Der Alte geht zum Kreisrichter – Huck entschließt sich Reißaus zu nehmen – Ernsthaftes Nachdenken! – Politisches – Nächtliche Lustbarkeit
6. Kapitel
Soweit also war’s gut! Bald aber war der alte Mann wieder zurechtgeflickt und machte die Gegend aufs neue unsicher. Er ging zum Kreisrichter und drohte ihn zu verklagen und tat’s auch wirklich, als der sich weigerte das Geld herauszugeben. Dann wollte er mich verklagen, weil ich trotz seines Verbots in die Schule trabte. Er fing mich ein paarmal ab und walkte mich tüchtig durch, ich aber ging nach wie vor hin, und es gelang mir meistens, ihn zu überlisten oder aber davonzurennen. Vorher war mir die Schule gerade kein Vergnügen gewesen, nun aber fand ich Lust daran, weil es den Alten so ärgerte. Der Prozeß vor Gericht wegen des Geldes ging nur sehr langsam vonstatten, sie schienen darüber einschlafen zu wollen. So borgte ich denn ab und zu zwei oder drei Dollar vom Kreisrichter, mit denen ich mich dann beim Alten von einer versprochenen Tracht Prügel loskaufte. Sooft er Geld hatte, hatte er auch einen Rausch, und sooft er einen Rausch hatte, tobte er durch die Straßen, und sooft er das tat, wurde er eingesperrt. Solch ein Leben gefiel ihm, das war gerade, was er wolltet
Allmählich aber machte er doch die Gegend um das Haus der Witwe allzu unsicher. Sie warnte ihn zwar ein paarmal und drohte, sie wolle die Nachbarn zu Hilfe rufen gegen ihn, aber das half nichts. Er wurde nur wütend und sagte, er wolle zeigen, wer Huck Finns Herr sei! So fing er mich an einem schönen Frühlingstage ab, als ich nichts Schlimmes ahnte, schleppte mich mit Gewalt zum Fluß in ein Boot, setzte nach dem Illinois-Ufer über, wo der Wald am dicksten stand, und brachte mich da in eine alte Blockhütte, die niemand hätte auffinden können, der nicht genau wußte, wo sie lag.
Ich mußte immer an seiner Seite bleiben, und zum Durchbrennen gab’s nicht die kleinste Gelegenheit. So wohnten wir denn in der alten Hütte, und bei Nacht verschloß er die Tür und legte den Schlüssel unter seinen Kopf. Er besaß eine alte Flinte, die er wahrscheinlich irgendwo gestohlen hatte. Wir jagten und fischten und lebten von der Beute. Von Zeit zu Zeit schloß er mich ganz ein, ging hinunter an die Fähre, tauschte dort Fische, und was er geschossen hatte, gegen Schnaps ein, kam heim, betrank sich, vergnügte sich auf seine Weise und prügelte mich durch. Die Witwe hatte mittlerweile herausgefunden, wo mich der Alte hingeschleppt, und sandte einen Mann, der mich befreien sollte. Den trieb aber mein Vater mit der Flinte in die Flucht. Bald hatte ich mich denn auch an das Leben gewöhnt, befand mich wohl dabei und liebte es; nur das Durchhauen war nicht ganz nach meinem Geschmack.
Es war so lustig und so faul und so behaglich, den ganzen Tag nach Herzenslust herumzuliegen, nur zu rauchen oder zu fischen und Bücher Bücher, und Lernen Lernen sein zu lassen. Zwei oder drei Monate verflossen so, meine Kleider waren nur noch schmutzige Lumpen, und ich konnte kaum mehr begreifen, wie ich es je bei der Witwe ausgehalten hatte, wo man sich waschen mußte, vom Teller essen, sich kämmen, zu Bett gehen und zur bestimmten Stunde aufstehen, ewig sich mit Büchern herumplagen und dazu das Keifen und Zetern der alten Miss Watson mit anhören. Ich wollte gar nicht wieder zurück in das Gefängnis! Das Fluchen hatte ich mir abgewöhnt, weil es die Witwe nicht gern hörte, nun machte ich mich aber lustig wieder dran, mit meinem Alten um die Wette. Ich hatte es eigentlich ganz gut da draußen im Wald, wenn ich so alles in allem nehme.
