Hucks Vater – Bekehrung – Zärtlichkeiten

5. Kapitel

Ich hab‘ mich stets vor ihm gefürchtet, er hat mich immer so tapfer gegerbt, aber diesmal merkt‘ ich gleich, daß es anders war. Das heißt, zuerst schnappte ich nach Luft – es nahm mir den Atem, ihn so plötzlich zu sehen; aber dann raffte ich mich schnell zusammen und trat näher.

Er war beinahe fünfzig und sah auch so aus. Sein Haar war lang und verwirrt und fettig und hing ihm übers Gesicht, daß seine Augen wie hinter Buschwerk hervorstachen. Es war noch ganz schwarz und kein bißchen grau, so war auch sein langer Schnauzbart. In seinem Gesicht, soweit man’s sehen konnte, war keine Farbe, es war ganz weiß, aber nicht von einem gewöhnlichen Weiß, sondern so, daß es einem übel machte, wenn man’s sah, daß es einem eine Gänsehaut über den Rücken jagte, so totenähnlich, so fischbauchartig war es. Seine Kleider – waren Lumpen, weiter nichts. Er hatte den rechten Fuß aufs linke Knie gelegt, und der Stiefel sperrte das Maul so weit auf, daß zwei oder drei Zehen heraussahen, an denen er herumfingerte. Sein Hut, ein alter zerrissener Filzdeckel, lag auf dem Boden.

Ich starrte ihn an. Er hatte den Stuhl etwas hinten übergekippt und starrte mich wieder an. Endlich stellte ich das Licht hin und sah, daß das Fenster offen war; der Alte war also übers Schuppendach eingestiegen. Der verflixte Schuppen!

Der Alte folgte mir mit den Augen, ich spürte es, endlich sagte er: »Donnerwetter, feine Kleider – sehr fein! Du bild’st dir wohl was drauf ein, he? Denkst, du bist ein Herr geworden, he?«

»Vielleicht – vielleicht auch nicht«, sag‘ ich.

»Wirst du mir wohl ordentlich antworten, he?« brüllt er, »du scheinst dir tüchtige Mücken in den Kopf gesetzt zu haben, seit wir uns nicht gesehen. Die treib‘ ich dir aus, das laß dir gesagt sein! Du gehst auch in die Schule, hab‘ ich mir sagen lassen, und kannst lesen und schreiben. Glaubst jetzt wohl, daß du besser bist als dein Vater, he, du Racker? Wart‘ ich will dir kommen! Wer hat dir erlaubt dahinzugehen, wer, frag‘ ich, wer hat dir’s erlaubt?«

»Die Witwe! Sie hat’s erlaubt!«

»Die Witwe, he? Und wer hat’s der Witwe erlaubt, daß sie ihre Nase in Dinge steckt, die sie absolut nichts angehen, wer, he?«

»Niemand!«

»Gut, der will ich’s zeigen! Und du, Bengel, infamer, du läßt das Schulegehen bleiben, verstanden? Ich werd’s den Leuten schon zeigen, was es heißt, einem solchen Flegel wie dir, in den Kopf zu setzen, er sei besser als sein Vater. Laß du dich wieder in der Schule erwischen! Deine Mutter hat nicht lesen und schreiben können, eh‘ sie starb und keiner von der Familie konnt’s ich kann’s auch nicht, und da kommt so ein Racker und will besser sein als wir alle und bildet sich was drauf ein und tut sich dick damit. Das laß ich mir aber nicht gefallen, verstanden? Da – zeig einmal, was du lesen kannst.«

Ich nahm ein Buch und stotterte etwas vom General Washington und dem Krieg. Eine Minute lang hörte er zu, dann versetzte er dem Buch einen Stoß, daß es in die andere Zimmerwand klatschte, und sagte: »Kann’s der Bengel ja wahrhaftig! Ich hätt’s nicht geglaubt, dacht‘ es sei Geflunker. Aber du, wart, ich werd‘ dir die Mücken austreiben, ich leid’s nicht, verstanden? Ich werde aufpassen, und erwisch‘ ich dich an der Schule, mein feiner Herr, so gerb ich dir das Leder durch, daß du die Engel im Himmel pfeifen hörst! Nächstens wirst du noch fromm werden! Donnerwetter, so ein Sohn!«

