Die Rückkehr nach Paris

Während d’Artagnan und Porthos den Kardinal nach Saint-Germain führten, waren Athos und Aramis, welche dieselben in Saint-Denis verlassen hatten, nach Paris zurückgekehrt.

Jeder von ihnen hatte seinen Besuch zu machen.

Kaum hatte Aramis seine Reiterkleider abgelegt, so eilte er in das Stadthaus, wo sich Frau von Longueville befand. Bei der ersten Kunde vom Frieden stieß die schöne Herzogin eine laute Verwünschung aus. Der Krieg machte sie zur Königin, der Frieden führte ihre Abdankung herbei. Sie erklärte, daß sie nie den Vertrag unterzeichnen würde und den Krieg nie aufhören lassen wollte.

Als ihr jedoch Aramis diesen Frieden in seinem wahren Lichte, nämlich mit seinen Vorteilen dargestellt, als er ihr statt ihres zweifelhaften und bestrittenen Königtums von Paris das Vizekönigtum der ganzen Normandie vorhielt, als er die vom Kardinal versprochenen fünfmalhunderttausend Franken an ihren Ohren klingeln und vor ihren Augen die Ehre glänzen ließ, die ihr der König erwies, indem er ihr Kind über die Taufe hob, da protestierte Frau von Longueville nur noch infolge der Gewohnheit, zu protestieren, welche die hübschen Frauen an sich haben, und verteidigte sich nur, um sich zu ergeben.

Aramis stellte sich, als glaube er an die Wahrheit ihres Widerstandes, und wollte sich in seinen eigenen Augen das Verdienst nicht nehmen, sie überredet zu haben.

Madame, sagte er zu ihr, Ihr wolltet einmal den Herrn Prinzen, Euern Bruder, den größten Feldherrn unserer Zeit, tüchtig klopfen, und wenn die Frauen von Genie einmal etwas wollen, so gelingt es ihnen immer. Es ist Euch gelungen; der Herr Prinz ist geschlagen, da er nicht mehr Krieg führen kann. Nun zieht ihn auf unsere Partei herüber, macht ihn ganz sacht von der Königin los, die er nicht liebt, und von Herrn von Mazarin, den er verachtet. Die Fronde ist eine Komödie, von der wir bis jetzt nur den ersten Akt gespielt haben. Wir wollen sehen, wie es Mazarin im zweiten Akte, von dem Tage ab, wo der Herr Prinz infolge Eures Zuredens sich gegen den Hof gewendet haben wird, gehen wird.

Frau von Longueville ließ sich überreden. Diese herzogliche Frondeuse war so fest von der Gewalt ihrer schönen Augen überzeugt, daß sie durchaus nicht an ihrem Einflüsse sogar auf Herrn von Condé zweifelte, und die Skandalchronik jener Zeit sagt, sie habe sich nicht zu viel zugetraut.

Als Athos seinen Freund Aramis auf der Place-Royale verließ, begab er sich zu Frau von Chevreuse. Hier war abermals eine Frondeuse zu überreden; aber diese war schwerer zu besiegen, als ihre junge Rivalin. Man hatte keine Bedingung zu ihren Gunsten festgesetzt. Herr von Chevreuse war nicht zum Gouverneur irgend einer Provinz ernannt worden, und wenn die Königin sich herbeiließ, Patin zu werden, so konnte es nur bei ihrem Enkel oder ihrer Enkelin sein.

Beim ersten Wort vom Frieden runzelte also Frau von Chevreuse die Stirne, und trotz aller Logik von Athos, der ihr zu beweisen suchte, daß ein längerer Krieg unmöglich sei, bestand sie auf Fortsetzung der Feindseligkeiten.

Schöne Freundin, sprach Athos, erlaubt mir, Euch zu bemerken, daß alle des Krieges müde sind, daß, Euch und den Koadjutor vielleicht ausgenommen, jeder den Frieden wünscht. Ihr werdet machen, daß man Euch verbannt, wie zur Zeit des Königs Ludwig XIII. Glaubt mir, wir haben das Alter der Erfolge in der Intrigue hinter uns, und Eure schönen Augen sind nicht dazu bestimmt, in Tränen über Paris zu erlöschen, wo es stets zwei Königinnen geben wird, solange Ihr da seid.

Oh, sagte die Herzogin, ich kann den Krieg nicht allein führen, aber ich kann mich an dieser undankbaren Königin und an dem ehrgeizigen Günstling rächen, und so wahr ich Herzogin bin, ich werde mich rächen!

Madame, sprach Athos, ich bitte Euch dringend, bereitet Herrn von Bragelonne keine schlimme Zukunft. Er ist in die Welt getreten, der Prinz will ihm wohl, er ist jung, lassen wir ihn bei dem jungen König seinen Platz einnehmen. Ach, entschuldigt meine Schwäche, Madame; es kommt ein Augenblick, wo der Mensch in seinen Kindern wieder auflebt und jung wird.

Die Herzogin lächelte halb zärtlich, halb ironisch.

Graf, sagte sie, Ihr seid, muß ich fürchten, für die Partei des Hofes gewonnen. Habt Ihr nicht irgend ein blaues Band in Eurer Tasche?

Ja, Madame, sprach Athos, ich habe den Hosenbandorden, den mir der König Karl einige Tage vor seinem Tod gegeben hat.

Der Graf sprach die Wahrheit. Er wußte nichts von der Bitte Porthos‘, und es war ihm nicht bekannt, daß er noch einen andern Orden hatte, als diesen.

Ei nun, man muß sich darein finden, schließlich alt zu werden, sprach die Herzogin träumerisch.

Athos nahm ihre Hand und küßte sie. Sie seufzte und schaute ihn an.

Graf, sagte sie, Bragelonne muß ein reizender Aufenthalt sein. Ihr seid ein Mann von Geschmack, Ihr müßt Wasser, Wald, Blumen haben.

Sie seufzte abermals und stützte ihren reizenden Kopf auf ihre kokett zurückgebogene und in Bezug auf Form und Weiße immer noch bewundernswürdig hübsche Hand.

Madame, erwiderte der Graf, was sagtet Ihr soeben? Nie habe ich Euch so jung, nie habe ich Euch so schön gesehen.

Die Herzogin schüttelte den Kopf und sprach:

Bleibt Herr von Bragelonne in Paris? – Was denkt Ihr davon? fragte Athos. – Laßt ihn mir, versetzte die Herzogin. – Nein, Madame, wenn Ihr die Geschichte von Ödipus vergessen habt, so erinnere ich mich derselben. – In der Tat, Graf, Ihr seid sehr artig, und ich würde gern einen Monat in Bragelonne leben. – Fürchtet Ihr nicht, mir viele Neider zuzuziehen, Herzogin? erwiderte Athos. – Nein, ich werde inkognito reisen, Graf, unter dem Namen Marie Michon. – Ihr seid anbetungswürdig, Madame. – Aber laßt Raoul nicht bei Euch. – Warum dies? – Weil er verliebt ist. – Er, ein Kind? – Er liebt auch ein Kind.

Athos wurde träumerisch.

Ihr habt recht, Herzogin; diese seltsame Liebe für ein Kind kann ihn eines Tages sehr unglücklich machen. In Flandern wird’s einen Feldzug geben, und er soll dahin gehen.

Bei seiner Rückkehr schickt Ihr ihn mir, und ich werde ihn gegen die Liebe panzern.

Ach! Madame, sprach Athos, heutzutage ist die Liebe wie der Krieg, und der Panzer ist nutzlos geworden.

In diesem Augenblick trat Raoul ein. Er meldete dem Grafen und der Herzogin, der Graf von Guiche, sein Freund, habe ihm mitgeteilt, am nächsten Tag werde der feierliche Einzug des Königs, der Königin und des Ministers stattfinden. Am andern Morgen bei Tagesanbruch traf der Hof feierlich alle Vorkehrungen, um Saint-Germain zu verlassen.

Die Königin hatte schon am Abend vorher d’Artagnan kommen lassen.

Mein Herr, sagte sie zu ihm, man versichert mir, Paris sei nicht ruhig. Mir ist bange für den König; stellt Euch an den Kutschenschlag rechts.

Eure Majestät mag unbesorgt sein, erwiderte d’Artagnan, ich stehe für den König.

Und sich vor der Königin verbeugend, trat er ab.

Als d’Artagnan die Königin verließ, sagte ihm Bernouin, der Kardinal erwarte ihn in wichtigen Angelegenheiten.

Er begab sich sogleich zum Kardinal.

Mein Herr, sagte Mazarin, man spricht von einer Meuterei in Paris. Ich werde links vom König sitzen, und da ich hauptsächlich bedroht bin, so haltet Euch am Kutschenschlage links.

Eure Eminenz beruhige sich, erwiderte d’Artagnan, man wird kein Haar von ihrem Haupte berühren.

Teufel! murmelte er, als er im Vorzimmer war, wie soll ich mich da herausziehen? Ich kann nicht zugleich am Kutschenschlage links und an dem rechts sein. Ah, bah! ich bewache den König, und Porthos bewacht den Kardinal.

Diese Anordnung befriedigte alle, was ziemlich selten vorkommt. Die Königin hatte Zutrauen zu dem Mute d’Artagnans, den sie kannte, und Mazarin zu der Tapferkeit Porthos‘, die er erprobt hatte.

Der Zug setzte sich nach Paris in einer zuvor bestimmten Folge in Bewegung. Guitaut und Comminges marschierten an der Spitze der Garden voraus. Dann kam der königliche Wagen; an einem Schlage ritt d’Artagnan, am andern Porthos. Hierauf folgten die Musketiere, die alten Freunde d’Artagnans seit zweiundzwanzig Jahren.

Als man an die Barriere gelangte, wurde der Wagen von einem gewaltigen: Es lebe der König! Es lebe die Königin! begrüßt. Einige Rufe: Es lebe Mazarin! mischten sich darein, fanden aber kein Echo.

Man begab sich nach Notre-Dame, wo das Tedeum gesungen werden sollte.

Die ganze Bevölkerung von Paris war auf den Straßen. Man hatte die Schweizer am Wege als Spaliere aufgestellt. Da aber der Weg lang war, so standen sie immer auf sechs bis acht Schritte Entfernung voneinander und nur einen Mann hoch. Der Wall war also durchaus ungenügend, und von Zeit zu Zeit hatte der Damm, von einer Volkswoge durchbrochen, die größte Mühe, sich wiederherzustellen.

Bei jedem Durchbruch, so wohlwollend er auch war, denn er rührte von dem Verlangen der Pariser her, ihren König und ihre Königin wiederzusehen, deren sie seit einem Jahre beraubt gewesen waren, schaute Anna von Österreich d’Artagnan besorgt an; dieser aber beruhigte sie mit einem Lächeln.

Mazarin, der um einige Lebehochrufe auf sich selbst wohl tausend Louisd’or ausgegeben und die Rufe, die er gehört, nicht zu zwanzig Pistolen angeschlagen hatte, schaute Porthos ebenfalls unruhig an; aber der riesige Garde antwortete auf diesen Blick mit einer so schönen Baßstimme: Seid unbesorgt, Monseigneur! daß sich Mazarin beruhigte.

Als man zum Palais-Royal gelangte, fand man die Volksmenge immer zahlreicher. Sie war durch alle anliegenden Straßen auf diesen Platz geströmt, und man sah die ganze Masse wie einen breiten, aufgeregten Strom dem Wagen entgegenkommen und sich stürmisch in die Rue Saint-Honoré wälzen.

Als man den Platz erreichte, erschollen mächtige Rufe: Es leben Ihre Majestäten! Mazarin legte sich aus dem Kutschenschlag; zwei oder drei Rufe: Es lebe der Kardinal! begrüßten seine Erscheinung; doch fast in demselben Augenblick wurden sie durch Pfeifen und Zischen unbarmherzig erstickt. Mazarin erbleichte und warf sich rasch zurück.

Kanaillen! murmelte Porthos.

D’Artagnan sagte nichts; aber er kräuselte seinen Schnurrbart mit einer eigentümlichen Gebärde, welche andeutete, daß seine gascognische Galle zu kochen begann.

Anna von Österreich neigte sich an das Ohr des jungen Königs und flüsterte ihm zu: Macht ein freundliches Gesicht und richtet ein paar Worte an Herrn d’Artagnan, mein Sohn.

Der König neigte sich aus dem Kutschenschlag und sagte: Ich habe Euch noch nicht guten Morgen gewünscht, Herr d’Artagnan, und doch erkannte ich Euch gar wohl. Ihr wart hinter meinen Bettvorhängen in der Nacht, als die Pariser mich schlafen sehen wollten.

Und wenn es der König erlaubt, versetzte d’Artagnan, so werde ich bei ihm sein, so oft er einer Gefahr preisgegeben ist.

Mein Herr, sagte Mazarin zu Porthos, was würdet Ihr tun, wenn sich das Volk auf uns stürzte?

Ich würde so viele, als ich könnte, totschlagen, erwiderte Porthos.

Hm! murmelte Mazarin, so brav und stark Ihr auch seid, so vermöchtet Ihr doch nicht alle totzuschlagen.

Das ist wahr, sagte Porthos, sich auf den Steigbügeln erhebend, um die unermeßliche Menge besser zu überschauen, das ist wahr, es sind ihrer viele.

Ich glaube, der andere wäre mir lieber, sprach Mazarin, und warf sich wieder in den Hintergrund des Wagens zurück.

Die Königin und ihr Minister hatten Ursache, sich einigermaßen beunruhigt zu fühlen, wenigstens der letztere. Obschon die Menge den äußern Anschein von Achtung und sogar von Zuneigung für den König und die Regentin beobachtete, so begann sie doch, sich stürmisch zu bewegen. Man hörte jenes dumpfe Getöse, das, wenn es über die Wellen hinstreift, Sturm anzeigt, und, wenn es über die Volksmenge hinzieht, Aufruhr verkündigt.

D’Artagnan wandte sich gegen die Musketiere um und machte, mit den Augen blinzelnd, ein für das Volk unmerkliches, aber für diese brave Elite sehr verständliches Zeichen. Die Reihen der Pferde schlossen sich aneinander an, und ein leichtes Beben durchlief die Männer. An der Barriere des Sergents war man genötigt, Halt zu machen; Comminges verließ die Spitze der Eskorte und kam an den Wagen der Königin. Die Königin fragte d’Artagnan mit dem Blick. D’Artagnan antwortete ihr in derselben Sprache.

Geht vorwärts, sagte die Königin.

Comminges ging wieder an seinen Posten. Man machte einen Anlauf, und die lebendige Barriere wurde mit Gewalt durchbrochen.

Da erhob sich aus der Menge dumpfes Gemurre, das diesmal ebensowohl an den König, als an seinen Minister gerichtet war.

Vorwärts, rief d’Artagnan mit voller Stimme.

Vorwärts, wiederholte Porthos.

Aber als hätte die Menge nur diese Kundgebung erwartet, um zu beginnen, so machten sich jetzt auf einmal alle feindseligen Gesinnungen, die sie bis jetzt zurückgehalten hatte, Luft. Das Geschrei: Nieder mit Mazarin! Tod dem Kardinal! erscholl von allen Seiten.

Zu gleicher Zeit wälzte sich durch die Straßen Grenelle-Saint-Honoré und du Coq eine doppelte Woge hervor, durchbrach das schwache Spalier der Schweizer-Garden und trieb seinen ungestümen Wirbel bis zu den Beinen der Pferde von d’Artagnan und Porthos.

Dieser neue Einbruch war gefährlicher als die andern, denn er bestand aus Leuten, die besser bewaffnet erschienen, als es die Leute aus dem Volk in solchen Fällen gewöhnlich sind. Man sah, daß diese letzte Bewegung keine Wirkung des Zufalls war, der eine gewisse Anzahl von Unzufriedenen aus demselben Punkte vereinigt, sondern die Wirkung eines feindseligen Geistes, der einen Angriff organisiert hatte.

Diese beiden Massen hatten auch jede ihren Anführer. Der eine schien nicht dem Volke, sondern der ehrenwerten Körperschaft der Bettler anzugehören, während man in dem andern, obgleich er sich als Mann des Volkes zu geben suchte, leicht einen Edelmann erkennen konnte.

Beide handelten offenbar von einem und demselben Impulse getrieben.

Es entstand eine lebhafte Erschütterung, die sich bis in den königlichen Wagen fühlbar machte. Dann erschollen tausend Rufe, die einen ungeheuren Lärm machten, und dazwischenhinein ein paar Flintenschüsse.

Herbei, Musketiere! rief d’Artagnan.

Die Eskorte trennte sich in zwei Reihen; die eine ritt auf die rechte Seite des Wagens, die andere auf die linke, die eine kam d’Artagnan, die andere Porthos zu Hilfe.

