Stuart zu einer Lavallière herab. Jede Sache will ihre Vorbereitung, ihre Einleitung haben. Doch da kommen meine Damen mit den Schmetterlingen, die sie erbeutet haben. Wir müssen uns trennen.« – Sie reichte dem König die Hand und ging der heraneilenden Gruppe von Damen und Herren entgegen.

  1. Sie wurde später die Mätresse des Königs; die Geschichte kennt sie jedoch nur unter dem Namen ihres Mannes, von Montespan.

2. Kapitel. Das Spiel mit dem Feuer

Der Abend, an welchem das mit so großer Sorgfalt vorbereitete Ballett aufgeführt werden sollte, war herangekommen. Die Tribünen waren errichtet, die Schaubühne erstrahlte im Glänze von tausend Lampen, und jenseits des an diese Arena grenzenden Teichs war ein Feuerwerk aufgestellt, prächtiger als alle, die man bisher veranstaltet hatte. Am wolkenlosen Himmel strahlten die Sterne, als wenn die Natur selbst an diesem sonderbaren Einfall des Fürsten Gefallen gefunden hätte. Die Zuschauer fanden sich ein; der Platz der Königinnen, eine mit Samt, Seide und Brokat ausgeschlagene Loge, wurde von Anna von Oesterreich und Maria-Theresia eingenommen: die Sitzreihen füllten sich mit einem Kranze von Herren und Damen in Galatoiletten. Das Spiel begann.

Man sah zuerst auf der mit einigen Gebüschen verzierten Szene Waldgötter hin und her tanzen. Dann erschienen Dryaden – Feen des Waldes, auf die die Faune Jagd machten. Dann erschien, von allgemeinem Jubel begrüßt, der König als Gott des Frühlings, in einer über und über mit Blumen geschmückten Tunika, die seine wohlgeformte Gestalt erkennen ließen. Sein Bein – das zierlichste am Hofe – zeigte sich sehr vorteilhaft in rosaseidnem Strumpfe, und sein zarter Fuß trug einen lilafarbnen mit ein paar Blättern und Blüten befetzten Schuh.

Dann kam die Prinzessin auf die Bühne, schön wie eine Venus, in einen Schleier von Spitzen und zartem Mull gehüllt – eine wandelnde Wolke, auf der das Licht der Lampen perlmutterartige Reflexe hervorrief. Der Beifall wurde so laut, daß man die Musik nicht mehr hörte.

Der Hofmeister des Königs, Saint-Aignan, benutzte den Jubel, den Madames Auftreten hervorrief, um sich Ludwig zu nähern. – »Majestät,« flüsterte er, »ein fatales Versehen! Wir haben vergessen, in der Musik die Stelle zu streichen, die den Tanz des Grafen von Guiche begleitet. Und sie muß doch nun wegfallen. Was machen wir da? was machen wir da?« – »Sehr unangenehm!« antwortete Ludwig. »Es darf keine Stockung eintreten. Fünf Minuten ohne Musik ist langweilig – das kann uns den ganzen Erfolg verderben.« – »Majestät, darf ich darauf aufmerksam machen, daß Graf Guiche da ist?« wagte Saint-Aignan zu bemerken. – »Was? er ist hier?« fragte der König. – »Im Kostüm seiner Rolle,« antwortete Saint-Aignan. »Geruhen Majestät nach rechts zu schauen.«

Ludwig XIV. drehte sich um und erblickte den Grafen, der, in seinem prächtigen Kleide als Bote des Lenzes, hinter einem Gebüsche stand, bereit, aufzutreten, sobald die Takte seines Tanzes begannen. Der König war nicht minder erstaunt als der Herzog von Orléans, der von seinem Platz aus Guiche sehen konnte, und als Lady Henriette, die auf einer Rasenbank saß und mit unverhohlener Freude die schöne Gestalt ihres verbannten Verehrers musterte. Von Guiche näherte sich, verneigte sich vor dem König und sagte leise: »Verzeihung, Majestät, Ihr demütigster Untertan kommt, Ihnen einen Dienst zu erweisen, leichterer Art als so mancher, den er Ihnen schon auf dem Felde des Ruhms erweisen durfte. Die schönste Szene des Balletts würde verloren gehen, wenn der Tanz des Frühlingsboten fehlen müßte. Ich wollte nicht, daß der Erfolg der von Eurer Majestät so glücklich entworfenen Aufführung durch meine Schuld vereitelt würde; deshalb verließ ich meine Güter und eilte hierher.«

»Ohne meine Aufforderung?« sprach der König; doch in einem Tone, der erkennen ließ, daß die wohlgesetzte Schmeichelei des Grafen ihn ebenso erfreute wie sein kühnes Handeln. »Gut! Tanzen Sie, das weitere werden wir nachher sehen.«

Die Musik intonierte die Takte, und der Frühlingsbote zeigte sich dem Publikum, von Händeklatschen empfangen. Doch das galt ihm gleich – sein Blick haftete an der Göttin des Balletts, und ihr Auge schien zu sprechen: »Bravo, Herr Graf! Und da man einmal eifersüchtig ist, so kann der Argwohn getrost auch noch auf Sie fallen. Wer gegen zwei Nebenbuhler mißtrauisch ist, hat eigentlich gar kein Mißtrauen.«

Das Ballett nahm seinen Fortgang.

Als die Aufführung beendet war und die vornehme Gesellschaft sich zerstreute, um in einzelnen Gruppen über das Gesehene und Geschehene zu plaudern, fanden sich zu einer dieser Gruppen die drei Freundinnen Montalais, Tonnay-Charente und Lavallière zusammen. Ihr Dienst war beendet, und sie konnten ein paar Stunden ungestört im Garten lustwandeln.

»Nun, wie hat das alles euch gefallen?« rief die Montalais, deren Wangen noch rosig erglühten. – »Mir gar nicht,« antwortete die Lavallière. – »Ach, du bist unausstehlich,« rief Fräulein Aure. »Ich bin hierhergekommen, um zu scherzen, und du steckst gleich wieder dein Nonnenantlitz auf.« – »Ich habe auch keine Lust, ernst zu sein,« sagte die Tonnay-Charente. »Es ist lustig gewesen, die ganze Geschichte mit dem König und dem Grafen von Guiche. Ich könnte ihn lieben! Sie nicht, Fräulein Luise?« – »Das gehört ja gar nicht hierher,« antwortete Luise. »Wir haben uns vorgenommen, diese Nacht in angenehmer Weise zuzubringen, ohne von Sicherheitswachen oder männlicher Begleitung behelligt zu sein. Das Wetter ist prachtvoll, und der Mond umspinnt die Baumwipfel mit Silberduft. Da ist es eine Freude, in Freiheit zu lustwandeln. Kommen Sie dort unter die hohen Bäume.« – »Ja, ehe wir gestört werden,« sagte die Tonnay-Charente, »denn vom Schlosse her kommen schon Lichter. Wahrscheinlich wollen sich noch andere die schöne Nacht in gleicher Weise zunutze machen.«

Sie hoben mit zierlichem Anstande ihre langen seidenen Kleider und eilten leichten Schrittes über den Rasen hin, bis sie im Schatten der dichten Gebüsche angelangt waren. Hier war es still und einsam, und nur leise klang das Summen der vorm Schlosse sich vergnügenden Menge, klangen die Töne der noch immer spielenden Musikanten herüber.

Die drei Mädchen gingen langsam und nicht ohne Scheu durch das Dunkel des Waldes, bis sie einen hohen Baum, die sogenannte Königseiche, erreicht hatten, wo aufgehäuftes Moos eine rohe Bank bildete, deren Lehne der gewaltige Stamm des Baumes selbst abgab.

»Wie schön ist es,« begann die Montalais, »daß man mal ein paar ganz freie Stunden hat! Daß man mal ganz offen und alles Zwanges ledig miteinander schwatzen kann!« – »Ja,« sagte die Tonnay-Charente, »so prunkvoll ein Königshof auch ist, hinter jeder Sammetfalte steckt doch eine Lüge.« – »Ich lüge nie,« sprach die Lavallière, »wenn ich nicht die Wahrheit sagen kann, so schweige ich.« – »Dann werden Sie nicht lange in Gunst sein, liebe Luise,« sagte die Montalais. »Denn hier ist es nicht wie in Blois, wo wir die alte Herzogin getrost mal auslachen durften.« – »Sie werden sich hoffentlich hier wohler fühlen,« sagte die Tonnay-Charente. »Wir haben hier doch eine Fülle von angenehmen Kavalieren, mit denen man über die gewagtesten Dinge geschmackvoll plaudern kann.«

»Was ist das für ein Geräusch?« fragte die Lavallière, erschreckend. – »Vermutlich ein Reh, das durchs Gebüsch streicht,« antwortete die Montalais sorglos. – »Wenn es nur nicht ein Mann war!« flüsterte die Tonnay-Charente. – »Ach gehen Sie, Athenais,« versetzte Fräulein Aure. »Das wäre Ihnen ja doch viel lieber. Zum Beispiel Herr von Montespan –« –»Ich finde den Grafen von Guiche schöner,« meinte Athenais. – »O, sprechen Sie nicht von dem armen Grafen,« sagte Luise. »Er kann mir leid tun. Madame macht sich ein Vergnügen, ihn zu quälen. Sie weiß nicht, was Liebe ist. Sie spielt mit diesem Gefühl, wie ein Kind mit dem Feuer spielt, ohne zu wissen, daß ein Funke einen Palast in Brand stecken kann. Sie will ihr ganzes Leben nur mit Freude ausfüllen, und dazu ist ihr jedes Mittel recht. Und wenn Graf Guiche sie noch zehnmal so innig liebt, sie wird ihn nie lieben.«

»Seien Sie froh, daß nur unsere Ohren das hören, liebe Luise,« antwortete die Tonnay-Charente. »Uebrigens muß ich Madame in Schutz nehmen. Man muß eine gewisse Herrschaft über seine Gefühle behalten und sich auch von der Liebe nicht völlig unterjochen lasten, nur dann bleibt man Königin. Solange man jung ist, darf man sich lieben und anbeten lassen, ohne selbst allzu sehr wiederzulieben. Wenn man alt und nicht mehr schön ist, dann mag das Herz, das zärtliche Gefühl, die Wärme von innen die Mängel des Aeußeren zu ersetzen suchen.« – »Sehr gut, Athenais!« rief die Montalais. »Sie werden es noch zu etwas bringen.« – »Das nennt man kokett sein,« fuhr die künftige Madame von Montespan fort, »in Wahrheit ist es nur Lebensklugheit. Aber ich gestehe, es gehört eine gewisse Begabung dazu, diese seine Mischung von Sprödigkeit und Gewährung richtig zu treffen, Huldigungen auszuteilen und doch keine Lücke in dem festen Panzer des Herzens zu zeigen, unüberwindlich zu bleiben und doch alle Männer an sich zu fesseln. Wer die Kunst besitzt, hat den Marschallstab der weiblichen Herrscherin.« – »O, wie klug Sie sind!« rief Fräulein Aure. – »Abscheulich!« flüsterte die Lavallière. »Sie sprechen, als hätten Sie nichts von allem dem, was uns zu Menschen macht! Und es ist doch eine so schöne Welt!«

»Wahrlich, eine schöne Welt!« versetzte die Tonnay-Charente, ein wenig pikiert, »wo der Mann die Frau durch Schmeicheleien kirrt und, sobald sie gefallen ist, mit Hohn von sich stößt.« – »Warum muß sie denn fallen?« antwortete Luise. – »Eine neue Theorie!« rief Athenais. »Wie wollen Sie sich dagegen schützen, besiegt zu werden, wenn Sie sich einmal von der Liebe fortreißen lassen?«

»O, Sie wissen nicht, was ein liebendes Herz ist!« sagte Luise und schlug die schönen blauen Augen zum Himmel auf. »Ein liebendes Herz hat ja viel mehr Macht als all Ihre Koketterie. Den Wahn, von Koketten angebetet zu werden, lasse man den alten Gecken. Ein echter und rechter Mann glaubt nur an echte und rechte Liebe – und er liebt, wenn er sich geliebt weiß. Sinnenrausch, Verblendung, Tollheit – dazu kann eine Kokette den Mann fortreißen; aber Liebe wird sie ihm nie einflößen. Aber nicht von einer Seite darf das Opfer kommen, es muß eine völlige Hingebung zweier Seelen sein, die ineinanderfließen, ganz eins zu werden streben.«

»O, der glückliche Rudolf von Bragelonne!« sagte Athenais spitz. »Er kann stolz sein, daß er so geliebt wird!« – Und sie schlug ein lautes Gelächter an, in das Montalais einstimmte. – »Bragelonne und glücklich?« sagte diese. »Er liebt sie schon seit zwölf Jahren und ist heute noch keinen Schritt weiter als am ersten Tage.« – »Dann ist Ihre Liebe nichts weiter als eine Unterabteilung der Koketterie, liebe Luise,« sprach Athenais. »Sie üben diese Koketterie nur aus, ohne zu ahnen, daß es eine solche ist. Es ist bei Ihnen dasselbe Manöver wie bei mir: ein zweckloses Anfachen der Leidenschaften.«

»Was du nur redest, Aurel« rief die Lavallière. »Vor zwölf Jahren war ich fünf Jahre alt. Die Hingebung eines Kindes kann dem Mädchen nicht angerechnet werden.« – »Jetzt aber bist du 17 Jahre,« antwortete Aure. »Nehmen wir also nur drei Jahre an, so bist du doch aber diese drei Jahre lang systematisch grausam gegen den Grafen von Bragelonne gewesen.« – »Was soll ich dagegen sagen?« erwiderte Luise kleinlaut. »Vielleicht glaube ich nur zu lieben – liebe aber in Wahrheit nicht – ich weiß es selbst nicht – vielleicht ist meine Zeit noch nicht gekommen.«

»Luise, Luise!« rief die Montalais, »dann sei wenigstens nicht länger grausam gegen den armen Vicomte! Wenn du ihn nicht liebst, so sage es ihm offen.« – »Und dabei bedauerten Sie doch eben noch so warmherzig den Grafen von Guiche?« setzte die Tonnay-Charente hinzu. »Sie haben mit ihm also mehr Mitleid als mit Bragelonne?« – »Verspotten Sie mich nur,« antwortete die Lavallière, »Sie verstehen mich ja doch nicht!« – »Wie? Tränen, Luise?« sagte die Montalais. »Nicht doch, wir scherzen ja nur. Sieh Athenais an – sie macht Herrn von Montespan Hoffnungen und liebt ihn doch nicht. Sieh mich an! Ich lache über Malicorne und reiche ihm doch die Hand zum Kusse. Und doch sind wir nicht viel älter als du. O, wir haben alle drei eine große Zukunft.«

»Wie närrisch ihr seid!« rief die Lavalliere. – »Da haben Sie ein wahres Wort gesprochen!« lachte die Tonnay-Charente. »Und so lieben Sie Herrn von Bragelonne nicht?« – »Sie ist sich noch nicht klar darüber,« sagte die Montalais. »Aber wenn sie ihn frei gibt, dann kann ich Ihnen nur raten, liebe Athenais, sehen Sie ihn sich einmal näher an. Er ist ein stattlicher Kavalier.« – »O, er kann sich doch mit Herrn von Guiche nicht messen,« meinte Athenais. – »Herr von Guiche wird bald wieder in Ungnade fallen, verlassen Sie sich darauf,« antwortete Fräulein Aure. – »Nun, dann haben wir noch den Herrn von Saint-Aignan, der ist auch etwas wert, nicht wahr, liebe Lavallière?«

»Warum fragen Sie mich danach?« erwiderte diese. »Mir sind alle gleich.« – »Wie? so hat Ihnen in der glänzenden Versammlung, die wir heute sahen, keiner besonders gefallen?« fragte Athenais. – »Das sage ich nicht,« entgegnete Luise. – »Dann lassen Sie hören, wer Ihr Ideal ist.« – »Wahrhaftig, ich begreife Sie nicht!« rief die Lavallière, in die Enge getrieben. »Wie kann man von den Herren Bragelonne, Guiche, Aignan, oder wie sie heißen mögen, sprechen, wenn man den König gesehen hat!«

Diese Worte, die sie offenbar in der Uebereilung aussprach, riefen bei ihren Freundinnen einen wahren Sturm der Ueberraschung hervor. – »Der König! Der König!« riefen beide wie aus einem Munde. – Die Lavallière erschrak nun selbst über die Unbedachtsamkeit, neigte den Kopf und schlug die Hände vors Gesicht. – »Das muß man sagen, Geschmack haben Sie,« sprach die Tonnay-Charente. »Mit dem König läßt sich schlechterdings keiner vergleichen. Aber Sie sehen da ein bißchen zu weit, liebe Luise. »Der König steht jenseits der Kavaliere, auf die uns armen Mädchen die Augen zu richten vergönnt ist.« – »Warum soll ich nicht die Sonne anschauen dürfen?« versetzte die Lavallière schwärmerisch. »Ist es doch meine Sache, ob meine Augen geblendet werden!«

Als Luise diese Worte gesprochen, erklang ein Rascheln und Knistern in dem Gebüsch neben den Damen; sie schreckten auf und ergriffen rasch die Flucht; glaubten sie doch, ein Wildschwein oder gar ein Wolf habe sich in ihre Nähe geschlichen. Sie liefen auf der ersten besten Allee entlang, die aus dem Walde herausführte, und blieben erst stehen, als sie die nächste Rasenfläche erreicht hatten. Hier schmiegten sie sich aneinander und schöpften Atem. Die Lavallière war ganz erschöpft. Sie hatte sich nur mit größter Anstrengung an der Seite ihrer leichtfüßigeren Freundinnen halten können; jetzt vermochte sie nicht weiterzugehen. Aure und Athenais wollten sie führen, denn sie erkannten jetzt an einigen durch die Gesträuche schimmernden Lichtern die Richtung, in der das Schloß lag.

»Wir sind noch glücklich davongekommen,« sagte die Montalais. – »Ach, Freundinnen,« antwortete Luise, »ich fürchte, es war noch etwas Schlimmeres als ein Wolf. O, wie konnte ich nur so sprechen!« Sie ließ den Kopf sinken, ihre Knie wankten, die Kräfte verließen sie. Bewußtlos fiel sie auf den Rasen.

Die drei fliehenden Mädchen hatten die Königseiche kaum verlassen, als zwei Männer aus dem Gebüsch, in dem sie es hatten rascheln hören, hervortraten. – »Majestät,« sagte der eine von ihnen, »nun haben wir sie vertrieben.« – »Wir müssen sie einholen, Saint-Aignan,« sagte der zweite, kein anderer als Ludwig XIV. – »Und ich glaube, sie werden sich gern einholen lassen, wenn sie nur erst merken, daß wir keine wilden Tiere sind,« antwortete der Hofmeister. – »Wieso meinst du –?« – »Nun, die eine hat Eure Majestät nach ihrem Geschmack gefunden, die andere mich,« erwiderte Saint-Aignan. »Wir müssen auskundschaften, wer diese drei Nymphen gewesen sind.« – »O, die eine wenigstens werde ich sofort an der Stimme wiedererkennen,« sagte der König. »Die Holde, die von mir sprach, hatte ein seltsam schönes, weiches und warmes Organ.«

»Die Stimme allein macht es nicht, Majestät,« sagte der Hofmeister. »Oder wollen Sie über die bloßen Klänge dieser Stimme schon die kleine Schwärmerei vergessen, zu deren Vertrauten Sie mich eben zu machen geruhten? Schöne Augen sind doch mehr wert als eine schöne Stimme – und die Augen der kleinen Lavallière –!« – »Du bist ein schrecklicher Schwätzer, Saint-Aignan,« sagte der König mit gut gespieltem Verdruß. »Wehe dir aber, wenn du plauderst! Wenn ich erfahre, daß morgen schon alle Welt um meine Absichten auf die Lavallière weiß, dann werde auch ich wissen, wer mich verraten hat, denn niemand als dir habe ich etwas davon gesagt.«

»O, welche Heftigkeit, Sire!« – »Du begreifst doch, ich möchte das arme Kind nicht kompromittieren. Versprich mir also –« – »Mein Wort darauf!« – »Gut,« dachte Ludwig, »morgen weiß es der ganze Hof, daß ich heute nacht der Lavallière nachgelaufen bin. Und nun,« setzte er laut hinzu, »laß uns ein wenig Jagd auf diese Schönen machen. Ich muß gestehen, dieses naive Geständnis, diese ganz uneigennützige Vergötterung von seiten eines Mädchens, das vielleicht von mir niemals beachtet werden wird, mit einem Wort, das Geheimnisvolle dieses Abenteuers reizt mich, und wenn ich es nicht auf die Lavallière abgesehen hätte –« – »O, deshalb hätten Majestät immer noch zu einem kleinen Abstecher in der Liebe Zeit genug; man sagt, die Lavallière sei sehr spröde.« – »Du reizest mich noch mehr, Saint-Aignan. Ich würde sie gern finden!« rief der König. – Er log: es lag ihm nichts daran, aber er hatte eine Rolle zu spielen.

Sie eilten über den Rasen. Da schlugen plötzlich Hilferufe an ihr Ohr. Sie liefen nun schnell der Stelle zu und fanden drei Damen, von denen eine am Wege stand und rief, während die zweite neben der am Boden liegenden dritten kniete. Der König trat ohne Umstände herzu. – »Was gibt es, meine Damen?« rief er. – »O Gott, Seine Majestät!« rief die Montalais und ließ in ihrer Bestürzung den Kopf der Lavallière fallen, die nun vollends auf den Rasen sank. – »Ja, ich bin es, und ich will Ihnen helfen. Was ist Ihrer Freundin geschehen?« antwortete Ludwig. »Wer ist sie?« – »Das Fräulein von Lavallière, Sire. Sie ist in Ohnmacht gefallen.« – »Das arme Kind!« rief der König. »Saint-Aignan, eilen Sie, einen Arzt zu holen. Doch nein, ich will selbst gehen. Bleiben Sie so lange bei den Damen!« Der König sprach diese Worte zwar mit großer Besorgnis und entfernte sich auch in großer Hast, doch hatte Saint-Aignan dennoch das Gefühl, als käme ihm diese Teilnahme nicht von Herzen. Ton und Gebärde erschienen ihm kalt.

Saint-Aignan wartete nicht, sondern rief einige Parkhüter herbei, die die Ohnmächtige trugen. Sie kam jedoch schon unterwegs zur Besinnung und konnte den Weg zum Schlosse zu Fuße vollenden. Inzwischen eilte der König, froh, einen Anlaß zu einem Besuche zu haben, in die Gemächer der Herzogin von Orléans.