Allmählich aber wurde der Alte zu beweglich mit seinem Stock, ich konnt‘ es kaum mehr aushalten, ich war voll Striemen und Beulen. Auch ging er immer öfter weg und schloß mich ein. Einmal blieb er beinahe drei Tage aus. Es war schrecklich einsam, und ich dachte schon, er sei ertrunken und ich müsse hier verhungern. Das war mir denn doch zu bunt! Wie oft hatte ich schon versucht durchzubrennen, aber es ging nicht. Die Fenster waren Löcher, durch die kein Hund durchgekonnt hätte, der Kamin war zu eng, und die Türen aus festen Eichenbohlen gezimmert. Ein Messer oder irgend etwas Derartiges hütete sich der Alte wohl zurückzulassen, wenn er ging. Wie oft schon hatte ich die Hütte durchstöbert, von oben bis unten, ohne je etwas zu entdecken, diesmal aber fand ich unter einem Dachbalken, ganz in der Ecke, eine alte, rostige Holzsäge. Wer war froher als ich! Rasch eingeschmiert und nun frisch drauf los! Ich hob ein Stück von einer alten Pferdedecke auf, die in eine Ecke beim Tisch genagelt war, damit der Wind das Licht nicht ausblase, und begann dahinter die Balken anzusägen, um ein Stück herauszunehmen, so groß, daß ich durchschlüpfen könnte. Es war eine tüchtige, saure Arbeit, und als ich beinahe damit zu Ende war, hörte ich Vaters Flinte im Wald. Ich nun schnell, schaff‘ die Sägspäne beiseite, leg‘ den Teppich vors Loch und verberg‘ die Säge. Kaum war ich fertig, stolperte richtig der Alte zur Türe herein.
Er war schlechter Laune – hatte also nicht getrunken, erzählte, er sei in der Stadt gewesen und daß alles verkehrt ginge. Der Advokat sage, er werde ohne Zweifel den Prozeß gewinnen, wenn er nur erst einmal zur Verhandlung käme. Es werde aber immer wieder hinausgeschoben und daran sei nur der Kreisrichter mit seinem Einfluß schuld. Dann sollten die Leute gesagt haben, es würde einen neuen Prozeß geben, um mich von ihm fortzunehmen und die Witwe zu meinem Vormund zu machen, und dann würde die Sache wahrscheinlich gegen ihn ausfallen. Diese Nachricht versetzte mir einen gewaltigen Stoß, denn zur Witwe wollte ich keinesfalls zurück, wo sie mich in alles mögliche hineinzwängten, in Kleider und Manieren, um mich zu sievilisieren. Jetzt fing der alte Mann an zu fluchen und fluchte auf alles und jeden, den er kannte, dann fing er von vorn an, um sicher zu sein, daß er keinen vergessen hatte, und endlich rundete er das Ganze niedlich mit einem saftigen Fluch auf die Welt im allgemeinen ab.
Die Witwe solle nur einmal kommen und mich zu holen versuchen, er wisse einen Platz, sechs oder sieben Meilen weit im Walde drin, da wolle er mich hinstecken, da könnten sie nach mir suchen, bis sie schwarz würden, eh‘ sie mich fänden. Einen Augenblick lang stand mir der Atem still, dann aber fiel mir ein, daß ich bis dahin kaum mehr zur Hand sein dürfte, um ihm diese Freude zu machen.
Der Alte hieß mich nun zum Boot gehen und die Sachen holen, die er eingehandelt hatte. Es war ein Sack mit ungefähr fünfzig Pfund Mehl, eine Speckseite, Munition und ein tüchtiger Krug Branntwein, ein altes Buch, zwei Zeitungen und sonst allerlei, dann noch ein Stück Seil. Ich machte mir die Ladung zurecht, schaffte sie ans Land und setzte mich dann in das Boot, um einmal ernsthaft über meine Lage nachzudenken. Ich hielt es für das beste, mit der Flinte und ein paar Angelruten in die Wälder durchzubrennen, mich da zu verbergen, dann nach einiger Zeit während der Nacht weiterzuwandern, zu jagen und zu fischen, um etwas zu essen zu haben, und so immer weiter und weiter bis weder der Alte noch die Witwe mich je würden wiederfinden können. In dieser Nacht wollte ich meine Sägearbeit an der Hütte fertigmachen, sobald der alte Mann betrunken war, worauf ich sicher zählte, wenn ich den Vorrat von Branntwein betrachtete, mit dem er sich versehen hatte. Ich war so voll von meinen Plänen, daß ich alles um mich her vergaß, bis mich mein Alter von der Hütte her anrief und fragte, ob ich schlafe oder was sonst mit mir los sei.
