6. Kapitel

Der Alte geht zum Kreisrichter – Huck entschließt sich Reißaus zu nehmen – Ernsthaftes Nachdenken! – Politisches – Nächtliche Lustbarkeit

6. Kapitel

Soweit also war’s gut! Bald aber war der alte Mann wieder zurechtgeflickt und machte die Gegend aufs neue unsicher. Er ging zum Kreisrichter und drohte ihn zu verklagen und tat’s auch wirklich, als der sich weigerte das Geld herauszugeben. Dann wollte er mich verklagen, weil ich trotz seines Verbots in die Schule trabte. Er fing mich ein paarmal ab und walkte mich tüchtig durch, ich aber ging nach wie vor hin, und es gelang mir meistens, ihn zu überlisten oder aber davonzurennen. Vorher war mir die Schule gerade kein Vergnügen gewesen, nun aber fand ich Lust daran, weil es den Alten so ärgerte. Der Prozeß vor Gericht wegen des Geldes ging nur sehr langsam vonstatten, sie schienen darüber einschlafen zu wollen. So borgte ich denn ab und zu zwei oder drei Dollar vom Kreisrichter, mit denen ich mich dann beim Alten von einer versprochenen Tracht Prügel loskaufte. Sooft er Geld hatte, hatte er auch einen Rausch, und sooft er einen Rausch hatte, tobte er durch die Straßen, und sooft er das tat, wurde er eingesperrt. Solch ein Leben gefiel ihm, das war gerade, was er wolltet

Allmählich aber machte er doch die Gegend um das Haus der Witwe allzu unsicher. Sie warnte ihn zwar ein paarmal und drohte, sie wolle die Nachbarn zu Hilfe rufen gegen ihn, aber das half nichts. Er wurde nur wütend und sagte, er wolle zeigen, wer Huck Finns Herr sei! So fing er mich an einem schönen Frühlingstage ab, als ich nichts Schlimmes ahnte, schleppte mich mit Gewalt zum Fluß in ein Boot, setzte nach dem Illinois-Ufer über, wo der Wald am dicksten stand, und brachte mich da in eine alte Blockhütte, die niemand hätte auffinden können, der nicht genau wußte, wo sie lag.

Ich mußte immer an seiner Seite bleiben, und zum Durchbrennen gab’s nicht die kleinste Gelegenheit. So wohnten wir denn in der alten Hütte, und bei Nacht verschloß er die Tür und legte den Schlüssel unter seinen Kopf. Er besaß eine alte Flinte, die er wahrscheinlich irgendwo gestohlen hatte. Wir jagten und fischten und lebten von der Beute. Von Zeit zu Zeit schloß er mich ganz ein, ging hinunter an die Fähre, tauschte dort Fische, und was er geschossen hatte, gegen Schnaps ein, kam heim, betrank sich, vergnügte sich auf seine Weise und prügelte mich durch. Die Witwe hatte mittlerweile herausgefunden, wo mich der Alte hingeschleppt, und sandte einen Mann, der mich befreien sollte. Den trieb aber mein Vater mit der Flinte in die Flucht. Bald hatte ich mich denn auch an das Leben gewöhnt, befand mich wohl dabei und liebte es; nur das Durchhauen war nicht ganz nach meinem Geschmack.

Es war so lustig und so faul und so behaglich, den ganzen Tag nach Herzenslust herumzuliegen, nur zu rauchen oder zu fischen und Bücher Bücher, und Lernen Lernen sein zu lassen. Zwei oder drei Monate verflossen so, meine Kleider waren nur noch schmutzige Lumpen, und ich konnte kaum mehr begreifen, wie ich es je bei der Witwe ausgehalten hatte, wo man sich waschen mußte, vom Teller essen, sich kämmen, zu Bett gehen und zur bestimmten Stunde aufstehen, ewig sich mit Büchern herumplagen und dazu das Keifen und Zetern der alten Miss Watson mit anhören. Ich wollte gar nicht wieder zurück in das Gefängnis! Das Fluchen hatte ich mir abgewöhnt, weil es die Witwe nicht gern hörte, nun machte ich mich aber lustig wieder dran, mit meinem Alten um die Wette. Ich hatte es eigentlich ganz gut da draußen im Wald, wenn ich so alles in allem nehme.

Allmählich aber wurde der Alte zu beweglich mit seinem Stock, ich konnt‘ es kaum mehr aushalten, ich war voll Striemen und Beulen. Auch ging er immer öfter weg und schloß mich ein. Einmal blieb er beinahe drei Tage aus. Es war schrecklich einsam, und ich dachte schon, er sei ertrunken und ich müsse hier verhungern. Das war mir denn doch zu bunt! Wie oft hatte ich schon versucht durchzubrennen, aber es ging nicht. Die Fenster waren Löcher, durch die kein Hund durchgekonnt hätte, der Kamin war zu eng, und die Türen aus festen Eichenbohlen gezimmert. Ein Messer oder irgend etwas Derartiges hütete sich der Alte wohl zurückzulassen, wenn er ging. Wie oft schon hatte ich die Hütte durchstöbert, von oben bis unten, ohne je etwas zu entdecken, diesmal aber fand ich unter einem Dachbalken, ganz in der Ecke, eine alte, rostige Holzsäge. Wer war froher als ich! Rasch eingeschmiert und nun frisch drauf los! Ich hob ein Stück von einer alten Pferdedecke auf, die in eine Ecke beim Tisch genagelt war, damit der Wind das Licht nicht ausblase, und begann dahinter die Balken anzusägen, um ein Stück herauszunehmen, so groß, daß ich durchschlüpfen könnte. Es war eine tüchtige, saure Arbeit, und als ich beinahe damit zu Ende war, hörte ich Vaters Flinte im Wald. Ich nun schnell, schaff‘ die Sägspäne beiseite, leg‘ den Teppich vors Loch und verberg‘ die Säge. Kaum war ich fertig, stolperte richtig der Alte zur Türe herein.

Er war schlechter Laune – hatte also nicht getrunken, erzählte, er sei in der Stadt gewesen und daß alles verkehrt ginge. Der Advokat sage, er werde ohne Zweifel den Prozeß gewinnen, wenn er nur erst einmal zur Verhandlung käme. Es werde aber immer wieder hinausgeschoben und daran sei nur der Kreisrichter mit seinem Einfluß schuld. Dann sollten die Leute gesagt haben, es würde einen neuen Prozeß geben, um mich von ihm fortzunehmen und die Witwe zu meinem Vormund zu machen, und dann würde die Sache wahrscheinlich gegen ihn ausfallen. Diese Nachricht versetzte mir einen gewaltigen Stoß, denn zur Witwe wollte ich keinesfalls zurück, wo sie mich in alles mögliche hineinzwängten, in Kleider und Manieren, um mich zu sievilisieren. Jetzt fing der alte Mann an zu fluchen und fluchte auf alles und jeden, den er kannte, dann fing er von vorn an, um sicher zu sein, daß er keinen vergessen hatte, und endlich rundete er das Ganze niedlich mit einem saftigen Fluch auf die Welt im allgemeinen ab.

Die Witwe solle nur einmal kommen und mich zu holen versuchen, er wisse einen Platz, sechs oder sieben Meilen weit im Walde drin, da wolle er mich hinstecken, da könnten sie nach mir suchen, bis sie schwarz würden, eh‘ sie mich fänden. Einen Augenblick lang stand mir der Atem still, dann aber fiel mir ein, daß ich bis dahin kaum mehr zur Hand sein dürfte, um ihm diese Freude zu machen.

Der Alte hieß mich nun zum Boot gehen und die Sachen holen, die er eingehandelt hatte. Es war ein Sack mit ungefähr fünfzig Pfund Mehl, eine Speckseite, Munition und ein tüchtiger Krug Branntwein, ein altes Buch, zwei Zeitungen und sonst allerlei, dann noch ein Stück Seil. Ich machte mir die Ladung zurecht, schaffte sie ans Land und setzte mich dann in das Boot, um einmal ernsthaft über meine Lage nachzudenken. Ich hielt es für das beste, mit der Flinte und ein paar Angelruten in die Wälder durchzubrennen, mich da zu verbergen, dann nach einiger Zeit während der Nacht weiterzuwandern, zu jagen und zu fischen, um etwas zu essen zu haben, und so immer weiter und weiter bis weder der Alte noch die Witwe mich je würden wiederfinden können. In dieser Nacht wollte ich meine Sägearbeit an der Hütte fertigmachen, sobald der alte Mann betrunken war, worauf ich sicher zählte, wenn ich den Vorrat von Branntwein betrachtete, mit dem er sich versehen hatte. Ich war so voll von meinen Plänen, daß ich alles um mich her vergaß, bis mich mein Alter von der Hütte her anrief und fragte, ob ich schlafe oder was sonst mit mir los sei.

Ich schaffte nun die Sachen zur Hütte, und darüber war’s beinahe dunkel geworden. Während ich das Abendessen kochte, hatte sich der Alte an seinen Krug gemacht, einige herzhafte Züge getan und war dadurch warm geworden. Seinen letzten Rausch hatte er in der Stadt gehabt, wo er die ganze Nacht über in der Gosse gelegen hatte. Er sah aber auch danach aus! Man hätte ihn für Adam halten können, er schien ein wandelnder Erdenkloß, so überzogen mit Kot und Lehm war er. Wenn der Schnaps lebendig in ihm wurde, beschäftigte er sich beinahe immer mit Politik und der Regierung.

Diesmal schimpfte er nicht schlecht: »Das will eine Regierung sein, Donnerwetter, und dabei ist sie, bei Licht gesehen, keinen Pfifferling wert! Kommen sie da mit dem Gesetz und wollen einem alten Mann den Sohn wegnehmen, den einzigen Sohn, den er mit Mühe, Angst und Not und schweren Kosten großgezogen hat. Ja und gerade dann, wenn der Sohn glücklich so weit ist, daß er verdienen könnte und etwas für seinen armen, alten Vater tun, dann kommen sie mit dem Gesetz und wollen ihn wegnehmen. Und das will eine Regierung sein, wahrhaftig, allen Respekt davor! Und das ist noch nicht alles! Noch lange nicht! Da gibt’s auch noch ein Gesetz, das dem Schurken von Kreisrichter hilft, mir mein Geld nicht herauszugeben – mein eignes Geld! Solch ein Gesetz gibt’s! Ein Gesetz, das einen Mann, der seine sechstausend Dollar und mehr wert ist, nimmt und ihn in ein altes Loch stopft, wie das hier, ihn statt mit Kleidern mit Fetzen behängt, die für ein Schwein zu schlecht wären, ihn – wahrhaftig eine wundervoll weise Regierung, bei der man nicht zu seinem Recht kommen kann! Ich hätte gute Lust, dem ganzen Bettel den Rücken zu kehren und das Land zu verlassen! Hab’s aber dem Kreisrichter auch gesagt, tüchtig, und alle konnten’s hören, war mir ganz egal, sie können’s weitersagen, wenn sie wollen! Sag‘ ich, für zwei Cents wend‘ ich dem vermaledeiten Land den Rücken, und straf mich Gott, wenn ich ihm je wieder nahe komme. Das ist, weiß Gott, und wahrhaftig gerad‘, was ich gesagt hab‘. Und, sag‘ ich, da seht meinen Hut an, wenn man das Ding überhaupt einen Hut nennen kann, an dem der Kopf fehlt und der Rand nur ein Fetzen ist, mit solchem Hut läßt die Regierung dieses gesegneten Landes einen Mann laufen, der einer der wohlhabendsten der Stadt wäre, wenn er zu seinem Recht kommen könnte – so eine Regierung, daß Gott erbarm!«

Und so gings weiter, immer in derselben Tonart. Dabei stolperte der Alte in der Hütte hin und her in heller Wut, und da er nicht aufpaßte, wo ihn seine wackeligen Spazierhölzer hintrugen, so fiel er schließlich über das kleine Fäßchen mit gesalzenem Schweinefleisch und stieß sich die beiden Schienbeine wund. Nun aber hätte man ihn hören müssen, wie er loszog! – Gott und die Welt im allgemeinen, die Regierung und das Fäßchen ganz im besonderen bekamen ihr redlich Teil ab. Weiß Gott, so hatte ich ihn selber noch nicht gehört! Er hüpfte erst auf einem Bein, dann auf dem andern und strich mit der Hand über den geschundenen Teil, plötzlich holte er kräftig aus und versetzte dem Missetäter von Faß einen schallenden Fußtritt. Da hatte er sich aber versehen und den Fuß genommen, an dem die Zehen aus dem Stiefel herausguckten. Das Gebrüll, das dem Tritt folgte, machte mir ordentlich die Haare zu Berge stehen – plumps lag er am Boden und wälzte sich, heulend vor Schmerz und die gräßlichsten Flüche herunterrasselnd, die ihm zu Gebote standen.

Nach dem Abendessen zog der Alte den Schnapskrug liebäugelnd heran und meinte, darin sei genug für zwei Räusche und ein Delerium tramens oder wie er’s nannte. Das war immer seine Redensart, und es schien ein Witz zu sein, denn er grinste dabei, aber ich verstand ihn nicht. In einer Stunde, so rechnete ich, würde er schwer geladen sein und dann konnte ich entweder den Schlüssel nehmen, oder die Wand vollends durchsägen, je nachdem. Er trank und trank und fiel schließlich auf sein Lager, aber das Glück war mir doch nicht günstig. Er kam zu keinem tiefen Schlaf, sondern warf sich unruhig von einer Seite zur andern. Er ächzte und stöhnte und hieb um sich und konnte keine Ruhe finden. Schließlich wurde ich selbst so müde, daß ich meine Augen nicht mehr offenhalten konnte, und ehe ich wußte, was ich tat, war ich selig hinübergeschlummert, während das Licht immer weiterbrannte.

Wie lange ich schlief, weiß ich nicht, aber plötzlich wurde ich durch einen furchtbaren Schrei geweckt und fuhr in die Höhe. Der Alte stand mitten in der Hütte, hieb um sich wie ein Toller nach allen Seiten und brüllte etwas von Schlangen. Er jammerte, sie kröchen an seinen Beinen herauf, und sprang wie wahnsinnig laut schreiend hin und her, ächzte dann, nun habe ihn eine gebissen, ich aber schaute und schaute und konnte keine einzige Schlange entdecken. Jetzt lief er wie toll immer im Kreis herum und brüllte: »Nimm sie weg, tu sie fort, sie beißt mich ja in den Hals!« Ich habe noch an keinem Menschen so wilde Augen gesehen, wie er sie machte. Bald wurde er müde, fiel zu Boden und lag kurze Zeit still. Plötzlich fing er an, sich hin und her zu rollen, mit den Händen in der Luft zu fechten, immer schneller und schneller, nach allem zu stoßen und zu treten, was ihm in den Weg kam, wobei er immerzu kreischte, der Teufel wolle ihm den Hals umdrehen. Auch damit hatte er bald genug und lag ächzend eine Weile still. Allmählich wurde er ruhiger und gab keinen Ton mehr von sich. Ich konnte die Eulen und Wölfe draußen im Walde hören; die Stille war grausig. Der Alte lag drüben in der andern Ecke. Auf einmal richtet er sich halb auf, legt den Kopf auf eine Seite und lauscht. Dann sagte er ganz leise: »Trab trab – trab, jetzt kommen die Toten! Trab – trab – trab, die wollen mich holen. Ich will aber nicht mit – nein – da sind sie – laßt mich in Ruh‘ rührt mich nicht an, oder – Hand weg, sag‘ ich – puh, wie kalt – weg oder – oh, laßt doch mich armen Teufel in Frieden!«

Jetzt kroch er auf allen vieren herum und bat und beschwor die Toten, ihn in Ruhe zu lassen, wickelte sich schließlich fest in seine alte Decke und kugelte sich unter den Tisch, immerfort um Loslassen flehend. Dann fing er an zu heulen; man hörte es unter der Decke hervor.

Nach einer Weile warf er die Decke von sich, sprang auf, blickte wild um sich, entdeckte mich und jagte mich durch die ganze Hütte. Er sagte, ich sei der Engel des Todes und er wolle mich einfangen und töten und dann könne ich ihm nichts mehr tun. Ich flehte ihn an, mich gehen zu lassen, ich sei ja nur der Huck, aber er lachte gellend auf und brüllte und fluchte und setzte immerzu hinter mir her. Einmal machte ich plötzlich kehrt, um ihn zu überraschen und an ihm vorbeizuschlüpfen, unter seinem Arm durch. Da erwischte er mich bei der Jacke, oben am Kragen, und ich dachte schon, ich sei geliefert, aber schnell wie der Blitz schlüpfte ich aus der Jacke und rettete mich so. Zum Glück war er bald zu müde, um die wilde Jagd weiter fortzusetzen, und setzte sich mit dem Rücken gegen die Tür, sagte, er wolle eine Minute ausruhen und mich dann töten. Das Messer legte er unter sich, brummte dabei etwas von »schlafen und neue Kraft sammeln und dann zeigen, wer der Stärkere sei«.

So schlummerte er denn auch bald ein. Nach einer Weile nahm ich den alten Stuhl, so leise ich konnte, stieg hinauf und nahm die Flinte von der Wand. Ich zog den Ladstock heraus, stieß ihn in den Lauf, um zu sehen, ob geladen sei, legte dann die Flinte über das Fleischfaß, mit der Mündung auf den Alten, verkroch mich selbst dahinter und wartete nun, bis er sich regen würde. – Und wie langsam und stille schleppte sich die Zeit dahin!

7. Kapitel

Auf dem Anstand – In die Hütte eingeschlossen – Vorbereitung zur Flucht – Versenken der Leiche – Ein neuer Plan – Ruhe

7. Kapitel

»Wirst du wohl aufstehen! Was ist denn hier los?«

Ich öffnete meine Augen und sah um mich, war noch ganz wirr und betäubt und suchte mich vergeblich an alles zu erinnern. Ich mußte fest geschlafen haben; es war schon ganz hell. Vater stand vor mir, sah brummig aus, als ob ihm nicht recht gut sei, und fragte: »Was hast du mit der Flinte vor?«

Ich sah gleich, daß er nichts von seinen nächtlichen Taten wisse. So sagt‘ ich: »Es wollte jemand zur Tür herein, da hab‘ ich mich auf den Anstand gestellt!« – »Warum hast du mich nicht geweckt?«

»Ich hab’s probiert, aber es ging nicht!«

»Schon gut! Heb dich weg und schwatz nicht soviel. Mach und sieh nach, ob ein Fisch an der Leine hängt, für unser Frühstück. Ich komm‘ gleich nach!«

Er schloß die Türe auf, und ich machte mich davon, hinunter ans Flußufer. Ich sah Baumäste und Holzstücke im Wasser treiben und wußte, daß es nun im Steigen begriffen war. Das waren schöne Zeiten in der Stadt, wenn der Fluß stieg. Da kamen oft große Stücke Holz, manchmal ganze Baumstämme dahergeschwommen, oft fünf, sechs auf einmal, oft noch mehr, und man brauchte sie mir herauszufischen und auf dem Holzplatz oder in der Sägmühle zu verkaufen. Das war ein einträgliches Geschäft.