»Sire, das sieht nicht nach Gleichgültigkeit aus,« sagte Madame scherzend. – »Wir haben einen Vertrag abgeschlossen, der meine Kräfte übersteigt,« antwortete Ludwig. »Haben Sie schon von dem Unfall gehört? Doch nein, ich komme ja eben her, es Ihnen zu erzählen. Das Fräulein von Lavallière, unsere Marionette, wenn ich so sagen darf, hat im Park einen Ohnmachtsanfall erlitten.« – »Das arme Kind,« sagte die Herzogin. »Wie ist es zugegangen? Und Sie wollen eine feurige Liebe zu diesem Mädchen zur Schau tragen und sind bei mir, während sie ohnmächtig ist.« – »Sie denken an alles, Henriette,« antwortete der König, »Sie haben mehr Talent als ich, eine Rolle zu spielen. Gut, ich verlasse Sie, um mich persönlich davon zu überzeugen, ob es der Kranken besser geht.«

Unterwegs begegnete der König dem Grafen von Saint-Aignan. – »Sire,« rief der Hofmeister, »denken Sie doch nur, die drei Damen, die wir getroffen haben, waren unsere drei Schwätzerinnen. Ich habe die Stimme derjenigen erkannt, die sich so lebhaft für meine Person interessierte. Es ist das Fräulein von Tonnay-Charente.« – »Entschieden eine Eroberung, Graf,« antwortete die Majestät. »Mich beschäftigt jetzt aber nur die Ohnmächtige. Wie geht es ihr? Führen Sie mich in das Zimmer, in das Sie sie gebracht haben.« – »Majestät werden Ihre Bewunderin auch leicht an der Stimme wiedererkennen,« sagte Saint-Aignan mit vielsagendem Lächeln.

Wenige Minuten später trat Ludwig XIV. bei Fräulein Luise von Lavallière ein. Sie ruhte in einem Armstuhle am offenen Fenster und atmete die würzige Nachtluft. Durch die zerdrückten Spitzen ihres Hemdes schimmerte das zarte Rosa des Busens; die blonden Locken fielen entfesselt auf die Schultern. In ihren schmachtenden Augen standen Tränen. Die Blässe ihres Gesichts hatte einen unbeschreiblichen Reiz, und etwas Rührendes, Edles lag in der Haltung ihrer regungslosen Arme, ihres anscheinend noch leblosen Körpers. Der König trat ein, ohne daß sie ihn zunächst bemerkte, und betrachtete das liebliche Gesicht, auf das der milde Schein des Mondes fiel. – »Mein Gott,« sagte er, »sie ist wohl tot?« – »Nein, Majestät,« flüsterte die Montalais, »sie befindet sich vielmehr besser. Luise, Seine Majestät geruhen, sich nach deinem Befinden zu erkundigen.«

»Der König!« rief die Lavallière und richtete sich plötzlich auf, von jäher Nöte übergossen. »Der König fragt nach mir? Der König ist selbst gekommen?« – »O, diese Stimme!« flüsterte Ludwig seinem Hofmeister zu, der mit dem Kopf nickte. – »Majestät haben recht,« sagte der Graf leise, »es ist die Sonnenverehrerin.« – »Still!« gebot der König und trat auf Luise zu. »Sie sind nicht wohl. Fräulein?« Soeben sah ich Sie in Ohnmacht. Wie ist das gekommen?« – »Majestät, ich weiß es selbst nicht,« stammelte die Lavallière. – »Sie sind gewiß zu weit gelaufen und müde geworden,« sagte Ludwig. – »Nein, Majestät, wir haben ja ganz still unter der Königseiche gesessen,« warf die Montalais ein. »Wir plauderten miteinander, da glaubten wir, einen Wolf oder sonst ein Tier im Gebüsch hinter uns zu hören, und das hat uns allen einen heftigen Schreck verursacht.«

»O, Fräulein,« rief der König mit einer Teilnahme, die er nicht mehr zu verbergen vermochte, »fürchten Sie nichts: es war nur ein zweibeiniger Wolf.« – »Ein Mann?« fragte die Lavallière. »O, mein Gott, so hat man gehört, was ich gesprochen habe.« – »Und schadet das denn etwas?« antwortete der König. »Haben Sie etwas gesagt, das niemand hören durfte?« – Luise verbarg den Kopf in den Händen. »O, mein Gott!« stammelte sie. »wer war es denn, der uns belauschte?« – »Ich,« antwortete der König und ergriff ihre Hand. »Fürchten Sie nichts von mir!«

Die Lavallière stieß einen lauten Schrei aus. Abermals schwanden ihre Kräfte, und sie wäre ohnmächtig auf den Boden gefallen, wenn der König nicht aufgesprungen wäre und sie in die Arme genommen hätte. Die beiden andern Mädchen, die Montalais und die Tonnay-Charente, waren selbst so bestürzt über die Lösung des Rätsels, daß sie nicht zuzugreifen wagten.

Ludwig XIV kniete auf dem Teppich und hielt Luise umfangen. Ihr entfesselter Busen lag vor seinem Blicke bloß, ihr Kopf ruhte auf seiner Schulter, ihre Locken fielen über seine Brust. Er vernahm das stürmische Klopfen ihres Herzens. Tief ergriffen, war er selbst nahe daran, die Besinnung zu verlieren, in so heftiger Wallung strömte ihm das Blut zu Kopfe, als er diese schöne jugendliche Gestalt so eng umschlungen hielt. Da sprang endlich die Montalais beherzt hinzu und hob Luise auf.

»Meiner Treu, das ist ein Ereignis!« rief Saint-Aignan. »Ich muß der erste sein, der das weitererzählt.«

Der König trat mit bebenden Lippen und geballter Faust auf ihn. »Graf!« flüsterte er, »kein Wort darüber!« – Aber die arme Majestät vergaß, daß sie vor einer Stunde noch dem Grafen denselben Befehl gegeben hatte, freilich in ganz entgegengesetzter Absicht – nämlich mit dem Wunsche, er möchte trotzdem indiskret sein. Der zweite Befehl wurde nun infolgedessen auch nicht ernst genommen.

Eine halbe Stunde später wußte denn auch ganz Fontainebleau, daß die Montalais, Tonnay-Charente und Lavallière bei einem intimen Gespräch, in welchem die letztere ihre Liebe zum König ausgeplaudert hatte, von diesem selbst belauscht worden waren, und daß der König gleich darauf gar noch die ohnmächtige Lavallière fast fünf Minuten lang in den Armen gehalten. Das war natürlich ein großes Ereignis, und alle Welt schwur darauf, Majestät liebe die Lavallière. Die Königin-Mutter hatte nichts Eiligeres zu tun, als die Nachricht ihrem zweiten Sohne zu überbringen, mit dem Bemerken, er brauche nicht mehr eifersüchtig zu sein. Den gleichen Trost spendete sie ihrer Schwiegertochter, der Infantin von Spanien. – Philipp von Orléans frohlockte und suchte seine Gemahlin auf. Madame wußte nicht recht, was sie davon halten sollte, nahm jedoch in der festen Ueberzeugung, es sei dabei manches stark übertrieben, und eine Lavallière könne ihr das Herz des Königs nicht streitig machen, die Nachricht zunächst ein wenig skeptisch auf. – »Ei,« sagte sie, »die Lavallière soll doch verlobt sein?« – »Ganz recht, mit dem Grafen von Bragelonne,« antwortete Philipp, »aber das Merkwürdige ist ja eben, daß der König selbst sich gegen dieses Verhältnis erklärt hat, indem er sein Einverständnis zur Eheschließung verweigert hat.« – »Was sie sagen?« rief Madame, ein wenig betroffen. »Nun, so müssen die Liebenden warten, bis Majestät andern Sinnes wird. Das Paar ist jung, sie haben beide noch Zeit. Und dieses offenherzige Bekenntnis, das die Lavallière unter der Königseiche sprach – wann hat sie es denn eigentlich abgelegt?« – »Etwa vor zwei Stunden.« – Nun stutzte Madame ernstlich. »Wie?« murmelte sie wie zu sich selbst, »der König war seitdem schon wieder bei mir und hat mir gar nichts davon gesagt.« – »Begreiflich!« lachte Orléans, »hat er doch befohlen, nichts auszuplaudern. Es sollte alles ganz geheim gehalten werden.« – Die Prinzessin fühlte sich verletzt. Unbedingt mußte sie sofort mit dem König selbst sprechen. Sobald sie allein war, sandte sie ihm ein Billett, und Majestät erschien, denn obwohl sich in wenigen Stunden eine so große Wandlung mit ihm vollzogen hatte, daß er für die Prinzessin nichts mehr empfand, so zeigte er sich doch noch immer liebenswürdig und zuvorkommend.

Da er das Gespräch nicht auf Fräulein von Lavallière lenkte, so fragte Madame nach dem Befinden ihrer Ehrendame. – »Immer noch schlecht,« antwortete Ludwig anscheinend gleichgültig. – »Das Gerücht, das wir unter die Leute bringen wollten,« sagte sie, »hat sich sehr rasch verbreitet.« – »Fast rascher, als wir wünschten,« antwortete der König zerstreut. – Madame schwieg und wartete, ob er etwas von dem Abenteuer unter der Königseiche erzählen würde; aber er sprach kein Wort davon. Madame kam auch nicht darauf zu sprechen, so daß, als der König Abschied nahm, beiderseits jede vertrauliche Mitteilung unterblieben war.

Kaum war der König gegangen, so beschied sie Saint-Aignan zu sich, und von ihm erfuhr sie nun alles bis auf die kleinsten Einzelheiten; denn er wünschte sich nichts Besseres, als die Anekdote einem Mitglieds der königlichen Familie zu erzählen. – »Und glauben Sie denn, Herr Graf,« fragte sie, »das Geständnis der Lavallière habe einen tiefen Eindruck auf den König gemacht?« – »Sie hat ihn mit der Sonne verglichen,« antwortete er, »und das ist sehr schmeichelhaft.« – »Der König läßt sich durch solche Schmeicheleien nicht fangen,« meinte sie. – »Der König ist ebensosehr Mensch wie Sonne,« sagte der Hofmeister, »und ich habe es eben mitangesehen, wie er die Lavallière im Arm gehalten hat. Ihr Busen ruhte an seiner Brust, ihre Locken fielen über seine Schulter, ja ihre Wange ruhte an der des Königs.« – Madame stieß ein krampfhaftes Gelächter aus. »Ich danke Ihnen, Graf!« rief sie, »Sie sind ein scharmanter Erzähler.«

3. Kapitel. Unter der Königseiche

Madame rief am folgenden Abend Athenais von Tonnay-Charente zu sich. »Führen Sie mich doch einmal zu jener Königseiche, liebe Athenais,« sagte sie. »Ich möchte doch gar zu gern den Schauplatz dieses romantischen Abenteuers, in das Sie ja auch verwickelt sind, mit eigenen Augen sehen. Glauben Sie wirklich, der König habe alles gehört, was Sie gesprochen haben?«

»Jedenfalls hat er alles gehört, was die Lavallière gesprochen hat,« antwortete Athenais boshaft; denn sie durchschaute das Spiel der eifersüchtigen Herzogin. – »Ich würde gern einmal eine Probe anstellen, ob wirklich dort die Akustik so gut ist,« lachte Madame. Aber ihr Lachen klang doch recht gezwungen, wie der Ton einer Trompete, die einen Sprung hat. »Zeigen Sie mir diese famose Eiche.«

Athenais führte die Herzogin. – »Hier ist es, Königliche Hoheit.« – »Nun wollen wir doch gleich einmal hören, ob man wirklich verstehen kann –« – »Still!« flüsterte Athenais und hielt Madame mit einer Heftigkeit zurück, die gegen die Etikette war. »Hören Sie wohl? Hören Sie nun, daß man alles versteht?« – »In der Tat, es spricht jemand,« flüsterte Madame. Sie hielt den Atem an und vernahm nun die folgenden, von einer wohlklingenden Stimme gesprochenen Worte: »Ich sage dir, Rudolf, ich liebe sie rasend, ich werde sie lieben, koste es mich auch das Leben!«

Die Prinzessin fühlte sich von einem Schauer der Freude durchbebt, als sie diese Stimme hörte; ihre Augen blitzten. Sie zog ihre Begleiterin ein Stück weit zurück, bis man nichts mehr hören konnte. »Warten Sie hier, Athenais,« befahl sie leise, »und geben Sie acht, daß niemand uns überrascht. Ich glaube nämlich, in diesem Gespräch dort drüben ist von Ihnen die Rede. Da will ich einmal horchen. Wenn wir beide zusammen hier bleiben, könnten wir entdeckt werden. Erwarten Sie mich am Saum des Waldes.« Und da die Tonnay-Charente zögerte, setzte sie schroff hinzu: »Gehen Sie!« – Athenais raffte ihr seidenes Kleid und entfernte sich langsam. Die Herzogin kehrte zu dem Gebüsch zurück, in dessen tiefem Schatten sie sich verbarg. – »Ich bin doch begierig, zu hören,« dachte sie. »was Graf von Guiche, dieser verliebte Narr, Herrn Rudolf von Bragelonne von mir zu sagen hat.«

Nach einem kurzen Schweigen ergriff Rudolf das Wort. Er lehnte am Stamme, während sein Freund auf der Bank von Moos saß. – »Lieber Junge,« sprach Bragelonne, »deine Liebe ist dein Unglück. Sie wächst über dich selbst hinaus. Du gehörst dir nicht mehr selbst; der Wahnsinn schlägt über deinem Haupte zusammen wie eine Flut, die dich verschlingt, wie ein Feuer, das dich verzehrt. Und das schlimmste ist, deine Liebe ist so groß, daß sie nicht mehr zu verbergen ist. Alle Welt sieht sie dir an. Du kannst kein Geheimnis mehr daraus machen. Deine Rückkehr ist eine entsetzliche Unbesonnenheit gewesen. Wenn du nicht in letzter Stunde noch dich gewaltsam aufraffst, so steht die Katastrophe nahe bevor; und daß sie ein dir verhängnisvolles Ende nehmen muß, darüber bist du dir wohl nicht im Zweifel. Wer soll dich retten? Sie etwa? Auch sie kann dich von der Anklage dieser sträflichen Liebe, mag sie selbst auch sie nicht geteilt haben, nicht erretten.«

»Mag es so kommen,« antwortete der Graf. »Was ist der Tod? Ich lebe ja jetzt schon nicht mehr; denn ich lebe nur durch sie. Ich bin kein Mensch mehr; meine Kräfte sind erschöpft, meine letzten Entschlüsse sind verschwunden – ich gebe den Kampf auf. Sieh, als ich in dem Ballett trotz der königlichen Verbannung erschien, da dachte ich: du wagst dein Leben, es ist so nicht mehr viel wert. Und sie empfing mich freundlich; ich lebte auf in neuer Hoffnung. Was ist daraus geworden? Nicht ein Wort hat sie mit mir gesprochen – nicht einen Blick hat sie mir nachher noch vergönnt. Als der Tanz beendet war, hatte auch meine Person wieder ausgespielt. Zuerst habe ich mit mir selber gekämpft, dann habe ich gegen Buckingham gekämpft – mit dem König aber kann ich es nicht aufnehmen. Und selbst wenn der König zurücktritt, wo ist die Gewähr, daß ich glücklich würde? Sie ist ja gefühllos.«

»Du kannst ihr keinen Vorwurf machen,« erwiderte Bragelonne, »es ist ihr Temperament: ein wenig leichtfertig und wetterwendisch. Ich gebe zu, wer sein Herz noch nicht vergeben hat, kann sie nicht ansehen, ohne sie zu lieben, denn sie ist schön. Aber du solltest in ihr doch den Rang ihres Gemahls achten und vor allem auf deine eigene Selbstachtung und Sicherheit bedacht sein.« – »O, sprich nicht soviel Gutes von ihr,« fiel Guiche ihm ins Wort. »Ich kenne sie besser: sie ist nicht leichtsinnig, sondern frivol, nicht wetterwendisch, sondern charakterlos. Kurz, sie ist eine raffinierte Kokette ohne Herz. Sie könnte mit kaltem Blute ihr Opfer sterben sehen. O. Rudolf, ich habe Mut und kenne keine Furcht; ich liebe alle Gefahren leidenschaftlich – aber hier ist eine Gefahr, die meine Kraft und meinen Mut übersteigt. Und dennoch will ich noch über sie triumphieren. Ich werde vor sie hintreten und ihr zurufen: Ich liebte Sie bis zum Wahnsinn, ich warf mich vor Ihnen in den Staub, aber Sie haben mich in herzloser Laune und in kalter Grausamkeit mit den Füßen getreten. Ob Sie auch eine Prinzessin von königlichem Blute sind, Sie sind der Liebe eines Ehrenmannes nicht wert. Meine Liebe war eine Torheit, für die ich mir selbst die Todesstrafe auferlege, aber ich werde sterben mit dem Gefühl des Hasses wider Sie! Ich verlasse mein Vaterland, in der Fremde wird vielleicht ein Ungar, ein Kroate oder ein Türke die Barmherzigkeit haben, mir eine Kugel in die Brust zu jagen.«

Von Guiche verstummte. Das Gebüsch teilte sich – eine weibliche Gestalt, bleich, doch mit königlicher Haltung erschien vor den jungen Männern. Sie erkannten Lady Henriette. Der Graf sprang auf und stand da wie versteinert. Rudolf war keines Wortes fähig. – »Herr von Bragelonne,« sagte die Herzogin mit leise bebender Stimme, »haben Sie die Güte, sich umzuschauen, ob meine Damen in der Nähe sind. Sie, Graf Guiche, bleiben hier. Ich bin ermüdet. Geben Sie mir Ihren Arm.« – Bragelonne ging wie ein Träumender.

Von Guiche stand hochaufgerichtet vor Henriette, die diese Worte in kaltem, strengem Tone gesprochen hatte. Dann verneigte er sich mit der Grazie, die ein Hofmann noch auf dem Schafott bewahren würde, und reichte Henriette den Arm. Sie waren allein – rings um sie her lag der dunkle, schweigende Wald. Madame führte den Grafen von dem indiskreten Baume fort, der so vieles gehört und wiedergesagt hatte, bis sie eine Lichtung erreichten. – »Ich gehe hierher mit Ihnen.« sagte sie, »weil dort, wo wir zuerst standen, alles zu hören war.«

»Hoheit, wollen Sie damit sagen –?« – »Daß ich alles gehört habe, was Sie sprachen, ja!« – »O, mein Gott, das hat noch gefehlt,« stieß Guiche hervor. – »Und Sie beurteilen mich im Ernst so schlecht?« fragte sie. – Guiche senkte den Kopf und schwieg. – »Gut,« fuhr sie fort, »diese Aufrichtigkeit ist mir lieber als eine Schmeichelei. Ich bin für Sie also eine verachtungswürdige Kokette –« – »Verachtungswürdig?« rief der Graf. »Sie? O, nein, das kann ich nicht gesagt haben. Ich kann nicht verachtungswürdig genannt haben, was mir das Kostbarste auf Erden ist.«

»Ein Weib, das ruhig zusieht, wie ein Mann an dem von ihr angezündeten Feuer umkommt, ist verachtungswürdig,« antwortete Henriette. »Nun, Herr Graf. Sie sollen nicht durch mich ums Leben kommen. Ich will anders gegen Sie sein. Aufrichtig bin ich schon immer gewesen, ich will nun auch wahr sein. Und deshalb, Herr Graf, bitte ich Sie, lieben Sie mich nicht mehr und vergessen Sie, daß ich jemals einen Blick, ein Wort mit Ihnen getauscht habe. Verzeihen Sie mir meine Koketterie, und ich will Ihnen verzeihen, daß Sie mich sogar frivol und charakterlos genannt haben. Lassen Sie die Todesgedanken und erhalten Sie Ihrer Familie, dem König und den Damen einen Kavalier, der von allen geachtet und von vielen geliebt wird.« – Sie sprach diese letzten Worte in einem so zärtlichen Tone, daß dem armen Guiche das Herz zerspringen wollte. – »Madame, Madame!« rief er. – »Wenn Sie meine Bitte erfüllt haben,« fuhr die Herzogin fort, »dann wird an die Stelle dieser Liebe aufrichtige Freundschaft treten. Wenn Sie mir diese bieten, so werde ich sie von ganzem Herzen aufnehmen.«

Dem Grafen rann kalter Schweiß von der Stirn; er hatte den Tod im Herzen, ein Schauer durchbebte ihn; er biß sich auf die Lippe und murmelte tonlos: »Das kann nie geschehen. Aus Freundschaft kann wohl Liebe werden – doch aus Liebe, aus wahrer Liebe wird nimmermehr Freundschaft! Madame, Sie können mich verstoßen, Sie können mich verfluchen – Sie werden recht daran tun, denn ich habe Sie beleidigt. Aber es geschah aus Liebe. Ich will den Tod erleiden, aber sterbend noch werde ich Sie lieben.«

»Dann,« antwortete sie mit heiterem Lächeln, »ist das Uebel unheilbar und muß mit schmerzstillenden Mitteln behandelt werden. Geben Sie mir Ihre Hand! O, wie kalt ist sie.« – Von Guiche kniete ungestüm nieder und preßte die Lippen nicht auf eine, sondern auf beide Hände der Prinzessin. Sie zog ihn zu sich empor. – »Da es nicht anders sein kann,« flüsterte sie, »so lieben Sie mich nur!« – Guiche zitterte am ganzen Körper, und die Prinzessin fühlte dieses Beben und erkannte daran, wie tief seine Liebe war. – »Ihren Arm, Graf!« sagte sie. »Lassen Sie uns nach Hause gehen.« – »Königliche Hoheit,« stammelte der Graf, »haben ein drittes Mittel gefunden, mich zu töten.« – »Aber es ist glücklicherweise das langwierigste,« antwortete sie.