Er griff nach einem kleinen blau und gelben Bildchen, auf dem ein Junge und ein paar Kühe abgemalt waren, und fragt: »Was ist das?«

»Das hab‘ ich gekriegt, weil ich meine Aufgabe gut gelernt habe.«

Rasch war’s zerrissen, und er brüllt:

»Ich will dir was Beßres geben, wart‘ ich werd‘ dir ein Bild auf den Buckel malen.«

Nun saß er still und murmelte und brummte vor sich hin. Dann fängt er wieder an: »Hat man je schon so etwas erlebt! Das nenn‘ ich einen feinen Herrn! Ein Bett, wahrhaftig, und Bettücher! Und ein Stückchen Teppich am Boden! Und der eigene Vater schläft bei den Schweinen oder wo er gerade hinkommt! Und das will ein Sohn sein! Wart, Kerl, die Mücken fliegen dir aus dem Kopf, eh‘ du Amen sagen kannst, da sag‘ ich dir. Mit dir werd‘ ich noch fertig werden, Racker! Die Leute sagen auch, du hättest Geld! Wie ist das?«

»Die Leute lügen – so ist das!«

»Ich sag‘ dir, Bursche denk dran, daß du mit deinem Vater sprichst, bald bin ich fertig mit meiner Geduld, also sieh dich vor! Jetzt bin ich zwei Tage in der Stadt, und überall hab‘ ich von deinem Geld gehört, schon weiter unten im Tal erzählten sie davon, und so muß doch was dran sein! Deshalb bin ich gekommen. Also morgen schaffst du mir das Geld, verstanden? – Ich brauch’s!«

»Ich hab‘ kein Geld!«

»Du lügst! Der Kreisrichter hat’s für dich, und du schaffst mir’s her – ich brauch’s, sag‘ ich dir!«

»Ich hab‘ kein Geld! Frag den Kreisrichter selbst, der wird dir’s auch sagen!«

»Gut, ich werd‘ ihn fragen, und er muß blechen, oder ich will wissen, wie’s damit steht. Was hast du in der Tasche, he? Ich will’s haben!«

»Ich hab‘ nur einen einzigen Dollar, und den brauch‘ ich, um –«

»Das ist ganz wurst, wozu du ihn brauchst, her damit! Raus!«

Er nahm ihn und biß hinein, um zu sehen, ob er echt sei, und sagte dann, er gehe in die Stadt, um sich Whisky zu holen, er habe den ganzen Tag noch keinen Tropfen über die Lippen gebracht, dabei roch er wie ein Schnapsladen. Dann kletterte er zum Fenster hinaus auf den Schuppen, steckte den Kopf wieder herein, fluchte noch einmal über meine Mücken und darüber, daß ich besser sein wolle als er, und als ich dachte, nun sei er sicher fort, erschien er noch einmal und erinnerte mich an die Schule und die versprochenen Prügel, wenn ich mich dort blicken lasse.

Am andern Tag war er betrunken, ging zum Kreisrichter und drohte ihm wegen des Geldes, das der nicht herausgeben wollte; er sagte, er wolle vor Gericht gehen und ihn dazu zwingen.

Der aber und die Witwe wollten, daß man mich meinem Alten wegnehme und eines von ihnen zu meinem Vormund mache. Und das wäre, meiner Seele, das beste gewesen. Aber da war ein neuer Ortsrichter gekommen, der kannte den alten Mann nicht und meinte, es sei unrecht, Familien zu trennen, er könne nichts tun, er wolle dem Vater das Kind nicht rauben. So mußten der Kreisrichter und die Witwe die Sache eben gehen lassen, wie’s ging.