So schlenderte ich am Ufer hin, mit einem Auge schielte ich nach dem Alten, mit dem andern lugte ich, ob das Wasser etwas herantreiben würde. Wahrhaftig, sehe ich da plötzlich ein kleines Boot heranschwimmen, ein prächtiges Ding, zwölf bis vierzehn Fuß lang und so stolz dahersegeln wie ein Schwan. Ich schieße ins Wasser wie ein Frosch, ohne mich zu besinnen, geradeso, wie ich war, und steure auf das Boot los. Ich war darauf gefaßt, jemanden drin liegen zu sehen, der mich für meine vergebliche Mühe tüchtig auslachen würde; ich hatte schon gehört, daß sie die Leute manchmal auf solche Weise foppen. Diesmal war’s nicht so, es war wirklich ein leeres Boot, und ich kletterte hinein und lenkte es ans Ufer. Denk ich, der alte Mann wird sich freuen, wenn er’s sieht, es ist wenigstens zehn Dollar wert. Aber als ich ans Ufer kam, war der Alte noch nicht in Sicht. Plötzlich kam mir eine neue Idee, und ich legte das Boot in einer kleinen Bucht ganz unter Reben und Weiden versteckt an. Ich will es für mich behalten, dacht‘ ich, es gut verbergen und dann, statt in die Wälder durchzubrennen, in dem Boot davongehen, den Fluß hinunter rudern, mir einen versteckten Platz am Ufer aussuchen und dort mein Lager aufschlagen; dann brauche ich doch nicht zu Fuß Reißaus zu nehmen und mir die Beine abzulaufen. Da ich mich ziemlich nahe bei der Hütte befand, konnte mich der Alte jeden Augenblick überraschen, aber es gelang mir doch, das Boot sicher zu verstecken. Wie ich fertig bin und hinter einer alten Weide vorschaue – richtig, da steht er, hat aber das Gewehr an der Backe und zielt gerade nach irgend etwas. Er hatte also nichts gemerkt.

Als er näher kam, war ich eifrig mit den Angelleinen beschäftigt. Er schimpfte und brummte, daß ich so langsam sei, und ich sagte, ich sei ins Wasser gefallen bei der Arbeit, drum daure es so lange, denn ich wußte, er würde meine nassen Kleider sehen und mich ausfragen. Wir zogen fünf Katzenfische mit der Leine ans Land und gingen sehr befriedigt heim.

Nach dem Frühstück legten wir uns wieder hin, um zu schlafen, denn wir waren beide etwas erschöpft von den nächtlichen Lustbarkeiten. Vor dem Einschlafen kam mir der Gedanke, daß es für mich viel sicherer wäre, wenn ich den Alten und die Witwe ganz davon abhalten könnte, mich zu verfolgen, als wenn ich mich darauf verließe, einen möglichst großen Vorsprung zu gewinnen, bevor sie mich vermißten. Gut ist gut und besser ist besser!

Zuerst wollte mir gar nichts Gescheites einfallen; mit einemmal hebt der Alte den Kopf, um ein neues Maß Wasser zu dem vorhergegangenen hinunterzugießen, und sagt: »Wenn wieder einer um die Hütte schnüffelt, Huck, rüttelst du mich wach, hörst du? Der hatte nichts Gutes im Sinn, dem brenn‘ ich eins auf den Pelz! Also, du weckst mich!«

Dann legte er sich hin und schlief weiter. Aber was er gesagt, hatte mich gerade auf das gebracht, was ich suchte, und nun wußte ich, wie ich’s anzustellen hatte, daß niemand mir nachsetzen würde.

Gegen zwölf Uhr standen wir von unserm Lager auf und gingen den Fluß entlang. Das Wasser stieg ziemlich schnell und trieb eine Menge Holz mit sich. Auch ein Floß schwamm vorbei, oder ein Teil von einem, etwa neun zusammengebundene Baumstämme; wir stiegen in unser Boot und brachten sie ans Land. Dann kam das Mittagessen. Jeder andre hätte nun am Ufer gewartet und gesehen, was er noch weiter herausschlagen könnte, das war aber des Alten Art nicht. Neun Baumstämme waren genug für einen Rausch, so wollte er sie denn sofort zur Stadt bringen und versilbern. Er schloß mich also ein, nahm das Boot, befestigte das Stück Floß dran und ruderte fort – es war so gegen halb drei. Heute nacht würde er nicht wiederkommen, dessen war ich ziemlich sicher. Ich wartete nun, bis ich ihn gänzlich außer Hörweite glaubte, holte dann meine Säge vor und begann meine Arbeit von gestern fortzusetzen. Ehe der Alte noch das andre Ufer erreicht haben konnte, war ich glücklich aus dem scheußlichen Loch heraus und konnte gerade noch sehen, wie er als Punkt mit seinem Schiff und Floß drüben verschwand.

Ich nahm den Sack Mehl und schleppte ihn ans Boot, bog die Reben und Zweige beiseite und zog ihn hinein, dann machte ich’s geradeso mit der Speckseite und dem Branntweinkrug. Ich nahm allen Kaffee und Zucker, der da war, und alle Munition, ich nahm den Wassereimer und den Würfelbecher, den Feuerhaken und eine alte Zinntasse, meine rostige Säge, zwei Pferdedecken, den Kessel und den Kaffeetopf. Ich nahm die Angelleinen, die Schwefelhölzer, kurz alles, was sich nur wegtragen ließ, und einen Kupferdreier wert war. Ich räumte die Hütte rein aus. Eine Axt hätte ich noch gern gehabt, aber es war keine da, bis auf die eine draußen auf dem Holzhaufen, und ich wußte, warum ich die liegen ließ. Zuletzt nahm ich noch die Flinte, und dann war ich fertig.

Durch das Aus- und Einsteigen und Herausschleppen der Sachen war der Boden vor dem Loch ordentlich festgetreten worden. Daher gab ich ihm, so gut es ging, das vorige Aussehen wieder, indem ich Staub darauf streute, der auch das Sägmehl verdeckte. Das herausgenommene Stück Balken paßte ich wieder sorgfältig in die Öffnung, legte zwei Steine davor, um ’s festzuhalten, und wenn man zwei oder drei Fuß entfernt stand und nicht wußte, daß es losgesägt war, konnte man’s auch nicht bemerken. Außerdem war’s auf der Rückseite der Hütte, wo selten jemand hinkam.

Bis zum Boot gab es nur Grasboden, da war meine Spur nirgends zu entdecken, wovon ich mich überzeugte. Ich stand am Ufer und spähte in den Fluß. – Alles sicher! So nahm ich die Flinte und ging ein Stück in den Wald hinein, um irgendeinen Vogel zu schießen. Da sehe ich ein wildes Schwein. Die werden dort immer gleich wild, wenn sie erst einmal von einer Farm ausgebrochen sind. Ich schoß den Kerl und schleppte ihn zur Hütte.

Jetzt nahm ich die Axt zur Hand, zerschmetterte die Tür und hieb um mich, daß die Fetzen nur so flogen. Dann schleppte ich das Schwein bis zum Tisch, schlug ihm mit dem Beil ein Loch in den Hals und legte es auf den Boden zum Verbluten – die Hütte war nicht gedielt, sondern hatte gestampften Lehmboden. Dann nahm ich einen alten Sack, füllte ihn mit schweren Steinen, wälzte ihn durch die Blutlache und zog ihn dann hinter mir her dem Flusse zu, wo ich ihn hineinwarf. Er hatte eine breite, blutige Spur hinterlassen, die ein Blinder finden konnte. Ich wollte, Tom Sawyer wäre dabeigewesen, der hätte noch allerlei dazu erfunden, um dem Ding einen romantischen Anstrich zu geben – in solchen Sachen war er groß.

Zuletzt riß ich mir dann noch ein paar Haare aus, tauchte die Axt ins Blut, klebte die Haare hinten dran und warf die Axt in einen Winkel. Dann nahm ich das Schwein, preßte die Wunde fest gegen mich, daß sie nicht mehr tröpfeln konnte, und schleppte das Tier eine gute Strecke weit unterhalb den Fluß entlang, wo ich’s hineinwarf. Da fiel mir noch etwas anderes ein. Ich nahm den Sack Mehl und trug ihn zurück in die Hütte, dann holte ich die Säge, stellte den Sack an den Ort, an dem er gestanden, ritzte mit der Säge ein Loch hinein, denn es waren keine Messer oder Gabeln da; der Alte besorgte alles mit seinem Taschenmesser. Dann schleppte ich den Sack ein paar hundert Meter durch das Gras und die Weiden zu einem östlich von der Hütte gelegenen Teich, der voll Binsen war und – voll Enten, wenn die rechte Zeit dazu war. Am andern Ende des Sees führte ein Pfad in die Wildnis, das wußte ich, aber nicht wohin, jedenfalls aber entgegengesetzt vom Flusse. Das Mehl kam ganz langsam aus dem Riß heraus und hinterließ eine kleine weiße Spur über den ganzen Weg bis zum See, dann ließ ich noch des Alten Wetzstein fallen, als ob es zufällig geschehen sei, band das Loch im Sack mit einer Schnur zu, damit das Mehl nicht mehr herausfallen konnte, nahm den Mehlsack, holte die Säge und ging zu meinem Boot zurück.

Jetzt war’s beinahe dunkel geworden, und so ruderte ich denn das Boot eine Strecke weit den Fluß hinunter, befestigte es an einem Weidenstamm, aß ’nen Mund voll und wartete auf den Mond, der eben aufging. Ich zündete mir eine Pfeife an und begann ernstlich über meinen Plan nachzudenken. Sag‘ ich zu mir selbst: Natürlich werden sie der Spur folgen, auf der ich den alten Steinsack zum Fluß gezogen habe, und werden dann das ganze Wasser nach meiner Leiche absuchen. Und dann rennen sie hinter der Mehlspur her bis zum See und weiter durch den Wald in die Schluchten jenseits, um die Räuber zu finden, die mich gemordet und alles gestohlen haben. Außer im Fluß werden sie nirgends nach meiner Leiche suchen, des bin ich sicher, und sie werden es bald müde sein und sich nicht weiter um mich kümmern. Das ist mir gerade recht! Ich kann dann bleiben, wo ich will! Die Jackson-Insel da drüben ist gut genug für mich, dort bin ich von früher her mit jedem Schlupfwinkel bekannt, und niemand kommt je dahin. Nachts kann ich dann in die Stadt rudern und sehen, ob ich nicht hie und da etwas erwischen kann, was sich brauchen läßt. Hurra, die Jackson-Insel sei mein Reich!

Ich war ziemlich müde geworden, und das erste, was ich tat, war, daß ich einschlief. Als ich wieder aufwachte, wußte ich einen Augenblick lang gar nicht, wo ich war. Ich setzte mich auf und blickte nicht wenig verwundert nach allen Seiten. Jetzt kam mir wieder alles ins Gedächtnis zurück. Der Fluß sah aus, als sei er Meilen und Meilen breit. Der Mond schien so hell, daß ich die Holzstücke zählen konnte, die hundert Meter weit entfernt still und schwarz dahinglitten. Alles war totenstill, und es sah aus, als sei’s sehr spät, und es roch auch so, so frisch, so, so – ihr wißt, was ich sagen will, ich kann nur keine Worte dafür finden.

Ich gähnte und reckte und streckte mich und wollte gerade mein Boot losmachen und weiterrudern, als ich drüben über dem Wasser etwas hörte. Ich horchte. Bald hatt‘ ich’s heraus, was es war. Ein dumpfer regelmäßiger Laut, wie ihn Ruder von sich geben, wenn sie sieh in den eisernen Klammern bewegen, drang durch die stille Nacht. Ich spähte unter den Weidenzweigen hervor und richtig, da war’s ein Boot, das übers Wasser herüberkam. Wie viele drin waren, konnte ich noch nicht sagen. Es kam näher und näher, und bald erkannte ich, daß nur ein einziger Mann drin saß. Denk‘ ich, holla, das ist doch am End‘ der Alte, obgleich ich ihn diese Nacht nicht erwartete. Der Kahn wurde mit der Strömung unterhalb von mir angetrieben und ruderte dann im seichten Wasser dicht am Ufer herauf, so dicht, daß ich ihn mit ausgestrecktem Gewehr hätte berühren können. Und richtig – da saß der Alte, und zwar nüchtern, was ich sofort an der Art, wie er die Ruder führte, erkannte.

Jetzt galt’s, keine Zeit zu verlieren. Im nächsten Augenblick trieb ich leise aber schnell den Strom hinunter, immer im Schatten des Ufers hin. So ruderte ich eine oder zwei Meilen weiter, dann ließ ich mein Boot mehr der Mitte des Flusses zutreiben, da ich wußte, daß das Fährhaus in der Nähe sein mußte, von dem mich die Leute bemerken und anrufen konnten. Ich war nun mitten im Treibholz drin, zündete mir eine Pfeife an, legte mich längelang in mein Boot und ließ mich von den Wellen treiben.

Da lag ich und rauchte, und starrte in den Himmel, an dem kein Wölkchen stand. Daß der so bodenlos tief aussehen kann, wenn man so im Mondschein auf dem Rücken liegt und immerzu hineinstarrt, hatte ich gar nicht gewußt. Aber so war’s! Und wie weit man in solcher Nacht auf dem Wasser hören kann! Ich hörte die Leute an der Fähre sprechen und konnte jedes Wort verstehen, das sie sagten. Der eine meinte, die Tage würden nun immer länger und die Nächte kürzer. Drauf sagte ein andrer, die heutige sei aber keine von den kurzen, worauf alle lachten; er wiederholte den Ausspruch, den er wohl für einen guten Witz hielt, und die andern lachten wieder. Dann sagte einer, es sei schon drei Uhr, hoffentlich bliebe der Morgen nun keine Woche mehr aus, was wieder viel Spaß erregte, und dann trieb mein Boot weiter und weiter, und die Stimmen wurden allmählich undeutlich, so daß ich nur noch den Ton hören, aber die Worte nicht mehr verstehen konnte; das Lachen hörte ich noch länger, aber dann verklang auch das.

Nun war ich ziemlich weit unterhalb der Fähre. Ich erhob mich und erblickte vor mir die Jackson-Insel, die sich – mit dichtem Wald bestanden – von fern groß und dunkel und massig, wie ein Dampfschiff ohne Lichter, vom Wasser abhob. Die Sandbank vorn konnte man nicht sehen; das Wasser stand zu hoch im Augenblick.

Bald war ich dort. Erst trieb mich die starke Strömung an der Spitze vorbei, dann kam ich in stilles Wasser und landete am Ufer gegen Illinois zu. Ich versteckte mein Boot in einer kleinen Bucht, die ich kannte, in dichtem Weidengebüsch, so daß es kein Mensch von außen entdecken konnte. Hurra, nun war ich sicher!

Dann kroch ich am Ufer hinauf, setzte mich auf einen Baumstamm und sah auf den mächtigen Strom hinaus, auf dem das viele Treibholz so schwarz und so still dahinglitt. Weit, weit da drüben lag die Stadt, drei oder vier Lichter glitzerten wie Sterne von dorther. Jetzt kam ein mächtiges Holzfloß mit einer Laterne daher. Ich beobachtete es, wie es so langsam näher schwamm. Ein Mann stand drauf, und ich hörte ihn sagen: »Achtung, Jungens da vorn, he, Steuerbord!« Es war, als ob er neben mir stünde, und er war doch weit da draußen mitten auf dem Strom.

Am Himmel zeigte sich jetzt ein Streifchen Grau, und ich zog mich in den Wald zurück, um mich noch ein wenig aufs Ohr zu legen vorm Frühstück.

8. Kapitel

Schlafen im Walde – Auferweckung der Toten – Auf der Wacht! – Expedition ins Innere der Insel – Ruhelose Nacht – Jim erscheint – Jims Flucht – Schlimme Anzeichen – »Das einbeinerige Nigger« – »Balam«

8. Kapitel

Die Sonne stand hoch am Himmel, als ich erwachte, und es war sicher schon acht Uhr, wenn nicht mehr. Ich lag im Gras unter dem Schatten der Bäume und fühlte mich so behaglich und zufrieden, wie der Vogel im Nest. Die Sonne war nur durch einige Lücken zwischen ein paar Bäumen zu erblicken, sonst standen die Bäume jedoch so dicht, daß sie alles in dunklen Schatten hüllten. An der Stelle, wo sich das Licht durch die Blätter stahl, sah’s am Boden wie gesprenkelt aus, und an dem Hin- und Hertanzen der glänzenden Flecke merkte man, daß oben ein leiser Wind wehte. Ein paar Eichhörnchen saßen auf einem Ast und blinzelten mir freundlich zu.

Ich war mächtig faul und bequem und dachte gar nicht daran, aufzustehen und das Frühstück zu bereiten. Gerade schloß ich die Augen wieder, um noch einmal einzuduseln, als ich, freilich noch unbestimmt, ein tiefes, fernes ›Bum – bum‹ auf dem Fluß zu hören meinte. Ich richtete mich halb auf, stützte den Kopf in die Hand und horchte. Da schallt’s wieder! Nun aber auf und ans Ufer und durch’s Gebüsch hinausgespäht! Und richtig, eine gute Strecke weiter oben, ungefähr der Fähre gegenüber, sehe ich eine Rauchwolke auf dem Wasser liegen. Da kommt auch die Fähre und ist voller Leute. Jetzt wußte ich, woran ich war! Bum! Ein kleines Rauchwölkchen kommt aus der Seite des Schiffes, ich kann’s deutlich sehen. Weiß Gott! Sie feuern die Kanone über dem Wasser ab, um meinen Leichnam an die Oberfläche zu treiben!

Ich war unterdessen tüchtig hungrig geworden, durfte aber nicht dran denken, Feuer anzuzünden; der Rauch hätte mich verraten können. So setzte ich mich denn hin und hörte dem Bumbum der Kanone zu und sah dem Rauche nach. Der Fluß war hier eine halbe Stunde breit und sieht an einem Sommermorgen immer wundervoll aus – ich hatte also eine ganz vergnügliche Zeit, während sie dort nach meinen irdischen Resten suchten. Nur hätte ich gern etwas zu essen gehabt! Da fiel mir auf einmal ein, daß die Leute Quecksilber in einen Brotlaib zu stecken pflegen und den ins Wasser werfen, weil sie sagen, der treibe direkt dem toten Körper zu. Holla, denk‘ ich, kannst vielleicht so ein Totenbrot erwischen, wird dir viel besser schmecken als deinem Leichnam. Und richtig, kaum seh‘ ich mich um, kommt auch schon was dahergeschwommen, was einem Brot verzweifelt ähnlich sieht. Mit einer Stange zieh‘ ich’s ‚ran, erwisch’s auch glücklich, und wahrhaftig, es ist das schönste Bäckerbrot, wie’s die feinen Leute essen, keins von dem harten, grauen, armseligen Zeug, an dem sich unsereiner sonst die Zähne ausbeißt. Man muß wahrlich erst sterben, um so eins zu bekommen!

Da saß ich denn auf meinem Baumstamm, ließ mir mein Brot schmecken und sah den Anstrengungen meiner Leichenjäger zu. Auf einmal kommt mir der Gedanke, der mir ordentlich heiß macht. Siehst du, denk‘ ich so bei mir, da hat gewiß die Witwe oder der Pfarrer gebetet, daß mich das Brot erreichen solle, und weiß Gott, da ist’s zu mir hergeschwommen! Muß also doch etwas dran sein! Heißt das, nur wenn’s die Witwe oder der Pfarrer oder sonst jemand tut, denn mir selbst wollt’s nie gelingen, es mußte irgendwo einen Haken haben. Es wirkt eben nur bei der richtigen Sorte!

Nun zündete ich mir mein Pfeifchen an und schaute immerzu nach dem Fährboot aus. Es trieb mit der Strömung daher, und da die sich längs der Insel hinzog, kam es sicher dicht an mir vorüber, wie das Brot auch. Auf diese Weise konnte ich mir meine lachenden Erben genau betrachten. Wie’s näher und näher kam, löschte ich meine Pfeife, stieg zum Ufer hinunter und legte mich dicht hinter einen Baumstamm, der zwei Äste hatte, wo ich bequem durchschielen konnte.