Nun entspann sich ein Handgemenge, das um so furchtbarer war, weil es kein bestimmtes Ziel hatte, und um so trauriger erschien, als man nicht wußte, warum und für wen man sich schlug.

Wie alle Bewegungen des großen Haufens, so war der Anlauf dieser Menge furchtbar; durchaus nicht zahlreich und schlecht aneinandergereiht, begannen die Musketiere, die ihre Pferde unter dieser Volksmasse nicht gehörig ausgreifen lassen konnten, in Unordnung zu geraten. D’Artagnan wollte die Vorhänge des Wagens herablassen, aber der junge König streckte den Arm aus und sprach: Nein, Herr d’Artagnan, ich will sehen.

Wenn Eure Majestät sehen will, erwiderte d’Artagnan, nun wohl, so mag sie schauen!

Und sich mit jenem Ungestüm umwendend, das ihn so furchtbar machte, drang d’Artagnan auf den Anführer der Meuterer ein, der, eine Pistole in der einen, ein breites Schwert in der andern Hand, sich bis zum Kutschenschlag, mit zwei Musketieren kämpfend, Bahn gebrochen hatte.

Platz, Mord und Tod! rief d’Artagnan, Platz!

Bei dieser Stimme hob der Mann mit der Pistole und dem breiten Schwerte den Kopf in die Höhe: aber es war bereits zu spät: d’Artagnan hatte seinen Streich geführt; sein Degen war tief in die Brust gedrungen.

Ah, Ventre-Saint-gris! rief d’Artagnan, indem er zu spät seinen Streich zurückzuhalten suchte, was zum Teufel, macht Ihr hier, Graf?

Ich mußte mein Geschick erfüllen, erwiderte Rochefort, auf ein Knie fallend; ich habe mich bereits von dreien Eurer Schwertstreiche erhoben; von dem vierten aber werde ich mich nicht erheben.

Graf, sagte d’Artagnan mit einer gewissen Rührung, ich habe geschlagen, ohne zu wissen, daß Ihr es wart. Es wäre mir sehr leid, wenn Ihr sterben und mit Gefühlen des Hasses gegen mich verscheiden solltet.

Rochefort reichte d’Artagnan die Hand; d’Artagnan nahm sie. Der Graf wollte sprechen, aber ein Blutstrom erstickte seine Worte. Er streckte sich in einem letzten Krampfe aus und verschied.

Zurück, Kanaillen! rief d’Artagnan. Euer Anführer ist tot, und Ihr habt nichts mehr hier zu schaffen.

Und wirklich, als wäre der Graf von Rochefort die Seele des Angriffes gewesen, der nach dieser Seite der königlichen Karosse gerichtet war, ergriff der ganze Volkshaufe, der ihm gefolgt war und ihm gehorchte, die Flucht, als er ihn fallen sah. D’Artagnan machte mit etwa zwanzig Musketieren einen Einfall in die Rue du Coq, und dieser Teil des Aufruhrs verschwand wie eine Rauchwolke, indem er sich auf der Place Saint-Germain-l’Auxerrois zerstreute und bald auf den Quais verlor.

D’Artagnan kehrte zurück, um Porthos Hilfe zu leisten, im Fall er solcher bedürfen sollte. Aber Porthos hatte seine Arbeit ebenso gewissenhaft vollbracht, als d’Artagnan. Die linke Seite der Karosse war nicht minder gut abgefegt, als die rechte, und man hob den Vorhang des Kutschenschlags empor, den Mazarin, minder kriegerisch als der König, vorsichtig herabgelassen hatte.

Porthos sah äußerst schwermütig aus.

Was für ein Teufelsgesicht macht Ihr denn, Porthos, und welch eine sonderbare Miene habt Ihr für einen Sieger? rief d’Artagnan. – Aber Ihr selbst, versetzte Porthos, Ihr kommt mir sehr bewegt vor? – Es ist auch Grund dazu vorhanden; denn ich habe soeben einen alten Freund getötet. – Wirklich? sprach Porthos. Wen denn? – Den armen Grafen von Rochefort. – Nun, das ist gerade wie bei mir. Ich habe einen Menschen getötet, dessen Gesicht mir unbekannt ist. Leider schlug ich ihn an den Kopf, und in einem Augenblick war das ganze Gesicht voll Blut. – Und er hat im Fallen nichts gerufen? – Doch; er sagte Uf! – Ich begreife, versetzte d’Artagnan, der sich des Lachens nicht enthalten konnte, ich begreife, daß es Euch nicht sehr ins klare brachte, wenn er weiter nichts gesagt hat.

Nun, mein Herr? fragte die Königin.

Madame, erwiderte d’Artagnan, die Straße ist vollkommen frei, und Eure Majestät kann ihren Weg fortsetzen.

Der Zug gelangte nun ohne irgend einen andern Unfall zu der Notre-Dame Kirche, unter deren Portal die Geistlichkeit, mit dem Koadjutor an der Spitze, den König, die Königin und den Minister erwartete, für deren glückliche Rückkehr ein Te deum gesungen werden sollte.

Während des Gottesdienstes und im Augenblick, wo er seinem Ende nahte, kam ein Straßenjunge ganz bestürzt in die Kirche gelaufen, eilte in die Sakristei, kleidete sich rasch als Chorknabe, durchschritt mit Hilfe der ehrwürdigen Uniform, die er angezogen, die Menge, die den Tempel füllte, und näherte sich Bazin, der in seinem blauen Gewand und mit dem silberverzierten Fischbeinstab in der Hand mit ernster Miene dem Schweizer am Eingang des Chors gegenüberstand.

Bazin fühlte, daß man ihn am Rocke zog. Er senkte seine voll Andacht zum Himmel aufgeschlagenen Augen zu Boden und erkannte Friquet.

Nun, Bursche, fragte der Mesner, was gibt es denn, daß du es wagst, mich in der Ausübung meiner Funktionen zu stören? – Herr Bazin, antwortete Friquet, Herr Maillard, Ihr wißt, der Weihwassergeber von Saint-Eustache … – Ja, weiter? – Er hat bei der Fechterei einen Schwertstreich auf den Kopf bekommen. Der große Riese, den Ihr dort seht, der mit den vielen Stickereien hat ihm denselben gegeben. – Ja, und in diesem Fall muß er was Ordentliches abgekriegt haben, sprach Bazin. – So Ordentliches, daß er stirbt und gern vor seinem Tode dem Herrn Koadjutor beichten möchte, der, wie man sagt, die Macht besitzt, die groben Sünden zu vergeben. – Und er bildet sich ein, der Koadjutor werde sich seinetwegen stören lassen? – Ja, allerdings, denn es scheint, der Herr Koadjutor hat es ihm versprochen. – Wer sagt dir das? – Herr Maillard selbst. – Du hast ihn also gesehen? – Gewiß, ich war dabei, als er fiel. – Was hast du dort gemacht? – Ich schrie: Nieder mit Mazarin! Tod dem Kardinal! Den Italiener an den Galgen! Sagtet Ihr nicht, ich soll das schreien? – Willst du wohl schweigen, dummer Kerl! sprach Bazin und schaute unruhig umher. – Der arme Herr Maillard sagte also: Hole mir den Koadjutor, Friquet, und wenn Du mir ihn bringst, so mache ich dich zu meinem Erben. Denkt doch, Vater Bazin: der Erbe von Herrn Maillard, dem Weihwassergeber in Saint-Eustache! Ich kann jetzt für immer meine Arme in den Schoß legen. Jedenfalls möchte ich ihm sehr gern diesen Dienst leisten; was sagt Ihr dazu? – Ich will den Herrn Koadjutor benachrichtigen, sprach Bazin.

Und er näherte sich dann ehrfurchtsvoll und langsam dem Prälaten, sagte ihm einige Worte ins Ohr, worauf dieser mit einem bejahenden Zeichen antwortete, kehrte mit demselben Schritt, mit dem er weggegangen war, zurück und sprach: Sage dem Sterbenden, er solle sich gedulden, Monseigneur werde in einer Stunde bei ihm sein.

Gut, versetzte Friquet, mein Glück ist gemacht.

Doch wohin hat er sich tragen lassen?

Nach dem Turm von Saint-Jacques-la-Boucherie.

Entzückt über den Erfolg seiner Botschaft, verließ Friquet, ohne sein Chorknabengewand abzulegen, das ihm überdies den Durchgang bedeutend erleichterte, die Kirche und schlug mit aller Geschwindigkeit, deren er fähig war, den Weg nach dem Turme von Saint-Jacques-la-Boucherie ein.

Sobald das Tedeum vollendet war, begab sich der Koadjutor seinem Versprechen gemäß und ohne seine priesterlichen Gewänder abzulegen, ebenfalls nach dem alten Turme, der ihm so wohl bekannt war. Er kam noch zu rechter Zeit; der Verwundete wurde zwar jeden Augenblick schwächer, war aber noch nicht tot.

Man öffnete ihm die Tür des Zimmers, wo der Bettler mit dem Tode rang.

Einen Augenblick nachher kam Friquet heraus, einen großen ledernen Sack in der Hand haltend, den er aufriß, sobald er aus dem Zimmer war, und zu seinem nicht geringen Erstaunen voll Gold fand.

Der Bettler hatte Friquet Wort gehalten und ihn zu seinem Erben gemacht.

Oh, Mutter Nanette! rief Friquet atemlos, oh! Mutter Nanette!

Mehr konnte er nicht herausbringen, aber er nahm alle Kraft zusammen und rannte verzweiflungsvoll nach der Straße, und wie der Grieche von Marathon, der auf dem Marktplatz von Athen mit seinem Lorbeerkranz in der Hand tot zusammensank, stürzte Friquet, als er auf der Hausschwelle des Rates Broussel angelangt war, wie leblos nieder. Sein Sack fuhr auf, und die Louisd’or rollten auf dem Boden umher.

Die Mutter Nanette hob zuerst die Goldstücke und dann auch Friquet auf.

Während dieser Zeit gelangte der Zug ins Palais-Royal.

Das ist ein tapferer Mann, meine Mutter, dieser Herr d’Artagnan, sagte der junge König.

Ja, mein Sohn, und er hat Eurem Vater große Dienste geleistet. Behandelt ihn also in Zukunft freundlich.

Herr Kapitän, sprach der König, aus dem Wagen steigend, zu d’Artagnan, die Frau Königin beauftragt mich, Euch für heute zum Mittagsmahl einzuladen, Euch und Euren Freund, den Herrn Baron du Vallon.

Es war dies eine große Ehre für d’Artagnan und für Porthos. Sie erfüllte Porthos auch mit Entzücken; aber während der ganzen Dauer des Mahles schien der würdige Edelmann äußerst unruhig.

Was hattet Ihr denn, Baron? sagte d’Artagnan zu ihm, als sie miteinander die Treppe des Palais-Royal hinabstiegen; Ihr kamt mir über Tisch ganz sorgenvoll vor.

Ich suchte mich zu erinnern, wo ich den Bettler gesehen, den ich getötet haben muß, antwortete Porthos.

Und Ihr könnt nicht darauf kommen?

Nein.

Nun so sucht, mein Freund, sucht, und wenn Ihr gefunden habt, so werdet Ihr es mir sagen, nicht wahr?

Bei Gott, ja, erwiderte Porthos.

Die Lanzknecht-Partie

Es war neun Uhr abends, die Posten waren um acht Uhr abgelöst worden, und seit einer Stunde hatte die Wache des Kapitäns Groslow angefangen.

D’Artagnan und Porthos, mit ihren Degen bewaffnet, Athos und Aramis, jeder mit einem Dolch auf der Brust, begaben sich nach dem Hause, das Karl Stuart als Gefängnis diente.

Meiner Treu! rief Groslow, als er sie erblickte, ich zählte nicht mehr auf euch.

D’Artagnan näherte sich ihm und erwiderte leise: Herr du Vallon und ich zögerten wirklich einen Augenblick, ob wir kommen sollten.

Warum? fragte Groslow.

D’Artagnan bezeichnete ihm mit dem Auge Athos und Aramis.

Ah! ah! wegen der Gesinnung? Daran ist wenig gelegen, sprach Groslow. Im Gegenteil, fügte er lachend bei, wenn sie ihren Stuart sehen wollen, so werden sie ihn sehen.

Bringen wir die Nacht im Zimmer des Königs zu? fragte d’Artagnan.

Nein, aber im anstoßenden Zimmer, und da die Tür offen bleiben wird, so ist es gerade, als ob wir im Zimmer selbst wären. Ihr habt Euch mit Geld versehen? Ich erkläre Euch, daß ich heute abend höllisch zu spielen gedenke.

Hört Ihr? sagte d’Artagnan und ließ das Gold in seinen Taschen klingen.

Ah, gut! sprach Groslow. Und er öffnete die Tür des Zimmers. Ich will Euch den Weg zeigen, sagte er und ging voraus.

Die acht Wachen waren auf ihrem Posten; vier befanden sich im Zimmer des Königs, zwei an der Verbindungstür, zwei an der Tür, durch welche die vier Freunde eintraten. Beim Anblick der Schwerter lächelte Athos; es handelte sich nicht um eine Schlächterei, sondern um einen Kampf.

Von diesem Augenblick an schien seine ganze gute Laune wiederbelebt.

Karl, den man durch die offene Tür erblickte, lag ganz angekleidet auf seinem Bett, nur mit einer wollenen Decke bedeckt. Zu seinen Häupten saß Parry und las mit leiser Stimme, doch laut genug, daß es der König, der mit geschlossenen Augen zuhörte, vernahm, ein Kapitel aus einer katholischen Bibel.

Ein schlechtes Unschlittlicht, das auf dem schwarzen Tisch stand, beleuchtete das ergebene Antlitz des Königs und das weit weniger ruhige Gesicht seines treuen Dieners.

Von Zeit zu Zeit unterbrach sich der gute Parry, im Glauben, der König schlafe wirklich; dann öffnete dieser die Augen und sagte:

Fahr fort, mein guter Parry, ich höre.

Im ersten Zimmer war ein Tisch bereitet, und auf diesem mit einem Teppich bedeckten Tische befanden sich zwei brennende Lichter, Karten, zwei Becher und Würfel.

Meine Herren, sagte Groslow, ich bitte, setzt Euch: ich Stuart gegenüber, den ich so gern sehe, besonders da, wo er ist, Ihr, Herr d’Artagnan, mir gegenüber.

Athos wurde rot vor Zorn, d’Artagnan schaute ihn mit gefalteter Stirne an.

Gut, sprach d’Artagnan; Ihr, Herr Graf de la Fère, zur Rechten des Herrn Groslow, Ihr, Herr Chevalier d’Herblay, zu seiner Linken, Ihr, Herr du Vallon, neben mir. Ihr wettet auf mich und diese Herren auf Herrn Groslow.

D’Artagnan hatte so Porthos neben sich und sprach mit dem Knie zu ihm, zu Athos und Aramis mit seinen Augen.

Bei dem Namen Graf de la Fère und Chevalier d’Herblay öffnete Karl seine Augen wieder, erhob unwillkürlich sein edles Haupt und umfaßte mit einem Blick alle Personen dieser Scene.

In diesem Moment wandte Parry einige Blätter seiner Bibel um und las ganz laut folgenden Vers des Jeremias: Der Herr spricht: Höret die Worte der Propheten, meiner Knechte, welche ich mit großer Sorge geschickt und zu euch geführt habe.

Die vier Freunde wechselten einen Blick. Die Worte, die Parry gelesen, deuteten ihnen an, daß der König sich ihre Anwesenheit recht erklärte.

D’Artagnans Augen funkelten vor Freude.

Ihr fragtet mich soeben, ob ich bei Geld sei, sagte d’Artagnan, und legte zwanzig Pistolen auf den Tisch.

Ja, erwiderte Groslow.

Nun wohl, versetzte d’Artagnan, ich aber sage Euch: Nehmt Euern Schatz in acht, mein lieber Herr Groslow, denn ich stehe Euch dafür, wir gehen nicht von hinnen, ohne ihn Euch geraubt zu haben.

Das wird nicht geschehen, ohne daß ich ihn verteidige, entgegnete Groslow.

Desto besser, rief d’Artagnan. Kampf, mein lieber Kapitän, Kampf! Mögt Ihr nun wissen oder nicht wissen, was wir verlangen.

Ah! ja, ich weiß es wohl, erwiderte Groslow, in sein plumpes Gelächter ausbrechend; ihr Franzosen sucht nur Wunden und Beulen.

Karl hatte wirklich alles gehört, alles verstanden. Eine leichte Röte stieg ihm ins Gesicht, die Soldaten sahen ihn allmählich seine müden Glieder ausstrecken und unter dem Vorwand einer durch den glühenden Ofen erzeugten übermäßigen Hitze nach und nach die schottische Decke abwerfen, unter der er, wie gesagt, ganz angekleidet lag.

