Munter und fröhlich schritt er vorwärts, in die frische, die stärkende Bergesluft hinein. Das Tal sank tiefer, der Gesichtskreis wurde weiter; hier ein Schneegipfel, dort ein Schneegipfel und bald die weithin leuchtende, weiße Alpenkette. Rudi kannte jeden schneebedeckten Berg. Er schritt geradewegs auf das Schreckhorn zu, das seinen weißgepuderten Steinfinger hoch in die blaue Luft streckte.
Endlich hatte er den Höherücken überschritten. Die Weideplätze neigten sich abwärts nach dem Tale seiner Heimat. Die Luft war leicht, sein Herz war leicht. Berg und Tal waren voller Blumen und Grün, sein Herz voller Jugendgedanken: man wird nie alt, man kann nie sterben; leben, herrschen, genießen! Frei wie ein Vogel, leicht wie ein Vogel war er. Und die Schwalben flogen vorüber und sangen wie in seiner Kindheit: «Wir und ihr, ihr und wir!« Alles war Flug und Freude!
Unten lag die samtgrüne Wiese, mit braunen Holzhäusern gleichsam bestreut; die Lütschine schlängelte sich murmelnd und plätschernd hindurch. Er sah den Gletscher mit seinen glasgrünen Rändern, seinen tiefen Spalten; den obersten und untersten Gletscher erblickte er. Die Glocken klangen von der Kirche auf der Höhe zu ihm hinüber, als wollten sie zu seinem Willkommen in der Heimat läuten. Sein Herz klopfte stärker, erweiterte sich, so daß Babette einen Augenblick daraus verschwand, so groß wurde sein Herz, so voller Erinnerungen.
Er ging wieder denselben Weg entlang, auf dem er als kleiner Bursche mit den anderen Kindern am Grabenrande gestanden und ausgeschnitzte Holzhäuser verkauft hatte. Dort oben hinter der Tanne lag noch Großvaters Haus, Fremde wohnten jetzt darin. Kinder kamen ihm auf dem Wege entgegengelaufen, sie wollten ihren kleinen Handel betreiben; das eine reicht ihm eine Alpenrose, Rudi nahm sie als gutes Zeichen an und dachte an Babette. Bald hatte er die Brücke im Tale erreicht, wo sich die beiden Lütschinen vereinigen. Die Laubbäume nahmen zu, die Walnussbäume gaben Schatten. Jetzt sah er die wehende Flagge, das weiße Kreuz im roten Grunde, wie der Schweizer und der Däne sie führt. Vor ihm lag Interlaken.
Nach Rudis Gedanken war es wirklich eine Prachtstadt, wie keine andere. Eine Schweizer Stadt im Sonntagsstaate. Sie war nicht, wie die anderen kleinen Städte, eine Masse schwerfälliger, steinerner Häuser, plump, fremd und vornehm; nein, hier sah es so aus, als ob sich die hölzerner Häuser oben von den Bergen unten in das grüne Tal an den klaren pfeilschnellen Fluß verlaufen und sich, hier ein wenig auswärts, dort ein wenig einwärts, in Reihe gestellt hätten, um eine Straße zu bilden. Die prächtigste von allen Straßen, ja, die war freilich ordentlich in die Höhe