Jetzt kamen sie heran, und zwar so dicht, daß sie auf einer Planke bequem ans Ufer hätten kommen können. Fast alle meine Bekannten waren im Boot. Der Alte, der doch ein wenig betreten aussah, und der Kreisrichter und seine Tochter, und Joe Harper und Tom Sawyer mit seinem Bruder, seiner Schwester und der alten Tante Polly und sonst noch andre. Die Witwe und Miss Watson vermißte ich, die waren wohl zu tief gebeugt vor Kummer. Alle sprachen von dem Mord, bis sie der Kapitän unterbrach, indem er rief: »Sehen Sie sich jetzt hier gut um, meine Herrschaften, hier an der Insel ist der Strom am reißendsten. Da ist es leicht möglich, daß er ans Ufer gespült worden ist und hier im Gestrüppe hängt. Wenigstens hoffe ich, daß wir ihn hier finden!«

Das hoffte ich nun gar nicht! – Sie drückten sich jetzt alle ans Geländer, starrten ins Wasser und wagten kaum zu atmen, ich hätte ihnen ins Gesicht lachen mögen, so komisch kamen mir die ernsten Mienen vor, die sie schnitten.

»Bumm – mm – m – m!« Die Kanone knallte diesmal so dicht neben mir los, daß ich beinah taub von dem Schlag und blind von dem Rauch wurde und meinte, ich sei des Todes. Wären ein paar Kugeln drin gewesen, dann hätten sie den Leichnam, nach dem sie suchten, gewiß bekommen. Ganz allmählich kam ich wieder zu mir und merkte, daß ich, Dank dem Himmel, wirklich noch heil und ganz sei. Inzwischen war das Boot schon weit an der Insel entlanggefahren und bald ganz außer Sicht. An der Spitze der Insel wendeten sie und fuhren an der andern Seite herauf, immer ab und zu ein Bum hören lassend. Ich rannte quer über die Insel und konnte sie nun noch einmal sehen, wie sie, der Totenjagd müde, der Stadt zusteuerten. Nun hoffte ich, wieder meine ungestörte Ruhe zu haben!

Ich schaffte meine Siebensachen aus dem Boot herauf und richtete mich mitten im dichtesten Walde häuslich ein. Mit meinen Decken machte ich mir eine Art Zelt und stellte meine Habseligkeiten darunter, um sie vor etwaigem Regen zu schützen. Hernach fing ich mir einen Fisch, zündete ein Feuer an und kochte mein Abendessen. Dann warf ich noch eine Leine aus, um auch für das Frühstück am andern Morgen gesorgt zu haben.

Als es dunkel wurde, setzte ich mich rauchend an mein Feuer und war sehr wohl zufrieden mit mir selbst. Allmählich aber fühlte ich mich ein bißchen einsam, ging ans Ufer und sah den Wellen zu, wie sie vorbeizogen, sah die Sterne am Himmel blitzen, zählte sie und dann die Stücke Holz, die vorbeitrieben, und darauf ging ich zurück und legte mich schlafen. Ein beßres Mittel, sich das Gefühl der Einsamkeit zu vertreiben, gibt es gar nicht.

So ging’s nun drei Tage und Nächte weiter, immer dasselbe ohne jede Abwechslung. Dann aber fiel mir ein, eine Expedition ins Innere zu unternehmen. Die Insel war mein Reich, ich war hier sozusagen Alleinherrscher und wollte jeden Winkel kennenlernen; vor allem aber galt’s, die Zeit totzuschlagen. Ich fand eine Masse schöner, reifer Erdbeeren und dabei eine Menge andrer noch unreifer Beeren, die aber alle mit der Zeit eßbar werden würden, wie ich hoffte.

Ich schlug mich also durch den dichten Wald, bis ich dachte, nun müsse das Ende der Insel ungefähr erreicht sein.

Meine Flinte hatt‘ ich auch mitgenommen, aber noch gar nichts geschossen, ich fürchtete, der Knall könne mich verraten. Fast wäre ich über eine ganz ansehnliche Schlange gestolpert; sie ringelte sich durch das Gras und die Blumen weiter, ich immer dahinter her, seh‘ weder rechts noch links und stehe plötzlich vor der Asche eines Lagerfeuers, die noch warm war und rauchte.

Mein Herz fiel mir fast in die Stiefel. Ohne mich viel umzusehen, schlich ich mich, so leise ich konnte, auf den Fußspitzen davon. Von Zeit zu Zeit stand ich ein wenig still und spitzte die Ohren, mein Herz schlug aber so laut, daß ich gar nichts hören konnte. Noch ein Stück weiter schleichend lauschte ich dann wieder, und so machte ich’s abwechselnd eine ganze Zeitlang. Sah ich einen Baumstamm, so hielt ich ihn für einen Menschen, trat ich auf einen Ast und der knackte, so war mir’s, als schnitte mir jemand den Atem entzwei und ließe mir nur die eine Hälfte davon, und zwar die kleinere.

In meinem Lager angelangt, war mir nicht mehr sonderlich unternehmungslustig zumute, mein Barometer war beträchtlich gesunken, und ich dachte bei mir: Sei kein solcher Narr und schnüffle da noch lange im Wald herum! Pack deine Siebensachen ins Boot, dann bist du zur Flucht bereit, wenn’s gilt! – Schlepp‘ ich also meinen ganzen Kram wieder ans Wasser und ins Boot hinein, lösch‘ mein Feuer und reiß‘ die Asche auseinander, so daß man denken konnte, es habe vor einem Jahr zum letztenmal gebrannt, und setze mich dann oben auf einen Baum, um Ausschau zu halten.

So saß ich also da oben eine oder zwei Stunden und hörte nichts und sah auch nichts, meinte aber immer tausenderlei zu sehen und zu hören. Ewig konnte ich dort nicht kleben bleiben, und so kroch ich denn wieder herunter, hielt mich aber doch immer im dichten Wald und gab gut acht auf alles um mich her. Zum Essen hatte ich nur Beeren und was mir vom Frühstück übriggeblieben war.

Als es dunkel wurde, war ich denn auch ziemlich hungrig geworden. Bevor der Mond aufging, nahm ich mein Boot, ruderte hinüber ans Illinoisufer, landete dort und kochte mir im Wald mein Essen. Eben wollte ich mir mein Nachtlager zurechtmachen, da – trab, trab, trab – höre ich Pferdehufe und kann auch Stimmen unterscheiden. Ich, nicht faul, auf, und alles ins Boot zurückgeschleppt, dann aber kroch ich wieder herbei, um zu sehen, was los sei.

Weit kam ich nicht, als ich plötzlich einen Mann sagen hörte: »Wenn wir einen geeigneten Platz finden, lagern wir am besten hier, die Pferde sind todmüde.«

Ich zögerte nicht lange, sondern kroch schleunigst zu meinem Boot zurück und ruderte davon. An der alten Stelle legte ich wieder an und entschloß mich, für heute im Boot zu übernachten.

Schlafen konnte ich aber nicht viel, die Gedanken hielten mich wach, und wenn ich dann einmal einnickte und wieder erwachte, meinte ich jedesmal, es habe mich schon einer am Kragen. Das war mir nun sehr ungemütlich. So konnte ich nicht weiterleben, und da denk‘ ich: Du gehst und siehst, wer mit dir auf der Insel wohnt, um jeden Preis, und wenn du darüber zugrunde gehst! Danach war mir besser zumute.

Gedacht, getan! Ich nehm‘ mein Ruder, geb‘ dem Boot einen leichten Stoß und laß es sachte im Schatten des Ufers an der Insel entlanggleiten. Der Mond schien so klar, und draußen auf dem Fluß war’s hell wie am Tage. Eine Stunde wohl trieb ich so dahin, alles um mich her war lautlos, wie im tiefsten Schlaf. Das Ende der Insel hatte ich nun beinahe erreicht. Ein kühles Lüftchen erhob sich und begann lustig zu wehen, und das war so gut, wie wenn mir einer gesagt hätte, nun sei’s vorbei mit der Nacht. Ich wendete also mein Boot und ließ den Schnabel ans Land stoßen, nahm meine Flinte und schlüpfte lautlos in den Wald. Dann setzte ich mich auf einen Baumstamm und sah zu, wie der Mond allmählich verschwand, Dunkelheit das Wasser deckte und dann im Osten ein schmaler, grauer Streifen den Tag ankündigte. Nun hing ich mein Gewehr über und stahl mich leise zu dem Ort, an dem ich das Lagerfeuer gesehen. Ich hatte aber kein Glück und konnte die Stelle lange nicht wiederfinden. Endlich erblickte ich einen Feuerschein durch die Bäume. Ich schlich sachte heran, und als ich ganz nahe war, fiel mein Blick auf einen Mann, der am Boden lag. Ich meinte, ich müsse vergehen. Der Mann hatte ein Tuch um seinen Kopf geschlungen und lag mit dem Kopf beinahe im Feuer. Ungefähr sechs Fuß entfernt kauerte ich im Gebüsch und wandte keinen Blick von ihm. Es war inzwischen dämmerig geworden und wurde heller und heller. – Mit einem Male reckt er sich, gähnt, streckt sich, fängt an, sich aus der Decke zu wickeln. Mir bleibt das Herz eine Sekunde still stehen, als ich dann aber genauer hinsehe, wen entdecke ich da? – Jim, Miss Watsons Jim, den alten, treuen Nigger! Wie froh war ich, ihn zu sehen!

»Jim, holla Jim!« schrei ich und jage hinterm Buschwerk vor.

Er starrt mich an mit rollenden Augen, faltet die Hände und sinkt in die Knie: »Nix tun, alte Jim nix tun! Sein nur arme alte Nigger, sein nix bös mit arme Geist! Alte Jim haben immer lieb gehabt arme Geist von tote Mensch. Du gehen wieder in die Wasser, wo du kommen her. Nix tun gute alte Jim, nix tun Geist von arme Huck, sein immer gewesen deine gute Freund!«

Bald hatte ich ihm begreiflich gemacht, daß ich nicht tot und auch nicht mein Geist sei. Ich war so froh, Jim gefunden zu haben; so war ich jetzt doch nicht mehr allein. Ich sagte ihm, mir sei nicht bange, daß er mich verraten würde. Ich schwatzte und schwatzte, und er saß da und starrte mich noch immer ungewiß an, tat aber den Mund nicht auf.

Endlich sag‘ ich: »Geh, ’s ist beinah hell, laß uns das Frühstück kochen. Schürs Feuer tüchtig, alter Kerl!«

»Warum sollen Jim schüren Feuer? Sollen kochen Erdbeeren un solcher Zeug? Du haben Flinte warraftig, du schießen anner Sach wie Erdbeeren!«

»Erdbeeren und solcher Zeug?« wiederhol‘ ich, »hast du davon gelebt bis jetzt, armer Teufel?«

»Haben nix können anners finden!« antwortete er.

»Wie lang bist du denn schon hier, Jim?«

»Sein Jim kommen in die Nacht, wenn du sein gestorben!«

»Was? Schon so lange?« – »Ja, warraftig!«

»Und die ganze Zeit hast du nur von Beeren und solcher Zeug gelebt?«

»Nur solcher schlechte Zeug, arme Jim!«

»Ei, du mußt ja halb verhungert sein, armer Kerl!«

»Jim könnten essen ganze Pferd, könnten Jim, warraftig! Wie lang du sein auf Insel?«

»Seit der Nacht, in der ich getötet wurde!«

»Warraftig! Was du haben gessen? Ach, du haben Flint! Das ’s gut! Jetzt du schießen gute Braten, Jim dann machen Feuer an!«

Nun gingen wir zuerst zum Boot, und während er einen guten Platz aussuchte zum Feueranmachen, holte ich Mehl, Speck, Kaffeetopf, Bratpfanne, Zucker und Blechtassen. Jim starrte nur so mit offenem Munde, als er die vielen Sachen sah, und dachte, es sei eine Hexerei im Spiel. Dann fing ich einen tüchtigen Fisch, Jim machte ihn zurecht und briet ihn.

Als das Frühstück fertig war, verschlangen wir’s kochend heiß, namentlich Jim ging mit Dampfkraft ans Werk; er war wirklich ganz ausgehungert, der arme Bursche. Als wir uns gehörig gestopft hatten, legten wir uns bequem in das Gras hin, und Jim sagte: » Aber, Huck, gute liebe Huck, hör mal alte Jim. Wer denn sein worden tot gestochen in alte Hütte drüben?«

Ich erzählte ihm alles, und er fand’s furchtbar klug und pfiffig. Er sagte, selbst Tom Sawyer hätte es nicht feiner fertigbringen können. Ich fühlte mich sehr stolz auf sein Lob hin und fragte dann: »Aber wie in der Welt kommst du hierher, Jim? Wie und warum?«

Er sah mich unruhig an, schwieg aber und sagte kein Wort. Dann meinte er: »Jim lieber nix sagen!«

»Warum, Jim?«

»Jim wissen warum! Du werden doch alte Jim nix verraten, Huck, werden doch nix?«

»Hol mich der und jener, wenn ich’s tu‘, Jim!«

»Jim dir glauben, alte Jim dir glauben, Huck! Jim, – arme alte Jim sein davongelaufen!«

»Jim!!!«

»Huck, du Jim nix verraten, du versprechen, Huck – du nix sagen von arme Jim!«

»Gut, ich hab’s versprochen, Jim, und ich halt‘ mein Wort, straf mich Gott, ich halt’s! Und wenn sie mich drum verachten und tothauen und einen Ablitionisten Abolitionisten hießen die Gegner der Sklaverei vor dem Bürgerkrieg. schimpfen, das ist mir alles eins. Ich sag‘ nichts und ich geh‘ auch nicht wieder zurück, Jim, also heraus mit der Sprache!«

»Ja, Huck, sein da gewesen so! Alte Missus – was sein Miss Watson – hat arme Jim so viel geplagt, sein gewesen so viel bös mit arme, alte Jim, hat aber immer versprochen, will arme Jim nix verkaufen nach New Orleans. Aber da sein gekommen Nigger-Händler, haben viel gehandelt mit alte Missus, sein Jim geworden so arg unruhig. Eine Abend spät arme, alte Jim sein gelegen vor die Türe, haben hören alte Missus sagen zu die Witwe: ›Missus Douglas‹, sie sagen, ›ich nix wollen verkaufen meine Nigger, aber achthundert Dollar sein schöne Stück Geld, sein viele, viele Geld, ich nix wissen was tun!‹ Sagen die Witwe: ›Oh, nix verkaufen arme, alte Jim, sein gute Kerl, sein brave Nigger!‹ Jim das hören un warten da nix länger, rennen nur fort, fort, schnell, schnell!

Rennen weiter, immer weiter an die Fluß, wollen stehlen Boot an die Wasser, sehen Jim aber Leute, Leute und immer Leute, warraftig die ganze Nacht, immer müssen jemand da sein. Legen sich Jim in die Schilf zum Warten. Kommen schon um sechs Uhr in die Morgen viele Menge Herren und Damens, steigen in die Boot, sagen, Huck sein tot gemacht drüben in die Wald, wollen gehen und sehen die Mordplatz. Waren arme Jim so traurig, wenn er das hören, denken er: Arme Huck, waren so brave Bursch, so junge Bursch, so lustige Bursch! Arme Huck!

Arme, alte Jim müssen liegen also in die Schilf ganze Tag lang. Sein er furchtbar hungrig, aber gar nix ängstlich. Er wissen, alte Missus und die Witwe wollen gehen früh in die Morgen über Land in große Gebetsversammlerung. Jim müssen treiben die Vieh in die Feld, werden sie ’n also nix suchen jetzt.

In die Abend kriechen Jim also raus un gehen weiter, Fluß nunter. Denken er, was tun? Denken er, wenn Jim gehen zu Fuß, kriegen ’n die Hunde, wenn er stehlen Schiff, kriegen ’n die Menschen, er müssen haben Floß, Floß sein gut, lassen keine Spur hinter sich.

Er also sehen um sich – un sehen bald Licht schwimmen in die Wasser. Er denken, das sein Floß, springen in die Wasser un schwimmen bis weit, weit in die Mitt! Kommen auch warraftig Floß daher, und Jim, alte, arme, nasse Jim halten sich fest un setzen sich drauf ganz hinten. Er denken, Nacht sein schwarz, Jim sein auch schwarz, werden also nix gesehen, und legen er sich so auf die Rücken. Sein viele Männer vorn bei die Licht, spielen un lachen un trinken, un arme Jim denken, er können fahren so die ganze Nacht.

Haben aber kein Glück nix, arme Jim! Kaum sein die Floß hier an ‚r Insel, kommen einer mit Latern auf Jim los. Arme Jim müssen wieder in kalte Wasser! Schwimmen so nach ‚r Insel, müssen lang suchen, bis er können landen, sein Ufer so viel steil. Er gehen in die Wald, wollen nix mehr wissen von Floß, wo Mann mit Latern kommen. Haben aber doch noch sein‘ Pfeif und trockene Schwefelhölzer in sein Kapp, so er sein ganz zufrieden, alte Jim!«

»Und so hast du die ganze Zeit gar kein Fleisch und gar kein Brot zu essen gehabt, armer Jim? Hast dich natürlich immer nur im dicksten Wald versteckt halten müssen! Hast du gehört, wie sie die Kanone losfeuerten?«

»Warraftig ja, Jim denken: Arme, kleine Huck, jetzt sie suchen nach seine Knochen! Jim haben auch Boot gesehen durch die Busch!«

Jetzt kamen ein paar junge Vögel daher, sie flogen immer einige Meter weit und ließen sich dann nieder. Sagt Jim, das sei ein Zeichen von Regen, wenigstens bei jungen Hühnern sei es eines, dann werd’s wohl auch so bei andern jungen Vögeln sein. Ich wollte mir ein paar fangen, Jim aber hielt mich zurück, das bedeute Tod, sagt er. Sein Vater sei einmal sehr krank gewesen, sagt er, und einer von ihnen habe einen Vogel gefangen, worauf die alte Großmutter gleich gesagt habe, nun werd‘ der Vater sterben, und richtig, so sei’s gewesen, er sei gestorben, aber freilich erst etwas später.

Jim sagt auch, man dürfe die Sachen nie aufzählen, die man zum Mittagessen kocht, das bringe Unglück, ebenso wenn man das Tischtuch nach Sonnenuntergang ausschüttle. Und er sagt, wenn ein Mann stirbt, der einen Bienenstock hat, so muß man’s den Bienen sagen, eh‘ die Sonne am nächsten Morgen aufgeht, oder sie hören alle auf zu arbeiten und sterben auch. Die Bienen stechen nie Dummköpfe, sagt Jim, das aber glaub‘ ich ihm nicht, denn oft und oft war ich hinter ihnen her, und sie haben mich noch nie gestochen, und ich halt‘ mich nicht gerade für einen Dummkopf.

Vieles hatte ich schon vorher gehört, aber doch nicht alles. Jim wußte alle Arten von Vorzeichen, sagte, er kenne beinahe alle. Mir schien’s, als ob alle Vorzeichen immer nur Schlechtes bedeuten, und so fragte ich ihn, ob’s nicht auch einige gäbe, die Glück brächten. Darauf meint‘ er: »Furchtbar wenig! – und die sein nix viel wert. Warum du denn wollen wissen, wenn Glück kommen? Du dich wollen schützen vor ihr? Glück sein mächtig stark, Glück kommen ganz von selbst ohne Zeichen. Wenn du haben Haar an die Brust un Haar auf die Arm, du werden noch reich einmal. Sein gutes Zeichen das! Wenn du sein arm und elend und wollen lieber gar nix mehr leben, du sehen auf die Haar und denken, warten mal noch bißchen, wird kommen besser – bald, bald!«

»Hast du haarige Brust und Arme, Jim?«

»Warum du fragen das? Du das nix selbst sehen? Jim haben Haare!«

»Drum eben! Bist du reich?«

»Nein, aber Jim sein gewesen so reich un Jim werden wieder reich einmal, bald! Einmal er haben vierzehn Dollars gehabt – vierzehn Dollars – aber Jim haben spekliert un alles – verloren!«

»In was hast du denn spekliert, Jim?«

»In ‚r Kuh, Huck, in ‚r lebendigen Kuh! Dumme, alte Jim, gehen hin und stecken zehn Dollars in alte, kranke Kuh, elend Vieh, was krepiert nach drei Tag!«

»Und die zehn Dollars, Jim, waren futsch?«

»Nein, nix ganz futsch! Nur neun! Jim gehen hin und verkaufen die Haut un den Talg für ein Dollar zehn Cents!«

»Sind dir also noch fünf Dollars und zehn Cents geblieben, Jim. Weiter! Hast du noch mehr spekliert

»Ja! Huck, du kennen das einbeinerige Nigger, das dem alten Mista Bradish sein? Altes Nigger da gründen eine Bank un sagen, jeder Nigger, was einen Dollar bringt, kriegen vier am End von die Jahr. Alle Niggers laufen un bringen sein Geld, haben aber nur nix viel. Sein Jim der einzige, wo hat viel, so er wollen haben auch mehr als wie annre Niggers. Er sagen, wenn Jim kriegen nix mehr, er selber wollen halten Bank. Das einbeinerige Nigger wollen das nicht haben, sagen, es sein zu wenig Geld für zwei Banken, er wollen Jim geben fünfunddreißig Dollars for fünf am End‘ von die Jahr.