7. Kapitel. Feindseligkeit

Am Abend desselben Tages, an welchem Lord Buckingham diese Unterredung mit der Königin-Witwe hatte, trafen die Grafen de la Fère und von Bragelonne in Paris ein. Rudolf ließ sofort für seinen Vater um eine Audienz beim König bitten. Majestät hatte eben die Spielpartie aufgehoben, um noch mit Fouquet und Colbert zu arbeiten. – »Ich habe noch eine Stunde für mich,« sagte der König. »Man lasse den Grafen de la Fère vor.«

Athos wurde mit jenem Wohlwollen empfangen, das Ludwig XIV. mit einem für seine Jugend überraschenden Takt zu äußern verstand. »Graf,« sagte er, »gestatten Sie mir zu hoffen, daß Sie etwas von mir zu erbitten haben.« – »Ich komme wirklich mit einer Bitte, Majestät,« antwortete Athos. »Doch nicht für mich, Sire, sondern für den Grafen von Bragelonne.« – »Das ist für mich dasselbe, als wenn es sich um Ihre eigene Person handelte,« sagte der König. »Sprechen Sie Herr Graf.« – »Mein Sohn wünscht sich zu vermählen. Er bittet um die Einwilligung Eurer Majestät.«

»Hat er ein reiches, standesgemäßes Fräulein ausgesucht?« fragte Ludwig XIV. – Athos zögerte. »Die Braut ist adelig,« antwortete er dann. »Doch nicht reich.« – »Das ist ein Uebel, dem wir abhelfen werden,« erwiderte der junge Monarch. – »Darum ist es mir nicht zu tun mit meiner Herkunft,« antwortete Athos fest. – »Nun, kein falsches Zartgefühl, Graf,« sagte der König. »Wie heißt die Braut?« – »Fräulein von Labaume-Leblanc und von Lavallière.« – »Den Namen kenne ich,« sagte Ludwig XIV. nachsinnend. »Ein Marquis von Lavallière – doch er ist tot, wie? Ganz recht, und die Witwe heiratete noch einmal – einen Herrn von Saint-Rémy. Nun, der verdirbt die Familie ein bißchen, aber Lavallière ist gut. Das Fräulein ist jetzt Ehrendame bei Madame, nicht wahr? Mich dünkt, Graf, die Dame ist nicht sehr hübsch.« – »Mein Sohn liebt sie,« antwortete Athos. – »Ich habe nichts Besonderes an ihr gefunden,« sagte der König. »Hübsches blondes Haar allerdings und schöne blaue Augen – aber sonst –«

Athos zuckte die Achseln. – »Sie setzen mich in Erstaunen, Graf,« fuhr die Majestät fort. »Sie bitten um die Einwilligung zu dieser Heirat, aber Ihnen selbst scheint nicht viel daran gelegen zu sein. Doch, doch! Ich täusche mich selten, so jung ich auch bin. Sie tun es mit offenbarem Widerstreben.« – »Ich will ganz offen reden, Sire,« antwortete Athos, sich verneigend. »Bragelonne erträumt sich von dieser Ehe ein Paradies, und sein Glück liegt auch mir am Herzen. Doch gestehe ich aufrichtig, ich glaube nicht recht an die Liebe des Fräuleins. Sie ist fast noch ein Kind. Sie ist nun am Hofe einer jungen schönen Prinzessin, da wird sie in ihrer Freude an dem Hofleben nicht viel Sinn für einen zärtlichen Liebhaber übrig haben. Kurz, ich fürchte, es wird eine Ehe, wie wir deren viele bei Hofe haben. Doch Bragelonne will es so, also möge es geschehen.«

»Nun, auch mir liegt das Glück des Grafen von Bragelonne am Herzen,« antwortete der König entschlossen, »und deshalb verweigere ich meine Einwilligung.« – »O, Sire! welch ein Schlag für Bragelonne!« – »Den Schlag werde ich ihm selbst geben. Uebrigens sage ich ja auch gar nicht, daß er das Fräulein von Lavallière nicht heiraten solle. Ich verlange nur, daß er warte. Ich gedenke ihn besonders auszuzeichnen, er soll sich dieser Gunst erst würdig zeigen. Und auch dem Fräulein muß man Zeit lassen, ihr Glück bei Hofe zu machen. Die beiden sind noch jung. Kurz und gut, ich will, daß sie warten. Hatten Sie mir sonst noch etwas zu sagen?«

»Nichts weiter, Sire – ich nehme meinen Urlaub, um meinem Sohne diesen Bescheid zu bringen.« – »Ersparen Sie sich diese unangenehme Botschaft. Sagen Sie ihm nur, ich würde morgen vormittag selbst mit ihm sprechen. Herr Graf, Sie werden heute abend an meiner Spielpartie teilnehmen.« – Athos ging mit einer Verneigung hinaus. Draußen erwartete ihn Bragelonne. – »O, Sie bringen mir keine gute Nachricht!« rief der junge Mann nach einem Blick auf das Gesicht seines Vaters. – »Majestät ist sehr gütig zu uns,« antwortete de la Fère. »Er will morgen selbst mit dir sprechen. Mehr kann ich dir vorerst nicht sagen.«

Rudolf schwieg bestürzt. Sie schritten nebeneinander die Treppe hinab. – »Da ich einmal hier bin,« sagte Athos, »so könnte ich meinem Freunde d’Artagnan guten Tag sagen. Führe mich nach seinem Zimmer, Rudolf.« – Sie wandten sich dem Flügel des Schlosses zu, wo der Kapitän der Musketiere wohnte, als ihnen ein Lakai in der Livree des Grafen von Guiche entgegentrat. Er reichte Rudolf einen Brief. – »Sie erlauben, lieber Vater,« sagte Bragelonne und öffnete das Schreiben. Von Guiche bat ihn, augenblicklich zu ihm zu kommen, es handle sich um eine sehr wichtige Angelegenheit. Kaum hatte er diesen Brief gelesen, so trat ein Diener in der Livree des Herzogs von Buckingham auf ihn zu und überreichte ihm ein Billet. – »Du bist ja beschäftigt wie ein kommandierender General, Rudolf,« rief Athos lachend. »Nun, ich verlasse dich. Ich werde den Weg zum Chevalier schon finden.« – »Ich sehe Sie morgen noch vor Ihrer Heimreise,« sagte Rudolf. Dann öffnete er das Schreiben des Engländers.

»Herr von Bragelonne,« schrieb der Herzog, »von allen Franzosen, die ich kennen gelernt habe, sind Sie mir der liebste. Ich werde Ihrer Freundschaft bedürfen. Ich erhalte eben eine in gutem Französisch geschriebene Nachricht, die ich als Engländer nicht recht zu verstehen fürchte. Der Schreiber ist ein Mann von gutem Namen. Kommen Sie, bitte, zu mir; Sie sind ja schon wieder von Blois zurück, wie ich höre. Ihr ergebener Villiers, Herzog von Buckingham.«

Rudolf ging zuerst zu Herrn von Guiche, den er in der Gesellschaft Manicamps und de Wardes‘ antraf. Er schüttelte seinem Freunde die Hand und warf einen Seitenblick auf die beiden jungen Männer, um zu erkunden, was in ihrem Geiste vorgehe. Manicamp betrachtete ein paar neue prächtige Möbel, und von Wardes stand regungslos da, kalt und undurchdringlich. Von Guiche ging mit Rudolf in ein Nebenzimmer. – »Wie geht es dir, Rudolf? Du siehst gut aus,« sagte er. – »Das wundert mich,« antwortete Bragelonne. »Denn ich bin nicht sehr lustig gestimmt.« – »Geht dir’s wie mir? Unglück in der Liebe! Ach, Rudolf, mir geht es aber doch noch schlechter, denn ich bin nicht nur unglücklich, sondern muß auch noch lauter glückliche Menschen um mich her sehen. Rudolf,« rief der Graf, »vergebens habe ich gegen die Leidenschaft angekämpft, die du in mir entstehen sahest; umsonst habe ich mir den Abgrund vergegenwärtigt, in den ich zu stürzen bereit bin. Ich kann nicht zurück.« – »Und doch stehst du schon hart am Rande,« unterbrach Rudolf ihn. »Ein Schritt weiter – und es ist dein Tod.« – »Weiß ich – und dennoch!« – »Wie? Bildest du dir etwa ein, Madame liebe dich?« – »Ich bilde mir nichts ein – aber die Hoffnung! sie lebt doch einmal im Menschen; man fristet sein Dasein von ihr bis ins Grab hinein.« – »Aber, Freund, zugegeben, du erlangst dieses erhoffte Glück,« sagte Rudolf, »so bist du dann ja nur noch sicherer verloren, als wenn du es nicht erlangst.«

»Unterbrich mich nicht, Rudolf,« antwortete der junge Mann. »Du überzeugst mich doch nicht; ich sage dir im voraus, ich will mich nicht überzeugen lassen. Ich bin so weit gegangen, daß ich nicht mehr zurück kann. Ich habe so viel gelitten, daß ich den Tod als Wohltat begrüße. Ich liebe nicht nur bis zum Wahnsinn, ich bin auch eifersüchtig bis zur Raserei.« – »Sehr nett!« rief Rudolf mißvergnügt. – »Nett oder nicht nett, das ist einerlei,« fuhr von Guiche fort. »Madame vergnügt sich, eine Freude jagt die andere, und inmitten dieser Lustbarkeiten stellt sich der Schatten eines andern immer wieder zwischen sie und mich und verdunkelt mich mehr und mehr. In ihr Ohr dringt stets eine schmeichlerische Stimme die doch nicht die meine ist. Seit drei Tagen, Rudolf, schwindelt mir der Kopf, ich bin nicht mehr Herr meiner Sinne, mein Blut ist in Wallung, ich muß diesen Schatten verscheuchen, diese Stimme verstummen machen.«

»Du sprichst von Buckingham?« antwortete Rudolf. »So bist du es, der ihm geschrieben hat?« – »Woher weißt du das?« fragte Guiche erstaunt. – »Er ließ es mir sagen. Sieh her,« und Rudolf reichte seinem Freunde den Brief des Engländers. Der Graf las und sagte dann: »Daran erkennt man einen wackern Menschen.« – »Das ist der Herzog auch. Und ich hoffe nur, du hast ihm in ebenso höflicher Form geschrieben.« – »Ich habe ihn gebeten, mich morgen oder übermorgen – wann es ihm nun genehm ist – in Vincennes zu erwarten.« – »Bedenke, was du tust!« rief Rudolf warnend. – »Ich glaube, ich habe dir schon gesagt, daß ich alles überlegt habe,« versetzte Guiche ungeduldig. – »Der Herzog ist ein Fremder und in einer Mission hierher gekommen, die ihn unverletzlich macht. Und Vincennes liegt in der Nähe der Bastille.« – »Die Folgen nehme ich auf mich,« erwiderte der Graf. »Dem Herzog wird es ebenso erwünscht sein, wie mir, denn er muß mich nicht minder hassen als ich ihn.« – »Der Herzog hat mir geschrieben, er wolle mich sprechen,« antwortete Rudolf. »Er wird bei der Spielpartie des Königs zu finden sein. Wir wollen beide hingehen. Laß Herrn von Manicamp mitkommen.«

Sie gingen zu viert in den Hof hinab und fuhren im Wagen des Grafen zum Palais-Royal. Unterwegs sann Rudolf nach, auf welche Weise er eine Aussöhnung der beiden Feinde herbeiführen könnte. Bei dem Eintritt in den blendend erleuchteten Saal, der von erlauchten Herren und Damen erfüllt war, konnte Rudolf nicht umhin, einen Augenblick Herrn von Guiche zu verlassen, um Luise anzuschauen, die unter den andern Ehrenfräulein, einer scheuen Taube gleich, den von Diamanten und Gold erstrahlenden königlichen Cercle betrachtete. Die Umgebung stand, der König allein saß. Rudolf bemerkte Buckingham, der mit Fouquet sprach. Sie unterhielten sich ganz laut über Belle-Ile. – »Ich kann in diesem Moment nicht zu ihm,« flüsterte Bragelonne seinem Freunde zu. – »So passe den günstigsten Augenblick ab, doch mach‘ schnell, die Ungeduld verzehrt mich.« – »Siehe, der dort kann uns helfen,« sagte Rudolf und deutete auf den Chevalier d’Artagnan, der in seiner prächtigen Uniform als Generalkapitän der Musketiere in martialischer Haltung hereinkam. Rudolf trat sofort auf den Chevalier zu.

»Graf de la Fère hat Sie gesucht,« sagte er. – »Ich habe ihn eben verlassen,« antwortete der Chevalier. »Wir wissen, wo wir uns wiedertreffen können.« – Bei diesen Worten schweiften d’Artagnans Blicke rings im Saale umher; er schien jemand zu suchen. – »Sie können mir einen Dienst erweisen, Chevalier,« sagte Bragelonne. »Ich möchte ein paar Worte mit dem Herzog von Buckingham sprechen, der dort mit Herrn Fouquet spricht.« – »Ah, Fouquet ist da?« rief d’Artagnan. »Wir kennen uns – und er sieht eben auch nach mir. Gut, ich gehe gleich hin.«

D’Artagnan schritt geradeswegs auf die Gruppe zu und begrüßte die Herren mit kriegerischer Würde. – »Ah, guten Abend, Chevalier,« rief Fouquet. »Wir sprechen eben von Belle-Ile –« – »Herr Fouquet,« setzte Buckingham hinzu, »sagte mir, er habe diese schöne Besitzung dem König geschenkt. Kennen Sie Belle-Ile?« – »Ich bin ein einzigesmal dort gewesen,« antwortete d’Artagnan. – »Und wie lange hielten Sie sich auf?« fragte Fouquet. – »Einen einzigen Tag,« sagte der Kapitän. – »Und was haben Sie dort gesehen?« – »Was man bei so kurzem Aufenthalt eben sehen kann.« – »Ein Tag ist viel für einen Mann Ihres Scharfblicks,« antwortete Fouquet. – D’Artagnan verneigte sich. –

»Herr Minister,« sagte nun Lord Buckingham, »ich lasse Sie mit dem Chevalier allein – ein Freund winkt mir zu.« – Er verließ die Gruppe und ging zu Rudolf, der ihm entgegenkam, während von Guiche auf seinem Platze blieb. Die beiden jungen Männer befanden sich nun in dem freien Raume zwischen dem Spieltisch und der Galerie. In diesem Augenblick trat Monsieur zur Tür herein und geriet nun zwischen die beiden feindlichen Parteien. – »Mylord, sehr erwünscht,« sprach der Prinz ohne weiteres. »Was muß ich eben zu meiner Bestürzung hören?«

Buckingham erblaßte und trat unwillkürlich einen Schritt zurück. – »Eine Nachricht, die den ganzen Hof in Trauer versetzen wird,« fuhr Monsieur fort. – »Zu gütig, königliche Hoheit, sofern Sie damit auf meine Abreise anspielen,« antwortete der Brite. »Das kann doch nur für mich ein trauriges Ergebnis sein.« – Von Guiche erschrak. »Er reist ab,« murmelte er bei sich selbst. – Rudolf wechselte einen raschen Blick mit seinem Freunde. Monsieur fuhr fort: »Ich begreife, der König von Großbritannien kann einen Edelmann von Ihrem Wert nicht lange entbehren; aber auch wir sehen Sie nur mit Bedauern scheiden.« – »Gnädigster Herr,« unterbrach der Lord den Prinzen, »seien Sie versichert, ich verlasse den französischen Hof nur, weil –« – »Weil Sie zurückgerufen werden,« fiel der Herzog von Orléans ihm ins Wort, »ich weiß. Aber wenn Sie meinen, daß mein Wunsch einiges Gewicht bei Seiner Majestät Karl II. haben könnte, so will ich ihn gern bitten, daß er Sie uns noch ein kleines Weilchen hier lasse.« – »Ich habe gemessenen Befehl, Hoheit,« versetzte Buckingham. »Nur allzu lange schon bin ich hier geblieben.« – »Und wann reisen Sie ab?« fragte Philipp mit gut gespielter Teilnahme. – »Morgen, Hoheit.« – Monsieur antwortete mit einer Handbewegung, die zu sagen schien: »Nun, gegen einen so festen Entschluß läßt sich wohl nichts tun,« und schritt mit einer leichten Verneigung weiter.

Von der entgegengesetzten Seite trat Graf Guiche heran. Rudolf befürchtete, sein ungestümer Freund wolle seine Forderung selbst vorbringen, und schritt rasch dazwischen. – »Nein, Rudolf, nun ist ja alles erledigt,« sagte von Guiche und streckte dem Herzog von Buckingham die Hand hin. »Verzeihen Sie mir, Mylord, was ich Ihnen geschrieben habe. Ich war ein Tor.« – »In der Tat,« antwortete der Herzog mit schwermütigem Lächeln, »Sie können mir nun nicht mehr böse sein. Wir werden uns nicht wiedersehen.«

Rudolf fühlte, daß er bei dem Gespräch der beiden überflüssig sei, und trat zurück. Dadurch kam er in die Nähe des Marquis von Wardes, der mit Chevalier von Lorraine sprach. – »Ein kluger Rückzug,« sagte der Marquis spöttisch. »Der Herzog erspart sich auf diese Weise ein paar Schwertstreiche.« Und er lachte dazu. – Rudolf fühlte abermals jenen Zorn aufsteigen, der ihn fast beim bloßen Anblick des Herrn von Wardes ergriff. – »Mein Herr,« sagte er, »Sie wollen es also nicht unterlassen, Abwesende zu verunglimpfen? Gestern war’s Chevalier d’Artagnan, heute ist’s Herzog von Buckingham.« – »Der Herr Vicomte weiß recht wohl,« versetzte Wardes höhnisch, »daß ich manchmal auch Anwesende verunglimpfe.« – Sie standen voreinander und maßen sich mit funkelnden Blicken; der eine war auf dem Höhepunkt seines Hasses, der andere hatte seine Geduld erschöpft.

Eine höfliche Stimme hinter ihnen sprach die Worte: »Mich dünkt, man nannte meinen Namen.« – Wardes sah sich um und erblickte d’Artagnan, der ihn lächelnd begrüßte. »Herr von Wardes, ich habe mit Ihnen zu reden. Du kannst bleiben, lieber Rudolf,« setzte er hinzu, als Bragelonne diskret zurücktreten wollte. »Jedermann kann mit anhören, was ich diesem Herrn zu sagen habe.« – Sein Lächeln verschwand, sein Blick wurde kalt und hart wie eine Degenspitze. – »Ich stehe zu Diensten,« antwortete Wardes.

»Der Ort hier eignet sich nicht dazu,« fuhr der Chevalier fort. »Folgen Sie mir in meine Wohnung. Sie sind wahrscheinlich mit mehreren Freunden hier, nicht wahr? Bringen Sie sie mit. Komm, Rudolf – ich erwarte Sie, Herr von Wardes!« – Mit diesen Worten wandte er sich um und verließ den Saal zusammen mit Bragelonne. Sie traten beide in das Zimmer des Kapitäns und fanden dort den Grafen de la Fère. D’Artagnan hatte kaum Zeit, seinem Freunde zu sagen, daß Wardes zu ihm kommen werde, so öffnete sich die Tür, und der junge Mann trat ein, begleitet von den Herren von Guiche, von Buckingham, von Manicamp, und noch drei anderen Edelherren. Der Kapitän empfing seine Gäste mit allem Anstand, den er bei einem so unangenehmen Anlaß zu äußern vermochte. Er bat die Herren um Entschuldigung, daß er ihre Zeit in Anspruch nehme, und wandte sich dann sogleich an von Wardes. »Mein Herr,« begann er, »hier können wir ungehindert reden. Erfahren Sie denn, weshalb ich Sie um Ihren Besuch bat und die Herren hier mitkommen ließ. Ich habe von meinem Freunde, dem Grafen de la Fère erfahren, daß Sie in beleidigender Weise von mir gesprochen haben. Sie betrachten mich als Ihren Todfeind, weil ich der Todfeind Ihres Vaters gewesen. Ich fordere Sie hiermit auf, Ihre Beschuldigungen vorzubringen.«

»In Gegenwart dieser Herren?« versetzte von Wardes. – »Jawohl, vor diesen Zeugen! Sie sehen, ich habe solche gewählt, auf deren Urteil in Ehrensachen man sich verlassen kann.« – »Sie wissen mein Zartgefühl nicht zu schätzen,« antwortete Wardes. »Ich habe Sie beschuldigt, aber ich behielt die Dinge, deren ich Sie beschuldigte, für mich. Ich begnügte mich, meinen Haß in Gegenwart von Personen zur Schau zu tragen, für die es geradezu Pflicht war, es Ihnen wiederzusagen. Sie haben nun meine Diskretion außer acht gelassen, obwohl Ihnen daran gelegen sein mußte, daß alles in Ruhe abginge. Das spricht gegen Ihre gewohnte Klugheit, Herr Chevalier.«

»Mein Herr, ich habe Sie aufgefordert, Ihre Anklagen vorzubringen,« antwortete d’Artagnan. »Reden Sie, wir alle hören.« – »Nun, meinetwegen! Es handelt sich also,« begann von Wardes, »um ein Unrecht, nicht gegen mich, sondern gegen meinen Vater; aber gewisse Dinge bringt man nur mit Widerwillen zur Kenntnis anderer, zumal wenn es sich dabei um eine schmachvolle Tat eines sonst geachteten und achtbaren Mannes handelt.« – Die Zeugen dieser Szene sahen sich unruhig an; allein d’Artagnan verlor nicht im mindesten die Fassung. – »Hören Sie,« fuhr von Wardes fort, als der Chevalier ihn durch eine Handbewegung aufforderte weiterzusprechen. »Mein Vater liebte ein edelgeborenes Mädchen und wurde von ihr wiedergeliebt. Der Chevalier d’Artagnan fing Briefe ab, in denen sie sich mit ihrem Geliebten verabredete, traf dann in Verkleidung an dem bestimmten Ort ein und mißbrauchte die Dunkelheit, das Mädchen zu hintergehen.«

»Das ist wahr,« sagte der Kapitän. »Ich habe diese schlechte Tat begangen. Aber unparteiisch wie Sie sein wollen, Herr von Wardes, hätten Sie hinzufügen sollen, daß ich zu jener Zeit noch nicht 21 Jahre alt war. Es war ein Betrug, den ich mir zeitlebens zum Vorwurf gemacht habe. Ich bin älter und besonnener geworden, auch ehrenhafter, wie ich wohl sagen darf. Diese Jugendsünde ist durch lange Reue gebüßt worden. Es geschah im Jahre 1626, meine Herren, und damals, das werden Sie alle wissen, nahm es niemand mit der Liebe genau. Wir waren junge Soldaten, die fortwährend auf dem Kriegsfuß lebten, mit dem Tode Brüderschaft getrunken und im beständigen Kampfe alles Gefühl verloren hatten. Dennoch bereute ich die Tat und bereue sie noch heute.«

»Begreiflich,« versetzte Wardes. »War es doch auch ein Streich, der der Reue wert war. Sie haben die Dame ins Verderben gestürzt. Im Gefühl ihrer Schmach verließ sie Frankreich, und niemand hat erfahren, was aus ihr geworden ist.« – »O,« ließ Graf de la Fère sich vernehmen, indem er mit unheimlichem Lächeln den Arm gegen Wardes ausstreckte, »man hat es doch erfahren, ja, man hat sie gesehen und weiß, daß sie sich in England verheiratet hat. Das wußten Sie nicht, Herr von Wardes?« fragte Athos, als er den Ausruf des Erstaunens hörte, den der junge Mann laut werden ließ. »Sie sehen, wir sind besser unterrichtet. War Ihnen nicht bekannt, daß man sie Mylady nannte, ohne einen Namen beizufügen?« – »Das wußte ich,« sagte Wardes. – »Mein Gott!« murmelte Buckingham. – »Die Dame hat dreimal versucht, Herrn d’Artagnan zu ermorden. Das war ihr Recht, ja doch, er hatte sie beleidigt. Aber unrecht von ihr war es, daß sie in England einen jungen Mann namens Felton, der in Diensten des Lord Winter stand, durch ihre Reize gefangennahm. Sie erblassen, Lord Buckingham, Zorn und Schmerz malen sich in Ihren Zügen. Sie können die Erzählung selbst beenden und Herrn von Wardes sagen, wer jenes Weib war, das dem Mörder Ihres Vaters das Messer in die Hand gab.«

