»Käme Dein Feind, schlänge ein Seil um die Balken unseres Daches und höbe es von der Kammer, in der Du schliefest, ich würde Dich nicht wecken, ob ich es auch könnte. Ich würde es nicht hören, so saust mir noch immer das Blut im Ohr, auf das Du mir vor Jahren eine Ohrfeige gabst, Du! Ich vergesse nicht.«
Aber der Wiking achtete ihrer Worte nicht, er war, ebenso wie alle anderen, von ihrer Schönheit betört, wußte auch nichts davon, wie Klein-Helga Gestalt und Sinn bei Tag und Nacht wechselte. Ohne Sattel saß sie wie festgewachsen auf dem Pferde, das in wildem Lauf daherjagte, sprang auch nicht ab, wenn es sich mit den anderen bösartigen Pferden herumbiß. Oft warf sie sich mit allen Kleidern vom Abhange herab in des Fjorde starken Strom und schwamm dem Wiking entgegen, wenn sein Boot dem Lande zusteuerte. Von ihrem herrlichen langen Haar schnitt sie die längste Locke ab und flocht daraus eine Sehne für ihren Bogen: »Selbstgetan, wohlgetan!« sagte sie.
Die Wikingerfrau hatte wohl für die damalige Zeit und Gewohnheit einen festen Willen und ein starkes Gemüt, aber gegen die Tochter gesehen, war sie ein sanftes, ängstliches Weib: sie wußte ja auch, daß ein Zauber über dem entsetzlichen Kinde ruhte.
Nur allzu oft kam es Helga in den Sinn, sich voll böser Gelüste, gerade wenn die Mutter auf dem Söller stand oder in den Hof hinaustrat, auf den Brunnenrand zu setzen, mit Armen und Beinen um sich zu schlagen und sich darauf in das enge, dunkle Brunnenloch fallen zu lassen, wo sie nach Froschart untertauchte und wieder an die Oberfläche kam, um dann katzengleich wieder emporzuklettern wassertriefend durch den Festsaal zu laufen, so daß die grünen Blätter, mit denen der Fußboden bestreut war, in dem rinnenden Wasser schwammen.
Doch ein Band gab es, das Klein-Helga hielt, das war die Abenddämmerung. Da wurde sie still und gleichsam nachdenklich, ließ sich gebieten und leiten. Es war, als ob ein inneres Gefühl sie zur Mutter zöge, und wenn die Sonne sank und die innere und äußere Verwandlung vor sich ging, saß sie still und traurig, zur Froschgestalt zusammengeschrumpft da. Der Körper war nun weit größer als der dieses Tiers, aber gerade dadurch noch abschreckender. Sie sah wie ein abscheulicher Zwerg aus mit einem Froschkopf und Schwimmhäuten zwischen den Fingern. Es lag etwas so Betrübtes in den Augen, mit denen sie umherblickte; eine Stimme hatte sie nicht, nur ein hohles Quaken gab sie mitunter von sich, ganz wie ein Kind, das im Schlafe schluchzt. Da konnte die Wikingerfrau sie wohl auf ihren Schoß nehmen, die häßliche Gestalt vergessen und nur die traurigen Augen sehen; mehr als einmal