6. Kapitel Herr d’Artagnan sucht seine Freunde

Zwei Stunden nach der Abreise des Hausherrn ritt ein Reiter vor. Blaisois erkannte ihn und rief: »Der Chevalier d’Artagnan! Geschwind, ihr andern, macht das Tor auf!« – Acht dienstfertige Burschen, über die nun Blaisois als Gebieter gesetzt war, eilten hinaus und ließen den Ankömmling herein. – »Wo ist der liebe Graf?« rief dieser, bereit, sich aus dem Sattel zu schwingen. – »Der gnädige Herr hat wirklich Unglück,« antwortete Blaisois, »der Herr Graf ist vor zwei Stunden weggeritten.« – »So warte ich,« antwortete d’Artagnan ruhig. – »Da könnten Sie lange warten, Herr Chevalier, denn es handelt sich um eine lange Reise, von der der Graf sobald nicht wiederkommen wird. Der Herr Graf hat das Haus meiner Obhut anvertraut, und das tut er nur, wenn er lange wegbleiben will. Als Reiseziel nannte er mir Paris.« – »Mehr brauche ich ja nicht zu wissen. Und zwei Stunden ist er voraus?« Mit diesen Worten saß der Chevalier schon wieder im Sattel. »Ist er allein?« – »Nein, zwei Männer, die ich nicht kenne, sind bei ihm, ein alter und ein junger, und dann noch Herr Grimaud. Doch einen Augenblick noch, gnädiger Herr!« setzte Blaisois hinzu und hielt das Pferd fest, »die Sache mit Paris ist nur ein Vorwand gewesen – ich weiß das genau –« – »Nun, zum Teufel, wo will er sonst hin?« – »Das ist’s ja eben, Herr – ich habe keine Ahnung. Paris ist es nicht, denn Grimaud hat mir mal geschworen, wenn er je nach Paris gehe, für mich etwas an meine Frau mitzunehmen, von der ich getrennt lebe. Jetzt hätte er also ganz bestimmt dieses Versprechen ausgeführt, denn Grimaud denkt an seine Versprechen, das wissen Sie ja. Daran habe ich erkannt, daß es in Wahrheit nicht nach Paris geht.« – »Und wohin sonst, das kannst du mir auch nicht sagen?« rief d’Artagnan. »Nun, das fängt ja wieder gut an. Adieu!« Er riß sein Pferd herum und sprengte von dannen.

»Sollte Athos wirklich auf die Reise gegangen sein? Er hat den Teufel mit seiner ewigen Geheimniskrämerei! Vielleicht kann ich ihn für meine Zwecke doch nicht brauchen. Ein schlauer Kopf, ein andauernder Geist – das ist’s, was ich brauche, und das finde ich nur in einem gewissen Pfarrhause zu Melun. Also auf, dorthin. Vier und einen halben Tag zu reiten. Doch das macht nichts, es ist ja schönes Wetter.« –Vier Tage später traf er denn auch in Melun ein. D’Artagnan pflegte unterwegs nie in geringfügigen Dingen um Auskunft zu fragen, und solange er sich nicht völlig verirrt hatte, verließ er sich stets auf seinen oft bewährten Scharfsinn und auf seine dreißigjährige Erfahrung. Er fand das Pfarrhaus sogleich, denn die Häuser erkannte er an ihrem Aeußern ebenso sicher wieder wie die Menschen. Aus dem Erdgeschoß erscholl ein Summen von Stimmen, als wenn Kinder das Alphabet buchstabierten, und eine tiefere Stimme schien ihre Fehler zu korrigieren. Diese Stimme erkannte d’Artagnan; er ritt heran, steckte den Kopf durch das Weinlaub am Fenster und rief: »Guten Tag, lieber Bazin!«

Ein kleiner dicker Mann mit breitem Gesicht und einer Tonsur auf dem Haupte, fuhr von seinem Platze in die Höhe, als wenn eine Nadel ihn gestochen hätte. »Sie hier?« rief er erstaunt, »Herr d’Artagnan?« – »Ja, ich bin’s. Wo ist Aramis oder vielmehr Chevalier d’Herblay oder noch richtiger, der Herr Generalvikar?« – »Ihro Gnaden sind in ihrer Diözese,« antwortete Bazin.

»Was? Aramis hat eine Diözese.« – »Freilich! Warum sollte er keine haben?« – »Er ist also jetzt Bischof?« – »Na, gnädiger Herr, wissen Sie denn das nicht?« – »Wir Leute vom Degen wissen wohl, wenn jemand Marschall wird, aber wir fragen nicht danach, wer Bischof und wer Papst wird.« – »Still! still!« rief Bazin, »reden Sie nicht so vor den Kindern hier.«

Die Kinder hatten inzwischen Herrn d’Artagnan umringt und staunten sein Roß, sein Schwert und seine Sporen an. Bazin jagte sie mit Schlägen in die Schulstube zurück. – »Wo ist die Diözese deines Herrn?« rief der Haudegen. – »Monseigneur René ist Bischof von Vannes.« – »Wer hat ihm denn dazu verholfen?« – »Der Herr Oberintendant, unser Nachbar.« – »Was? Fouquet? Also steht sich Aramis gut mit ihm?« – »Er hat dort alle Sonntage gepredigt und ist später mit dem Herrn Oberintendanten immer auf die Jagd gegangen?« – »So, so! Und nun ist er in Vannes? Warum bist du nicht mit deinem Herrn gegangen? Wie lange ist er dort?« – »Seit einem Monat. Ich habe hier doch so viel zu tun. Da kann ich doch nicht weg.« – »Wie? Bist du denn gar Priester geworden?« – »Noch nicht. Da nun aber der gnädige Herr fort ist, wird’s damit nicht mehr lange dauern,« antwortete Bazin, sich die Hände reibend.

»Laß mir was zum Abendbrot zurechtmachen, Bazin!« rief d’Artagnan, »und besorge meinen Gaul, wenngleich ihr hier wohl nicht mit Pferden umzugehen versteht.« – Bazin betrachtete das Pferd ziemlich geringschätzig. – »Der Herr Oberintendant,« antwortete er, »hat vier Pferde aus seinem Marstall hergeschickt, die alle mehr wert sind als Euers hier. Junge!« rief er einem seiner Schüler zu, »lauf und sag‘ der Köchin, sie solle ein kaltes Huhn herrichten.« – Diese Worte besänftigten den Soldaten wieder, der über die Beleidigung seines Rosses schon außer sich geraten wollte. »Sieh da!« sagte er, »wenn der Herr Oberintendant so viele Pferde hat, so hat er wohl auch Musketiere.« – »Jedenfalls hat er Geld genug, alle Musketiere des Königs zu unterhalten,« versetzte Bazin prahlerisch.

Da das Abendessen inzwischen fertiggemacht war, trat der Reitersmann in die Küche und ließ sich’s gut schmecken. Während des Essens versuchte d’Artagnan, Bazin über alles mögliche auszufragen, aber er hatte damit wenig Glück. Bazin war auf seiner Hut und ließ die Neugierde seines Gastes unbefriedigt. Obwohl das Bett, das ihm angewiesen wurde, in seiner Art fast noch härter war, als das gebratene Huhn gewesen, so fürchtete sich d’Artagnan doch ebensowenig davor, sondern streckte sich behaglich aus und brauchte nicht mehr Zeit dazu einzuschlafen, als er zum Abnagen des letzten Hühnerknochens gebraucht hatte.

Am andern Morgen war d’Artagnan bei früher Stunde schon wieder unterwegs. Sein nächstes Ziel war Pierrefonds, wo er endlich einen Freund und eine volle Geldkiste zu finden hoffte. Er ritt an dem Schlosse des Herzogs Ludwig von Orléans vorbei – einer mittelalterlichen Burg mit dicken Mauern und hohen Türmen – und erblickte am Morgen des dritten Tages am Ufer eines großen Teichs und am Saume eines herrlichen Waldes das Schloß seines Freundes Porthos. Als er in den Wald hineingeritten war, sah er wenige Schritte vor sich einen großen Kasten, der sich auf zwei Rädern bewegte und von zwei Lakaien geschoben, von zweien gezogen wurde. Der unförmige Gegenstand, der sich darin befand, war zunächst nicht zu erkennen, dann glaubte d’Artagnan, es sei ein Faß, und dann, als er noch näher kam, ward ihm klar, daß es ein fabelhaft aufgedunsener Mensch war, der das ganze Innere ausfüllte. Und dieser Mensch war Mousqueton – Mousqueton mit weißen Haaren und rotem Gesicht.

»Wahrhaftig, das ist ja Mousqueton!« rief er aus. »Heda, Freund!« – »Was?« schrie der Dicke. »Herr d’Artagnan! Haltet an, Kerle! O, verehrter Herr! Ich kann Ihre Knie nicht umfassen, ich bin ein Krüppel geworden.« – »Das bringt das Alter mit sich, Freundchen.« – »Nein, ich hab’s vom Herzeleid!« stöhnte Mousqueton. »Ach, meine Beine wollen mich nicht mehr tragen.« – »Du fütterst sie zu gut.« – »Jenun, ich habe für meinen Körper stets getan, was in meinen Kräften stand. Ich bin nie einseitig gewesen. Aber wie wird sich der gnädige Herr freuen, daß Sie mal wieder an ihn gedacht haben! Das muß ich ihm gleich schreiben.« – »Was? Schreiben? Also ist er nicht hier? Wo ist er denn? Weit weg oder in der Nähe?« – »Das weiß ich nicht,« antwortete Mousqueton.

»Potzblitz! welch ein Pech! Der Stubenhocker Porthos ist ausgeflogen!« rief d’Artagnan und schlug sich auf den Schenkel. – »Allerdings. Unser Herr pflegt selten auszugehen, aber wenn man von einem Freunde aufgescheucht wird –« – »Von wem denn?« – »Von Chevalier d’Herblay.« – »Was du sagst! Aramis hat Porthos aufgescheucht? Wie ging denn das zu?« – »Lassen Sie sich erzählen,« berichtete Mousqueton, »Herr d’Herblay hat an den gnädigen Herrn einen Brief geschrieben, der ihn ganz außer Rand und Band gebracht hat. Das war vor etwa acht Tagen. Er schlug förmlich um sich – na, und Sie wissen ja! Ueberhaupt jetzt! er ist auch nicht mehr so gut auf den Beinen, da hat sich alle Kraft in die Arme gezogen –« – »So daß er also noch jetzt einen Ochsen zu Boden schlagen kann, wie früher.« – »Ganz recht. Kaum hatte der gnädige Herr den Brief gelesen, so schrie er: ›Geschwind, meine Pferde! Meine Waffen!‹« – »Dann hat es sich wieder um ein Duell gehandelt,« meinte d’Artagnan. – »Mit nichten. Der Brief enthielt nur die Worte: ›Wenn Sie noch rechtzeitig vor der Tag- und Nachtgleiche eintreffen wollen, lieber Porthos, dann wird es nun Zeit, daß Sie sich auf den Weg machen.‹«

»Hm!« brummte d’Artagnan, »dann scheint es ja etwas sehr Dringliches gewesen zu sein. Ob er wohl noch rechtzeitig angekommen ist?« – »Das hoffe ich. Unser Herr ist ja kein Freund von Langsamkeit. ›Donnerwetter!‹ rief er, ›was ist das mit der Tag- und Nachtgleiche? Doch einerlei! Der Kerl muß gut zu Pferde sein, wenn er vor mir ankommen will!‹« – »So meinst du, Porthos sei noch zuerst angekommen?« – »Daran zweifle ich nicht. Bessere Rosse als mein Herr hat niemand.« Mousqueton ließ sich von den Lakaien weiterfahren, und d’Artagnan folgte ihm. Unterwegs stellte er noch viele Fragen, aber es war nichts weiter aus Mousqueton herauszuholen. D’Artagnan schlief in dieser Nacht in einem vortrefflichen Bette. Am andern Tage verließ er denn nun auch Pierrefonds, ohne dort seinen Zweck erreicht zu haben. Und jetzt wußte er nicht mehr, wohin er sich wenden sollte. Gesenkten Hauptes saß er zu Rosse. »Keine Freunde mehr – keine Zukunft mehr!« brummte er vor sich hin. »Alles vorbei! Das Alter kommt, die Jugend ist heidi. Der Tod streckt seine Hand nach mir aus.« Der Gaskogner bebte, so männlich er auch war. – »Ah bah!« rief er auf einmal, spornte sein Roß und schlug einen Galopp an. »Nach Paris!« – Schon am folgenden Tage kam er dort an. Seit er es verlassen, waren zehn Tage verstrichen.

7. Kapitel. D’Artagnans große Idee

Der ehemalige Leutnant stieg vor einem Kolonialwarenladen in der Rue des Lombards ab. Ein stattlicher Mann, der an der Kasse stand und das Geld der Kunden entgegennahm, stieß bei seinem Anblick einen Schrei freudiger Ueberraschung aus. – »Sie sind’s, Herr Chevalier!« – »Guten Tag, Planchet!« antwortete d’Artagnan, eintretend. »Schick das Gesindel da weg, ich muß mit dir reden.« Mit diesen Worten meinte er die Laufburschen und Ladendiener, die im Geschäft die Bedienung der Kunden besorgten. – »Heda!« befahl Planchet, »einer besorgt das Pferd des Herrn, einer richtet ihm das Zimmer her, und einer deckt den Abendtisch! Euer Gnaden müssen sich mit dem Gespräch schon noch ein wenig gedulden, ich kann den Laden nicht verlassen,« setzte er hinzu, sich an den Reitersmann wendend. »Um was handelt sich’s denn?« – »O, um etwas sehr Angenehmes, gib dich zufrieden.« – »Das freut mich zu hören.« Und Planchet atmete tief auf. Dann widmete er sich wieder dem Publikum. – D’Artagnan, auf einer Kiste sitzend, betrachtete seinen früheren Diener. Der pfiffige Planchet war ziemlich dick geworden, aber sein Gesicht hatte noch immer die charakteristischen Zeichen der Schlauheit, Habgier und Beharrlichkeit, die das überwuchernde Fett nicht zu verwischen vermochte.

Endlich führte der Kaufmann seinen ehemaligen Herrn in sein Zimmer und bot ihm dort ein einfaches, aber trefflich zubereitetes Mahl an. Dazu gab es Anjouwein, welche Sorte d’Artagnan ja von jeher am liebsten trank. – »Ehemals, Herr Chevalier,« sagte Planchet, eingießend, »trank ich Ihren Wein; nun macht es mich glücklich, Sie den meinigen trinken zu sehen.« – »Und ich hoffe, ihn noch lange trinken zu können,« antwortete d’Artagnan. – »Sie sind also beurlaubt?« – »Sogar verabschiedet.« – »Nicht mehr im Dienst? Und der König?« – »Muß ohne mich fertig werden. Doch nun höre mich an. Ich habe dir was zu sagen. Zuerst von Geschäften! Was macht denn unser Geld?« – »O, das steckt noch immer im Geschäft und bringt neun Prozent. Davon gebe ich Ihnen sieben. Bringen Sie frisches?« – »Nein, hast du denn welches nötig?« – »Gott bewahre! Alle Leute wollen jetzt ihr Geld bei mir anlegen. Ich mache nämlich nebenbei noch Bankgeschäfte. Das rentiert sich. Doch von welcher Angelegenheit wollten Sie denn sprechen?«

D’Artagnan kraute sich im Schnurrbart. »Das ist eine lange Geschichte, Freund, und auch schwer zu erzählen,« begann er. – »Handelt sich’s um eine Kapitalsanlage?« – »Ja.« – »Und ist was dabei zu verdienen?«

»400 Prozent.« – Planchet schlug mit der Faust auf den Tisch, daß die Flaschen tanzten. – »Jeder steckt 20 000 Livres ins Geschäft,« fuhr d’Artagnan fort. – »Das wäre Ihr ganzes Guthaben, Chevalier,« sagte Planchet. »Und was wird das Geld uns einbringen?« – »Für jeden 50 000 Livres,« – »Das wäre ja fabelhaft!« rief der Kaufmann. »Und wo ist denn das Geschäft zu machen?«

»Nicht hier, sondern in England.« – »Nun, dort blüht freilich die Spekulation. Was ist es denn für eine Art von Geschäft? Ich bin begierig, das Nähere zu erfahren,« und Planchet rückte an d’Artagnan heran. »Planchet,« begann dieser nach kurzem Schweigen, »du hast doch wohl schon von Karl I. gehört?« – »Ach gewiß, Grimaud hat mir doch erzählt, wie Sie versucht haben, ihn zu retten, wie dann sein Kopf doch fallen mußte, und wie Sie eine halbe Nacht in einem mit Pulver geladenen Schiffe gefahren sind – so etwas vergißt man nicht.« – »Nun, dieser Karl I. hatte einen Sohn.« – »Sogar zwei,« sagte der Krämer. »Den jüngern habe ich mal in Paris gesehen, den älteren aber kenne ich nur dem Namen nach.« – »Um ihn handelt es sich aber gerade, denn er ist jetzt Karl II., König von England.« – »Ein König ohne Königreich,« sagte Planchet in salbungsvollem Tone. – »Ja, und unglücklicher als der ärmste Mann in Paris,« setzte d’Artagnan hinzu.

Planchet zuckte die Achseln. Was ging ihn denn dieser unbekannte Monarch an? Und was hatte das mit der großen Idee des Chevaliers zu tun? Das konnte er nicht begreifen. – »Höre weiter, Planchet,« fuhr sein Herr fort. »Ich sah, wie dieser König als Bettler Hilfe bei Ludwig XIV. suchte und wie man ihm jeden Beistand versagte. Der Stolz, mit dem er seinen Jammer ertrug, hat mir gezeigt, daß er von echt königlichem Sinn beseelt ist.«

»Mein Gott ja,« seufzte Planchet, aber er begriff noch immer nicht, inwiefern das alles mit dem fraglichen Geschäft zusammenhinge. D’Artagnan fuhr fort: »Da bin ich nun auf folgenden Gedanken gekommen. Dieser König ohne Königreich, wie du richtig sagtest, ist ohne Zweifel ein Samenkorn, das, um zu blühen und Frucht zu tragen, nur von der richtigen Hand auf den richtigen Boden gesetzt zu werden braucht. Und das will ich nun tun.«

»Sie wollen ihm also wieder zum Throne verhelfen, wenn ich recht verstehe,« antwortete nun Planchet, und als d’Artagnan nickte, fügte er hinzu: »Haben Sie sich das aber auch reiflich überlegt? In England gibt es jetzt ein von der Nation gebildetes Parlament, das seine eigene Armee hat.« – »Aber wir beide zusammen werden doch eben 40 000 Livres anwenden, um eine Armee ins Feld zu stellen.« – »Eine Armee?« rief Planchet, die Hände zusammenschlagend, als hielte er seinen Herrn für verrückt. »Wie stark soll sie denn sein?« – »Vierzig Mann.« – »Nun, Sie selbst sind zwar so viel wert wie 1000 Mann,« versetzte er, »aber trotzdem sind 40 Mann ein bißchen wenig gegen 40 000. Da verlieren wir gleich die erste Schlacht.« – »Auf eine Schlacht wollen wir uns ja auch gar nicht einlassen,« entgegnete d’Artagnan. »Da du in der neuesten Geschichte Englands ein wenig bewandert zu sein scheinst, wirst du wohl auch wissen, daß Cromwell tot ist, daß sein Sohn das Protektorat niedergelegt hat und ein gewisser General Monk jetzt die erste Geige spielt. Das ist ein sehr geschickter Feldherr, denn er hat sich noch nie geschlagen, und auch ein sehr geschickter Diplomat, denn er spricht nie. Ehe er guten Morgen sagt, sinnt er so lange nach, bis es Zeit ist, guten Abend zu sagen. Und deshalb bewundert ihn nun alle Welt. Nun höre, ich gehe mit meinen vierzig Mann hinüber, packe diesen Monk beim Kragen, schnüre ihn zusammen wie einen Warenballen und bringe ihn nach Frankreich. Hier verlange ich nun für ihn ein Lösegeld von 100 000 Talern oder ich liefere ihn an Karl II. aus. Das letztere erscheint mir als das Bessere, denn wenn Karl diesen Monk nicht mehr zu fürchten hat, steht ihm der Weg zum Throne frei, und er wird die 100 000 Taler mit Kußhand bezahlen.«

»Vortrefflich, Herr Chevalier!« rief Planchet. »Aber es erinnert mich das an die bekannte Bärenhaut, die verkauft werden sollte, ehe sie dem Bären abgezogen worden war. Monk gefangen zu nehmen, ist ein kühnes Unterfangen, das blutige Köpfe kosten wird, soviel Glück Sie auch bisher in derlei gewagten Unternehmungen gehabt haben.« – »Es kann nicht fehlschlagen, Planchet, wenn ich es einmal in die Hand nehme. Für dich ist es ein glänzendes Geschäft, für mich ein famoses Abenteuer, das mir in meinem Alter noch große Ehre machen wird, und darauf bin ich ebenso erpicht, wie du auf Geld.« – »Wenn ich denke, daß ein so toller Plan hier mitten zwischen meinen Backpflaumen und Rosinen geschmiedet worden ist,« sagte Planchet, »dann kommt mir mein Büdchen wie ein Palast vor.« – »Aber hüte dich ja, etwas davon verlauten zu lassen, sonst wandern wir in die Bastille. Monk ist Mazarins Bundesgenosse.« – »Wenn man mit Ihnen zusammen gewesen ist, Herr Chevalier, dann hat man erstens keine Angst und zweitens Schweigen gelernt.«

D’Artagnan nickte, nahm Feder und Papier und schrieb: »Zwischen Chevalier d’Artagnan, Musketier-Leutnant a.D., und Herrn Planchet, Kolonialwarenhändler, wird folgender Vertrag abgeschlossen: Beide begründen eine Geschäftsgesellschaft mit einem Kapital von insgesamt 40 000 Livres, von welchem beide je die Hälfte einzahlen. Das Kapital wird verwendet, um eine von Chevalier d’Artagnan entworfene Idee auszuführen. Herr Planchet kennt und billigt diese Idee und wird Kapital und Zinsen erst dann beanspruchen, wenn Chevalier d’Artagnan aus England zurückkehrt, denn dieses Land ist der Schauplatz des geplanten Unternehmens. Chevalier d’Artagnan hat das freie Verfügungsrecht über das Kapital und kann die ganze Summe in jeder ihm zum Besten seiner Idee genehmen Art verwenden. Wenn jedoch auf irgendeine Weise Karl II. von England wieder auf den Thron gelangt ist, dann zahlt Chevalier d’Artagnan an Herrn Planchet die Summe von…«

Er hielt zögernd inne, und der kluge Kaufmann fiel rasch ein: »Die Summe von 150 000 Livres –« – »Nein, nein,« antwortete d’Artagnan, »zu gleichen Teilen verdienen? Das geht doch nicht gut.« – »Aber wir zahlen doch jeder die gleiche Summe Geldes ein,« meinte Planchet. – »Ja, aber dafür bleibst du hübsch zu Hause, während ich meine Haut zu Markte trage. Sagen wir: du bekommst ein drittel, ich zwei.« – »Na ja, einverstanden.« – Und d’Artagnan schrieb weiter: »Die Summe von 100 000 Livres, während er selbst auf 200 000 Livres Anspruch hat, sofern es ihm gelingt, bei der Ausführung seiner Idee die Summe von 300 000 Livres herauszuschlagen. Aber auch jede andere Summe soll in dieser Weise – zwei Drittel zu ein Drittel – zwischen beiden Gesellschaftern geteilt werden. Zur Beendung des Geschäfts wird die Frist von einem Monat gewährt.«

Diesen Vertrag unterzeichneten beide, dann speisten sie zu Abend, und dann nahm d’Artagnan ein Licht und ging auf sein Zimmer. Er fand in dieser Nacht keinen Schlaf, obwohl er sich, seit er sein eigner Herr war, schon an ruhiges Schlafen gewöhnt hatte. Seine Idee ließ ihm keine Ruhe. Er grübelte darüber nach – er erwog sie nach allen Seiten hin. Und schließlich kam er zu dem Entschluß, nicht vierzig, sondern nur zehn Mann anzuwerben. Erstens, sagte er sich, ist es dann erheblich billiger, und zweitens auch weit ungefährlicher. Wenn jemand mit einer Geleitschaft von 40 Mann erscheint, so erweckt das in kriegerischen Zeiten unter allen Umständen Verdacht. Mit zehn Mann jedoch konnte er unbemerkt auftauchen und verschwinden. Er gedachte sie als bretonische Fischer zu verkleiden, eine Barke zu mieten und dann nach England hinüberzusegeln. Dort wollte er angeben, der Sturm habe ihn verschlagen, und er war der Zuversicht, daß selbst der mißtrauische Monk dann keinen Argwohn schöpfen würde.

Am nächsten Morgen machte er sich auf den Weg nach Calais, und dort gelang es ihm dank seinem Scharfblick und seiner großen Menschenkenntnis in sehr kurzer Zeit unter dem Gesindel von Abenteuerern, Landesflüchtlingen, entlassenen Sträflingen und andern zweifelhaften Menschen, von denen Hafenstädte ja immer angefüllt sind, zehn auserlesene Kerle herauszufinden, die seinen Zwecken entsprachen und mit denen er, wenn er sie gut bezahlte, alles wagen konnte.

