Zollhause auf der anderen Seite hinüber. Dort beginnt der Kanton Waadt, und die nächstgelegene Stadt darin ist Bex. Hier drüben nimmt alles bei jedem Schritte vorwärts an Fülle und Fruchtbarkeit zu, man wandelt in einem Garten von Walnuß-und Kastanienbäumen. Hier und da tauchen Zypressen und Granatbäume auf; es herrscht hier eine südliche Wärme, als wäre man schon nach Italien hinabgekommen.
Rudi langte in Bex an, verrichtete sein Geschäft, sah sich um, aber kein Müllerbursche, geschweige denn Babette ließ sich blicken. Es war nicht, wie es sein sollte.
Es wurde Abend, die Luft war mit dem Dufte des wilden Thymian und der blühenden Linden geschwängert. Es lag gleichsam ein schimmernder, luftblauer Schleier um die waldgrünen Berge. Eine tiefe Stille herrschte überall, nicht die des Schlafes, nicht die des Todes, nein, es war, als hielte die Natur ihre Atemzüge an, als hätte sie diese feierliche Ruhe angenommen, damit ihr Bild auf dem blauen Himmelsgrunde photografiert werden könnte. Hier und da standen das ganze Feld entlang zwischen den Bäumen hohe Stangen, die den Telegraphendraht hielten, der durch das stille Tal geführt war. Gegen eine lehnte sich ein Gegenstand, so unbeweglich, dass man hätte glauben können, es wäre ein verdorrter Baumstamm; aber es war Rudi, der hier ebenso stillstand wie seine ganze Umgebung in diesem Augenblicke. Er schlief nicht, war noch weniger tot, aber wie durch den Telegraphendraht oft große Weltbegebenheiten, Lebensmomente von entscheidender Bedeutung für den einzelnen hindurchfliegen, ohne daß der Draht durch ein Zittern oder durch einen Ton darauf hindeutet, so zogen dort durch Rudi Gedanken, mächtige, überwältigende, das Glück seines Lebens, von nun an seine einzigen, seine beständigen Gedanken. Seine Augen waren auf den Punkt zwischen dem Laube gerichtet, auf ein Licht in der Wohnstube des Müllers, wo Babette wohnte. Bei der unerschütterlichen Ruhe, mit der Rudi dastand, hätte man annehmen können, er zielte nach einer Gemse, aber er selbst glich in diesem Augenblicke einer Gemse, die minutenlang wie aus dem Felden herausgemeißelt dastehen kann, und plötzlich, wenn ein Stein rollt, einen Satz macht und von dannen jagt. Und das tat Rudi gerade auch. Ein Gedanke rollte durch seine Seele.
»Niemals verzagen!« rief er. »Besuch in der Mühle! Guten Abend zum Müller, Guten Tag zu Babette! Man fällt nicht, wenn man es sich nicht einbildet. Soll ich Babettens Mann werden, so muß sie mich doch einmal sehen.«
Und Rudi lachte, war guten Muts und ging nach der Mühle; er wusste, was er wollte, er wollte Babette haben.