Es kam ihr vor, als wäre sie mit Rudi verheiratet, und zwar schon seit vielen Jahren. Er befand sich auf der Gemsenjagd, sie aber war in ihrer Heimat, und neben ihr saß der junge Engländer mit dem rötlichen Backenbarte. Seine Augen blickten so warm, seine Worte hatten solche Zaubermacht, er reichte ihr die Hand, und sie musste ihm folgen. Sie verließen miteinander die Heimat. Beständig ging es aufwärts! – Babette war es, als läge ihr eine schwere Last auf dem Herzen, sie wurde immer schwerer, eine Sünde war es gegen Rudi, eine Sünde gegen Gott. – Plötzlich stand sie verlassen da, ihre Kleider waren von den Dornen zerrissen, ihr Harr war grau, voll Schmerz schaute sie aufwärts und auf dem Felsenrande gewahrte sie Rudi. Sie streckte ihre Arme gegen ihn aus, wagte es aber nicht, ihn zu rufen oder zu bitten, und das würde ihr auch nichts geholfen haben, denn bald sah sie, dass er es nicht selbst war, sondern nur seine Jägerjacke und Hut, die auf dem Alpenstocke hingen, wie die Jäger sie hinstellen, um die Gemsen zu überlisten. Und in grenzenlosem Schmerze jammerte Babette: »O wäre ich doch an meinem Hochzeitstage, meinem glücklichsten Tage, gestorben! Herr, du mein Gott, es wäre eine Gnade, ein unsägliches Glück gewesen! Dann wäre das Beste geschehen, was für mich und Rudi geschehen konnte! Niemand weiß seine Zukunft vorher!« Und in frevelhaftem Schmerze stürzte sie sich in die tiefe Felsenkluft hinab. Es riß eine Saite, es klang ein Trauerton —!
Babette erwachte, der Traum war zu Ende und verwischt, jedoch wusste sie, dass sie etwas Schreckliches geträumt und von dem jungen Engländer geträumt hatte, den sie seit Monaten nicht gesehen und an den sie noch weniger gedacht. Ob er sich Montreux befand? Sollte sie ihn bei der Hochzeit zu sehen bekommen? Ein leichter Schatten glitt um ihren feinen Mund. Ihre Augenbrauen runzelten sich. Aber bald kehrte ein Lächeln und ein eigentümlicher Schimmer in ihr Auge zurück: die Sonne schien draußen so schön, und morgen war ihre und Rudis Hochzeit.
Er war schon in der Stube, als sie herunterkam, und bald machten sie sich auf den Weg nach Villeneuve. Sie waren so glücklich, die beiden und der Müller gleichfalls, er lachte und strahlte in der herrlichsten Laune, ein guter Vater, eine ehrliche Seele war er.
»Nun sind wir die Herrschaft zu Hause!« sagte die Stubenkatze.
15. Schluß
Es war noch nicht Abend, als die drei frohen Menschen Villeneuve erreichten und ihre Mahlzeit hielten. Der Müller setzte sich mit seiner Pfeife in den Lehnstuhl und hielt ein kleines Schläfchen. Die jungen Brautleute gingen Arm in Arm zur Stadt hinaus, die Landstraße unter den mit Buschwerk bewachsenen Felsen hinab, den bläulichgrünen tiefen See