Er war es nicht anders gewöhnt, als daß ein General, wenn er mit seiner Truppe auszieht, eine Ansprache hält, und daher hielt er nun auch eine, als er seine kleine Schar vollzählig beisammen hatte. »Leute,« sprach er, »ihr seid vom Schicksal dazu bestimmt, miteinander zu leben, vertragt euch also und brecht euch nicht gegenseitig den Hals! Ich habe euch angeworben, weil ihr mir mutig und standfest erscheint. Ihr sollt nun an einem ruhmvollen Wagestück teilnehmen. Indem ihr für mich arbeitet, leistet ihr dem König einen großen Dienst. Aber vergeßt nicht, daß ihr keinem Menschen eine Silbe davon verraten dürft. Gegen alle andern Menschen seid ihr Fischer, und damit gut. Staatsgeheimnisse, das laßt euch sagen, sind ein tödliches Gift; solange das Gift in einer Büchse fest verschlossen ist, schadet es nichts; kommt es unter die Leute, so ist es von vernichtender Wirkung. Und so würde auch jeder von euch, der etwas verrät, von meiner Hand ohne Gnade sterben. Tretet dicht um mich herum, damit weder der Vogel, der über uns hinfliegt, noch der Fisch, der aus dem Wasser schnellt, etwas hören kann. Wir haben auszukundschaften, wieviel Schaden der englische Schleichhandel den französischen Finanzen bereitet. Wir sind arme Fischer aus der Picardie, der Sturm hat uns an die englische Küste verschlagen. Nur im äußersten Notfall greifen wir zu den Waffen. Im übrigen haben wir einen mächtigen Beschützer im Rücken. Und somit: Glück auf!«

Vierzehn Tage später befand sich d’Artagnan mit seinen Leuten im Haag, und von hier aus machte er allein einen Ausflug nach dem kleinen Dorf Scheveningen. Dort lag am Meeresstrande das Häuschen, das Wilhelm von Nassau, der Statthalter von Holland, Karl II. als Wohnung eingeräumt hatte. D’Artagnan hatte davon gehört und überzeugte sich nun von der Wahrheit dieses Gerüchts, um zu wissen, wo er im Falle einer glücklichen Rückkehr den König fände. Er sah Karl II. aus seinem Häuschen herauskommen und an den Strand treten. Dort blickte der unglückliche Monarch lange und unbeweglich über das weite Meer hin, als suchten seine Augen den fernen Strand seiner Heimat. D’Artagnan in seiner Schiffertracht blieb unerkannt.

5. Kapitel Athos

An demselben Morgen, an dem Ludwig von dem Abschied von Maria zurückkehrte, ritt Karl II., der unglückliche Verbannte, der König ohne Land und ohne Geld, auf der Landstraße dahin. Sein treuer Parry bildete sein ganzes Gefolge. Eine halbe Meile etwa waren sie von Blois entfernt, da begegnete ihnen ein Reiter, der an ihnen vorübersprengte, aber trotz der Eile, in der er sich befand, grüßend den Hut zog. Der König, in düstere Gedanken versunken, hätte diesen Mann, einen Jüngling von etwa 25 Jahren, gewiß nicht bemerkt, wenn er ihm nicht dadurch aufgefallen wäre, daß er sich wiederholt umsah und mit dem Hut winkte. Nun erkannte der König auch, daß der Gruß gar nicht ihm gegolten hatte, sondern dem alten Manne, der vor einem Gitter stand und die Winke des jugendlichen Reiters erwiderte. Karl II. wollte weiterreiten, als Parry nach einem Blick auf diesen alten Mann einen Schrei der Ueberraschung ausstieß. Im selben Augenblick war dieser Greis auch auf die beiden fremden Reiter aufmerksam geworden, sah von dem älteren zum jüngeren hin, stieß ebenfalls einen Schrei aus, faltete die Hände und verneigte sich mit allen Zeichen tiefster Ehrerbietung.

»Mein Gott, Parry!« stammelte der König, »dieser Alte scheint mich zu kennen. Wer kann das sein?« – »Sire,« antwortete Parry, »so ist es auch. Gestatten Eure Majestät, daß ich ihn anspreche! Grimaud, sind Sie es wirklich?« rief er und trieb sein Pferd dicht vor das Tor. – »Ich bin es,« antwortete der Greis, sich aufrichtend. – »Sire« rief Parry, »ich hatte richtig gesehen. Dies ist der Diener des Grafen de la Fère, des würdigen Kavaliers, der dem Gedächtnis Eurer Majestät so teuer sein muß.« – »War das nicht der Mann, der meinem Vater in seinen letzten Augenblicken beistand?« fragte Karl, erbebend. »O, sagen Sie!« wendete er sich an Grimaud, »wohnt Euer Herr, Graf de la Fère dort? Und ist er zu Hause?« – »Dort steht er – dort unter den Kastanien.« – »Ich muß ihm persönlich meinen Dank sagen – Freund, haltet mein Pferd.«

Er sprang ab und eilte in den Garten. Als der Graf, der in der Kastanienallee nachdenklich hin und her ging, Schritte vernahm, sah er auf. Beim Anblick eines Unbekannten, der sich durch eine edle Haltung und ein sicheres Auftreten als Kavalier kennzeichnete, nahm er den Hut ab und wartete. Auch Karl entblößte das Haupt. »Herr Graf,« rief er, auf Athos zutretend, »ich bin Ihnen seit langer Zeit Dank schuldig. Ich bin Karl Stuarts Sohn, Karl II.« – Athos erschrak, starrte den Fremden mit seinen großen, blauen Augen an und verneigte sich dann tief. Karl ergriff seine Hand. »Sie sehen keinen König vor sich,« sprach er düster, »sondern einen Unglücklichen, der keinem Menschen die Liebe lohnen kann.« – »Es ist wahr,« sagte Athos, »Eure Majestät sind schwergeprüft.« – »Die schwerste Prüfung steht mir noch bevor,« antwortete der Geächtete. »Gestern noch hatte ich Hoffnung. Mein Vetter, der Statthalter von Holland, hatte mir seine Hilfe zugesagt, wenn Frankreich den ersten Schritt täte. Von Frankreich habe ich nun eine Million Frank und 200 Mann erbeten, mit denen ich alles hätte erreichen können.« – »Und der König hat Ihnen das abgeschlagen?« rief Athos. – »Der König nicht,« antwortete Karl, »aber der Kardinal Mazarin.« – Athos biß sich auf die Lippe. »Das war nicht anders zu erwarten,« murmelte er, »ich kenne den Italiener seit langem.«

»Nachdem Frankreich seine helfende Hand verweigert, ist alles verloren – ich muß dem Schicksal weichen,« sagte Karl II. – »Majestät, ich möchte Ihnen darin nicht ohne weiteres beistimmen,« versetzte Athos. »Ich habe oft schon erlebt, daß gerade dann, wenn es am schlimmsten stand, eine glückliche Wendung plötzlich eintrat.« – »Danke, Herr Graf. Sie meinen es gut, indem Sie mich trösten,« erwiderte Karl mit der Kürze der Verzweiflung, »aber ich weiß, woran ich bin – für mich ist keine Rettung mehr. Ich reite nach Holland, wo man mir ein kleines Schloß als Exil überlassen will. Möge nur der Tod nicht lange auf sich warten lassen!« – »Wollen Eure Majestät mir noch ein paar Minuten vergönnen und mit mir kommen?« fragte Athos, indem er dem Hause zuschritt. Karl II. folgte ihm.

In seinem Zimmer angelangt, bot der Graf dem König einen Sessel an. »Majestät,« sagte er, »Sie äußerten eben, daß Sie mit einer Million Frank Ihr Reich wiedererobern könnten. Hören Sie mich an! Die Geschichte vom Tode Ihres Vaters muß seinem Sohne allerdings sehr schmerzlich sein, dennoch muß ich jetzt darauf zurückkommen, weil gewisse Umstände, so getreu Ihr Diener Ihnen auch alles erzählt haben mag, außer Gott im Himmel nur mir allein bekannt sind.« – »Sprechen Sie, Herr Graf.« – »Als Ihr Vater das Blutgerüst betrat, war alles zur Flucht vorbereitet, und ich selbst befand mich unter den verhängnisvollen Brettern des Schafotts. ›Geh‘ auf einen Augenblick fort,‹ sprach der erlauchte Märtyrer zu dem maskierten Henker, ›und komm wieder, wenn ich dir das Zeichen gebe. Ich will erst ungestört beten.‹«

»Eine Frage, Herr Graf!« unterbrach Karl II. ihn, »wie hieß der Elende, der den Henkerdienst verrichtete?«

Athos wechselte die Farbe. »Ich darf seinen Namen nicht nennen,« antwortete er. – »Aber was ist aus ihm geworden? Man weiß in England nichts von seinem Verbleib.« – »Er ist in einer schrecklichen Nacht eines furchtbaren Todes gestorben. Von einem Dolchstoß durchbohrt, rollte er in die Tiefe des Ozeans. Gott möge dem verzeihen, der ihn tötete! Doch weiter. Karl I. sprach ferner noch zu seinem Henker: ›Höre wohl, du führst den Beilhieb erst, wenn ich die Arme öffne und rufe: Remember!« 2 – »Ich weiß,« nickte der Verstoßene vor sich hin, »dies war das letzte Wort meines unglücklichen Vaters. Doch in welchem Sinne sprach er es, in welcher Absicht?« – »Es war an den unter dem Schafott verborgenen Franzosen gerichtet.« – »Also an Sie, Herr Graf?« – »An mich. Und die Worte des Königs, der nun niederkniete und zu mir sprach, klingen mir noch heute in den Ohren. ›Graf de la Fère,‹ sagte er, ›sind Sie da? Sie haben mich nicht retten können, es sollte nicht sein. Vernehmen Sie meine letzten Worte: Ich habe den Thron meiner Väter verloren, aber ich besitze noch eine Million in Gold, die im Keller des Schlosses zu Newcastle vergraben ist.‹«

»O, Herr Graf!« rief Karl II. und nahm die Hände von dem in Tränen gebadeten Gesicht, »eine Million, sagen Sie!« – »›Um dieses Geld wissen nur Sie,‹ fuhr der König fort, ›verwenden Sie es zum Besten meines ältesten Sohnes, wenn Sie die Stunde gekommen glauben. Und nun leben Sie wohl!‹ Darauf klang von seinen Lippen das letzte Wort: › Remember!‹ Und Sie sehen, Majestät, ich habe daran gedacht.« – Der König konnte seine Gefühle nicht mehr niederdrücken; er schluchzte laut auf, und auch Athos fühlte sich von den wiedererweckten Erinnerungen überwältigt. – »Sire,« fuhr er dann fort, »mir scheint, die Stunde, dieses letzte Hilfsmittel zu benützen, ist nun gekommen. Ich wollte mich schon aufmachen und Sie suchen. Nun schickt Gott Sie mir zu.«

»Eine Million im Schloß Newcastle,« murmelte Karl II. »Aber Schloß Newcastle ist zur Zeit von General Monk besetzt. Der Ort, wo Hilfe für mich verborgen liegt, ist in der Hand meines Feindes.« – »General Monk kann den Schatz nicht entdeckt haben,« versetzte Athos. – »Das mag sein, aber soll ich mich in Monks Hände liefern? Ach, so oft ich mich wieder aufrichte, gleich wirft mich das Schicksal wieder zu Boden.« – »Majestät, was Ihnen und Ihrem Diener nicht gelingen kann, vielleicht gelingt es mir. Ich will für Sie nach Newcastle reisen.« – »Sie, Herr Graf, der Sie hier so glücklich leben?« – »Ich bin nie glücklich, solange ich noch eine Pflicht zu erfüllen habe. Und über den verborgenen Schatz zu wachen, hat mir Ihr Vater als heilige Pflicht übertragen. Es bedarf nur eines Winkes von Eurer Majestät, und ich gehe.«

Alle Etikette vergessend, fiel der König dem Grafen um den Hals. »Sie beweisen mir,« rief er, »daß es einen Gott im Himmel gibt, der die Unglücklichen nicht vergißt.« – Athos trat ans Fenster und rief hinaus: »Grimaud, die Pferde!« – »Sie wollen –?« fragte Karl II. »Aber, Herr Graf, ich bin nicht imstande, solche Dienste zu belohnen.« – »Majestät scherzen,« war die Antwort. »Sie besitzen doch eine Million. Einstweilen habe ich noch einige Rollen Geld und ein paar Familienbrillanten. Majestät werden mir die Ehre erweisen, mit einem treuen Diener zu teilen.« – »Mit einem Freunde,« antwortete der König: »Unter der Bedingung, daß dieser Freund später auch mit mir teilt.« – Die Freude färbte zum ersten Male seit langer Zeit wieder die bleichen Wangen Karls II. Grimaud führte die reisefertigen Pferde vor. – »Blaisois!« rief Athos seinem Diener zu, »dieser Brief ist an den Grafen von Bragelonne zu befördern. Ich reise nach Paris – halte gut Wirtschaft.«

  1. Englisch: denke dran!

3. Kapitel. Auf Belle-Ile

Aramis und Porthos standen am Gestade der See, und der Bischof schaute auch an diesem Tage wie an allen, seit sein großer Plan gescheitert, voll banger Unruhe gen Westen über die See hinaus. Sein leuchtender Blick durchmaß wie der eines Falken den Luftraum und suchte noch über den Horizont hinauszudringen. Vor einigen Tagen waren alle Fischerbarken auf die Fahrt ausgegangen, und bisher war nicht eine zurückgekehrt. Der kluge d’Herblay wußte, was das zu bedeuten hatte, und erwartete nun die Ankunft königlicher Schiffe, denn solche mußten den Fischerbooten begegnet sein und sie von Belle-Ile fernhalten. Am schwersten lastete es auf seiner Seele, daß der gutmütige Porthos noch immer nichts ahnte, und der Mann, der tausend Ränke gesponnen und sich durch unzählige schwere Lagen leicht zurechtgefunden hatte, wußte nun nicht, wie er diesem großen Kinde die Wahrheit klarmachen sollte. Dennoch mußte es geschehen, sobald eine feindliche Flotte herankam. In der letzten Zeit drang auch Porthos mehr mit Fragen in ihn als bisher. Es hatte den Anschein, als wenn die Dinge ihm selber nicht mehr geheuer erschienen.

Plötzlich rief Aramis aus: »Porthos! Sehen Sie dorthin!« – »Ei,« rief der Riese, »mir scheint, die Fischerbarken kommen endlich zurück! Ich habe mir schon den Kopf zerbrochen, weshalb sie so lange ausblieben.« – »Das sind keine Fischerbarken, das sind königliche Kriegsschiffe!« rief Aramis. Und er zählte: »Drei, vier, sechs! wahrlich, eine ganze Flotte!« – »Hurrah!« schrie Porthos, »also schickt man uns endlich Verstärkung! Nun mag der falsche König herankommen!«

Aramis hatte den Kopf in beide Hände vergraben, dann sah er auf und rief: »Porthos! lassen Sie Alarm schlagen!« – Der Baron machte große Augen, aber er entfernte sich, um den Befehl des Freundes auszuführen, war er es doch nicht anders gewöhnt, als den Anordnungen des weisen Prälaten sich zu fügen.

Nun füllten sich die Hafendämme mit Neugierigen und Bewaffneten; die Artilleristen rückten mit Lunten heran, die Wälle, die Batterien wurden besetzt. Porthos beobachtete mit Verwunderung diese Zurüstungen zu einer energischen Gegenwehr. Aramis sah nach den Schiffen aus, die allmählich näher kamen. Doch erst als es Nacht geworden war, befanden sie sich in Kanonenschußweite von der Insel und gingen nun vor Anker. Trotz der Finsternis wurde alsbald ein Boot ausgesetzt und an Land gerudert. Der Führer der Jolle hielt einen Brief in der Hand, den er in der Luft schwenkte, und schien jemand zu suchen, an den er diese Mitteilung abgeben sollte. Als ein paar Soldaten ihn anhielten, verlangte er vor Herrn d’Herblay geführt zu werden.

Aramis stand auf dem Quai. Er erkannte in ihm einen Fischer von Belle-Ile, der mit den andern Barken zusammen vor kurzem ausgefahren war. Der Mann erzählte nun, sie seien alle gefangengenommen worden. – »Von wem?« fragte Aramis. – »Von einem Schnellsegler des Königs,« war die Antwort. – »Welches Königs?« warf Porthos dazwischen. »Des echten oder des falschen?« – »Erzähle weiter!« gebot Aramis, als der Fischer den Baron verständnislos ansah. – »Wir wurden also alle gefangengenommen,« wiederholte der Mann, »und nun schickt man mich hierher, um Ihnen zu sagen und zu melden, daß die hier eingetroffene Flotte Befehl hat, Belle-Ile zu blockieren und keinen Mann der Besatzung entwischen zu lassen.« – »Und wer ist der Befehlshaber?« fragte d’Herblay. – »Der Kapitän der Musketiere, Herr d’Artagnan.«

»D’Artagnan!« rief Porthos; »aber dann ist ja alles gut!« – »Hast du selbst mit ihm gesprochen?« fragte Aramis den Fischer. – »Ja, und er läßt Sie zu sich an Bord bitten.« – »So laß uns hingehen!« rief Porthos. »Laß uns zu unserm Freunde gehen!« – »Bist du von Sinnen?« entgegnete der Bischof. »Woher willst du wissen, ob das nicht eine Falle ist?« – »Die uns der falsche König stellt?« fragte Porthos. – »Jawohl, und das ist am Ende gar nicht d’Artagnan, der uns zu sich ruft!« setzte Aramis hinzu. – »Sie haben immer recht,« meinte der Baron.

»Gehen Sie an Bord zurück,« sagte d’Herblay zu dem Fischer, »und sagen Sie ihm, ich ließe den Herrn bitten, zu uns auf die Insel zu kommen. Wenn er sich weigere, so würden wir von unsern Kanonen Gebrauch machen.« – »Sollen wir auf d’Artagnan und seine Leute schießen?« rief Porthos. – »Ich sagte Ihnen doch, er ist’s vielleicht gar nicht,« antwortete der Bischof. – »Donnerwetter, jetzt verstehe ich schon gar nichts mehr!« seufzte der Riese. – »Ich werde Sie aufklären, der Augenblick ist nun gekommen,« sagte Aramis, während der Fischer sich entfernte. »Setzen Sie sich auf diese Lafette und hören Sie mir zu.« – Und er faßte Porthos bei der Hand und begann ihm alles zu sagen, begann es mit den Worten: »Porthos, einem so biederen Manne wie Sie soll man nichts vorflunkern. Also heraus mit der Wahrheit! Ich habe Sie betrogen.«

»Sie haben mich betrogen?« rief der Baron. »Geschah es zu meinem Besten?« – »Wenigstens glaubte ich das felsenfest, Porthos.« – »Nun denn, so haben Sie mir einen Dienst erwiesen oder doch erweisen wollen. Freund,« antwortete der gutmütige Riese. »Ich danke Ihnen, und worin haben Sie mich betrogen?« – »Indem ich in Wahrheit dem Usurpator diente, gegen den Ludwig XIV. in jenem Augenblick alle Kräfte aufbot.«

»Wie? Also dienten Sie nicht dem wirklichen Ludwig XIV.?« – »Sehr richtig! Und daraus geht hervor, mein armer Porthos –« – »Daraus geht hervor,« vollendete der Baron, »wir sind Rebellen. Und somit ist die Herzogswürde, auf die ich hoffte, heidi! Denn von einem Usurpator will ich sie nicht haben. Sie taten unrecht, Aramis, mich in diesem Punkte zu täuschen. Ich habe so fest darauf gehofft! Kannte ich Sie doch als einen Mann von Wort! Ich bin also nun mit meinem König, mit Ludwig XIV., zerfallen?«

»Ich werde das wieder ins rechte Gleis bringen, Freund,« antwortete Aramis. »Sie haben ja nichts eigenmächtig getan, ich war das Haupt des Komplotts. Mich allein trifft die Schuld. Sie haben ja im besten Glauben gehandelt. Ich rief Sie, und Sie folgten mir. Mein größter Fehler, Porthos, war, ich handelte aus Egoismus.« – »Sehen Sie, dieses Wort liebe ich,« versetzte Ballon. »Und da Sie bloß in Ihrem Interesse gehandelt haben, so kann ich Ihnen unmöglich gram sein, das ist ja so natürlich.« Mit diesen Worten drückte er seinem Freunde herzlich die Hand.

Aramis fühlte sich klein vor dieser naiven Seelengröße. Er mußte sich beugen vor dieser Ueberlegenheit des Herzens, die stets mächtiger ist als Größe des Geistes.

Eine Donnerstimme unterbrach ihr Gespräch. – »Das ist d’Artagnan,« sagte Porthos. – »Ja, ich bin es,« antwortete der Kapitän und eilte herbei. Ein Offizier folgte ihm auf dem Fuße. Als d’Artagnan die Hälfte der Stufen erstiegen hatte, die zu dem Wehrdamme emporführten, rief er Aramis und Porthos zu: »Lassen Sie Ihre Leute zurücktreten, und zwar so weit, daß sie nicht mehr hören können, was ich spreche.« – Porthos gab diesen Befehl, der alsbald befolgt wurde. – Der Kapitän drehte sich hierauf zu seinem Begleiter um und sagte: »Mein Herr, wir sind jetzt nicht mehr auf dem königlichen Schiffe, wo Sie eben noch in so anmaßendem Tone mit mir gesprochen haben.« – »Herr Kapitän, das ist keine Anmaßung,« erwiderte der Offizier. »Ich habe meine Befehle, und denen gehorche ich. Mir wurde aufgetragen, Ihnen überallhin zu folgen, das tue ich hiermit!«

»Mein Herr!« unterbrach d’Artagnan ihn mit Ungestüm, »genug nun! ich gestattete Ihnen, mir nach Belle-Ile zu folgen. Doch nun machen Sie halt! Ich kümmere mich gar nicht drum, ob Sie gewisse Befehle von Herrn Colbert oder von sonstwem haben. Sie fallen mir zur Last, das ist alles, und ich werde mich dagegen schützen. Sie haben hier einen Mann vor sich, der d’Artagnan heißt, und Sie stehen auf einer Treppe, die dreißig Fuß tief in die salzige Flut reicht. Das ist eine schlimme Stellung für jemand, der d’Artagnan lästig wird.«

»Ich habe meinen Dienst zu versehen,« antwortete der Offizier, die Achseln zuckend. – »Mein Herr, diejenigen, die Sie mit diesen besonderen Befehlen versahen, haben mich beleidigt. Ich kann mich aber nicht an sie halten, denn sie sind mir fern; ich muß mich an Ihre Person halten, und das werde ich tun, seien Sie versichert! Wenn Sie einen Schritt weiter hinter mir hertun, ich schwöre es bei meinem Namen, so spalte ich Ihnen den Schädel mit dem Schwerte oder werfe Sie ins Meer! Geschehe, was mag! Sechsmal in meinem Leben bin ich in Zorn geraten, und alle sechs Male habe ich den getötet, der mir da gegenüberstand!« – Der Offizier erblaßte bei dieser schrecklichen Drohung, antwortete aber: »Als ich Soldat wurde, wußte ich, daß ich im Dienst mein Leben lassen müsse.« – D’Artagnan stieg die Treppe weiter hinauf – der Offizier bekreuzte sich fromm und folgte ihm. Porthos und Aramis, die ihren d’Artagnan kannten, stießen einen Schrei aus und stürzten herbei, um den Streich aufzuhalten, den sie schon zu hören glaubten. Aber der Musketier nahm das Schwert in die linke Hand. – »Herr,« sagte er zu dem Offizier. »Sie sind ein tapferer Mann. Sie müssen aber das, was ich Ihnen jetzt sagen werde, besser begreifen als das, was ich Ihnen eben gesagt habe.« – »Reden Sie, Herr Kapitän,« sagte der Offizier schlicht. – »Die Herren dort, gegen die Sie Befehle haben, sind meine Freunde,« sprach der Musketier. »Lassen Sie mich ohne Zeugen mit ihnen sprechen.« – »Mein Herr,« antwortete jener, »wenn ich nachgebe, so breche ich mein Wort – wenn ich nicht nachgebe, handle ich Ihnen zuwider. Das eine ist so schlimm wie das andere. Also gehen Sie und reden Sie mit Ihren Freunden. Verzeihen Sie mir, daß ich aus Liebe zu Ihnen, den ich achte und ehre, eine gemeine Handlung begehe, indem ich meine Pflicht vergesse.« – Der Gaskogner schlang gerührt den Arm um den Nacken des jungen Mannes und stieg zu seinen Freunden hinauf. Der Offizier wickelte sich in seinen Mantel und setzte sich auf die feuchten Stufen, die mit Seetang überzogen waren.

»So stehen die Dinge,« sagte d’Artagnan zu seinen Freunden. »Nun urteilt selbst!« Und alle drei umarmten sich. »Sie sehen, alles, was von Belle-Ile kommt, wird abgefangen, und niemand darf unangefochten hier landen. Eine Flucht ist unmöglich. Der König will Sie fangen – und wird Sie fangen. Ich hatte nun die Absicht, Sie beide auf mein Schiff zu rufen, dort zu behalten und dann entwischen zu lassen. Aber ich muß jetzt damit rechnen, daß sich, wenn ich auf mein Schiff zurückkehre, einer meiner Offiziere als mein Vorgesetzter entpuppt, der mit geheimen Befehlen gegen mich ausgerüstet, vielleicht sogar befugt ist, mich im Notfall des Kommandos zu entsetzen. Was also soll ich für Sie tun?«

»Nehmen Sie Porthos mit,« sprach Aramis. »Er wird dem König beweisen, daß er ganz unschuldig war. Ich aber bleibe hier und bürge Ihnen, daß ich mich erst nach sehr energischem Widerstand ergeben werde.« – »Ich muß mir das überlegen,« erwiderte Porthos. »Einstweilen bleibe ich.« – »Dann wollen wir uns vorerst Lebewohl sagen,« sprach d’Artagnan. »Auch ich muß nachdenken, und ich hoffe, Ihnen bald einen guten Gedanken mitteilen zu können.« Er schüttelte den Freunden die Hand und kehrte mit dem Offizier, den Herr Colbert ihm zum Wächter bestellt hatte, auf sein Schiff zurück.

Unterwegs zerbrach er sich den Kopf, um einen Ausweg zu finden, und fand auch einen. Als er an Bord stieg, war sein Entschluß gefaßt. Er berief seinen Kriegsrat, der aus acht Offizieren bestand, nämlich aus einem Hauptmann der Seesoldaten, einem Major der Artillerie, einem Ingenieur, dem jungen Offizier und vier Leutnants.

