Schuß fiel. Einen Augenblick bewegten sich die ausgebreiteten Schwingen und dann senkte sich der Vogel langsam hinab, als wollte er durch seine Größe und seine ausgestreckten Flügel die ganze Kluft ausfüllen und die Jäger in seinem Falle mit hinunterreißen. Der Adler sank in die Tiefe; es krachte in den Baumzweigen und Büschen, die durch den Fall des Vogels zerknickt wurden.
Und jetzt begann eine emsige Geschäftigkeit. Drei der längsten Leitern wurden, damit sie bis oben hinaufreichten, zusammengebunden. Sie wurden auf dem äußersten festen Punkte am Rande des Abgrundes aufgestellt, reichten aber trotzdem noch nicht. Und noch ein ganzes Stück höher hinauf, bis dorthin, wo sich das Nest im Schutze des obersten hinüberragenden Felsenknotens verbarg, war die Felswand glatt wie eine Mauer. Nach kurzer Beratung wurde man darüber einig, daß sich nichts Besseres tun ließe, als von obenher zwei zusammengebundene Leitern in die Kluft hinabzulassen und dann diese mit den dreien, die schon unten aufgestellt waren, in Verbindung zu setzen. Mit großer Mühe gelang es, die beiden Leitern hinaufzuschleppen und die Stricke zu befestigen. Die Leitern wurden über den hervorspringenden Felsen hinausgeschoben und hingen frei mitten über dem Abgrunde. Rudi saß bereits auf der untersten Sprosse. Es war ein eiskalter Morgen; Nebelwolken erhoben sich von unten aus der schwarzen Kluft. Rudi saß draußen, wie eine Fliege auf dem schaukelnden Strohhalme sitzt, welchen ein sein Nest bauender Vogel auf dem Rande des hohen Fabrikschornsteins verloren hat, aber die Fliege kann eben fliegen, Rudi konnte nur den Hals brechen. Der Wind umsauste ihn, und im Abgrunde unter ihm brauste das aus dem aufgetauten Gletscher, dem Palaste der Eisjungfrau, schnell herabströmende Wasser.
Nun setzte er die Leitern in eine schwingende Bewegung, wie die Spinne, die sich von ihrem langen schwebenden Faden aus an irgendeinen Haltepunkte festklammern will, und als Rudi zum viertenmal die von untenher angelehnten Leitern berührte, fasste er sie und band sie mit sicherer und kräftiger Hand zusammen, was aber doch nicht verhinderte, dass sie unaufhörlich hin und her schwankten.
Einem schwebenden Rohre glichen die fünf langen Leitern, die bis zum Neste hinaufreichten und sich fast senkrecht an die Felsenwand lehnten. Doch das Gefährlichste kam jetzt erst; nun galt es wie eine Katze zu klettern; aber Rudi verstand es auch, sein alter Kater hatte es ihn gelehrt. Er empfand keinen Schwindel, gewahrte nicht, dass der Schwindel hinter ihm Luft trat und seine Polypenarme nach ihm ausstreckte. Jetzt stand er auf der obersten Sprosse der Leiter und bemerkte, dass er immer noch nicht in das Nest hineinzusehen vermochte, nur mit der Hand konnte er an dasselbe reichen. Vorsichtig prüfte er, wie fest die untersten Zweige