Ein Schrei entfuhr allen Anwesenden. Lord Buckingham wischte den Schweiß von der Stirn. Ein langes Schweigen folgte. – »Sie sehen, Herr von Wardes,« ergriff nun d’Artagnan das Wort, »meine Tat hat keinen so unseligen, vernichtenden Einfluß auf diese Seele gehabt. Sie war bereits verdorben, verloren, als ich an die Reihe kam. Und nun, Herr von Wardes, habe ich Sie um Verzeihung gebeten; ich würde diese Bitte auch an Ihren Vater gerichtet haben, wenn ich ihn noch am Leben getroffen hätte, als ich nach Karls I. Tode nach Frankreich zurückkehrte. Ich hoffe, daß damit zwischen uns beiden alles abgetan ist und Sie mich fortan nicht mehr schmähen werden.« – Von Wardes verneigte sich, ein paar Worte murmelnd. – »Ich hoffe auch, Sie werden überhaupt gegen niemand mehr Verunglimpfungen äußern, wie es leider Ihre Manier ist. Denn wenn Sie solche Gewissensreinheit zur Schau tragen, daß Sie einem alten Soldaten nach 35 Jahren eine Jugendeselei vorwerfen, so sollten Sie es auch in andern Dingen mit Ehre und Gewissen genauer nehmen. Wie kommt es, daß Sie, der Sie hier ein so strenges Gerechtigkeitsgefühl an den Tag legten, Herrn Vicomte von Bragelonne vorgeworfen haben, er kenne seine Mutter nicht?«

Von Wardes biß sich auf die Lippe und ballte die Fäuste. Rudolf trat flammenden Auges vor und rief: »Herr Chevalier, erlauben Sie, das ist eine Sache, die nur mich angeht.« – »Unterbrich mich nicht, junger Mann,« versetzte der Kapitän, ihn mit dem Arme zurückschiebend. »Ich verhandle hier eine Angelegenheit, die mit dem Schwerte nicht beizulegen ist. Ich habe deshalb diese Ehrenmänner herkommen lassen, die alle mehr als einmal das Schwert gezogen haben. Ich wiederhole daher meine Frage. In welcher Absicht haben Sie, Herr von Wardes, diesen jungen Mann beleidigt, indem Sie seine Eltern schmähten?« – »Mich dünkt,« versetzte von Wardes, »Worte sind jedem frei, der bereit ist, für sie einzustehen mit allen einem Ehrenmann zu Gebote stehenden Mitteln.«

»Ei, sagen Sie mir doch, welche Mittel stehen denn einem Ehrenmann zu Gebote, solche Gemeinheiten zu unterstützen?« antwortete der Chevalier. »Wissen Sie, ein Ehrenmann bringt solche Gemeinheiten gar nicht erst über die Lippen. Es fehlt Ihnen nicht nur an der Fähigkeit, folgerichtig zu denken, sondern auch an Religion und an Ehre. Sie setzen durch Ihr schändliches Geschwätz das Leben mehrerer Männer aufs Spiel, ganz zu schweigen von Ihrem eigenen Leben, das mir allerdings sehr abenteuerlich zu sein scheint. Den Zweikampf hat seine Majestät durch ein sehr strenges Gesetz verboten, das wissen Sie doch. Sie werden sich also bei Herrn von Bragelonne förmlich entschuldigen und mit dem Ausdruck des Bedauerns Ihre unbedachten Worte zurücknehmen. Sie werden um Verzeihung bitten, wie ich es eben vor Ihrem kaum erst keimenden Schnurrbart getan habe.«

»Und wenn ich es nicht tue?« versetzte Wardes. – »Dann,« erwiderte d’Artagnan ruhig, »gehe ich zum König, bei dem ich sehr gut angeschrieben stehe und bitte ihn, diesen Haftbefehl zu unterzeichnen, den ich nur mit Ihrem Namen auszufüllen brauche.« Mit diesen Worten zog er eine der berüchtigten, »Lettres de cachet« hervor. »Ich werde zum König sagen: Sire, dieser Mann hat Herrn Vicomte von Bragelonne in der Person seiner Mutter schändlich beschimpft. Geruhen, Majestät, da Sie den Zweikampf verboten haben, den Beleidiger auf drei Jahre in die Bastille zu stecken.« – Von Wardes erblaßte, denn der bloße Name der Bastille hatte damals etwas Schreckenerregendes. Er trat auf Bragelonne zu und sagte: »Herr Graf, ich bitte Sie in der von Herrn d’Artagnan formulierten Weise um Entschuldigung – ich sehe mich dazu gezwungen.«

»Nein!« rief d’Artagnan. »Das ist nicht die richtige Form. Sie haben nicht zu sagen: ich sehe mich dazu gezwungen, sondern: ich fühle mich vor meinem Gewissen dazu verpflichtet. Glauben Sie mir, so klingt es besser und drückt auch Ihre Empfindungen besser aus.« – »Ich willige ein,« antwortete von Wardes. »Aber Sie werden zugeben, meine Herren, ein Schwertstreich von ehedem war besser als solche Vergewaltigung.« Darauf wiederholte er d’Artagnans Worte, sah sich nun im Kreise um und rief: »Ist das nun alles?« – »Alles,« antwortete der Chevalier. »Und man ist mit Ihnen zufrieden.« – »Sie sind als Friedensstifter indessen nicht sehr glücklich,« sagte der junge Mann schon wieder mit seinem spöttischen Lächeln. »Herr von Bragelonne und ich werden nur noch erbitterter als zuvor auseinandergehen.« – »Von mir aus nicht,« sagte Rudolf. »Ich hege nicht den mindesten Groll gegen Sie.« – Das war ein neuer Schlag für Wardes. Er sah sich verlegen um, aber niemand würdigte ihn eines Blickes. Die Herren nahmen höflich von dem Chevalier Abschied und gingen. Keiner sprach ein Wort an Wardes, der trotzig den Kopf zurückwarf und allein seines Weges ging.

8. Kapitel. Ein Besuch in der Bastille

Athos nahm kurz nach dieser Szene von d’Artagnan und Rudolf Abschied und trat die Heimkehr an. Als d’Artagnan ihm die Hand zum Abschied reichte, erklang hinter ihm die Frage: »Ich hätte mit Ihnen zu reden, Herr Chevalier.« – Der Kapitän sah sich um und erblickte ein kleines, unscheinbares Männchen, das bescheiden nähertrat. »Potzblitz!« rief er, »das ist Baisemeaux. Es ist wahr, ich hatte Ihnen geschrieben, es sei ein neuer Kostgänger abzuholen, aber es wird nichts draus. Athos, erlauben Sie, daß ich Ihnen Herrn Baisemeaux, den Gouverneur der Bastille vorstelle. Sie müssen sich übrigens kennen. Es ist ja Baisemeaux, mein Leibgardist, mit dem wir einst unter dem Kardinal manchen Streich ausgeführt haben.« – »Es ist mir erinnerlich,« sagte Athos. – »Das ist der Graf de la Fère,« flüsterte der Kapitän den Gouverneur ins Ohr. – »Ja, ja, einer der vier Famosen,« sagte Baisemeaux. – »Ganz recht! doch warum sind Sie selbst gekommen?« fragte der Chevalier, während Athos mit einem letzten Gruße hinwegritt. – »Weil ich mit Ihnen zu reden hatte. Also wird nichts aus der Verhaftung? Will der König die fragliche Person nicht einsperren lassen? Das ist sehr bedauerlich.«

»Wieso?« rief d’Artagnan lachend. – »Jenun, meine Gefangnen sind doch mein Einkommen,« antwortete der Gouverneur. – »Ei, Sie sagen das ja wie jemand, der nicht das Salz aufs Brot hat. Sie müssen doch ein sehr hübsches Sümmchen im Jahre herausschlagen. Doch kommen Sie mit auf mein Zimmer, dort reden wir in aller Ruhe.«

Baisemeaux folgte dem Chevalier. – »Nun, alter Freund,« fuhr d’Artagnan fort, als sie einander gegenübersaßen. »Ich wette doch, Sie ziehen aus den Täubchen, die Sie in dem allerliebsten Käfig der Bastille halten, jährlich Ihre 50 000 Livres. Man sieht es ja auch, Sie sind rund und wohlbeleibt wie ein Fäßchen.« – »Das ist alles gut und schön,« antwortete Baisemeaux kopfschüttelnd. »Sie vergessen nur die Hauptsache dabei. Sie haben Ihren schönen Posten vom König erhalten, ich aber verdanke meine Stelle den Herren von Tremblay und von Louvières.« – »Das heißt also, Sie haben sie nicht umsonst bekommen,« sagte der Kapitän. – Der Gouverneur nickte. »Ich habe an jeden 50 000 Livres zahlen müssen, und obendrein haben sie mir noch ganz unerhörte Bedingungen auferlegt. Ich mußte ihnen nämlich noch drei Jahre meines Einkommens verpfänden.« – »Also nochmals 150 000 Livres?« – »Zahlbar an drei genau festgesetzten Terminen.« – »Das ist ja schauderhaft,« sagte d’Artagnan. »Das ist ja unglaublich.« – »Ja, und wenn ich eine der Zahlungen nicht leiste, so fällt die Stelle an die beiden Herren zurück. Der König hat das selbst unterzeichnet.«

»Dann sind Sie freilich zu bedauern, Baisemeaux,« sagte der Chevalier. »Aber warum hat Mazarin Ihnen diese Gnade erwiesen, die doch eigentlich gar keine zu sein scheint. Es wäre leicht gewesen, sie Ihnen zu verweigern.« – »Er wurde durch meinen Gönner gewissermaßen dazu gezwungen.« – »Und wer ist dieser Gönner?« – »Ein Freund von Ihnen, Herr d’Herblay.« – »Aramis!« rief d’Artagnan. – »Ganz recht! Aramis. Als ich aus seinen Diensten treten wollte, legte er ein gutes Wort bei Tremblay und Louvières für mich ein und leistete außerdem Bürgschaft für die drei Zahlungen. Zu den ersten beiden Zahlungen hat er mir auch pünktlich die 50 000 Livres gegeben, aber nun ist der dritte Termin herangerückt, und wenn ich morgen nicht zahle, dann geht es mir zu guter Letzt doch noch an den Kragen. Ich habe dann drei Jahre umsonst gearbeitet. Und in dieser Not komme ich zu Ihnen. Sie kennen doch den Abbé d’Herblay. Ich habe ihn in seiner Wohnung gesucht; er ist nicht mehr da. Können Sie mir sagen, wo er sich jetzt aufhält?«

»So wissen Sie nicht, daß er Bischof von Vannes geworden ist?« antwortete d’Artagnan. – »Von Vannes in der Bretagne? O weh!« rief der kleine Mann und raufte sich die Haare aus. »Wie soll ich bis morgen nach Vannes und zurück? Ich bin ein verlorener Mann! Ich muß mich dem König zu Füßen werfen.« – »Werfen Sie noch nicht die Flinte ins Korn,« antwortete der Chevalier. »Gehen Sie zu Fouquet!« – »Was soll mir der?« versetzte der Gouverneur. – »Einfältiger! Vannes liegt in der Diözese Belle-Ile, und Belle-Ile gehört Herrn Fouquet. Der Minister hat Herrn d’Herblay zu diesem Bistum verholfen. Gehen Sie zu ihm und sagen Sie ihm, Sie wünschten den Bischof zu sprechen. Der Minister ist hier. Heute abend können Sie ihn allerdings nicht mehr erreichen, weil er beim König ist, aber morgen in aller Frühe wird er zu sprechen sein.« – »Ich werde hingehen. Wärmsten Dank für Ihren guten Rat!« antwortete der Gouverneur, sich verabschiedend. – »Eine sonderbare Geschichte!« sprach der Musketier zu sich selbst, »was für einen Zweck hat Aramis, indem er diesem Herrn Baisemeaux unter die Arme greift? Das muß ich zu erfahren suchen.«

D’Artagnan hatte den Gouverneur richtig beschieden; Fouquet war beim König und nahm an der Spielpartie teil. Monsieur, Buckingham und Graf von Guiche waren ebenfalls zugegen. Der Brite war zerstreut; doch achtete er nicht darauf, wieviel Geld er verlor, hatte er doch sein Herz verloren. Madame spielte mit dem König, und ihr Gatte sah ihr zu und freute sich über den beträchtlichen Gewinn, den sie bereits eingestrichen hatte. Sie schien sich weder um Guiche noch um Buckingham zu kümmern und an die bevorstehende Abreise des letzteren überhaupt nicht zu denken. Der feinfühlende, stolze Engländer empfand diese Kälte und sah nur selten zu ihr hinüber. Ihn erbitterte die Fröhlichkeit dieser Prinzessin, die doch genau wissen mußte, was in seinem Herzen vorging. Ja fast schien es, als ob sie ihrer Laune noch mehr als sonst die Zügel schießen lasse, um ihren Landsmann in letzter Stunde noch einmal nach Herzenslust zu peinigen. Der König, der sich über die besonderen Gründe ihrer Heiterkeit keine Gedanken machte, überließ sich ganz dem unaussprechlichen Reiz, den ihr Frohsinn auf ihn ausübte. Er fand sie bezaubernd schön, und es war nur begreiflich, daß er fehlerhaft spielte. Der Königin-Mutter und der Gattin Ludwigs entging es nicht, daß Madame mit wunderbarem Geschick die erste Rolle in der Umgebung des Königs an sich riß. Mit der Gebärde einer Siegerin triumphierte sie über ihren Erfolg und ließ keinen Zweifel darüber, daß sie willens sei, ihren Platz zu behaupten und jede Nebenbuhlerin – selbst die rechtmäßige Gattin – in Schatten zu stellen. Anna von Oesterreich, alt geworden in der Diplomatie, beugte sich alsbald vor ihr, allein Maria-Theresia, die Infantin von Spanien, schien nicht geneigt, die Macht der Engländerin anzuerkennen. Sie sah sich die Sache ein Weilchen mit an und erhob sich dann ziemlich brüskiert, erklärte das Spiel für beendet und zog sich in ihre Gemächer zurück. Den andern Damen blieb nichts weiter übrig, als ebenfalls zu gehen. Aber selbst hierbei fügte Lady Henriette ihren Triumphen nur noch einen neuen bei: Ludwig XIV. reichte ihr, ohne sich um seinen Bruder zu kümmern, galant den Arm und führte sie bis zur Tür des Salons. Mit einem Seufzer ließ er ihre Hand los – und dieser Seufzer war laut genug gewesen, um von den nächsten Damen und Höflingen gehört zu werden. Madame seufzte auch, aber ganz leise; doch war dieser leise Seufzer um so verhängnisvoller für die Ruhe des Königs.

Man sah darauf den König sehr zerstreut zurückkehren und erst aus seinen tiefen Gedanken erwachen, als Colbert, der Intendant, sich ihm näherte und leise ein paar Worte sprach. Der König sah auf, nickte und trat dann lächelnd zu dem Oberintendanten Fouquet, der sich mit Lord Buckingham unterhielt. – »Verzeihung, wenn ich Ihr Gespräch unterbreche,« sagte Ludwig, »aber ich bedarf Ihrer, Herr Fouquet.« – »Ich stehe meinem Könige stets zur Verfügung,« antwortete Fouquet. – »Auch Ihre Kasse?« fragte der König lachend. – »Die in erster Linie,« erwiderte der Minister gelassen.

»Nun, Herr Fouquet,« sagte der König, »ich beabsichtige in Fontainebleau ein großes Fest zu veranstalten, das vierzehn Tage dauern soll, und dazu brauche ich –« er stockte und warf einen Seitenblick auf Colbert – »dazu brauche ich vier Millionen.« – »Vier Millionen,« antwortete Fouquet und verneigte sich. Dabei preßte er die Finger so fest auf die Brust, daß die kostbare Spitze seines Jabots zerriß. »Und wann, Majestät?« – »Sobald als möglich.« – »Man braucht Zeit –« sagte Fouquet, und als er den triumphierenden Blick sah, der in Colberts Augen aufleuchtete, setzte er kalt hinzu, »um eine solche Summe abzuzählen. An je einem Tage kann nur eine Million gezählt werden.« – »Also vier Tage,« sagte Colbert. – »Meine Beamten tun Wunder, wenn es einen besonderen Dienst gilt,« antwortete Fouquet lächelnd. »Sie sollen das Geld in drei Tagen haben.« – Colbert erblaßte, Fouquet verneigte sich und schritt, den Tod im Herzen, hinaus.

Er befahl sofort seinen Wagen und fuhr in seinen Palast, wo Aramis ihn schon erwartete. Er saß im samtnen Schlafrock am Schreibtische, mit Briefen beschäftigt. Als er den Oberintendanten erblickte, ließ er die Feder fallen, stand auf und rief: »Sie haben wie immer verloren?« – »Mehr als immer,« war die Antwort. – »Aber Sie wissen den Verlust gut zu ertragen,« sagte Aramis. »War es heute so viel?« – Fouquet lächelte schmerzlich und ließ sich in einen Sessel fallen. »Vier Millionen,« sagte er. – »Aber soviel können Sie doch nicht verspielt haben?« rief Aramis erstaunt, denn eine solche Summe zu hören, hatte er nicht erwartet. – »Doch. Colbert war mein Partner,« antwortete der Minister mit unheimlichem Lächeln.

»Jetzt verstehe ich,« sagte d’Herblay. »Und auf Colberts Rat hin verlangt der König diese Summe.« – »Mit höchsteigenem Munde hat er sie verlangt,« sprach der Oberintendant. »Mit einem holdseligen Lächeln, als ahnte er nicht im mindesten, daß er mich zugrunde richtet.« – »Eine große Summe, allerdings,« erwiderte d’Herblay. »Aber selbst eine Forderung von vier Millionen bringt Ihnen noch nicht den Untergang. Haben Sie zugesagt?« – »Was sollte ich anders tun?« sagte Fouquet. »Wenn ich das Geld nicht auftreibe, treibt Colbert es auf, und dann bin ich verloren. In drei Tagen soll’s da sein. Majestät scheint es diesmal besonders eilig zu haben. Und ich weiß, es wird schwer halten, das Geld zusammenzubringen. Und gelingt es auch diesmal noch, woher das nächste Mal nehmen? Glauben Sie mir, es hat damit noch kein Ende. Wenn die Könige einmal das Geld gekostet haben, dann sind sie wie die Tiger, die Blut geleckt haben. Es wird eine Zeit kommen, wo ich sagen muß: Majestät, ich kann nicht mehr.«

Aramis zuckte die Achseln. »Not macht erfinderisch,« sagte er. »Wenn alles verloren scheint, wird etwas Unerwartetes aufgefunden werden, und Sie sind gerettet.« – »Und wer wird dieses Unerwartete auffinden?« – »Sie selbst!« antwortete Aramis, »oder ich. Haben Sie vergessen, was ich einst zu Ihnen sagte? Solange Sie Mut haben, können Sie unbesorgt sein. Ein Mann in Ihrer Stellung ist verloren, wenn er verloren sein will. Und Sie brauchen den Mut nicht sinken zu lassen.« – »Sie meinen, im entscheidenden Moment werden Sie mir zu Hilfe kommen?« fragte Fouquet. – »Ich werde dann nur meine Schuld bei Ihnen abtragen,« antwortete der Bischof. »Für heute allerdings muß ich selbst es bedauern, daß Sie schlecht bei Kasse sind, weil ich Sie um Geld bitten wollte.« – »Um wieviel?« – »Um 50 000 Livres.« – »O,« rief Fouquet beruhigt. »Soviel hat man doch immer. Ich wünsche, Colbert, der Schurke, wäre mit ebenso Wenigem zufrieden. Wann brauchen Sie das Geld?« – Morgen früh.« – »Gut, und –«

»Natürlich, Sie wollen wissen, wozu es verwendet werden soll,« sagte Aramis lächelnd. – »Nein, bitte sehr, es bedarf keiner näheren Erklärung,« antwortete der Minister. – »Morgen ist Zahlungstermin für einen unserer Schuldscheine,« erklärte der Bischof. »Das letzte Drittel der verbürgten 150 000 Livres für Herrn Baisemeaux, den Gouverneur der Bastille, ist fällig.« – »Ach richtig, ja! Wir haben für ihn gutgesagt, als wir ihm die Stelle verschafften. Der Mann hat uns eigentlich noch gar nichts genützt.« – »Kann es aber immer noch,« antwortete d’Herblay. »Ein Gouverneur der Bastille ist zu jeder Zeit eine sehr wertvolle Bekanntschaft. Wir haben Dichter, die uns preisen, Ingenieure, die für uns bauen, Zeitungsschreiber, die für uns Reklame machen, und wir haben auch unsern Gefängnisdirektor. Und, gnädigster Herr,« setzte er hinzu, »wir sind ja doch immer in der Gefahr, der Bastille einen Besuch machen zu müssen.« Dabei tat er seine blassen Lippen auf und zeigte dieselben schönen Zähne, die vor dreißig Jahre schon von Maria Michon bewundert worden waren.