Dumme Jim also geben fünf Dollars in die Bank. Denken dann, er gleich wollen anlegen die fünfunddreißig Dollars un nix warten auf die End von die Jahr. Eine annre Nigger, Bob, haben gefischt viele Holzstämme aus die Wasser, ganze Floß, ohne daß’s seine Herr wissen. Jim kaufen also die Holz un sagen, Bob sollen sich lassen geben die fünfunddreißig Dollars, wo sein in Bank am End von die Jahr. In die Nacht aber werden die Holz gestohlen, und die annre Morgen sagen das einbeinerige Nigger, Bank sei falliert un so keiner nix kriegen Geld, Jim sein fünf Dollars sein weg!«

»Und die zehn Cents, Jim, wo hast du sie hingebracht?«

»Erst Jim wollen sich was kaufen mit. Da er träumen in die Nacht, er sollen geben die zehn Cents alte Nigger Balam – Balams Esel er heißen, weil er sein so viel dumm –, haben aber immer Glück, alte Balam, un arme Jim haben gar nix Glück! Sagen also Traum: Jim sollen geben Balam Geld un lassen Balam ihr anlegen, dann Jim werden haben auch Glück! Balam also nehmen zehn Cents, gehen in die Kirche un hören Pfarrer sagen: ›Wenn du geben die Armen, du leihen die Herrn un du werden kriegen hundertfach alles zurück!‹ Alte Balam also, er geben die zehn Cents annre arme, alte Nigger un sitzen un warten, was jetzt kommen!«

»Nun, und was kam dann, Jim?«

»Nie nix, Huck! Arme Jim sein Cents war auch noch weg. Du werden kriegen hundertfach, sagt’r Pfarrer. Hundertfach! Jim wollten sein so froh mit sein arme, kleine zehn Cents, wenn er’s wieder hätten!«

»Na, Jim, laß gut sein! So lang du noch die Haare auf deiner Brust und deinen Armen hast, wirst du ja noch reich werden!«

»Warraftig! Un Jim sein schon reich jetzt! Jim sein doch sein eigen Herr! Hätten er nur die Geld, arme Jim, mehr er gar nix wollen!«

9. Kapitel

Die Höhle – Das schwimmende Haus – Reiche Beute

9. Kapitel

Ich wollte nun noch einmal einen Ort aufsuchen, den ich bei meiner Expedition neulich entdeckt hatte, ungefähr in der Mitte der Insel. So machten wir uns auf die Beine und waren auch bald dort, denn die ganze Insel war nur ungefähr eine Stunde lang und eine halbe breit.

Der Ort, an den ich hin wollte, war ein ziemlich steiles Felsenriff oder eine Art Hügel, gegen 40 Fuß hoch. Das Hinaufklettern ward uns schön sauer, denn der steile Abhang war voll dichten Buschwerks. Oben krabbelten wir ringsherum und entdeckten auf der Seite nach Illinois, ziemlich an der Spitze, eine schöne, große Höhle. Sie war so groß wie zwei oder drei Zimmer zusammen, und Jim konnte aufrecht drin stehen. Und so schön kühl war’s da drinnen! Jim sagte, wir sollten gleich hier Quartiere aufschlagen, mir aber wollte das ewige Klettern nicht ganz passen.

Jim aber meinte, wenn wir unser Boot versteckten und alle unsere Sachen hierher brächten, so könnten wir uns so schön verbergen, wenn einmal irgend jemand käme; ohne Hunde könnte uns dann kein Kuckuck finden. Und, sagt er nochmals eindringlich, die jungen Vögel von vorhin hätten doch Regen angezeigt, ob ich durchaus alles eingeweicht haben wollte!

Das leuchtete mir ein! Wir trotteten also zurück und ruderten das Boot bis zu einem Platz am Ufer, der unserm Felsen möglichst nahe war, schifften unsre Habseligkeiten aus und verbargen sie in der Höhle. Dann fanden wir unter dichtem Weidengestrüpp ein Versteck für unser Boot, sahen nach der Fischleine, nahmen einige Fische weg, warfen die Leine wieder aus und dachten nun an unser Mittagbrot.

Die Öffnung der Höhle war ziemlich groß, und an einer Seite war der Boden etwas erhöht, wo man bequem ein Feuer anzünden konnte, was wir denn auch gleich taten und unser Essen kochten.

Unsere Decken legten wir als Teppiche auf den Boden, lagerten uns darauf und verzehrten unser Mahl. Alle andern Dinge ordneten wir im Hintergrund der Höhle. Bald danach sah man draußen wirklich graue, dicke Wolken, und es fing an zu blitzen und zu donnern; die jungen Vögel hatten diesmal also wahrhaftig recht gehabt! Ein solches Unwetter hatte ich noch nie erlebt. Das goß und goß; wahre Fluten sausten durch die Luft, daß alles draußen grauschwarz aussah und die nächsten Bäume nur noch wie Spinngewebe aussahen. Bei jedem Windstoß fuhren die Bäume mit den Kronen nach unten, als wollten sie Purzelbäume machen und zur Abwechslung einmal die Wurzeln in die Luft strecken; alles schien wie toll und losgelassen. Da – als es gerade noch am schwärzesten ist und am tollsten rast – wird auf einmal alles hell und klar, wie blankes Gold, daß man weit, weithin die Bäume herüber und hinüber schwanken sieht; im nächsten Moment ist wieder alles stockfinster, der Donner bricht mit einem furchtbaren Krach los und geht dann über in ein Gerumpel, als ob leere Fässer steile Treppen hinabgerollt würden, wo sie so recht stoßen und poltern und krachen können.

»Das ist nett, Jim«, sag‘ ich, »Gott sei Dank, daß wir im Trocknen sind. Reich mir doch den Fisch noch mal her und ein ordentliches Stück Brot.«

»Alte Jim aber sein schuld, daß du sein hier, Huck. Ohne alte Jim du wären naß un kalt un halber ertrinkt da drunten im Wald. Ja, ja, Kind, junge Hühner wissen, wann Regen kommt, un junge Vogel auch!«

Der Strom stieg und stieg, zehn oder zwölf Tage lang, bis er zuletzt aus dem Ufer trat. Die Insel war an den niedrigen Stellen drei bis vier Fuß unter Wasser. Am Tag ruderten wir überall drauf umher. Es war herrlich kühl inmitten des Waldes, während die Sonne draußen stach und brannte.

Der ganze Strom war wieder voll von Treibholz. Einmal fischten wir ein tüchtiges Stück von einem Holzfloß heraus, das aus neun dicken tannenen, fest zusammengezimmerten Bohlen bestand. Es war vielleicht zwölf Fuß breit und ungefähr fünfzehn bis sechzehn lang, ein starkes, solides Ding, das wir sogleich unter den Weiden versteckten, im Gedanken, daß es uns vielleicht noch einmal gute Dienste leisten könnte, was denn auch wirklich später der Fall war. In einer Nacht – tags wagten wir uns nicht heraus –, gerade ehe es zu dämmern anfing, sahen wir ein Haus, ein wirkliches Haus, aus Holz gezimmert, auf einem kurzen Floß dahertreiben. Wir natürlich drauflos, angelegt und zum untern Fenster hineingeguckt. Sehen konnten wir noch nichts, und so machten wir unser Boot fest und warteten geduldig, bis es tagen würde.

Wir waren noch nicht an der Insel vorbei, als es hell genug wurde, um alles unterscheiden zu können. Wir guckten also ins Zimmer hinein, sahen ein Bett, einen Tisch, zwei alte Stühle und eine Menge Dinge überall umhergestreut. In der Ecke lag etwas, das wie ein Mensch aussah, sich aber nicht rührte.

»Holla, ihr da!« ruft Jim. Es regt sich nichts. Nun schrei‘ ich – keine Antwort.

Dann sagt Jim: »Der nix schlafen, der sein tot. Du bleiben hier, Huck, Jim sehen nach.«

Er lief drauf zu, beugt sich über ihn, betrachtet ihn und sagt dann: »Der sein tote Mann! Ja, warraftig, un Kleider sein auch fort. Sein geschossen in den Rücken. Sein schon lange tot, vier Tag, fünf Tag. Komm rein. Huck, aber nix hinsehen, sein schauderhaft – puh!«

Ich sah mich also nicht um. Jim warf dann ein paar alte Lumpen über die Leiche, hätte es aber nicht zu tun brauchen, mich zog’s wahrlich nicht dahin. Alte schmutzige Karten lagen auf dem Boden herum, Schnapsflaschen dazwischen, auch zwei schwarze Tuchmasken, und die Wände waren mit dummen Sprüchlein und Bildern bemalt, die einer mit Kohle draufgeschmiert hatte. Ein paar schmutzige Kattun-Kleider, ein Frauenstrohhut und einige Unterröcke hingen an der Wand, auch Mannszeug war dabei. Auf dem Boden lag ein gestreifter Kinderstrohhut, unweit von einer zerbrochenen Milchflasche für einen Säugling. Ein alter Koffer, von dem die Scharniere losgerissen waren, lag offen da; es war nichts von Wert darin. Man sah, die Bewohner hatten keine Zeit zu einem feierlichen Abschied von ihrem Heim gehabt, als sie es verließen.

Wir schleppten eine Menge Sachen in unser Boot, weil wir dachten, mit der Zeit ließe sich alles verwenden. Eine alte Blechlaterne, ein Metzgermesser ohne Griff, ein nagelneues Taschenmesser, das in jedem Laden etwas wert gewesen wäre, eine Masse Talglichter, einen Blechleuchter, eine Feldflasche und eine Blechtasse, eine alte, zerfressene Bettdecke, dito Pferdeteppich, einen Arbeitsbeutel mit Näh- und Stecknadeln, Garn, Fingerhut, Wachs und Schere, Hammer und Nägel, eine dicke Fischleine mit festem Haken, eine alte Kuhhaut und ein Hundehalsband, ein Hufeisen und ein paar Medizinflaschen ohne Aufschrift, kurz, alles schleppten wir mit, und zu guter Letzt fand ich noch einen Kamm mit drei Zinken und Jim einen alten Fiedelbogen ohne Saiten, die mußten auch noch mit. Reich beladen stießen wir ab.

Alles in allem genommen hatten wir wahrhaftig eine reiche Beute gemacht und konnten recht zufrieden sein. Inzwischen war’s aber heller Tag geworden, und wir waren ziemlich weit von der Insel weg. So hieß ich Jim denn im Boot niederliegen und deckte ihn mit der alten Bettdecke zu, denn wenn er aufrecht dagesessen hätte, hätte jedes Kind sehen können, daß er ein Nigger war, und wenn’s eine Meile weit weg gewesen wäre. So ruderte ich denn eifrig unserer Insel zu, und ohne daß wir etwas oder irgend jemanden sahen oder selbst gesehen worden wären, kamen wir von unserem nächtlichen Abenteuer glücklich und ohne Unfall wieder nach Hause.

33. Kapitel

Tom Sawyer verwundet – Die Erzählung des Doktors – Jim profitiert etwas – Tom beichtet – Tante Polly kommt – »Briefe heraus!«

33. Kapitel

Doch vor dem Frühstück war Onkel Silas wieder in der Stadt gewesen, hatte aber natürlich wieder keine Spur von Tom entdecken können, und nun saßen die beiden am Tisch, ganz stumm und betrübt, sie schienen tief in Gedanken versunken zu sein, und keines sagte ein Wort, und der Kaffee wurde kalt, und essen konnten sie auch nichts.

Sagt da plötzlich der Alte: »Hab‘ ich dir den Brief gegeben, Sally?«

»Welchen Brief?«

»Den, den ich gestern auf der Post bekommen habe.«

»Nein, einen Brief hast du mir nicht gegeben!«

»Na, dann muß ich’s vergessen haben!«

Er kramte in allen Taschen, stand auf und holte den Brief irgendwo her, wo er ihn hingelegt hatte, und gab ihn ihr.

Sagt sie: »Ach, der ist ja von Petersburg, Das amerikanische Petersburg am Mississippi. der ist von der Schwester!«

Ich denk‘, nun wird dir wieder einmal ein kleiner Spaziergang guttun, konnte mich aber nicht vom Fleck rühren, so war mir der Schreck in alle Glieder gefahren. Ehe sie den Brief aber ganz geöffnet hatte, ließ sie ihn fallen und rannte der Türe zu – sie hatte durchs Fenster etwas gesehen. Ich aber auch. Dort wurde Tom Sawyer auf einer Matratze dahergeschleppt, und dahinter kamen der Doktor und dann Jim in ihrem Kattunkleid, mit den Händen auf den Rücken gebunden, und sonst noch eine Masse Leute. Ich stürzte erst auf den Brief los und warf ihn hinter ein Möbelstück. Tante Sally rannte indessen auf die Matratze los, stürzte sich über Tom und schrie und jammerte: »Ach Gott, er ist tot, er ist tot; gewiß ist er tot!«

Tom drehte jetzt den Kopf und murmelte etwas Unzusammenhängendes; man sah, er hatte Fieber, und da schlug sie die Hände überm Kopf zusammen und jubelte: »Er lebt, Gott sei Dank, er lebt! Weiter brauch‘ ich nichts zu wissen!« Und sie küßte Tom ganz flüchtig und rannte dann ins Haus zurück, um sein Bett zurechtzumachen; bei jedem Schritt, den sie vorwärts stürzte, flogen ihr die Befehle nur so nach rechts und links von den Lippen, und Nigger und Dienstleute und alles rannte hinter ihr drein wie die wilde Jagd.

Ich schlich hinter den Männern her, um zu sehen, was sie mit Jim anfangen würden, und der Doktor und Onkel Silas folgten Tom ins Haus. Die Männer schienen sehr aufgebracht, und einige sprachen sogar davon, Jim zu töten, ihn baumeln zu lassen, all den anderen Niggern zum warnenden Exempel, damit die sich’s nie einfallen ließen durchzubrennen, wie’s Jim getan, und dabei alles so durcheinanderzubringen und eine ganz ehrbare Familie wochenlang in Angst und Aufregung zu versetzen. Andere rieten davon ab und sagten: »Tut’s ja nicht, es ist ja nicht unser Nigger, und wenn sein Herr einmal auftaucht, der läßt ihn sich teuer bezahlen.« Das kühlte die Hitzköpfe ein wenig ab, denn die, die am schnellsten dabei sind, einen Nigger zu henken, wollen am wenigsten davon wissen, dafür bezahlen zu müssen, wenn einmal die Hitze verflogen ist.

Aber fluchen taten sie auf Jim, und immer ab und zu bekam er einen ordentlichen Puff an den Schädel oder einen Tritt oder sonst irgendeine liebenswürdige Aufmerksamkeit. Der aber sagte kein Wort, tat auch gar nicht, als ob er mich kennte, und sie schleppten ihn in seine alte Hütte, zogen ihm seine eigenen Kleider wieder an, brachten die Ketten und fesselten ihn, diesmal nicht an den Bettpfosten, sondern an einen schweren Block, der in den Boden der Hütte eingetrieben wurde, und banden seine Hände und beide Beine und sagten, er solle von jetzt an nichts bekommen als Brot und Wasser, bis sein Herr käme oder er versteigert werden würde, wenn der sich nicht zu rechter Zeit einstelle, und füllten unser Loch auf und meinten, ein paar Männer müßten nun immer nachts bei der Hütte Wache stehen, und bei Tage müsse eine Bulldogge an der Türe angebunden werden.

Als sie endlich fertig geworden waren, nahmen sie mit ihren Fußspitzen der Reihe nach Abschied von Jim; auf einmal erscheint der alte Doktor und sagt: »Hört, Leute, behandelt den Kerl nicht schlechter als nötig ist, denn es ist kein schlimmer und kein böser Nigger. Als ich dort aufs Floß kam und den Jungen fand und sah, daß ich ohne Hilfe die Kugel nicht herausbringen würde, und doch keine Hilfe nah und fern zu entdecken war, und ich den Burschen auch nicht allein lassen konnte, um zu sehen, ob ich jemanden auftreiben könnte, denn er wurde schlimmer und schlimmer und fing schließlich an zu toben und wollte mich nicht heranlassen und sagte, wenn ich mit Kreide ein Zeichen ans Floß machte, dann würde er mich töten und dergleichen Unsinn mehr; als ich mir da gar nicht mehr zu helfen wußte und schließlich laut vor mich hinspreche: ›nun muß ich Hilfe haben, koste es, was es wolle‹, da, Leute, da, sag‘ ich euch – stand plötzlich der Nigger dort vor mir, wie aus dem Boden gezaubert, und er hat mir geholfen, ohne viel zu reden, und zwar wacker geholfen! Natürlich wußte ich gleich, daß er irgendwo durchgebrannt sein müsse. Da saß ich nun! Was blieb mir übrig, als ruhig auszuharren den ganzen Tag über und die Nacht dazu. Das war eine Klemme, sag‘ ich euch! In der Stadt warteten meine Patienten auf mich, was sollten die denken, und doch mußte ich bleiben, denn ich wagte nicht wegzugehen, aus Furcht, der Nigger könnte ausreißen und ich bekäme hinterher Vorwürfe. Ein Schiff, das ich hätte anrufen können, wollte auch nicht in die Nähe kommen, und so ließ ich es denn bleiben und immer bleiben, bis zum Tagesanbruch, diesem Morgen. Nie aber habe ich einen Nigger gesehen, der treuer und besser gepflegt hätte als der dort, und doch setzte er dabei seine Freiheit aufs Spiel und schien so müde, so todmüde; er muß furchtbar abgearbeitet worden sein in den letzten Wochen. 1 Er war mehr als tausend Dollar wert und eine gute Behandlung obendrein. Ich hatte dort alles, was ich brauchte, und der Junge auch, besser vielleicht als zu Hause, denn es war so ruhig und still, wie gemacht für einen Kranken. Aber der Boden brannte mir doch unter den Füßen bei meiner Verantwortung für die beiden, und wochenlang konnte ich nicht bleiben; na, da kamen uns dann endlich ein paar Männer in einem Boot nahe genug, um sie anzurufen. Zum Glück saß der Nigger gerade am Steuer, mit dem Kopf auf den Knien, und war fest, fest eingeschlafen. So winkte ich ihnen denn, leise zu sein, und sie fielen leise über ihn her und banden ihn, ehe er noch recht die Augen offen hatte, und so hatten wir gar keine Last mit ihm. Und da der Junge gleichfalls schlief, machten wir das Floß leise los, ruderten es dem Ufer zu und legten’s dort fest, ohne daß einer von den beiden sich nur rührte, der Nigger hatte sich nicht gemuckst, keinen Laut von sich gegeben von Anfang an. Das ist kein schlimmer Kerl, meine Herren, glauben Sie mir’s, ich hab’s erprobt!«

»Das lautet alles sehr gut und schön, Doktor, das muß ich sagen!« meinte einer.