»Meine Herren,« sprach d’Artagnan, »ich habe mir Belle-Ile angesehen. Es ist stark befestigt, hat eine gute Garnison und kann lange Gegenwehr leisten. Ich will daher zwei von den ersten Offizieren der Garnison herüberkommen lassen, um mit ihnen zu unterhandeln. Mir erscheint eine friedliche Einigung als das beste. Sind Sie auch dieser Meinung?« – »Herr Kapitän,« antwortete der Artillerist, »also haben wir wohl auf einen Widerstand Belle-Iles zu rechnen?« – »Allerdings, obgleich es nicht Herr Fouquet ist, der die Insel verteidigt, denn den habe ich gestern verhaftet,« versetzte d’Artagnan. »Aber diese Verhaftung ist hier ruchbar geworden, und alle Leute auf Belle-Ile hängen an Fouquet und erblicken in ihm ihren Herrn und König. Sie werden ihm treu bleiben bis in den Tod. Deshalb will ich mit den Offizieren sprechen, will ihnen zeigen, wie stark unsere Schiffe sind, und Ihnen eröffnen, daß sie im Falle eines Widerstandes keine Gnade zu erhoffen haben. Ich denke, sie werden sich ohne Kampf ergeben, und die Festung, deren Eroberung uns viel Blut kosten würde, fällt vielleicht ohne Schwertstreich in unsere Hände.«

Die Offiziere blickten einander an, als wollten sie sich gegenseitig um Rat befragen, da trat der Offizier vor, der d’Artagnan nach Belle-Ile begleitet hatte, und legte ein Papier vor, das die Aufschrift trug: »Befehl Nr. 2.« Der Kapitän nahm es und las: »Es wird hiermit Herrn d’Artagnan aufs strengste verboten, einen Kriegsrat zu versammeln, bevor Belle-Ile sich ergeben hat und die Besatzung gefangengenommen oder über die Klinge gesprungen ist. Gezeichnet ….. Ludwig XIV.«

D’Artagnan bezwang mit Gewalt die Wut, die in ihm emporstieg, und sagte mit anmutigem Lächeln: »Sehr wohl, Herr! Die Befehle des Königs sollen befolgt werden.« – Er schwieg ein Weilchen, dann fuhr er fort: »Da der König einen andern mit Befehlen gegen mich ausgerüstet hat, so genieße ich nicht mehr sein Vertrauen und bin unwürdig, dieses Kommando weiterzuführen. Ich werde also auf der Stelle meinen Abschied einreichen. Ich fordere Sie infolgedessen auf, mit mir nach der französischen Küste zurückzukehren. In einer Stunde ist Flut, dann kann die Rückfahrt angetreten werden. Wollen Sie ohne Oberhaupt hier bleiben, so würden Sie die Streitkräfte gefährden, die der König mir anvertraut hat. Ich nehme an, Herr,« wandte er sich an den jungen Offizier, »Sie haben diesmal keinen Gegenbefehl.«

D’Artagnan triumphierte schon, als er diese Worte aussprach; denn wenn die Blockade unterbrochen war, so würden seine Freunde, dachte er, bald Gelegenheit finden, nach Spanien zu entfliehen. Nachher mochte der König getrost einen anderen nach Belle-Ile schicken, der würde das Nest leer finden.

Allein der junge Offizier reichte d’Artagnan abermals einen Befehl, und der Musketier las: »Sobald Herr d’Artagnan erklärt, er wolle den Befehl niederlegen, so soll er nicht mehr als Haupt der Expedition betrachtet werden. Die ihm unterstellten Offiziere brauchen ihm von diesem Augenblick an keine Folge mehr zu leisten. Vielmehr soll Herr d’Artagnan alsbald nach Frankreich zurückkehren und zwar unter der Aufsicht des Offiziers, dem diese Sonderbefehle anvertraut werden, als dessen Gefangenen er sich zu betrachten hat. Gezeichnet – – Ludwig XIV.«

D’Artagnan erblaßte; das alles war so klug, so weitsichtig berechnet, daß er sich seit dreißig Jahren wieder einmal an die unbeugsame Logik, an den Scharfblick des großen Richelieu erinnert fühlte. Er sann nach. Dann dachte er: »Ich zerreiße diesen Befehl, wer kann sich mir dann widersetzen? Und ehe der König durch seinen Vertrauten etwas davon erfährt, habe ich meine Freunde gerettet. Mutig vorwärts! Mein Kopf gehört nicht zu denen, die man wegen Ungehorsams vom Rumpfe schlägt. Also wollen wir ungehorsam sein!«

Aber in diesem Augenblick sah er, daß alle andern Offiziere denselben Befehl lasen, den er in der Hand hatte. Der junge Offizier hatte jedem eine Abschrift gegeben. Also auch der Fall des Ungehorsams war vorhergesehen worden und somit vereitelt. – »Herr Kapitän,« sprach der Offizier, »ich nehme an, Sie werden mir ohne Widerstand folgen.« – »Selbstverständlich,« versetzte d’Artagnan, mit den Zähnen knirschend. Alsbald wurde auch ein Boot ausgesetzt. »Nach dem Abgang des Kapitäns,« sprach der Offizier zu dem Hauptmann der Seesoldaten. »überträgt Seine Majestät Ihnen das Oberkommando. Hier ist Ihre Vollmacht.«

D’Artagnan, der Mann von Eisen, senkte zum erstenmal in seinem Leben kleinlaut den Kopf. Er stieg in das kleine Fahrzeug, das mit einem günstigen Wind im Segel Frankreich zusteuerte. Die Barke flog wie eine Schwalbe dahin. Bald zeigte sich am nächtlichen Himmel die französische Küste. D’Artagnan hatte noch immer Hoffnung, zeitig genug in Nantes einzutreffen, um beim König mit all seiner Beredsamkeit die Sache seiner Freunde zu führen. – »Junger Mann,« sprach er zu dem Offizier, »ich würde viel drum geben, die Instruktionen des neuen Kommandanten zu kennen. Er hat doch vorderhand Frieden zu halten, nicht wahr?« – Er hatte kaum ausgesprochen, da hallte der Donner eines Kanonenschusses über das Meer hin, ein zweiter und ein dritter folgten.

»Das Feuer auf Belle-Ile ist eröffnet,« sagte der Offizier.

Der Kiel des Bootes knirschte im Küstensande.

4. Kapitel. Der Tod eines Titanen

Als d’Artagnan seine Freunde verlassen hatte, machten auch sie sich auf den Weg, um an ihre Posten zu gehen. Porthos richtete sich mühsam auf, aber beim ersten Schritt versagten ihm die Beine den Dienst, und er mußte sich noch einmal setzen. – »Aramis,« rief er, »das ist ein böses Zeichen. Daran erkenne ich, es geht mit mir zu Ende.« – »Nicht doch!« versetzte d’Herblay. »Die Ueberraschung ist Ihnen nur in die Glieder gefahren.« – »Ich weiß das besser,« beharrte jener. »Mein Großvater war zweimal so stark wie ich; aber bei einer Jagd fühlte er plötzlich, daß ihm die Beine schwach wurden – ein Uebel, das er nie zuvor gekannt hatte. Er raffte sich dennoch auf und pirschte weiter. Da begegnete ihm ein Wildschwein; er schoß mit der Armbrust und fehlte das Ziel. Das Tier fiel über ihn her und schlitzte ihm den Leib auf. Er war auf der Stelle tot.«

»Das ist noch kein Grund, für Ihre Person zu fürchten,« antwortete der Bischof. – »Hören Sie weiter!« fuhr Porthos fort. »Mein Vater war noch einmal so stark wie ich. Müdigkeit war ihm fremd. Aber als er eines Tages von Tisch aufstand, waren ihm die Beine schwach. Er trotzte dieser Schwachheit wie mein Großvater, und statt zu Bett zu gehen, ging er in den Garten. Bei den ersten Stufen wiederholte sich der Schwächeanfall, mein Vater fiel hin und schlug mit dem Kopf auf eine eiserne Klammer, die ihm in die Schläfe drang. Er war auf der Stelle tot.«

»Das sind zwei seltsame Zufälle, Porthos, aber wir können daraus immer noch nicht folgern, daß es Ihnen ebenso ergehen werde,« erwiderte Aramis. »Uebrigens stehen Sie jetzt schon wieder so stolz und fest da wie noch nie. Sie könnten ein Haus auf den Schultern tragen.«

»Ich fühle mich allerdings auch sehr dazu aufgelegt; aber diese Schwäche, währte sie auch nur einen Augenblick, ist für mich trotz allem ein untrügliches Zeichen. Ich fürchte mich nicht, allein ich liebe das Leben. Ich habe hübsche Landgüter und ein schönes Vermögen, das würde ich gern noch eine Zeitlang genießen. Und dann habe ich auch Freunde, die ich liebe: d’Artagnan, Athos, Rudolf und Sie!« – Der ehrliche Porthos nahm sich nicht einmal die Mühe, d’Herblay zu verhehlen, welchen Rang unter den Freunden er ihm zuerteilte.

»Wir werden auch noch lange leben,« antwortete Aramis, ihm die Hand drückend, »und der Welt noch viele Jahre das Muster von seltenen Männern sein. D’Artagnan wird uns befreien. Er will seinen Abschied einreichen, und die Verwirrung, die sein Rücktritt vom Kommando hervorrufen muß, will er benutzen, uns entschlüpfen zu lassen. Das ist sein Plan, und ich habe auch schon eine Barke an den Ausgang der unterirdischen Grotte Locmaria rollen lassen. Von dort aus können wir, sobald es Nacht ist, die See erreichen.« – »Das ist ein guter Gedanke,« sagte Porthos. »Hoffen wir also das Beste!«

Da erklang das Geschrei: »Zu den Waffen!« – Eine Menge von Männern und Frauen eilte herbei, Fackeln irrten hin und wieder, die Soldaten rückten an ihre Plätze. – »Die Flotte kommt heran!« schrie ein Bewaffneter, der Aramis erkannt hatte. – »Dann beginnt der Kampf! Auf, verteidigen wir uns!« schrie Aramis.

»Auf in den Kampf!« brüllte Porthos mit Donnerstimme. Und beide liefen zur nächsten Batterie.

Man sah Schaluppen mit Militär herankommen, sie näherten sich von drei Richtungen her, um an drei verschiedenen Punkten zugleich zu landen. Im nächsten Augenblick hatten nur noch die Kanonen das Wort; der Donner zerriß die Luft, der Rauch trieb wie dichter Nebel über die See und das Land hin. Der erste Angriff wurde siegreich zurückgeschlagen, nur ein Boot der Königlichen erreichte die Küste, mußte jedoch unter schweren Verlusten sofort umkehren.

»Porthos! Wir brauchen einen Gefangenen!« rief Aramis, und der Riese eilte zum Strande, warf sich mitten in den Knäuel der Flüchtenden und packte einen davon beim Kragen. Indem er ihn wie einen Schild vor der Brust trug, ging er rückwärts schreitend zu den Seinen zurück. »Hier ist ein Gefangener,« sprach er. – »Ihre Beine haben sich trefflich bewährt,« lachte Aramis. – »Ich habe ihn nicht mit den Füßen gefangen,« sagte Porthos traurig, »sondern mit den Armen.«

Es war ein Offizier, und Aramis begann ihn ins Verhör zu nehmen. Nun erfuhren sie, daß d’Artagnan nach Niederlegung des Kommandos sofort als Gefangener nach Frankreich gebracht worden sei, und daß sie von seiner Seite nichts mehr zu hoffen hätten. Aramis fragte sodann, was man mit den Leuten von Belle-Ile tun wolle, wenn man sie besiegt hätte. – »Der Befehl lautet, diejenigen, die den Kampf überleben, aufzuknüpfen.« – Aramis und Porthos blickten einander an. – »Ich bin zu leicht für den Galgen,« meinte d’Herblay. »Leute, wie ich bin, henkt man nicht.« – »Und ich bin zu schwer,« setzte Porthos hinzu, »bei mir reißt der Strang.« – »Ihnen beiden,« sagte der gefangene Offizier, »hätten wir jedenfalls die Vergünstigung gewährt, sich die Todesart auszuwählen.« – »Sehr gütig!« entgegnete Aramis.

Von neuem erklang Kanonendonner, und das scharfe Knattern von Musketen mischte sich darein. Schrecklich hallte das Getöse von den Felsen der Insel wider. – »Potz Wetter, was ist das?« rief Aramis. – »Der erste Angriff, den Sie zurückgeschlagen haben, war ein Scheinmanöver, das Sie veranlassen sollte, alle Ihre Kräfte hierher zu konzentrieren. Inzwischen sind wir an einer minder stark besetzten Stelle siegreich eingedrungen,« sagte der Gefangene lächelnd. – Aramis sank zurück. »Dann sind wir verloren,« stöhnte er dumpf. Und während das Geschrei der Kämpfenden näher heranbrauste, wandte er sich an die Soldaten, die rings an ihren Posten standen, und rief: »Freunde, keinen Widerstand mehr! Er wäre nutzlos und würde euch zum Verderben gereichen! Ergebt euch der Gnade des Königs! Der König ist Euer Herr! Der König ist der Abgesandte Gottes! Denkt nicht ferner mehr daran, Herrn Fouquet an dem König zu rächen. Opfert nicht nutzlos Weib und Kind, Freiheit, Besitz und Leben! Nieder mit den Waffen! Die Soldaten des Königs sind in Belle-Ile eingedrungen, und wenn ihr euch zur Wehr setzt, so wird es kein redlicher Kampf mehr sein, sondern nur noch ein Gemetzel, das keiner von euch überleben wird! Ich befehle euch im Namen des Allmächtigen, unterwerft euch der Gnade Ludwigs XIV.!«

Nach dieser Ansprache wandte er sich an den Offizier, der die Beweggründe dieser plötzlichen Umwandlung von energischem Widerstand zu wehrloser Ergebung nicht begreifen konnte. »Mein Herr!« setzte d’Herblay hinzu, »Sie sind frei, kehren Sie zu den Ihren zurück.« – »Mein Herr,« antwortete der Offizier, »Sie retten auf diese Weise wohl alle diese Einwohner, aber weder sich noch Ihren Freund.« – »Auch wir hoffen, die Gnade des Königs nicht vergebens anzuflehen,« antwortete Aramis. – »Gnade?« rief Porthos wild. »Was ist das für ein Wort?« – »Meine Herren,« sprach der Offizier, »der Befehl lautet ausdrücklich –« – »Herr,« unterbrach ihn Aramis, der fürchtete, Porthos könnte in seinem Zorn etwas von der geplanten Flucht ausschwatzen, »ich bin Bischof – ein Bischof kann nicht ohne weiteres gerichtet werden.« – »Allerdings,« erwiderte der Offizier. »Diese Chance hätten Sie noch für sich.« – Darauf verneigte er sich und ging.

Die Grotte von Locmaria war ein natürlicher unterirdischer Gang, der ein gutes Stück landeinwärts lag und bis hart ans Gestade der See führte. Im letzten Teile lag er allerdings nicht mehr unter der Erde, war aber durch ein Gewirr von übereinandergestürzten Steinblöcken so trefflich verdeckt, das man unter völliger Deckung das Meer erreichen konnte. Aramis und Porthos verließen den Wall und machten sich im Schutze der Nacht auf den Weg. Mit jener Rücksichtslosigkeit, die in schwierigen Lagen dem Bischof zu eigen war, überließ er es unbedenklich den Leuten von Belle-Ile, sich mit den Königlichen auseinanderzusetzen, wie sie wollten.

»Lieber Freund,« sprach Porthos, sich verschnaufend, »da wären wir! Aber sprachen Sie nicht von drei Fischern, die hier ein Boot für uns in Bereitschaft halten sollten? Ich sehe jedoch niemand.« – »Sie warten im Innern der Höhle,« antwortete Aramis. Sie traten ein, gekrümmten Rückens schritten sie in die feuchte, pechschwarze Höhle, und d’Herblay ließ einen Ruf, ähnlich dem der Nachteule, erschallen. Ein gleicher erklang als Antwort. – »Sind Sie es, Yves?« fragte der Bischof. – »Ja, Monseigneur, mit Goennec und seinem Sohne.« – »Ist alles bereit?« – »Alles, bischöfliche Gnaden!«

Sie zündeten bei diesen Worten eine Laterne an, und man sah nun ein Boot zwischen den Steinen liegen. Aramis untersuchte es beim matten Schein der Kerze, überzeugte sich, daß es alles enthielt, was er mit sich nehmen wollte, prüfte die Flinten, die Munition und das kleine Faß Pulver, das man im Heck verstaut hatte, und befahl dann, das Fahrzeug fortzutragen. Obwohl es gut beladen war mit Proviant, Wein in Schläuchen, Waffen und anderen Bedarfsartikeln, war es doch leicht, da es einer jener schlanken, hochbordigen Kähne war, die man besonders auf Belle-Ile mit großem Geschick anzufertigen verstand. Die drei Männer hoben es bis zur Höhe des Knies empor und schoben es nun ruckweise, immer wieder absetzend, Schritt für Schritt vorwärts. Das ging langsam, aber man mußte sich gedulden. Schließlich wurde das Ende des unterirdischen Ganges erreicht. Hier versperrte ein gewaltiger Steinblock den Ausgang, an dessen Schwere die Kräfte der drei Fischer versagten.

Porthos trat heran, stemmte den Rücken und die gewaltigen Schultern gegen das Hemmnis und bohrte die Füße in den Sand des Grundes. Dann hob er sich langsam empor, und der Stein lockerte sich in seinem festen Gefüge, Erde prasselte hernieder, Wurzeln zerrissen wie Bindfäden, die Platte ging in die Höhe und kollerte nach außen herum, das Dämmerlicht des grauenden Tages schimmerte in die Höhle hinein.

Aramis stieg als erster hervor, um Ausschau zu halten. Dann ließ er die Fischer mit Hilfe des Barons den Kahn hinausschieben, und die Männer trugen ihn nun leichter und schneller auf dem ebenen Boden im Schutze der Steinwände weiter, um ihn dann das letzte kurze Stück über das Ufer hin auf hölzernen Rollen ins Wasser zu schieben. Aramis und Porthos schickten sich an, ihnen zu folgen, als, gehetzt von mehreren bellenden Hunden, plötzlich ein Fuchs in die Oeffnung der Grotte schoß.

»Potz Wetter!« rief d’Herblay, »das ist eine Meute! Und hören Sie, da sind auch menschliche Stimmen! Sie kommen hierher. Wir wollen vorsichtshalber in die Höhle zurückkehren.« – Sie schlüpften rasch hinein, da brausten auch schon die Hunde heran, die hinter dem Fuchs hersetzten, und sprangen durch den schmalen Gang. Draußen aber vernahm man Pferdegetrappel und lautes Geschrei. »Es sind Offiziere der königlichen Garden,« sprach Aramis. »Sie haben zufällig einen Fuchs aufgestöbert, und da sie Zeit zum Jagen haben, so gibt es also auf Belle-Ile schon nichts mehr zu tun. Die Besatzung hat sich ergeben.« – »Die Jäger werden den Hunden folgen und hierherkommen,« sagte Porthos. – »Und uns hier finden, freilich,« setzte Aramis hinzu. »Aber wir werden sie hinter den Steinen erwarten und niedermachen, sobald sie hereinkommen. Das wird zehn Minuten dauern.«

Und er griff nach der Pistole und nahm den Dolch zwischen die Zähne. Der Bischof von Bannes war wieder der Musketier von ehedem geworden.

Die Jäger kamen heran. Aramis und Porthos eröffneten durch eine Lücke des Gesteins das Feuer und streckten mit vier Schüssen vier Feinde nieder. Aber sie konnten nicht hindern, daß zwei der Reiter, erschrocken über den unvermuteten Angriff, mit lautem Geschrei entflohen. Sie wollten nun zuerst ohne weiteres zu dem Boot eilen, das die Fischer inzwischen fast bis ins Wasser gebracht hatten, Allein Aramis hielt seinen Freund zurück. Es war aussichtslos, in diesem Augenblick zu entfliehen. Die Schüsse waren gehört worden, die Reiter riefen Hilfe herbei, und was nützte es, ins Boot zu kommen und in See zu stechen. Sie wurden dann ja doch verfolgt, eingeholt und gefangen genommen. Dagegen gab es kein Mittel. Sie mußten sich zurückziehen, die feindliche Abteilung, die gegen sie anrücken würde, erwarten und ihr Leben so teuer wie möglich verkaufen. Sie hatten im Innern der Grotte doch wenigstens eine einigermaßen sichere Stellung und konnten es im Schutze steinerner Pfeiler und finsterer Gänge mit einer großen Ueberzahl aufnehmen.

Sie blieben hinter den Steinblöcken, bis sie ihre Feinde heranrücken sahen. Aramis zählte 75 Mann. – »Was ist da zu tun?« murmelte er und wühlte mit Wut in seinen ergrauenden Haaren. – »Wir können keinen offenen Kampf mit ihnen wagen,« antwortete Porthos. »Aber wir wollen sie in die Höhle locken. Dort stellen wir uns hinter den steinernen Pfeilern auf, und alle, die herankommen, schlagen wir nieder, ehe sie erkennen, wo wir stecken. Wie dünkt Sie das?« – »Ausgezeichnet, lieber Freund,« erwiderte Aramis. »Ich bin sehr dafür, nur fürchte ich, die Hälfte wird Angst bekommen und draußen bleiben. Wir müssen aber alle vernichten. Bleibt nur ein einziger übrig, so sind wir verloren.« – »Also wie locken wir sie da heran?« – »Indem wir uns gar nicht rühren, lieber Porthos,« sagte d’Herblay. – »Und für den Notfall,« setzte Porthos hinzu, »haben wir noch das Faß Pulver, das die Fischer in der Grotte zurückgelassen haben, um das Boot zu erleichtern.« – »Das wollen wir aber möglichst wieder mit ins Boot nehmen,« meinte Aramis. »Und nun ans Werk, ich höre Stimmen!« – Porthos zog sich in die zweite Wölbung der Höhle zurück, Aramis kroch in die dritte. Der Riese hob die schwere Eisenstange vom Boden auf, mit der man das Boot vorwärts bewegt hatte. Sie wog etwa fünfzig Pfund, und er handhabte sie wie einen Spazierstock.

Man hörte jetzt ein Kommandowort, und alsbald sprangen 25 Mann von den oberen Felsen herab und drangen in die erste Höhlung vor. Dort legten sie an und schossen in die zweite hinein. Der Knall dröhnte in der Wölbung, die Kugeln prasselten gegen die Steinwände. Der Rauch erfüllte die Gänge. Da aber die Salve gar keinen Erfolg hatte, befahl der Führer den Leuten weiter vorzudringen. Porthos stieß einen Seufzer aus und hob die Eisenstange. Schwer hob und senkte sie sich zehnmal, und zehn Leichen lagen am Boden. Die Soldaten sahen in der Finsternis nichts. Sie hörten nur Geschrei und immer wieder eine Stimme, die aus einer noch tieferen Höhle ihnen zurief: »Kommt nur heran! Kommt nur heran!« – So drangen immer wieder neue Feinde vor, und immer wieder fiel die mörderische Eisenstange auf sie hernieder.

Nun aber hatte sich der Kapitän draußen eine Fackel aus Tannenzweigen gemacht und kam mit Licht herein. Soldaten folgten ihm. Aber bei dem Anblick, der sich ihnen bot, flüchteten sie voll Entsetzen. Der Kapitän selbst erschrak zu Tode, als er die Menge von Leichen erblickte und doch niemand sah, der sie getötet haben konnte. Er tat noch einen Schritt in den blutigen Knäuel hinein. Da packte ihn eine Faust, die aus dem Dunkel hervorschoß, bei der Kehle. Die Fackel entfiel seiner Hand und verlosch knisternd in einer Lache von Blut. Eine Sekunde später lag die Leiche des Kapitäns neben dem verkohlten Tannenzweig. Alles das geschah auf zauberhafte Weise, als wenn dort drinnen eine rätselhafte, menschenmordende Maschine arbeitete. Die Soldaten wagten sich nicht mehr herein und beratschlagten, was sie tun sollten.

Porthos schöpfte Atem. Er wartete, die Eisenstange in der Hand. Da hörte er die Stimme seines Freundes. »Kommen Sie,« flüsterte Aramis. »Nehmen Sie dieses Fäßchen Pulver, ich habe eine Lunte hineingesteckt. Werfen Sie es mitten unter unsere Feinde, es wird ihrer aller Tod sein.« – »Brennen Sie an!« sprach Porthos. – »Warten wir, bis sich alle versammelt haben, und dann sollen Sie wie Jupiter ihren Blitz schleudern.« – »Brennen Sie an!« wiederholte Porthos. – »Ich eile inzwischen zu den Bretagnern und helfe ihnen alles fertig machen. Sie kommen dann nach, so rasch Sie können. Bis zu ihrer Ankunft wird alles bereit sein, und wir fahren dann gleich ab.« – »Brennen Sie an,« sagte Porthos ein letztes Mal. – Aramis gab ihm das Faß und den brennenden Schwamm und kroch selbst zum Ausgang der Höhle. – Wie ein Leuchtkäfer glühte das Stückchen Schwamm in der Finsternis – der erste Funke eines ungeheuren Brandes – dann glomm die Lunte auf, und während Aramis den Steingang entlangkroch, erstieg Porthos die Wand, hob das Fäßchen hoch empor und zeigte sich in seiner Riesengestalt den verblüfften Feinden. Sie sahen diesen Recken. Geschwärzt von Rauch, bespritzt von Erde und Blut, glich er mehr einem Dämon der Tiefe als einem Menschen. Sie glaubten Vulkan selbst vor sich zu sehen, und sie erkannten den Gegenstand, den die Erscheinung schwang, sahen die brennende Lunte und stoben mit furchtbarem Angstgeschrei auseinander. Doch zu spät! Im mächtigen Bogen, von beiden Armen des Riesen geschleudert, flog das Pulverfaß mitten zwischen sie und explodierte mit einem Krach, der Himmel und Erde einzureißen schien.

Aber so tödlich das gräßliche Wurfgeschoß für die Feinde war, so verhängnisvoll ward es für Porthos selbst. Die Felsenwand, auf deren oberem Rande er stand, senkte sich jäh hernieder, die Steine barsten wie Tannenbretter unter der Axt, und während vor ihm ein entsetzliches Geschrei erklang und in wimmernden Lauten erstarb, während lodernde Flammen hoch emporflackerten und eine riesige Rauchwolke rings die Luft erfüllte, sah sich Porthos in die Tiefe gerissen, Steine, Sand und Erdklumpen hagelten auf ihn hernieder, und bis zum halben Leibe war er zwischen Felsentrümmern eingeklemmt.