Athos und Aramis bebten vor Freude, als sie sahen, daß der König angekleidet war.

Die Partie begann. Diesen Abend wandte sich das Glück auf die Seite Groslows; er gewann beständig. Hundert Pistolen gingen von der einen Seite des Tisches auf die andere über; Groslow war von einer tollen Heiterkeit.

Porthos, der die fünfzig Pistolen, die er am Tage vorher gewonnen, wieder verloren hatte, und noch über dreißig von den seinigen dazu, war sehr verdrießlich und stieß d’Artagnan mit dem Knie, als wollte er ihn fragen, ob es noch nicht bald Zeit sei, zu einem andern Spiel überzugehen; Athos und Aramis schauten ihn auch von Zeit zu Zeit mit forschenden Augen an, aber d’Artagnan blieb unempfindlich.

Es schlug zehn Uhr. Man hörte die Runde vorüberkommen.

Wieviel solcher Runden macht Ihr? sagte d’Artagnan, neue Pistolen aus der Tasche ziehend.

Fünf, erwiderte Groslow, alle zwei Stunden eine.

Das ist klug, versetzte d’Artagnan.

Nun warf er Athos und Aramis einen Blick zu, und als man die Tritte der Patrouille sich entfernen hörte, erwiderte er zum erstenmale Porthos‘ Kniestöße.

Angelockt durch den Reiz des Spieles und durch den auf alle Menschen so mächtig wirkenden Anblick des Goldes, näherten sich die Soldaten, die ihrem Befehl gemäß im Zimmer des Königs bleiben sollten, allmählich der Tür, erhoben sich auf den Fußspitzen und schauten d’Artagnan und Porthos über die Schultern; die von der Tür näherten sich ebenfalls und unterstützten auf diese Art die Wünsche der vier Freunde, die lieber alle bei der Hand haben wollten. Die zwei Wachen an der Tür hatten beständig das Schwert entblößt, aber sie stützten sich auf die Spitze und schauten den Spielern zu.

D’Artagnan wandte sich um und sah, wie Parry zwischen zwei Soldaten stand und Karl, auf seinen Ellbogen gestützt, die Hände faltete und ein glühendes Gebet an Gott zu richten schien. D’Artagnan begriff, daß der Augenblick gekommen war, daß sich jeder an seinem Posten befand und daß man nur das Losungswort »Endlich« erwartete.

Er schleuderte Athos und Aramis einen vielsagenden Blick zu, und beide rückten ihren Stuhl leicht zurück, um sich frei bewegen zu können.

Er gab Porthos einen zweiten Kniestoß: dieser stand halb auf, als wollte er seine steifen Beine wieder gelenk machen und versicherte sich beim Aufstehen, daß sein Degen leicht aus der Scheide gehen würde.

Sacrebleu! rief d’Artagnan, abermals zwanzig Pistolen verloren. In der Tat, Kapitän Groslow, Ihr habt zu viel Glück, das kann nicht so fortdauern. Und indem er noch zwanzig Pistolen aus seiner Tasche zog, sagte er: Noch einen Coup, Kapitän. Diese zwanzig Pistolen auf einen Satz, auf einen einzigen, den letzten.

Es gilt, zwanzig Pistolen, versetzte Groslow.

Und er schlug, wie dies gebräuchlich ist, zwei Karten um, einen König für d’Artagnan, ein As für sich.

Einen König, sprach d’Artagnan, das ist ein gutes Vorzeichen. Herr Groslow, fügte er bei, gebt auf den König acht!

Trotz seiner Selbstbeherrschung vibrierte d’Artagnans Stimme aus eine so seltsame Weise, daß sein Partner bebte.

Groslow fing an, die Karten umzuschlagen. Schlug er zuerst ein As um, so hatte er gewonnen, schlug er einen König um, so hatte er verloren. Er schlug einen König um.

Endlich! sagte d’Artagnan.

Bei diesen Worten erhoben sich Athos und Aramis, Porthos wich einen Schritt zurück. Dolche und Schwerter glänzten. Aber plötzlich öffnete sich die Tür, und Harrison erschien auf der Schwelle mit einem in einen Mantel gehüllten Manne, hinter dem man die Musketen von fünf bis sechs Mann glänzen sah.

Groslow schämte sich, mitten unter Weinflaschen, Karten und Würfeln ertappt zu werden, und stand rasch auf. Harrison schenkte ihm aber keine Aufmerksamkeit, trat, gefolgt von seinem Gefährten, ins Zimmer des Königs und sprach: Karl Stuart, es ist der Befehl eingetroffen, Euch ohne den geringsten Aufenthalt bei Tag oder bei Nacht nach London zu führen. Bereitet Euch, sogleich aufzubrechen.

Von wem ist der Befehl? fragte der König.

Vom General Oliver Cromwell, antwortete Harrison, und hier ist Herr Mordaunt, der ihn überbracht hat und beauftragt ist, ihn vollziehen zu lassen.

Mordaunt, murmelten die vier Freunde, sich gegenseitig anschauend.

D’Artagnan raffte alles Geld zusammen, das er und Porthos verloren hatten, und steckte es in seine weite Tasche;, Athos und Aramis stellten sich hinter ihn. Bei dieser Bewegung wandte sich Mordaunt um, erkannte sie und stieß einen Schrei wilder Freude aus.

Ich glaube, wir sind gefangen, sagte d’Artagnan ganz leise zu seinen Freunden.

Noch nicht, erwiderte Porthos.

Oberst! rief Mordaunt, laßt dieses Haus umzingeln, Ihr seid verraten. Diese vier Franzosen haben sich aus Newcastle geflüchtet und wollen ohne Zweifel den König entführen. Man verhafte sie.

Oh! junger Mann, sprach d’Artagnan, den Degen ziehend, das ist ein Befehl, der sich leichter sagen, als vollstrecken läßt. Dann beschrieb er mit seinem Schwerte einen furchtbaren Kreis und rief: Abgezogen, Freunde! Abgezogen!

Zu gleicher Zeit stürzte er nach der Tür und warf zwei Soldaten nieder, ehe sie ihre Musketen anzuschlagen vermochten; Athos und Aramis folgten ihm; Porthos bildete die Nachhut, und bevor Oberst, Offiziere, Soldaten sich einigermaßen gefaßt hatten, waren alle vier auf der Straße.

Feuer! rief Mordaunt, schießt auf sie!

Zwei oder drei Musketen wurden wirklich abgefeuert, jedoch ohne einen andern Erfolg, als daß man bei dem Feuer die vier Flüchtlinge sich unversehrt um die Straßenecke wenden sah.

Die Pferde waren am bezeichneten Orte, die Bedienten hatten nur ihren Herren die Zügel zuzuwerfen, und diese schwangen sich, mit der Leichtigkeit vollendeter Reiter in den Sattel.

Vorwärts! rief d’Artagnan, die Sporen gegeben, festgehalten!

Und sie sprengten, d’Artagnan folgend, fort und schlugen den Weg ein, den sie bereits am Tage gemacht hatten, das heißt, den Weg nach Schottland. Der Flecken hatte weder Tore noch Mauern, und sie kamen folglich ohne Schwierigkeiten hinaus.

Fünfzig Schritte vor dem letzten Hause hielt d’Artagnan an und rief: Halt!

Wie, Halt? sprach Porthos; mit verhängten Zügeln, wollt Ihr sagen?

Keineswegs, versetzte d’Artagnan, diesmal wird man uns verfolgen; wir wollen sie aus dem Flecken ziehen und uns auf der Straße nach Schottland nachreiten lassen; haben wir sie im Galopp vorüberkommen gesehen, so schlagen wir die entgegengesetzte Straße ein.

Einige Schritte von dieser Stelle floß ein Bach, über den eine Brücke gebaut war; d’Artagnan führte sein Pferd unter den Bogen dieser Brücke, seine Freunde folgten ihm.

Sie waren kaum zehn Minuten hier, als sie den raschen Galopp einer nahenden Reitertruppe vernahmen. Fünf Minuten nachher zog diese Truppe über ihren Köpfen hin, weit entfernt, zu vermuten, daß sie nur durch die Dicke eines Brückengewölbes von den Gegenständen ihrer Verfolgung getrennt seien.

Schluß

Als die zwei Freunde nach Hause kamen, fanden sie einen Brief von Athos, der sie zu einer Zusammenkunft im Grand-Charlemagne auf den andern Morgen beschied.

Beide legten sich früh nieder, aber keiner schlief. Man gelangt nicht so zum Ziel aller seiner Wünsche, ohne daß dieses Ziel, wenigstens für die erste Nacht, den Schlaf verjagte.

Am andern Morgen begaben sich beide zur bezeichneten Stunde zu Athos. Sie fanden den Grafen und Aramis in Reisekleidern.

Gut, sprach Porthos, wir reisen also zusammen.

Oh! mein Gott, ja, versetzte Aramis; seit dem Augenblick, wo es keine Fronde mehr gibt, ist in Paris nichts zu tun. Frau von Longueville hat mich eingeladen, einige Tage in der Normandie zuzubringen, und mir den Auftrag gegeben, während man ihren Sohn taufe, ihre Wohnung in Rouen in Bereitschaft halten zu lassen. Ich werde mich dieses Auftrags entledigen und mich dann, wenn es nichts Neues zu tun gibt, wieder in meinem Kloster Noisy-le-Sec begraben.

Und ich, sprach Athos, kehre nach Bragelonne zurück. Ihr wißt, mein lieber d’Artagnan, ich bin nur noch ein Landmann; Raoul hat kein anderes Vermögen, als das meinige, der arme Junge! Ich muß darüber wachen, denn ich gebe gewissermaßen nur den Namen dazu.

Und was wollt Ihr aus Raoul machen?

Ich überlasse ihn Euch, mein Freund. In Flandern gibt’s einen Feldzug; Ihr nehmt ihn mit; denn ich fürchte, der Aufenthalt in Blois ist seinem jungen Kopfe gefährlich. Behaltet ihn bei Euch und lehrt ihn brav und rechtschaffen sein; wie Ihr es seid.

Und ich werde Euch also nicht mehr haben, Athos? Aber ich habe wenigstens ihn, diesen teuern Blondkopf, und obgleich er noch ein Kind ist, so werde ich doch, da Eure ganze Seele sich in ihm wiederbelebt, teurer Athos, stets glauben, Ihr seiet bei mir, Ihr begleitet und unterstützet mich.

Die vier Freunde umarmten sich mit Tränen in den Augen.

Dann trennten sie sich, ohne zu wissen, ob sie einander je wiedersehen würden.

D’Artagnan kehrte in die Rue Tiquetonne mit Porthos zurück. Dieser war beständig in Gedanken versunken und grübelte nach, wer der Mann sei, den er erschlagen hatte. Als man vor den Gasthof zur Rehziege gelangte, fand man die Equipage des Barons bereit und Mousqueton im Sattel.

Hört, d’Artagnan, sagte Porthos, verlaßt den Dienst und kommt mit mir nach Pierrefonds, nach Bracieux oder nach du Vallon. Wir wollen miteinander alt werden und von unsern Kameraden plaudern.

Nein, sagte d’Artagnan, den Teufel! Der Feldzug wird eröffnet, und ich will dabei sein. Ich hoffe wohl etwas dabei zu gewinnen.

Und was hofft Ihr denn zu werden?

Marschall von Frankreich, bei Gott!

Ah, ah! rief Porthos und schaute d’Artagnan an, in dessen Gasconaden er sich nie hatte ganz finden können.

Kommt mit mir, Porthos, sprach d’Artagnan; ich mache Euch zum Herzog.

Nein, versetzte Porthos, Mouston will nicht mehr in den Krieg ziehen. Überdies bereitet man mir zu Hause einen feierlichen Einzug, worüber alle meine Nachbarn vor Ärger bersten werden.

Hierauf habe ich nichts zu erwidern, sprach d’Artagnan, denn er kannte die Eitelkeit des neuen Barons. Auf Wiedersehen also, mein Freund!

Auf Wiedersehen, teurer Kapitän, sagte Porthos. Ihr wißt, daß Ihr, wenn Ihr mich besuchen wollt, stets in meiner Baronie willkommen seid.

Ja, erwiderte d’Artagnan, wenn ich aus dem Feld heimkehre, stelle ich mich bei Euch ein.

Die Equipagen des Herrn Barons warten, sagte Mousqueton.

Die zwei Freunde trennten sich mit einem innigen Händedruck. D’Artagnan blieb auf der Türschwelle und sah mit schwermütigem Auge dem sich entfernenden Porthos nach.

Aber nach zwanzig Schritten hielt Porthos plötzlich an, schlug sich vor die Stirn, kehrte zurück und rief: Jetzt fällt mir’s ein!

Was? fragte d’Artagnan.

Wer der Bettler ist, den ich getötet habe.

Ah! wirklich! Wer ist es denn?

Jene Kanaille von Bonacieux.

Und hocherfreut über diese beruhigende Gewißheit, sprengte Porthos hinter Mouston her, mit dem er an der Straßenecke verschwand.

D’Artagnan blieb einen Augenblick unbeweglich und in Gedanken versunken. Als er sich dann umwandte, erblickte er die schöne Madeleine, die, voll Unruhe auf d’Artagnans Kapitänsuniform schauend, auf der Schwelle stand.

Madeleine, sagte der Gascogner, gebt mir die Wohnung im ersten Stock. Jetzt, da ich Kapitän der Musketiere bin, sehe ich mich genötigt, meiner Würde gemäß zu leben. Aber haltet mir immerhin mein Zimmer im fünften frei, denn man kann nicht wissen, was geschieht.

 

*

Als Fortsetzung und Schluß (dritte Abteilung der »Drei Musketiere«) dieses Romans schrieb Alexander Dumas den ungemein spannenden Roman: » Der Graf von Bragelonne oder Zehn Jahre nachher«, der sieben starke Bände (in 3 Geschenkbände geb. statt früher M 15.– nur noch M 9.25 – K. 11.10 ö. W.) umfaßt und durch jede Buchhandlung zu beziehen ist.

Stuttgart.
Franckh’sche Verlagshandlung.

Vorsichtsmaßregeln

Mazarin kehrte, nachdem er Anna von Österreich verlassen hatte, nach Rueil zurück, wo sein Haus war. Er marschierte in diesen stürmischen Zeiten mit sehr starker Eskorte und zuweilen auch verkleidet.

Im Hof des alten Schlosses stieg er in seinen Wagen und erreichte die Seine in Chatou. Der Prinz hatte ihm ein Geleite von fünfzig Chevaulegers gestellt. Von Comminges scharf bewacht, zu Pferd und ohne Degen, folgte Athos dem Kardinal, ohne ein Wort zu sagen. Grimaud hatte von der Verhaftung seines Herrn vernommen, als dieser Aramis davon benachrichtigte, und begab sich auf ein Zeichen des Grafen ohne weiteres in Aramis‘ Nähe, der mit den andern Pariser Abgeordneten wieder den Weg nach der Hauptstadt einschlug, ohne sich scheinbar um Athos, der zunächst denselben Weg geführt wurde, zu kümmern.

Jedoch bei der Abzweigung der Rueiler Straße von der Pariser wandte sich Aramis um. Seine Vermutung hatte ihn nicht getäuscht. Mazarin zog rechts, und Aramis konnte den Gefangenen hinter den Bäumen verschwinden sehen. In demselben Augenblick schaute Athos, durch einen ähnlichen Gedanken bewogen, ebenfalls zurück. Die Freunde wechselten ein einfaches Zeichen mit dem Kopfe, und Aramis legte seinen Finger wie zum Gruße an den Hut. Athos verstand, daß ihm sein Freund anzeigte, er habe einen Gedanken.

Zehn Minuten nachher gelangte Mazarin mit seinem Gefolge in den Hof des Schlosses, das der Kardinal, sein Vorgänger, in Rueil hatte einrichten lassen.

Im Augenblick, wo er den Fuß auf die unterste Stufe der Freitreppe setzte, näherte sich ihm Comminges mit der Frage:

Monseigneur, wo beliebt es Eurer Eminenz, daß wir Herrn de la Fère einquartieren?

Im Pavillon der Orangerie, dem Pavillon gegenüber, wo sich der Posten befindet. Man soll dem Grafen de la Fère Ehre erweisen, obgleich er der Gefangene der Königin ist.

Monseigneur, bemerkte Comminges, er bittet um die Gunst, zu Herrn d’Artagnan gebracht zu werden, der nach dem Befehl Eurer Eminenz im Jagdpavillon der Orangerie gegenüber wohnt.

Mazarin dachte einen Augenblick darüber nach.

Comminges sah, daß er mit sich zu Rate ging.