Die andern schienen auch ein wenig besänftigt, und ich war dem alten Mann herzlich dankbar für die Wohltat, die er Jim mit der Erzählung erwiesen, und ich freute mich, daß ich den armen Kerl von Anfang an richtig beurteilt hatte; ich wußte, er hatte ein gutes, ein weißes Herz in seiner schwarzen Brust. Und Jim profitierte auch davon, denn alle stimmten überein, er habe sich gut benommen und brav, und verdiene, daß man ihn drum lobe und belohne. Jeder versprach aufrichtig und von Herzen, dem armen Kerl keine Püffe mehr zu geben.

Das war aber vorerst aber auch alles. Ich hatte gehofft, sie würden ihm eine oder zwei von seinen verdammt schweren Ketten abnehmen oder ihm Fleisch und Gemüse zu seinem Brot und Wasser erlauben; daran aber schienen sie nicht zu denken, und ich wollte mich lieber nicht dreinmischen, nahm mir aber fest vor, Tante Sally bei nächster Gelegenheit von des Doktors Erzählung zu sagen. Bei nächster Gelegenheit, das heißt, wenn ich erst die bösen Klippen umschifft hätte, die in meinem Wege lagen. Mit den Klippen meine ich nämlich die Aufklärungen, die ich Tante Sally zu geben haben würde über Toms Wunde.

Zeit zum Besinnen hierüber hatte ich genug, Tante wich nicht vom Krankenbett, nicht bei Tag und nicht bei Nacht, und ich hielt mich in sicherer Entfernung, und sooft ich Onkel Silas irgendwo auftauchen sah, wich ich ihm schleunigst aus.

Am andern Morgen hörte ich, Tom gehe es viel besser und Tante habe sich ein wenig hingelegt. Ich schlüpf‘ also in das Krankenzimmer und hoffte, ihn wach zu treffen und mit ihm etwas zu ersinnen, das alle kommenden Kreuz- und Querfragen aushielt. Er aber schlief, und zwar ganz friedlich; sein Gesicht war blaß, nicht mehr so glutrot wie am Tag zuvor, als er ankam. So setzte ich mich also hin und wollte warten, bis er wach würde. Nach vielleicht einer Viertelstunde glitt Tante Sally plötzlich leise wie ein Geist herein, und da saß ich wieder fest! Sie winkte mir, still zu sein, und setzte sich zu mir und begann zu flüstern und sagte, wie dankbar wir alle sein könnten, Sid gehe es so viel besser und er schlafe nun schon lange so ruhig und so friedlich und sehe dabei immer besser und immer wohler aus und es sei zehn gegen eins zu wetten, daß er bei Besinnung wäre, wenn er nun erwache.

Da saßen wir denn und warteten. Auf einmal schlug er die Augen auf und sah ganz klar und frei um sich und sagte: »Herrje, wie ist denn das, ich bin ja zu Hause? Wo ist denn das Floß?«

»Das ist alles in Ordnung«, sag‘ ich.

»Und Jim?« fragt er.

»Der auch«, sag‘ ich; aber ganz so keck, wie ich beabsichtigt hatte, kam’s doch nicht heraus.

Er merkte das aber gar nicht, sondern rief ganz vergnügt: »Na, dann ist alles gut, herrlich! Da ist uns ja allen geholfen! Hast du’s der Tante schon erzählt?«

Eben wollte ich auch dazu ›ja‹ sagen, als die sich selbst ins Mittel legte: »Erzählt, Sid – was?«

»Na, alles, Tantchen, wie wir die ganze Geschichte fertig gekriegt haben.«

»Welche Geschichte?«

»Na, die Geschichte, wie wir den Nigger befreit haben; ich und – Tom!«

»Herr des Himmels! Den Nigger befr… Was schwatzt der Junge da? Großer Gott, er phantasiert wieder!«

»O nein, ich phantasiere gar nicht, ich weiß recht gut, was ich sage Tante. Wir haben ihn befreit – ich und Tom. Das wollten wir tun von Anfang an und wir haben’s getan! Und haben’s gut gemacht, elegant gemacht, das muß jeder zugeben!« Und damit war er ins richtige Fahrwasser geraten, und sie probierte nicht mehr, ihn zu unterbrechen, sondern ließ ihn schwatzen und schwatzen. Sie saß da und starrte ihn nur an, und Mund und Augen wurden bei ihr immer größer, und ich ließ dem Unglück seinen Lauf, denn hier war nichts mehr zu machen. »Ja, Tantchen, das war eine Arbeit, da gab’s zu tun, Nacht für Nacht, Stunde um Stunde, alle die Wochen, während ihr ruhig im Bett lagt und schlieft. Und wir mußten die Kerzen stehlen, siehst du, und die Leuchter und das Leintuch und das Hemd und dein Kleid und Löffel und Zinnteller und Messer und die Pfanne, den Mühlstein und Mehl und sonst noch eine ganze Menge; du kannst dir gar nicht denken, was wir für Plage hatten mit den Sägen und den Federn und den Inschriften und all dem und noch viel weniger, was wir für einen Spaß dabei hatten. Und dann waren die onnaniemen Briefe zu schreiben und die Särge und Totenköpfe zu malen und das Loch in der Hütte zu graben und die Strickleiter zu machen und in die Pastete zu backen, und dann die Löffel, die wir in deine Schürzentasche steckten, und noch vieles andere mehr.«

»Allmächtiger!«

»… und die Ratten für die Hütte und die Schlangen und all das Zeug herbeizuschaffen für Jim zur Gesellschaft! Und dann hast du den Tom mit der Butter erwischt und ihn so lang aufgehalten, daß beinahe die ganze Geschichte verunglückt wäre, denn die Männer kamen, noch ehe wir weg waren, und wir mußten rennen, und sie hörten uns und schossen, und ich kriegte mein Teil ab, und wir ließen sie dann an uns vorbei, und die Hunde wollten auch nichts weiter von uns wissen, sondern liefen dem Geschrei nach, und wir schlichen zum Boot und ruderten zum Floß, das wir zwischendurch gemacht hatten, und waren dann in Sicherheit und Jim frei, und das haben wir alles allein fertig gebracht, und es war ein kapitaler Spaß, Tantchen!«

»Na, so was hab‘ ich in meinem Leben noch nicht gehört! Also ihr wart’s, ihr Bengel, ihr habt diese heillose Wirtschaft gemacht, ihr seid es gewesen, ihr habt uns alle beinahe um den Verstand gebracht und fast zu Tod erschreckt! Na, da sollt aber doch! Ich hätte gute Lust, es euch einmal gleich tüchtig zu zeigen, was ich davon denke! Ich, die ich Abend für Abend – na, werd‘ du nur erst einmal wieder gesund, du Racker, dann will ich euch das Leder so gerben und euch den Teufel austreiben, daß euch Hören und Sehen vergeht und ihr den Himmel für eine Baßgeige anseht, ihr, ihr –«

Aber Tom war so stolz auf seine Heldentaten und so glücklich, daß er nicht schweigen konnte, und er jubilierte und prahlte weiter, während sie dabei Feuer und Flamme spie. Während so eins das andre immer zu überbieten suchte, saß ich da und hörte das Ding mit an. Plötzlich sagt sie: »Na, freu dich jetzt noch drüber, so lang du kannst, Schlingel, aber das sag‘ ich dir, erwisch‘ ich euch nachher wieder drüben bei dem Kerl…«

»Bei welchem Kerl?« fragt Tom und sein Lächeln verschwindet.

»Bei welchem Kerl? – Fragt der Bursche auch noch! Bei dem Nigger natürlich! Bei wem denn sonst?«

Tom sieht mich sehr ernst an und fragt: »Tom, hast du mir nicht eben gesagt, es sei alles in Ordnung? Ist er denn nicht frei?«

»Der?« sagt Tante Sally, »der Nigger? Den haben sie glücklich wieder hinter Schloß und Riegel in seiner Hütte bei Brot und Wasser, und man hat ihn angekettet, bis er reklamiert oder verkauft wird!«

Tom fährt im Bett in die Höhe, kerzengerade, seine Augen sprühen und seine Nasenflügel beben nur so hin und her, und er schreit mich an: »Dazu haben sie kein Recht! Dazu hat niemand das Recht, hörst du, niemand! Eil dich – renn – verlier‘ keine Sekunde! Laß ihn frei! Er ist kein Sklave, er ist so frei wie irgendeiner von uns! Geschwind – vorwärts!«

»Was in aller Welt meint der Junge?«

»Ich meine jedes Wort grad‘ so, wie ich’s sage, Tante, und wenn nicht gleich eins von euch geht, geh‘ ich selber. Ich hab‘ den armen Kerl mein ganzes Leben lang gekannt und ebenso Tom – gelt, Tom! Miss Watson, seine Herrin, ist vor zwei Monaten gestorben; es tat ihr so leid, daß sie ihn früher einmal hatte verkaufen wollen. Um das wieder gutzumachen, setzte sie ihn frei – in ihrem Testament!«

»Na, aber dann – das begreif einer! Warum hast du ihn denn befreien wollen, wenn er doch schon frei war?«

»Das ist wieder einmal eine Frage, so recht wie von einem Frauenzimmer, das muß ich sagen. Warum? Ei, ich wollte ein Abenteuer haben, so ein echtes, gerechtes Abenteuer! Was? Ich wäre fußtief im Blut gewatet, wenn – Herr des Himmels, Tante Polly!!«

Und da stand sie leibhaftig, mitten unter der Türe, und sah so strahlend und glücklich aus wie ein zuckriger Engel.

Tante Sally war mit einem Satz an ihrem Halse und riß ihr beinahe den Kopf ab vor lauter Liebe und Umarmen und lachte und weinte und wußte nicht, was sie tun sollte. Inzwischen hatte ich mir ein sicheres Plätzchen unter dem Bett ausgesucht, denn die Dinge schienen mir allmählich kritisch für uns beide zu werden.

Ich schielte unter dem Bett vor.

Nach einer kleinen Weile schüttelte Toms Tante ihre Schwester ab, stellte sich vor Tom hin und schaute ihn über ihre Brille hinweg an, als wolle sie ihn durchbohren.

Endlich beginnt sie: »Ja, du hast recht, wenn du den Kopf zur Wand drehst, Tom, ich tät’s auch an deiner Stelle!«

»Ach, du lieber Himmel«, fällt Tante Sally kläglich ein, »ist der Junge denn so verändert? Das ist ja Tom gar nicht, das ist Sid! Tom ist, Tom ist – ja, wo ist denn Tom? Der war ja eben noch da!«

»Du meinst wohl, wo ist Huck Finn? Das meinst du! Ich hab‘ nicht umsonst jahrelang so ’nen Bengel, wie meinen Tom, großgezogen, um nicht zu wissen, daß das Tom ist. Das war‘ mir noch schöner! Nur hervor unter dem Bett da, Huck Finn!«

Ich kroch vor, aber wohl war mir nicht dabei.

Tante Sally sah so verwirrt und so verständnislos und wie geistesgestört drein, wie ich nie wieder jemand gesehen habe, ausgenommen Onkel Silas, als sie ihm später die Geschichte erzählte. Es machte ihn wie betrunken, denn er wußte den ganzen Tag über kein Ding vom andern zu unterscheiden und lief umher wie im Traum, und am Abend ließ er eine Predigt los, die ihm einen großen Ruf machte in der Gegend, denn der Älteste und Klügste wäre nicht imstande gewesen, sie zu verstehen. Toms Tante Polly aber erzählte nun alles, wer und was ich sei, und ich mußte dann beichten, wie ich in die Klemme geraten sei, daß ich mir nicht anders zu helfen gewußt hätte, als ›ja‹ zu sagen, als mich Mrs. Phelps als Tom Sawyer bewillkommnete. Hier unterbrach mich Mrs. Phelps und meinte: »Sag du nur immer Tante Sally, ich bin’s nun schon gewohnt, und es macht mir weiter nichts aus.« – Daß mich also, erzählte ich weiter, Tante Sally als Tom Sawyer begrüßte und ich mich nicht dagegen wehren konnte, denn ich fand keinen Ausweg und wußte auch, daß Tom selbst nichts dagegen haben würde, im Gegenteil, denn ein solches Geheimnis wäre ihm gerade recht, er würde sich nur drüber freuen und ein Abenteuer draus machen, wie’s ja auch dann geschehen sei, denn er ging gleich drauf ein und spielte sich als Sid auf und machte mir alles so leicht und bequem, wie er nur konnte.

Seine Tante Polly sagte, mit Miss Watson und ihrem Testament habe Tom ganz recht, die habe den Jim freigelassen. So war’s denn wahrhaftig wahr: Tom Sawyer hatte sich und uns allen die Mühe und Not gemacht, nur um einen alten Nigger freizumachen – der schon frei war! Und nun verstand ich auch erst, wie sich einer von Toms Erziehung dazu hergeben konnte, einem durchgebrannten Nigger weiterzuhelfen. Bis dahin war mir das immer unfaßlich geblieben.

Tante Polly erzählte dann weiter, als sie Tante Sallys Brief bekommen habe, worin es hieß, daß Tom und Sid angekommen seien, habe sie sofort Unrat gewittert und zu sich selbst gesagt: »Na, da sieh mal einer«, habe sie gesagt, »ich hätt’s mir denken können, als ich den Burschen alleine fortließ. Was bleibt mir nun übrig, als selbst hinter dem Bürschchen herzureisen, den ganzen weiten Weg, um herauszukriegen, was diesmal wieder los ist, denn aus dir, Sally, war ja gar nicht klug zu werden!«

»Was? – Ei, du hast mich ja nie darüber gefragt!«

»Na, so was! Zweimal hab‘ ich dir geschrieben und gefragt, was du mit dem Sid, der auch zu Besuch gekommen sein soll, eigentlich meinst.«

»Geschrieben? Zweimal? Ich hab‘ nie auch nur eine Zeile gekriegt!«

Ohne ein Wort zu sagen, wendet sich Tante Polly langsam zu Tom und schaut diesen fest an. – »Na, Tom!«

»W-was?« fragt der, unwillig und verdrießlich.

»Komm du mir nicht mit ›was?‹, du Racker, wart! Heraus die Briefe!« – »Welche Briefe?«

»Die Briefe! Wart, ich will dir …!«

»Sie sind im Koffer! Dort! Da und ganz unversehrt, grad‘ wie sie waren, als ich sie von der Post holte. Ich hab‘ nicht einmal hineingesehen. Dachte mir, sie hätten am Ende keine Eile und könnten hier nur Unheil stiften, und da hab‘ ich sie…«

»Na, wenn dir nicht eine tüchtige Tracht Prügel gehört, so weiß ich nicht, wem sonst. Dann hab‘ ich noch einmal geschrieben, um zu sagen, daß ich kommen wolle, und der Brief wird auch…«

»Mit dem ist alles in Ordnung«, sagt Tante Sally, »der ist gestern gekommen, den hab‘ ich!«

Gern hätt‘ ich nun zwei Dollar gewettet, daß dem nicht so sei, denn ich wußte das besser, aber ich dachte, es ist doch klüger, du hältst den Mund, und tat es auch!

  1. An dieser Stelle fehlen einige Worte im Buch. Sinngemäß ergänzt. Re.

34. Kapitel

Aus der Gefangenschaft befreit – Der Gefangene wird belohnt – Ganz ergebenst, Huck Finn!

34. Kapitel

Als ich Tom zum erstenmal wieder allein sprechen konnte, fragte ich ihn, was er sich damals eigentlich bei Jims Flucht gedacht habe, was er getan hätte, wenn alles geglückt wäre und er den Nigger befreit hätte, der schon vorher frei war. Er sagte mir, sein Plan sei von Anfang an gewesen, wenn wir Jim erst glücklich heraus hätten, mit ihm auf dem Floß stromabwärts zu fahren bis zur Mündung und alle Arten von Abenteuern dabei zu bestehen, ihm dann erst zu offenbaren, daß er frei sei, ihn im Triumph auf einem Dampfboot wieder heimzunehmen, die verlorene Zeit zu vergüten, alle Nigger der Stadt brieflich zu bestellen, daß sie ihn mit Musik und Fackeln in Empfang nähmen und ihn und uns als Helden beim Einzug feierten.

Jim wurde augenblicklich von seinen Ketten befreit, und als Tante Polly und Tante Sally und Onkel Silas hörten, wie treu er dem Doktor geholfen hatte, Tom zu pflegen, wurde ihm in jeder Weise geschmeichelt, und er bekam ordentliche Kleider und soviel zu essen wie er nur wollte, und er brauchte nichts zu tun, als sich seines Lebens zu freuen. Und wir nahmen ihn mit an Toms Bett und schwatzten, bis wir genug hatten, und Tom gab ihm vierzig Dollar, weil er so geduldig als Gefangener gewesen und uns das Spiel nicht verdorben und alles so schön getan hatte, und Jim war beinahe zu Tode gerührt und wußte nicht, was er anfangen solle vor Wonne, und platzte endlich heraus: »Na, Huck, du sehen, was Jim dir immer sagen? Was Jim dir schon früher auf Insel sagen? Jim dir sagen, er haben haarige Brust un was das bedeuten. Jim dir sagen, er sein gewesen reich un werden noch mal wieder reich, un hier – hier es sein! Du nix nie mehr sagen, Zeichen sein nix wert. Zeichen sein Zeichen, un Jim haben gewußt, er noch werden reich, so gewiß, wie er jetzt hier stehen!«

Tom schwatzte nun und schwatzte und schlug uns vor, alle drei heimlich in der Nacht durchzubrennen, uns eine Ausrüstung zu kaufen und auf ein paar Wochen in die Indianer-Territorien zu gehen und dort alle möglichen Abenteuer zu bestehen. Ich sagte gleich: Ich bin dabei, aber woher das Geld für die Ausrüstung nehmen; von zu Hause würde ich keins bekommen, denn das habe mein Alter inzwischen schon dem Kreisrichter abgeschwindelt und die Gurgel hinuntergejagt.

»Das hat er nicht«, versicherte mir Tom, »das ist noch alles da, sechstausend Dollar und mehr. Dein Alter hat sich nicht mehr blicken lassen, wenigstens solange ich dort war.«

Sagt Jim ordentlich feierlich: »Er nie nix mehr werden kommen, Huck!«

Frag‘ ich: »Wieso, Jim?«

»Du fragen wieso, Huck? Jim sagen: Er nie nix mehr werden kommen!«

Ich aber wollt’s genauer wissen, endlich erwiderte er: »Du dir erinnern die Haus, wo schwimmen vorbei an Insel? Un Mann, wo liegen drin tot auf’m Boden? Jim ihn haben zugedeckt, weil du ihn nix sehen sollen; Huck, du dir erinnern? Du können haben dein Geld, wenn du ihr wollen haben – tote Mann sein gewesen deine Vater!«

Tom ist jetzt beinah wieder ganz wohl und trägt seine Kugel wie eine Uhr an einer Kette um den Hals und sieht alle nach der Zeit. Und mir bleibt jetzt nichts mehr zu erzählen übrig, weshalb ich auch recht froh bin, denn wenn ich gewußt hätte, was für eine furchtbare Arbeit es ist, so ein Buch zusammenzuschmieren, so hätten mich keine zehn Gäule dazu gebracht. Aber noch einmal tu‘ ich’s nicht, davor soll mich Gott bewahren! Lieber Steine klopfen! Oder Holz hacken! Soviel aber seh‘ ich jetzt schon – nämlich, daß ich früher als die andern zu den Indianern muß, ganz allein, denn Tante Sally will mich durchaus adoptieren und sievilisieren, und das halt ich nicht aus, das kenne ich von früher her.

Ganz ergebenst
Huck Finn

Ende

4. Kapitel

»Langsam aber sicher« – Huck und der Kreisrichter – Aberglaube

4. Kapitel

So vergingen drei oder vier Monate, und wir waren nun mitten im Winter drin. Ich ging fleißig zur Schule, konnte buchstabieren, lesen, schreiben, das Einmaleins hersagen bis zu sechs mal sieben ist fünfunddreißig, Ja, Huck Finn hat’s nach diesem Exempel nicht sehr weit in der Rechenkunst gebracht! weiter kam ich nicht und wäre auch wohl nie weiter gekommen, und wenn ich hundert Jahre dran gelernt hätte – ich habe einmal kein Talent zur Mathe-maatik.