Am nächsten Vormittag war Baisemeaux, der Gouverneur, bereit zur Ausfahrt, um den Minister Fouquet aufzusuchen, als ein Schließer zu ihm eintrat mit der Meldung, daß ein fremder Herr, der seinen Namen nicht nennen wolle, ihn zu sprechen wünsche. Von einer frohen Ahnung beseelt, befahl der Gouverneur, den Fremden einzulassen. Seine Hoffnung betrog ihn nicht: es war Aramis, der Chevalier d’Herblay, der Bischof von Vannes, und wenn er kam, das wußte Baisemeaux, dann kam auch das Geld mit ihm. »Wie freue ich mich, Eure Herrlichkeit zu sehen!« rief der Gouverneur und empfing ihn mit aller Höflichkeit, deren ein von Herzen dankbarer Mensch fähig ist. »Ach, gnädigster Herr, gnädigster Herr, Sie sind doch eben immer ein Mann von Wort!«

»In Geschäftssachen,« antwortete d’Herblay, »ist die Pünktlichkeit keine Tugend, sondern eine Pflicht. Sie waren aber doch wohl nicht ohne Besorgnis dieserhalb? Nun, ich wollte gestern schon kommen, aber ich war zu ermüdet, und deshalb komme ich nun heute so zeitig. Und ich tat auch wohl, mich zu beeilen, wie es scheint, denn Sie wollten eben ausfahren.« – »Ich muß gestehen –« stammelte Baisemeaux und suchte nach einem Vorwande, denn er wollte Aramis nicht wissen lassen, wohin er hatte fahren wollen, da erklang aus dem Hofe herauf eine Stimme: »Fährt der Herr Gouverneur noch zu Herrn Fouquet?« – Der Bischof von Vannes lächelte. »Wie? Zu Herrn Fouquet wollten Sie fahren? Wozu denn?« – »Jenun,« platzte Baisemeaux in seiner Verlegenheit heraus, »Herr d’Artagnan sagte mir, ich würde Sie dort treffen.« – »Wie? Herr d’Artagnan?« fragte Aramis. »So haben Sie mit diesem Herrn gesprochen? Sie trauen mir nicht, Herr Gouverneur?« – »O, nicht doch, nicht doch, gnädigster Herr!« rief Baisemeaux untröstlich. »Ich traf ihn zufällig, und da er ein Freund von Ihnen ist, erkundigte ich mich nebenher nach Ihrer Adresse. Wir sprachen im übrigen nur von meinen Geschäften, die, wie Sie wissen, sehr schlecht stehen.«

»Schon gut, schon gut,« versetzte der Bischof. »Sie zahlen ja nun das letzte Mal, dann beginnt eine bessere Zeit. Wie viele Gefangene haben Sie jetzt?« – »Sechzig.« – »Nun, das geht doch an.« – »Ach, gnädigster Herr,« seufzte der Gouverneur. »Früher gab es Jahre mit 200. Ja doch, jedem andern würden 60 Gefangene 150 Pistolen eintragen, aber ich füttere sie zu gut. Rechnen Sie doch, für einen Prinzen von Geblüt bekomme ich täglich 50 Livres –« – »Aber Sie haben jetzt keinen Prinzen von Geblüt hier, nicht wahr?« fragte Aramis. – »Leider nicht,« antwortete Baisemeaux mit einem aufrichtigen Seufzer. »Weiter, für jeden Marschall bekomme ich 36 Livres. Habe aber leider auch keinen Marschall. Dann kommen die Generalleutnants – mit Livres pro Tag. Deren habe ich zwei. Dann die Parlamentsräte mit 15 Livres. Deren sind vier da. Dann geht’s aber auch gleich bis auf 10 Livres hinab für die Richter, Anwälte und Geistlichen. Sind ihrer sieben da.« – »Nun also, da müssen Sie doch ganz gut wirtschaften können,« sagte d’Herblay lächelnd. – »Ach mein Gott,« erwiderte Baisemeaux. »Ein einigermaßen guter Fisch kostet mich 4 bis 5 Livres, ein einigermaßen fettes Huhn anderthalb Livres. Ich mäste ja selbst Geflügel, aber das will doch auch gefüttert sein. Und das Korn ist teuer. Zumal wir hier ein wahres Heer von Ratten haben, gegen die gar nichts zu machen ist. Es gibt in der Bastille am Tage drei Mahlzeiten, denn die Gefangenen haben nichts zu tun, da ist Essen immer ein angenehmer Zeitvertreib. Infolgedessen kommt mich jeder, für den ich 10 Livres erhalte, allein schon auf 7 Livres 10 Sous zu stehen.«

»Haben Sie keine Gefangene unter 10 Livres?« fragte Aramis.« – »Doch. Die Advokaten und gewöhnlichen Bürgersleute. Es werden 5 Livres für sie gezahlt. Na ja, denen kann man natürlich nicht alle Tage Hühner und Fisch vorsetzen, sie kriegen dreimal wöchentlich ein gutes Essen. Wenn ein Fünfzehner mal sein Huhn nicht hat aufessen können, dann bekommt es der Fünfer, und das ist dann ein Schmaus für den armen Teufel. Man muß doch christliche Barmherzigkeit haben.«

»Und was wirft so einer zu 5 Livres für Sie ab?« – »Dreißig Sous, so wahr ich ehrlich bin. Aber bei denen, die mit 3 Livres taxiert sind, bei den Gerichtsschreibern und Leuten aus dem Volke, setze ich zu.« – »Hoffentlich lassen die Fünfer öfters was für sie übrig,« sagte der Bischof. – »O, was denken Sie?« antwortete Baisemeaux. »Die sind selbst froh, wenn sie satt werden. Nein! die Leute aus dem Volke und die Gerichtsschreiber mache ich dadurch glücklich, daß ich ihnen hin und wieder mal einen Rebhuhnflügel, einen Rehrücken, eine Gänsekeule vorsetze – nämlich die Ueberbleibsel der Vierundzwanziger. Das verschlingen sie dann, rufen überm Essen: Es lebe der König! und segnen die Bastille. Denn in der Freiheit haben sie solche Leckerbissen nicht kennen gelernt. Daher kommt es auch – was eine Ehre für die Bastille ist – daß mancher, der kaum herausgekommen ist, sich binnen kurzem wieder einsperren läßt. Warum auch nicht? Bei so vorzüglicher Küche?«

Aramis lächelte. – »Glauben Sie es nicht?« fuhr der Gouverneur fort. »Ich kann Ihnen das Register zeigen, Sie sollen sich mit eignen Augen überzeugen.« Mit diesen Worten trat er an einen Schrank und nahm ein großes Buch heraus. Er schlug es auf. »Sehen Sie hier,« sagte er. »Buchstabe M. Martinier, Januar 1659. – Martinier, März 1660. – Martinier, Juni 1661. Verhaftet wegen Druckschriften gegen Mazarin. Das ist ja nur ein Vorwand. Er hat sich selbst denunziert, um wieder hier zu dinieren.«

Der Bischof blätterte, wie es schien, gedankenlos in dem Register. »Seldon,« sagte er, innehaltend. »Der Name kommt mir bekannt vor. Sprachen Sie nicht einmal von einem jungen Manne –« – »Ganz recht! Das ist ein armer Student, der einen Spottvers auf die Jesuiten gedichtet hat.« – »Eine harte Strafe!« murmelte der Bischof. – »Sie verwendeten sich damals schon für ihn, gnädigster Herr,« antwortete der Gouverneur, »und seitdem halte ich ihn, Ihnen zu gefallen, wie einen Fünfzehner,« – »Also wie etwa diesen hier,« sagte Aramis und hielt bei einem Namen inne, der kurz vor Martinier verzeichnet stand. »Ist das übrigens ein Italiener, dieser Marchiali?« fragte er und deutete mit dem Finger auf das Blatt.

»Still!« rief Baisemeaux ängstlich. – »Warum?« versetzte Aramis, und seine weiße Hand ballte sich unwillkürlich. – »Ich glaube, ich habe Ihnen das schon einmal gesagt,« flüsterte der Gouverneur. – »Nein,« antwortete der Bischof, »ich höre den Namen zum ersten Male. Wohl ein alter Sünder, wie?« – »Im Gegenteil, ein ganz junger Mensch.« – »Dann ist sein Verbrechen also sehr groß. Hat er gemordet? Brand gestiftet?« – »Nein, nein, es ist doch der Jüngling, der die Kühnheit besitzt, eine Aehnlichkeit zu haben mit –« – »Ach, ja doch, ja doch,« unterbrach ihn Aramis. »Jetzt erinnere ich mich. Sie haben mir das schon vorm Jahre mal erzählt. Das Verbrechen schien mir aber unbedeutend, oder vielmehr kann doch der arme Kerl eigentlich nichts dafür. Er sitzt in der Bertaudière, nicht wahr, so heißt doch wohl der Turm –« – »Der Turm, den Sie dort linker Hand von uns sehen. Ja, dort sitzt er im zweiten Stock.«

»Und im ersten Stock sitzt der Dichter jenes Spottverses auf die Jesuiten, wenn ich nicht irre,« fuhr Aramis fort. »Ja, ja, lieber Baisemeaux, von diesem Poeten haben Sie mir alles erzählt, aber wenn die Rede auf den Herrn vom zweiten Stock kommt, dann sagen Sie: Pst! pst! Als ob das ein so furchtbares Staatsgeheimnis wäre.« – »Das ist es auch, gnädigster Herr.« – »Ei was, die große Aehnlichkeit besteht sicherlich nur in Ihrer Phantasie,« sagte der Bischof. »Ich habe doch schon mehrmals junge Leute gesehen, die diese Aehnlichkeit auch hatten –« – »Ja,« fiel der Gouverneur ihm ins Wort, »aber zwischen Aehnlichkeit und Aehnlichkeit ist ein Unterschied. Diese hier ist gar zu frappant. Ueberzeugen Sie sich nur einmal selbst davon.«

»Ich bin nicht neugierig,« erwiderte Aramis, anscheinend gleichgültig. »Und dann – ich glaube, ich werde den Eindruck nie wieder los, wenn ich erst mal solch einen Unglücklichen zwischen Kerkermauern gesehen habe.« – »Ah bah,« versetzte Baisemeaux, »er ist guter Dinge. Hat sich in sein Schicksal gefügt, denn er weiß, daß er zu immerwährender Gefangenschaft verurteilt ist.« – »Aber warum das?« – »Potzblitz, sein Verbrechen währt, solange er lebt, also muß er auch bestraft sein, solange er lebt; denn sie begreifen, falls er nicht etwa die Blattern bekommt, was nicht anzunehmen ist, wird diese Ähnlichkeit –« – »Und so soll dieser Unglückliche nie das Ende seiner Leiden erleben?« – »Seiner Leiden? Es werden 15 Livres täglich für ihn bezahlt, und ein Fünfzehner hat keine Leiden,« antwortete der Gouverneur. »Sehen Sie ihn sich nur mal an! Er ist von Geburt nicht zu einem so vornehmen Tische geboren, wie er ihn hier führen kann.« – »Nun, da Sie soviel davon hermachen, so wollen wir ihn uns mal ansehen,« sagte Aramis, anscheinend noch immer mit Widerstreben.

Der Gouverneur rief einen Schließer, der ihnen voranging. Sie schritten über den Hof und betraten den Turm, den Baisemeaux bezeichnet hatte. Aramis war weder ein Träumer noch ein gefühlvoller Mensch; er war vielmehr kalt und herzlos. Doch als er jetzt die abgetretenen Steinstufen hinanstieg, als ihn die Luft dieser finstern, tränenfeuchten Mauern umschloß, da war ihm seltsam zumute, traurig senkte er den Kopf, und seine Augen verschleierten sich. Er sprach kein Wort mehr, bis der Gouverneur eine Tür ausschließen ließ.

»Wir sind im ersten Stock,« sagte er. – »Es ist mir recht,« sprach Aramis leise. »Machen wir bei diesem den Anfang.«

Sie traten ein und sahen einen jungen Menschen von 18 Jahren und fast noch knabenhaftem Aussehen vor sich. Er hob den Kopf und sprang auf, als er den Gouverneur erblickte. – »Meine Mutter! Meine Mutter!« rief er, die Hände faltend und mit so herzzerreißender Stimme, daß Aramis erbebte. – »Ich bringe Ihnen ein Extragericht, lieber Freund,« sagte der Gouverneur lächelnd, »und Konfekt zum Nachtische.« – »O, mein Herr,« rief der junge Mann, »kommen Sie ein ganzes Jahr lang nicht her, geben Sie mir ein ganzes Jahr lang nichts als Wasser und Brot, aber versprechen Sie mir, daß ich nach diesem Jahre die Freiheit wiedererlangen werde – daß ich meine Mutter wiedersehen werde!« – »Lieber Freund,« erwiderte Baisemeaux, »Ihre Mutter ist arm – Sie haben es hier besser.« – »Besser? Man hat es am besten nur in der Freiheit! Und warum entzieht man der Armen die einzige Stütze?« – »Lieber Freund,« antwortete der Gouverneur, »Sie wissen, daß das nicht meine Sache ist – von mir hängt nur Ihre Verpflegung ab, und über die können Sie sich nicht beklagen.« – »O, mein Gott!« schrie der Jüngling, taumelte und stürzte rücklings auf den Boden. – »Gehen wir!« flüsterte Aramis, »ich werde für den armen Menschen um Begnadigung bitten.« – »Und wenn Sie die Begnadigung nicht erlangen,« sagte der Gouverneur, »bitten Sie wenigstens darum, daß man ihn auf zehn Livres setze, damit ist dann uns beiden, mir und ihm, geholfen.«

Sie gingen weiter, und Aramis fühlte, daß er, um keinen Verdacht zu erwecken, alle Kraft und Geistesgegenwart zusammennehmen müsse. Baisemeaux blieb stehen und schloß die Tür auf. Man sah in dem Lichtschein, der zu dem vergitterten Fenster hereinfiel, einen schönen jungen Mann von mittlerer Größe, mit kurzgeschnittenem Haar und einem Flaum auf Kinn und Oberlippe. Er saß aus einem Schemel. Sein Rock war aus schwarzem Samt, und er trug ein überaus feines schneeweißes Battisthemd.

Als der Gouverneur eintrat, wendete er sich um, stand auf und grüßte höflich. Sein Blick fiel auf Aramis, und der Bischof erblaßte, von Schauder erfaßt, der Hut entsank seiner Hand. Er hatte das Gefühl, als ob ein Schlag ihn streifte. Baisemeaux war frei von allen derartigen Gefühlen. – »Sie sehen recht wohl aus,« redete er den Häftling an. »Es geht Ihnen gut?« – »Sehr gut, ich danke,« antwortete der Jüngling. – Der Klang dieser Stimme erschütterte Aramis; er tat einen Schritt nach vorn, mit weitgeöffneten Augen und zitternden Lippen. Als Baisemeaux sich nach ihm umdrehte, konnte er nur mit Mühe die Spuren seiner Erregung verbergen.

»Da sehen Sie’s,« sagte der Gouverneur zu d’Herblay. »Sie glauben nicht, daß er sich wohl fühle. Nicht wahr,« wandte er sich wieder an den Gefangenen. »Sie haben nie zu klagen?« – »Nie.« – »Und langweilen sich auch nie?« fragte Aramis. – »Nie.« – »Dagegen ist nichts einzuwenden,« sagte Aramis zu dem Gouverneur. »Wollen Sie noch ein paar Fragen an ihn richten? Dann, bitte, fragen Sie zunächst einmal, ob ihm bekannt ist, weshalb er hier ist.« – Der Gouverneur tat die Frage, und der junge Mann antwortete ruhig: »Nein, ich weiß es nicht.« – »Aber das ist doch nicht möglich,« rief d’Herblay, indem er sich von seinem Gefühl hinreißen ließ. »Sie müssen doch außer sich sein vor Grimm, daß Sie nicht einmal den Grund Ihrer Gefangenschaft kennen.« – »In der ersten Zeit war ich es auch,« antwortete der junge Mann ruhig. – »Und jetzt sind Sie’s nicht mehr?« – »Ich habe mich eines Bessern besonnen.« – »Inwiefern?« – »Ich sage mir jetzt; wenn auch die Menschen mich strafen, Gott kann mich nicht strafen, weil ich nichts verbrochen habe.« – »Gleichviel, eine Strafe bleibt es doch,« rief Aramis. – »Ich weiß nicht; aber ich denke und fühle jetzt eben ganz anders als vor sieben Jahren.« antwortete der Gefangene. – »Seltsam! Wenn man Sie so reden hört, möchte man glauben, der Kerker sei Ihnen lieb geworden.« – »Ich ertrage meine Haft mit Geduld,« war die Antwort. – »In der sichern Erwartung, einmal frei zu werden?« – »Erwartung? O nein! Aber Hoffnung trotz allem noch, wenn sie auch mit jedem Tage mehr schwindet.«

»Wie alt sind Sie?« – »Ich weiß es nicht.« – »Wie heißen Sie?« – »Ich habe den Namen vergessen, den man mir gegeben hat.« – »Haben Sie Ihre Eltern gekannt?« – »Nein.« – »Aber doch Ihre Pflegeeltern?« – »Sie nannten mich nie ihren Sohn.« – »Hatten Sie sonst jemand lieb, ehe Sie hierher kamen?« – »Meine Amme, meine Blumen, meinen Diener.« – »Sie haben Amme und Diener wohl sehr vermißt?« – »Ich habe viel geweint, als sie starben.« – »Sind die beiden inzwischen gestorben oder bevor Sie herkamen?« – »Beide am Tage meiner Gefangennahme.« – »Beide am gleichen Tage?« – »Zu gleicher Zeit.« – »Wie geschah Ihre Verhaftung?« – »Ein Mann holte mich ab, hieß mich in einen Wagen steigen und brachte mich hierher.« – »Würden Sie diesen Mann wiedererkennen?« – »Er war maskiert.«

»Seltsame Geschichte, nicht wahr?« raunte Baisemeaux dem Bischof zu. – Aramis wagte kaum zu atmen. »Ja, sehr seltsam,« murmelte er. – »Aber das sonderbarste ist, daß er noch nie zuvor so viel aus seinem Leben erzählt hat wie eben jetzt Ihnen,« setzte der Gouverneur hinzu. – »Vielleicht, weil Sie ihn nie ausgefragt haben,« meinte Aramis. – »Mag sein,« antwortete Baisemeaux, »ich bin grundsätzlich nicht neugierig.«

»Erinnern Sie sich,« fragte der Bischof, »eines Besuchs von einem fremden Herrn oder einer Dame?« – »Eine Dame war dreimal hier und stellte die gleichen Fragen an mich wie Sie vorhin; nämlich, ob ich mich wohl fühlte und ob ich mich nicht langweilte.« – »Und wenn sie ging?« – »Dann drückte sie mich ans Herz und küßte mich.« – »Würden Sie diese Dame wiedererkennen, wenn der Zufall Sie mit ihr zusammenführte?« – »Ganz gewiß.« – Aramis lächelte unwillkürlich; dann schien er alles zu wissen, was er hatte hören wollen, und wandte sich an den Gouverneur. »Wollen wir gehen?« – »Wenn es Ihnen gefällig ist,« antwortete Baisemeaux. Und sie verließen den Kerker. Der junge Mann grüßte höflich und setzte sich ruhig wieder auf seinen Schemel.

»Nun, was sagen Sie dazu?« fragte der Gouverneur draußen. – »Ich habe das Geheimnis entdeckt,« antwortete der Bischof. »In diesem Hause ist ein Mord begangen worden. Der Diener und die Amme sind an einem Tage und zu gleicher Zeit gestorben. Verstehen Sie? Vergiftet ohne Zweifel.« – »Das kann schon sein.« – »Vielleicht hat jener Knabe die Verbrecher gesehen, und man fürchtet, er könnte schwatzen.« – »Teufel, wenn ich das wüßte –« murmelte der Gouverneur. – »Was würden Sie dann tun?« – »Doppelt wachsam sein.« – »Er sieht nicht danach aus, als sänne er auf Flucht.« – »Man kann nie wissen.« – »Bekommt er Bücher?« – »Nein, das ist streng verboten, Mazarin hat das Verbot eigenhändig geschrieben. Sie können es sehen, wenn wir wieder unten sind. Es ist in dem Erlaß eine Stelle ausgestrichen. Mazarin hatte nämlich zuerst geschrieben, es sollten täglich 50 Livres für ihn bezahlt werden.« – »Also so viel wie für einen Prinzen von Geblüt.« – »Aber nachher hat der Kardinal wohl gesehen, daß er sich irrte, die Null ausgestrichen und vor die 5 eine 1 gesetzt. Doch Sie sagen ja gar nichts über die Ähnlichkeit.«

»Aus dem einfachen Grunde, weil sie überhaupt nicht vorhanden ist,« antwortete d’Herblay. »Und wäre sie vorhanden, so würden Sie gut tun, gar nicht davon zu reden. Ludwig XIV. würde sicherlich sehr böse werden, wenn er erführe, daß einer seiner Untertanen sich erkühne, ihm wie ein Zwillingsbruder ähnlich zu sein.« – »Das ist wahr,« versetzte Baisemeaux erschrocken, »aber ich habe es ja auch nur gesagt, weil ich auf Ihre Diskretion rechne.« – »Seien Sie ohne Sorge,« antwortete Aramis, »und nun noch die Notiz von Mazarin!« – Sie waren in Baisemeaux‘ Wohnung zurückgekehrt. Der Gouverneur suchte ein Buch hervor, blätterte darin, schlug den Buchstaben M auf und ließ den Bischof folgende in Mazarins Handschrift eingetragene Bemerkung lesen:

»Keinerlei Lektüre – feinste Wäsche – eleganteste Kleidung. Nicht spazieren gehen lassen – immer den gleichen Kerkermeister – und kein Umgang mit andern. Musikalische Instrumente sind gestattet. Für alle Bequemlichkeit ist zu sorgen. 15 Livres tägliches Kostgeld. Herr Beaisemeaux kann mehr fordern, wenn das nicht ausreicht.« – »Sieh da,« rief der Gouverneur. »Das hatte ich ganz vergessen. Ich werde sogleich mehr fordern.«

Aramis klappte das Buch zu. »Ja, es ist Mazarins Handschrift,« sagte er. »Ich kenne sie. Und nun, lieber Baisemeaux, sind unsere Geschäfte erledigt. In diesem Beutel ist Ihr Geld. Stellen Sie mir eine ganz einfache Quittung aus, und zwar über die nun erhaltene Gesamtsumme von 150 000 Livres.« – »Ich habe Ihnen aber schon zwei Quittungen gegeben,« sagte Baisemeaux schüchtern. – »Hier sind sie,« antwortete d’Herblay, »und ich zerreiße sie vor Ihren Augen.« – Der Gouverneur schrieb den Empfangsschein, und Aramis steckte ihn in die Tasche, scheinbar, ohne ihn gelesen zu haben. Dann wandte er sich zum Gehen. – »Nicht wahr, sagte er auf der Schwelle, »Sie sind mir nicht böse, wenn ich Ihnen einen Gefangenen entführe? Ich meine natürlich, indem ich seine Begnadigung erwirke,« setzte er hinzu, als er das ängstliche Gesicht des Gouverneurs sah. »Der arme Seldon, der Poet jenes Spottverses, tut mir so leid.« – »Das ist Ihre Sache,« antwortete Baisemeaux. »Ich weiß, Ihr Arm reicht weit, und Ihre Hand ist stark.«

9. Kapitel. Neue Eifersucht

Seit Buckinghams Abreise glaubte Guiche, die Welt gehöre nur ihm allein. Monsieur, von der Eifersucht erlöst, gewährte in seinem Hause ein so freies Leben, daß die Ungenügsamsten damit zufrieden sein konnten. Auch der König, der an der Gesellschaft der koketten Prinzessin Gefallen fand, trug das Seine dazu bei, die Lustbarkeit zu steigern. So verstrich kein Tag ohne eine Festlichkeit am Hofe Monsieurs. Ueberdies rückte nun das große Fest immer näher, das in Fontainebleau veranstaltet werden sollte, und die Damen hatten alle Hände voll zu tun, um das Programm durch neue Nummern zu bereichern, ihre Toiletten zu entwerfen und deren Herstellung zu überwachen.