Das war Wasser auf die Mühle meines Alten und stieg ihm riesig zu Kopf. Er drohte, er wolle mich schwarz und blau dreschen, wenn ich ihm nicht sofort Geld verschaffe. Ich lief also zum Kreisrichter und lieh mir drei Dollar von meinem Geld. Der Alte nahm’s betrank sich, lärmte, schimpfte, fluchte und spektakelte durch die Straßen der Stadt, bis sie ihn festnahmen und für eine Woche einsperrten. Das war ihm nun nichts Neues und genierte ihn weiter nicht. Wenn sie jetzt auch Meister über ihn seien, so bleibe er doch immerhin Herr und Meister seines Sohnes, meinte er, und werde das der ganzen Stadt und seinem Herrn Sohne selbst noch klar beweisen. Dem wolle er schon noch einheizen in seinem Leben!

Nach Verlauf der Strafzeit ließen sie ihn dann laufen. Der Ortsrichter aber sagte, er wolle einen neuen Menschen aus ihm machen, nahm ihn mit nach Hause, gab ihm saubere, ordentliche Kleider statt der Lumpen, behielt ihn zum Frühstück, Mittagessen und Abendbrot und schloß sozusagen dicke Freundschaft mit ihm. Nach dem Abendessen redete er dann auf ihn ein von Gott und dem letzten Gericht, der Bibel und dem Temperamentsverein Huck meint den Temperenzverein = Mäßigkeitsverein. bis der alte Mann zu schluchzen und zu weinen begann und sagte, er sei ein Narr gewesen all sein Leben lang, ein elender, erbärmlicher, lumpiger Narr! Jetzt aber gehe er in sich und wolle von neuem beginnen und ein Mann werden, dessen sich kein Mensch in der Welt zu schämen brauche, wenn ihm der Herr Richter nur helfen und ihn nicht verachten wolle. Der sagte, er möchte ihm um den Hals fallen für diese Worte und weinte vor Rührung, und seine Frau weinte mit. Mein Alter versicherte nun, er sei immer verkannt worden in seinem Leben; alles, was ein verlorener Mensch brauche, um gerettet zu werden, sei Sympathie; der Richter stimmte ihm zu, und dann weinten sie wieder.

Als es Zeit war zum Schlafengehen, erhob sich mein bekehrter Vater, hielt seine Hand hin und sagte: »Sehen Sie hier diese Hand, meine Herrn und Damen, nehmen Sie sie, schütteln Sie sie. Es war einstmals die Hand eines Schweines, aber sie ist’s nicht mehr, sie ist die Hand eines Mannes, der ein neues Leben begonnen hat und der eher sterben wird, als daß er ins alte zurückkehrt. Denken Sie an diese Worte, gedenken Sie dessen, der sie sagte. Es ist eine reine Hand jetzt, nehmen Sie, fürchten Sie nichts, schütteln Sie diese Hand!«

Der Richter, seine Frau und seine Kinder schüttelten sie der Reihe nach, und die Frau Richter küßte sie sogar. Dann sollte er noch ein feierliches Gelöbnis unterschreiben – und er tat’s, indem er drei Kreuze druntersetzte. Der Richter bemerkte noch, das sei der schönste Tag seines Lebens, und dann führten sie meinen Alten im Triumph in ihr allerbestes Gastzimmer. Der aber fühlte sich sehr durstig, und in der Nacht, als alles schlief, kletterte er aus dem Fenster aufs Vordach der Haustür, ließ sich am Gitter nieder, witschte in die Stadt, versetzte seinen neuen Rock für eine schwer geladene Schnapsflasche und stieg so bewaffnet wieder in sein warmes Nest und feierte die Bekehrung auf seine Weise. Gegen Morgen wollte er sich auf dem alten Weg aus dem Staub machen, war aber nicht fest auf den Beinen, fiel vom Dach und brach den Arm an zwei verschiedenen Stellen, konnte nicht weiter und wurde dann nach ein paar Stunden halb erfroren im Schnee aufgefunden. Man schaffte ihn zur Pflege ins Krankenhaus, wo ich ihn nun für einige Wochen wenigstens gut aufgehoben wußte. Im Gastzimmer bei Richters aber mußten sie eine Art Überschwemmung anstellen, ehe es wieder zu gebrauchen war.

Beim Ortsrichter selbst blieb die Bekehrung meines Alten ein wunder Punkt. Er meinte, die sei für die Dauer nur mit einem Flintenschuß ins Werk zu setzen, er wisse kein andres Mittel und, meiner Treu – ich glaub‘, er hat recht.