Erst verabscheute ich die Schule, dann gewöhnte ich mich allmählich dran. Strengte sie mich einmal übermäßig an, so schwänzte ich einen Tag, und die Prügel, die ich dafür anderntags bekam, taten mir gut und frischten mich auf. Je länger ich hinging, desto leichter wurde mir’s. Auch an der Witwe ihre Art gewöhnte ich mich nach und nach und ärgerte mich nicht mehr über alles. Nur das Wohnen in einem Hause und Schlafen im Bett wollte mir noch immer nicht hinunter, und eh‘ das kalte Wetter kam, rannte ich manchmal des Nachts in den Wald und ruhte dort einmal gründlich aus. Ich liebte mein altes, freies Leben viel – viel mehr als das neue, aber ich fing doch an, auch das ein klein wenig gern zu haben. Die Witwe und ich, wir kamen uns langsam aber sicher näher und waren ganz zufrieden miteinander. Sie sagte auch, sie schäme sich meiner gar nicht mehr.

Eines Morgens stieß ich beim Frühstück das Salzfaß um und wollte eben ein paar Körnchen von dem verschütteten Salz nehmen, um es über die linke Schulter zu werfen, damit es mir kein Unglück bringe, da kam mir Miss Watson zuvor: »Die Hand weg, Huckleberry«, zeterte sie, »du mußt auch immer Dummheiten machen!« Die Witwe wollte ein gutes Wort für mich einlegen, aber das konnte das Unglück nicht abhalten, das wußte ich nur zu gewiß. Als ich vom Tisch aufstand und mich drückte, war mir’s ganz unbehaglich und beklommen zumute. Ich mußte immer daran denken, wo mir wohl etwas Schlimmes zustoßen und was es sein werde. Ich weiß noch andre Mittel, um Unglück fernzuhalten, aber die ließen sich hier nicht anwenden und so hielt ich still und tat gar nichts, schlängelte mich, nur niedergeschlagen meines Weges weiter, immer auf der Hut vor irgend etwas Unbekanntem. Ich ging den Garten hinunter und kletterte über den hohen Bretterzaun. Es war in der Nacht frischer Schnee gefallen, und ich sah Fußspuren darin. Sie führten direkt vom Steinbruch hierher und rings um den Gartenzaun. Im Garten selbst sah ich nichts, und das machte mich stutzig. Was hatte einer da draußen herumzulungern? Ich wollte den Spuren nachgehen, bückte mich aber erst noch einmal, um sie zu untersuchen. Zuerst fiel mir nichts dran auf, dann aber, Herr, du mein Gott, da sah ich etwas, das mir bekannt war, und ich wußte sofort, was die Uhr geschlagen hatte. Am linken Absatz der Fußspur befand sich ein mir nur allzu bekanntes Kreuz aus dicken Nägeln, um den Bösen fernzuhalten.

In einer Sekunde war ich auf und davon und den Hügel hinunter. Von Zeit zu Zeit sah ich ahnungsvoll über die Schulter zurück, konnte aber niemand entdecken. Wie der Blitz rannte ich zum Kreisrichter, der mich mit den Worten empfing: »Junge, du bist ja ganz außer Atem. Kommst du wegen deiner Zinsen?«

»Nein«, sag‘ ich, »hab‘ ich denn wieder was zu bekommen?«

»O ja, gestern abend sind die vom letzten halben Jahr eingelaufen. Über hundertundfünfzig Dollar; ein ganzes Vermögen für dich, mein Junge. Ich lege dir die Zinsen aber wohl besser mit dem Kapital an, denn wenn du sie hast, gibst du sie auch aus.«

»O nein«, sag‘ ich, »ich will sie gar nicht haben, die Zinsen nicht und auch die sechstausend nicht, Sie sollen’s behalten, Herr, ich will’s Ihnen geben, alles, alles!«

Er sah mich erstaunt an und schien mich nicht zu verstehen. Dann sagte er: »Wie – wie meinst du das, Junge?«

Sag‘ ich: »Fragen Sie mich, bitte, nichts weiter, Herr, aber nehmen Sie’s, bitte, nehmen Sie’s!«

Darauf er: »Junge, ich versteh‘ dich nicht, was ist denn mit dir?«

Darauf ich: »Bitte, bitte nehmen Sie’s und fragen Sie mich nicht weiter – dann muß ich Ihnen auch nichts vorschwindeln!«

Er dachte eine Weile nach, dann sagte er: »Holla, ich glaub‘, ich hab’s. Du willst mir deine Ansprüche abtreten, verkaufen, nicht schenken. Das liegt dir im Sinn, nicht wahr?«

Und ohne weiteres schreibt er ein paar Zeilen auf ein Stück Papier, liest’s noch einmal durch und sagt dann: »Da – sieh‘ her. Es ist ein Vertrag, und es steht drin, daß ich dir deine Ansprüche abgekauft habe. Da hast du einen Dollar. Nun unterschreibe!«

Ich unterschrieb und trollte mich.

Miss Watsons Nigger Jim hatte eine haarige Kugel, so groß wie eine Faust, die einmal aus dem vierten Magen eines Ochsen herausgenommen worden war. Mit der konnte er wahrsagen, da sich ein Geist darin befand, der alles wußte. Ich ging also zu Jim am Abend und sagte ihm, mein Alter sei wieder im Land, ich habe seine Fußspuren im Schnee gefunden. Was ich wissen wollte, war, was der Alte im Schilde führte und wie lang er bleiben werde. Jim nahm seine haarige Kugel, brummte etwas drüber hin, hob sie in die Höhe und warf sie dann zu Boden. Sie fiel derb auf und rollte kaum einen Zoll weit von der Stelle. Noch einmal probierte es Jim und noch einmal und immer blieb es gleich. Jetzt kniete Jim nieder und legte sein Ohr an die Kugel und horchte, aber ’s wollte nichts sagen. Er sagte, manchmal redet es nicht ohne Geld. Ich bot ihm nun eine alte, nachgemachte Münze an, bei der überall das Messing durchsah, und die sich so fett und schlüpfrig anfühlte, daß sie mir niemand für echt abgenommen hätte. Von meinem Dollar schwieg ich natürlich, denn für die alte Kugel war wahrhaftig die schlechte Münze gut genug. Jim nahm die Münze, roch daran, rieb sie, biß hinein und versprach es einzurichten, daß die Haarkugel die Unechtheit nicht merke. Er sagte, er wolle eine rohe Kartoffel nehmen und die Münze hineinstecken und die Nacht über drin lassen, am andern Morgen sehe man dann kein Messing und fühle keine Fettigkeit und kein Mensch werde den Betrug merken, noch weniger eine Haarkugel. Das Ding mit der Kartoffel wußt‘ ich, hatt’s nur vergessen im Moment.

Jim steckte also nun die Münze unter die Kugel und legte wieder das Ohr dran. Jetzt sei alles in Ordnung, sagte er, und die Kugel werde mir wahrsagen, soviel ich wolle. »Nur zu!« sag‘ ich.

Und die Kugel sprach nun zu Jim, und Jim sagt’s mir wieder: »Deine alte Vater noch nix wissen, was wollen tun. Einmal wollen gehen, einmal wollen bleiben. Du sein ganz ruhig, Huck, lassen tun die alte Mann, wie er wollen. Sein da zwei Engels, fliegen um ihn rum. Sein der eine weiß, der andere schwarz. Wollen der weiß ihn führen gute Weg, kommen der schwarz und reißen ihn fort. Arme Jim, ich nix können sagen von Ende, ob schwarz, ob weiß! Bei dir aber allens sein gut. Du haben noch viel Angst im Leben, aber auch viel Freud! Werden kommen Krankheit und Unglück un dann Gesundheit un Glück! Sein deine Engels zwei Mädels, eine blond und eine braun, eine reich un eine arm. Werden du heiraten erst die arm un dann die reich! Du nix gehen zu nah an Wasser, sonst du müssen fallen rein un ganz ersaufen! Du hören arme, alte Jim, Huck, du nix vergessen, was er sagen!«

Das versprach ich denn auch hoch und heilig. Als ich an diesem Abend mein Licht angezündet hatte und damit in mein Zimmer trat – saß da mein Alter in Lebensgröße!

5. Kapitel

Hucks Vater – Bekehrung – Zärtlichkeiten

5. Kapitel

Ich hab‘ mich stets vor ihm gefürchtet, er hat mich immer so tapfer gegerbt, aber diesmal merkt‘ ich gleich, daß es anders war. Das heißt, zuerst schnappte ich nach Luft – es nahm mir den Atem, ihn so plötzlich zu sehen; aber dann raffte ich mich schnell zusammen und trat näher.

Er war beinahe fünfzig und sah auch so aus. Sein Haar war lang und verwirrt und fettig und hing ihm übers Gesicht, daß seine Augen wie hinter Buschwerk hervorstachen. Es war noch ganz schwarz und kein bißchen grau, so war auch sein langer Schnauzbart. In seinem Gesicht, soweit man’s sehen konnte, war keine Farbe, es war ganz weiß, aber nicht von einem gewöhnlichen Weiß, sondern so, daß es einem übel machte, wenn man’s sah, daß es einem eine Gänsehaut über den Rücken jagte, so totenähnlich, so fischbauchartig war es. Seine Kleider – waren Lumpen, weiter nichts. Er hatte den rechten Fuß aufs linke Knie gelegt, und der Stiefel sperrte das Maul so weit auf, daß zwei oder drei Zehen heraussahen, an denen er herumfingerte. Sein Hut, ein alter zerrissener Filzdeckel, lag auf dem Boden.

Ich starrte ihn an. Er hatte den Stuhl etwas hinten übergekippt und starrte mich wieder an. Endlich stellte ich das Licht hin und sah, daß das Fenster offen war; der Alte war also übers Schuppendach eingestiegen. Der verflixte Schuppen!

Der Alte folgte mir mit den Augen, ich spürte es, endlich sagte er: »Donnerwetter, feine Kleider – sehr fein! Du bild’st dir wohl was drauf ein, he? Denkst, du bist ein Herr geworden, he?«

»Vielleicht – vielleicht auch nicht«, sag‘ ich.

»Wirst du mir wohl ordentlich antworten, he?« brüllt er, »du scheinst dir tüchtige Mücken in den Kopf gesetzt zu haben, seit wir uns nicht gesehen. Die treib‘ ich dir aus, das laß dir gesagt sein! Du gehst auch in die Schule, hab‘ ich mir sagen lassen, und kannst lesen und schreiben. Glaubst jetzt wohl, daß du besser bist als dein Vater, he, du Racker? Wart‘ ich will dir kommen! Wer hat dir erlaubt dahinzugehen, wer, frag‘ ich, wer hat dir’s erlaubt?«

»Die Witwe! Sie hat’s erlaubt!«

»Die Witwe, he? Und wer hat’s der Witwe erlaubt, daß sie ihre Nase in Dinge steckt, die sie absolut nichts angehen, wer, he?«

»Niemand!«

»Gut, der will ich’s zeigen! Und du, Bengel, infamer, du läßt das Schulegehen bleiben, verstanden? Ich werd’s den Leuten schon zeigen, was es heißt, einem solchen Flegel wie dir, in den Kopf zu setzen, er sei besser als sein Vater. Laß du dich wieder in der Schule erwischen! Deine Mutter hat nicht lesen und schreiben können, eh‘ sie starb und keiner von der Familie konnt’s ich kann’s auch nicht, und da kommt so ein Racker und will besser sein als wir alle und bildet sich was drauf ein und tut sich dick damit. Das laß ich mir aber nicht gefallen, verstanden? Da – zeig einmal, was du lesen kannst.«

Ich nahm ein Buch und stotterte etwas vom General Washington und dem Krieg. Eine Minute lang hörte er zu, dann versetzte er dem Buch einen Stoß, daß es in die andere Zimmerwand klatschte, und sagte: »Kann’s der Bengel ja wahrhaftig! Ich hätt’s nicht geglaubt, dacht‘ es sei Geflunker. Aber du, wart, ich werd‘ dir die Mücken austreiben, ich leid’s nicht, verstanden? Ich werde aufpassen, und erwisch‘ ich dich an der Schule, mein feiner Herr, so gerb ich dir das Leder durch, daß du die Engel im Himmel pfeifen hörst! Nächstens wirst du noch fromm werden! Donnerwetter, so ein Sohn!«

Er griff nach einem kleinen blau und gelben Bildchen, auf dem ein Junge und ein paar Kühe abgemalt waren, und fragt: »Was ist das?«

»Das hab‘ ich gekriegt, weil ich meine Aufgabe gut gelernt habe.«

Rasch war’s zerrissen, und er brüllt:

»Ich will dir was Beßres geben, wart‘ ich werd‘ dir ein Bild auf den Buckel malen.«

Nun saß er still und murmelte und brummte vor sich hin. Dann fängt er wieder an: »Hat man je schon so etwas erlebt! Das nenn‘ ich einen feinen Herrn! Ein Bett, wahrhaftig, und Bettücher! Und ein Stückchen Teppich am Boden! Und der eigene Vater schläft bei den Schweinen oder wo er gerade hinkommt! Und das will ein Sohn sein! Wart, Kerl, die Mücken fliegen dir aus dem Kopf, eh‘ du Amen sagen kannst, da sag‘ ich dir. Mit dir werd‘ ich noch fertig werden, Racker! Die Leute sagen auch, du hättest Geld! Wie ist das?«

»Die Leute lügen – so ist das!«

»Ich sag‘ dir, Bursche denk dran, daß du mit deinem Vater sprichst, bald bin ich fertig mit meiner Geduld, also sieh dich vor! Jetzt bin ich zwei Tage in der Stadt, und überall hab‘ ich von deinem Geld gehört, schon weiter unten im Tal erzählten sie davon, und so muß doch was dran sein! Deshalb bin ich gekommen. Also morgen schaffst du mir das Geld, verstanden? – Ich brauch’s!«

»Ich hab‘ kein Geld!«

»Du lügst! Der Kreisrichter hat’s für dich, und du schaffst mir’s her – ich brauch’s, sag‘ ich dir!«

»Ich hab‘ kein Geld! Frag den Kreisrichter selbst, der wird dir’s auch sagen!«

»Gut, ich werd‘ ihn fragen, und er muß blechen, oder ich will wissen, wie’s damit steht. Was hast du in der Tasche, he? Ich will’s haben!«

»Ich hab‘ nur einen einzigen Dollar, und den brauch‘ ich, um –«

»Das ist ganz wurst, wozu du ihn brauchst, her damit! Raus!«

Er nahm ihn und biß hinein, um zu sehen, ob er echt sei, und sagte dann, er gehe in die Stadt, um sich Whisky zu holen, er habe den ganzen Tag noch keinen Tropfen über die Lippen gebracht, dabei roch er wie ein Schnapsladen. Dann kletterte er zum Fenster hinaus auf den Schuppen, steckte den Kopf wieder herein, fluchte noch einmal über meine Mücken und darüber, daß ich besser sein wolle als er, und als ich dachte, nun sei er sicher fort, erschien er noch einmal und erinnerte mich an die Schule und die versprochenen Prügel, wenn ich mich dort blicken lasse.

Am andern Tag war er betrunken, ging zum Kreisrichter und drohte ihm wegen des Geldes, das der nicht herausgeben wollte; er sagte, er wolle vor Gericht gehen und ihn dazu zwingen.

Der aber und die Witwe wollten, daß man mich meinem Alten wegnehme und eines von ihnen zu meinem Vormund mache. Und das wäre, meiner Seele, das beste gewesen. Aber da war ein neuer Ortsrichter gekommen, der kannte den alten Mann nicht und meinte, es sei unrecht, Familien zu trennen, er könne nichts tun, er wolle dem Vater das Kind nicht rauben. So mußten der Kreisrichter und die Witwe die Sache eben gehen lassen, wie’s ging.

Das war Wasser auf die Mühle meines Alten und stieg ihm riesig zu Kopf. Er drohte, er wolle mich schwarz und blau dreschen, wenn ich ihm nicht sofort Geld verschaffe. Ich lief also zum Kreisrichter und lieh mir drei Dollar von meinem Geld. Der Alte nahm’s betrank sich, lärmte, schimpfte, fluchte und spektakelte durch die Straßen der Stadt, bis sie ihn festnahmen und für eine Woche einsperrten. Das war ihm nun nichts Neues und genierte ihn weiter nicht. Wenn sie jetzt auch Meister über ihn seien, so bleibe er doch immerhin Herr und Meister seines Sohnes, meinte er, und werde das der ganzen Stadt und seinem Herrn Sohne selbst noch klar beweisen. Dem wolle er schon noch einheizen in seinem Leben!

Nach Verlauf der Strafzeit ließen sie ihn dann laufen. Der Ortsrichter aber sagte, er wolle einen neuen Menschen aus ihm machen, nahm ihn mit nach Hause, gab ihm saubere, ordentliche Kleider statt der Lumpen, behielt ihn zum Frühstück, Mittagessen und Abendbrot und schloß sozusagen dicke Freundschaft mit ihm. Nach dem Abendessen redete er dann auf ihn ein von Gott und dem letzten Gericht, der Bibel und dem Temperamentsverein Huck meint den Temperenzverein = Mäßigkeitsverein. bis der alte Mann zu schluchzen und zu weinen begann und sagte, er sei ein Narr gewesen all sein Leben lang, ein elender, erbärmlicher, lumpiger Narr! Jetzt aber gehe er in sich und wolle von neuem beginnen und ein Mann werden, dessen sich kein Mensch in der Welt zu schämen brauche, wenn ihm der Herr Richter nur helfen und ihn nicht verachten wolle. Der sagte, er möchte ihm um den Hals fallen für diese Worte und weinte vor Rührung, und seine Frau weinte mit. Mein Alter versicherte nun, er sei immer verkannt worden in seinem Leben; alles, was ein verlorener Mensch brauche, um gerettet zu werden, sei Sympathie; der Richter stimmte ihm zu, und dann weinten sie wieder.

Als es Zeit war zum Schlafengehen, erhob sich mein bekehrter Vater, hielt seine Hand hin und sagte: »Sehen Sie hier diese Hand, meine Herrn und Damen, nehmen Sie sie, schütteln Sie sie. Es war einstmals die Hand eines Schweines, aber sie ist’s nicht mehr, sie ist die Hand eines Mannes, der ein neues Leben begonnen hat und der eher sterben wird, als daß er ins alte zurückkehrt. Denken Sie an diese Worte, gedenken Sie dessen, der sie sagte. Es ist eine reine Hand jetzt, nehmen Sie, fürchten Sie nichts, schütteln Sie diese Hand!«

Der Richter, seine Frau und seine Kinder schüttelten sie der Reihe nach, und die Frau Richter küßte sie sogar. Dann sollte er noch ein feierliches Gelöbnis unterschreiben – und er tat’s, indem er drei Kreuze druntersetzte. Der Richter bemerkte noch, das sei der schönste Tag seines Lebens, und dann führten sie meinen Alten im Triumph in ihr allerbestes Gastzimmer. Der aber fühlte sich sehr durstig, und in der Nacht, als alles schlief, kletterte er aus dem Fenster aufs Vordach der Haustür, ließ sich am Gitter nieder, witschte in die Stadt, versetzte seinen neuen Rock für eine schwer geladene Schnapsflasche und stieg so bewaffnet wieder in sein warmes Nest und feierte die Bekehrung auf seine Weise. Gegen Morgen wollte er sich auf dem alten Weg aus dem Staub machen, war aber nicht fest auf den Beinen, fiel vom Dach und brach den Arm an zwei verschiedenen Stellen, konnte nicht weiter und wurde dann nach ein paar Stunden halb erfroren im Schnee aufgefunden. Man schaffte ihn zur Pflege ins Krankenhaus, wo ich ihn nun für einige Wochen wenigstens gut aufgehoben wußte. Im Gastzimmer bei Richters aber mußten sie eine Art Überschwemmung anstellen, ehe es wieder zu gebrauchen war.