Ich schaffte nun die Sachen zur Hütte, und darüber war’s beinahe dunkel geworden. Während ich das Abendessen kochte, hatte sich der Alte an seinen Krug gemacht, einige herzhafte Züge getan und war dadurch warm geworden. Seinen letzten Rausch hatte er in der Stadt gehabt, wo er die ganze Nacht über in der Gosse gelegen hatte. Er sah aber auch danach aus! Man hätte ihn für Adam halten können, er schien ein wandelnder Erdenkloß, so überzogen mit Kot und Lehm war er. Wenn der Schnaps lebendig in ihm wurde, beschäftigte er sich beinahe immer mit Politik und der Regierung.
Diesmal schimpfte er nicht schlecht: »Das will eine Regierung sein, Donnerwetter, und dabei ist sie, bei Licht gesehen, keinen Pfifferling wert! Kommen sie da mit dem Gesetz und wollen einem alten Mann den Sohn wegnehmen, den einzigen Sohn, den er mit Mühe, Angst und Not und schweren Kosten großgezogen hat. Ja und gerade dann, wenn der Sohn glücklich so weit ist, daß er verdienen könnte und etwas für seinen armen, alten Vater tun, dann kommen sie mit dem Gesetz und wollen ihn wegnehmen. Und das will eine Regierung sein, wahrhaftig, allen Respekt davor! Und das ist noch nicht alles! Noch lange nicht! Da gibt’s auch noch ein Gesetz, das dem Schurken von Kreisrichter hilft, mir mein Geld nicht herauszugeben – mein eignes Geld! Solch ein Gesetz gibt’s! Ein Gesetz, das einen Mann, der seine sechstausend Dollar und mehr wert ist, nimmt und ihn in ein altes Loch stopft, wie das hier, ihn statt mit Kleidern mit Fetzen behängt, die für ein Schwein zu schlecht wären, ihn – wahrhaftig eine wundervoll weise Regierung, bei der man nicht zu seinem Recht kommen kann! Ich hätte gute Lust, dem ganzen Bettel den Rücken zu kehren und das Land zu verlassen! Hab’s aber dem Kreisrichter auch gesagt, tüchtig, und alle konnten’s hören, war mir ganz egal, sie können’s weitersagen, wenn sie wollen! Sag‘ ich, für zwei Cents wend‘ ich dem vermaledeiten Land den Rücken, und straf mich Gott, wenn ich ihm je wieder nahe komme. Das ist, weiß Gott, und wahrhaftig gerad‘, was ich gesagt hab‘. Und, sag‘ ich, da seht meinen Hut an, wenn man das Ding überhaupt einen Hut nennen kann, an dem der Kopf fehlt und der Rand nur ein Fetzen ist, mit solchem Hut läßt die Regierung dieses gesegneten Landes einen Mann laufen, der einer der wohlhabendsten der Stadt wäre, wenn er zu seinem Recht kommen könnte – so eine Regierung, daß Gott erbarm!«
Und so gings weiter, immer in derselben Tonart. Dabei stolperte der Alte in der Hütte hin und her in heller Wut, und da er nicht aufpaßte, wo ihn seine wackeligen Spazierhölzer hintrugen, so fiel er schließlich über das kleine Fäßchen mit gesalzenem Schweinefleisch und stieß sich die beiden Schienbeine wund. Nun aber hätte man ihn hören müssen, wie er loszog! – Gott und die Welt im allgemeinen, die Regierung und das Fäßchen ganz im besonderen bekamen ihr redlich Teil ab. Weiß Gott, so hatte ich ihn selber noch nicht gehört! Er hüpfte erst auf einem Bein, dann auf dem andern und strich mit der Hand über den geschundenen Teil, plötzlich holte er kräftig aus und versetzte dem Missetäter von Faß einen schallenden Fußtritt. Da hatte er sich aber versehen und den Fuß genommen, an dem die Zehen aus dem Stiefel herausguckten. Das Gebrüll, das dem Tritt folgte, machte mir ordentlich die Haare zu Berge stehen – plumps lag er am Boden und wälzte sich, heulend vor Schmerz und die gräßlichsten Flüche herunterrasselnd, die ihm zu Gebote standen.