Es ist ein sehr starker Posten, fügte er bei, vierzig sichere Leute, erprobte Soldaten, beinahe lauter Deutsche und folglich ohne Verbindung mit den Frondeurs.

Wenn wir diese drei Menschen zusammenbrächten, Herr von Comminges, sagte Mazarin, so müßten wir den Posten verdoppeln, und wir sind nicht reich genug an Verteidigern, um uns eine solche Verschwendung zu erlauben.

Comminges lächelte. Mazarin sah dieses Lächeln und verstand es.

Ihr kennt sie nicht, Herr von Comminges, aber ich kenne sie, einmal durch sie selbst und dann durch ihren Ruf. Ich hatte sie beauftragt, dem Könige Karl Hilfe zu bringen, und sie haben zu seiner Rettung wunderbare Dinge vollbracht. Das Schicksal mußte sich darein mischen, daß der gute König Karl nicht zu dieser Stunde in Sicherheit unter uns weilt.

Aber warum hält Ew. Eminenz sie im Gefängnis, wenn sie so gute Dienste geleistet haben?

Im Gefängnis! sprach Mazarin, seit wann ist Rueil ein Gefängnis?

Seitdem Gefangene hier sind, erwiderte Comminges.

Diese Herren sind nicht meine Gefangenen, sprach Mazarin mit seinem verschmitzten Lächeln, sie sind meine Gäste, so teure Gäste, daß ich ihre Fenster vergittern und Riegel an die Türen ihrer Zimmer machen ließ, so sehr fürchte ich, sie könnten es müde werden, mir Gesellschaft zu leisten. So viel aber ist gewiß, daß ich sie, obgleich sie Gefangene zu sein scheinen, doch sehr hochschätze; zum Beweis mag dienen, daß ich dem Herrn de la Fère einen Besuch zu machen wünsche, um unter vier Augen mit ihm zu plaudern. Damit wir bei dieser Plauderei nicht gestört werden, führt Ihr ihn, wie ich gesagt habe, in den Pavillon der Orangerie; Ihr wißt, das ist mein gewöhnlicher Spaziergang. Mache ich wieder einen Spaziergang, so trete ich bei ihm ein, und wir plaudern. Obgleich er, wie man behauptet, mein Feind ist, so habe ich doch eine Sympathie für ihn. Benimmt er sich vernünftig, so läßt sich vielleicht etwas tun.

Comminges verbeugte sich und kehrte zu Athos zurück, der mit scheinbarer Ruhe, aber mit wahrer Unruhe den Erfolg dieser Besprechung erwartete.

Nun? fragte er den Leutnant der Garden.

Mein Herr, erwiderte Comminges, es scheint, es ist unmöglich.

Herr von Comminges, sprach Athos, ich bin mein ganzes Leben hindurch Soldat gewesen; ich weiß also, was ein Befehl bedeutet; aber außerhalb dieses Befehls könntet Ihr mir einen Dienst leisten.

Von Herzen gern, mein Herr, sprach Comminges. Ich liebe Mazarin nicht mehr als Ihr, und seitdem ich weiß, wer Ihr seid und welche Dienste Ihr einst Ihrer Majestät geleistet habt, seitdem ich weiß, wie nahe Euch der junge Mensch berührt, der mir so mutig am Tag der Verhaftung des alten Schlingels von Broussel zu Hilfe gekommen ist, erkläre ich mich ganz für den Eurigen, soweit ich nicht einem Dienstbefehl zu folgen habe.

Da es nichts ausmacht, daß ich von der Anwesenheit des Herrn d’Artagnan unterrichtet bin, so kann es meiner Ansicht nach ebensowenig schaden, wenn er erfährt, daß ich mich auch hier befinde.

Ich habe in dieser Beziehung keinen Befehl erhalten.

Nun wohl, so habt die Güte, ihm tausend Grüße von mir zu sagen und ihm mitzuteilen, ich sei sein Nachbar. Sagt ihm zugleich, daß ich von Herrn von Mazarin in den Pavillon der Orangerie einquartiert worden bin, damit er mir einen Besuch machen kann, und daß ich die Ehre, die er mir erweisen will, benutzen werde, um einige Erleichterung in unserer Gefangenschaft zu erlangen.

Welche nicht lange dauern kann, fügte Comminges bei, denn der Herr Kardinal hat mir selbst gesagt, es sei hier kein Gefängnis.

Wohl aber gibt es hier Fallgruben, sprach Athos lächelnd.

Nein, nein! erwiderte Comminges, das würde der Italiener nicht wagen; die Fallgruben von Rueil sind seit zehn Jahren Sagen geworden. Bleibt also unbesorgt an diesem Ort; ich meinerseits werde Herrn d’Artagnan von Eurer Ankunft unterrichten. Werdet Ihr mir übrigens die Ehre erweisen, mit mir zu Nacht zu speisen?

Ich danke; ich bin schlechter Laune und würde Euch den Abend verderben.

Comminges führte nun den Grafen in ein Zimmer des Erdgeschosses in einem Pavillon, der noch zur Orangerie gehörte und auf gleicher Höhe mit dieser lag. Man kam dorthin durch einen mit Soldaten und Höflingen angefüllten Hof. Dieser Hof bildete ein Hufeisen; im Mittelpunkt lagen die von Herrn von Mazarin bewohnten Zimmer und an den beiden Flügeln der Jagdpavillon, in dem sich d’Artagnan befand, und der Pavillon der Orangerie, wohin man Athos einquartiert hatte. Hinter diesen Flügeln dehnte sich der Park aus.

Als Athos in das Zimmer gelangte, das er bewohnen sollte, gewahrte er durch das sorgfältig vergitterte Fenster Mauern und Dächer.

Was für ein Gebäude ist dies?

Der hintere Teil des Jagdpavillons, wo Eure Freunde gefangen gehalten werden, sprach Comminges. Leider sind die Fenster, die auf diese Seite gehen, zur Zeit des andern Kardinals verstopft worden; sonst hättet Ihr den Trost, mit Euren Freunden eine Verbindung durch Zeichen zu unterhalten.

Ihr habt da etwas schwierige Gefangene zu bewachen, Herr von Comminges, sagte Athos in der Richtung nach d’Artagnans Gefängnis weisend.

Schwierig! erwiderte Comminges lächelnd, Ihr wollt mir bange machen. Am ersten Tag seiner Gefangenschaft hat Herr d’Artagnan alle Soldaten und alle Unteroffiziere herausgefordert, ohne Zweifel, um einen Degen zu bekommen. Dies dauerte den ganzen zweiten, ja auch noch den dritten Tag; dann wurde er aber sanft und ruhig wie ein Lamm. Gegenwärtig singt er gascognische Lieder, über die wir uns beinahe zu Tode lachen.

Und Herr du Vallon? fragte Athos.

Ah, bei dem ist’s etwas anderes. Ich gestehe, das ist ein furchtbarer Mann. Am ersten Tag hat er alle Türen mit einem einzigen Druck seiner Schulter gesprengt, und ich war darauf gefaßt, daß er aus Rueil hinausgehen würde, wie Simson aus Gaza. Aber seine Laune nahm denselben Gang, wie die seines Gefährten, des Herrn d’Artagnan. Jetzt hat er sich nicht nur an seine Gefangenschaft gewöhnt, sondern er scherzt sogar darüber.

Desto besser, sprach Athos, desto besser!

Erwartetet Ihr denn etwas anderes? fragte Comminges, der, als er Mazarins Bemerkungen über seine Gefangenen mit der Äußerung des Grafen de la Fère zusammenhielt, einige Unruhe zu verspüren anfing.

Athos seinerseits überlegte, daß die verbesserte Stimmung seiner Freunde ohne Zweifel aus einem von d’Artagnan entworfenen Plane entsprang. Er wollte ihm deshalb nicht durch zu große Anpreisung schaden.

Ei? sagte er, es sind leicht entzündbare Köpfe; der eine ist ein Gascogner, der andere aus der Picardie. Beide entflammen leicht, erlöschen aber bald. Ihr habt den Beweis davon gehabt, und was Ihr mir erzähltet, dient zur Bestätigung dessen, was ich sage.

Dies war auch Comminges‘ Ansicht. Er entfernte sich ruhiger, und Athos blieb allein in dem großen Zimmer, wo er gemäß dem Befehl des Kardinals mit der einem Edelmann schuldigen Rücksicht behandelt wurde.

Der Geist und der Arm

Wenden wir uns nun von der Orangerie zum Jagdpavillon.

Im Hintergrund des Hofes, wo man durch einen von jonischen Säulen gebildeten Portikus die Hundeställe erblickte, erhob sich ein längliches Gebäude, das sich, wie ein Arm dem andern Arme, dem Pavillon der Orangerie, einem den Ehrenhof einschließenden Halbkreise, entgegenzustrecken schien.

Im Erdgeschoß dieses Pavillons waren Porthos und d’Artagnan eingesperrt, welche die für solche Temperamente höchst widerwärtige Gefangenschaft miteinander teilten.

D’Artagnan ging wie ein Tiger mit starrem Auge auf und ab und gab zuweilen ein dumpfes Knurren an den Gitterstangen eines großen Fensters von sich, das nach dem Gesindehofe ging.

Porthos verdaute in der Stille ein vortreffliches Mittagsmahl, dessen Überreste man soeben abgetragen hatte.

Der eine schien der Vernunft beraubt und sann nach, der andere schien in tiefes Nachsinnen versunken und schlief. Nur war sein Schlaf ein Alp, was sich aus der unzusammenhängenden, unterbrochenen Art und Weise seines Schnarchens entnehmen ließ.

Der Tag neigt sich, sprach d’Artagnan, es muß ungefähr vier Uhr sein. Bald sind wir hundertunddreiundachtzig Stunden eingeschlossen. – Hm, murmelte Porthos, um sich das Ansehen zu geben, als antworte er. – Hört Ihr, ewiger Schläfer? rief d’Artagnan, ungeduldig darüber, daß sich ein anderer am Tage dem Schlaf hingeben konnte, während er selbst die größte Mühe hatte, bei Nacht zu schlafen. – Was? fragte Porthos. – Was ich sage? – Was Ihr sagt? – Ich sage, versetzte d’Artagnan, wir seien bald hundertunddreiundachtzig Stunden hier. – Ihr seid selbst schuld daran, sprach Porthos. – Wieso? – Ja, ich habe Euch unsere Befreiung angeboten. – Durch das Losmachen einer Gitterstange oder durch das Sprengen einer Tür? – Allerdings. – Porthos, Leute, wie wir sind, gehen nicht so ganz einfach fort. – Meiner Treue, ich würde mit der Einfachheit gehen, die Ihr so sehr zu verachten scheint.

D’Artagnan zuckte die Achseln.

Und dann, sagte er, ist damit, daß wir dieses Zimmer verlassen, noch nicht alles getan. – Lieber Freund, sprach Porthos, Ihr scheint mir heute etwas besserer Laune zu sein, als gestern. Erklärt mir, warum mit dem Weggehen aus diesem Zimmer nicht alles getan ist. – Weil wir ohne Waffen und Parole keine fünfzig Schritte im Hof machen würden, ohne auf eine Schildwache zu stoßen. – Wohl, sprach Porthos, wir schlagen die Schildwache tot und haben Waffen. – Ja, aber ehe sie völlig totgeschlagen ist – ein Schweizer hat ein hartes, sehr hartes Leben – wird sie einen Schrei, oder wenigstens einen Seufzer ausstoßen und der Posten dadurch herausgerufen werden. Man umstellt uns, man fängt uns wie Füchse, während wir doch Löwen sind, und wirft uns in ein tiefes Kerkerloch, wo wir nicht einmal den Trost haben, den abscheulichen Himmel von Rueil zu sehen, der dem Himmel von Tarbes nicht mehr gleicht, als die Sonne dem Monde.

Als die zwei Gefangenen so weit in ihrem Gespräch gekommen waren, trat Comminges ein. Ihm gingen ein Sergeant und zwei Soldaten voran, welche das Abendessen in einem mit Schüsseln und Platten gefüllten Tischkorb trugen.

Gut, sagte Porthos, abermals Hammelfleisch. – Mein lieber Herr von Comminges, sprach d’Artagnan, Ihr müßt wissen, daß mein Freund, Herr Du Vallon, entschlossen ist, zu den äußersten, gewaltsamsten Mitteln zu greifen, wenn Herr von Mazarin hartnäckig darauf besteht, uns mit dieser Fleischsorte zu füttern. – Ich erkläre sogar, sprach Porthos, daß ich nichts anderes essen werde, wenn man das Hammelfleisch nicht wegnimmt. – Nehmt das Hammelfleisch weg, sagte Herr von Comminges. Herr Du Vallon soll um so angenehmer zu Nacht speisen, als ich ihm eine Neuigkeit mitzuteilen habe, die ihm, ich bin fest überzeugt, Appetit machen wird. – Sollte Herr von Mazarin verschieden sein? fragte Porthos. – Nein, ich bedaure sogar, Euch sagen zu müssen, daß er sich sehr wohl befindet. – Desto schlimmer, versetzte Porthos. – Und worin besteht diese Neuigkeit? fragte d’Artagnan. Eine Neuigkeit im Gefängnis ist eine so seltene Frucht, daß Ihr meine Ungeduld hoffentlich entschuldigen werdet, nicht wahr, Herr von Comminges? Um so mehr, als Ihr uns zu verstehen gegeben habt, die Kunde sei gut. – Sollte es Euch wirklich angenehm sein, zu erfahren, daß sich der Graf de la Fère wohl befindet? erwiderte Comminges.

D’Artagnans kleine Augen öffneten sich übermäßig weit.

Ob es mir angenehm wäre! rief er. Es wäre mir mehr als angenehm; es würde mich glücklich machen!

Wohl, ich bin von ihm beauftragt, Euch seine besten Komplimente zu überbringen und Euch zu sagen, er erfreue sich einer guten Gesundheit.

D’Artagnan wäre beinahe vor Freuden in die Höhe gesprungen. Ein rascher Blick überbrachte Porthos seinen Gedanken; wenn Athos weiß, wo wir sind, sagte dieser Blick, so wird er binnen kurzem handeln.

Porthos war nicht sehr geschickt im Begreifen der Blicke. Diesmal aber begriff er, weil er bei dem Namen Athos denselben Eindruck gehabt hatte.

Aber, fragte der Gascogner schüchtern, der Herr Graf de la Fère hat Euch, wie Ihr sagt, mit seinen Komplimenten an Herrn du Vallon und mich beauftragt? – Ja, mein Herr. – Ihr habt ihn also gesehen? – Allerdings. – Wo denn? – Sehr nahe von hier, antwortete Comminges lächelnd. – Sehr nahe von hier? wiederholte d’Artagnan mit funkelnden Augen. – So nahe, daß Ihr ihn, wenn die Fenster, die in die Orangerie gehen, nicht verstopft wären, von der Stelle aus, wo Ihr seid, sehen könntet. – Herr de la Fère wohnt also im Schlosse? – Ja. – Unter welchem Titel? – Unter demselben Titel, wie Ihr. – Athos ist Gefangener? – Ihr wißt wohl, versetzte Comminges lachend, daß sich in Rueil keine Gefangenen befinden, da es hier kein Gefängnis gibt.– Wir wollen nicht mit Worten spielen, mein Herr. Athos ist verhaftet worden? – Gestern in Saint-Germain, als er die Königin verließ.

D’Artagnans Arme fielen träge an seiner Seite herab. Man hätte glauben können, er wäre vom Blitz getroffen. Die Blässe lief wie eine weiße Wolke über sein gebräuntes Gesicht, verschwand aber in demselben Augenblick wieder.

Gefangen? sprach er.

Gefangen? wiederholte Porthos ganz traurig.

Plötzlich erhob d’Artagnan das Haupt, und man sah in seinen Augen einen unmerklichen Blitz glänzen. Aber dieselbe Niedergeschlagenheit, die ihm vorhergegangen war, folgte auf den flüchtigen Schimmer.

Auf, auf, sprach Comminges, verzweifelt nicht. Ich war weit entfernt, Euch eine traurige Nachricht bringen zu wollen. In diesen Kriegskünsten sind wir alle unsicher. Lacht also über den Zufall, der Euch und Herrn Du Vallon Euren Freund nahe bringt, statt darüber trostlos zu sein.

Aber diese Aufforderung hatte keinen Einfluß auf d’Artagnan, der seine düstere Miene beibehielt.

Und wie sah er aus? fragte Porthos, der, als er sah, daß d’Artagnan das Gespräch fallen ließ, dies benutzen wollte, um ein Wort anzubringen.

Sehr gut, sprach Comminges. Anfangs schien er, wie Ihr, in Verzweiflung zu geraten. Als er aber erfuhr, daß der Herr Kardinal ihm noch diesen Abend einen Besuch machen wollte …

Ah! sprach d’Artagnan, der Herr Kardinal wird dem Grafen de la Fère einen Besuch machen?