Die Explosion der Pulvermassen hatte in diesem Teil der Insel das Antlitz der Erde verändert; die Grotte war aufgerissen worden, die Steinblöcke hatten sich an vielen Stellen auseinandergebreitet, an andern wieder zusammengehäuft. Es war kein unterirdischer Gang mehr da, sondern nur noch ein Gewirr von größeren und kleineren Steinhaufen, und einer von diesen hatte sich um Porthos her gebildet, der nun vor sich die Freiheit sah, den Strand des Meeres und Aramis mit den drei Fischern, die ihn erkannten und ihm zuwinkten. Aber hinter sich hatte er eine schwere Masse Gestein, die er nur mit Aufbietung aller Kraft zurückhielt und die ihm das Genick zu zerquetschen drohte.

»Kommen Sie, kommen Sie!« riefen die Fischer. – »Schnell, schnell!« rief Aramis und streckte die Hände vor, als wollte er seinen Freund zu sich heranziehen.

Der Riese wühlte mit beiden Fäusten zwischen den Steinen. Er reckte Schultern und Hals, um die Last, die ihn von hinten niederdrücken wollte, zurückzuschieben. Aber er vermochte es nicht. Seine Arme beugten sich, sein Kopf senkte sich tiefer und tiefer. Das stämmige Dach seiner Schultern gab nach. – »Porthos! Porthos!« rief Aramis. »So komm doch!« – »Noch warten!« keuchte der Herkules, »noch warten!« – Als d’Herblay die röchelnde Stimme vernahm, sprang er aus dem Kahn und eilte, aller Gefahr ungeachtet, seinem Freunde zu Hilfe. Die Fischer folgten ihm, und alle vier fielen nun über die Steinblöcke her, gegen die Porthos vergebens ankämpfte. Aber sie waren machtlos, sie konnten nicht einmal versuchen, ihn hervorzuziehen, denn beim ersten Ruck wäre der Steinkoloß vollends herniedergestürzt.

»Zu schwer!« stöhnte Porthos. Dann sah er mit traurigem Lächeln Aramis an und murmelte: »Die Beine! die Beine!« – Sein Kopf sank auf die Brust – Schaum trat ihm vor den Mund – man hörte ein knackendes Geräusch – dann sank der Steinblock über ihn und begrub ihn zur Hälfte unter sich. Ihm nach prasselten eine Masse von kleineren Steinen, die die ganze Gestalt des Toten bedeckten.

Aramis, an allen Gliedern bebend, beugte sich hernieder und horchte. Nichts – kein Röcheln mehr – der Riese schlief den Todesschlaf in dem Grab, das Gott ihm nach seiner Größe gemacht hatte.

Der Bischof kehrte mit seinen Freunden zum Boote zurück, langsamer, als er hergekommen. Sie griffen in die Ruder, und in schneller Fahrt flog die Barke über den glatten Meeresspiegel hin. Aramis sah noch immer nach der Stelle, wo die Grotte von Locmaria in ihrem Zusammenbruch die letzte Ruhestätte seines treuen Porthos gebildet hatte. Und so oft er auch versuchte, seine Gedanken auf den Ernst seiner Lage zu konzentrieren, sie kehrten immer wieder zu Porthos zurück, zu dem Stärksten und Einfältigsten der berühmten vier, welcher nun als erster hatte sterben müssen, zermalmt von einem blöden Stein.

Und ihm, dachte er bei sich, ihm, der an allem schuld war, der diesen gutmütigen Freund hintergangen hatte, ihm war die Flucht geglückt – doch nein! sie glückte auch ihm nicht! Denn als er nun den Kopf hob, sah er, daß ein Schiff das Boot verfolgte!

»Monseigneur, man setzt uns nach,« sagte Yves, der Fischer. – Aramis sah nach dem weißen Punkte, den das Segel des feindlichen Kreuzers am Horizont bildete, und nickte düster vor sich hin. Er antwortete nichts und vergrub wieder das Gesicht zwischen den Händen.

»Monseigneur, wir sind verloren!« sprach nach einer Weile der Fischer wieder. »Barmherziger Himmel, sie schießen auf uns!«

Eine Dampfwolke zeigte sich unter den Segeln, breitete sich aus, wie eine Blume, die sich entfaltet, und verflog; dann sah man etwa hundert Meter vor dem Hinterteil des Bootes eine Kugel ins Meer sausen, eine Furche im Wasser aufwühlen und verschwinden, gleich einem Steine, den ein Knabe über einen Teich schwippt. –

»Monseigneur, sie bohren uns in Grund!« rief der Fischer und warf sich mit den andern vor Aramis auf die Knie. »Geben Sie uns Absolution, Herr Bischof!«

»Ihr vergeßt, sie können euch sehen,« sagte d’Herblay. – »Es ist wahr,« antworteten die Seemänner, sich ihrer Schwachheit schämend. »Befehlen Sie, Monseigneur, wir sind bereit, für Sie zu sterben!« – »Wir warten auf sie,« sagte Aramis ruhig. »Es bleibt uns nichts weiter übrig.« – Sie ließen die Ruder ruhen und zogen das Segel ein. Das feindliche Schiff kam mit Windeseile heran. Die ganze Mannschaft stand auf Deck, die Waffen in der Hand, die Kanoniere sah man an den Stücken, die brennenden Lunten bereithaltend. Man hätte meinen mögen, sie seien auf dem Punkte, eine Fregatte zu entern, nicht aber ein Boot anzuhalten, in welchem sich nur vier Menschen befanden.

»Ergebt euch!« rief der Kapitän. – Aramis nickte nur mit dem Kopfe, und Yves, der Fischer, winkte mit seinem Taschentuche. – »Dreien von euch schenke ich das Leben!« rief der Kapitän. »Einem aber nicht, und das ist Chevalier d’Herblay.« – »Hören Sie, Monseigneur?« rief Yves. – »Ja,« antwortete der Bischof. – »Was sollen wir tun?« – »Annehmen!« Und Aramis spielte mit seinen weißen Fingern in dem grünlich schwarzen Wasser, als wenn er überlegte, ob er sich ergeben oder ertränken solle. – »Wir nehmen es an!« rief Yves. »Wer aber bürgt uns dafür, das Ihr Wort haltet?« – »Mein Name und mein Stand,« rief der Kommandant zurück. »Ich bin Leutnant der königlichen Fregatte Pomona und heiße Constant von Pressigny!«

Der Bischof hatte sich schon mit halbem Leibe über den Bord des Bootes geneigt. Als er diesen Namen hörte, richtete er sich auf. Mit leuchtenden Augen und einem geheimnisvollen Lächeln rief er: »Werft die Strickleiter!«

Er faßte sie als erster und kletterte hinauf. Die Fischer folgten, das Boot ließ man mit den Wellen treiben. Festen Schrittes trat Aramis auf den Kommandanten zu, sah ihn starr an und machte mit der rechten Hand ein geheimnisvolles Zeichen. Leutnant von Pressigny erblaßte, zitterte und trat zurück. Darauf hob Aramis die Rechte und ließ ihn den Stein eines Ringes sehen, den er an dieser Hand trug. Und der Kommandant ergriff diese Hand, neigte sich über sie und küßte sie, wie man die Hand eines Kaisers küßt. Er führte den seltsamen Gefangenen in seine Kajüte.

Die drei Fischer sahen sich verwundert an, die Schiffsmannschaft verhielt sich schweigend. Fünf Minuten später wurde der zweite Leutnant in die Kajüte gerufen, und als er wiederkam, erscholl der Befehl, gen Süden zu steuern. Die Leute gehorchten ohne Widerrede, obwohl man, um nach Belle-Ile zurückzukehren, Kurs nach Norden hätte nehmen müssen.

Aramis erschien auf Deck und setzte sich auf ein zusammengerolltes Segel. In Träume versunken, sah er nach der Richtung aus, in der Belle-Ile lag. Yves, der Fischer, näherte sich ihm ehrfurchtsvoll und fragte leise: »Monseigneur, wohin geht die Fahrt?« – »Nach Spanien,« antwortete Aramis kurz. – Yves schüttelte den Kopf; hatte er doch beim Mondschein auf den Wangen des Bischofs Tränen gesehen.

Ja, Aramis weinte. Es waren die ersten Tränen, die aus diesen Augen rannen. Und sie galten dir, guter Porthos!

5. Kapitel. »Ich bin der Kopf«

D’Artagnan kehrte in bitterster Entrüstung nach Nantes zurück. Er begab sich sofort ins Schloß und verlangte den König zu sprechen. Als er aber das Vorzimmer betrat, kam Herr von Gevres, ein Gardeoffizier, ihm entgegen und ersuchte ihn sehr höflich, sich ruhig zu verhalten, da Majestät noch schlafe. – »Wann wird der König aufstehen?« fragte d’Artagnan. – »In zwei Stunden etwa,« antwortete der Offizier. »Er ist die ganze Nacht auf gewesen.« – Der Musketier ging und kam in zwei Stunden wieder. Man sagte ihm nun, der König säße beim Frühstück. – »Mein Anliegen ist so wichtig,« erwiderte er, »daß der König mich während des Essens anhören wird.« – Herr von Brienne, der Kammerherr vom Dienst, antwortete, Majestät habe ausdrücklich befohlen, während der Mahlzeit niemand vorzulassen. –

»Sie wissen wohl nicht, Herr,« sagte d’Artagnan, »daß ich zu jeder Zeit Einlaß habe?« – »Aber nicht hier in Nantes,« erwiderte der Höfling. »Majestät hat hier eine andere Hausordnung bestimmt.« – »Wann ist der König fertig mit dem Frühstück?« fragte der Musketier.

»Das weiß man nicht.« – D’Artagnan fühlte, wie ihm die Wut zu Kopfe stieg. Er fürchtete, durch eine unbedachte Handlung alles zu verderben, und ging.

»Der König will mich nicht empfangen, das ist ganz klar.« dachte er. »Er denkt, ich könnte ihm unangenehme Dinge sagen. Und inzwischen belagert man Belle-Ile, erobert es, fängt meine Freunde, hängt sie auf. Tod und Teufel! Aramis wird sich zu helfen wissen, um ihn ist mir nicht bange; aber Porthos, der gute Porthos! Ob ich zu Colbert gehe? Ja, ich will ihm einen Schreck einjagen!« Und er eilte zu Colberts Wohnung, wo er erfuhr, der Intendant arbeite mit dem König. – »Also zurück zum Schlosse!« sprach der Musketier.

Herr von Lyonne, der Sekretär, kam aus dem Vorzimmer, trat auf d’Artagnan zu und sagte, Majestät habe sich vorgenommen, die ganze Nacht hindurch zu arbeiten, und es sei streng angeordnet worden, niemand zu ihm zu lassen. – »Wenn dem so ist,« rief nun d’Artagnan mit überlauter Stimme, »wenn der Kapitän der Musketiere nicht mehr wie früher zum König darf, dann ist entweder der König gestorben oder der Kapitän in Ungnade gefallen. In beiden Fällen braucht man ihn nicht mehr. Gehen Sie also zum König, Herr von Lyonne, Sie stehen ja in Gunst, und sagen Sie ihm, ich bitte um meinen Abschied.« – Lyonne ging und kam wieder.

»Was hat der König gesagt?« rief d’Artagnan. – »Majestät haben gesagt, es sei gut.«

»Es sei gut!« rief der Gaskogner. »Also er nimmt meinen Abschied an? So bin ich frei! Nun denn, Gott befohlen! Leb wohl, o Schloß, leb wohl, Korridor und Vorzimmer! Ein Bürger, der endlich aufatmen kann, ruft euch Valet zu!« – Er sprang die Treppe hinab und eilte in den Gasthof, wo er logierte. Er befahl, ein Pferd zu satteln und Proviant zurechtzulegen, denn er wollte am Abend um acht Uhr die Reise nach Vannes antreten. Zu dieser Zeit wollte er denn auch zu Pferde steigen, als Herr von Gevres mit zwölf Gardisten im Gasthofe erschien.

»Guten Abend, Herr d’Artagnan!« rief er. »Man sollte meinen, Sie wollten fortreiten? Vortrefflich, daß ich Sie noch treffe.« – »Suchten Sie mich?« fragte der Gaskogner. »Etwa gar im Namen des Königs?« – »Mein Gott, ja.« – »Sie sollen mich wohl verhaften, wie ich vor ein paar Tagen Herrn Fouquet verhaften mußte?«

»O nicht doch!« – »Warum kommen Sie dann mit zwölf Mann zu mir?« – »Ich mache eben meine Runde,« antwortete Herr von Gevres lächelnd. »Da treffe ich Sie gerade und fordere Sie auf, mit mir zu kommen.«

»Wohin denn?« – »Zum König.«

»Gut!« rief d’Artagnan. »Also vorwärts. Verhaftete kommen zwischen den sechsten und siebenten Mann.« – »Da ich Sie aber nicht verhafte,« antwortete Gevres, »so tun Sie mir den Gefallen, mit mir zusammen hinterdrein zu reiten.« – »Sehr wohl, Herzog, und ich muß gestehen,« sagte d’Artagnan, »wenn ich je eine Runde zu Ihnen hin hätte reiten müssen, so würde ich ebenso höflich mit Ihnen verfahren sein. Und was will der König?«

»O, er ist wütend!« – »Hat er sich die Mühe genommen, in Wut zu geraten, so wird er sich auch die Mühe nehmen, wieder ruhig zu werden,« sagte der Gaskogner. »Ich werde daran nicht sterben, das versichere ich Ihnen.« – »Nein, aber –« – »Aber man wird mich dem armen Fouquet Gesellschaft leisten lassen, meinen Sie? Ei, er ist ein wackrer Mann. Wir werden gut miteinander auskommen.« – »Kapitän, wir sind am Ziele,« antwortete Gevres. »Bewahren Sie Ihre Ruhe.«

»Ei, wie höflich Sie sind!« entgegnete der Chevalier. »Man sagt, Sie wünschten Ihre Garden mit meinen Musketieren vereint zu sehen. Hier scheint sich eine Gelegenheit dazu zu bieten.« – »Ich werde mich hüten, einen solchen Anlaß zu benützen; denn wenn ich Ihr Nachfolger würde, nachdem ich Sie verhaftet habe –« – »Ah, Sie gestehen also, daß Sie mich verhafteten –?« – »Nein, nein!« – »Nun, so sagen wir wieder, Sie haben mich nur angetroffen. Wenn Sie also mein Nachfolger würden, nachdem Sie mich angetroffen – was dann?« – »Dann würden Ihre Musketiere beim ersten Scharfschießen aus Versehen nach mir hinknallen.« – »Den Teufel auch, das könnte passieren,« murmelte d’Artagnan, »die Schlingel hängen an mir!«

Man hörte im Kabinett den König laut mit Colbert sprechen. Herr von Gevres blieb an d’Artagnans Seite. Das Gerücht, der Kapitän der Musketiere sei verhaftet worden, verbreitete sich im Schlosse. Und nun sah man, wie zur guten alten Zeit Ludwig XIII., die Musketiere sich im Hofe zusammenscharen, die Offiziere traten zu Gruppen zusammen, und dumpfes Murmeln pflanzte sich fort bis in die Korridore. »Es wäre doch wunderbar,« dachte d’Artagnan, »wenn meine Prätorianer mich zum König von Frankreich ausriefen. Wie würde ich darüber lachen!« Allein im selben Moment verstummte alles. Die Soldaten, die Offiziere, die Höflinge – alle zerstreuten sich, verloren sich, verschwanden; ein einziges Wort hatte genügt, die Gärung zu beschwichtigen: es gab kein Ungewitter, keinen Aufruhr mehr. Der Kammerherr vom Dienst hatte in den Hof hinabgerufen: »Ruhe! Man stört den König!«

»Es ist aus,« murmelte d’Artagnan, »die Musketiere von heute sind nicht mehr die Musketiere von ehedem!«

»Herr d’Artagnan zum König!« rief der Kammerherr.

Der König kehrte der Tür den Rücken zu, aber in einem vor ihm hängenden Spiegel konnte er mit einem Blick sehen, wer eintrat. Er verzog keine Miene, als er d’Artagnan kommen sah, sondern breitete mit ruhiger Hand das grünseidene Tuch über seine Papiere, das dazu diente, seine Dokumente unberufenen Augen zu entziehen. Der Gaskogner kannte dieses Manöver und stellte sich so, daß der König ihn im Spiegel nicht mehr sehen konnte und infolgedessen fragen mußte: »Ist Herr d’Artagnan nicht hier?« – »Hier bin ich,« antwortete der Musketier vortretend.

»Nun, mein Herr,« sprach der König, sein klares Auge auf den Chevalier heftend, »was haben Sie mir zu sagen?« – »Ich, Sire?« entgegnete jener. »Nichts, außer daß Sie mich verhaften ließen und ich eben hier bin.« – Der König wollte entgegnen, er habe ihn nicht verhaften lassen, doch erschien ihm diese Phrase einer Ausrede gleichzukommen, und er schwieg. D’Artagnan schwieg ebenfalls.

»In welchem Auftrage hatte ich Sie nach Belle-Ile geschickt, Herr?« sprach der König dann. »Sagen Sie mir das gefälligst.« – »Sie wollen also wissen, was ich in Belle-Ile getan habe?« versetzte der Gaskogner, den festen Blick des Königs erwidernd. »Das weiß ich nicht, Sire. Danach muß man mich nicht fragen. Danach muß man die endlose Reihe von Offizieren fragen, denen man unzählige Befehle aller Art mitgab, während man mir, dem Führer der Expedition, gar keinen bestimmten Auftrag gab.« –

Der König antwortete pikiert: »Herr, man erteilte Befehle nur solchen Leuten, welche man für treu hielt.«

»Es mußte mich wundernehmen,« fuhr der Kapitän fort, »daß ein Mann, der dem Range nach so hoch steht wie ein Marschall von Frankreich, unter die Befehle von sechs Leutnants gestellt wird, die wohl zu Spionen taugen mögen, nicht aber zu Führern einer kriegerischen Expedition. Ich kam hierher, Eure Majestät um Aufklärung zu bitten, aber der Zutritt wurde mir verweigert – ein letzter Schimpf, der mich veranlaßte, den Dienst Eurer Majestät zu verlassen.« – »Herr,« rief der König, »Sie glauben immer noch in einer Zeit zu leben, wo die Könige sich nach ihren Untergebenen zu richten hatten. Sie vergessen, daß ein König nur Gott Rechenschaft über seine Handlungen schuldig ist.«

»Das vergesse ich durchaus nicht, Sire,« antwortete der Chevalier gekränkt. »Ich begreife nicht, inwiefern es beleidigend für einen König ist, wenn ein ehrbarer Mann ihn fragt, in welcher Hinsicht er ihm schlecht gedient habe.« – »Sie haben mir schlecht gedient, indem Sie meine Feinde beschützten,« rief Ludwig XIV. – »Wer sind Ihre Feinde?« versetzte der Gaskogner. – »Die Männer, gegen die ich Sie geschickt habe!« – »Zwei einzelne Männer – Feinde Ihrer ganzen Armee! Kaum glaublich, Majestät!« – »Sie haben an meinem Willen nicht herumzudeuten!« – »Aber ich habe an meine Freundschaften zu denken!«

»Wer seinen Freunden dient, dient nicht seinem Herrn!« rief der König. – »Ich habe das so wohl eingesehen, Sire, daß ich um meinen Abschied bat,« antwortete d’Artagnan. – »Und ich habe ihn angenommen,« sprach der König. »Doch ehe ich mich von Ihnen trenne, wollte ich Ihnen beweisen, daß ich mein Wort zu halten weiß.« – »Majestät haben mehr als Wort gehalten,« entgegnete der Gaskogner kalt, »denn Sie ließen mich verhaften, und das hatten Sie mir nicht einmal versprochen.« – Ludwig XIV. nahm diesen Hohn verächtlich auf. – »Sie sehen, wozu mich Ihr Ungehorsam getrieben hat,« sagte er gelassen.

»Mein Ungehorsam!« rief d’Artagnan, vor Zorn erglühend. – »Das ist noch gelinde ausgedrückt,« versetzte Ludwig. »Ich wollte Rebellen fangen und bestrafen. Hatte ich danach zu fragen, ob diese Rebellen Ihre Freunde seien?« – »Aber ich hatte danach zu fragen!« erwiderte der Chevalier. »Es war grausam von Eurer Majestät, mich auf den Fang von Freunden auszuschicken, welche ich Ihrem Galgen überliefern sollte!« – »Es war eine Probe, Herr, die ich mit einem Manne anstellte, der sich immer meinen treuen Diener nannte und als solcher mein Brot ißt. Die Probe ist schlecht ausgefallen, Herr!«

»Nun, für diesen einen schlechten Diener, den Majestät damit verlieren,« versetzte der Kapitän bitter, »haben Majestät zehn gefunden, die an demselben Tage ihre Probe bestanden haben. Nun ja, Sire! ich bin ein rebellischer Mensch, wenn sich’s darum handelt, etwas Böses zu tun, und es war etwas Böses in meinen Augen, zwei Männer zu Tode zu hetzen, um deren Leben Fouquet, Ihr Retter, Sie gebeten hatte. Obendrein waren diese Männer meine Freunde. Aber warum mußten Sie mich verdächtigen, ehe ich etwas getan hatte? Warum mußten Sie mich mit Spionen umgeben? Warum mich vor der Armee entehren? Sie hatten mir Ihr ganzes Zutrauen geschenkt, dreißig Jahre lang habe ich an Ihnen gehangen, ich habe Ihnen tausend Beweise der Ergebenheit und Aufopferung gegeben, und nun mußte ich 3000 Soldaten gegen zwei einzelne Männer ins Feld führen!«

»Ja, vergessen Sie denn, was diese Männer an mir getan haben?« rief der König in dumpfem Tone, »daß ich durch diese Männer um ein Haar verloren gewesen wäre?« – »Und vergessen Sie denn, Sire, daß ich noch da war?« rief d’Artagnan. – »Genug, genug, Herr d’Artagnan, mit diesen persönlichen Rücksichten, die meinen höheren Rücksichten im Wege sind! Ich gründe einen Staat, in welchem es nur einen Herrn geben soll. Das habe ich mir einstmals gelobt; das habe ich Ihnen einstmals versprochen. Jetzt ist der Augenblick gekommen, mein Versprechen einzulösen. Sie sollen nach Ihrem Geschmack und um Ihrer Freundschaft willen befugt sein, meine Pläne zu vereiteln und meine Feinde zu retten? Nein! entweder Sie gehorchen mir, oder Sie verlassen mich! Suchen Sie sich einen Herrn, der dazu Ja und Amen sagt. Ich glaube es gern, mancher andere König würde sich Ihnen fügen, mit dem Hintergedanken, daß er es ja immer in der Hand habe, Sie eines Tages dorthin zu schicken, wo Herr Fouquet jetzt weilt. Aber ich habe ein gutes Gedächtnis, und für mich sind Dienste, die man mir geleistet, ein geheiligter Anspruch auf meine Dankbarkeit und auf milde Beurteilung, wenn ich strafen muß. Herr d’Artagnan, Ihnen soll zur Strafe für Ihren Mangel an Disziplin nur diese Lektion zuteil werden. Nachdem ich nicht ebenso gnädig gewesen bin wie meine Vorgänger, will ich nun auch nicht ebenso brutal sein. Noch andere Gründe veranlassen mich, milde mit Ihnen zu verfahren: erstens sind Sie ein Mann von Geist, Einsicht und Herz und werden dem ein guter Diener sein, der Sie zu zähmen vermocht hat; zweitens haben Sie jetzt keinen Grund mehr zur Insubordination; denn inzwischen haben meine Soldaten die Rebellen von Belle-Ile gefangengenommen oder getötet.«

D’Artagnan erblaßte. »Gefangen oder getötet!« rief er. »O, Sire, wenn das wahr wäre, so würde ich vergessen, das Sie mir eben Gerechtes und Großmütiges gesagt haben, und Sie einen barbarischen König, einen unnatürlichen Menschen nennen! Aber ich vergebe Ihnen diese Worte,« setzte er mit stolzem Lächeln hinzu, »ich vergebe sie dem jungen Fürsten, der noch nicht weiß, noch nicht beurteilen kann, was Männer wie d’Herblay, wie du Vallon, wie ich sind! Gefangen oder getötet? Ha, sagen Sie mir dann auch, wieviel Geld, wie viele Menschen es Sie gekostet hat, und lassen Sie uns den Gewinn nach dem Einsatz berechnen!«

Der König trat voll Zorn dicht vor ihn. »Herr! Sie antworten mir da wie ein Rebell!« rief er. »Wer ist König von Frankreich? Ich oder ein anderer?« – »Sire!« versetzte der Musketier kalt, »ich erinnere mich, daß Sie diese Frage eines Morgens in Vaux an viele Leute gestellt haben, die alle nichts darauf zu antworten wußten, während ich Ihnen Antwort gab. Wenn ich den König an jenem Tage erkannt habe, wo es gar nicht so leicht war, so halte ich es für unnötig, diese Frage heute an mich zu stellen, wo ich mit Eurer Majestät allein bin.«

Ludwig XIV. schlug die Augen nieder; die Erinnerung an den unglücklichen Philipp war ihm peinlich. Ein Offizier trat ein und reichte dem König eine Depesche; er öffnete sie, las und erblaßte. – »Herr d’Artagnan,« sagte er rasch entschlossen, »was man mir hier meldet, das sollen Sie später erfahren. Es ist besser, Sie hören es aus dem Munde Ihres Königs als von anderer Seite. In Belle-Ile ist gekämpft worden.«

»Ah,« sagte der Gaskogner ruhig, aber sein Herz schlug so heftig, als wollte es die Brust zersprengen. – »Und bei diesem Kampfe habe ich 106 Mann verloren,« fuhr der König fort. – D’Artagnans Augen flammten auf vor Freude und Stolz. – »Und die Rebellen?« fragte er. – »Sind entflohen,« antwortete der König. – D’Artagnan stieß einen Schrei des Triumphes aus. – »Gemach!« setzte der König hinzu. »Meine Flotte hat Belle-Ile so eng umstellt, daß sie nicht entschlüpfen können. Wenn man sie aufgreift, hängt man sie.« – »Und wissen sie das?« fragte d’Artagnan erbebend. – »Wie Sie es gewußt haben, wie ganz Frankreich es weiß.«

