Eisschlund hinab, tiefer, immer tiefer? Er sah die Eiswände wie bläulichgrünes Glas glänzen; unendliche Spalten und Klüfte gähnten ringsum und das Wasser tröpfelte klingend wie ein Glockenspiel hinab, und dabei in blauweißen Flammen strahlend. Die Eisjungfrau gab ihm einen Kuß, der ihn durch das Rückenmark bis in die Stirn erstarren ließ. Er stieß einen Schmerzensschrei aus, riß sich los, taumelte und fiel; es wurde Nacht vor seinen Augen, aber er öffnete sie wieder. Böse Mächte hatten ihr Spiel getrieben.
Fort war das Alpenmädchen, fort die bergende Hütte; das Wasser rann von der nackten Felsenwand hinab, der Schnee lag ringsum. Rudi schauderte vor Kälte, bis auf die Haut war er durchnäßt, und sein Verlobungsring war fort, der Ring, den ihm Babette an den Finger gesteckt hatte. Sein Gewehr lag neben ihm im Schnee, er hob es auf, wollte es abschießen, aber es versagte. Feuchte Wolken lagerten sich wie feste Schneemassen über die Kluft, der Schwindel saß darin und lauerte auf seine kraftlose Beute, und unter ihm klang es in der tiefen Kluft, wie wenn ein Felsenblock fiele und alles, was seinen Fall aufhalten wollte, zerschmetterte und mit sich fortrisse.
Aber in der Mühle saß Babette und weinte. Rudi war sechs Tage lang nicht dagewesen, er, der unrecht hatte, er. Der sie hätte um Verzeihung bitten müssen und den sie doch von ganzem Herzen liebte.
13. Im Hause des Müllers
»Die Menschen machen doch schrecklichen Unsinn«, sagte die Stubenkatze zur Küchenkatze. »Zwischen Babette und Rudi ist schon wieder alles aus. Sie weint und er denkt wahrscheinlich gar nicht mehr an sie.«
»Das gefällt mir nicht!« erwiderte die Küchenkatze, »aber deswegen will ich mich grämen! Babette kann ja die Braut des Rotbärtigen werden! Er ist übrigens auch nicht hier gewesen, seitdem er auf das Dach klettern wollte.«
Böse Mächte treiben ihr Spiel, in und außer uns. Rudi hatte es empfunden und darüber nachgedacht. Was war doch um ihn und in ihm vorgegangen, dort oben auf dem Berge? Waren es Visionen oder ein Fiebertraum? Nie hatte er früher etwas von Fieber oder Krankheit gewusst. Während er Babette verurteilte, hatte er einen Einblick in sich selbst getan. Er dachte an die wilde Jagd in seinem Herzen, an den heißen Föhn, der neulich darin losbrach. Konnte er Babetten alles, jeden Gedanken beichte, der bei ihm in der Stunde der Versuchung zur Tat werden konnte? Ihren Ring hatte er verloren, und gerade durch diesen Verlust hatte sie ihn wiedergewonnen.