Madame gab sich diesem geräuschvollen Leben mit aller ihr eigenen Ungezwungenheit hin, und da Graf von Guiche in Sachen der Toilette und in allem, was Zerstreuung und glänzenden Zeitvertreib anbetraf, ein Meister war, unerschöpflich an immer neuen Ideen und unfehlbar im Geschmack, so war es nur natürlich, daß sie zur Zeit ihn ganz offenkundig bevorzugte. Nur wenn der König selbst zugegen war, mußte Guiche zurückstehn, allein Ludwig XIV. machte ihm keine Konkurrenz. Obwohl überaus galant und in alle Frauen verliebt – sogar in seine eigene – war er doch sehr zurückhaltend, solange er mit seinem Urteil noch nicht im klaren war. Er behandelte alle Damen mit gleicher Höflichkeit, und noch konnte keine sich rühmen, von ihm vor den andern ausgezeichnet worden zu sein. Man konnte voraussehen, daß, wenn er eine zu seiner Geliebten erklärte, diese eine zu unumschränkter Herrschaft gelangen würde; aber noch geschah nichts dergleichen. Der eigentliche König dieses galantes Hofes war also – wenn auch zu seinem Unglück nur auf kurze Zeit – der Graf von Guiche.

Das fiel natürlich auf, und es war selbstverständlich, daß Chevalier von Lorraine, der stets auf Kriegsfuß mit Guiche stand, weil er sein erfolgreichster Nebenbuhler in der Gunst Monsieurs war, diesen Anlaß benutzte, eine Intrige gegen den Grafen anzuzetteln. Das beste Mittel, seinen Zweck rasch zu erreichen, war für den Chevalier, sich zu entfernen und ein paar Tage lang nicht bei Hofe zu erscheinen. Monsieur war seit kurzem fast stündlich mit dem Chevalier zusammen gewesen und vermißte ihn nun. Da er ihn nirgends fand, machte er sich auf die Suche nach seinem andern Freunde, dem Grafen von Guiche. Der kam endlich, blieb aber nur ein paar Minuten, weil er begreiflicherweise die Gesellschaft Madames vorzog. So war denn Monsieur wieder allein und langweilte sich zum Sterben. Er war der unglücklichste Mensch von der Welt und kam in dieser Stimmung auf den Einfall, mal zu seiner Frau zu gehen.

Dort fand er eine überaus lustige Gesellschaft von lachenden, plaudernden Herren und Damen. Madame selbst saß auf einem Sofa, und Guiche kniete vor ihr und breitete Perlen und Edelsteine aus, zwischen denen die Prinzessin mit ihren weißen Fingern die schönsten herauszusuchen schien. In einer Ecke saß ein Gitarrenspieler und klimperte eine niedliche Weise herunter.

Monsieur war sehr ärgerlich, daß man sich hier so köstlich amüsierte, während er vor Langeweile vergehen mußte. Er rief im Tone kindischen Neides: »Hier geht’s ja lustig her, und ich blase da drüben Trübsal!« – Guiche sprang auf, der Gitarrespieler hielt inne, Malicorne versteckte sich hinter der Montalais, Manicamp warf sich in die Brust. Madame allein blieb ganz ruhig und rief ihrem Gatten zu: »Das ist doch die Stunde, wo Sie Toilette zu machen pflegen.« – »Und wo man hier Tollheiten treibt!« rief der Prinz zurück. – Diese übelgewählten Worte waren das Signal zu allgemeiner Flucht. Die Damen stoben auseinander wie eine Schar aufgescheuchter Vogel; die Herren schlichen beiseite. Nur von Guiche blieb zurück. Er und die Prinzessin hielten wacker den Angriff des mißvergnügten Gatten aus.

»Warum flieht alles, wenn ich mich sehen lasse?« rief Monsieur ungehalten. – »Aus Respekt vorm Herrn des Hauses,« antwortete Madame mit leisem Spott. Dabei machte sie ein so schelmisches Gesicht, daß Monsieur nichts weiter tun konnte, als ein recht dummes Gesicht zu machen. Er fühlte wohl auch das Lächerliche seiner Lage und warf nun einen so grimmigen Blick auf Guiche, daß dieser es doch für geraten hielt, mit einer höfischen Verneigung hinauszugehen.

»Was soll das nun heißen, Madame?« begehrte der Prinz auf, als er mit seiner Gemahlin allein war. »Das ist ja, als wenn ich gar nicht hergehörte!« – Madame ließ ihre Perlen fallen, lachte nicht mehr, schien aber auch nicht geneigt, eine Antwort zu geben. – Monsieur drehte sich um und stürmte zornig hinaus. – Draußen stieß er fast mit Fräulein von Montalais zusammen. Sie machte eine tiefe Verbeugung. – »Warum sind Sie alle fortgelaufen?« rief Philipp. »Hier wird gescherzt, gelacht, musiziert, und wenn ich herkomme, um mich auch ein bißchen zu erheitern, entfernt man sich. Geschieht denn hier etwas Unziemliches, wenn ich nicht da bin?« – »Gnädigster Herr, hier geschieht alle Tage dasselbe,« antwortete das Ehrenfräulein. – »Wie? Man lacht und musiziert hier alle Tage?« – »Alle Tage ist hier dieselbe Gesellschaft, die Königliche Hoheit eben gesehen haben.«

»Was, alle Tage Gitarre?« – »Dieses Instrument ist jetzt Mode, und wir Frauen würden uns ohne Musik langweilen.« – »Und die Männer?« – »Was denn für Männer?« fragte die Montalais mit jener Unschuld, die sie so trefflich zu heucheln wußte. – »Nun, Malicorne, Manicamp und Graf Guiche – und wie sie alle heißen mögen.« – »Sie gehören alle zur Hofhaltung Eurer Hoheit.« – »Sie haben recht, Fräulein,« antwortete der Prinz, kehrte in sein Zimmer zurück und warf sich in einen Sessel. Ganz gegen seine Gewohnheit sah er nicht in den Spiegel; er wußte, daß er jetzt häßlich aussehen würde.

»Wo ist Chevalier von Lorraine?« rief er. – »Nicht zu finden.« – »Immer dieselbe Antwort!« brummte Philipp, und sein Zorn ward so groß, daß er mit dem Fuße gegen ein Ziertischchen stieß, das umfiel und in Stücke brach. Darauf ging er mit der größten Kaltblütigkeit in die Galerie und warf eine Emaillevase, eine Kanne aus Porphyr und einen Kandelaber aus Bronze um. Der Lärm rief die ganze Dienerschaft zusammen. – »Was befehlen Hoheit?« fragte der Kammerherr vom Dienst. – »Nichts,« versetzte Philipp. »Ich mache mir nur selbst Musik.« – Der Kammerherr war willens, den Arzt rufen zu lassen, als sich Malicorne melden ließ mit dem Bescheid, er habe den Chevalier von Lorraine gefunden.

Der Herzog von Orléans konnte seine Freude nicht unterdrücken, als er den Chevalier erblickte. »Ha, das ist schön! Warum blieben Sie mir fern!« rief er aus. »Warum verschwanden Sie?« – »Ich war hier unnütz, Hoheit,« antwortete der Günstling. – »Aber wieso denn?« – »Hoheit haben Leute um sich, die Ihnen besser zusagen und mit denen ich es nicht aufnehmen kann. Deshalb zog ich mich zurück.« – »Schon wieder eifersüchtig auf Guiche?« rief Philipp. – »Hoheit wissen doch,« versetzte Lorraine, »Graf Guiche gehört zu meinen besten Freunden.« – »Ich will aber wissen, weshalb du verschwandest?« beharrte der Prinz. – »Ich will es sagen,« antwortete der Höfling, »aber Sie dürfen es mir nicht übelnehmen. Ich hatte das Gefühl, als ob ich Madame im Wege sei. Sie ist vielleicht neidisch auf die Gunst, die Eure Hoheit mir widmen. Auch spricht sie nie mehr mit mir, seit Guiche, der ihr besser zu gefallen scheint, zu jeder Stunde Zutritt zu ihr hat.«

»Zu jeder Stunde?« rief der Herzog ernst und errötete. »Was willst du damit sagen?« – »Ich sage nichts mehr, denn ich errege Ihr Mißfallen,« antwortete Lorraine mit einer steifen Verbeugung. – »Ich wünsche es, sprechen Sie!« rief Orléans ungeduldig. – »Hoheit behandeln mich ja wie einen Angeklagten, den man verhört,« erwiderte der Chevalier. »Nun ja, es behagte mir nicht, daß Graf von Guiche mir vorgezogen wurde, nicht nur von Ihnen, sondern vor allem auch von Madame. Das nennen Hoheit nun Eifersucht? Mag sein; aber sind denn Hoheit nicht eifersüchtig – Pardon! würden Hoheit nicht eifersüchtig sein, wenn Sie sähen, daß eine bestimmte männliche Person sich beständig in der Nähe Ihrer Frau befindet, zu jeder Zeit dort willkommen ist, immer sein Plätzchen frei hat. Doch das gehört freilich nicht hierher,« brach Lorraine ab.

»Es ist mir gleichgültig, ob Graf von Guiche sich mit besonderm Eifer um die Person meiner Gemahlin bemüht,« warf der Prinz hin, und dennoch nahm er den Kopf zwischen beide Hände und wühlte mit den Fingern in den Locken herum. – »Selbstverständlich,« sagte Lorraine. »Sie lieben Ihre Gattin, und da ich weiß, daß Ihre Liebe immer nur einem Gegenstand gilt, so hielt ich den Zeitpunkt gekommen, meiner Wege zu gehen. Denn Ihre Gemahlin wird es dahin bringen, daß Sie ihr zu Gefallen eben auch den Grafen von Guiche vorziehen. Und ein geringschätziger Blick von Ihnen, Hoheit, wäre mein Tod. Deshalb wollte ich das Feld meiden, trotz aller aufrichtigen Freundschaft und Bewunderung, die ich für Sie hege.«

»Lorraine,« rief Philipp, »wir haben schon einmal über die Narretei Buckinghams in diesem Tone gesprochen. Buckingham war ein Narr – du öffnetest mir die Augen, was ihn anbetrifft. Wird jetzt von Guiche dasselbe geredet wie vorher von Buckingham?« – »Hoheit, es wäre hundertmal besser gewesen, mich in meiner Einsamkeit zu lassen, als daß Sie nun aus meinem Bedenken einen Argwohn gegen Madame schöpfen – man würde ihr damit nur Unrecht tun. Ich würde an Ihrer Stelle, Königliche Hoheit, diese lustige Gesellschaft gewähren lassen, dann kommen alle Gerüchte, sofern solche im Umlauf sind, ganz von selbst zum Schweigen.«

Der Herzog schüttelte den Kopf. »Ich werde es mir überlegen,« murmelte er.

Die Stunde des Diners war gekommen, und Philipp schickte zu seiner Gemahlin, erhielt jedoch den Bescheid, die Herzogin wolle nicht bei der Tafel erscheinen, sondern in ihren Gemächern speisen. – »Dann speisen wir allein,« sagte Orleans. »Es ist meine Schuld, ich habe heute vormittag den Eifersüchtigen gespielt.« – »Wir waren sonst zu dritt,« warf Lorraine hin. – »Ja, Guiche fehlt, aber er wird nicht lange schmollen,« sagte Philipp mißmutig. – »Gnädigster Herr, es tut mir leid, Sie zum Unwillen gereizt zu haben. Ich will es wieder gutmachen,« sprach der Chevalier, »und selbst Vermittler sein, indem ich Guiche herhole.« – »Mir sehr lieb, geh nur!« rief der Herzog.

Lorraine hatte überall bei Hofe gute Freunde, und er fand ohne Schwierigkeiten einen Diener, der es übernahm, sich zu erkundigen, ob Graf von Guiche bei Madame sei. Nach fünf Minuten war er wieder beim Herzog. »Guiche ist leider nicht zu finden,« sagte er. »Entflohen, wie es scheint, unsichtbar.« – »Ha! Der Auftritt heute morgen wird ihn kopfscheu gemacht haben. Sicherlich ist er sofort mit Extrapost auf seine Güter gereist. Der arme Graf! Na, da essen wir eben zu zweit.«

»Ich habe eine neue Idee,« sagte Lorraine mit gut gespielter Verstellung. »Gnädigster Herr, Madame ist böse auf Sie. Wie wäre es, wenn Sie, da Madame nicht zu Ihnen kommen will, zu Madame gingen? Suchen Sie sie auf und speisen Sie mit ihr. Besonders jetzt, wo Sie diesen goldgestickten Frack anhaben, der Ihnen entzückend steht.« – »Hm, wäre am Ende gar nicht schlecht. Ja! ich will gehen.« – Und Philipp von Orléans machte sich auf den Weg zu den Gemächern seiner Gemahlin. Unterwegs flüsterte Lorraine dem getreuen Kammerdiener zu: »Stelle Leute vor die kleine Tür, daß niemand nach dorthin entweichen kann. Mach schnell!« Und als der Türhüter den Herzog bei Madame melden wollte, trat Lorraine rasch vor und sagte: »Bleibe jeder, wo er ist! Königliche Hoheit wollen überraschen.«

Monsieur trat ein wie jemand, der eine Freude bereiten will. Er blieb wie versteinert auf der Schwelle stehen. Madame drehte sich im Tanze am Arme des Grafen von Guiche. Die Montalais sah bewundernd zu, Fräulein von Lavallière saß still in einer Ecke. Man hatte anscheinend das Diner über das Tanzen vergessen. Als Monsieur eintrat, hielt das Paar mit jähem Ruck inne. Der Chevalier lächelte mit dem Ausdruck aufrichtiger Bewunderung. Der Prinz aber erblaßte, sein Mund verzog sich zitternd, seine Hände ballten sich.

»Entzückend!« sagte er mit tonloser Stimme. »Ich erwartete, Madame unpäßlich zu finden. Wie freut es mich, daß dies nicht der Fall ist. Mein Haus ist ja vielmehr das lustigste von der Welt. Warum laden Sie mich nicht ein, Madame, wenn es bei Ihnen so hoch hergeht? Ich bin ein sehr verlassener Prinz.« – Guiche hatte inzwischen die Fassung wiedererlangt. »Gnädigster Herr,« sagte er mit dem stolzen Ausdruck, der ihn so gut kleidete, »Sie wissen, mein ganzes Leben ist Ihrem Dienst geweiht, ich bin jederzeit willens, es für Sie zu opfern. Heute aber gilt es nur zu tanzen, und deshalb tanze ich.«

»Sehr richtig,« versetzte Philipp kalt. »Aber von Madame ist es nicht recht, mir meine Freunde zu entführen. Madame, Guiche gehört mir, nicht Ihnen. Wenn Sie nicht mit mir speisen wollen, Madame, so speisen Sie mit Ihren Damen. Wenn ich aber ohne Sie speisen muß, so will ich wenigstens meine Kavaliere dabei haben.« – Madame fühlte, daß in diesen Worten eine Zurechtweisung lag und antwortete: »Fürwahr, ich wußte nicht, daß am französischen Hofe die Frauen wie in der Türkei gehalten werden, wo Männern der Zutritt verboten ist. Doch wenn es sein muß, ich halte es aus. Genieren Sie sich nicht, Monsieur, wenn Sie etwa noch eiserne Gitter vor die Fenster legen wollen.«

Der Prinz geriet von neuem in Zorn. »Da sehe ich, wie ich in meinem eigenen Hause geachtet werde,« rief er aus. Und er wendete sich so rasch zum Gehen, daß er Madame fast gestoßen hätte. Er eilte in sein Zimmer zurück, Lorraine folgte ihm. – »Gib mir deinen Rat!« rief der Prinz. »Es kann nicht so bleiben. Das sind ja unausstehliche Zustände.« – »Allerdings,« seufzte der Chevalier. »Man glaubte Ruhe zu haben, als man Buckingham los war –« – »Und nun wird es nur noch schlimmer,« setzte Orléans hinzu. »Buckingham wäre nie so weit gegangen. Das dulde ich nicht länger. Ich werde auch keine Rücksicht nehmen, wenn man mit mir keine nimmt.«

Und er eilte hinaus und fragte, ob die Königin-Mutter aus der Kapelle zurück sei. Anna von Oesterreich wußte noch nichts von der Wendung, die die Dinge in den letzten Stunden genommen hatten; sie freute sich vielmehr über das Glück, das am Hofe ihres jüngeren Sohnes zu herrschen schien, und war stolz auf ihre beiden Söhne, auf den König, der sich, seit er selbständig regierte, trefflich bewährt hatte, und auf Philipp, der in Lady Henriette eine glänzende Partie gemacht zu haben schien. Da trat nun plötzlich Philipp vor sie hin mit dem Ausruf: »Mutter, so kann es nicht länger bleiben!«

Anna von Oesterreich sah ihn mit ihren schönen Augen an und fragte mit der ihr eigenen Sanftmut: »Wovon sprichst du denn?« – »Von meiner Frau!« – »Wie? hat Buckingham etwa geschrieben?« – »Nein, von Buckingham ist nicht die Rede. An seine Stelle ist schon wieder ein anderer getreten. Graf von Guiche.« – Die Königin-Mutter schlug in die Hände und lachte. – »Philipp, deine Eifersucht ist keine Schwäche mehr,« sagte sie, »sie artet zur Krankheit aus.« – »Gleichviel, Frau Mama, ich leide darunter,« antwortete Philipp. – »Und erwartest, man solle ein Uebel beseitigen, das nur in deiner Einbildung vorhanden ist?« versetzte die Königin-Mutter. – »Ich sehe, Sie wiederholen über diesen nur, was Sie über jenen sagten,« meinte Orleans ärgerlich. – »Weil du dich gegen diesen ebenso töricht benimmst, wie gegen jenen, mein Sohn,« erwiderte Anna. »Doch gut, du bist mein Sohn, ich bin dir mütterliche Nachsicht und Hilfe schuldig. Mit deiner Gattin kann ich nicht gut darüber sprechen, denn junge Frauen sind sehr feinfühlend und halten selbst einen leisen Wink schon für einen schweren Vorwurf.« – »Was also wollen Sie tun, Frau Mama?« rief Philipp. »Sie fürchten, zuweit zu gehen, wo doch Madame sich nicht drum sorgt, ob sie zuweit geht! Und geht sie nicht zuweit, wenn sie sich bei mir wegen Unpäßlichkeit entschuldigen läßt und zur selben Stunde in ihren Gemächern mit dem Grafen von Guiche Tänze aufführt?«

Anna von Oesterreich runzelte die Stirn. – »Das ist allerdings unbesonnen,« räumte sie ein. – »Kurz und gut, ich verlange, daß Guiche mein Haus verläßt!« rief der Herzog. »Ich werde das vom König fordern, und wenn der König nicht auf mich hört und von Guiche sich weigert zu gehen, so werde ich ihn in meiner Badewanne ertränken lassen.« – Der Prinz erwartete, seine Mutter würde über diese Drohung heftig erschrecken; sie blieb aber ganz ruhig und antwortete: »Tu das, mein Sohn.«

»Ich sehe schon, niemand nimmt sich meiner an,« rief Philipp weinerlich, denn er war von weibischer Schwäche. »Selbst meine Mutier hält es mit meinen Feinden.« – »Du ließest mich vorhin nicht ausreden,« unterbrach ihn Anna. »Ich meinte, ich kann wohl nicht mit deiner Gattin sprechen, aber mit dem König kann ich über den Punkt in aller Ruhe einmal verhandeln. Ich erwarte Seine Majestät hier. Es ist die Stunde, zu der er sonst kommt. Er kann jeden Augenblick da sein.«

Als sie dies sprach, hörte man Schritte an der Tür. Philipp erschrak, wurde zaghaft und schlüpfte rasch zu einer Seitentür hinaus. Die Königin-Mutter fing an zu lachen und lachte noch, als Ludwig XIV. eintrat. Es war seine Gewohnheit, sich alle Morgen nach ihrem Befinden zu erkundigen. Gleichzeitig wollte er ihr ankündigen, daß alle Vorbereitungen, den Hof nach Fontainebleau zu verlegen, getroffen seien. Anna von Oesterreich ergriff seine Hand. »Weißt du,« sagte sie, »ich bin doch stolz darauf, eine Spanierin zu sein. Die Spanierinnen scheinen immer noch besser als die Engländerinnen. Auch du hast eine Spanierin zur Gemahlin und bist doch schon einige Zeit verheiratet, ohne daß du dich bei mir jemals beklagt hättest. Dein Bruder aber ist erst seit vierzehn Tagen Ehemann und beschwert sich schon zum zweiten Male über Madame.«

»Immer noch über Buckingham?« fragte Ludwig lächelnd. – »Nein, diesmal über den Grafen von Guiche.« – »Ei, so ist Madame eine Kokette – mein armer Bruder!« – »Lache nicht! Er ist außer sich. Er will Guiche ertränken lassen.« – »Das ist etwas stark,« sagte Ludwig. »Da müssen wir eingreifen. Nun, ich bin allen dreien wohlgesinnt, meinem Bruder, seiner Gattin und feinem Freunde – oder ihrem Freunde, wenn Sie wollen. Ich will versuchen, ob ich es einrenken kann. Freilich, in solchen Dingen hat selbst die königliche Gewalt ihre Grenzen. Eine Frau bessern? – O! mit einem Manne kann man’s allenfalls versuchen. Den Grafen will ich mit einem Worte kirren – aber Madame! Das ist schwieriger. Doch wir haben heute abend Balletprobe, da werde ich ihr zwischen einer Tour die Leviten verlesen. Ich werde ihr eine kleine Kapuzinerpredigt halten.« – »Nun, hoffentlich hast du Glück,« sagte Anna von Oesterreich.

»Da fällt mir noch etwas anderes ein,« fuhr der König fort. »Es wäre vielleicht besser, wenn ich Madame auf ihrem Zimmer besuchte.« – »Das gibt der Sache aber ein etwas förmliches Ansehen,« meinte die Königin-Witwe. – »Das wohl, aber wer eine Predigt halten will, den kleidet ja das Förmliche, und ein bißchen Feierlichkeit fördert den Erfolg. Ja, ich will zu ihr gehen. Mutter, ich küsse Ihnen die Hände – diese schönsten Hände von Frankreich!« – »Nun, stelle nur den Frieden im Hause wieder her.« – »Ich bediene mich ja keines Abgesandten – das heißt, ich werde meinen Zweck erreichen,« antwortete Ludwig XIV. lächelnd und ging hinaus. Und noch immer lächelnd, klopfte er unterwegs ein wenig Puderstaub von der Goldborde seines Gewandes.

6. Kapitel. Eifersucht

Anna von Oesterreich saß in ihrem Zimmer und schrieb, als ihr Sohn, Monsieur, der Herzog von Orléans, eintrat. Er war um seines hübschen Gesichts willen der Liebling der Mutter und von ihr fast noch mehr verwöhnt und verhätschelt worden als Ludwig, der ältere. Anna hätte sehr gern eine Tochter gehabt und fand in diesem weibisch veranlagten Sohn einen Ersatz dafür.

Philipp küßte seiner Mutter zerstreut die Hand und nahm Platz, ohne von ihr dazu aufgefordert zu sein. Das war ein Verstoß gegen die Etikette, den die sehr auf Konvenienz haltende Königin gewiß nicht ungerügt gelassen hätte; doch hielt sie ihn der offenbaren Zerstreuung ihres Sohnes zugute.