»Dann werden sie sich nicht lebendig fangen lassen, Sire, dafür bürge ich.« – »So wird man sie tot aufgreifen, was auf dasselbe hinauskommt,« versetzte der König. »Ich habe Ihnen gesagt,« fuhr er fort, »ich würde Ihnen eines Tages ein wohlgeneigter, edeldenkender, wortgetreuer König sein. Sie sind nun der einzige noch von früher her, der eins von beiden verdient: meinen Zorn oder meine Freundschaft. Eines von beiden soll Ihnen zuteil werden je nach Ihrem Verhalten. Und das entscheidet sich heute. Herr d’Artagnan, wollen Sie einen Mann zum König haben, der sich vor hundert andern durch nichts auszeichnet? Und könnte ein so schwacher König das Große ausführen, das meinem Geiste vorschwebt? Haben Sie je einen Künstler mit widerspenstigem Werkzeug große, ewige Werke schaffen sehen? Herr d’Artagnan, ich allein bin Herr in meinem Reiche, und ich will Diener haben, die die Ergebenheit, den Gehorsam bis zum Heroismus steigern – mögen sie auch nicht den Geist haben, den Sie besitzen! Was liegt daran, ob sie Geist haben. Gott gibt den Geist nicht den Füßen und den Armen, sondern dem Kopfe. Und dem Kopfe gehorcht alles übrige. Der Kopf bin – ich!«

D’Artagnan erschrak. Ludwig XIV. sprach weiter, als hätte er nichts bemerkt, obwohl dieses Erschrecken ihm keineswegs entgangen war. – »Wir beide schließen jetzt die Rechnung ab, die an jenem Tage offenbleiben mußte, wo Sie mich in Blois so klein und schwach fanden. Wissen Sie mir Dank, Herr, daß ich niemand die Tränen der Wut und der Beschämung entgelten lasse, die ich damals vergossen habe! Sehen Sie sich um, die großen Häupter sind gebeugt. Nun müssen auch Sie sich beugen – oder ins Exil gehen. Treffen Sie Ihre Wahl! Wenn Sie nachdenken, werden Sie sich vielleicht sagen, dieser König sei doch ein edler Mensch, denn er lasse Sie, der Sie im Besitz des gefährlichsten Staatsgeheimnisses sind, als einen Mißvergnügten dennoch unangefochten ziehen. D’Artagnan, warum haben Sie vor der Zeit ein Urteil über mich gefällt? Richten Sie heute abend über mich und seien Sie dann so streng wie Sie wollen!«

Verblüfft, stumm, schwankend stand der alte Krieger vor dem jungen Fürsten. Er erkannte in ihm einen Gegner, der seiner würdig war. Das war nicht mehr Hinterlist, das war feinste Berechnung: das war nicht mehr Gewalttätigkeit, das war Kraft; nicht mehr Zorn, sondern Wille; nicht mehr Ruhmrederei, sondern Urteil. Der junge Mann, der Fouquet zu Boden geschmettert hatte, beugte nun auch den starren Nacken d’Artagnans. »Nun, was zaudern Sie?« fragte der König. »Sie haben Ihren Abschied eingereicht – soll ich ihn verweigern? Ich gebe zu, es ist schwer für einen alten Kapitän, etwas zurückzunehmen, was er im Groll gesprochen hat.«

»O, das ist das Schwerste nicht,« entgegnete der Musketier traurig. »Das Schwerste ist, ich bin alt gegen Sie, und ich bin durch viele, viele Jahre an manches gewöhnt, das sich nicht leicht ablegen läßt. Sie brauchen künftig Höflinge, die Ihnen was vormachen können, Hanswurste, die sich für das, was Sie Ihre großen Werke nennen, abstechen lassen. Wohl, wohl, groß werden diese Werk sein, ich fühle es – aber mein Gott, wenn ich sie doch nicht für gar so groß halten könnte! Ich habe unter Richelieu und Mazarin gedient, ich habe mich mit Ihrem Vater zusammen am Feuer von Larochelle versengt, mein Leib ist voller Wunden gewesen, durchlöchert wie ein Sieb, und ich habe zehnmal eine neue Haut bekommen, wie eine Schlange. Nachdem ich lange Zeit unter Schmähungen und Ungerechtigkeit zu leiden hatte, bekam ich endlich ein Kommando, das früher wenigstens insofern einigen Wert hatte, als man damit das Recht erhielt, mit dem König von der Leber weg zu reden. Aber künftighin wird es mit Ihrem Musketier-Kapitän anders bestellt sein. Er wird nur eine Art Türhüter sein dürfen. Wahrlich, Sire, für dieses Geschäft tauge ich schlecht. Glauben Sie nicht, ich hegte einen Groll wider Sie! O nein, Sie haben mich gezähmt, wie Sie sagen – aber der gezähmte d’Artagnan ist auch nicht mehr der frühere, ist nicht mehr so stark, so unbeugsam, so wagemutig. Was meinen Sie? Wird es nicht lächerlich sein, wenn ich nun noch den Kopf hochtrage, wo ich doch nichts weiter hier soll, als den Staub Ihrer Teppiche schlucken? Sire, Sie haben Höflinge genug, streuen Sie ihnen Puder in die Haare, setzen Sie ihnen goldene Borten auf die Röcke, und Sie können jederzeit Herzöge, Pairs, Marschälle haben. Das sind die besten Diener – sie tun alles für die Hand, die sie füttert. Doch was schwatze ich das alles aus? Der König ist mein Herr – o, Sie wußten recht wohl, ich kann ohne einen König, dem ich diene, nicht leben! Nun denn, mein König will, daß ich ein Höfling werde, Verse drechsle und mit seidenen Schuhen seinen Parkettfußboden glatt schleife – Donnerwetter! das ist schwer, aber ich habe Schwereres vollbracht! Ich werde es tun. Warum? Geld habe ich – mein Ehrgeiz ist befriedigt. Darin also liegt der Grund nicht! Nein, ich bleibe, weil ich es seit dreißig Jahren gewöhnt bin, nach den Befehlen meines Königs zu fragen und ihn sagen zu hören: Guten Abend, d’Artagnan! mit einem Lächeln, das ich mir noch nie erbettelt habe. Nun aber werde ich es mir erbetteln – Sire, sind Sie zufrieden?«

Und langsam neigte sich der graue Kopf des Kriegsmannes hernieder. Der König legte lächelnd die weiße Hand darauf und sagte voll Stolz: »Dank, alter treuer Diener und lieber Freund! Von heute ab habe ich keine Feinde mehr in Frankreich, ich muß dich also in ein fremdes Land schicken, damit du dir den Marschallstab verdienst. Das soll geschehen, sobald sich die Gelegenheit bietet. Ich bürge dir dafür. Bis dahin iß mein bestes Brot und schlaf ruhig.«

»Und die armen Leute auf Belle-Ile?« fragte d’Artagnan. »Zumal einer, der so gut und so tapfer ist?« – »Bittest du um Gnade für sie?« – »Auf den Knien. Majestät!« – »Nun denn, bring ihnen meine Gnade, wenn es noch Zeit ist. Du bürgst mir aber für sie.« – »Mit meinem Leben, Sire.« – »Gehen Sie. Morgen kehre ich nach Paris zurück. Eilen Sie, daß Sie wieder hier sind, denn ich will Sie allzeit um mich haben.« – »Seien Sie unbesorgt, Sire!« rief d’Artagnan und küßte die Hand des Königs.

Er reiste auf der Stelle nach Belle-Ile, kehrte zurück und begleitete den König nach Paris. Aber obwohl er 24 Stunden lang die sorgsamsten Erkundigungen eingezogen, hatte er doch nichts Gewisses erfahren können. Man erzählte ihm nur alles, was die beiden tatkräftigen Männer, seine Freunde, auf der Insel gegen eine ganze Armee ins Werk gesetzt hätten, und daß sie schließlich auf einem Boote die Flucht ergriffen hätten, von einer königlichen Fregatte hart verfolgt. Darüber hinaus war nichts Genaues mehr zu ermitteln. Das Geheimnis des Felsengrabes von Locmaria ward ihm nicht kundgemacht. Er sah sich also auf das Gebiet der Vermutungen gestoßen; doch was sollte er denken? Die Fregatte war nicht zurückgekehrt – Stürme hatten zwar auf der See geherrscht, allein das Schiff war sehr seetüchtig, wie er hörte, und niemand nahm an, daß es untergegangen sein könnte. Mehr wußte d’Artagnan nicht, als er wieder in Nantes eintraf.

Nach Paris zurückgekehrt, war Ludwig eben erst aufgestanden und hatte gefrühstückt, als der Kapitän seiner Musketiere, blaß und aufgeregt, vor ihm erschien.

»Sire, mir ist ein großes Unglück widerfahren,« sagte er. »Ich habe eben einen Brief erhalten, der mir mitteilt, daß einer meiner Freunde, Baron du Vallon, auf Belle-Ile ums Leben gekommen ist.« – »Das wußte ich,« sagte der König. – »Sie wußten es und verschwiegen es mir?« rief der Musketier. – »Ich wollte Ihnen keinen Schmerz bereiten, mein Freund. Sie hätten vielleicht gestern noch geglaubt, ich wolle über Ihr Unglück triumphieren. Ich weiß, Herr du Vallon liegt unter den Trümmern von Locmaria begraben, und Herr d’Herblay hat mir ein Schiff mitsamt der Mannschaft weggenommen, um sich nach Bayonne bringen zu lassen. Aber ich wollte, Sie sollten das durch unmittelbare Erkundigung erfahren, damit Sie sich überzeugt hielten, daß Ihre Freunde mir heilig sind, daß der Mensch in mir sich gern den Menschen opfert, da der König in mir so oft gezwungen ist, die Menschen seiner Majestät und Macht zu opfern.«

»Aber, Sire, woher wissen Sie–?« – »Woher wissen Sie es nun selbst?« – »Durch einen Brief, den mir Aramis aus Bayonne geschickt hat.« – »Und ich durch einen Brief, der acht Stunden vor dem Ihrigen von Colbert aus bei mir eintraf. Nicht wahr, ich bin gut bedient?« – »Ja, Sire, aber Sie werden das nun nicht mißbrauchen –« – »D’Artagnan,« antwortete Ludwig XIV. lächelnd, »ich könnte Herrn d’Herblay noch in Spanien verhaften lassen, allein er ist frei und wird frei bleiben.« – »O, Sire,« sprach der Musketier, »so gütig werden Sie nicht immer denken; es wird sich eine Stimme finden, die Sie von diesem Edelmut abzubringen suchen wird.« – »Sie irren, d’Artagnan, der Rat, Herrn d’Herblay nicht weiter zu verfolgen, rührt von Colbert selbst her. Und ich will Ihnen noch ein weiteres Geheimnis offenbaren, das der eigentliche Grund ist, weshalb Herr d’Herblay unangefochten bleiben muß. Ihr guter Freund, Aramis, der Musketier, der Bischof von Vannes, der Staatsverbrecher von Vaux, ist General des Jesuitenordens. Herr Colbert hat das durch Frau von Chevreuse erfahren.«

D’Artagnan riß die Augen weit auf und stieß nur ein lautes »Ah!« der höchsten Verwunderung hervor.

»Ich habe Ihnen noch mehrere gute Nachrichten mitzuteilen; aber Sie sollen sie erst in dem Augenblick hören, wo ich mit meinen Abrechnungen fertig sein werde. Ich sage nur, ich will Ihr Glück begründen – und das ist keine leere Phrase.« – »Tausend Dank, Sire, ich kann warten!« antwortete der Musketier. »Machen Sie einstweilen die armen Leute glücklich, die schon seit langem in Ihrem Vorzimmer warten, um Ihnen eine Bittschrift zu Füßen zu legen.« – »Wer sind sie?« – »Feinde Eurer Majestät – Freunde des Herrn Fouquet,« sagte d’Artagnan. – »Wie heißen sie?« – »Gourville, Pelisson und der Dichter Lafontaine.« – »Was wollen sie?« – »Ich weiß es nicht.« – »Wie kommen sie?« – »In Trauer.« – »Was tun sie?« – »Sie weinen.« – »Sie mögen eintreten,« sprach der König, die Stirn runzelnd.

D’Artagnan hob den Vorhang auf, der den Eingang in das Königszimmer verhüllte, und rief in den Vorsaal: »Hereinführen!« – Darauf erschienen drei Männer, bei deren Annäherung die im Vorsaal weilenden Höflinge entsetzt zurückwichen, als fürchteten sie, durch die Berührung mit diesen Freunden eines Geächteten besudelt zu werden. D’Artagnan aber schritt auf sie zu und reichte einem von ihnen die Hand. So führte er sie vor den Lehnstuhl des Königs. Ludwig ließ sie sich vorstellen. Pelisson weinte nicht mehr; aber er hatte den Tränen nur gewehrt, um deutlich sprechen zu können und von Seiner Majestät besser verstanden zu werden. Gourville biß sich auf die Lippe, um aus Ehrfurcht vor dem König keine Träne mehr sehen zu lassen. Lafontaine konnte das Schluchzen nicht unterdrücken und preßte das Taschentuch vors Gesicht.

Der König stand würdevoll und leidenschaftslos vor ihnen. Er machte eine Bewegung, welche besagte: »Nun, so rede doch einer!« und sah mit gerunzelter Stirn von einem zum andern. Pelisson krümmte sich bis zur Erde, und Lafontaine kniete sogar nieder, wie man es in der Kirche tut. Das peinliche Schweigen fing an, nicht das Mitleid, sondern die Ungeduld des Königs wachzurufen. – »Herr Pelisson,« sprach er kurz. »Herr Gourville und Sie, Herr – –« er nannte Lafontaine nicht beim Namen 15 – »es mißfällt mir, daß Sie vor mich treten, um für einen der größten Verbrecher zu bitten, den meine Gerechtigkeit bestrafen mußte. Ein König läßt sich nur durch Tränen der Unschuld und durch die Reue des Schuldigen rühren. Ich werde aber weder an die Reue des Herrn Fouquet noch an die Tränen seiner Freunde glauben, denn der eine ist bis ins Herz hinein verderbt, und die andern müssen fürchten, mich in meinem eigenen Palast zu beleidigen. Deshalb, Herr Pelisson und Herr Gourville, sagen Sie kein Wort, das nicht laut die Ehrfurcht bezeugt, die Sie meinem Willen zollen!«

»Sire,« antwortete Pelisson, bei diesen furchtbaren Worten zitternd, »uns führt nur die Absicht her, Eurer Majestät unsere tiefste Demut und Ergebenheit zu beteuern. Die Gerechtigkeit Eurer Majestät ist streng, alle Welt muß sich Ihren Beschlüssen beugen. Auch wir beugen uns in der Ehrfurcht und der aufrichtigen Liebe, die alle Untertanen dem König schuldig sind. Fern liegt es uns, den Mann zu verteidigen, der das Unglück hatte, Eure Majestät zu beleidigen. Ein Mann, der sich Ihre Ungnade zugezogen hat, kann uns wohl ein Freund bleiben, für den Staat aber ist er ein Feind. Wir werden ihn weinend der Strenge des Königs überlassen.«

Beschwichtigt durch diese überzeugenden Worte und ihren demutsvollen Ton, antwortete Ludwig XIV: »Im übrigen wird mein Parlament urteilen. Ich strafe nicht, ohne daß das Verbrechen nachgewiesen wird. Meine Gerechtigkeit hat neben dem Schwert auch eine Wage. Was haben Sie von mir zu erbitten?«

»Sire,« sprach Pelisson, »der Angeklagte hinterläßt Frau und Kinder. Das Vermögen, das man noch bei ihm vorfand, reicht kaum hin, seine Schulden zu decken. Seine Frau ist seit seiner Verhaftung von aller Welt verlassen. Die Hand Eurer Majestät schlägt ebenso wie die Hand Gottes. Wenn der Herr über eine Familie die Plage des Aussatzes verhängt, so meidet jeder die Wohnung des Aussätzigen. Nur bisweilen wagt sich ein todesmutiger Arzt über die Schwelle und setzt sein Leben ein, um die Unglücklichen zu heilen. Sire, mit aufgehobenen Händen und auf den Knien flehen wir zu Ihnen, wie zu einer Gottheit: Frau Fouquet hat niemand mehr auf dieser Welt, keinen Freund, keinen Helfer, sie weint in ihrem ausgeplünderten Hause, verlassen von allen, die in den Tagen des Glücks ihre Tür belagert haben. Der Unglückliche, den Ihr Zorn getroffen hat, erhält wenigstens von Ihnen trotz seiner Schuld Speise und Trank. Aber Frau Fouquet, welche die Ehre hatte, Sie an ihrem Tische zu empfangen, Frau Fouquet, die Gemahlin des ehemaligen Finanzministers, Frau Fouquet hat kein Brot mehr!«

Das Grabesschweigen, das während dieser Worte geherrscht hatte, wurde von Schluchzen und Weinen unterbrochen, selbst d’Artagnan, dem die Brust zersprang, als er dieses demütige Flehen hörte, drehte sich um und kaute heftig an seinem Schnurrbart. Das Auge des Königs blieb trocken, aber seine Wangen röteten sich, sein Blick verlor ein wenig die ihm eigene imponierende Sicherheit. »Was wünschen Sie also?« fragte er bewegt.

»Wir bitten Eure Majestät in aller Demut,« fuhr Pelisson fort, »um Erlaubnis, Frau Fouquet die 2000 Pistolen leihen zu dürfen, die wir und einige frühere Freunde ihres Gemahls zusammengesteuert haben, um die Witwe vor äußerster Not zu schützen.« Als Pelisson die Frau des noch lebenden Fouquet eine Witwe nannte, erblaßte der König; sein Stolz sank, das Mitleid drängte sich aus dem Herzen auf seine Lippen. Er warf einen Blick der Rührung auf die zu seinen Füßen schluchzenden Männer und erwiderte: »Gott verhüte, daß ich mit den Schuldigen die Unschuldigen treffe! Wer bezweifelt, daß ich für die Schwachen Barmherzigkeit übrig hätte, der kennt mich schlecht. Tun Sie für Frau Fouquet, was Ihr Herz Ihnen eingibt, meine Herren, lindern Sie ihr Leid, soweit sie können. Gehen Sie, meine Herren, gehen Sie!«

Sie standen auf; doch hatten sie nicht die Kraft mehr, dem König zu danken, der übrigens ihre feierlichen Verbeugungen nur flüchtig erwiderte und sich rasch hinter seinen Lehnstuhl zurückzog. – »Gut!« sprach d’Artagnan zu dem jungen Fürsten, der ihn fragend ansah. »Wenn Sie nicht schon die Devise hätten, die Ihre Sonne ziert, so würde ich Ihnen die folgende empfehlen: Sanft gegen die Schwachen, streng gegen die Starken!« – Der König lächelte und ging in den Vorsaal. Auf der Schwelle sprach er zu d’Artagnan: »Sie sind beurlaubt. Bringen Sie die Angelegenheiten Ihres verstorbenen Freundes du Vallon in Ordnung.«

  1. Lafontaine, der berühmte Fabeldichter, hatte sich durch mehrere seiner Fabeln, in deren Moral man eine Spitze gegen den König und die Regierung zu erkennen glaubte, bei Hofe unmöglich gemacht.

7. Kapitel. Philipp von Frankreich

Inzwischen hatte der falsche König in Vaux seine Rolle weitergespielt. Er gab Befehl, zu dem Morgenempfange die Herrschaften hereinzulassen, die im Vorzimmer warteten. Er entschloß sich, diesen Befehl zu erteilen, obwohl d’Herblay nicht da war. Da der Prinz nichts davon wußte, daß d’Herblay überhaupt nicht wiederkommen würde, so wollte er ohne seinen Schutz und Rat kühn den Anfang machen. Er ließ daher die Türflügel öffnen, und mehrere Personen traten ein. Er hatte ja seit einigen Tagen das Benehmen seines Bruders sorgfältig studiert und ahmte nun den König so trefflich nach, daß niemand Verdacht schöpfen konnte. Nun sah er Anna von Oesterreich, seine Mutter, zugleich mit Monsieur und Madame, näherkommen. Hinter ihnen zeigte sich Saint-Aignan.

Philipp betrachtete seine Mutter. Er fand sie schön und glaubte in den Furchen ihres Antlitzes noch jetzt Spuren des Schmerzes zu entdecken, den ihr das Opfer eines Sohnes bereitet hatte. Er gelobte sich, sie zu lieben und seine Qualen nicht entgelten zu lassen. Mit Rührung musterte er seinen Bruder. Von ihm hatte er ja nichts zu fürchten. Man konnte ihn als Nebenzweig am Stamme wachsen lassen; denn ihm war es genug, Geld zu haben und dem Vergnügen zu leben; er kannte keine ehrgeizigen Pläne.

Mit leichtem Beben reichte er Lady Henriette die Hand. Ihre Schönheit entzückte ihn, aber in dem kalten Blick ihrer Augen las er etwas, das ihn warnte, vor ihr auf der Hut zu sein. – Er fürchtete, die Königin würde kommen, doch ließ sie sich glücklicherweise entschuldigen.

Anna von Oesterreich begann zu sprechen. Sie ließ sich über den Empfang aus, den Herr Fouquet dem Hause Frankreich bereitet hätte, ohne dabei aus ihrer Feindseligkeit gegen ihn ein Hehl zu machen. Dann erkundigte sie sich unter allerlei kleinen mütterlichen Schmeicheleien nach dem Befinden des Königs. Zum Schlusse fragte sie, ob er sich noch weiter mit jenen Rechnungen und Quittungen Mazarins befaßt habe.

»Saint-Aignan,« sprach Philipp, »erkundigen Sie sich nach dem Befinden der Königin.« Es waren seine ersten Worte, und das Ohr der Mutter hörte der Stimme eine leichte Verschiedenheit gegen die Stimme ihres andern Sohnes an. Sie faßte Philipp scharf und fest ins Auge. Er hielt dem Blicke stand und fuhr fort: »Hoheit, ich höre nicht gern Schlechtes über Herrn Fouquet. Sie wissen das recht wohl.« – »Ich habe ja auch nur gefragt, wie Sie über ihn denken,« antwortete Anna.

»Sire,« ließ sich Henriette vernehmen, »ich habe Herrn Fouquet immer gern gehabt. Er ist ein wackerer Mann und hat auch einen sehr guten Geschmack.« – »Ich habe auch gar nichts gegen ihn,« setzte Monsieur hinzu. »Er ist kein Geizhals. Alle Anweisungen werden bar ausgezahlt, und man bekommt von ihm soviel Geld, wie man haben will.« – »Es rechnet eben hier jeder zuviel für sich,« warf die alte Königin ein, »niemand denkt dabei an den Staat. Und Herr Fouquet, das wird niemand leugnen, richtet den Staat zugrunde.« – »O, Mutter!« rief Philipp dazwischen, »legen auch Sie eine Lanze für Herrn Colbert ein? Es ist ja, als hörte man Ihre alte Freundin, die Frau von Chevreuse, reden.«

Anna von Oesterreich erblaßte und biß sich auf die Lippe. »Was sagen Sie da von Frau von Chevreuse?« versetzte sie. »Und wie sind Sie nur heute gegen mich gelaunt?« – »Frau von Chevreuse hatte immer gegen irgendwen zu intrigieren, Mutter,« erwiderte Philipp. »Und hat Sie Ihnen nicht letztens einen Besuch gemacht?« – »Sie sprechen zu mir in einer Weise, daß ich Ihren Vater zu hören glaube,« sagte Anna gekränkt. – »Mein Vater haßte Frau von Chevreuse, und mit Recht,« antwortete Philipp. »Ich kann sie auch nicht leiden, und sollte sie sich sehen lassen, um, wie ehemals, Zwietracht zu säen, unter dem Vorwande, Geld zu erbetteln, so würde ich –« – »Nun, was denn?« fuhr Anna von Oesterreich stolz auf. – »So würde ich sie aus dem Lande jagen, und mit ihr alle Geheimniskrämerei!«

Er hatte die Tragweite dieses furchtbaren Wortes nicht ermessen oder wollte vielleicht dessen Wirkung prüfen. Anna von Oesterreich schien einer Ohnmacht nahe; sie starrte ihn fassungslos an und streckte die Arme aus, als suche sie einen Halt. Ihr Sohn eilte zu ihr und drückte sie an die Brust.– »O, wie grausam Sie heute gegen mich sind!« stammelte sie. – »Ich spreche ja nur von Frau von Chevreuse, weil ich weiß, daß Sie Geldes wegen zu Ihnen gekommen ist und Ihnen ein gewisses Geheimnis verkaufen wollte.« – »Ein gewisses Geheimnis –?« stieß Anna hervor, von neuem schreckensbleich.

»Ja, ein Geheimnis, das Herrn Fouquet betrifft,« fuhr Philipp fort. »Es soll sich dabei um eine Unterschlagung handeln, aber das ist alles falsch. Frau von Chevreuse kam erst zu Herrn Fouquet selbst und ging dann zu Herrn Colbert. Nicht zufrieden damit, daß sie von ihm für das angebliche Geheimnis 200 000 Livres erhalten, ging sie noch zu Ihnen und versuchte auch an dieser Stelle etwas zu erpressen. Ich habe also wohl recht, wenn ich dieser Furie zürne. Wenn Gott gewisse Verbrechen begehen ließ, welche bis jetzt unbestraft blieben, und wenn Gott sie in den Schatten seiner Nachsicht hüllte, so werde ich es nicht dulden, daß Frau von Chevreuse sich anmaßt, die Absichten Gottes zu durchkreuzen.«

Die letzten Worte erschütterten die Königin-Mutter tief. Ihr Sohn fühlte Mitleid mit ihr und küßte ihre Hand; doch sie ahnte nicht, daß er ihr mit diesem Kusse die entsetzlichen Leiden verzieh, die er durch ihre Schuld acht Jahre lang hatte ertragen müssen.