Ja, er hat ihn davon in Kenntnis setzen lassen, und als der Herr Graf de la Fère dies erfuhr, beauftragte er mich, euch zu sagen, er würde diese Gunst des Herrn Kardinals benutzen, um eure und seine Lage zu verbessern.

Ah, dieser liebe Graf! sagte d’Artagnan, aber ich glaube, Herr von Comminges täuscht sich.

Wie, ich täusche mich?

Herr von Mazarin wird nicht den Grafen de la Fère besuchen, sondern der Graf de la Fère wird zu Mazarin gerufen werden.

D’Artagnan suchte einen der Blicke von Porthos aufzufangen, um zu erfahren, ob sein Freund die Wichtigkeit dieses Besuches begriff. Aber Porthos schaute nicht einmal auf seine Seite.

Der Herr Kardinal hat also die Gewohnheit, in seiner Orangerie spazieren zu gehen? fuhr d’Artagnan fort.

Jeden Abend schließt er sich darin ein, erwiderte Comminges. Es scheint, er denkt dort über Staatsangelegenheiten nach.

Dann fange ich doch an zu glauben, daß Herr de la Fère den Besuch Seiner Eminenz empfangen wird, versetzte d’Artagnan. Übrigens wird er sich ohne Zweifel begleiten lassen?

Ja, von zwei Soldaten.

Und er wird somit vor zwei Fremden sprechen?

Die Soldaten sind Schweizer aus den kleinen Kantonen und sprechen nur Deutsch. Aller Wahrscheinlichkeit nach werden sie auch vor der Tür warten.

D’Artagnan preßte sich die Nägel in die flache Hand, damit sein Gesicht nichts anderes ausdrücke, als was er ausdrücken wollte.

Ah, mein Herr, sprach d’Artagnan, als wollte er die ganze Unterhaltung in ein einziges Wort zusammenfassen, wenn nur Seine Eminenz sich erweichen läßt und Herrn de la Fère unsere Freiheit bewilligt.

Ich wünsche es von ganzem Herzen, sprach Comminges.

Wenn er aber diesen Besuch vergäße, würdet Ihr nichts Unpassendes darin finden, wenn man ihn daran erinnerte?

Durchaus nichts, im Gegenteil.

Ah, das beruhigt mich ein wenig.

Diese geschickte Veränderung des Gespräches hätte jedem, der in der Seele des Gascogners hätte lesen können, als ein vortreffliches Manöver erscheinen müssen.

Nur noch eine letzte Bitte, fuhr er fort, mein lieber Herr von Comminges. – Ich stehe ganz zu Diensten, mein Herr. – Ihr werdet den Herrn Grafen de la Fère wiedersehen? – Morgen früh. – Wollt Ihr ihm in unserm Namen guten Morgen wünschen und sagen, er möge für mich um dieselbe Gunst bitten, die er erhalten hat? – Ihr wünscht, daß der Herr Kardinal hierher komme? – Nein; ich kenne mich und bin nicht so anspruchsvoll. Seine Eminenz erweise mir nur die Ehre, mich zu hören. Das ist alles, was ich wünsche. – Oho, murmelte Porthos, den Kopf schüttelnd, ich hätte das nie von ihm geglaubt. Wie doch das Unglück einen Menschen niederbeugt! – Es soll geschehen, sprach Comminges. – Versichert auch dem Grafen, ich befinde mich sehr wohl, und Ihr habt mich zwar traurig, aber in mein Schicksal ergeben gesehen. – Gott befohlen, meine Herren, sprach Comminges. So gefallt ihr mir! Gute Nacht.

Comminges entfernte sich mit einer Verbeugung. D’Artagnan folgte ihm mit den Augen. Kaum aber war die Tür hinter dem Kapitän der Garden geschlossen, als er auf Porthos zustürzte und ihn mit einem unverkennbaren Ausdruck der Freude in die Arme schloß.

Oh! oh! sagte Porthos, was gibt es denn? Werdet Ihr ein Narr, mein lieber Freund?

Wir sind gerettet! rief d’Artagnan.

Das sehe ich durchaus nicht ein, sprach Porthos; ich sehe im Gegenteil, daß wir alle gefangen sind, mit Ausnahme von Aramis, und daß unsere Hoffnungen auf Befreiung sich vermindert haben, seitdem noch einer in die Mausefalle des Herrn von Mazarin gegangen ist.

Keineswegs, mein Freund; diese Mausefalle war genügend für zwei, sie wird zu schwach für drei.

Ich begreife das gar nicht.

Es ist auch nicht nötig; setzen wir uns zu Tische und sammeln wir Kräfte, wir werden ihrer für die Nacht bedürfen.

Was werden wir denn diese Nacht tun? fragte Porthos, immer neugieriger.

Wir werden ohne Zweifel reisen.

Aber …

Setzen wir uns zu Tisch, lieber Freund; die Gedanken kommen mir während des Essens. Nach dem Abendessen, wenn meine Ideen zur vollen Reife gelangt sind, werde ich sie Euch mitteilen.

Das Abendessen war still, aber nicht traurig, denn das feine Lächeln, das d’Artagnan in den Augenblicken seiner guten Laune eigentümlich war, erleuchtete sein Gesicht. Beim Nachtisch warf sich d’Artagnan auf seinem Stuhl zurück, kreuzte ein Bein über das andere und wiegte sich mit der Miene eines vollkommen selbstzufriedenen Menschen. Porthos stützte sein Kinn auf seine beiden Hände, legte seine Ellenbogen auf den Tisch und schaute d’Artagnan mit dem vertrauensvollen Blicke an, der diesem Koloß einen so bewundernswürdig gutmütigen Ausdruck verlieh.

Nun, sagte d’Artagnan zu dem seine Neugierde nur mit Mühe bezwingenden Freunde, um welche Stunde ungefähr haben wir die Schweizer Wachen gestern auf- und abgehen sehen? – Ich glaube, eine Stunde nach Einbruch der Nacht. – Wenn sie also heute kommen, wie gestern, so werden wir nicht über eine Viertelstunde auf das Vergnügen, sie zu sehen, warten müssen. – Höchstens eine Viertelstunde. – Ihr habt immer noch Euren guten Arm, nicht wahr, Porthos?

Porthos knöpfte seinen Ärmel auf, streifte das Hemd zurück und betrachtete mit Vergnügen seinen nervigen Arm, der wohl so dick war, als der Schenkel eines gewöhnlichen Mannes.

Ja, ja, sagte er, ziemlich gut. – Somit würdet Ihr, ohne Euch zu sehr anzustrengen, einen Reif aus dieser Zange und einen Pfropfenzieher aus dieser Schaufel machen? – Gewiß, erwiderte Porthos. – Laßt sehen.

Der Riese nahm die bezeichneten Gegenstände und bewerkstelligte mit der größten Leichtigkeit und ohne scheinbare Anstrengung die von seinem Freunde gewünschten Wandlungen.

Hier, sagte Porthos.

Herrlich, rief d’Artagnan; Ihr seid in der Tat reich begabt. Nun hört mich recht aufmerksam zu, mein lieber Simson. Nähert Euch dem Fenster und bedient Euch Eurer Kraft, um eine Fensterstange loszumachen! Wartet, bis ich die Lampe ausgelöscht habe.

Porthos trat ans Fenster, nahm eine Stange mit beiden Händen, klammerte sich daran, zog sie an sich und bog sie wie eine Sehne, so daß die beiden Enden aus der steinernen Lade herausgingen, in der sie seit dreißig Jahren festgekittet waren.

Seht, mein Freund, sagte d’Artagnan, das hätte der Kardinal mit all seinem Genie nie tun können.

Soll ich noch andere ausreißen? fragte Porthos.

Nein, diese wird genügen; ein Mann kann nun durchschlüpfen.

Porthos versuchte es und drang mit dem ganzen Oberleibe durch.

Ja, es geht, sagte er. – In der Tat, das ist eine ziemlich schöne Öffnung. Nun streckt Euern Arm durch. – Durch was? – Durch die Öffnung. – Warum? – Ihr werdet es sogleich erfahren, streckt ihn immerhin durch.

Porthos gehorchte, folgsam wie ein Soldat, und streckte seinen Arm durch das Gitter.

Vortrefflich, sagte d’Artagnan. – Es scheint mir, das geht. – Wie auf Röllchen. – Gut. Was soll ich nun tun? – Nichts. – Es ist also beendigt? – Noch nicht. – Ich wünschte übrigens doch zu begreifen … – Hört, lieber Freund, und mit zwei Worten werdet Ihr im klaren sein. Die Tür des Postens öffnet sich, wie Ihr seht. – Ja, ich sehe es. – Man wird die beiden Wachen, die Herrn von Mazarin nach der Orangerie begleiten, in unsern Hof schicken. – Sie kommen eben heraus. – Wenn sie nur die Tür der Wachtstube schließen! Gut, sie schließen sie. – Hernach? – Stille, sie könnten uns hören. – Ich werde also nichts erfahren? – Doch, denn während der Ausführung werdet Ihr begreifen. – Ich hätte jedoch vorgezogen … – Es wird Euch das Vergnügen der Überraschung zu teil werden. – Ah! das ist wahr. – St!

Porthos blieb stumm und unbeweglich.

Die zwei Soldaten gingen gerade auf das Fenster zu und rieben sich dabei die Hände, denn man war im Monat Februar, und es herrschte eine ziemlich scharfe Kälte.

In diesem Augenblick öffnete sich die Tür der Wachtstube abermals, und man rief einen Soldaten zurück.

Der Soldat verließ seinen Kameraden und ging in die Wachtstube.

Geht es immer noch? fragte Porthos. – Besser als je, antwortete d’Artagnan. Hört nun. Ich will diesen Soldaten rufen und mit ihm plaudern, wie ich es gestern getan habe, Ihr erinnert Euch? – Ja; nur habe ich nicht ein Wort von dem verstanden, was er sagte. – Er hatte allerdings einen etwas starken Accent. Aber verliert kein Wort von dem, was ich Euch sage, Porthos, alles hängt von der Ausführung ab. – Gut, die Ausführung, das ist meine Stärke.

– Ich weiß es, bei Gott, wohl und zähle auch auf Euch. – Sprecht. – Ich will also den Soldaten rufen und mit ihm plaudern. – Das habt Ihr bereits gesagt. – Ich drehe mich auf die linke Seite, so daß er im Augenblick, wo er auf die Bank steigt, auf Eurer rechten sein wird. – Aber wenn er nicht steigt? – Er wird es tun, seid unbesorgt. Im Augenblick, wo er auf die Bank steigt, streckt Ihr Euern Arm aus und ergreift ihn beim Halse. Dann hebt Ihr ihn bei den Ohren auf, wie Tobias den Fisch, und zieht ihn in unser Zimmer herein, wobei Ihr ihn jedoch so stark drücken müßt, daß er nicht schreien kann. – Ja, sprach Porthos; aber wenn ich ihn erwürge? – Am Ende ist es nur ein Schweizer, aber Ihr werdet ihn hoffentlich nicht erwürgen. Ihr setzt ihn ganz sacht hier nieder, und wir knebeln ihn und binden ihn irgendwo an. Das verschafft uns vor allem eine Uniform und ein Schwert. – Vortrefflich, sprach Porthos, indem er d’Artagnan mit tiefer Bewunderung anschaute. Doch eine Uniform und ein Schwert sind nicht genug für uns zwei. – Nun, hat er nicht seinen Kameraden? – Das ist richtig, versetzte Porthos. – Wenn ich huste, so ist es Zeit, daß Ihr Euern Arm ausstreckt. – Gut.

Die Freunde gingen jeder an seinen bezeichneten Posten. Porthos blieb gänzlich im Winkel des Fensters verborgen.

Guten Abend, Kamerad, sagte d’Artagnan mit seiner freundlichsten Stimme und mit dem ruhigsten Ton. – Guten Abend, Herr, antwortete der Soldat in seinem grausamen Schweizerdialekt. – Es ist heute eben nicht sehr warm zum Spazierengehen, sagte d’Artagnan. – Brrr! machte der Soldat. – Und ich glaube, ein Glas Wein wäre Euch nicht unangenehm. – Ein Glas Wein wäre sehr willkommen. – Der Fisch beißt an, der Fisch beißt an! flüsterte d’Artagnan Porthos zu. – Ich begreife, erwiderte Porthos. – Ich habe da eine Flasche, sagte d’Artagnan. – Eine Flasche? – Ja. – Eine volle Flasche? – Ja, ganz voll, und sie gehört Euch, wenn Ihr sie auf meine Gesundheit trinken wollt.– Recht gern, versetzte der Soldat sich nähernd. – Nehmt sie, mein Freund, sprach der Gascogner. – Sehr gern; ich glaube, es ist eine Bank hier. – Oh, ja doch, man sollte glauben, man hätte sie zu diesem Zweck hierhergestellt. Steigt herauf. So ist es gut, mein Freund.

D’Artagnan hustete.

In demselben Augenblick senkte sich Porthos‘ Arm. Seine stählerne Faust packte rasch wie ein Blitz und fest wie eine Zange den Hals des Soldaten, preßte ihn fest zusammen, zog ihn durch die Öffnung an sich, auf die Gefahr, ihn beim Durchziehen zu ersticken, und setzte ihn auf den Boden, wo ihn d’Artagnan, indem er ihm gerade nur Zeit ließ, um Atem zu holen, mit seiner Schärpe knebelte, und daraus mit unglaublicher Geschwindigkeit auszukleiden anfing.

Nun haben wir einmal ein Schwert und ein Kleid, sagte Porthos.

Ich nehme beides, sprach d’Artagnan. Wollt Ihr ein anderes Schwert und ein anderes Kleid, so müßt Ihr die Geschichte noch einmal anfangen. Aufgepaßt! Ich sehe gerade den zweiten Soldaten aus der Wachtstube hervortreten und auf uns zukommen.

Ich glaube, es wäre unklug, dasselbe Manöver zu wiederholen, sagte Porthos. Man kommt, sagen die Leute, nicht zweimal mit denselben Mitteln ans Ziel. Wenn ich ihn verfehlte, wäre alles verloren. Ich will hinaussteigen, ihn in dem Augenblick, wo er nicht darauf gefaßt sein wird, packen und wohl geknebelt Euch hereinreichen.

Das ist besser, antwortete der Gascogner.

Haltet Euch bereit, sprach Porthos und schlüpfte durch die Öffnung.

Die Sache ging planmäßig vor sich. Der Riese verbarg sich am Weg des Soldaten, und als dieser an ihm vorüberkam, faßte er ihn beim Halse, knebelte ihn, stieß ihn wie eine Mumie zwischen den Gitterstangen durch und kehrte hinter ihm zurück.

Hierauf entkleideten sie auch den zweiten Soldaten und banden ihn am Bett fest.

Das geht vortrefflich, sagte d’Artagnan; nun probiert einmal das Kleid dieses Burschen an, Porthos. Ich zweifle, daß es Euch gut paßt; doch wenn es zu eng ist, so seid deshalb unbesorgt, das Wehrgehänge und besonders der Hut mit den roten Federn werden genügen.

Da der zweite Soldat zufällig ein riesiger Schweizer war, paßte alles aufs beste.

Nachdem sich die beiden Freunde angezogen hatten, sagte d’Artagnan zu den Schweizern:

Was euch betrifft, Kameraden, so könnt ihr versichert sein, daß euch nichts widerfährt, wenn ihr euch vernünftig benehmen wollt. Rührt ihr euch aber, so seid ihr des Todes.

Die Soldaten verhielten sich ganz still; sie hatten an Porthos‘ Faust bemerkt, daß die Sache sehr ernster Natur war.

Nun steigen wir, Porthos, in den Hof hinab. – Ja. – Wir nehmen den Platz der zwei Burschen ein. – Gut. – Wir gehen auf und ab. – Das wird nicht übel sein, da ohnehin keine bedeutende Wärme herrscht. – In einem Augenblick ruft der Kammerdiener, wie gestern und vorgestern, nach den Leuten vom Dienste. – Wir antworten? – Im Gegenteil, wir antworten nicht. – Wie Ihr wollt, es liegt mir nichts am Antworten. – Wir antworten also nicht; wir drücken nur unsere Hüte in den Kopf und geleiten Seine Eminenz. – Wohin? – Wohin sie geht: zu Athos. Glaubt Ihr, es werde ihm unangenehm sein, uns zu sehen? – Oh, oh! ich begreife, rief Porthos. – Wartet noch, ehe Ihr schreit. Porthos; denn bei meinem Wort, Ihr seid noch nicht am Ende, versetzte der Gascogner mit spöttischem Ton. – Was soll denn noch geschehen? sprach Porthos. – Folgt mir, erwiderte d’Artagnan; Ihr werdet schon sehen.