Nach dem Abendessen zog der Alte den Schnapskrug liebäugelnd heran und meinte, darin sei genug für zwei Räusche und ein Delerium tramens oder wie er’s nannte. Das war immer seine Redensart, und es schien ein Witz zu sein, denn er grinste dabei, aber ich verstand ihn nicht. In einer Stunde, so rechnete ich, würde er schwer geladen sein und dann konnte ich entweder den Schlüssel nehmen, oder die Wand vollends durchsägen, je nachdem. Er trank und trank und fiel schließlich auf sein Lager, aber das Glück war mir doch nicht günstig. Er kam zu keinem tiefen Schlaf, sondern warf sich unruhig von einer Seite zur andern. Er ächzte und stöhnte und hieb um sich und konnte keine Ruhe finden. Schließlich wurde ich selbst so müde, daß ich meine Augen nicht mehr offenhalten konnte, und ehe ich wußte, was ich tat, war ich selig hinübergeschlummert, während das Licht immer weiterbrannte.
Wie lange ich schlief, weiß ich nicht, aber plötzlich wurde ich durch einen furchtbaren Schrei geweckt und fuhr in die Höhe. Der Alte stand mitten in der Hütte, hieb um sich wie ein Toller nach allen Seiten und brüllte etwas von Schlangen. Er jammerte, sie kröchen an seinen Beinen herauf, und sprang wie wahnsinnig laut schreiend hin und her, ächzte dann, nun habe ihn eine gebissen, ich aber schaute und schaute und konnte keine einzige Schlange entdecken. Jetzt lief er wie toll immer im Kreis herum und brüllte: »Nimm sie weg, tu sie fort, sie beißt mich ja in den Hals!« Ich habe noch an keinem Menschen so wilde Augen gesehen, wie er sie machte. Bald wurde er müde, fiel zu Boden und lag kurze Zeit still. Plötzlich fing er an, sich hin und her zu rollen, mit den Händen in der Luft zu fechten, immer schneller und schneller, nach allem zu stoßen und zu treten, was ihm in den Weg kam, wobei er immerzu kreischte, der Teufel wolle ihm den Hals umdrehen. Auch damit hatte er bald genug und lag ächzend eine Weile still. Allmählich wurde er ruhiger und gab keinen Ton mehr von sich. Ich konnte die Eulen und Wölfe draußen im Walde hören; die Stille war grausig. Der Alte lag drüben in der andern Ecke. Auf einmal richtet er sich halb auf, legt den Kopf auf eine Seite und lauscht. Dann sagte er ganz leise: »Trab trab – trab, jetzt kommen die Toten! Trab – trab – trab, die wollen mich holen. Ich will aber nicht mit – nein – da sind sie – laßt mich in Ruh‘ rührt mich nicht an, oder – Hand weg, sag‘ ich – puh, wie kalt – weg oder – oh, laßt doch mich armen Teufel in Frieden!«
Jetzt kroch er auf allen vieren herum und bat und beschwor die Toten, ihn in Ruhe zu lassen, wickelte sich schließlich fest in seine alte Decke und kugelte sich unter den Tisch, immerfort um Loslassen flehend. Dann fing er an zu heulen; man hörte es unter der Decke hervor.
Nach einer Weile warf er die Decke von sich, sprang auf, blickte wild um sich, entdeckte mich und jagte mich durch die ganze Hütte. Er sagte, ich sei der Engel des Todes und er wolle mich einfangen und töten und dann könne ich ihm nichts mehr tun. Ich flehte ihn an, mich gehen zu lassen, ich sei ja nur der Huck, aber er lachte gellend auf und brüllte und fluchte und setzte immerzu hinter mir her. Einmal machte ich plötzlich kehrt, um ihn zu überraschen und an ihm vorbeizuschlüpfen, unter seinem Arm durch. Da erwischte er mich bei der Jacke, oben am Kragen, und ich dachte schon, ich sei geliefert, aber schnell wie der Blitz schlüpfte ich aus der Jacke und rettete mich so. Zum Glück war er bald zu müde, um die wilde Jagd weiter fortzusetzen, und setzte sich mit dem Rücken gegen die Tür, sagte, er wolle eine Minute ausruhen und mich dann töten. Das Messer legte er unter sich, brummte dabei etwas von »schlafen und neue Kraft sammeln und dann zeigen, wer der Stärkere sei«.
So schlummerte er denn auch bald ein. Nach einer Weile nahm ich den alten Stuhl, so leise ich konnte, stieg hinauf und nahm die Flinte von der Wand. Ich zog den Ladstock heraus, stieß ihn in den Lauf, um zu sehen, ob geladen sei, legte dann die Flinte über das Fleischfaß, mit der Mündung auf den Alten, verkroch mich selbst dahinter und wartete nun, bis er sich regen würde. – Und wie langsam und stille schleppte sich die Zeit dahin!