Rings herrschte Schweigen, dann sprach Philipp in heiterem Tone: »Wir reisen heute noch nicht ab. Ich habe es mir anders überlegt. Sie, liebe Mutter, sollen erst mit Herrn Fouquet Frieden schließen.« – »Ich bin ihm ja gar nicht böse,« antwortete sie. »Ich fürchte nur seine Verschwendungssucht.« – Der Pseudokönig sah sich um, er suchte d’Herblay, auf den er mit lebhafter Ungeduld wartete. Lady Henriette glaubte, die Blicke beträfen die Lavallière, die vermißt würde, und um den König zu peinigen, fragte sie spitz: »Wen suchen denn Majestät?«

»Liebe Schwester,« antwortete er, »ich warte auf einen ausgezeichneten Mann, einen sehr geschickten Ratgeber, den ich Ihnen allen vorstellen möchte. Ah, d’Artagnan, treten Sie näher!«

Der Musketier kam herein. – »Wo ist denn Ihr Freund, der Bischof von Vannes?« fragte Philipp. »Ich warte auf ihn, man soll ihn holen.« – D’Artagnan war verblüfft, denn man hatte ihm gesagt, Herr d’Herblay sei in geheimer Mission weggeschickt worden. Er vermutete nun, der König wünsche, daß niemand etwas davon erfahre, und antwortete: »Sire, wünschen Sie dringend Herrn d’Herblay –?« – »Dringend ist nicht das rechte Wort,« unterbrach ihn der König. »Es wäre mir lieb, ihn zu sehen, aber es hat keine Eile. Ich wünsche auch mit Herrn Fouquet zu sprechen.«

Herr von Saint-Aignan kehrte mit befriedigenden Nachrichten von der Königin zurück, die, abgesehen von einer leichten Unpäßlichkeit, sich durchaus wohl fühlte. Es war Philipp sehr lieb, daß sie nicht kam – aber es war ihm nicht lieb, daß Aramis noch immer nicht erschien. Die Unterredung kam ins Stocken. Mit seinen Gedanken und Besorgnissen beschäftigt, vergaß Philipp, die königliche Familie zu verabschieden, und die Herrschaften wurden ungeduldig. Anna von Oesterreich wandte sich gegen ihren Sohn und flüsterte ihm ein paar Worte auf spanisch zu. – Philipp erschrak und wurde blaß; denn diese Sprache verstand er gar nicht.

In diesem kritischen Augenblick geschah etwas völlig Unerwartetes. Das Zimmer war von Halbdunkel erfüllt, da die dicht zugezogenen Vorhänge das Licht nicht hereinließen. Die Königin-Mutter hielt Philipp bei der Hand und wartete auf eine Antwort. Madame lehnte gähnend in ihrem Stuhl. Monsieur zupfte gelangweilt an seinen Manschetten. Da erschien auf der Türschwelle Herr Fouquet, sah herein, ohne daß man ihn bemerkte, lüftete die Portiere und ließ Ludwig XIV. eintreten.

Philipp, dessen Blick auf die Tür geheftet war, da er auf Aramis wartete, erblickte sein Ebenbild und stieß einen Schrei aus. Alle Anwesenden sahen nach der Tür. Inzwischen war Herr Fouquet blitzschnell zu den Fenstern gelaufen und hatte die Vorhänge zurückgerissen, so daß mit einem Male das volle Tageslicht jäh den Saal durchflutete. Ludwig XIV. war bis in die Mitte vorgeschritten und maß mit brennendem Blicke seinen Zwillingsbruder.

Anna von Oesterreich sah von einem zum andern. Die Aehnlichkeit zwischen diesen beiden Männern war so vollständig, daß man glauben konnte, der eine sei nur ein Spiegelbild, nur ein zauberischer Reflex des andern. Daher las man auch auf allen Gesichtern maßlose Verwunderung und Verwirrung, und in diesem Moment mag wohl keiner der Anwesenden gewußt haben, welcher von den beiden eigentlich der König sei.

Fouquet teilte dieses Erstaunen, sah er doch den Usurpator zum ersten Male. Aramis hatte recht gehabt! Der Minister erkannte auf den ersten Blick, daß der falsche König ebenso reinen Blutes sei, wie Ludwig XIV., und daß er, Fouquet, ein Narr gewesen, den genial angelegten Staatsstreich des Jesuitengenerals zu vereiteln. In diesem Augenblick, wo alle, die an dieser Szene teilnahmen, von verworrenen Gedanken und Vorstellungen ergriffen wurden, sagte sich Fouquet, daß Ludwig XIV., der Undankbare, die edelmütige Tat nicht verdiene, durch die er ihm das Leben rettete und sich selbst, da er gerettet war, aufs neue ins Verderben stürzte. Je vollendeter die Aehnlichkeit sei, um so größer sei ja in den Augen Ludwigs die Schuld und das Verbrechen der Täter und aller, die irgendwie daran beteiligt gewesen.

Ludwig XIV. unterbrach plötzlich das todesbange Schweigen, das auf jenen allgemeinen Schrei der Verblüffung gefolgt war. Er trat vor Anna von Oesterreich hin, die nun die ganze Wahrheit begriff, und rief: »Mutter, erkennen Sie Ihren Sohn nicht, da hier keiner den König zu erkennen scheint?« – Darauf wandte sich auch Philipp, an allen Gliedern bebend, zu der Königin-Witwe und rief, die Arme ausbreitend: »Mutter, erkennen Sie Ihren Sohn nicht?« – So standen beide vor der unglücklichen Frau, die nur einen neuen Schrei ausstoßen konnte und dann ohnmächtig wurde. Ludwig vermochte diese Szene, die er als tödlichen Schimpf empfand, nicht länger zu ertragen. Er stürzte auf d’Artagnan zu, der wie traumverloren an der Wand lehnte und sich das ganz tolle Unternehmen, das Aramis da ausgeführt hatte, klarzumachen versuchte.

»Musketier! Her zu mir!« schrie Ludwig. »Sehen Sie uns beiden ins Gesicht! Wer ist bleicher, er oder ich?« – D’Artagnan fuhr auf. Er bewegte den Kopf, als wenn er etwas Schweres von sich schüttelte. Dann trat er an Philipp heran, legte ihm die Hand auf die Schulter und sprach: »Monsieur! Sie sind verhaftet.«

Philipp rührte sich nicht vom Fleck. Er sah starr seinen Bruder an und warf ihm in einem erhabenen Schweigen all das Unglück, all das Elend vor, das er schon erduldet hatte, das er in Zukunft noch erdulden sollte. Gegenüber dieser stummen Sprache verließ den König die Kraft. Er zog seinen andern Bruder, den Herzog von Orléans, und Henriette mit sich fort und vergaß seine Mutter, die in ihrem Stuhle lag und ihren bedauernswerten Sohn zum zweiten Male verdammen ließ.

Der Unglückliche trat zu ihr hin und sprach: »Wenn ich nicht Ihr Sohn wäre, würde ich Ihnen fluchen, daß Sie mich solches Elend erleiden lassen!« – D’Artagnan hörte diese Worte, und ein Schauer rieselte ihm durchs Gebein. Er verneigte sich vor dem jungen Prinzen und sprach tiefergriffen: »Monseigneur, halten zu Gnaden – ich bin Soldat, nichts weiter. Ich habe dem, der eben hinausging, den Treueid geleistet.« – »Dank, Herr d’Artagnan! Doch was ist mit Herrn d’Herblay geschehen?« – »Er ist in Sicherheit,« antwortete eine Stimme. »Und solange ich lebe, wird niemand ihm ein Leid tun.«

»Herr Fouquet!« rief der Prinz und lächelte traurig. – »Monseigneur!« sprach der Minister, sich auf ein Knie niederlassend. »Verzeihen Sie mir, aber jener, der eben hinausgegangen ist, war mein Gast.« – »Wackere Freunde und edle Herzen!« murmelte der Prinz. »Ach, eine Welt, wo es das gibt, muß doch schön sein. Vorwärts, d’Artagnan, ich gehöre Ihnen.« – Colbert trat herein und überreichte d’Artagnan einen Befehl. Der Musketier las das Papier und zerknitterte es. – »Was ist es?« fragte der Prinz. – Da reichte der Kapitän es ihm, und Philipp las: »Herr d’Artagnan hat den Gefangenen nach der Insel Santa-Margareta zu bringen und ihm eine eiserne Maske vors Gesicht zu legen, welche festgelötet werden soll, so daß der Gefangene sie zeit seines Lebens nicht abnehmen kann.«

»Ich bin bereit,« sprach Philipp resigniert.

»Aramis hatte recht,« flüsterte Herr Fouquet dem Musketier ins Ohr. »Dieser hat ebensoviel von einem König wie der andere.« – »Mehr noch,« versetzte d’Artagnan. »Nur fehlen ihm Leute wie ich und Sie.«

8. Kapitel. Die eiserne Maske

Rudolfs Verlangen, Frankreich zu verlassen und in fremdem Lande in den Kampf zu ziehen, fand rasch Erfüllung. Der Herzog von Beaufort 14 – auch ein alter Bekannter der vier Musketiere – rüstete für Ludwig eine Flotte und ein Heer aus, um einen Eroberungszug in Nordafrika zu unternehmen. Bei ihm war nun Athos Fürsprecher für seinen Sohn, und Beaufort ernannte Rudolf, von dem er durch den Prinzen von Condé schon viel Gutes gehört hatte, zu seinem Adjutanten. Er sandte ihn nach Toulon, um dort Mannschaft anzuwerben und die Schiffe segelfertig zu machen. Rudolf trat ohne Säumen die Reise an, und Athos begleitete ihn, um den Abschied noch so lange wie möglich hinauszuschieben.

Ehe Vater und Sohn Blois verließen, sahen sie Aramis und Porthos wieder, die auf der Flucht nach Belle-Ile waren. Der Bischof konnte in Blois keine Pferde auftreiben. Da der Herzog von Beaufort gerade in dieser Gegend Mannschaften anwarb, so hatte man ihm alle brauchbaren Pferde zugeführt. Die Flüchtlinge waren in größter Verlegenheit, als sich d’Herblay des Grafen de la Fère erinnerte, dessen Schloß nur ein kurzes Stück von Blois entfernt war. Ihr Besuch konnte freilich nur von kurzer Dauer sein, da sie es eilig hatten. Dennoch fand Aramis Zeit, Athos alles, was geschehen war, zu erzählen. Athos war sprachlos, aber er zauderte nicht, seinen Freunden die besten Gäule zu geben, die er besaß, und schied mit herzlichem Händedruck, namentlich von Porthos, der sich in seinen Mantel wickelte mit den Worten: »Nicht wahr, ich bin ein Glückskind? Der König wird mich zum Herzog machen.« – Denn Aramis hatte ihn noch immer nicht dem Wahne entrissen, daß alles, was sie täten, im Dienste Ludwigs XIV. geschähe.

Rudolfs Wunde war noch nicht vernarbt, obwohl Athos alle Ueberredungskünste aufbot, ihm begreiflich zu machen, daß der Schmerz über eine erste Untreue kaum jemals einem Liebenden erspart bleibe. Bragelonne konnte es nicht fassen. – »Ich werde mich nie,« sagte er immer wieder, »an den Gedanken gewöhnen, Luise, die reinste, offenherzigste der Frauen, habe einen so ehrbaren und aufrichtig liebenden Mann, wie ich bin, in so niedriger Weise betrügen können. Luise soll eine schamlose Mätresse sein? Ach, mein Vater, das ist ein Gedanke, der mir das Herz zerreißt, der mich noch töten wird.«

Da wandte Athos ein verzweifeltes Mittel an. Er verteidigte Luisens Verrat. – »Hätte sie sich in den König verliebt, nur weil er der König ist, dann würde sie verdienen, eine schändliche Dirne genannt zu werden. Aber sie liebt ihn, weil er jung und schön ist. Sie hat ihre Schwüre, er seinen Rang vergessen. Die Liebe entschuldigt alles, Rudolf.«

Solche Gespräche führten sie auf ihrer Reise nach Toulon. Sie machten 50 Meilen und mehr am Tage. In vierzehn Tagen waren sie am Ziel. Unterwegs erfuhren sie von einem königlichen Offizier, der mit einem geheimnisvollen Gefangenen nach Toulon gekommen sei. Verschiedene Einzelheiten ließen Athos vermuten, daß es sich hier nur um d’Artagnan handeln könne; und da er von Aramis die Geschichte des mißlungenen Staatsstreichs kannte, so lag der Schluß nahe, daß der Gefangene eben jener mysteriöse Zwillingsbruder Ludwigs XIV. sei, der auf Befehl des Königs von dem Kapitän der Musketiere ins Exil gebracht würde. Er hütete sich indessen die Spur mit auffälligem Eifer zu verfolgen, da er d’Artagnan dadurch zu schaden fürchtete. In Antibes verloren sie die Spur, um sie auf ganz überraschende Weise wiederzufinden. Der Graf de la Fère beschloß einen Abstecher nach der Insel Santa Margareta zu machen, in der Hoffnung, dort mit seinem alten Freunde zusammenzutreffen, dem auch Rudolf vor seiner Reise nach Afrika noch einmal die Hand schütteln wollte.

Santa Margareta ist unbewohnt, und als Athos und Rudolf den Fuß an den Strand setzten, glaubten sie, ein kleines Paradies zu betreten, beim Anblick des breiten Gürtels von früchteschweren Orangen- und Feigenbäumen, der das Gestade säumte. Bei jedem Schritt, den sie landeinwärts machten, stoben Rebhühner oder wilde Kaninchen auf. Die einzigen Menschen, die dort lebten, waren der Gouverneur und eine acht Mann zählende Besatzung, die das kleine Fort mit den acht verrosteten Kanonen innehatten. Dieser Gouverneur war also ein glücklicher Pflanzer, der Weintrauben, Feigen, Oliven und Apfelsinen erntete, ohne daß sein Garten ihm Mühe gemacht hätte. Einen guten Nebenverdienst bezog er aus seinen Beziehungen zu den Schmugglern, denen er in den Buchten des Eilands insgeheim Unterschlupf gewährte.

Athos und Rudolf schritten ein Weilchen längs des Zaunes hin, der den Garten umschloß, doch trafen sie niemand, der sie zum Gouverneur hätte führen können. In einiger Entfernung – zwischen dem zweiten und dem dritten Hofe – sah Athos einen Soldaten gehen, der einen Korb auf dem Kopfe trug und im Schatten des Schilderhauses verschwand. Der Graf glaubte, der Mann habe jemand etwas zu essen gebracht, und hoffte, er werde zurückkommen, so daß man ihn rufen könnte. Da hörte er selbst ein Geschrei und sah im Rahmen eines Fensters etwas Weißes, wie eine Hand, sich bewegen und im selben Augenblick etwas Blendendes, einer Waffe gleich, aufzucken und durch die Luft fliegen. Eine silberne Platte fiel zu ihren Füßen in den Sand, und Rudolf hob sie rasch auf. Sein Auge fiel sogleich auf eine am Boden der Schüssel eingekratzte Schrift, und er las folgende Worte in französischer Sprache:

»Ich bin der Bruder des Königs von Frankreich – heute gefangen, morgen wahnsinnig. Französische Edelleute und Christen, betet zu Gott für die Seele und den Verstand des unglücklichen Sohnes Ludwig XIII.«

Rudolf ließ die Schüssel fallen. Gleichzeitig erklang ein Schrei vom Turme der kleinen Festung herüber. Bragelonne bückte sich blitzschnell und zwang seinen Vater dasselbe zu tun. Ein Musketenrohr zeigte sich über der Brüstung, ein Schuß fiel, und eine Kugel schlug dicht neben den beiden Reisenden in den Sand. Nach einigen Minuten erklang ein Trommelwirbel, und dann marschierten aus dem Tor die acht Musketiere der Festung, rückten vor, machten sich schußfertig und legten auf Befehl eines Offiziers auf die fremden Männer an.

»Donnerwetter!« schrie Athos. »Werden hier französische Kavaliere meuchlings niedergeknallt?« – Als der Offizier diese Stimme hörte, hob er rasch die Hand, befahl den Soldaten die Waffen zu senken und eilte mit dem Rufe: »Athos! Rudolf!« heran. Es war d’Artagnan, der sie im nächsten Augenblick an die Brust drückte. »Was bedeutet das?« fragte Athos erstaunt. »Potzblitz, ich wollte euch erschießen lassen, Freunde,« antwortete d’Artagnan. »Eine Sekunde noch, und ihr wart geliefert. Ein Glück, daß ich euch erkannt habe!«

»Aber warum schoß man überhaupt auf uns?« – »Wetter noch einmal, Sie haben zur Hand genommen, was der Gefangene Ihnen zuwarf,« erwiderte d’Artagnan. »Und er hatte etwas darauf geschrieben!« Mit diesen Worten bückte sich der Kapitän nach der Schüssel und las die Inschrift. »O, mein Gott!« rief er. »Sie sind verloren, wenn der Gouverneur ahnt, daß Sie das hier haben lesen können, daß Sie es verstanden haben. Ich werde Sie für Spanier ausgeben, die kein Wort Französisch können. Das ist das einzige Mittel, Sie vorm Tode oder im besten Falle vor ewiger Gefangenschaft zu retten.«

»So ist es wahr, was man über diesen Gefangenen spricht?« murmelte Athos. Doch d’Artagnan unterbrach ihn unruhig. »Still, um Gotteswillen!« rief er. »Dort kommt der Gouverneur. Mein Herr,« wandte er sich an diesen, »ich stelle Ihnen hier zwei spanische Kapitäne vor, die ich neulich in Ypern kennen gelernt habe.« – »Sehr wohl,« sagte der Gouverneur mit einer Verbeugung, nahm die Schüssel und wollte selbst die Schrift lesen, als d’Artagnan ihm die Platte rasch entriß und die Buchstaben mit der Spitze seines Degens zerkratzte. – »Was tun Sie da?« rief der Gouverneur. »Darf ich das nicht lesen?«

»Es ist Staatsgeheimnis,« erwiderte der Musketier. »Sie wissen, laut Befehl des Königs ist jeder, der in dieses Geheimnis eindringt, mit dem Tode zu bestrafen. Wenn Sie wollen, lasse ich Sie gern lesen, aber gleich darauf erschießen.« – Athos und Rudolf standen schweigend daneben und gaben sich den Anschein, als verständen sie nichts, so sehr erstaunt sie auch waren über das, was sie gehört hatten. – »Und sollten die Herren kein Wort verstanden haben?« meinte der Gouverneur. – »Wenn Sie auch Brocken von dem, was wir sprechen, verstehen, so ist alles Geschriebene ihnen doch ein Rätsel,« antwortete der Gaskogner schlagfertig. »Es ist Ihnen ja wohl auch bekannt, ein adeliger Spanier darf nicht lesen lernen.«

Der Gouverneur mußte sich damit zufrieden geben. Allein er war zähe. »Die Herren werden mir die Ehre geben, mit mir im Fort zu dinieren,« sagte er. – »Ich wollte sie eben selbst dazu auffordern,« sagte d’Artagnan, der in Wahrheit seine Freunde so rasch wie möglich von der Insel wegbringen wollte. – Im Fort angelangt, traf der Gouverneur einige Anordnungen zur Bewirtung seiner Gäste, und Athos benutzte diesen Augenblick des Alleinseins, um d’Artagnan um Aufklärung zu bitten.

»Da ist nicht viel zu erklären,« sagte der Chevalier. »Ich habe einen Gefangenen hierher gebracht, den niemand sehen und sprechen darf. Er hat sich nun mit Ihnen in Verbindung zu setzen gewußt, und infolgedessen –. Aber Sie glauben natürlich nicht an den Unsinn, den dieser Mensch geschrieben hat?« – »Ich glaube doch daran,« antwortete Athos. »Umsonst haben doch Sie nicht den strengen Befehl erhalten, jedermann zu töten, der in dieses Geheimnis eindringt. Warum solche Maßregeln, wenn nichts dahinter steckt? Der König will nicht, daß das Volk erfahre, auf wie schändliche Weise er und seine Familie diesen unglücklichen Sohn Ludwigs XIII. aus dem Wege geräumt haben.«

»Ah, Freund, glauben Sie doch nicht solche Ammenmärchen, sonst widerrufe ich, daß ich Sie für einen verständigen Mann halte,« sagte d’Artagnan. »Weshalb sollte ein Sohn Ludwigs XIII. nach der Insel Santa Margareta geschafft werden?« – »Danach fragen Sie Aramis,« antwortete Athos. – »Aramis?« rief der Musketier verblüfft. »Haben Sie mit Aramis gesprochen?« – »Ja, ich sah ihn und Porthos auf ihrer Flucht nach Belle-Ile, und Aramis hat mir alles erzählt.«

»Nun, da sehen Sie wieder, wie erbärmlich es mit der menschlichen Weisheit beschaffen ist,« brummte der Gaskogner. »Ein nettes Geheimnis, das schon etwa zwanzig Menschen bekannt ist. Mag kommen, was Gott gefällt! Ich habe die dunkle Ahnung, als müßten alle, die mit diesem Geheimnis verknüpft sind, eines elenden Todes sterben! Aber was hat Sie überhaupt hierhergeführt?«

»Wir kamen, um Ihnen Lebewohl zu sagen,« antwortete der Graf. – »Wie das? Geht Rudolf fort?« – »Ja, mit Herrn von Beaufort nach Afrika.« – »Er ist noch immer traurig?« – »Zu Tode betrübt,« sprach Athos, »und er wird daran sterben.« – D’Artagnan schwieg und kaute an seinem Schnurrbart. »Warum lassen Sie ihn reisen?« fragte er. – »Weil er will.« – »Und warum gehen Sie nicht mit ihm?« – »Ich will ihn nicht sterben sehen. Sie wissen, Freund, es gibt wenig, wovor ich mich fürchte, aber wenn ich daran denke, ich müßte eines Tages die Leiche meines Sohnes sehen, so packt mich eine namenlose Angst.«

»Wie? Sie, der Mann, der alles gesehen hat, was der Mensch auf dieser Welt überhaupt sehen kann, Sie fürchten sich davor, Ihren Sohn tot zu sehen? Freund, der Mensch muß hienieden auf alles gefaßt sein, alles hinnehmen, allem kühn entgegentreten.« – »Ich bin alt und lebensmüde geworden, Freund,« erwiderte Athos »Ich mache mir nichts daraus, selbst zu sterben; aber ich sehe nicht gern die, die ich liebe, dahingehen. Wer stirbt, gewinnt, wer sterben sieht, verliert. Und ganz genau zu wissen, man wird denjenigen, den man über alles liebt, niemals wiedersehen – ach ja, ich bin eben alt, es fehlt mir an Mut. Doch ich will Gott nicht lästern, es ist schon genug, einem König geflucht zu haben.«

»Hm!« brummte d’Artagnan, überrascht über die Tiefe dieses Schmerzes, denn er hatte nicht geglaubt, daß »die Geschichte mit der kleinen Lavallière« ein so tragisches Ende nehmen sollte. – »Sehen Sie ihn nur an,« fuhr Athos fort. »Wie traurig er dreinschaut. Wie finster, wie furchtbar entschlossen. Er hat seine Rechnung gemacht, und es ist nichts mehr daran zu ändern. Er flieht den Hof, Paris, Frankreich, um nichts mehr zu sehen, weil er nicht will, daß seine Liebe in ihm sterbe. Er will das Mädchen, das die Gottheit seiner Jugend gewesen, in Ewigkeit liebbehalten, und deshalb geht er allem aus dem Wege, was etwa angetan sein könnte, sie vom Altar seines Herzens herabzustoßen.«

Sie schwiegen, denn Rudolf trat zu ihnen. Er hatte abseits gesessen und, in Gedanken versunken, zum Fenster hinausgeblickt. – »Herr d’Artagnan,« sprach er leise, »Sie kehren nach Paris zurück. Darf ich Sie um einen Dienst bitten? Wollen Sie Fräulein von Lavallière meinen letzten Gruß bringen?« – D’Artagnan nickte. »Was soll ich ihr sagen?« – »Die letzten Worte, die ich ihr sende,« antwortete Rudolf, »sind diese: Statt Ihnen zu fluchen, liebe ich Sie noch immer und sterbe.« – D’Artagnan sah auf. Er wollte Einspruch erheben, doch Rudolf ließ ihn nicht zu Worte kommen. »Sie werden ihr das sagen, nicht wahr?« drang er in ihn. – »Gewiß, gewiß, doch wann?« – »An dem Tage,« erwiderte Rudolf, »an welchem Sie ihr auch das Datum meines Todes angeben können.« – Darauf trat er rasch wieder zur Seite.

Der Gouverneur ging vorüber, und d’Artagnan zog seine Freunde in eine dunkle Ecke. – »Was gibt es wieder?« fragte Athos. – »Sie werden den Gefangenen sehen,« flüsterte d’Artagnan, »er kommt eben aus der Kapelle zurück.« –

Und im Scheine eines Wetterleuchtens, das den Himmel purpurrot färbte, sah man sechs Schritte hinter dem Gouverneur, ernst und langsam, einen jungen Mann schreiten, der schwarz gekleidet war und vor dem Gesicht eine Maske aus braunem Stahl trug, die mit einer den ganzen Kopf umschließenden, fest angelöteten Kappe aus dem gleichen Metall zusammenhing. Das Feuer des Himmels zeichnete matte Reflexe auf der blanken Oberfläche ab, und dieses Funkeln schien die grimmigen Blicke darzustellen, die der Unglückliche statt der Flüche schleuderte.

Der Jüngling blieb stehen und sah nach dem Horizont, atmete die laue Regenluft ein und stieß einen Seufzer aus, der wie ein tiefes Stöhnen klang. »Kommen Sie!« rief der Gouverneur ungeduldig. »Kommen Sie, Monsieur!« – »Sagen Sie Monseigneur!« rief Athos aus der Ecke hervor, in so feierlichem Tone, daß der Gouverneur heftig erschrak. Athos forderte Ehrfurcht vor der gefallenen Majestät. – »Wer hat gesprochen?« rief der Gouverneur. – »Ich,« sagte d’Artagnan und trat rasch vor. »Sie wissen, so lautet der Befehl.«

»Nennen Sie mich weder Monsieur noch Monseigneur,« sprach der Gefangene mit einer Stimme, die Rudolf im Innersten erschütterte und rührte; »nennen Sie mich Verfluchter!« – Und er ging weiter; die eiserne Pforte schloß sich hinter ihm. – »Dieser Mensch,« murmelte Rudolf, ihm nachschauend, »ist noch hundertmal unglücklicher als ich!«

  1. Siehe den Roman: Zwanzig Jahre nachher (von Dumas, übersetzt von Dr. Herman Eiler), S. 135 ff.

1. Kapitel. Letzte Grüße

Ein Befehl Ludwigs XIV. rief d’Artagnan nach Paris zurück. Er brachte seine Freunde nach Toulon und nahm hier Abschied von ihnen. Lange hielt er sie umfangen, ohne ein Wort zu sprechen. Dann gab er dem Pferde die Sporen und jagte davon, ohne sich noch einmal umzuschauen. – »Ich hab’s nicht über’s Herz gebracht, ihnen zuzulächeln,« sprach er vor sich hin. »Das ist ein schlimmes Vorzeichen! Ich werde beide nicht wiedersehen.«

Die Straßen von Toulon waren von Soldaten und Pferden angefüllt. Herr von Beaufort betrieb die Einschiffung mit dem Eifer und der Geschicklichkeit eines geübten Truppenführers. Er prüfte selbst die Ausrüstung eines jeden Mannes, untersuchte jedes einzelne Pferd, guckte in jedes Flinten- und Kanonenrohr und überzeugte sich von der Beschaffenheit jedes Munitionskastens. Rudolf hatte soviel zu tun, daß ihm keine Zeit zu trüben Gedanken blieb. Die Schiffe waren fertig zur Ausfahrt.