Und er schlüpfte durch die Öffnung und glitt leicht in den Hof hinab. Porthos folgte ihm auf demselben Wege, obgleich mit mehr Mühe und mit weniger Eile.

Kaum hatten d’Artagnan und Porthos die Erde berührt, als eine Tür sich öffnete und ein Kammerdiener rief: Die Leute vom Dienst!

Zu gleicher Zeit öffnete sich die Wachtstube, und eine andere Stimme rief: La Bruyère und Du Barthois, vorwärts!

Es scheint, ich heiße La Bruyère, sagte d’Artagnan.

Und ich Du Barthois, versetzte Porthos.

Wo seid ihr? sagte der Kammerdiener, dessen durch das Licht geblendete Augen unsere zwei Helden nicht zu unterscheiden vermochten.

Hier, antwortete d’Artagnan. Und sich gegen Porthos umwendend, fügte er hinzu: Was sagt Ihr hierzu, Herr Du Vallon?

Meiner Treu! wenn das so fortgeht, sage ich, es ist hübsch.

Die Fallgruben des Herrn von Mazarin

Die zwei improvisierten Soldaten marschierten mit ernster Haltung hinter dem Kammerdiener. Er öffnete ihnen die Tür eines Vorplatzes, dann eine zweite, die in eine Vorhalle zu führen schien, deutete auf zwei Schemel und sagte:

Der Befehl ist ganz einfach: Ihr laßt nur eine einzige Person herein, versteht ihr, nur eine einzige, nicht mehr. Dieser Person gehorcht ihr in allem. Was die Rückkehr betrifft, so wartet ihr, bis sie euch ablösen.

Diesen Kammerdiener kannte d’Artagnan ganz genau. Es war kein anderer, als Bernouin, der ihn seit sechs bis acht Monaten wenigstens zehnmal beim Kardinal eingeführt hatte. Er begnügte sich also, statt aller Antwort so wenig als möglich gascognisch und so gut als möglich deutsch ja zu brummen.

Was Porthos betrifft, so hatte ihm d’Artagnan das Versprechen abgenommen, nichts zu sagen. Sollte er bis aufs äußerste getrieben werden, so durfte er statt jeder Antwort »der Teufel« brummen.

Bernouin entfernte sich, die Tür schließend.

Oh! oh! sagte Porthos, als er den Schlüssel drehen hörte, es scheint hier Mode zu sein, die Leute einzuschließen. Mir kommt es vor, als hätten wir nur das Gefängnis vertauscht, und ich weiß nicht, ob wir dabei gewonnen haben, daß wir jetzt in der Orangerie sind.

Porthos, mein Freund, sprach d’Artagnan ganz leise, zweifelt nicht an der Vorsehung und laßt mich nachsinnen und überlegen.

Sinnt nach und überlegt, erwiderte Porthos in sehr schlimmer Laune, als er sah, daß sich die Dinge so und nicht anders gestalteten.

Wir sind achtzig Schritte gegangen, murmelte d’Artagnan, wir sind sechs Stufen hinaufgestiegen; das ist also hier, wie soeben mein erhabener Freund Du Vallon gesagt hat, der andere Pavillon, der parallel mit dem unsern steht, und den man mit dem Namen Pavillon der Orangerie bezeichnet. Der Graf de la Fère kann folglich nicht fern von hier sein; nur sind die Türen geschlossen.

Das ist eine schöne Schwierigkeit, sprach Porthos, und mit einem Schulterstoß …

Um Gottes Willen, Porthos, mein Freund, sagte d’Artagnan, spart Eure Kraftstücke, oder sie haben bei vorkommender Gelegenheit nicht mehr den ganzen Wert, den sie verdienen; habt Ihr nicht gehört, daß jemand hierher kommen wird?

Allerdings.

Nun, dieser Jemand wird uns die Türen öffnen. Horch, er kommt bereits.

Man hörte im Vorsaal das Geräusch eines leichten Trittes.

Die Angeln der Tür ächzten, und es erschien ein Mann in Reitertracht, in einen braunen Mantel gehüllt, einen großen Filzhut in die Stirn gedrückt und eine Laterne in der Hand.

Porthos drückte sich an die Wand, aber er konnte sich nicht so unsichtbar machen, daß der Mann im Mantel ihn nicht bemerkt hätte. Dieser gab ihm seine Laterne und sagte: Zündet die Lampe am Plafond an. Dann sprach er zu d’Artagnan: Ihr habt den Befehl?

Ja! erwiderte der Gascogner, entschlossen, sich auf dieses Muster der deutschen Sprache zu beschränken.

Tedesco, murmelte der Mann in der Reitertracht. Va bene.

Dann wandte er sich nach der Tür, der gegenüber, durch die er eingetreten war, öffnete sie und verschwand hinter derselben, indem er sie wieder verschloß.

Und was machen wir nun? fragte Porthos.

Nun bedienen wir uns unserer Schultern, wenn diese Tür geschlossen ist, Freund Porthos. Jedes Ding hat seine Zeit, und wer zu warten weiß, findet immer den rechten Augenblick. Aber zuerst verrammeln wir die erste Tür, und dann wollen wir dem Mann folgen, der soeben weggegangen ist.

Die zwei Freunde schritten sogleich zur Arbeit und verrammelten die Tür mit allem Geräte, das sich im Saale fand, wodurch das Eindringen um so schwieriger wurde, als sich die Tür nach innen öffnete.

Hier sind wir sicher, nicht von hinten überfallen zu werden, sagte d’Artagnan; nun wollen wir weitergehen.

Sie gelangten an die Tür, durch die Mazarin verschwunden war, und fanden sie verschlossen. Vergeblich versuchte d’Artagnan, sie zu öffnen.

Hier ist Gelegenheit, Euern Schulternstoß anzubringen, sagte d’Artagnan. Stoßt zu, mein Freund Porthos, aber sacht, ohne Geräusch. Zerbrecht nichts, drückt nur die Flügel auseinander.

Porthos stützte seine kräftige Schulter gegen einen der Flügel, der sich bog, und d’Artagnan schob sodann die Spitze seines Schwertes zwischen die Feder und die Schließklappe des Schlosses. Die Feder gab nach, und die Tür öffnete sich.

Ich sage Euch, Freund Porthos, man erhält von den Frauen und von den Türen alles, wenn man sie sanft anfasse.

Ihr seid allerdings ein großer Moralist, versetzte Porthos.

Laßt uns nun eintreten, sprach d’Artagnan.

Sie traten ein. Hinter einem Fensterwerk, beim Schimmer der Laterne des Kardinals, die mitten auf dem Boden stand, sah man die Orangen- und Granatbäume des Schlosses Rueil in langen Reihen aufgestellt, eine große Allee und zwei kleine Seitenalleen bildend.

Kein Kardinal, sagte d’Artagnan, nur seine Laterne allein. Wo zum Teufel ist er denn?

Als er dann eine der Seitenalleen durchforschte, nachdem er Porthos durch ein Zeichen bedeutet hatte, dasselbe zu tun, sah er plötzlich zu seiner Linken einen aus seiner Reihe geschobenen Baumkübel und an seiner Stelle ein gähnendes Loch. Zehn Männer hätten Mühe gehabt, den Kübel von seiner Stelle zu bewegen, aber durch irgend einen Mechanismus hatte er sich mit der Platte gedreht, auf der er stand.

D’Artagnan sah, wie gesagt, ein Loch und in diesem Loch die Stufen einer Wendeltreppe.

Er winkte Porthos mit der Hand herbei, zeigte ihm das Loch und die Stufen.

Die zwei Männer schauten sich erstaunt an.

Wenn wir nichts wollten, als Gold, sprach d’Artagnan leise, so hätten wir unsere Sache gefunden und wären für immer reich.

Wie dies?

Begreift Ihr nicht, Porthos, daß am Fuße dieser Treppe aller Wahrscheinlichkeit nach der berühmte Schatz des Kardinals liegt, von dem man so viel spricht, und daß wir nur hinabzusteigen, eine Kasse zu leeren, den Kardinal einzuschließen, was wir an Gold schleppen könnten, fortzunehmen, diesen Orangenbaum wieder an seinen Platz zu stellen hätten, und daß niemand in der Welt uns fragen würde, woher unser Vermögen rührte, nicht einmal der Kardinal?

Das wäre ein schöner Streich für gemeine Leute, sagte Porthos, aber, wie mir scheint, zweier Edelleute unwürdig.

Das ist auch meine Meinung, versetzte d’Artagnan; deshalb sagte ich auch, wenn wir nur Gold wollten; aber wir wollen etwas anderes.

In demselben Augenblick und als d’Artagnan seinen Kopf gegen die Höhle hinabbeugte, um zu horchen, traf ein metallischer, dumpfer Ton, wie der eines Goldsackes, den man bewegt, an sein Ohr; er bebte. Alsbald schloß sich eine Tür, und die ersten Reflexe eines Lichtes erschienen auf der Treppe.

Mazarin hatte seine Lampe in der Orangerie gelassen, damit man glaube, er gehe spazieren; aber er hatte eine Wachskerze, mit der er seine unterirdische Kasse untersuchte.

Ha! sagte er, während er langsam, einen rundbauchigen Sack Goldrealen betrachtend, die Stufen heraufstieg, damit könnte man fünf Parlamentsräte und zwei Pariser Generäle bezahlen. Ich bin auch ein großer Feldherr; nur führe ich den Krieg auf meine Weise.

D’Artagnan und Porthos hatten sich jeder in einer Seitenallee hinter einem Kübel verborgen und warteten.

Mazarin kam auf drei Schritte an d’Artagnan vorüber und stieß an eine in der Mauer verborgene Feder. Die Platte drehte sich und der von ihr getragene Orangenbaum kam von selbst wieder an seinen Platz.

Dann löschte der Kardinal seine Kerze aus, steckte sie in seine Tasche, nahm seine Lampe und sprach: Nun wollen wir nach Herrn de la Fère sehen.

Gut! das ist unser Weg, dachte d’Artagnan, wir gehen miteinander.

Alle drei setzten sich in Marsch. Herr von Mazarin schlug die mittlere Allee ein, Porthos und d’Artagnan die gleichlaufenden an den Seiten.

Der Kardinal gelangte zu einer zweiten Glastür, ohne zu bemerken, daß man ihm folgte; denn der weiche Sand machte die Tritte seiner zwei Begleiter unhörbar.

Dann wandte er sich nach der linken Seite und schlug den Weg nach dem Korridor ein, den Porthos und d’Artagnan noch nicht bemerkt hatten; aber in dem Augenblick, wo er öffnen wollte, blieb er nachdenklich stehen.

Ah, Diavolo! sagte er, ich vergaß, was mir Comminges empfohlen hat. Ich muß die Soldaten nehmen und an diese Tür stellen, um mich nicht der Willkür dieses verdammten Teufels preiszugeben.

Und mit einer ungeduldigen Bewegung wandte er sich um, in der Absicht, auf demselben Weg zurückzugehen.

Gebt Euch nicht die Mühe, Monseigneur, sagte d’Artagnan, einen Fuß vor und den Hut in der Hand, mit freundlichem Gesichte; wir sind Eurer Eminenz gefolgt und stehen nun hier.

Ja, wir sind hier, sagte Porthos und machte dieselbe Gebärde eines freundlichen Grußes.

Mazarin schaute ganz verwirrt den einen und den andern an, erkannte beide und ließ mit einem Seufzer des Schreckens seine Laterne fallen.

D’Artagnan hob sie auf, zum Glück war sie beim Fallen nicht erloschen.

Oh! welche Unklugheit! sagte d’Artagnan. Es ist nicht gut, hier ohne Licht zu gehen; Eure Eminenz könnte sich an irgend einem Kübel stoßen oder in irgend ein Loch stürzen.

Herr d’Artagnan! murmelte Mazarin, der sich von seinem Erstaunen nicht erholen konnte.

Ja, Monseigneur, ich selbst, und ich habe die Ehre, Euch Herrn du Vallon, diesen vortrefflichen Freund, vorzustellen, für den sich Eure Eminenz einst zu interessieren die Güte gehabt hat.

Bei diesen Worten richtete d’Artagnan das Licht der Lampe nach dem heiteren Gesichte Porthos‘, der zu begreifen anfing und ganz stolz darauf war.

Ihr wart im Begriff, zu Herrn de la Fère zu gehen, fuhr d’Artagnan fort; laßt Euch nicht durch uns abhalten, Monseigneur. Habt die Güte, uns den Weg zu zeigen; wir werden Euch folgen.

Mazarin kam allmählich zur Besinnung.

Seid ihr schon lange in der Orangerie, meine Herren? fragte er mit zitternder Stimme, indem er an den Besuch dachte, den er soeben seinem Schatze gemacht hatte.

Porthos öffnete den Mund, um zu antworten. D’Artagnan machte ihm ein Zeichen, und Porthos‘ stummgebliebener Mund schloß sich wieder.

Wir kommen in diesem Augenblick, Monseigneur, sagte d’Artagnan.

Mazarin atmete auf; er fürchtete nicht mehr für seinen Schatz, er fürchtete nur noch für sich selbst.

Ein eigenes Lächeln schwebte über seine Lippen.

Vorwärts, sagte er, ihr habt mich in der Falle gefangen, und ich erkläre mich für besiegt. Ihr wollt mich um eure Freiheit bitten, nicht wahr? Ich gebe sie euch.

Oh! Monseigneur, sagte d’Artagnan, Ihr seid sehr gut; aber unsere Freiheit haben wir, und wir würden Euch lieber um etwas anderes bitten.

Ihr habt eure Freiheit? sprach Mazarin ganz erschrocken.

Allerdings, und Ihr, Monseigneur, habt im Gegenteil die Eurige nun verloren; was wollt Ihr, Monseigneur? Es geht nach dem Kriegsgesetz, Ihr müßt sie wieder erkaufen.

Mazarin fühlte einen Schauer bis in die Tiefe seines Herzens. Sein durchdringender Blick heftete sich vergebens auf das spöttische Gesicht des Gascogners und auf das seines Freundes. Beide waren im Schatten verborgen, und die Sibylle von Cumä hätte nicht darin zu lesen vermocht.

Meine Freiheit wieder erkaufen? wiederholte Mazarin.

Ja, Monseigneur.

Und wieviel wird dies kosten, Herr d’Artagnan?

Verdammt, Monseigneur, ich weiß es noch nicht. Wir werden den Grafen de la Fère darüber fragen, wenn es Eure Eminenz gütigst erlaubt. Eure Eminenz wolle daher die Gnade haben, die Tür zu öffnen, die zu ihm führt, und in zehn Minuten wird sie im klaren sein.

Mazarin bebte.

Monseigneur, sagte d’Artagnan, Eure Eminenz sieht, mit welchen Förmlichkeiten wir zu Werke gehen; darum sind wir aber auch genötigt, noch zu bemerken, daß wir keine Zeit zu verlieren haben. Öffnet also, Monseigneur, und erinnert Euch ein für allemal, daß Ihr in Anbetracht unserer ganz eigentümlichen Lage uns nicht grollen dürft, wenn wir bei der geringsten Bewegung, die Ihr macht, um zu entfliehen, bei dem kleinsten Schrei, den Ihr ausstoßt, um zu entkommen, zum Äußersten schreiten.

Seid unbesorgt, meine Herren, erwiderte Mazarin, ich werde nichts versuchen, darauf gebe ich euch mein Ehrenwort.

D’Artagnan winkte Porthos, er möge seine Wachsamkeit verdoppeln, und sprach dann, sich zu Mazarin umwendend: Wir wollen nun hineingehen, Monseigneur, wenn’s Euch beliebt.

Konferenzen

Mazarin ließ den Riegel einer Doppeltür spielen, auf deren Schwelle Athos auf Comminges‘ Rat seinen erhabenen Gast zu empfangen bereit stand.

Als er Mazarin erblickte, verbeugte er sich und sprach: Eure Eminenz hätte sich jeder Begleitung überheben können, denn die Ehre, die mir zu teil wird, ist zu groß, als daß ich sie vergessen sollte.

Mein lieber Graf, sagte d’Artagnan, Seine Eminenz wollte uns auch nicht gerade haben. Herr du Vallon und ich bestanden jedoch, vielleicht etwas unbescheiden darauf, so groß war unser Verlangen, Euch zu sehen.

Bei dieser Stimme, dem spöttischen Ton, der wohl bekannten Gebärde, die Ton und Stimme begleitete, machte Athos einen Sprung des Erstaunens.

D’Artagnan! Porthos! rief er.

In Person, lieber Freund.

In Person, wiederholte Porthos.

Was soll das bedeuten? fragte der Graf.