Beim Ortsrichter selbst blieb die Bekehrung meines Alten ein wunder Punkt. Er meinte, die sei für die Dauer nur mit einem Flintenschuß ins Werk zu setzen, er wisse kein andres Mittel und, meiner Treu – ich glaub‘, er hat recht.

32. Kapitel

Der Doktor – Onkel Silas – Schwester Hotchkiß – Tante Sally in Nöten

32. Kapitel

Der Doktor war ein freundlicher, gutmütig aussehender, alter Mann, den ich natürlich erst aus seinem besten Schlaf wecken mußte. Ich erzählte ihm, wie ich und mein Bruder gestern zusammen ausgezogen waren zum Jagen nach Spanish Island und wie wir dort die Nacht auf einem gefundenen Stück Floß kampierten und daß mein Bruder wahrscheinlich um Mitternacht einen bösen Traum gehabt haben müsse, denn sein Gewehr sei losgegangen und habe ihn ins Bein geschossen und er möge doch mitkommen und nachsehen, was sich tun ließe, aber ja nichts verraten, denn wir wollten am Abend wieder heim und unsere Leute überraschen.

»Wer sind denn eure Leute?«

»Ei, die Phelps‘ drunten auf der Mühle.«

»So, so«, macht er, und nach einer Minute fragt er: »Wie hast du gesagt, daß er den Schuß kriegte?«

»Er hat geträumt, und da ging das Gewehr los.«

»Sonderbarer Traum!« brummt er.

Dann zündete er sich eine Laterne an, nahm seinen Messerbeutel, und wir machten uns auf den Weg. Als er aber das Boot sah, traute er ihm nicht recht und sagte, das sei wohl genügend für einen, aber nicht für zwei.

Platz‘ ich los: »Ach, Sie brauchen keine Angst zu haben, wir sind da drin zu dritt gefahren und ganz bequem.«

»Zu dritt? Wer war denn der dritte?«

»Ei, ich und Sid und – und – und die Gewehre; hab‘ mich eben versprochen.«

»Ah, so?« war alles, was er sagte.

Er setzte seinen Fuß auf die Bank und wiegte das Boot hin und her und probierte, wie fest es sei, und meinte dann, er wolle sich doch lieber nach einem größeren umsehen. Die waren aber alle angekettet, und so stieg er allein ins Boot und meinte, ich könne ja warten, bis er wiederkäme, oder am Ufer nebenher laufen; das beste sei, ich würde heimgehen und meine Leute auf die Nachricht vorbereiten. Das aber wollte ich nicht und sagt’s ihm auch und sagt‘ ihm dann noch, wie er das Floß finden könne, und er stieß ab.

Mir ging ein Licht auf. Sag‘ ich zu mir selbst: Wenn der nun mit dem Bein doch nicht so im Handumdrehen fertig wird? Wenn er am Ende drei oder vier Tage braucht, was dann? – Dort bleiben und warten, bis er die Katze aus dem Sack läßt? Nein, Herr Doktor, ich weiß, was ich zu tun habe, Sie sollen’s schon erfahren! Ich bleib‘ hier und warte, bis er zurückkommt, und wenn er dann sagt, er müsse bald wieder nachsehen, dann paß‘ ich auf und gehe mit, und wenn ich schwimmen muß; dann nehmen wir ihn fest, binden ihn, treiben den Fluß hinunter und geben ihn erst frei, wenn er mit Tom fertig ist. Wir belohnen ihn dann königlich, das heißt, wir geben ihm, was wir haben, und rudern ihn dann ans Ufer. Man sieht, ich hatte doch ein wenig von Toms Unterricht profitiert und war stolz darauf!

Einstweilen kroch ich nun bei einem alten Holzhaufen unter und muß fest eingeschlafen sein, denn wie ich die Augen wieder aufmache, ist’s heller Tag, und die Sonne brennt mir auf den Schädel. Vom Doktor war weit und breit nichts zu sehen. So renn‘ ich denn zu seinem Haus und höre, daß er in der Nacht gerufen worden und seitdem nicht wieder heimgekommen sei. Armer Tom, denk‘ ich, da sieht’s bös aus, und setz‘ mich wieder in Trab, und wie ich um die nächste Ecke biege, renn‘ ich mit dem Kopf beinah auf Onkel Silas‘ Magen.

Er ruft: »Junge, Tom, wo habt ihr denn gesteckt all die Zeit, Bengel, he?«

»Ich – ich hab‘ gar nicht gesteckt«, stotter‘ ich, »Sid und ich sind nur immer hinter dem durchgebrannten Nigger hergewesen.«

»Ja, aber wo denn in aller Welt, wo habt ihr ihn denn gesucht? Eure Tante ist in schöner Angst und Aufregung euretwegen!«

»Das braucht sie gar nicht zu sein«, sag‘ ich, »uns ist nichts passiert. Wir liefen hinter den Männern und den Hunden drein, konnten aber nicht Schritt halten und verloren sie. Dann dachten wir, wir hörten sie auf dem Wasser, nahmen das Boot und setzten hinter ihnen her, ruderten hierhin und dorthin, konnten sie aber gar nicht finden. Wir aber immer weiter am Ufer hin, bis wir müde und schläfrig waren, und dann legten wir an, banden das Boot fest und legten uns selbst aufs Ohr und wachten erst vor einer Stunde wieder auf. Da dachten wir, wir wollten zur Stadt rudern, um zu hören, wie’s gegangen sei, und nun ist Sid zur Post, um zu sehen, ob er nichts erfahren könne, und ich wollte eben sehen, ob sich was zu essen auftreiben ließe, und dann wären wir heimgekommen.«

Wir gingen also zur Post, um nach Sid zu sehen, aber der war natürlich nicht dort. Der Alte bekam einen Brief eingehändigt, und wir warteten noch eine gute Weile, aber Sid wollte immer noch nicht kommen. Da wurde der Alte endlich ungeduldig und meinte, seinetwegen könne der nun heimfliegen oder schwimmen, oder war er wolle, ihm sei’s einerlei, wir führen – und zwar gleich. Mich zurücklassen, damit ich auf Sid warten könnte, wollte er auch nicht, er meinte, das habe doch weiter keinen Zweck, der werde sich schon heimfinden; ich müsse mit, damit Tante sehe, daß wir heil und ganz seien.

Als wir heimkamen, war Tante Sally über die Maßen froh, mich zu sehen. Sie lachte und weinte in einem Atem und umarmte mich und klapste mich ein paarmal in ihrer gewohnten Weise, was aber mehr gestreichelt war, und sagte, wenn Sid heimkomme, kriege der auch seinen Teil.

Das ganze Haus war voller Farmer und Farmersfrauen, die alle zum Mittagessen bleiben wollten, und es war ein Gezeter und Geschnatter, daß man sein eignes Wort kaum hörte. Die alte Mrs. Hotchkiß war die ärgste, der stand die Zunge keine Sekunde still – das lief nur so.

»Na, Schwester Phelps«, sagt sie, »ich bin vorhin drin in der Hütte gewesen, und ich glaub‘, der Kerl, der Nigger, war einfach verrückt. Sagt’s ja gleich der Schwester Damrell: Schwester Damrell, sag‘ ich, der Kerl war verrückt, verrückt war er, sag‘ ich – das sind meine eignen Worte. Ihr habt’s ja alle gehört, nicht? Er war verrückt, sagt‘ ich, das kann ein Wickelkind sehen, sagt‘ ich. Und, ich sag‘, seht doch nur den Mühlstein an! Ein gesunder Mensch mit fünf Sinnen kann unmöglich so tolles Zeug auf einen Mühlstein kratzen, he, was meint ihr? – Hier brach irgendeiner sein Herz, und da elendete sich der und der durch siebenunddreißig Jahre hindurch, und dann den Unsinn über den natürlichen Sohn von irgendeinem Ludwig und all das tolle Zeug. Der war rein verrückt, das hab‘ ich gleich anfangs gesagt und sag’s nun noch einmal und bleib‘ dabei bis an mein seliges Ende. Nein, so ein Kerl! Der war verrückt, so verrückt wie der heilige Nebokatzneser seinerzeit, und das sag‘ ich und damit basta!«

»Und die Strickleiter aus Lumpen, habt ihr die gesehen?« fragte die alte Mrs. Damrell, »was in aller Welt hat er mit der…«

»Grad‘, was ich gesagt habe vorhin zur Schwester Utterback, es sind noch keine drei Minuten her, das wird sie euch bestätigen. Sie sagte: Seht doch nur die Strickleiter, sagt sie. Ja, sag‘ ich, seht doch, was kann er damit tun haben wollen? Sag‘ ich. Sagt sie: Schwester Hotchkiß, sagt sie…«

»Aber wie in aller Welt haben sie den Mühlstein hineingekriegt, und wer hat das Loch gegraben und…«

»Meine eignen Worte, Bruder Penrod, meine eignen Worte! – Darf ich um die Saucenschüssel bitten? – Dasselbe sagt‘ ich grad‘ zu Schwester Dunlap – grad‘ vor einer Minute. Schwester Dunlap, sag‘ ich, wie haben die Kerle den Mühlstein hineingebracht, sagt‘ ich, und ohne Hilfe, sag‘ ich, ohne Hilfe! Da liegt der Hase im Pfeffer! Ich laß mir so was nicht weismachen, sag‘ ich, da war, Hilfe, sag‘ ich, und viel Hilfe. Dem Kerl haben mehr als ein Dutzend geholfen, da wett‘ ich meinen Kopf – und ich für mein Teil, ich würde jeden Nigger hier am Platz lebendig rösten, bis er gesteht, wer geholfen hat. Ich wollt’s schon herauskriegen. Ich, das sag‘ ich, und dabei bleib‘ ich und…«

»Ein Dutzend, meint ihr, habe geholfen? Ei, vierzig konnten kaum mit dem fertig werden, was getan worden ist. Seht nur einmal die Sägen aus Taschenmessern an und all das Zeug, was da für Zeit dazu gehört, um das fertigzukriegen, und damit haben sie den Bettpfosten durchsägt, und dann die Strohpuppe auf dem Bett und…«

»Das ist jetzt leicht sagen, Bruder Hightower, das hab‘ ich grad‘ vorhin dem Bruder Phelps selbst gesagt. Er fragte mich: ›wie denkt ihr denn drüber, Schwester Hotchkiß?‹ Über was, Bruder Phelps, sag‘ ich, über was? ›Über den Bettpfosten, wie der abgesägt ist‹, sagt er. Drüber denken? sag‘ ich, drüber denken? Ei, von selbst hat sich der nicht abgesägt, sag‘ ich, da wett‘ ich meinen Kopf, sag‘ ich. Den hat jemand abgesägt, sag‘ ich und dabei bleib‘ ich. Das ist meine Meinung, sag‘ ich, sie mag nicht viel wert sein, sag‘ ich, aber ’s ist nun einmal meine Meinung, sag‘ ich, und wenn’s jemand besser weiß, sag‘ ich, der soll’s nur sagen, sag‘ ich, und so ist’s und dabei bleib ich. Und, sag‘ ich zu Schwester Dunlap, Schwester Dunlap, sag‘ ich…«

»Meiner Seel‘, das muß ja eine ganze Schar Nigger gewesen sein, die in der Hütte Nacht für Nacht ihr Wesen getrieben haben, um all das fertig zu kriegen, Schwester Phelps. Seht nur einmal das Hemd an: jeder Zoll davon mit geheimnisvoller afrikanischer Blutschrift bedeckt. Eine ganze Schar, sag‘ ich, muß dahinter hergewesen sein all die Wochen! Ich gäb‘ wahrhaftig zwei Dollar, wenn mir einer das Zeug erklären könnte, und die Kerle, die’s geschrieben haben, würd‘ ich peitschen, bis…«

»Eine ganze Schar zum Helfen, Bruder Marples, sagt ihr? Ja, das will ich meinen! Ich wollt‘ nur, ihr wäret in dem Unglückshaus gewesen und hättet die letzten Wochen miterlebt. Die Kerls haben gestohlen, was ihnen unter die Finger kam. Und wir immer hinter allem her, und trotzdem stahlen sie weiter! Sie haben das Hemd unter meiner Nase von der Wäscheleine weggenommen und auch das Leintuch, aus dem sie die Leiter gemacht haben – ich weiß gar nicht, wie oft sie Leintücher von der Wäscheleine gekrippst haben! Und Mehl und Kerzen und Leuchter und Löffel und die alte Pfanne und tausend Dinge, auf die ich mich jetzt nicht besinnen kann, und mein neues Kattunkleid, und dabei waren ich und Silas und mein Tom und Sid immer dahinter her, Tag und Nacht, wie ich schon gesagt habe, und keiner von uns konnte auch nur ein Haar von ihnen entdecken. Und jetzt, zu guter Letzt, führen die Kerle nicht nur uns an, sondern noch dazu die Räuberbande vom Indianer-Territorium, und kriegen wahrhaftig den Neger weg mit heiler Haut, trotz der sechzehn Mann und zweiundzwanzig Hunde, die ihnen auf den Fersen sind. Da mach‘ sich einer einen Vers drauf! Ei, Geister hätten’s nicht besser besorgen können, nicht flinker und gewichster. Und ich glaub‘ wahrhaftig, es müssen Geister gewesen sein, denn nehmt nur einmal unsere Hunde an; ihr kennt sie alle, beßre gibt’s gar nicht. Und hat auch nur einer von ihnen die leiseste Spur von den Kerlen entdeckt, he? Das erklär mir einer, wenn er kann! He?«

»Ja, das übersteigt denn doch…«

»Hat man je so was gehört, so…«

»Herr du mein Gott, ich…« »Hausdiebe, sowohl als …«

»Herr, du meine Güte, ich hätt‘ mich zu Tode gefürchtet, wenn ich in dem Hause …«

»Zu Tode gefürchtet? Ei, ich bin auch beinah gestorben vor Angst! Ich hab‘ kaum gewagt, ins Bett zu gehen oder aufzubleiben, zu liegen oder zu stehen, Schwester Ridgeway, ihr könnt mir’s glauben. Ei, die waren imstande, mir das Tuch unterm… Na, ihr könnt euch denken, in welcher Aufregung ich war, als gestern Mitternacht herankam. Ich war so weit, daß ich jeden Augenblick dachte, mein bißchen Verstand müsse auch noch mit draufgehen. Ich glaubte wahrhaftig, sie würden zum Schluß noch anfangen, die Kinder zu stehlen. Jetzt bei Tag hört sich’s freilich, komisch an, aber, sag‘ ich zu mir selbst, da sind meine zwei armen, unschuldigen Jungen da oben und schlafen und wissen nichts in dem einsamen, dunklen Zimmer, und wahrhaftig, ich wurde bei dem Gedanken so unruhig, daß ich hinaufkroch und die Tür verschloß. Wahrhaftig, das tat ich! Und das hätte jeder an meiner Stelle auch getan. Denn, wißt ihr, wenn man erst einmal anfängt sich zu fürchten und es geht weiter und wird schlimmer und schlimmer und man verliert den Kopf und kriegt das Zittern und weiß kaum mehr, was man tut, da befürchtet man jeden Augenblick etwas Schreckliches. Ich dachte, wenn du so ein armer Junge wärst und schliefst da oben allein, und das Zimmer wäre nicht verschlossen und man…« Da hielt sie auf einmal ein, und ihr Auge nahm einen starren, verwunderten Ausdruck an, als wolle sie sich auf etwas besinnen, und sie wandte mir langsam den Kopf zu, und ihr Blick streifte mich, und ich dachte, es sei gesünder für mich, einen kleinen Spaziergang zu unternehmen, ehe sie zu Worte kam.

Sag‘ ich zu mir selber: Huck du wirst’s besser erklären können, wie’s kam, daß ihr am Morgen trotz verschlossener Tür nicht im Zimmer wart, wenn du jetzt ein bißchen hinausgehst und darüber nachdenkst. Und das tat ich denn auch. Weit weg aber wagte ich mich nicht, aus Furcht, sie könne nach mir schicken und dann erst recht ein Verhör anstellen. Gegen Abend gingen allmählich die fremden Leute weg, und ich erzählte ihr, wie Sid und ich in der Nacht vom Lärm und vom Schießen aufgewacht seien, und daß wir hätten sehen wollen, was es gebe, und da wir die Tür verschlossen gefunden, am Blitzableiter hinuntergerutscht seien, wobei wir uns beide ein wenig weh getan und deshalb geschworen haben, es nie wieder zu probieren. Und dann erzählte ich ihr alles, wie ich’s Onkel Silas zuvor erzählt hatte, und sie sagte, sie wolle uns verzeihen, es sei wohl natürlich bei solchen wilden Bengeln wie wir zwei, und sie danke Gott, daß uns weiter nichts passiert sei und wolle nun nicht länger nachdenken über das, was daraus hätte werden können, und sie klopfte mir auf den Kopf und versank in Nachsinnen. Mit einemmal springt sie auf und ruft: »Tom«, ruft sie, »wo ist Sid? Beinah‘ ist’s Nacht und noch kein Sid da! Herr, du mein Gott, was ist aus dem Jungen geworden?«

Das scheint mir eine willkommene Gelegenheit, und ich springe auf und rufe: »Ich lauf nach der Stadt, ich will ihn schon finden!«

Aber da kam ich gut an.

»Du bleibst«, sagt sie mit Nachdruck und packt mich am Arm, »einer ist gerade genug! Wenn er bis zum Abendessen nicht da ist, geht dein Onkel und sieht zu, daß er ihn findet, und damit basta!«

Beim Abendessen war er dann auch noch nicht da, und so ging also Onkel gleich nachher auf die Suche.

Gegen zehn kam er wieder, etwas ärgerlich, etwas unruhig, er hatte von Sid nirgends eine Spur finden können. Tante Sally war nicht nur etwas, sondern sehr unruhig, Onkel Silas aber meinte, dazu sei kein Grund vorhanden – Jungen seien eben Jungen, und am Morgen werde sich der Ausreißer wohl von selbst wieder einstellen, heil und durstig und hungrig. Sie mußte sich damit zufriedengeben, wohl oder übel, aber sie sagte, aufbleiben wolle sie doch und auf ihn warten und Licht brennen, damit er das Haus finden könne.

Als ich zu Bett ging, kam sie mit mir auf mein Zimmer, nahm ihr Licht mit und deckte mich warm zu und war so gut und so wie eine Mutter mit mir, daß ich mir ganz elend und schlecht vorkam und ihr kaum in die guten, freundlichen Augen sehen konnte. Und sie setzte sich auf den Bettrand zu mit und schwatzte lange, lange und sagte, was für ein prächtiger Bursche Sid sei, und schien kaum fertig werden zu können, ihn zu loben, und dazwischen fragte sie immer wieder, ob ich dächte, daß er verlorengegangen oder sonstwie zu Schaden gekommen sein könne, oder daß er gar beinahe ertrunken sei und am Ende eben jetzt irgendwo liege, krank und elend, und sie sei nicht bei ihm, um ihm zu helfen und ihn zu trösten. Dabei stürzten ihr die hellen Tränen aus den Augen und rannen leise über die Wangen, und ich versicherte ihr, Sid sei gewiß wohl und munter und werde sich am Morgen unfehlbar einstellen, darauf drückte sie meine Hand und küßte mich und bat mich, es noch einmal zu sagen und noch einmal, denn es täte ihr wohl, sie sei in solcher Angst um ihn. Als sie dann wegging, sah sie mir in die Augen, so fest und doch dabei so gut und freundlich, und sagte: »Ich werde die Türe nicht schließen, Tom, und dort ist das Fenster und der Blitzableiter, aber, nicht wahr, du wirst brav sein? Wirst du? Und wirst nicht durchbrennen, Tom, um meinetwillen!«

Das fiel mir aufs Herz, wo Tom ohnehin schon schwer drauflag, und aus dem Schlafen wurde nicht viel. Ich warf mich ruhelos hin und her. Zweimal rutschte ich am Blitzableiter hinab und schlich mich ums Haus herum auf die Vorderseite und sah die gute Frau dort am Fenster sitzen bei ihrem einsamen Licht, und die Augen, die auf den Weg hinausstarrten, waren dick voll Tränen, und ich wünschte, ich wäre imstande gewesen, etwas für sie zu tun, aber ich wußte nicht, was. Das einzige war, daß ich mir selbst schwur, nie wieder etwas zu tun, was ihr Kummer machen würde. Dann, als ich zum drittenmal aufwachte, dämmerte schon der Tag, und ich glitt noch einmal hinunter auf meinem gewöhnlichen Weg, und richtig, da saß sie noch, und das Licht war ausgebrannt, während der müde, graue Kopf auf den Tisch gesunken und die alte Frau endlich eingeschlummert war.