An dem letzten Abend, den sie für sich genießen durften, gingen Vater und Sohn auf die hohen Berge, die die Stadt Toulon überragen. Ein herrliches Schauspiel bot von hier aus die Stadt, das weite Meer, die Schiffe im Hafen, welches alles der Mond mit zauberhaftem Schimmer übergoß.

»Mein Sohn,« sprach der Vater, »jetzt, wo wir scheiden sollen, kommt mir der Gedanke, ich hätte nicht recht getan, dich in so einseitiger Weise zu erziehen, dich nur in ernstem, strengem Sinne denken und handeln zu lehren. Ich hätte dich an ein Leben der Freude, der Gesellschaft, des Geräusches gewöhnen sollen.« – »Ich weiß, weshalb Sie das sagen, mein Vater,« antwortete Bragelonne. »Doch Sie irren sich. Was ich jetzt bin, das haben nicht Sie aus mir gemacht, die Liebe hat es getan, und diese Liebe hat mich schon ergriffen, als ich fast ein Kind noch war. Die Beharrlichkeit aber, mit der ich nun daran hänge, ist der Grundzug meines Charakters. Was die Vergangenheit jetzt noch an Glück für mich enthält, was die Zukunft noch an Hoffnung für mich bietet – das liegt in Ihrer Person, mein Vater. Nein, ich habe nichts an dem Leben auszusetzen, das Sie mir zu führen gestattet haben. Ich segne Sie, Vater, und liebe Sie innig.«

»Deine Worte tun mir wohl, Rudolf. Aber künftig soll es anders sein. Wir werden, wenn du zurückkommst, nicht mehr so einsam leben; ich werde dir das Geld überlasten, das mein Landbesitz abwirft, und du wirst damit das Leben eines Kavaliers von Welt führen können, abwechslungsreich, geräuschvoll und vielseitig. Und du wirst mir dann, ehe ich ins Grab sinke, noch den Trost bescheren, daß unser Stamm nicht verlöscht.« – »Ich werde tun, was Sie, mein Vater, mir befehlen.« – »Du bist in diesem Feldzug Flügeladjutant, Rudolf, wirst dich also nicht ernsten Gefahren auszusetzen brauchen.« fuhr Athos fort. »Du hast in andern Kriegen oft genug bewiesen, wie wacker du im Feuer stehen kannst. Schone dich hier; denn es geht gegen Barbaren, gegen Meuchelmörder, und es bringt wenig Ruhm, in einem Hinterhalt sein Leben zu lassen.«

»Ich bin klug und habe immer Glück gehabt,« sagte Rudolf mit einem Lächeln, das dem armen Vater ins Herz schnitt. »Ich habe zwanzig Schlachten mitgemacht und nur eine Schramme davongetragen.« – »Und dann mußt du dich noch vorm Fieber hüten,« sagte Athos. »Das ist ein böses Leiden. Der König Ludwig der Heilige bat Gott, ihm lieber einen Pfeil vom Bogen eines Mohren als das Fieber zu schicken. Herr von Beaufort hat mir schon gesagt, daß Nachrichten von dir mit seinen persönlichen Depeschen mitgehen können, die alle vierzehn Tage nach Frankreich abgesandt werden. Tu wirst mich dann nicht vergessen.« – »Nein, Vater!« rief Rudolf mit erstickter Stimme.

»Und wirst du bisweilen an mich denken?« – »O, in jeder Nacht, Vater! In meiner Kindheit sah ich Sie oft im Traume lächelnd eine Hand über mein Haupt halten – und deshalb habe ich auch immer so sanft und ruhig schlafen können – ehemals.« – »Wir lieben uns zu sehr,« sagte Athos, »als daß nicht, nun wir uns trennen, ein Teil unserer beiden Seelen, der meinen mit dir, der deinen mit mir ziehe und dort weile, wo wir weilen werden. Wenn du traurig bist, Rudolf; so wird auch mich Traurigkeit beschleichen, und wenn du mit Lächeln an mich denkst, so kannst du dir immer sagen, du sendest mir von dort einen Strahl Freude herüber.« – »Froh zu sein, verspreche ich Ihnen nicht,« antwortete Rudolf. »Aber ich versichere Ihnen, es wird keine Stunde vergehen, ohne daß ich an Sie denke, keine Stunde, solange ich lebe.«

Athos umarmte seinen Sohn und hielt ihn fest umschlungen. Ein Geräusch trennte sie. Grimaud, der seinem Herrn von weitem gefolgt war, trat herzu. – »Ah, guter Alter!« rief Rudolf. »Du willst uns sagen, daß es Zeit sei abzureisen.« – »Allein?« fragte Grimaud mit einem Blick auf Athos. – »Du hast recht,« rief Athos. »Nein, Rudolf soll nicht allein in das fremde Land ziehen. Er soll einen Freund mitnehmen, der ihn tröstet und an alles Liebe erinnert, das er hier zurückläßt.« – »Mich?« fragte Grimaud. – »O, wie gern!« rief Rudolf. »Aber du siehst, man geht schon zu Schiffe, und du bist nicht vorbereitet.« – »Doch,« antwortete Grimaud und wies den Schlüssel seines Reisekoffers vor. – »Du kannst aber doch den Herrn Grafen nicht allein lassen,« sagte Bragelonne noch, »bist du doch dein Lebtag noch nie von ihm gegangen.« – Grimaud sah Athos an und murmelte: »Ihm wird es so lieber sein.« – Und Athos nickte stumm.

In der Stadt wirbelten die Trommeln, schmetterten die Trompeten. Man sah die Regimenter durch die Straßen zum Hafen ziehen.

Eine halbe Stunde später waren Rudolf und Grimaud an Bord, und Athos stand allein am Gestade. Die Schiffe verließen langsam eins nach dem andern die Reede und steuerten dem Meere zu. Athos verlor das Fahrzeug, das seinen Sohn trug, nicht aus den Augen. Er sah ihn an der Strickleiter hängen, die er erklommen hatte, um seinem Vater noch recht lange sichtbar zu bleiben. Die Gestalt ward kleiner und kleiner, glich nur noch einem Punkt, einem Nebelfleck und verschwand. Dann verlor sich auch die Spitze des Mastbaums am Horizont, und Athos kehrte, matt wie ein Kranker, in seine Herberge zurück.

Inzwischen war d’Artagnan auf schnellen Pferden nach Paris geeilt, um sich dem König zur Verfügung zu stellen. Er erhielt den Befehl, mit seinen Musketieren nach Nantes zu reiten, wo die Versammlung der Generalstände stattfinden sollte, und vor allem Herrn Fouquet im Auge zu behalten. Ludwig fürchtete, der Oberintendant könne von Nantes aus nach Belle-Ile entschlüpfen, und da er entschlossen war, ihn nicht fliehen zu lassen, sondern seine Rechnung sofort nach der Stände-Versammlung mit ihm abzuschließen, so legte er seinem Kapitän betreffs der Person Fouquets ganz besondere Wachsamkeit ans Herz. Beruhigt verließ der Musketier den König. Er hatte schon während der ganzen Reise mit Schrecken daran gedacht, daß Ludwig XIV. ihn nun wohl nach Belle-Ile schicken würde, um Aramis und Porthos zu verhaften und seiner Rache zu überliefern. Indem er sich der Trauer de la Fères und Bragelonnes erinnerte, gestand er sich mit Unwillen, daß diesem jungen, rücksichtslosen König nun doch noch alle seine alten Freunde zum Opfer fallen würden. Und ihn, d’Artagnan, bestimmte das Los zum Vollstrecker. Hatte doch wahrlich nicht viel gefehlt, so hätte er auf der Insel Santa Margareta Athos und Rudolf niederschießen lassen. Dann kehrten seine Gedanken zu dem armen Zwillingsbruder zurück, der so grausam verurteilt worden war. Beklommenen Herzens betrat er daher den Palast, stellte er sich dem König vor – aber die Person dieses Monarchen übte ihren alten Zauber auf ihn aus. Nachdem er mit ihm gesprochen, schien dem Kapitän nichts selbstverständlicher, nichts richtiger, als seine Befehle pünktlich zu vollziehen.

Ehe d’Artagnan den Louvre verließ, sprach er auch mit Luise von Lavallière. Er traf sie in einer Galerie, wo sie mit mehreren Hofdamen spazieren ging. Sie empfing nämlich in ihrer Eigenschaft als anerkannte erste und einzige Mätresse des Königs jetzt von allen Seiten die schwärmerischsten Huldigungen und hatte sozusagen ihren kleinen Hofstaat für sich. Obwohl d’Artagnan nie ein Freund von Weibern gewesen war, so mochten die Damen ihn doch gern leiden, denn er wußte sich ebenso gebildet zu unterhalten wie tapfer zu schlagen, und der Ruf seiner Tapferkeit und ritterlichen Gesinnung erwarb ihm neben der Freundschaft der Männer die Bewunderung der Frauen.

Die Ehrenfräulein riefen ihn nun gleich herbei, denn man wußte, daß er eine Zeitlang fern von Paris gewesen war, und hoffte allerlei Interessantes von ihm zu hören. Man bestürmte ihn mit Fragen: wohin die Reise ihn geführt hätte – warum man ihn so lange nicht gesehen – was er Neues zu erzählen habe.

Er antwortete, er komme aus dem Lande der Orangen. Es war damals noch eine Zeit, wo eine Reise von hundert Meilen schon ein Problem war, dessen Lösung oftmals der Tod bildete. – »Aus dem Lande der Orangen?« rief Fräulein von Tonnay-Charente. »Also aus Spanien?« – »Bewahre!« – »Dann vielleicht von Malta?« – »Da sind Sie schon näher, Fräulein,« entgegnete d’Artagnan, »ich will Sie nicht in Ungewißheit lassen. Ich komme aus dem Hafen, wo Herr von Beaufort eben die Fahrt nach Afrika antritt.« – »Haben Sie die Armee, die Flotte gesehen?« – »Alles.« – »Haben wir Freunde dabei?« fragte die Tonnay-Charente gleichgültig, aber doch in einem Tone, der die Absichtlichkeit dieser Frage erkennen ließ.

»Ja,« antwortete d’Artagnan, »die Herren von Guillotière, von Mouchy und von Bragelonne sind dabei.« – Die Lavallière erbleichte. – »Ei was?« rief die boshafte Athenais, »Herr von Bragelonne ist in den Krieg gezogen? Wissen Sie, was ich davon halte? Alle Männer, die diesen Feldzug mitmachen, tun es aus Verzweiflung, aus unglücklicher Liebe und in der Erwartung, die Mohrinnen weniger grausam zu finden als die weißen Schönen.« – Einige Damen lachten; die Lavallière wußte nicht, was sie tun sollte; die Montalais hustete energisch.

Ein Weilchen herrschte tiefes Schweigen, dann wandte Athenais von Tonnay-Charente sich an Luise von Lavallière und sagte: »Wissen Sie, Luise, daß Sie da eine schwere Sünde auf dem Gewissen haben? Der junge Mann war Ihr Bräutigam. Er hat Sie geliebt, und Sie haben ihn von sich gestoßen.« – »Ein ehrbares Mädchen,« sprach die Montalais dazwischen, »darf einem jungen Manne den Abschied geben, wenn sie ihn nicht liebt. Es ist besser, als ihn dennoch zu heiraten.«

»Darin besteht auch nicht die Sünde Luisens,« erwiderte Athenais, »sondern darin, daß dieser Mann nun ihretwegen in den Krieg zieht und den Tod sucht. Wenn er stirbt, so haben Sie ihn getötet, das ist die Sünde.« – Luise preßte die eisige Hand auf die Stirn. Sie griff nach dem Arm des Kapitäns. »Sie wollten mir doch etwas sagen, Herr d’Artagnan?« fragte sie. – »Was ich Ihnen zu sagen hatte, Fräulein,« antwortete der Chevalier, »hat Ihnen eben Fräulein von Tonnay-Charente gesagt, zwar etwas grob, aber doch so, daß ich nichts hinzuzufügen habe.«

Luise seufzte tief und verließ ihn und die Damen, um in die Einsamkeit ihres Zimmers zu flüchten.

2. Kapitel. Das Ende des Herrn Fouquet

Der Oberintendant traf am Abend in Nantes ein, und noch an demselben Abend, gegen zehn Uhr, ließ d’Artagnan sich bei ihm melden. Obwohl Fouquet bei der gegenwärtigen Lage der Dinge in dem Kapitän der königlichen Musketiere seinen schlimmsten Feind hatte erkennen sollen, hatte sich doch zwischen beiden eine Art Freundschaft begründet, die auf gegenseitiger Achtung beruhte. Fouquet hatte in der Tat die Absicht gehabt, nach Belle-Ile zu entfliehen. Er war auf einem jener Fahrzeuge, die auf dem Loire-Flusse der Binnenschiffahrt dienen, nach Nantes gekommen, und auf der ganzen Strecke war ihm ein zweiter solcher Kahn gefolgt, und zwar so hartnäckig, daß man ihn nicht für ein zufällig die gleiche Fahrt machendes Schiff halten konnte. Fouquet, auf diese Begleitschaft aufmerksam gemacht, sich durch ein Fernrohr und erkannte an Bord jener Gabarre Herrn Colbert. Nun war für ihn die Lösung des Rätsels gefunden. Sein Todfeind verfolgte ihn zu Wasser, wie d’Artagnan ihn zu Lande verfolgt haben würde. Das Herz dieses edeln und stolzen Mannes lehnte sich nun dagegen auf, vor einem Colbert zu entfliehen, er ließ den Entschluß, sich nach Belle-Ile einzuschiffen, fallen und blieb in Nantes, um der Stände-Versammlung beizuwohnen und aufs neue den furchtbaren Kampf mit dem Zorne Ludwigs XIV. aufzunehmen.

Als nun d’Artagnan sich bei ihm melden ließ, empfing er ihn, obwohl er von der Reise erschöpft war. – »Monseigneur, ich habe die Ehre, mich nach Ihrem Befinden zu erkundigen?« sprach der Gaskogner höflich. – »Schlecht, schlecht,« antwortete der Minister, »ich trinke nur noch Gerstenwasser mit Süßholz.« – »Sie sollten vor allen Dingen schlafen,« meinte der Chevalier. – »Schlafen? Wo Sie hier sind? Denn Sie kommen doch hier ebenso im Namen des Königs wie in Paris?« – »Lassen Sie doch den König aus dem Spiele, Monseigneur,« erwiderte der Musketier. »Wenn ich im Namen der Majestät komme, werden Sie mich eintreten sehen, mit der Hand am Degen, und ich werde in zeremoniösem Tone rufen: »Im Namen des Königs, Sie sind verhaftet!«

Fouquet fuhr zusammen, so natürlich und erschütternd klangen die Worte des Gaskogners. – »Wir sind noch nicht soweit,« fuhr d’Artagnan fort, »und ich habe auch noch nichts davon reden hören. Der König sollte Sie von Herzen gern haben.« – »Jedenfalls hätte ich Sie gern haben sollen,« entgegnete Fouquet. »Zehn Jahre lang haben wir am Hofe gelebt, ohne uns kennen zu lernen. Ich habe jährlich Millionen ausgegeben, aber Sie haben nichts davon empfangen, und erst jetzt, wo ich vorm Ruin stehe, werde ich auf Sie aufmerksam. Ich hätte mich Ihres Dienstes versichern und Sie reich machen sollen.«

»Sie sprechen von Ihrem Ruin,« antwortete d’Artagnan. »Ich kann nur sagen, der König hat kein böses Wort über Sie gesprochen. Er hat mich nur beauftragt, nach Nantes zu gehen und eine Brigade Musketiere mitzunehmen, was mir überflüssig zu sein scheint, da die Stadt völlig ruhig ist.« – »Eine Brigade?« rief Fouquet. »Also 96 Reiter. Das wird ja wohl genügen, um mich zu verhaften. Und welche Befehle haben Sie in bezug auf meine Person?« – »Gar keine, Monseigneur.« »Herr d’Artagnan, es handelt sich für mich darum,« sprach Fouquet ernst, »Ehre und Leben zu retten. Sie hintergehen mich doch nicht?« – »Keineswegs,« antwortete der Gaskogner, »es gibt da wohl einen allgemeinen Befehl, keinen Wagen und kein Schiff ohne einen vom König unterzeichneten Patz aus Nantes herauszulassen, aber das ist einfache Polizeimaßregel, mit der Sie nichts zu tun haben. Auch tritt dieser Befehl erst in Kraft, sobald der König selbst in Nantes angelangt ist. Sie sehen also –?«

Fouquet dachte nach. D’Artagnan sprach in gleichgültigem Tone weiter: »Sie sehen also, Sie sind ganz Ihr eigener Herr. Ich habe wohl das Schloß hier sorgsam zu bewachen, aber das ist eine Order, die stets erteilt wird. Ich habe auch die Stadttore und den Fluß absperren zu lassen, aber erst wenn der König hier ist. Wenn hier jemand wäre, der das Weite suchen wollte, so könnte er sich keine günstigere Gelegenheit wünschen. Keine Polizei, keine Wache, keine Befehle, freie Land- und Wasserstraßen. Was wollen Sie mehr? Und ich will Ihnen jeden Gefallen tun, Herr Fouquet, den Sie von mir verlangen können, während ich nur einen kleinen Gegendienst beanspruche, nämlich den, einen Gruß an meine Freunde Aramis und Porthos auszurichten, falls Sie nach Belle-Ile fahren sollten, wie Sie zu tun berechtigt sind, ohne noch die Hauskleidung zu wechseln, die Sie anhaben.«

Nach diesen Worten verneigte sich d’Artagnan und ging hinaus. Er war noch auf der Treppe, als Fouquet klingelte und seinem Diener zurief: »Meine Pferde! Mein Schiff!« – Darauf kleidete er sich in aller Eile selbst an und ließ Herrn Gourville, seinen Sekretär, kommen. »Wir reisen auf der Stelle!« befahl er. – »Es ist zu spät,« antwortete Gourville. »Hören Sie?« – Von draußen scholl Trompetenklang und Trommelwirbel. – »Was bedeutet das, Gourville?« – »Der König kommt an.« – »Der König!« – »Er ist im Fluge gereist und hat sein Pferd totgeritten, um acht Stunden eher hier zu sein, als wir gerechnet haben.«

»Dann sind wir verloren!« stöhnte Fouquet. »Wackrer d’Artagnan, dein Rat kommt zu spät.« Und der Minister ließ sich festlich kleiden, um den König willkommen zu heißen.

Ludwig XIV. wurde in großem Pomp zum Schlosse geleitet. Vorm Portal sah man ihn leise mit d’Artagnan sprechen, der ihm den Steigbügel hielt. Dieser trat dann den Weg zu Fouquets Wohnung an, aber er ging so langsam, als wenn er seine Schritte zählen wollte. – »Hm!« brummte d’Artagnan, als er den Minister erblickte, »Sie sind noch hier?« – Fouquet konnte nur mit einem Seufzer antworten. – »Der König ist eben angekommen,« sagte d’Artagnan. – »Ich habe es gesehen, und diesmal kommen Sie wohl in seinem Namen?«

»Um zu fragen, wie Sie sich befinden und zu melden, daß Sie, wenn es Ihre Gesundheit irgend erlaubt, sich alsbald ins Schloß begeben möchten,« antwortete der Kapitän. »Ja, Herr Fouquet, nun ist Majestät da, nun gibt es keine offenen Land- und Wasserstraßen mehr. Die Parole beherrscht jetzt mich wie Sie!«

Fouquet seufzte noch einmal, dann stieg er mit d’Artagnan in die Kutsche und fuhr zum Schloß. Als er ausstieg, trat aus der Menge, die die Freitreppe umringte, um all die vornehmen Herren zu sehen, die zum König befohlen waren, ein Mann hervor und überreichte dem Minister einen Brief. Fouquet las das Schreiben, schien zu erschrecken, steckte das Kuvert in die Tasche und begab sich in die Gemächer des Königs. Man ließ ihn zehn Minuten warten, was allein schon eine empfindliche Kränkung für den Oberintendanten war.

Der Minister las das Briefchen inzwischen noch einmal. – »Es ist etwas gegen Sie im Werke,« hieß es darin, »im Schlosse wird man nichts wagen, aber vielleicht bei Ihrer Rückkehr. Ihr Haus ist schon von Musketieren umstellt. Wenn Sie noch als freier Mann das Schloß verlassen, so kehren Sie gar nicht mehr in Ihre Wohnung zurück, sondern gehen Sie zur Esplanade, wo ein Pferd für Sie bereitsteht.«

Fouquet erkannte die Schrift seines Sekretärs Gourville und dankte ihm im stillen für seinen Eifer. Er zerriß das Papier in kleine Stücke und warf sie von der Terrasse hinab, wo der Wind sie zerstreute. D’Artagnan kam hinzu, als die letzten Fetzen zur Erde flatterten. – »Mein Herr,« sagte der Musketier, »der König erwartet Sie.« –

Der Oberintendant schritt durch den Korridor, wo die Herren von Brienne, von Rose und von Saint-Aignan, auf Befehle des Königs wartend, herumstanden. Es fiel Herrn Fouquet auf, daß sie ihn kaum beachteten; sie grüßten ihn nicht einmal. Er erkannte an dem Benehmen dieser Höflinge die Stimmung, die beim König selbst gegen ihn herrschte. Aber er richtete den Kopf stolz empor und trat mit ruhiger Entschlossenheit vor Ludwig XIV., der am Schreibtische saß und, ohne aufzublicken, nach Herrn Fouquets Befinden fragte.

»Ich habe Fieber,« antwortete der Minister, »aber ich stehe Eurer Majestät zu Dienst.« – »Die Stände versammeln sich morgen,« sprach Ludwig. »Haben Sie eine Ansprache vorbereitet?« – »Nein, doch kann ich aus dem Stegreif reden, denn ich kenne die Staatsgeschäfte so gut, daß ich nicht in Verlegenheit kommen kann. Aber warum haben Majestät Ihrem ersten Minister das nicht in Paris gesagt?« – »Sie sind krank, ich will Sie nicht mehr anstrengen.« – »Mich strengt keine Arbeit an,« erwiderte Fouquet. »Und da hiermit der Augenblick gekommen ist, Eure Majestät um eine Erklärung zu bitten –« – »Um was für eine Erklärung, Herr Fouquet?« – »Ueber die Gesinnung Eurer Majestät gegen meine Person. Sire, ich bin verleumdet worden und muß Sie bitten, eine gerichtliche Untersuchung gegen mich in die Wege zu leiten. Ich selbst werde dabei als Kläger gegen einen Mann auftreten, der mich bei Eurer Majestät immer wieder in Mißkredit bringt.« – »Herr Fouquet, ich habe das Anklagen nicht gern.« – »Doch wenn man beschuldigt wird, Sire, soll man sich da nicht rechtfertigen dürfen?« – »Ich erkläre Ihnen, ich beschuldige Sie nicht.«

Fouquet trat zurück. – »Er hat seinen Entschluß gefaßt,« dachte er. »So halsstarrig ist nur jemand, der nicht mehr zurück will. In diesem Augenblick die Gefahr nicht sehen, hieße blind sein, und nur ein Tor würde wehrlos abwarten.« – Und laut fragte er: »Haben Majestät mich zu einer Arbeit befohlen?« – »Nein, Herr Fouquet, ich habe Ihnen nur den einen Rat zu erteilen, ruhen Sie sich aus. Die Ständeversammlung wird bald vorüber sein, und dann gedenke ich Ihnen volle Ruhe zu vergönnen.« – »Haben Sie mir in betreff dieser Ständeversammlung irgend etwas zu sagen?« – »Nein, Herr Fouquet.« – »Mir, dem Finanzminister, gar nichts?« – »Ruhen Sie aus, das ist alles, was ich Ihnen zu sagen habe. Sie sind krank, Sie müssen sich pflegen.«

»Sire, dann darf ich vielleicht auch darum bitten, der Ständeversammlung fernbleiben zu dürfen, da Eure Majestät so sehr besorgt um meine Gesundheit sind?« antwortete er. »Ich werde den morgigen Tag im Bett zubringen und mir etwas gegen mein Fieber verschreiben lassen.« – »Ich gestatte Ihnen das gern, Herr Fouquet. Sie haben Urlaub, und ich werde Ihnen meinen Leibarzt schicken.« – »Ich danke,« antwortete Fouquet mit einer tiefen Verbeugung. »Und da Majestät in Nantes sind, so werden Sie mir vielleicht das Glück gewähren, nun von Belle-Ile Besitz zu ergreifen, das Sie von mir anzunehmen geruht haben?« – Er sah bei diesen Worten dem König fest ins Gesicht. Ludwig errötete und antwortete: »O, ich habe nicht etwa deswegen meine Musketiere mitgebracht.«

»Sire,« erwiderte der Minister lächelnd, »das kann ich mir denken. Brauchen doch Majestät auch nur mit einem Spazierstock in der Hand Belle-Ile zu betreten, um alle Befestigungen fallen zu machen.« – »Pst!« rief Ludwig. »Diese schönen Festungswerke sollen ja gar nicht fallen; sie können mir noch gute Dienste gegen England und Holland leisten. Nun ja, ich werde nach Belle-Ile fahren. Haben Sie Fahrgelegenheiten in Bereitschaft?« – Fouquet durchschaute diesen Schachzug, der ja eigentlich auch eine ziemlich plumpe Finte war. – »Nein, Sire,« antwortete er, »ich wußte ja nicht, daß Majestät so sehr schnell hierher kommen würden. Es ist für nichts gesorgt. Ich habe fünf Schiffe, aber sie liegen alle hier und dort im Hafen, und bis man sie hier haben kann, vergehen mindestens 24 Stunden. Soll ich durch einen Kurier eins herbestellen?«

»Warten Sie bis morgen,« versetzte der König. »Lassen Sie erst das Fieber vorübergehen.« – »Es ist wahr,« sagte Fouquet, der nunmehr des Königs Absicht klar durchschaute. »Wer weiß, ob wir nicht bis morgen tausend andere Ideen haben?«

»Herr Fouquet, Sie sind ernstlich krank,« sprach der König. »Ihre Zähne klappern vor Fieber. Gehen Sie! Es soll Sie jemand in Ihre Wohnung begleiten.« – »Majestät sind sehr gütig,« antwortete Fouquet. »Ich würde mich jetzt allerdings gern eines Armes bedienen.«

»Herr d’Artagnan!« rief Ludwig XIV. – »O, Sire,« unterbrach Fouquet ihn mit traurigem Lächeln, »der Kapitän der Musketiere soll mich in meine Wohnung bringen? Eine zweideutige Ehre! Man wird überall sagen, Sie hätten mich verhaften lassen.« – »Verhaften?« rief Ludwig und erblaßte. Als d’Artagnan eintrat, gab er ihm nun den Befehl, Herrn Fouquet einen seiner Musketiere zum Begleiter zu überlassen. – »Es ist nicht nötig,« sprach der Minister, »mein Sekretär Gourville genügt mir.« – Er verbeugte sich und ging langsam hinaus, wie jemand, der einen Spaziergang antritt. – »Ich bin gerettet!« dachte er, als er unangefochten aus dem Schlosse gelangte. »Ja, treuloser König, du sollst Belle-IIe sehen, aber erst, wenn ich nicht mehr dort bin!«

D’Artagnan war beim König geblieben. – »Folgen Sie Herrn Fouquet auf hundert Schritt,« rief Ludwig ihm zu. »Wenn er in seine Wohnung zurückgekehrt ist, so verhaften Sie ihn in meinem Namen, stecken ihn in eine Kutsche und sorgen dafür, daß er unterwegs mit niemand reden, noch auch Zettelchen hinauswerfen kann.« – »Das ist sehr schwer, Sire,« entgegnete der Musketier. »Herr Fouquet muß Luft haben, ich kann also weder das Fenster immer geschlossen halten, noch ihm einen Mantel übers Gesicht ziehen.« – »Sie nehmen eine vergitterte Kutsche,« antwortete der König. – »Sehr wohl, aber die hat man nicht im Handumdrehen.«

»Sie ist schon fertig und steht bespannt unten,« sprach der König. – D’Artagnan zog die Brauen hoch, verbeugte sich und antwortete: »Das ist etwas anderes, Sire. Und wohin ist Herr Fouquet zu schaffen?« – »Zunächst nach Schloß Angers,« antwortete der König. »Das Weitere findet sich.« – »Ich bitte um den schriftlichen Befehl,« sagte der Musketier. – »Auch er liegt schon fertig hier,« sprach Ludwig XIV. und reichte dem Kapitän die Urkunde.