Das soll bedeuten, antwortete Mazarin, indem er zu lächeln versuchte und sich während des Lächelns in die Lippen biß, das soll bedeuten, daß sich die Rollen verändert haben, denn statt daß diese Herren meine Gefangenen sind, bin ich der Gefangene dieser Herren, und Ihr seht mich genötigt, hier das Gesetz zu empfangen, statt es zu machen. Aber, meine Herren, ich sage euch zum voraus, wenn ihr mich nicht erwürgt, wird euer Sieg von kurzer Dauer sein. Die Reihe ist bald wieder an mir; man wird kommen …

Ah! Monseigneur, sprach d’Artagnan, droht nicht, das gibt ein schlechtes Beispiel. Wir sind doch so sanft und so artig gegen Eure Eminenz! Setzen wir alle üble Laune beiseite, entfernen wir jeden Groll und sprechen freundlich miteinander.

Das ist mir ganz lieb, meine Herren, sagte Mazarin; aber in dem Augenblick, wo wir über mein Lösegeld verhandeln, sollt ihr eure Lage nicht für besser halten, als sie wirklich ist; indem ihr mich in der Falle finget, habt ihr euch mit mir gefangen. Wie wollt ihr von hier wegkommen? Seht die Gitter, seht die Türen, seht oder erratet vielmehr, wieviel Schildwachen diese Höfe füllen, und laßt uns dann einen Vergleich treffen. Ich will euch zeigen, daß ich loyal bin.

Gut, dachte d’Artagnan, wir wollen uns vorsehen, er gedenkt uns einen Streich zu spielen.

Ich habe euch eure Freiheit angeboten, fuhr der Minister fort, ich biete sie euch noch einmal an; wollt ihr sie? Vor einer Stunde werdet ihr entdeckt, verhaftet oder genötigt sein, mich zu töten, was ein furchtbares Verbrechen und loyaler Edelleute, wie ihr seid, ganz unwürdig wäre.

Er hat recht, dachte Athos.

Und wie alles, was in dieser nur von edlen Gedanken bewohnten Seele vorging, so spiegelte sich auch dieser Gedanke in seinen Augen ab.

D’Artagnan aber sagte, um die Hoffnung herabzustimmen, die Athos‘ stillschweigendes Beipflichten in Mazarin erregt hatte: Wir werden auch nur in der äußersten Not zur Gewalt greifen.

Wenn ihr dagegen, fuhr Mazarin fort, wenn ihr mich gehen laßt und eure Freiheit annehmt …

D’Artagnan unterbrach ihn mit den Worten:

Wie sollen wir unsere Freiheit annehmen, da Ihr sie, wie Ihr selbst sagt, fünf Minuten, nachdem Ihr sie gegeben habt, wieder nehmen könnt? Und wie ich Euch kenne, werdet Ihr sie uns wieder nehmen, Monseigneur.

Mazarin versprach hoch und teuer bei seinem Kardinals- und Ministerwort, die Freunde freizulassen. Als er damit nur den Spott des Gascogners herausforderte, versetzte er:

Wohl, ich leiste Euch auf eine untrügliche, handgreifliche Weise Sicherheit. – Ah! das ist etwas anderes, sagte Porthos. – Laßt hören, sprach Athos. – Laßt hören, wiederholte d’Artagnan. – Vor allem, nehmt ihr an? sagte der Kardinal. – Erklärt uns Euern Plan, Monseigneur, und wir werden sehen. – Zieht wohl in Betracht, daß Ihr eingeschlossen, gefangen seid. – Ihr wißt, Monseigneur, entgegnete d’Artagnan, es bleibt uns immer noch ein letztes Mittel. – Welches? – Miteinander zu sterben.

Mazarin bebte.

Hört, fuhr er fort, am Ende des Ganges ist eine Tür, wozu ich den Schlüssel habe; diese Tür führt in den Park. Geht mit dem Schlüssel, ihr seid flink, ihr seid kräftig, ihr seid bewaffnet, und in einer Entfernung von hundert Schritten, wenn ihr euch links wendet, findet ihr die Mauer des Parks; ihr steigt darüber und seid mit drei Sprüngen auf der Straße und frei. Ich kenne euch nun hinreichend, um zu wissen, daß es, wenn man euch angreift, kein Hindernis gegen eure Flucht sein wird.

Ah! bei Gott, Monseigneur, sagte d’Artagnan, das ist gut, das heiße ich sprechen. Wo ist der Schlüssel, den Ihr uns bieten wollt?

Hier.

Aber Monseigneur, fügte d’Artagnan bei, Ihr werdet uns wohl zu der Tür führen?

Sehr gern, sprach der Minister, wenn es dessen zu eurer Beruhigung bedarf.

Mazarin, der nicht so leichten Kaufes durchzukommen gehofft hatte, wandte sich ganz strahlend nach dem Gange und öffnete die Tür.

Sie ging allerdings nach dem Park, was die drei Flüchtlinge an dem Nachtwind wahrnahmen, der sich im Gange fing und ihnen den Schnee ins Gesicht trieb.

Teufel! Teufel! sagte d’Artagnan, es ist eine furchtbare Nacht, Monseigneur. Wir kennen die Örtlichkeiten nicht und werden nie unsern Weg finden. Da nun Eure Eminenz so viel getan hat, daß sie uns bis hierher führte … nur noch einige Schritte, Monseigneur, geleitet uns bis zur Mauer.

Es sei, sprach der Kardinal.

Und gerade ausgehend, schritt er mit raschem Schritte auf die Mauer zu, an deren Fuß bald alle vier waren.

Seid ihr zufrieden, meine Herren? fragte Mazarin. – Ich glaube wohl, wir müßten sonst sehr schwieriger Natur sein. Teufel, welche Ehre! Drei arme Edelleute von einem Kirchenfürsten geleitet! Doch, Monseigneur, Ihr sagtet soeben, wir wären mutig, flink und bewaffnet? – Ja. – Ihr täuscht Euch; nur ich und Herr du Vallon sind bewaffnet; der Herr Graf ist es nicht, und wenn wir irgend einer Patrouille begegneten, so könnten wir uns verteidigen müssen. – Das ist nur zu richtig. – Aber wo werden wir ein Schwert finden? – Monseigneur, sagte d’Artagnan, wird dem Grafen das seinige leihen, das ihm unnütz ist. – Sehr gern, sprach der Kardinal, ich bitte sogar den Herrn Grafen, es als Andenken von mir behalten zu wollen. – Das ist doch äußerst artig, Graf, versetzte d’Artagnan. – Ja, erwiderte Athos, ich verspreche auch, mich nie davon zu trennen. – Ein rührender Austausch! sprach d’Artagnan. Habt Ihr keine Tränen in den Augen, Porthos? – Ja, erwiderte Porthos, doch weiß ich nicht, ob dies mir die Tränen erpreßt oder der Wind. – Nun steigt hinauf, Athos, und macht geschwind.

Athos gelangte, von Porthos unterstützt, der ihn wie eine Feder aufhob, auf den Kamm der Mauer.

Nun springt hinab, Athos.

Athos sprang und verschwand auf der andern Seite der Mauer.

Seid Ihr unten? fragte d’Artagnan. – Ja. – Ohne einen Unfall? – Ganz unversehrt. – Porthos, beobachtet den Herrn Kardinal, während ich hinaufsteige; nein, ich bedarf Euer nicht, ich werde wohl allein hinaufkommen. Beobachtet nur den Herrn Kardinal. – Ich beobachte ihn, erwiderte Porthos. – Nun? … – Ihr habt recht, es ist schwieriger, als ich glaubte. Leiht mir Euern Rücken, aber ohne von dem Herrn Kardinal abzulassen. – Ich lasse nicht von ihm ab.

Porthos bot d’Artagnan seinen Rücken, und dieser war bald mit Hilfe seiner Stütze rittlings auf dem Kamm der Mauer.

Mazarin gab sich den Anschein, als müßte er lachen.

Seid Ihr oben? fragte Porthos. – Ja, mein Freund, und nun … – Was nun? – Nun gebt mir den Herrn Kardinal herauf, und bei dem geringsten Schrei, den er ausstößt, erstickt ihn.

Mazarin wollte schreien, aber Porthos preßte ihn mit seinen Händen zusammen und hob ihn bis zu d’Artagnan hinauf, der ihn am Kragen faßte, zu sich setzte und mit drohendem Ton zu ihm sagte:

Mein Herr, springt sogleich zu dem Grafen de la Fère hinab, oder ich bringe Euch um, so wahr ich ein Edelmann bin. – Herr, Herr! rief Mazarin, Ihr brecht Euer Wort. – Ich? Wo habe ich Euch irgend etwas versprochen, Monseigneur?

Mazarin stieß einen Seufzer aus und erwiderte: Ihr seid frei durch mich, mein Herr; Eure Freiheit war mein Lösegeld.

Aber das Lösegeld für den ungeheuren, in der Galerie vergrabenen Schatz, zu dem man hinabsteigt, indem man an eine in der Mauer verborgene Feder drückt, wodurch ein Kübel fortgerückt und eine Treppe sichtbar wird? Sagt, Monseigneur, ist das nicht auch etwas wert?

Jesus, mein Gott! versetzte Mazarin, beinahe erstickt und die Hände faltend, ich bin ein verlorener Mann.

Aber ohne sich an seine Klagen zu kehren, nahm ihn d’Artagnan unter dem Arm und ließ ihn sacht in Athos‘ Hände hinabgleiten, der ruhig unten an der Mauer geblieben war.

Sodann sagte d’Artagnan zu Porthos: Nehmt meine Hand, ich halte mich an der Mauer.

Porthos machte eine Anstrengung, daß die Mauer erbebte, und gelangte ebenfalls auf die Höhe.

Ich hatte nicht ganz begriffen, sagte er, aber nun begreife ich; das ist komisch.

Findet Ihr? erwiderte d’Artagnan, desto besser? aber damit es bis zum Ende komisch bleibt, wollen wir keine Zeit verlieren.

Und er sprang von der Mauer herab.

Porthos tat dasselbe.

Begleitet den Herrn Kardinal, meine Herren, sprach d’Artagnan, ich sondiere unterdessen die Gegend.

Der Gascogner zog den Degen und marschierte in der Vorhut.

Monseigneur, sagte er, wohin müssen wir uns wenden, um die Landstraße zu erreichen? Denkt wohl nach, ehe Ihr antwortet; denn wenn sich Eure Eminenz täuschte, so könnte dies große Unannehmlichkeiten nach sich ziehen, nicht allein für uns, sondern auch für den Herrn Kardinal.

Geht an der Mauer hin, sprach Mazarin, und ihr lauft keine Gefahr, euch zu verirren.

Die drei Freunde verdoppelten ihre Schritte, aber nach einigen Augenblicken waren sie genötigt, wieder langsamer zu gehen; der Kardinal vermochte ihnen, trotz des besten Willens, nicht zu folgen.

Plötzlich stieß d’Artagnan an etwas Warmes, was eine Bewegung machte.

Halt! ein Pferd! sagte er, ich habe ein Pferd gefunden, meine Herren. – Und ich auch, sprach Athos. – Und ich ebenfalls! rief Porthos, der dem Befehle getreu den Kardinal beständig am Arme hielt. – Das nenne ich Glück, Monseigneur, sagte d’Artagnan, gerade in der Minute, wo Eure Eminenz sich beklagte, zu Fuß gehen zu müssen.

Aber in dem Augenblick, wo er diese Worte sprach, senkte sich ein Pistolenlauf auf seine Brust, und er hörte mit ernstem Tone sagen:

Rührt nicht an! – Grimaud! rief d’Artagnan, Grimaud! schickt dich der Himmel? – Nein, gnädiger Herr, antwortete der ehrliche Diener, Herr Aramis hieß mich die Pferde bewachen. – Aramis ist also hier? – Ja, gnädiger Herr, seit gestern. – Und was macht ihr? – Wir lauern. – Was! Aramis ist hier? wiederholte Athos. – An der kleinen Schloßpforte. Dort war sein Posten. Ihr seid also zahlreich? – Wir sind zu sechzig. – Laß ihm melden, daß wir hier sind. – Sogleich, gnädiger Herr.

Mazarin in Pierrefonds

Nach Verlauf von zehn Minuten erschien Aramis, den Grimaud schnell benachrichtigt hatte, mit acht bis zehn Edelleuten. Er war ganz strahlend und warf sich seinen Freunden um den Hals.

Ihr seid also frei, Brüder, frei ohne meine Hilfe? Ich habe also trotz meiner Bemühungen nichts für euch tun können?

Beruhigt Euch darüber, teurer Freund; aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Es gibt noch genug zu tun.

Meine Maßregeln waren doch so gut getroffen, sprach Aramis. Ich habe sechzig Mann vom Koadjutor bekommen; zwanzig bewachen die Mauern des Parks, zwanzig die Straße von Rueil nach Saint-Germain, zwanzig sind im Walde zerstreut. Auf diese Art und infolge meiner strategischen Anordnungen habe ich zwei Kuriere Mazarins an die Königin aufgefangen.

Mazarin horchte.

Aber Ihr habt sie doch hoffentlich ehrlicherweise an den Herrn Kardinal zurückgeschickt? fragte d’Artagnan.

Selbstverständlich hat Mazarin solche Rücksicht verdient. In einer von diesen Depeschen erklärte er der Königin, die Kassen seien leer und Ihre Majestät habe kein Geld mehr; in der andern meldet er, er werde die Gefangenen nach Melun bringen lassen, da ihm Rueil nicht sicher genug scheine. Ihr begreift, lieber Freund, daß dieser letzte Brief mir gute Hoffnung gegeben hat. Ich legte mich mit sechzig Mann in den Hinterhalt, umstellte das Schloß, ließ Handpferde bereithalten, die ich Grimaud anvertraute, und erwartete euer Erscheinen. Vor morgen früh rechnete ich nicht hierauf, und ich hoffte auch nicht, euch ohne Scharmützel zu befreien. Nun seid ihr schon heute frei. Wie habt ihr es gemacht, um diesem Knauser Mazarin zu entkommen? Ihr habt euch sicher sehr über ihn zu beklagen.

Im Gegenteil, sagte d’Artagnan; er hat sich sehr verbindlich gezeigt; wir verdanken ihm unsere Freiheit.

Ihm?

Ja; er ließ uns durch Herrn Bernouin, seinen Kammerdiener, in die Orangerie führen. Von da folgten wir ihm bis zum Grafen de la Fère. Dann bot er uns unsere Freiheit an. Wir nahmen sie an, und er trieb die Gefälligkeit so weit, daß er uns den Weg zeigte und bis zur Mauer des Parkes führte, die wir mit dem größten Glück erstiegen hatten, als wir Grimaud trafen.

Ah! gut, sagte Aramis, das söhnt mich mit ihm aus, und ich wollte, er wäre da, damit ich ihm sagen könnte, ich hätte ihn einer solchen Handlung nicht für fähig gehalten.

Monseigneur, sprach d’Artagnan, außer stande, länger an sich zu halten, erlaubt, daß ich Euch den Herrn Chevalier d’Herblay vorstelle, der Eurer Eminenz seine Ehrfurcht zu bezeugen wünscht.

Und er zog sich zurück und machte dadurch den verwirrten Kardinal für Aramis sichtbar.

Oho! rief dieser, der Kardinal! ein guter Fang! Holla! holla! Freunde! Die Pferde! die Pferde!

Einige Reiter sprengten herbei.

Bei Gott! rief Aramis, ich werde doch zu etwas nütze gewesen sein. Monseigneur, möge Eure Eminenz die Gnade haben, meine Huldigung in Empfang zu nehmen. Ich wette, das ist der heilige Christoph von einem Porthos, der diesen Schlag getan hat! Doch beinahe hätte ich vergessen …

Und er gab ganz leise einem Reiter einen Befehl.

Ich glaube, es wäre klug, wenn wir abzögen, sagte d’Artagnan.

Ja, aber ich erwarte jemand … einen Freund von Athos.

Einen Freund? sprach der Graf.

Seht, dort kommt er im Galopp durch das Gesträuch.

Herr Graf! Herr Graf! rief eine jugendliche Stimme.

Raoul! Raoul! rief der Graf de la Fère.

Einen Augenblick vergaß der junge Mann seine gewöhnliche Ehrfurcht und warf sich seinem Vater um den Hals.

Seht, Herr Kardinal, wäre es nicht schade gewesen, Leute zu trennen, die sich lieben, wie wir uns lieben? Meine Herren, fuhr Athos fort, indem er sich an die Reiter wandte, die sich jeden Augenblick in größerer Zahl einstellten, meine Herren, umgebt Seine Eminenz, um ihr die schuldige Ehre zu erweisen. Der Herr Kardinal will die Ehre haben, uns seine Gesellschaft zu gönnen. Ihr werdet ihm hoffentlich dafür dankbar sein. Porthos, verliert Seine Eminenz nicht aus dem Blicke.