»Was fehlt dir, Philipp?« fragte sie befremdet. – »Vielerlei, Mama,« antwortete er in kläglichem Tone. Und er schien bereit, allem Verdruß, den er empfand, Luft zu machen; doch ganz plötzlich hielt er inne und schwieg seufzend. – »Nun, so sprich doch, Philipp,« sagte Anna. »Handelt es sich um Madame, deine Gemahlin? Dann tu dir keinen Zwang an. Ich bin deine Mutter, und sie ist meine Schwiegertochter. Ich werde dir mit Teilnahme zuhören.«

»Nun, Frau Mama, frei heraus – ist Ihnen selbst nichts aufgefallen?« fragte der Prinz. – »Was denn? du drückst dich sehr unklar aus –« – »Sie wissen, Frau Mama, ich wollte noch nicht heiraten und habe es nur mit Widerstreben getan –« – »Philipp, wie du das sagst! Mit was für einem Gesicht!« rief die Königin-Witwe. »Nimm dich in acht! Man wird glauben, du seiest mit deiner Ehe nicht zufrieden.« – »Bin ich auch nicht – mache gar kein Hehl daraus. Offen gesagt, Frau Mama, ich habe mir das Leben als Ehemann anders gedacht. Was denn? Meine Gemahlin gehört ja eigentlich gar nicht mir. Wann ist sie denn bei mir? Sie wird von allen möglichen Leuten besucht und in Anspruch genommen, schreibt nachmittags Briefe und gibt abends Bälle und Konzerte.«

»Also eifersüchtig, Philipp?« – »Gott bewahre, das überlasse ich andern. Aergerlich bin ich.« – »Was du da vorgebracht hast, das sind lauter harmlose Dinge, und solange du nichts Ernsthaftes –« – »Muß denn eine Frau gleich schuldig sein? Sie kann einem trotzdem schon das Leben schwer machen. Sie kann gewisse andere Herren in einer Weise bevorzugen, die selbst einen nichts weniger als eifersüchtigen Ehemann außer sich bringen kann.«

»Und wen bevorzugt Madame in solcher Weise?« fragte Anna. – Philipp kreuzte die Arme und sah seine Mutter mit einem Blicke an, als wenn er überzeugt sei, daß sie auf das, was er nun sagen werde, nichts zu antworten wissen würde. – »Den schönen Herzog von Buckingham,« sagte er. »Wenn Sie schon Madame in Schutz nehmen, werden Sie auch ihn verteidigen. Er ist in Madame verliebt.«

Anna von Oesterreich errötete und lächelte. Der Name Buckingham erweckte süße Erinnerungen in ihr. – »Buckingham,« wiederholte sie leise. – »Ja, ein richtiger Don Juan, wie mir scheint.« – »Die Buckinghams sind brav und gut,« erwiderte Anna. – »Ei, Frau Mama nehmen einen Galan in Schutz?« rief Philipp erbittert. – »Mein Sohn,« unterbrach ihn die Königin-Witwe mit Wärme. »Dieser Ausdruck ist deiner unwürdig. Deine Gemahlin kann keinen Galan haben, und ein Buckingham kann kein Galan sein. Er stammt aus einem makellosen Geschlecht.« – »Er ist ein Engländer,« erwiderte Philipp, »und die Engländer haben wenig Respekt vor fremdem Eigentum.« – Die Königin-Witwe errötete. – »Du sprichst ohne Ueberlegung,« fiel sie ihm ins Wort. – »Da ist nichts zu überlegen,« versetzte er. »Habe ich denn keine Augen?«

»Nun, was zeigen dir deine Augen?« – »Daß Buckingham nicht von der Seite meiner Frau weicht. Er macht ihr Geschenke, und sie nimmt sie an.« – »Nun, sie sind Landsleute, es ist nichts Schlimmes dabei,« antwortete die Königin-Witwe. »Deine Torheiten erinnern mich schmerzlich an deinen Vater – er hat mir auch oft wehgetan.« – »Buckingham, der Vater, war gewiß zurückhaltender als Buckingham, der Sohn,« sagte Philipp unbesonnen.

Anna von Oesterreich preßte die Hand auf die Brust. 3 Nur mit Mühe faßte sie sich. »Nun, was willst du denn eigentlich von mir?« fragte sie. – »Mich beschweren – aufs nachdrücklichste,« antwortete Monsieur. »Ich werde mir von Buckingham nichts gefallen lassen und mich im Notfall an den König selbst wenden. Oder,« setzte er in einem Tone der Festigkeit hinzu, der sonst seiner weibischen Natur fremd war, »mir selbst mein Recht verschaffen.«

»Was verstehst du darunter?« fragte Anna. – »Ich will, daß Buckingham meine Frau in Ruhe läßt. Er muß fort aus Frankreich – und ich werde ihm das sagen lassen.« – »Das wirst du nicht tun, Philipp,« rief die Königin-Mutter. »Es wäre gegen das Gastrecht, und du würdest den König erzürnen. Ein unhöfliches Benehmen gegen Buckingham wäre eine Spitze gegen England selbst und könnte zum Zwiespalt führen. Und hier liegt außerdem eine faktische Beleidigung gar nicht vor. Es ist nichts als Eifersucht auf deiner Seite. Ich ermahne dich daher zur Geduld.«

»Ich habe keine Lust mehr, mich narren zu lassen,« rief Philipp und erhob sich. »Wenn Buckingham nicht mein Haus verläßt, so werde ich es ihm verbieten.« – Anna von Oesterreich erhob sich ebenfalls – steif und förmlich. – »Dann allerdings muß mit dem König darüber gesprochen werden,« sagte sie bewegt. – »Frau Mama!« rief Philipp. »Sprechen Sie doch jetzt mit mir als Mutter, nicht als Königin, denn ich spreche ja auch mit Ihnen als Sohn. Was soll ich denn tun?« – »Ueberlasse alles mir,« antwortete sie in wärmerem Tone. »Laß dir weder gegen deine Gemahlin, noch gegen den König, noch gegen Buckingham etwas merken. Sage dem Herzog, wenn du ihn siehst –« – »Wie soll ich ihn nicht sehen?« unterbrach sie der Sohn. »Er ist ja stets in den Zimmern meiner Frau –« – »Sage ihm nichts weiter,« fuhr die Königin fort, »als daß ich ihn um einen Besuch bitte.« – Philipp küßte seiner Mutter die Hand und ging.

Lord Buckingham folgte der Einladung der Königin-Mutter und ließ sich eine halbe Stunde später bei ihr melden. Die Königin stand auf und erwiderte mit huldvollem Lächeln die graziöse Begrüßung des Herzogs. Anna von Oesterreich war noch immer schön. Trotz ihres Alters erregte ihr blondes Haar und das frische Rot ihrer Lippen die Bewunderung aller, die sie sahen. In diesem Augenblick verlieh ihr die zärtliche Erinnerung, der sie sich überließ, einen besonderen Reiz, und sie schien noch so berückend, wie in den Tagen ihrer Jugend, als der junge, leidenschaftliche Vater dieses Buckingham vor ihr stand – jener Unglückliche, der nur für sie gelebt und mit ihrem Namen auf den Lippen gestorben war.

Sie warf auf den Herzog einen Blick, der zwischen dem einer liebenden Mutter und dem einer sich noch schön fühlenden Frau zu schwanken schien, und bat ihn auf englisch Platz zu nehmen. Es war eine große Zuvorkommenheit, daß die ältere Dame den jungen Kavalier in der Sprache seines Landes anredete. Buckingham wußte das und war durch diesen freundlichen Empfang tief ergriffen. »Mylord,« begann Anna von Oesterreich, »wie finden Sie Frankreich?« – »Ein schönes Land, Majestät.« – »Aber wie jeder Engländer ziehen Sie Ihr Vaterland vor?« fragte die Königin weiter. – »Mein Vaterland, ja,« antwortete der Herzog diplomatisch. »Aber wenn die Frage zwischen London und Paris liegt, so ist mir Paris lieber.« – »Ich habe gehört, Sie besitzen drüben schöne Güter und bewohnen einen prachtvollen Palast,« sagte Anna. – »Es ist meines Vaters Palast,« antwortete der Herzog, die Augen niederschlagend.

»Teure Erinnerungen müssen Sie an diesen Ort knüpfen,« sprach die Fürstin, selbst von solchen Erinnerungen berührt. »Da werden Sie gewiß Frankreich bald verlassen, um diesen Schätzen wieder nahe zu sein.« – Buckingham sah befremdet auf. – »Ich glaube im Gegenteil,« versetzte er rasch, »ich werde England verlassen, um dauernd in Frankreich zu wohnen.« – »Ah,« rief Anna, »so stehen Sie bei dem neuen König nicht in Gunst?« – »Im Gegenteil, der König schenkt mir unbegrenztes Wohlwollen.« – »Dann müssen Sie einen geheimen Grund haben,« sagte Anna.

»Nein,« erwiderte Buckingham lebhaft. »es ist gar nichts Geheimes dabei. Es gefällt mir in Frankreich – ich fühle mich wohl an diesem Hofe – man findet hier Geschmack und feine Sitte – und Genüsse, die es in meiner Heimat nicht gibt.« – »Aber ein Mann von Ihrem Range darf doch über die Genüsse nicht vergessen –« begann die Königin. – »Majestät scheinen zu viel Gewicht auf diesen Punkt zu legen,« unterbrach der Brite sie. – »Das Leben in der Heimat geht über alles, Herzog,« fuhr die Königin-Witwe fort, »ich bin lange von meinem Vaterlande fort, und doch ist kein Jahr verflossen, wo ich mich nicht danach gesehnt hätte.«

»Kein einziges?« erwiderte der Lord. »Auch keins von denen, wo Majestät die Königin der Schönheit waren – was Sie übrigens heute noch sind?« – »O, keine Schmeicheleien, Mylord,« rief Anna. »Ich bin eine alte Frau – ich könnte Ihre Mutter sein.« – Sie sagte diese Worte in seltsam warmem Tone. – »Ja, Mylord,« fuhr sie fort, »ich könnte Ihre Mutter sein, und deshalb gebe ich Ihnen einen guten Rat.«

»Nach London zurückzukehren?« rief er. – »Ja, Mylord,« antwortete sie. – Er faltete mit einem Ausdruck des Entsetzens die Hände. – »Wie, ich soll abreisen? Mich selbst verbannen?« rief er. – »Ei, möchte man doch fast glauben, Sie seien in Frankreich daheim!« sagte die Fürstin. – »Majestät, ein Liebender ist dort daheim, wo die Geliebte weilt.« – »»Kein Wort mehr, Mylord!« fiel Anna ihm ins Wort. »Sie vergessen, mit wem Sie reden. Sie verraten sich!« – Buckingham sank aufs Knie. – »Ich habe nichts gesagt – ich weiß nichts,« stammelte er. »Und übrigens, wir reden ja unter vier Augen – es weiß ja niemand, daß Majestät mit mir darüber sprechen.« – »Doch, Mylord, man weiß es,« antwortete Anna. – »Wie?« rief der Herzog außer sich. »Wer hat mich denunziert? Madame, es gibt Geheimnisse, die denen, die sie aufdecken, das Leben kosten!« – »Wie töricht! Der, der Ihr Geheimnis entdeckt hat, ist Ihrem Arm entrückt: er ist mit allem Recht gewaffnet und obendrein ein Ehemann voller Eifersucht. Es ist mein Sohn, der Herzog von Orléans.«

Buckingham erblaßte. – »Majestät sind grausam,« stieß er hervor. – Die Königin ergriff seine Hand, »Villiers,« sagte sie mit Ungestüm, »was verlangen Sie? soll eine Mutter ihren Sohn opfern? soll eine Königin dulden, daß Schmach über ihr Haus kommt? Schlagen Sie sich das aus dem Sinn! Sie reden von den Verstorbenen; die waren wenigstens ehrerbietig und gehorsam – fügten sich geduldig in die Verbannung und nahmen die Verzweiflung mit sich wie einen Schatz, den sie in ihr Herz schlossen.«

Verstörten Antlitzes stand Buckingham auf. »Majestät haben recht,« versetzte er; »doch jene, von denen Sie reden, erhielten den Befehl der Verbannung aus einem geliebten Munde – man trieb sie nicht fort – man bat sie abzureisen.« – »Und wer treibt denn Sie fort? Ich rede hier ja nur für mich selbst. Ich verlange einen Gefallen, den Sie mir persönlich tun sollen. Ich möchte auch dies noch einem Ihres Namens zu verdanken haben.« – »Ich bin in Verzweiflung, Majestät – was Sie sagen, ist wohl ein Trost, doch er wird mir nicht genügen–« – »Freund,« erwiderte die Königin mit huldvollem Lächeln, »haben Sie Ihre Mutter gekannt?« – »Nur wenig,« antwortete er, »doch erinnere ich mich, daß die edle Dame mich mit Küssen bedeckte, wenn ich weinte.«

»Villiers,« flüsterte die Königin und schlang den Arm um den Hals des jungen Mannes, »ich fühle für Sie wie eine Mutter – und ich will nicht, daß Sie weinen.« – »Dank, gnädigste Frau,« antwortete er bewegt, »ich fühle, mein Herz hat noch für ein tieferes, sanfteres Gefühl als die Liebe Raum. Wann soll ich reisen?« – »Uebermorgen abend; es darf nicht auffallen,« antwortete sie, ihm die Hand drückend. »Kündigen Sie jedoch heute schon Ihren Entschluß an.« – »Und ich darf nie nach Frankreich zurückkehren?« – Anna schwieg einen Moment, dann rief sie heiter: »Nun, kommen Sie in zwei Jahren wieder. Ich lese trotz aller augenblicklichen Trauer in Ihrem Antlitz, daß die Gedanken, die Sie heute bestürmen, in sechs Monaten vergessen sein werden.« – »Die Zeit geht am Herzen eines Buckingham spurlos vorüber,« antwortete der Lord. – »Still, still!« fiel Anna ihm ins Wort und küßte ihn auf die Stirn. »Nicht weich werden – ich bin die Königin, Sie sind Untertan Karls II. Ihr Souverän erwartet Sie. Villiers, farewell!« – »For ever!« 4 rief Buckingham und eilte, die Tränen verschluckend, hinaus. Anna preßte die Hand aufs Herz. – »Arme Königin!« flüsterte sie. »Jawohl, die Zeit geht für das hier drinnen spurlos vorüber. In einem Winkel des Herzens bleibt man immer zwanzig Jahre alt.«

  1. Annas Liebesverhältnis mit Herzog von Buckingham ist historische Tatsache.
  2. farewell – lebewohl! – for ever – auf ewig!

2. Kapitel. Der Empfang

Vier Tage später kam die glänzende Gesellschaft in Havre an. Es war fünf Uhr nachmittags, und man wußte noch nichts Genaues über die Ankunft der englischen Prinzessin. Manicamp aber war da und wartete auf Herrn von Guiche, der eben seine Dienerschaft auf die Suche nach Wohnungen ausschicken wollte, als sein lockerer Freund, ein rechter Hans-Dampf-in-allen-Gassen, zu ihm heranritt mit den Worten: »Gib dir keine Mühe, Guiche. Ich habe bereits ausgekundschaftet, daß sämtliche Häuser von Havre schon im voraus mit Beschlag belegt sind. Jedes einzelne Zimmer ist vermietet.« – »Alle Wetter! Wer hat sie gemietet?« – »Der Quartiermacher der Prinzessin, Lord Buckingham.« – »Vielleicht zehn, zwölf Häuser,« rief Guiche, »aber Havre hat deren hundert.« – »Und sie sind alle hundert vermietet,« antwortete Manicamp.

Es war Nacht geworden. Am Stadttore und auf dem Marktplatze wimmelte es von Fackeln, Pagen, Lakaien, Stallknechten, Pferden und Kutschen. Das Wasser des Kanals schimmerte rot von dem vielfältigen Fackellicht, und auf der anderen Seite des Hafendamms sah man Matrosen und Einwohner der Stadt, die sich nichts von dem Schauspiel entgehen lassen wollten.

»Was kann Lord Buckingham dazu bewogen haben,« fragte von Guiche, »eine solche Menge von Wohnungen zu mieten?« – Manicamp warf einen Blick auf Bragelonne und von Wardes, die neben Guiche hielten, neigte sich zum Ohre des Grafen und flüsterte: »Die Liebe.« – »Das verstehe ich nicht,« sagte der Graf achselzuckend. – »Man hält es für ausgemacht, Monsieur werde der unglücklichste Ehemann sein.« – »Wie, Herzog von Buckingham–?« – »Dieser Name bringt den Prinzen des Hauses Frankreich Unglück. Buckingham soll wahnsinnig in die junge Prinzessin verliebt sein. Er will nicht dulden, daß jemand anderes als er sich ihr nähere.« – »Ich danke dir, Manicamp,« antwortete Guiche. »Sorge dafür, daß diese Handlungsweise Buckinghams nicht ruchbar wird, während wir fort sind, sonst können vielleicht die Schwerter die Empfangsmusik spielen.« – »Jenun, was kümmert es uns,« meinte Manicamp, »ob es Monsieur ebenso ergehen wird wie dem verstorbenen König? Buckingham-Vater für die Königin, Buckingham-Sohn für die Prinzessin, Gott für uns alle.« – »Still!« rief der Graf.

»Warum still?« fiel von Wardes ein. »Wir haben es gehört. Und es ist eine für die französische Nation sehr ehrenvolle Tatsache. Sind Sie nicht auch dieser Meinung, Graf von Bragelonne?« – »Was soll eine ehrenvolle Tatsache sein?« fragte Rudolf zerstreut. – »Daß die Engländer der Schönheit unserer Königinnen und Prinzessinnen in dieser Weise huldigen,« sagte von Wardes. – »Ich weiß nicht, wovon die Rede ist.« versetzte Rudolf. – »Buckingham-Vater mußte nach Paris kommen,« erklärte Wardes, »um Ludwig XIII. darauf aufmerksam zu machen, daß die Königin eine der schönsten Frauen bei Hofe sei; und nun soll Buckingham-Sohn dafür sorgen, daß der Schönheit einer Prinzessin von französischem Geblüt durch die Anbetung, die er ihr zollt, die gebührende Huldigung erwiesen werde. Engländern Liebe einzuflößen, wird künftighin als Maßstab für Schönheit gelten.«

»Ueber solche Dinge,« antwortete Bragelonne, »höre ich nicht gern scherzen. Wir Edelleute sind die Ehrenwächter der Königinnen und Prinzessinnen. Wenn wir schon über sie spotten, was sollen die Lakaien tun?« – »Oho, Herr Graf!« rief von Wardes. »Wie soll ich das deuten?« – »Wie Sie wollen, mein Herr,« versetzte Rudolf. – »Meine Herren,« rief Graf Guiche dazwischen, alt er sah, daß von Wardes Miene machte, auf Bragelonne loszureiten. »Keinen Streit auf offener Straße.«

»Ruht Euch erst aus, ehe Ihr Euch schlagt,« setzte Manicamp hinzu. »Ihr würdet sonst nichts Vernünftiges ausrichten.« – »Vorwärts, meine Herren!« rief Graf Guiche. »Ich werde dem stolzen Engländer doch einen Strich durch die Rechnung machen!« Und er ritt auf den Marktplatz. Der ganze Zug folgte ihm.

Am folgenden Tage wehte ein ziemlich scharfer Wind, und die See ging hoch. Von den Mastkörben der vor Anker liegenden Schiffe wurde scharfe Ausschau gehalten, und gegen elf Uhr vormittags erklang der Ruf: »Schiff in Sicht!« – Man erkannte ein mit vollen Segeln herannahendes Schiff, dem zwei andere in geringer Entfernung folgten. Bald ließ sich unterscheiden, daß die Fahrzeuge die englische Flagge führten, das vordere außerdem noch den Admiralswimpel. Dies also war das Schiff, auf dem die Prinzessin sich befand. Der ganze französische Adel versammelte sich nun am Hafen; das Volk füllte die Quais und die Hafendämme. Kurz vor dem Eingang zum Hafen gingen die Schiffe, die bei dem herrschenden Seegang nicht zu landen wagten, vor Anker und salutierten mit zwölf Kanonenschüssen, die vom Hafen erwidert wurden. Allein infolge des stürmischen Wetters getraute sich nun auch keines der Empfangsbote auf die See hinaus, und die allgemeine Begrüßungsfahrt des versammelten Adels, die geplant war, unterblieb zum großen Verdruß der anwesenden Edelleute, die viel darum gegeben hätten, ein günstigeres Wetter herbeizuzaubern.

»Rudolf,« sagte von Guiche, der um jeden Preis seinen Auftrag, die Prinzessin auf hoher See zu empfangen, ausführen wollte, »sollen wir, starke, energische Kriegsmänner, der rohen Kraft des Wassers und des Windes weichen? Das wäre doch schmachvoll.« – »Das ist auch meine Meinung,« antwortete Rudolf. – »Nun, wollen wir das Lotsenboot dort besteigen? Es scheint mir standfest genug. Bist du dabei, Wardes?« – »Nehmen Sie sich in acht,« warf Manicamp ein, »Sie ertrinken.« – »Sie erreichen bei diesem Gegenwind die Schiffe im ganzen Leben nicht,« setzte Wardes hinzu. – »Du willst also nicht mitfahren?« fragte Graf Guiche nochmals. – »Im Kampfe gegen Menschen setze ich mein Leben gern aufs Spiel« antwortete von Wardes, mit einem Seitenblick auf Bragelonne. »Aber mich mit Salzwasser zu messen, ist nicht nach meinem Geschmack.« – »Und ich würde meinen letzten saubern Rock dabei einbüßen«, meinte Manicamp. »Salzwasser richtet alles zugrunde.« – »Aber seht doch nur, dort drüben am Stern stehen die Prinzessinnen und schauen zu uns herüber!« rief von Guiche. – »Ein Grund mehr, vor ihren Augen kein lächerliches Bad zu nehmen!« versetzte Manicamp. – »Dann fahre ich allein,« entschied der Graf. – »Nicht doch,« rief Bragelonne. »Ich komme mit.« Er erkannte wirklich die Größe der Gefahr, in die er sich begeben wollte; aber er ließ sich zu dem Wagnis verleiten, weil von Wardes nicht den Mut dazu fand.

»Hollah, Lotse!« rief Graf Guiche dem Boote zu, das sich eben anschickte, die Fahrt zu wagen. »Wir wollen mit.« Er wickelte ein paar Silbermünzen in ein Stück Papier und warf es dem Patron zu. – »Sie scheinen keine Angst vor Salzwasser zu haben, junge Herren,« rief der Lotse zurück. – »Wir haben vor nichts Angst,« erwiderte der Graf. – »Na, dann nur zu!« sagte der Schiffer. Die beiden jungen Männer sprangen ins Boot. »In dieser Börse,« rief Guiche, sie den Matrosen zeigend, »sind noch zwanzig Pistolen. Sie sind euer, wenn wir das Admiralsschiff erreichen.« – Die Leute legten aus, und das Boot tanzte auf den Wellen.