D’Artagnan ging hinaus. Von der Terrasse herab sah er Herrn Gourville, der über den Hof schritt und eine weit heitre Miene zur Schau trug, als die Umstände es eigentlich zu erlauben schienen. Das fiel dem scharfsinnigen Gaskogner sofort auf. Er erinnerte sich des Briefes, den man dem Oberintendanten in die Hand gedrückt; er erinnerte sich, daß Fouquet ihn zerrissen. Und er ging in den Hof hinab und hob aufs Geratewohl eins von den Papierstückchen auf. Er las darauf das eine Wort: »Pferd«, schob den Hut ein wenig von der Stirn und stieg gedankenvoll die große Freitreppe hinab. Da flog sein Blick über die Ebene, die man von dem hochgelegenen Schloß weithin überschauen konnte, und er sah auf der Heerstraße, die sich wie ein weißes Band durch die Felder hinzog, einen Punkt, der sich rasch entfernte. Sein scharfes Auge erkannte ein Pferd und einen Reiter im Sattel. Seine raschen Gedanken verknüpften diese Erscheinung sofort mit dem heitern Gesicht Gourvilles und mit dem Worte »Pferd« und den Papierstückchen. – »Das ist Fouquet – und er entflieht mir,« sprach er vor sich hin, und mit gewaltigen Sätzen kehrte er in den Schloßhof zurück, riß ein Pferd aus dem Stalle, befahl, die vergitterte Kutsche in ein Wäldchen außerhalb der Stadt zu bringen, und verließ das Palais durch das Ausfahrttor. Dann sprengte er auf der Landstraße dahin; aber er nahm nicht denselben Weg, den Herr Fouquet genommen, sondern folgte nach wenigen Minuten schon dem Ufer der Loire, wodurch er etwa zehn Minuten an Zeit zu gewinnen hoffte. Da Fouquet auf der allerdings etwas ebeneren Landstraße zuletzt auch zum Flusse gelangen mußte, so glaubte d’Artagnan, er würde ihn dort einholen. Er rechnete auch damit, daß Herr Fouquet, wenn er sich nicht verfolgt sah, dem Pferde etwas Ruhe gönnen würde.

Der Kapitän ritt lange Zeit am Ufer hin, ohne den Flüchtling sehen zu können. Er hatte den Wind im Gesicht, und seine Augen tränten. Er galoppierte so scharf, daß der Sattel unter ihm zu glühen schien. Er drückte dem Tiere so oft und so wütend die Sporen in den Leib, daß es vor Schmerz laut wieherte. Hinter den Hufen prasselte ein Regen von Sand und Steinen auf. Aber immer wieder, wenn d’Artagnan sich im Steigbügel aufrichtete, sah er noch nichts als Baumwipfel und Luft. Wie rasend jagte er weiter.

»Ich! Ich!« stieß er keuchend zwischen den Zähnen hervor, »ich soll von einem Gourville übertölpelt worden sein! Man wird sagen, ich sei altersschwach geworden, und der König wird denken, ich hätte mir von Fouquet eine Million zahlen lassen und ihm dafür zur Flucht verhelfen.« – Und wieder bohrte er die Sporen in die Weichen des Pferdes, das mit gewaltigen Sprüngen vorwärtsschoß.

Da sah er vor sich zwischen den Bäumen etwas Weißes: Fouquets Schimmel! – D’Artagnan atmete auf. Wenn er ihn sah, so war er auch sein, so sollte er ihm auch nicht mehr entkommen. Er ließ das Tier ein wenig langsamer laufen, damit es erst einmal wieder zu Atem kam, und folgte dem Schimmel. Fouquet hatte sein Pferd noch nicht übermäßig angestrengt, da er bisher auf der glatten Heerstraße geritten war. D’Artagnan lenkte jetzt auch schnurgerade auf die Straße zu, auf welcher nun die eigentliche Jagd erst beginnen sollte.

Der harte Boden erdröhnte unter den Hufschlägen, und Fouquet sah sich um. Hundert Schritte hinter sich erblickte er seinen Feind, der sich tief auf den Hals seines Renners beugte. Der Minister zog den Zügel straff und schoß im Nu seinem Verfolger um weitere hundert Schritt voraus. Daran erkannte nun d’Artagnan, wie schwierig es sein würde, ihn einzuholen. Ein noch kräftiges Pferd und ein abgehetztes, das nach wenigen Schritten vielleicht zusammenbrach. Und in der Tat vermochte er dem Minister nicht um eines Fußes Breite näherzukommen, so wild er sein Tier auch antrieb. »Mag es krepieren,« knirschte er, »aber kriegen muß ich ihn!«

Er fing an, das Maul des armen Tieres mit der Kandare zu zerreißen, während er mit den Sporen in der blutigen Haut wühlte. Nun näherte sich das todesmatte Pferd dem andern auf Pistolenschußweite. – »Halten Sie an!« schrie d’Artagnan, »Sie sind verhaftet im Namen des Königs!« – »Dazu müssen Sie mich erst haben,« antwortete Fouquet lakonisch und jagte weiter. – »Halten Sie an!« schrie d’Artagnan abermals, »oder ich schieße!« – »So schießen Sie!« rief Fouquet zurück. – »Soll ich Sie meuchlings morden, zum Teufel?« brüllte der Musketier. »Soll ich Sie hinterrücks niederknallen? Ergeben Sie sich!« – »Lieber sterbe ich,« versetzte Fouquet.

»Nein,« keuchte d’Artagnan, »ich bin kein Meuchelmörder!« und schleuderte die Pistole von sich. Mit einem gewaltigen Ruck trieb er sein Pferd bis auf zehn Schritte an den Flüchtling heran, aber es schwankte alsbald wieder, und Fouquet gewann einen neuen Vorsprung. Der Musketier schien sein Pferd fast zwischen den Knien zu tragen, aber er sah, daß er unterliegen müsse. Da riß er die zweite Pistole aus dem Halfter, zielte und schoß. Das Pferd Fouquets, ins Kreuz getroffen, stürzte mit wildem Gebrüll weiter. D’Artagnans Pferd sank im selben Augenblick tot zu Boden.

»Ich bin entehrt!« schrie d’Artagnan. »Herr Fouquet, Sie haben auch Pistolen, steigen Sie ab und schießen Sie sich mit mir!« – Herr Fouquet antwortete nicht und sprengte weiter. – Nun fing d’Artagnan an, hinter seinem Feinde herzulaufen, er warf Hut, Rock und Wehrgehenk von sich, um nicht behindert zu sein. Der Schimmel röchelte und rannte nur noch in einzelnen Sätzen weiter; der Musketier kam ihm näher. Nun ging das Pferd nur noch im Schritt, eine Blutspur hinter sich lassend. D’Artagnan, dem die Brust zu springen drohte, lief mit seiner letzten Kraft, packte Fouquet am Bein und schrie: »Ich verhafte Sie im Namen des Königs! Zerschmettern Sie mir den Schädel, wir haben beide unsere Pflicht getan.«

Allerdings hätte wohl in diesem Augenblick der noch nicht entkräftete Fouquet den halb ohnmächtigen Kapitän niederschlagen können; doch nein! Er sprang aus dem Sattel, ließ das Pferd weiterwanken, das nach wenigen Schritten röchelnd zusammenbrach, und erfaßte d’Artagnans Arm. »Ich bin Ihr Gefangener,« sagte er. »Gestatten Sie, daß ich Sie stütze, Sie fallen um.« – »Dank!« stöhnte der Musketier, dem wirklich der Boden unter den Füßen zu schwinden schien. Der Minister brachte ihn zu einer nahen Böschung, dort sank d’Artagnan zu Boden. Der andere schöpfte aus dem Graben ein wenig Wasser in seinem Hute und besprengte die Schläfen des Kapitäns.

D’Artagnan kam zu sich; er sah Fouquet vor sich knien. – »Was?« knurrte er. »Sie sind nicht entflohen? Sie haben sich meine Schwäche nicht zunutze gemacht? O, Herr Fouquet, der wahre König, wenn man nach dem Edelsinn urteilt, ist nicht Ludwig im Louvre, nicht Philipp auf der Margareteninsel, sondern Sie, der Verdammte!« – »Wir müssen zu Fuß nach Nantes zurück,« antwortete der Ober-Intendant mit melancholischem Lächeln, »unsere Pferde sind beide tot.« – »Den Teufel auch!« seufzte d’Artagnan, »das ist ein elender Tag!« – Sie gingen langsam, Arm in Arm, bis sie ein Gehölz erreichten. – »Ich habe einen Wagen hier für Sie,« sagte der Kapitän, die Augen niederschlagend. »Der König schickt ihn.«

Als der Minister den vergitterten Kasten sah, rief er aus: »Das ist ein Gedanke, der von keinem Biedermanne ausgegangen ist. So etwas hätte ich dem König denn doch nicht zugetraut. Und wozu dieses Gitter?« – »Damit Sie keine Briefchen hinauswerfen können,« antwortete d’Artagnan, in einem Tone, als schäme er sich seines Königs. – »Sehr sinnreich!« antwortete der Oberintendant. »Und wohin bringen Sie mich?« – »Nach Schloß Angers,« antwortete der Kapitän traurig.

*

Es war zwei Uhr nachmittags. Ludwig XIV. wartete ungeduldig auf d’Artagnans Rückkehr. Seine Höflinge hatten unter dieser Stimmung viel zu leiden. – »Ist Herr d’Artagnan noch nicht zurück?« fuhr er Herrn Colbert an. »Sie besonders sollten wissen, wo er so lange bleibt?« – »Majestät haben mir nicht gesagt, wohin Sie ihn schicken,« antwortete Colbert. – »Herr,« versetzte Ludwig, »es gibt Dinge, die einem niemand zu sagen braucht. Man muß sie erraten. Sie besonders.« – Er hatte diese Worte kaum gesprochen, als im Vorzimmer die heisere Stimme des Kapitäns erklang. Blaß und erregt trat er herein.

»Majestät,« sprach er, »haben Sie meinen Musketieren Befehle erteilt?« – »Ich? Nicht einen,« antwortete Ludwig. – »Dann ist es also dieser Herr dort,« sagte der Musketier, auf Herrn Colbert zeigend, »auf dessen Geheiß das ganze Haus Fouquets umgedreht, seine Dienerschaft mißhandelt, seine friedliche Wohnung verwüstet wird! Alle Wetter! das ist ein schändlicher Befehl!« – »Mein Herr!« unterbrach ihn Colbert. – »Mein Herr«! rief d’Artagnan. »Der König allein hat meinen Musketieren zu befehlen, verstehen Sie! Ich verbiete es Ihnen, und in Gegenwart des Königs lassen Sie es sich gesagt sein: Edelleute, die den Degen tragen, sind keine Federfuchser.«

»D’Artagnan! D’Artagnan!« murmelte der König.

»Das ist erniedrigend, Sire!« rief der Kapitän. »Meine Soldaten sind entehrt. Ich kommandiere nicht über Zahlenschinder und Intendanzsekretäre! Meine Musketiere haben seit heute morgen das Haus des Herrn Fouquet umstellt, und nachdem nun dieser Herr für seinen Vorgesetzten von gestern einen eisernen Käfig hat machen lassen, hat er auch noch seinen Schergen die Weisung erteilt, die Papiere des Oberintendanten in Beschlag zu nehmen. Warum zwang man meine Musketiere, an dieser Plünderung teilzunehmen und zu Mitschuldigen an dieser Gemeinheit zu werden? Den Teufel auch, wir dienen dem König, nicht aber Herrn Colbert!«

»Ich habe im Interesse meines Königs gehandelt,« sprach Colbert mit bewegter Stimme. »Es tut mir weh, von einem Offizier des Königs so behandelt zu werden, obendrein an einem Orte, wo die Ehrfurcht vor dem König mir verbietet, mich zu rächen.« – »Die Ehrfurcht vor dem König,« rief d’Artagnan mit flammenden Augen, »betätigt man zuvörderst darin, daß man seine Autorität achtet und seine Person liebt. Jeder, der von ihm mit einer Machtbefugnis belehnt wird und diese Befugnis mißbraucht, stellt den König bloß und trägt dazu bei, daß die Völker die Hand verfluchen, die sie segnen sollen. Muß Ihnen ein Soldat, dessen Herz in vierzigjährigen Ungewittern hart geworden ist, diese Lehre erteilen? Muß das Erbarmen von mir, die Wildheit von Ihnen ausgehen? Sie haben die Freunde des Herrn Fouquet verhaften lassen – Sie haben sich an Unschuldigen vergriffen.«

»Ich bin nur gegen die Mitschuldigen des Herrn Fouquet vorgegangen,« versetzte der Intendant. – »Wer sagt Ihnen, Herr Fouquet habe Mitschuldige? Wer sagt Ihnen, er sei selbst schuldig?« rief d’Artagnan. »Das weiß der König allein: seine Gerechtigkeit ist nicht blind. Sie greifen dieser Gerechtigkeit vor, und das nennen Sie Ehrfurcht vor Ihrem König?« Er kehrte dem Intendanten den Rücken und trat ins Vorzimmer. Aber Ludwig XIV., der noch nicht recht wußte, welche Partei er ergreifen sollte, und dem gleichwohl diese Zurechtweisung Colberts nicht unlieb war, rief ihn zurück. »Entledigen Sie sich zuvörderst Ihres Auftrages, Kapitän,« sprach er, »ehe Sie gehen, sich auszuruhen.« Gleichzeitig gab er Colbert einen Wink, auf einige Augenblicke ins Vorzimmer zu treten, und der gedemütigte Intendant schritt mit finsterm Gesicht, zu Tode beleidigt, an der stolz emporgerichteten Gestalt des Musketiers vorbei.

»Sire,« sprach d’Artagnan ruhig, »Sie sind ein junger König. An der Morgenröte erkennt der Mensch, ob der Tag schön oder unangenehm werde. Wie sollen aber die Völker, über die Gott Sie gesetzt hat, Ihre Regierung beurteilen, wenn Sie zwischen sich und Ihrem Minister Haß und Gewalttat herrschen lassen? Doch genug von Vorstellungen, die nutzlos sind, die Ihnen vielleicht ungebührlich erscheinen. Ich habe Herrn Fouquet verhaftet.« – »Ich finde, Sie haben sehr viel Zeit dazu gebraucht.« – D’Artagnan sah den König finster an und antwortete: »Ich habe mich schlecht ausgedrückt. Ich hätte vielmehr sagen sollen: ich bin von Herrn Fouquet gefangengenommen worden.« – Ludwig sah erstaunt auf, aber d’Artagnan ließ ihm keine Zeit zu fragen. Er erzählte ihm mit malerischer Offenherzigkeit das Abenteuer mit dem Ober-Intendanten. Ludwig fühlte sich gedemütigt durch den Edelsinn dieses Verfolgten, der zehnmal hätte entfliehen können und dennoch das Gefängnis vorzog, weil er genau wußte, daß er mit diesem Opfer seinem königlichen Feinde ein gut Teil seines Ruhmes entzog.

»Daraus geht, für mich wenigstens, hervor, ein solcher Mann kann nicht der Feind des Königs sein. Das erkläre ich freimütig. Majestät. Ich weiß, was Sie mir antworten werden, und verneige mich ehrerbietig: Staatsgründe! Wohl, diese sind sehr beachtenswert. Und deshalb habe ich auch den mir erteilten Befehl vollzogen, obgleich ich tausendmal lieber Herrn Fouquet zur Freiheit verholfen hätte.«

»Wo ist er in diesem Augenblick?« – »Auf der Straße nach Angers – in seinem vergitterten Wagen.«

»Warum haben Sie ihn auf der Straße verlassen?«

»Weil Majestät mir nicht befohlen haben, nach Angers zu gehen. Der beste Beweis dafür, daß ich hier gebraucht werde, liegt ja wohl auch darin, daß Sie mich eben suchen ließen. Und dann hatte ich noch einen andern Grund. Ich habe nämlich Herrn Fouquet in der Obhut eines meiner Musketiere zurückgelassen, weil er gewiß keinen Fluchtversuch machen würde, wenn ich bei ihm geblieben wäre. Und es ist mein lebhafter Wunsch, er möchte die Gelegenheit benützen.«

»Sind Sie verrückt, Herr d’Artagnan?« rief Ludwig XIV., die Arme über der Brust kreuzend. »Selbst wenn man das Unglück hat, solche Ueberspanntheiten zu denken, man spricht sie doch nicht aus.« – »Frei und offen, Sire! Denken Sie etwa, ich sei nach allem, was Herr Fouquet für mich und für Sie getan hat, sein Feind? Nein, Sire, geben Sie ihn nie in meine Obhut, wenn Sie wollen, daß er hinter Schloß und Riegel bleibe! So gut versichert der Käfig auch sei, der Vogel würde schließlich doch ausfliegen.«

»Ich bin erstaunt,« sprach der König finster, »daß Sie sich nicht dem Dienste dessen gewidmet haben, den Herr Fouquet auf meinen Thron setzen wollte. Dort würden Sie finden, was Sie suchen: Zuneigung und Erkenntlichkeit. In meinem Dienst, Herr, findet man nur einen Gebieter.« – »Hätte Herr Fouquet Sie nicht aus der Bastille geholt,« antwortete d’Artagnan fest, »so wäre nur ein einziger Mann hingegangen, Sie zu befreien, nämlich ich. Das wissen Sie recht gut, Sire.«

Der König hielt inne. Gegen diese freimütige, wahre Sprache seines Kapitäns ließ sich nichts einwenden. Er erinnerte sich jenes Abends, wo dieser selbe d’Artagnan sich hinter den Vorhängen seines Bettes versteckt hielt, als das Volk von Paris unter der Führung des Kardinals von Retz sich davon überzeugen wollte, ob der König sich im Palais Royal befände; er erinnerte sich jenes Tages, an dem er diesem selben d’Artagnan mit der Hand zuwinkte, als er bei seiner Rückkehr nach Paris in die Notre-Dame-Kirche fuhr. Er erinnerte sich jenes Tages, wo der Wackere ihm in Blois den Dienst aufkündigte, und der Zeit, da Mazarin starb und er ihn wieder zu sich rief. Und er fand, daß dieser Mann stets bieder, tapfer und treu gewesen sei.

Ludwig XIV. ging zur Tür und rief Herrn Colbert herein. – »Sie haben bei Herrn Fouquet Haussuchung halten lassen?« redete er ihn an. »Was ist dabei herausgekommen?« – »Die Papiere sind mir überbracht worden,« antwortete Colbert. – »Ich will sie sehen. Geben Sie mir Ihre Hand!« sprach der König. – »Meine Hand, Majestät?« – »Ja, daß ich sie in die des Herrn d’Artagnan lege. Sie kennen diesen Mann hier nicht, Herr Kapitän,« wandte er sich an den Gaskogner. »Lernen Sie ihn schätzen.« – »Majestät!« stammelte Colbert. Und er sah d’Artagnan an, mit einem Gesicht, das völlig verschieden von dem war, welches man bisher an ihm gesehen; er sah freundlich, heiter, strahlend drein, seine Augen unter den dichten Brauen nahmen einen edlen, lichtvollen Ausdruck an. Colbert wußte, daß er von diesem Moment an keinen Fouquet mehr über sich hatte, und aus dem Intrigant wurde der weitsichtige, das Wohl des Volkes fördernde Staatsmann, der sein eigenes System zum Siege über ein anderes, von ihm verworfenes, geführt hatte.

»Majestät hat mit diesen Worten bewiesen, welch feiner Menschenkenner Sie sind,« sprach er. »Die schroffe Opposition,« setzte er hinzu, sich an d’Artagnan wendend, »die ich bisher gegen gewisse Mißbräuche und infolgedessen auch gegen gewisse Persönlichkeiten durchgeführt habe, beweist nichts weiter, als daß es mein Streben ist, meinem König ein großes Reich zu schaffen, meinem Lande eine große Wohltat zu bereiten. O, Herr d’Artagnan, ich habe sehr viele Pläne und Ideen. Sie werden die Sonne finanzieller Wohlfahrt aufgehen sehen, und ich hoffe, wenn auch nicht die Freundschaft, so doch die Achtung meiner Gegner zu erringen.«

Der Musketier verneigte sich höflich vor Colbert. Der König entließ sie, als er sie versöhnt sah, und sie gingen zusammen fort. – »Herr d’Artagnan,« sprach Colbert draußen, »Sie irren, wenn Sie meinen, ich verfolge Herrn Fouquet. Ich wollte ihm nur die Finanzen entreißen, das ist alles. Und das ist nun gelungen. Nun soll es anders werden in Frankreich. Alles Gold des Landes wird unter meiner Verwaltung sein, und es soll sich vervielfältigen, statt zu zerrinnen. In meinem Besitz wird auch nach dreißig Jahren noch nicht ein Pfennig sein, dafür aber wird es neue Gebäude, neue Häfen, ja neue Städte geben. Ich werde eine Seemacht gründen und Handelsschiffe schaffen, die Frankreichs Namen nach den fernsten Erdteilen tragen sollen: ich will Bibliotheken und Akademien gründen, die Frankreich zur größten geistigen Macht der Welt erheben sollen. Sehen Sie, das sind die Gründe, weshalb ich so gegen Herrn Fouquet gekämpft habe. Und wenn Frankreich groß und stark ist, dann werde ich zu ihm gehen und sprechen: Verzeihen Sie mir!«

Der König rief d’Artagnan zurück und befahl ihm, zwanzig Musketiere nach Angers zu schicken, welche Herrn Fouquet nach Paris und in die Bastille transportieren sollten. – D’Artagnan wollte schon fragen, ob der König ihm mißtraue, weil er nicht ihm den Befehl erteilte, da setzte Ludwig hinzu: »Und Sie, Herr Kapitän, nehmen auf der Stelle Besitz von Belle-Ile. Setzen Sie sofort mit zahlreicher Mannschaft in See! Ich selbst mag die Insel nicht sehen. Sie haben mir nur die Schlüssel der Festung zu bringen. Und wenn Sie diesen Auftrag gut ausführen, so wird Ihnen der Marschallstab zuteil werden.«

»Weshalb sagen Sie: wenn ich ihn gut ausführe?« fragte d’Artagnan. – »Weil es sehr schwierig ist.« – »Inwiefern, Majestät?« – »Sie haben Freunde auf Belle-Ile, und für Männer wie Sie ist es keine Kleinigkeit, über den Leichnam eines Freundes zu schreiten.« – D’Artagnan antwortete nicht; er verneigte sich und ging hinaus. Eine Viertelstunde später brachte Colbert ihm den schriftlichen Befehl, Belle-Ile zu erobern, im Falle des Widerstandes in die Luft zu sprengen und keinen einzigen der Besatzung – das war besonders hervorgehoben – entschlüpfen zu lassen.

»Ein Marschallstab gegen das Leben zweier Freunde!« murmelte der Gaskogner. »Ei, meine Freunde sind nicht so dumm wie Gimpel und werden nicht auf die Leimrute des Vogelstellers warten. Ich will ihnen Zeit lassen davonzufliegen. Armer Porthos, armer Aramis! nein! mein Glück soll euch keine Feder aus den Flügeln kosten.« – Darauf rief d’Artagnan die königliche Armee zusammen und ging in Paimboeuf zu Schiffe. Ohne Zeitverlust wurden die Segel gehißt, und man nahm Kurs auf Belle-Ile.