28. Kapitel

Das letzte Hemd – Jagd nach dem Verlorenen – Die Zauberpastete

28. Kapitel

Das mit der Pastete war also ausgemacht. So liefen wir denn weg und krochen in eine Art Rumpelkammer, die wir früher schon ausspioniert hatten und in der Haufen alter Stiefel und Lumpen, zerbrochene Flaschen, durchlöcherte Blechgefäße und lauter solch nützliches Zeug aufgespeichert lag. Wir kramten lange drin herum und fanden endlich eine etwas durchsichtige blecherne Waschschüssel, deren schadhafte Stellen wir, so gut es ging, zustopften, um die Pastete darin zu backen. Nun schlichen wir uns mit der Schüssel in den Keller und füllten sie voll Mehl, und dann rannten wir zum Frühstück und fanden unterwegs noch einige große, rostige Nägel, von denen Tom sagte, sie seien herrlich für einen Gefangenen, um damit seinen Namen und seine Leiden auf die Wände seines Kerkers zu kritzeln. Einen davon steckten wir in die Tasche von Tante Sallys Schürze, die auf einem Stuhl hing, und den andern in Onkels Hutband, weil wir die Kinder sagen hörten, daß Papa und Mama den durchgebrannten Nigger heute besuchen wollten. Das Frühstück kam noch nicht, und so praktizierte Tom den Zinnlöffel in der Zwischenzeit in Onkels Rocktasche; Tante Sally ließ ebenfalls lange auf sich warten, und als sie endlich kam, war sie ganz erhitzt und sah rot und zornig aus. Sie konnte kaum abwarten, bis das Gebet vorüber war, dann schenkte sie mit einer Hand den Kaffee ein und trommelte mit ihrem Fingerhut an der anderen Hand auf dem Kopf des ihr zunächst sitzenden Kindes herum und sprach zu Onkel Silas: »Ich hab‘ das ganze Haus durchsucht, vom Speicher bis zum Keller, und wahrhaftig, es geht über meinen Horizont, aber ich kann und kann dein zweites Hemd nicht finden!«

Plumps, da fiel mir das Herz in die Hosen und noch tiefer, und ein Stück Brotkrume rutschte die Gurgel hinunter und begegnete unterwegs einem gewaltigen Husten, der’s wieder rückwärts trieb, gerade über den Tisch, einem der Kinder ins Auge. Das krümmte sich wie ein Wurm und stieß das reinste indianische Kriegsgeheul aus, und Tom verfärbte sich ganz grünlich, und eine Minute lang schien uns allen der Atem stillzustehen. Dann ging’s wieder besser, es war nur die Überraschung, die uns so mitspielte und uns ordentlich den kalten Schweiß austrieb.

Onkel Silas überlegte ein wenig, fingerte an sich herum und sagte dann: »Das ist aber doch wirklich merkwürdig, das begreif ich nicht. Ich weiß gewiß, daß ich’s ausgezogen habe, weil …«

»Natürlich, weil du nur eins anhast! Hör einen den Mann! Ich weiß wohl, daß du’s ausgezogen hast, besser als du mit deinem Sieb von Gedächtnis, weil’s gestern noch auf der Leine war und ich’s dort selbst gesehen habe! Weg ist’s aber, soviel ist gewiß, und du mußt eben dein rotes Flanellhemd anziehen, bis ich Zeit habe, ein neues zu nähen. Das ist dann schon das dritte, das ich in den letzten zwei Jahren mache. Wahrhaftig, du könntest einer ganzen Armee von Näherinnen zu tun geben mit deinen Hemden! Und wie du es machst, daß sie dir wegkommen, ist mir ein wahres Rätsel! Man sollte doch denken, in deinem Alter hättest du endlich gelernt, auf deine Hemden aufzupassen!«

»Ja, ja, Sally, ich weiß es, aber siehst du, so ganz allein mein Fehler ist’s doch auch nicht, denn ich hab‘ doch eigentlich nichts mit den Hemden zu tun, sobald ich sie nicht mehr auf dem Leib habe, und vom Leib herunter hab‘ ich doch, glaub‘ ich, noch keins verloren!«

»Na, dein Verdienst ist das nicht, Silas, das brächtest du auch noch fertig, wenn’s möglich wäre! Und das Hemd ist’s noch gar nicht allein, was fehlt, nein, es fehlt auch ein Löffel. Zehn waren’s, und neun sind’s nur noch, einer ist weg. Wenn das Kalb das Hemd gefressen hat, wie sie mir vormachen wollen – den Löffel hat’s doch sicher nicht mit verschluckt! Soviel ist sicher!«

»Fehlt sonst noch was?«

»Ja, noch was! Sechs Talglichter; das ist doch was, denke ich. Die könnten die Ratten gefressen haben, das wär‘ möglich, wahrhaftig, es ist ja ein Wunder, daß sie noch nicht das ganze Haus verschluckt haben, du kümmerst dich ja keinen Pfifferling drum, Silas, ob ihre Löcher verstopft sind oder nicht. Sie könnten in deinen Haaren nisten, dir wär’s einerlei, ich glaub‘, du merktest gar nichts davon. Das Verschwinden des Löffels aber kann man auch den Ratten nicht in die Schuhe schieben, das ist doch klar!«

»Ja, Sally, du hast recht, das hab‘ ich wirklich versäumt, aber ich versprech‘ dir, daß ich noch vor heut‘ abend die Löcher alle selbst zustopfe, und ordentlich!«

»Oh, es hat ja keine Eile, nächstes Jahr ist auch noch Zeit!«

Plumps fällt der Fingerhut hörbar auf den Schädel eines Sprößlings, und heulend zieht der die Finger aus der Zuckerdose zurück, in der sie herumgekrabbelt sind. Da erscheint Liese, die Niggerfrau, die die Hausarbeit besorgt, unter der Türe: »Frau, es fehlt auch eine Bettuch!«

»Ein Bettuch? Herr, du mein Gott!«

»Jetzt stopf ich aber gleich die Rattenlöcher zu!« seufzt Onkel Silas und sieht sehr reuig und bekümmert aus.

»Oh, schweig still!« fährt Tante Sally auf ihn los, »denkst du denn vielleicht, die Ratten hätten das Bettuch verzehrt? Wo mag das Bettuch sein, Liese?«

»Ojemine! Liese das nix wissen! Waren auf der Leine gestern, sein weg heute – ganz, ganz weg!«

»Wahrhaftig, ich glaub‘, die Welt geht unter! So was hab‘ ich noch nicht erlebt, solang mich die Sonne bescheint! Ein Hemd und ein Bettuch und ein Löffel und sechs Talglich…«

»Kann den Messingleuchter nicht finden!« schreit eine kleine halbwüchsige Range und stürzt wie toll ins Zimmer. – »Willstwohl machen, daß du hinauskommst, du Balg? Marsch – oder!«

Nun war sie aber wie rasend. Wir alle duckten uns, zogen die Schultern ein und waren still wie die Mäuse, während sie wie ein Wirbelwind durchs Zimmer fuhr und bald hier, bald da etwas krachte und knackte. Ich sah mich schon nach einer Gelegenheit um, mich mit heiler Haut zu salvieren, als Onkel Silas plötzlich in die Tasche greift und mit der erstauntesten, ungläubigsten, dümmsten Miene von der Welt den Löffel vorzieht. Mitten im tollsten Redestrom blieb ihr der Mund offenstehen, und bei diesem Anblick wünschte ich mich nach Jerusalem oder sonstwohin.

Aber bald ruft sie: »Grad‘ wie ich’s dachte! Genauso wie ich’s dachte! Hast du natürlich die ganze Zeit über den Löffel in deiner eignen Tasche und sagst kein Wort und läßt deine Frau sich bald tot ärgern. Ganz wie du bist! Vielleicht hast du die andern Sachen auch noch drin, wie? Sieh doch einmal nach! Wie ist er denn eigentlich hineingekommen?«

»Das weiß ich wahrlich nicht, Sally, ich würd’s dir doch gewiß sagen«, versetzt er, sich gleichsam entschuldigend. »Ich habe vor dem Frühstück meinen Text studiert für nächsten Sonntag und hab‘ mein Neues Testament auf dem Tisch gehabt, da hab‘ ich’s gewiß verwechselt und den Löffel statt dessen in die Tasche gesteckt, denn wie ich jetzt merke, ist mein Testament nicht drin. Ich will einmal gehen und nachsehen; wenn’s noch da liegt, wo ich’s vor dem Frühstück hatte, dann ist’s ganz sicher so, und ich hab’s nur verwechselt.«

»Herr, du mein Gott, kannst du nicht schweigen? Du machst einen ja halb tot mit deinem Geschwätz! Jetzt macht, daß ihr wegkommt, alle miteinander, marsch, fort, und kommt mir nicht wieder zu nahe, bis ich mich erholt habe, hört ihr? Ich rat’s euch im Guten!«

Ich hätt‘ sie verstanden, und wenn sie’s nur geflüstert, nur zu sich selbst gesagt, es nur gedacht hätte! Und ich hätt‘ ihr gehorcht, wenn ich tot und begraben gewesen wäre! Keiner war so flink wie ich, und als wir durchs Wohnzimmer kamen, stand dort der alte Mann und nahm gerade seinen Hut vom Nagel und setzte ihn auf. Der Nagel fiel zu Boden, und er bückte sich ganz matt danach und hob ihn auf, ohne ein Wort zu verlieren, legte ihn auf den Tisch und ging hinaus.

Tom hatte zugesehen, dachte an den Löffel und meinte: »Mit dem schicken wir lieber nichts mehr, auf den ist kein Verlaß! Mit dem Löffel aber hat er uns einen Dienst erwiesen, ohne es zu wollen, und das werden wir ihm vergelten, ohne daß er es weiß, und ihm seine Rattenlöcher zustopfen, der bringt’s doch nie zustande!«

Gesagt, getan! Es waren gerade genug drunten im Keller; wir hatten eine ganze Stunde damit zu tun, danach war’s aber auch getan, gut und fest und dauerhaft, und ’s sollte den Ratten schon schwer werden, durchzubrennen! Auf einmal hören wir Schritte auf der Treppe, blasen unser Licht aus, verstecken uns, und da kommt der alte Mann mit einem Licht in der einen Hand und mit einem Pack in der andern und sieht so abwesend aus wie das Jahr, das vorm letzten vergangen. Träumerisch schleicht er an jedes Loch, fingert ein bißchen dran herum, stopft ein bißchen was hinein, und fertig ist er. Lange steht er dann und schaut ins Licht, pickt den abgeflossenen Talg weg und denkt über was nach. Dann wendet‘ er sich langsam der Treppe zu und flüstert vor sich hin: »Ich mag mir den Kopf zerbrechen, wie ich will, und kann mich doch nicht besinnen, wann ich’s getan habe. Aber zugestopft sind die Löcher, und ich könnt‘ ihr jetzt beweisen, daß ich nicht schuld an den Ratten bin! Doch was liegt dran, ich laß es gut sein. Es würde doch nichts helfen!«

Und so kriecht er murmelnd und schleppenden Ganges die Treppe hinauf, und wir leise hinterdrein. Es war wirklich ein guter alter Mann und ist’s immer noch!

Tom war sehr in Verlegenheit, was er wegen des Löffels tun solle; wir müßten jedenfalls einen haben. Als er sich’s überlegt hatte, sagte er mir seinen Plan. Wir gingen dann ins Zimmer, drückten uns um den Löffelkorb herum, bis wir Tante Sally kommen sahen, und dann nahm Tom die Löffel heraus, legte sie neben den Korb und begann sie zu zählen, während ich einen davon in meinen Ärmel verschwinden lasse. Plötzlich ruft er: »Na, aber Tante Sally, es sind ja noch immer nur neun Löffel, sieh doch mal!«

Sie fährt ihn an: »Mach, daß du weiterkommst, spielt etwas und laßt mich in Ruhe. Ich weiß es besser, ich hab‘ sie ja vorhin selbst gezählt!«

»Na, ich hab‘ sie eben zweimal gezählt, Tantchen, und ich krieg‘ nur neun heraus!«

Sie sah furchtbar ungeduldig aus, kam aber doch her – jedes hätte da angebissen!

»Ja, wahrhaftig, so ist’s, so wahr ich lebe, es sind nur neun!« sagt sie. »Wie in aller Welt – da schlag doch gleich was drein, wart, ich will’s noch einmal zählen!«

Jetzt leg‘ ich den aus meinem Ärmel dazu, und wie sie mit dem Zählen fertig ist, sagt sie: »Das ist ja rein wie verhext! Jetzt sind’s wieder zehn!« Und sie sieht ganz ungeduldig und ärgerlich aus.

Meint Tom: »Aber Tantchen, ich glaub‘ doch nicht, daß es zehn sind!«

»Was, du Dickkopf, hab ich’s denn nicht grad‘ gezählt?«

»Ich weiß, aber …«

»Wart‘, ich zähl‘ sie noch einmal, daß du endlich zufrieden bist!«

Ich also wieder einen weggenommen, und so waren’s neun wie zuerst. Na, jetzt wurde sie aber wild – und wie wild! Sie zitterte am ganzen Körper und konnte sich kaum helfen. Aber sie zählte und zählte, bis sie so verwirrt war, daß sie den Korb als Löffel ansah und mitzählte, und dreimal waren’s zehn und dreimal nur neun – sie war ganz toll! Dann nahm sie den Korb, schleuderte ihn an die Wand, versetzte der Katze einen Tritt, daß die in die Luft flog, und schrie, wir sollten uns packen und sie in Ruhe lassen, und wenn wir uns noch einmal vor Tisch blicken ließen, wolle sie uns die Haut bei lebendigem Leibe abziehen. Wir aber hatten unsern Löffel wieder, und Jim erhielt ihn zusammen mit dem alten Nagel noch vor Mittag. Soweit waren wir ganz zufrieden und Tom meinte, der Spaß sei wohl der Mühe wert gewesen, denn nun könne sie die Löffel in ihrem ganzen Leben nie wieder richtig zählen und wisse sicher nie mehr, ob sie zehn oder nur neun habe, und zähle sie einmal richtig, so meine sie, es sei falsch, und umgekehrt, und wenn sie das Manöver nur drei Tage hintereinander fortsetze, so würde sie am vierten sicherlich jedem den Kopf abreißen, der sie dran erinnerte und nicht neun zehn, oder zehn neun sein lasse.

Am Abend hingen wir dann das Bettuch wieder auf die Leine und stahlen eins aus dem Schrank und machten so weiter mit nehmen und wieder hinlegen während einiger Tage, bis sie auch nicht mehr wußte, wie viele Tücher sie hatte, und sagte, es läge ihr auch gar nichts dran, sie wolle sich nicht zu Tod ärgern, nun zähle sie auch gar nicht mehr, um keinen Preis, lieber wolle sie gleich auf der Stelle sterben.

Nun war alles in schönster Ordnung mit dem Hemd und dem Bettuch und dem Löffel und den Lichtern, Dank dem Kalb und den Ratten und dem etwas verwickelten Zählexperiment. Am Leuchter lag nicht so viel; dieser Sturm verwehte von selbst nach und nach.

Die Pastete aber, die berühmte Zauberpastete, machte uns viel, viel Arbeit. Wir hatten uns dazu alles Nötige hinaus in den Wald geschleppt, und dort buken wir sie auch. Endlich wurden wir fertig damit, und sie war auch recht gelungen, aber es hatte länger als einen Tag gedauert und wir brauchten statt einer drei Waschschüsseln voll Mehl, ehe wir soweit waren, und wir verbrannten uns beinahe überall, und die Augen liefen uns beinahe aus vor Rauch; wir wollten eben nur eine Kruste haben, und die wollte nicht stehenbleiben, sondern stürzte immer wieder nach der Mitte zu ein. Zuerst probierten wir, sie mit unsern Händen festzuhalten, dann aber fiel uns ein, wir können ja gleich die Strickleiter zum Ausfüllen hineintun. So ließen wir’s denn sein und machten uns erst an die Leiter. Wir blieben die Nacht über bei Jim, rissen das Bettuch in kleine Streifen, flochten diese zusammen und hatten lange vor Tagesanbruch ein herrliches Seil fertig, mit dem man einen Ochsen hätte hängen können. Wir taten dann so, als hätten wir neun Monate dazu gebraucht.

Anderntags nahmen wir’s mit in den Wald, aber es wollte nicht in die Pastete hineingehen. Man hätte damit vierzig Pasteten füllen können, wenn wir sie gebraucht hätten, und es wäre auch noch etwas übriggeblieben für Suppe oder Wurst oder was man sonst wollte. So ein Bettuch ist groß, es hätte für ein paar Mittagessen gereicht!

Das brauchten wir nun aber nicht. Wir brauchten nur genug für unsere Pastete, und den Rest warfen wir dann weg. Zum Backen konnten wir aber die Blechschüssel nicht gebrauchen, wir hatten Angst, der Boden käm‘ heraus und unsre ganze Herrlichkeit fiele ins Feuer. Aber Onkel Silas besaß eine feine eiserne Kohlenpfanne, auf die er sehr stolz war, denn sie war ein altes Erbstück mit einem langen hölzernen Griff und war von England mit Wilhelm dem Eroberer auf der Mayflower oder sonst einem der ersten Auswandererschiffe herübergekommen. Sie lag nun droben auf dem Speicher mit einer Menge anderen Gerümpels, das Onkel hochschätzte, nicht weil es wirklich Wert gehabt hatte, sondern weil es Relickjen waren, wie Onkel sagte, wovon ich aber nicht weiß, was es heißen soll. Nun, die eiserne Pfanne also, die Relickjen-Pfanne, kriegten wir vor, heimlich natürlich, und nahmen sie mit in den Wald. Die ersten Pasteten wollten nicht recht geraten, bis wir’s dann besser los hatten. Wir nahmen die Pfanne, füllten sie mit Teig aus, stopften dann das Seil hinein und legten Teig drauf; dann den Deckel zu, Kohlen drauf, Griff gepackt, aufs Feuer gehoben, und nach fünfzehn Minuten kam die schönste Pastete heraus, wie sie der beste Koch kaum hätte backen können. Wer die aber essen wollte, mußte sich mit Zahnstochern versehen, dem Zentner nach, denn das Seil, denk‘ ich mir, muß ziemlich zäh geblieben sein. Na, wir aßen sie ja nicht, mochte ein andrer Leibweh kriegen!

Sam sah sich nicht um, als wir die Pastete auf Jims Schüssel legten. Die drei Zinnteller verbargen wir zuunterst, häuften dann das ganze Essen drauf, und Jim bekam auch alles, und sobald er allein war, sprengte er die Pastetenhülle, steckte die Strickleiter in seinen Strohsack, kratzte etwas krumm und schief auf den einen Zinnteller und warf ihn zum Guckloch hinaus.

Tom war sehr zufrieden und sagte, Jim habe brav seine Schuldigkeit getan.