Die Tausende von Menschen, die den Hafen umstanden, beobachteten voll Spannung den Fortgang der Barke. Sie schien einen Augenblick auf der Spitze der Wogen zu schweben, im nächsten Augenblick glitt sie in einen brausenden Abgrund; aber so schwer sie auch zu kämpfen hatte, sie kam vorwärts, sie arbeitete sich näher und näher an das englische Schiff heran, das nun auch zwei Schaluppen aussetzte, um ihr zu Hilfe zu kommen. Auf dem Heck des Admiralsschiffes standen unter einem Baldachin von Samt und Hermelin die verwitwete Königin Henriette-Marie und ihre Tochter Henriette-Anna, an ihrer Seite der Admiral, der junge Graf Norfolk. Sie sahen angstvoll nach dem mit dem wilden Element kämpfenden Boote aus. Die Matrosen, die Gewandtheit des Lotsen und die Kraft der Ruderer bewundernd, ließen ein Hurrah nach dem andern hören.

Einstimmiger Jubel empfing die beiden Edelleute. Graf Norfolk selbst ging ihnen entgegen und führte sie zu den Fürstinnen. Von Guiche stand nun vor der Braut, deren Bild er im Zimmer ihres künftigen Gemahls so aufmerksam betrachtet hatte. Er verglich das Original mit diesem Gemälde, und als er das etwas bleiche Gesicht, die lebhaft funkelnden Augen, das wunderschöne, kastanienbraune Haar und den frischen, etwas schmollenden Mund sah, da wurde er von der Schönheit dieser Erscheinung so tief ergriffen, daß er geschwankt haben würde, hätte Rudolf ihn nicht rasch und unmerklich gestützt. Der erstaunte Blick Bragelonnes brachte ihn zur Besinnung. Mit wenigen Worten erklärte er, was ihm aufgetragen worden sei, und begrüßte im Namen seines Herrn und seines Landes die Hoheiten und ihre Begleitung.

Rudolf wurde vorgestellt und mit großer Liebenswürdigkeit aufgenommen, wußte doch jedermann, welchen großen Anteil sein Vater an der Wiedereinsetzung Karls II. hatte. Da Rudolf sehr gut Englisch sprach, konnte er nun als Dolmetscher zwischen seinem Freunde und den britischen Kavalieren dienen. Unter diesen fiel ein junger Mann von schöner Erscheinung und überaus vornehmer Tracht besonders auf. Er trat zu den Prinzessinnen und sagte im Tone mühsam bekämpfter Ungeduld: »Königliche Hoheiten, es ist Zeit zu landen.« – »Gemach, Mylord von Buckingham,« antwortete der Admiral, »eine Landung ist jetzt noch unmöglich. Die See geht zu hoch. Vor vier Uhr wird der Wind nicht abflauen so daß wir also erst gegen Abend landen können.«

»Sie halten die Damen zurück, Admiral,« versetzte Buckingham, ohne seine Gereiztheit zu verbergen, »dazu haben Sie gar kein Recht. Die eine dieser Damen gehört Frankreich an, und Sie sehen, Frankreich ruft sie durch die Stimme seiner Abgesandten.« – »Es wird nicht die Absicht dieser Herren sein,« antwortete Norfolk, »das Leben der Prinzessinnen in Gefahr zu bringen.« – »Die Herren sind trotz des Windes glücklich an Bord gekommen,« entgegnete der Lord. »Die Gefahr wird für die Damen nicht größer sein, zumal man landwärts mit dem Winde fährt.« – Buckingham war offenbar eifersüchtig auf Norfolk und entbrannte vor Verlangen, die Prinzessin von dem Boden zu entführen, auf dem der Admiral Herrscher war. – »Mylord,« antwortete ihm der Seemann, »ich trage die Verantwortung, daß Madame, die königliche Braut, wohlbehalten nach Frankreich kommt. Ich habe versprochen, sie gesund hinüberzubringen, und dieses Versprechen werde ich halten.« – »Aber es ist doch –« begann Buckingham. – »Mylord,« fiel ihm Norfolk ins Wort, »gestatten Sie mir, daran zu erinnern, daß hier niemand zu befehlen hat als ich.« – »Mylord!« brauste Buckingham auf, »wissen Sie, was Sie da sagen?« – »Ich weiß es sehr wohl,« antwortete der Admiral. »und wiederhole es. Hier befehle nur ich, und jedermann hat mir zu gehorchen.« – Diese Worte sprach er mit edlem Ausdruck, und Buckingham bebte am ganzen Leibe. Das Blut schoß ihm in die Augen, und seine Hand fuhr nach dem Degen.

»Mylord,« rief jetzt die Königin, »erlauben Sie mir zu bemerken, daß ich ganz der Meinung des Admirals bin. Und wenn das Wetter auch nicht so nebelig und stürmisch wäre, so würden wir es doch dem Offizier, der uns sorgsam bis hierher gebracht hat, schuldig sein, ihm noch ein paar Stunden zu schenken, zumal er uns an der französischen Küste verlassen muß.« – Buckingham gab keine Antwort, sondern sah die Prinzessin an. – Madame aber achtete auf den Wortwechsel nicht; sie schien augenblicklich nur Augen für den Grafen von Guiche und Rudolf zu haben. Das war ein neuer Schlag für Buckingham, glaubte er doch in ihren Blicken ein tieferes Gefühl als bloße Neugierde zu erkennen. Er ließ die Hände sinken und ging mit einem Seufzer fort.

Bei Tische in der Kapitänskajüte harrte seiner eine neue Demütigung, denn Madame ließ von Guiche und von Bragelonne an ihrer Seite sitzen, und Buckingham sah sich an einen entfernten Platz verwiesen. Von Guiche, den sein Glück noch blässer machte, als seinen Nebenbuhler der Zorn, nahm fast zitternd seinen Sitz neben der Prinzessin ein, deren seidnes Gewand ihn leise berührte. Nach der Mahlzeit eilte Buckingham auf die Prinzessin zu, um ihr die Hand zu reichen.

»Mylord,« sagte Graf von Guiche, »haben Sie die Güte, sich von jetzt ab nicht mehr zwischen Ihre königliche Hoheit und mich zu drängen. Von diesem Augenblick an gehört Lady Henriette Frankreich an, und wenn sie mir die Ehre erweist, meine Hand zu berühren, so berührt sie damit die Hand Monsieurs, ihres Gemahls.«

Rudolf beobachtete seinen Freund scharf. Er liebte ja selbst unglücklich und verstand alles. Er warf ihm einen vielsagenden Blick der Teilnahme zu.

Gegen zwei Uhr schlug das Wetter um; die Sonne kam zum Vorschein, der Wind legte sich, und das Meer wurde glatt wie ein Spiegel. Der Nebel zerriß gleich einem Schleier, der in kleinen Stücken davonfliegt. Das freundliche Gestade Frankreichs grüßte herüber mit seinen grünen Hügeln und weißen Häuschen.

3. Kapitel. Zwei Liebende

Der Befehl zum Landen wurde gegeben, und Buckingham atmete freudig auf. Doch alsbald sah er sich abermals um eine Hoffnung betrogen, denn die Königin-Witwe rief ihn zu sich. »Mylord,« sagte sie zu ihm, »Sie dürfen meine Tochter nicht an Land fahren lassen, ohne sich zu vergewissern, ob die Wohnungen in Ordnung sind. Fahren Sie also bitte voraus.« – Lord Buckingham errötete, aber es gab keine Widerrede. Er mußte darauf verzichten, die Prinzessin zu begleiten. Er warf einen Blick der Verzweiflung auf die Gruppe, die von Lady Henriette, dem Admiral und den beiden Franzosen gebildet wurde, trat an Bord und sprang so blindlings hinab in das kaum ausgesetzte Boot, daß er es fast zum Kentern gebracht hätte. – »Mylord scheint den Verstand verloren zu haben,« sagte Norfolk kalt. – »Das fürchte ich in der Tat,« antwortete Bragelonne.

Die Ruderer legten sich in die Riemen, das Boot fuhr davon. Aber Buckingham blieb aufrecht darin stehen und wandte kein Auge von dem Fahrzeug, das einige Minuten später mit der Prinzessin das Schiff verließ. Als Buckingham an Land war, stürmte er in die Stadt hinein. Er sah nicht nach den vielen Kähnen, die vom Ufer abstießen, um der Prinzessin entgegenzufahren, er hörte nicht auf die Kanonenschüsse, die zu ihrer Begrüßung abgefeuert wurden. Er lief auf den Marktplatz zum Rathause, um hier nach dem Rechten zu schauen. Da sah er zu seiner Bestürzung eine Anzahl von Zelten errichtet, auf denen die französische Flagge wehte und die im Halbkreis das Rathaus umschlossen. Pagen und Soldaten hielten davor Wache. Zwischen den luftigen Bauten aber sah man eine große Anzahl von Offizieren und Edelleuten hin und her schreiten oder plaudernd herumstehen. Buckingham trieb sein Pferd mitten hinein in die bunte Menge, und rasend vor Wut richtete er sich im Sattel empor. »Was hat das hier zu bedeuten?« schrie er, um sich schauend.

Ein Mann trat zu ihm heran. »Was gibt’s?« fragte er ganz gelassen. »Wer macht hier solchen Lärm?« Buckingham betrachtete die lange, hagere Gestalt, die vor ihm stand, mit unverhohlener Geringschätzung. – »Wer sind Sie?« rief er. – »Wer sind denn Sie?« fragte der Mann mit der größten Ruhe. – »Ich bin Herzog von Buckingham,« war die Antwort, »ich habe alle Häuser um das Rathaus herum gemietet; die Häuser gehören also mir, und da ich sie gemietet habe, um ungehindert zum Rathause zu gelangen, so haben Sie kein Recht, mir den Weg zu versperren.« – »Es steht Ihnen ja frei, ins Rathaus zu gehen,« versetzte der andere. – »Ihre Schildwachen halten mich auf,« rief der Engländer. – »Weil Sie zu Pferde hin wollen, und der Befehl lautet, nur Fußgänger durchzulassen.«

»Hier hat niemand Befehle zu erteilen als ich,« rief Buckingham. – »Wieso?« lautete die gelassene Antwort. »Erklären Sie mir das, bitte.« – »Weil die Häuser und dieser ganze Platz mein ist!« – »Sie sind im Irrtum, mein Herr. Der Platz gehört dem König, wir sind Abgesandte des Königs, also gehört der Platz uns.« – »Mein Herr, ich habe Sie schon einmal gefragt, wer Sie sind!« schrie jetzt der Brite erbost. – »Ich heiße Manicamp,« antwortete der Franzose. – »Sie haben die Zelte da wegzuräumen, verstanden!« rief der Lord.

In diesem Augenblick kamen Graf Guiche und Rudolf von Bragelonne an. Sie hatten geahnt, daß Buckingham beim Anblick der Zelte, die seinen schönen Plan zunichte machen sollten, in Zorn geraten würde, und aus Furcht, daß ein ernster Streit die Folge sein könnte, hatten sie sich beeilt, den Rathausplatz zu erreichen. Gleichzeitig kam auch von Wardes hinzu, der im Rathause zu tun gehabt hatte.

»Mylord,« rief Graf Guiche, heranreitend, »belieben Sie sich an mich zu wenden. Auf meinen Befehl sind diese Zelte errichtet worden.« – »Ich habe bereits gesagt,« rief Buckingham, vor Wut bebend, »sie müssen weg!« – »Unmöglich,« antwortete von Guiche, indem er sich auf einen Blick Rudolfs hin zur Ruhe zwang. »Wir haben damit nur gegen Ihren eigenen Mißbrauch Front gemacht, Mylord. Sie kommen einfach hierher und legen die ganze Stadt in Beschlag, ohne sich darum zu kümmern, wo wir Franzosen Obdach finden können. Das ist nicht brüderlich gehandelt von dem Vertreter einer befreundeten Nation.« – »Die Erde gehört dem, der zuerst von ihr Besitz ergreift,« versetzte Buckingham. – »Nicht in Frankreich, Mylord.« – »Warum nicht in Frankreich?« – »Weil es das Land der Höflichkeit ist.«

»Was wollen Sie damit sagen?« brauste Buckingham auf. Sein Pferd bäumte sich unter dem Ruck seiner Faust, daß die Umstehenden erschrocken zurückwichen. Graf Guiche verzog keine Miene. »Ich will damit sagen,« versetzte er, »ich ließ diese Zelte für mich und meine Freunde, für die Abgesandten des Königs von Frankreich, errichten, als einziges Obdach, das Ihre Rücksichtslosigkeit uns gelassen hat. Wir werden darin wohnen, bis ein mächtigerer Wille als der Ihrige uns abruft.« – »Herr Graf, ich fordere Genugtuung!« schrie Buckingham und riß an seinem Degen.

Da legte sich Rudolfs Hand auf seine Schulter. – »Ein Wort, Mylord.« sagte Bragelonne ruhig. – »Zuerst will ich mein Recht!« rief der ungestüme Mann. – »Eben über diesen Punkt will ich mit Ihnen reden,« antwortete Rudolf. »Eine einzige Frage: Wer wird die Enkelin Heinrichs IV. heiraten, Sie oder der Herzog von Orléans?« – Buckingham trat verblüfft zurück. »Was soll das?« stammelte er. – »Antworten Sie mir, bitte, Mylord,« sagte der Vicomte gelassen. – »Wollen Sie Spott mit mir treiben?« murmelte der Brite. – »Nun, auch das ist eine Antwort, die mir genügt,« antwortete Rudolf. »Sie geben also zu, daß Sie die Prinzessin Stuart nicht heiraten werden.« – »Mich dünkt, das wissen Sie recht wohl, Graf.« – »Pardon, nach Ihrem Benehmen schien das nicht ganz klar zu sein.« –

»Zur Sache, Vicomte!« rief der Lord. »Was haben Sie mir zu sagen?« – Rudolf trat ganz dicht an ihn heran. »Ihr Zorn,« sprach er, »sieht ganz der Eifersucht ähnlich, wissen Sie das, Mylord? Solche Eifersucht auf eine Dame steht jedem schlecht an, der weder ihr Gemahl noch ihr Geliebter ist, um so mehr jedoch, wenn diese Dame eine Prinzessin ist.« – »Graf, wollen Sie Lady Henriette beleidigen?« stieß Buckingham hervor. – »Sie beleidigen sie, mein Herr,« versetzte Bragelonne unbeirrt. »Nehmen Sie sich in acht. Auf dem Admiralschiffe haben Sie schon großes Aergernis gegeben.« – »Herr! Sie führen eine Sprache, der man Einhalt tun muß!« murmelte Buckingham. – »Wägen Sie Ihre Worte, Mylord,« sagte Rudolf mit stolzem Ernst. »Ich bin von einem Geschlechte, das sich nicht Einhalt tun läßt, solange es auf dem rechten Wege ist. Sie aber sind von einem Geschlecht, dessen Leidenschaft den guten Franzosen verdächtig ist. Nochmals, nehmen Sie sich in acht, Mylord!«

»Wollen Sie mir etwa drohen?« – »Ich bin der Sohn des Grafen de la Fère und drohe nie, weil ich immer gleich dreinschlage. Wir wollen uns also verständigen. Bei dem ersten Worte über Ihre königliche Hoheit, das die Grenzen des Anstandes verletzt – o, bleiben Sie ruhig, Mylord, ich bin es ja auch.« – »Sie?!« – »Allerdings. Solange Madame auf englischem Boden war, schwieg ich. Jetzt steht sie auf französischem Boden, und wir sind im Namen des Prinzen hier, sie zu empfangen. Bei der ersten Schmach, die Sie in Ihrer sonderbaren Ergebenheit dem Hause Frankreich antun könnten, stehen mir zwei Wege offen: entweder ich verkündige öffentlich, von welchem Wahnwitz Sie besessen sind, und sorge dafür, daß Sie schimpfbedeckt nach England zurückgeschickt werden, oder aber ich stoße Ihnen in voller Versammlung den Dolch in die Kehle. Das letztere Mittel scheint mir das bessere, und ich werde es wohl anwenden.«

Buckinghams Gesicht wurde weiß wie die Spitzenkrause, die seinen Hals schmückte. »Herr von Bragelonne,« stammelte er, »sind das wirklich die Worte eines Edelmanns?« – »Ja, nur sind sie an einen Wahnsinnigen gerichtet,« antwortete Rudolf. »Genesen Sie, Mylord, und er wird anders zu Ihnen sprechen.« – »Herr von Bragelonne,« murmelte der Brite. »Sie sehen meinen Zustand – es bleibt mir nur eins –« – »Das wäre in der Tat ein großes Glück,« antwortete Rudolf mit seinem unerschütterlichen Gleichmut. »Dadurch würde mancher üblen Nachrede über die erlauchten Personen, die Sie kompromittieren, vorgebeugt.« – »Sie haben recht, Sie haben recht!« sagte der junge Mann außer sich. »Ja, ja, lieber sterben, als so leiden zu müssen!« – Er zog einen juwelengeschmückten Dolch hervor.

Rudolf stieß seine Hand zurück. – »Sind Sie von Sinnen, Mylord!« flüsterte er ihm zu. »Wenn Sie sich jetzt erstechen, machen Sie sich lächerlich und beflecken das königliche Brautkleid mit Blut.« – Buckingham stand ein Weilchen atemlos da, seine Lippen zuckten, auf seinen Wangen wechselten Blässe und Röte. Dann sagte er plötzlich: »Sie sind der edelste Charakter, den ich kenne, Bragelonne; Sie sind der würdige Sohn des vollendetsten Edelmannes unserer Zeit.« Er fiel dem Vicomte um den Hals.

Erstaunt über das unerwartete Ende dieser Unterredung, die die Umstehenden nicht verstanden hatten, über deren kritischen Inhalt aber niemand in Zweifel bleiben konnte, klatschte die Menge in die Hände, und tausendstimmiger Jubelruf erscholl. Engländer und Franzosen, die sich schon fast mit feindseligen Blicken gemustert hatten, schlossen Freundschaft.

Jetzt erschien der Zug der Prinzessin, welche ohne Bragelonnes beherzte Ermahnung über den ausgestreuten Blumen zwei Heerhaufen in blutigem Kampfe angetroffen haben würde. Die Menge bildete beim Anblick der Banner zu beiden Seiten des Marktplatzes Spalier.

Madame empfing auf ihrem Einzug in die Stadt einstimmige Glückwünsche. Von allseitiger Ehrerbietung begleitet, schritt sie einher wie eine Königin. Ihre Mutter zeigte den Franzosen, obwohl man sie dort zur Zeit ihres Unglücks sehr schlecht behandelt hatte, ein huldvolles Gesicht, war doch Frankreich ihre eigentliche Heimat.

Als der feierliche Empfang beendet war und ringsum nächtliche Ruhe herrschte, trat von Guiche in sein Zelt und ließ sich auf einen Schemel nieder. Sein Gesicht zeigte einen so tiefen Ausdruck des Schmerzes, daß Bragelonne kein Auge von ihm abwandte, bis er ihn seufzen hörte. Da ging Rudolf zu ihm heran. Der Graf stützte die Ellbogen auf die Knie und vergrub das Gesicht in den Händen.

»Du bist erschöpft, Freund,« sagte Bragelonne. »Der Tag war sehr anstrengend.« – »Ja, ich möchte schlafen,« antwortete Guiche. – »Soll ich dich allein lassen?« – »Nein, ich habe mit dir zu reden.« – »Zuerst habe ich ein paar Fragen an dich zu richten,« sagte Rudolf, »dann erst werde ich mit mir reden lassen. Weißt du, weshalb Buckingham so wütend war?« – »Ich vermute es.« – »Er liebt die Prinzessin, nicht wahr?« fragte Rudolf. – »Wenigstens möchte man das glauben, wenn man ihn ansieht,« sagte Graf Guiche. – »Nun, es ist nichts daran,« warf Rudolf hin, mit einem scharfen Blicke auf seinen Freund. »Lord Buckingham ist nicht gefährlich.«

»Gefährlich?« antwortete der Graf zaudernd. »Mag sein, nein. Aber zudringlich – lästig. Hätte er nicht bald das ganze Fest verdorben? Wenn du nicht gewesen wärest, es hätte wahrlich blutige Köpfe gegeben. Was hast du zu ihm gesagt? Und glaubst du wirklich, er liebt sie nicht?«

Diese Worte sprach von Guiche mit einem seltsamen Nachdruck. – »Was ich zu ihm gesagt habe, lieber Freund,« antwortete Rudolf in eindringlichem Tone, »das will ich dir wiederholen. Höre mich an. Ich sagte folgendes: Herr, Sie werfen lüsterne, begehrliche Blicke auf die Schwester Ihres Königs; sie ist nicht Ihre Braut, sie ist nicht Ihre Geliebte, sie kann beides nicht sein. Sie beleidigen also diejenigen, die gekommen sind, das junge Mädchen dem Gatten zuzuführen. Ich bin sogar noch weitergegangen; ich sagte noch folgendes: Was würden Sie wohl denken, wenn einer von uns die Vermessenheit, die Treulosigkeit besäße, für eine unserm Herrn bestimmte Prinzessin andere Gefühle als reinste Ehrerbietung zu hegen?«

Der Graf erblaßte und zitterte plötzlich, so offenbar waren diese Worte auf ihn gemünzt. Er preßte die Hand auf die Stirn. – »Doch Gott sei Dank!« fuhr Rudolf fort, »die Franzosen, die man für leichtfertig und sittenlos hält, wissen in Fragen der Wohlanständigkeit stets sicher zu entscheiden. Wir Franzosen opfern dem Dienst unsers Königs nicht nur Gut und Leben, sondern auch unsere Leidenschaften. Wenn uns der böse Geist einmal einen Gedanken eingibt, der eine Sünde an unserm König wäre, so löschen wir diese Flamme, sei es auch mit unserm Blute. Auf diese Weise retten wir dreifach die Ehre: die des Vaterlandes, die des Königshauses und die eigene. So handeln wir, Herr Buckingham, und so muß jeder charaktervolle Mann handeln. Du siehst, Guiche, der Lord hat sich meinen Gründen gefügt.«

Der Graf, den Rudolfs Worte niedergedrückt hatten, richtete sich jetzt stolz auf; seine Augen flammten; er faßte Bragelonnes Hand und sagte mit gepreßter Stimme: »Brav gesprochen, Rudolf, habe Dank! und nun – laß mich allein. Ich bedarf der Ruhe. Mein Herz ist erschüttert, mein Geist beklommen. Wenn du morgen wiederkommst, werde ich ein anderer Mensch sein.« – Der Vicomte ging hinaus. – »Wie stark belagert ist das arme Mädchen,« dachte er bei sich. »Da ist das Fräulein von Montalais wahrlich keine sehr zuverlässige Besatzung!«