Aramis ging hierauf zu d’Artagnan und Athos, die sich beratschlagten, und nahm an ihren Beratungen teil.

Vorwärts, sprach d’Artagnan nach einer Besprechung von fünf Minuten, vorwärts, Marsch!

Und wohin gehen wir? fragte Porthos.

Zu Euch, lieber Freund, nach Pierrefonds; Euer schönes Schloß ist würdig, Seiner Eminenz adlige Gastfreundschaft zu bieten. Dann ist es auch sehr gut gelegen, nicht zu nahe, nicht zu fern von Paris. Man kann von dort leicht Verbindungen mit der Hauptstadt anknüpfen. Kommt, Monseigneur, Ihr werdet in jenem Schlosse wie ein Fürst sein, was Ihr auch seid.

Ein entsetzter Fürst, sprach Mazarin kläglich.

Der Krieg hat seine Wechselfälle, Monseigneur, erwiderte Athos, aber seid versichert, wir werden keinen Mißbrauch davon machen.

Nein, aber einen Gebrauch werden wir davon machen, sprach d’Artagnan.

Sie ritten die ganze Nacht mit ihrem Gefangenen fort, Grimaud war in Aramis‘ Auftrag vorausgeritten und hatte für frische Pferde gesorgt, und so erreichten sie zur Mittagsstunde die Allee des Schlosses von Porthos.

Wir sind vier, sagte d’Artagnan zu seinen Freunden, wir lösen uns in der Bewachung Monseigneurs ab, und jeder von uns wacht drei Stunden. Athos untersucht das Schloß, das man für den Fall einer Belagerung uneinnehmbar machen muß, Porthos beaufsichtigt die Verproviantierung und Aramis das Garnisonswesen, das heißt, Athos wird Oberingenieur, Porthos Generalproviantmeister und Aramis Gouverneur des Platzes.

Mittlerweile führte man Mazarin in das schönste Zimmer des Schlosses.

Meine Herren, sagte er, als er hier etwas eingerichtet war, Ihr könnt nicht darauf rechnen, mich lange Zeit hier inkognito zu behalten. – Nein, Monseigneur, antwortete d’Artagnan, wir gedenken im Gegenteil so schnell als möglich bekannt zu machen, daß wir Euch in Händen haben. – Dann wird man Euch belagern. – Wir sind darauf gefaßt. – Und was werdet Ihr tun? – Wir werden uns verteidigen; morgen bekommt überdies die Pariser Armee Kunde, übermorgen ist sie hier. Statt daß die Schlacht in Saint-Denis oder in Charenton stattfindet, wird sie in Compiegne oder in Villers-Cotterets geschlagen. – Der Herr Prinz wird Euch besiegen, wie er stets gesiegt hat. – Das ist möglich, Monseigneur. Doch vor der Schlacht lassen wir Eure Eminenz nach einem andern Schlosse unseres Freundes du Vallon bringen, denn er hat drei, wie dieses. Wir wollen Eure Eminenz den Zufällen des Krieges nicht bloßstellen. – Wohl, sagte Mazarin, ich sehe, daß ich kapitulieren muß. – Vor der Belagerung? – Ja, die Bedingungen werden vielleicht besser sein. – Ah! Monseigneur, was die Bedingungen betrifft, sollt Ihr uns sehr billig finden. – Laßt hören. Sprecht Euch aus. – Ruht vorerst, Monseigneur, und wir wollen uns die Sache überlegen. – Ich bedarf der Ruhe nicht, meine Herren, ich will wissen, ob ich mich in Feindes oder Freundes Händen befinde. – In Freundes Händen, Monseigneur. – Nun, so sagt mir sogleich, was Ihr wollt, damit ich sehe, ob eine Übereinkunft unter uns möglich ist. Sprecht, Herr Graf de la Fère. – Monseigneur, sagte Athos, ich habe nichts für mich zu verlangen und hätte viel für Frankreich zu fordern. Ich enthalte mich also und übertrage das Wort an den Herrn Chevalier d’Herblay.

Damit verbeugte sich Athos, machte einen Schritt rückwärts und blieb als einfacher Zuschauer der Konferenz am Kamin stehen.

Sprecht doch, Herr Chevalier d’Herblay, sagte der Kardinal, was wünscht Ihr? Keine Umschweife, keine Zweideutigkeiten. Seid klar, kurz und bestimmt. – Ich, Monseigneur, ich werde ein offenes Spiel spielen. – Legt also Eure Karten auf. – Ich habe in meiner Tasche das Programm der Bedingungen, sagte Aramis, die Euch die Deputation an der ich Anteil nahm, vorgestern in Saint-Germain vorlegte. Die alten Rechte müssen vorgehen und die Forderungen, welche in dem Programm gestellt sind, bewilligt werden. – Wir waren über diese schon ziemlich einverstanden. Gehen wir also zu den besonderen Bedingungen über. – Ihr glaubt also, daß sich solche finden? versetzte Aramis lächelnd. – Ich glaube, daß Ihr nicht alle so uneigennützig seid, wie der Herr Graf de la Fère, erwiderte Mazarin, sich mit einer Verbeugung gegen Athos umwendend. – Ah! Ihr habt recht, sprach Aramis, und es macht mich glücklich, zu sehen, daß Ihr dem Grafen endlich Gerechtigkeit widerfahren laßt. – Nun, was wünscht Ihr also? – Ich wünsche, Monseigneur, daß man Frau von Longueville die Normandie verleihe, nebst voller, unbeschränkter Absolution und fünfmalhunderttausend Livres. Ich wünsche, daß Seine Majestät der König die Gnade habe, der Pate des Sohnes zu werden, den sie in den letzten Tagen geboren hat; sodann, daß Monseigneur, nachdem er der Taufe beigewohnt hat, unserm heiligen Vater, dem Papste, in Person seine Huldigung darbringe. – Das heißt, Ihr wollt, daß ich meinem Ministeramt entsage, daß ich Frankreich verlasse, daß ich mich verbanne? – Ich wünsche, daß Monseigneur bei der ersten Erledigung Papst werde, wobei ich mir vorbehalte, vollkommenen Ablaß für mich und meine Freunde von ihm zu erbitten.

Mazarin machte eine unübersetzbare Grimasse.

Und Ihr, mein Herr? fragte er d’Artagnan. – Ich, Monseigneur, sagte der Gascogner, ich bin in allen Punkten derselben Meinung, wie der Herr Chevalier d’Herblay, mit Ausnahme des letzten Artikels, in welchem ich gänzlich von ihm abweiche. Weit entfernt, zu wünschen, daß Monseigneur Frankreich verlasse, wünsche ich im Gegenteil, daß er erster Minister bleibe, denn Monseigneur ist ein großer Politiker. Ich werde mich sogar bemühen, soviel es von mir abhängt, ihm den Sieg über die ganze Fronde zu verschaffen, doch unter der Bedingung, daß er sich einigermaßen der treuen Diener des Königs erinnert und die erste Kompagnie der Musketiere einem, den ich bezeichnen werde, verleiht. Und Ihr, du Vallon? – Ja, nun ist es an Euch, mein Herr, sprecht. – Ich? erwiderte Porthos, ich wünschte, daß der Herr Kardinal, um mein Haus zu ehren, das ihm eine Zufluchtsstätte gewährte, die Gnade hätte, zum Andenken an dieses Abenteuer mein Gut zu einer Baronie zu erheben, mit der Zusage des Ordens für einen meiner Freunde bei der ersten Beförderung, die Seine Majestät vornehmen wird.

Ihr wißt, mein Herr, daß man, um den Orden zu bekommen, Proben ablegen muß. – Dieser Freund wird sie ablegen. Überdies würde Monseigneur, wenn es durchaus notwendig wäre, ihm sagen, wie man diese Förmlichkeit umgeht.

Mazarin biß sich in die Lippen. Er erwiderte ziemlich trocken: Alles das reimt sich ziemlich schlecht zusammen, wie mir scheint, meine Herren, denn wenn ich einen befriedige, mache ich notwendig die andern unzufrieden. Bleibe ich in Paris, so kann ich notwendig nicht nach Rom gehen; werde ich Papst, so kann ich nicht Minister bleiben; bin ich nicht Minister, so kann ich nicht Herrn d’Artagnan zum Kapitän und Herrn du Vallon zum Baron machen.

Das ist wahr, sagte Aramis. Da ich die Minorität bilde, so nehme ich meinen Antrag in Beziehung auf die Reise nach Rom und die Entlassung von Monseigneur zurück.

Ich bleibe also Minister? sagte Mazarin.

Ihr bleibt Minister, das ist abgemacht, sprach d’Artagnan; Frankreich bedarf Euer.

Und ich stehe von meinen Anforderungen ab, sagte Aramis. Seine Eminenz bleibt erster Minister und sogar Liebling Ihrer Majestät, wenn sie mir und meinen Freunden bewilligt, was wir für Frankreich und für uns verlangen.

Beschäftigt Euch nur mit Euch, meine Herren, und laßt Frankreich sich mit mir abfinden, wie es eben kann, sprach Mazarin.

Nein, nein! versetzte Aramis, es bedarf eines Vertrages für die Frondeurs. Eure Eminenz wird ihn abfassen, in unserer Gegenwart unterzeichnen und sich durch denselben Vertrag verbindlich machen, die Zustimmung der Königin zu erlangen.

Ich kann nur für mich stehen, sagte Mazarin, und nicht für die Königin. Und wenn Ihre Majestät sich weigert?

O! rief d’Artagnan, Monseigneur weiß wohl, daß Ihre Majestät ihm nichts zu verweigern vermag.

Seht, Monseigneur, sagte Aramis, hier ist der von der Deputation der Frondeurs vorgeschlagene Vertrag; Eure Eminenz beliebe ihn zu lesen und zu prüfen.

Ich kenne ihn, sprach Mazarin.

So unterzeichnet.

Wenn ich mich aber weigere?

Ah, Monseigneur, erwiderte d’Artagnan, dann hat Eure Eminenz die Folgen ihrer Weigerung nur sich selbst zur Last zu legen.

Würdet Ihr es wagen, die Hand an einen Kardinal zu legen?

Monseigneur, Ihr habt sie an Musketiere Ihrer Majestät gelegt.

Die Königin wird mich rächen, meine Herren.

Ich glaube es nicht. Aber wir gehen mit Eurer Eminenz nach Paris, und die Pariser werden uns zu verteidigen wissen.

Das ist abscheulich! murmelte Mazarin.

Unterzeichnet also den Vertrag, Monseigneur, sagte Aramis.

Aber wenn ich unterzeichne und die Königin sich weigert, ihn zu genehmigen?

Ich übernehme es, mich zu der Königin zu begeben und ihre Unterschrift zu erlangen, entgegnete d’Artagnan.

Nehmt Euch in acht, daß Euch in Saint Germain nicht der Empfang zuteil wird, den Ihr zu erwarten berechtigt seid, versetzte Mazarin.

Ah, bah! erwiderte d’Artagnan, die Sache soll so eingerichtet werden, daß ich willkommen bin, denn ich weiß ein Mittel.

Welches?

Ich bringe Ihrer Majestät den Brief, in dem ihr Monseigneur die gänzliche Erschöpfung der Finanzen meldet.

Hernach? sprach Mazarin erbleichend.

Hernach, wenn ich Ihre Majestät in der größten Verlegenheit sehe, führe ich sie nach Rueil, lasse sie in die Orangerie eintreten und zeige ihr eine gewisse Feder, welche einen Kasten in Bewegung setzt.

Genug, mein Herr, murmelte der Kardinal, genug. Wo ist der Vertrag?

Hier, antwortete Aramis.

Ihr seht, daß wir großmütig sind, sprach d’Artagnan, denn ein solches Geheimnis konnte viel einbringen.

Unterzeichnet also, sagte Aramis und reichte ihm eine Feder.

Mazarin stand auf und ging einige Augenblicke, mehr träumerisch als niedergeschlagen, auf und ab. Dann blieb er plötzlich stehen und unterzeichnete.

Nun aber, Herr d’Artagnan, fügte er bei, haltet Euch bereit, abzureisen und einen Brief von mir an die Königin zu überbringen.

D’Artagnan findet einen Plan

Bei Einbruch der Nacht gelangte man nach Tirsk. Die vier Freunde schienen vollkommen gleichgültig gegen die Vorsichtsmaßregeln, die man nahm, um der Person des Königs versichert zu sein. Sie zogen sich in ein Privathaus zurück, und da sie jeden Augenblick für sich selbst zu fürchten hatten, so richteten sie sich in einem einzigen Zimmer ein, wobei sie sich für den Fall eines Angriffs einen Ausgang offen hielten. Die Bedienten wurden auf verschiedene Posten verteilt. Grimaud schlief vor der Tür auf einem Bund Stroh. Am andern Morgen war d’Artagnan zuerst auf den Beinen. Er hatte bereits den Stall und die Pferde untersucht und die nötigen Befehle für den Tag gegeben, als Aramis und Athos nicht einmal aufgestanden waren und Porthos noch schnarchte.

Um acht Uhr morgens setzte man sich in derselben Ordnung in Marsch, wie am Tage zuvor. Nur ließ d’Artagnan seine Freunde allein reiten und suchte mit Groslow, der etwas Französisch sprach, die bei dem Mittagsmahl Tags vorher angeknüpfte Bekanntschaft weiter fortzuspinnen.

In der Tat, mein Herr, sagte d’Artagnan zu ihm, ich bin glücklich, einen Mann zu finden, mit dem ich mich in meiner eigenen Sprache unterhalten kann. Herr du Vallon, mein Freund, ist von äußerst schwermütigem Charakter, so daß man oft den ganzen Tag kaum vier Worte aus ihm herausbringen kann; was unsere Gefangenen betrifft, so begreift Ihr, daß sie keine große Lust haben, sich in ein Gespräch einzulassen. – Es sind wütende Royalisten, versetzte Groslow. – Deshalb grollen sie uns auch so sehr, daß wir den Stuart gefangen genommen haben, dem Ihr hoffentlich ohne weiteres den Prozeß machen werdet? – Gott verdamme mich, erwiderte Groslow, wir führen ihn aus diesem Grunde nach London. – Und ich denke, Ihr werdet ihn nicht aus dem Gesicht verlieren. – Den Teufel! ich glaube wohl, Ihr seht, fügte der Offizier lachend bei, er hat eine wahrhaft königliche Eskorte. – Oh! bei Tag ist keine Gefahr, daß er entkommen könnte, aber bei Nacht… – Bei Nacht werden die Vorsichtsmaßregeln verdoppelt. – – Auf welche Art laßt Ihr ihn bewachen? – Acht Mann bleiben beständig in seinem Zimmer. – Teufel! rief d’Artagnan, er ist gut bewacht, aber neben diesen acht Mann stellt Ihr ohne Zweifel auch außen eine Wache auf? Man kann bei einem solchen Gefangenen nicht behutsam genug sein. – Oh! nein. Bedenkt doch, was können zwei unbewaffnete Menschen gegen acht bewaffnete Männer machen? – Wie, zwei Menschen? – Ja, der König und sein Kammerdiener. – Man hat also dem Kammerdiener erlaubt, bei ihm zu bleiben? – Ja, Stuart hat um diese Vergünstigung gebeten, und der Oberst Harrison willigte ein. Unter dem Vorwand, daß er ein König ist, scheint er sich weder allein ankleiden noch auskleiden zu können. – Aber, sagte d’Artagnan, macht Ihr’s Euch auch kurzweilig bei der Wache? Macht Ihr ein Spielchen, wie wir es in Paris bei solchen Gelegenheiten tun? – Nie, sprach der Engländer. – Dann müßt Ihr viel Langeweile haben, und ich beklage Euch. – Ich sehe allerdings mit einem gewissen Schrecken die Reihe an mich kommen. Es währt verdammt lange, wenn man eine ganze Nacht wachen muß. – Ja, wenn man allein oder mit albernen Soldaten wacht; wacht man aber mit einem lustigen Gesellen und läßt das Gold und die Würfel über den Tisch hinrollen, so geht die Nacht wie ein Traum vorüber. Ihr liebt also das Spiel nicht? – Im Gegenteil. – Lanzknecht, zum Beispiel. – Ich liebe es wahnsinnig und spielte es beinahe jeden Abend, als ich in Frankreich war, wohin mich mein Vater auf drei Jahre geschickt hatte. – Und seitdem Ihr in England seid? – Habe ich weder einen Würfelbecher noch eine Karte in der Hand gehabt. – Ich beklage Euch, sprach d’Artagnan mit einer Miene tiefen Mitleids. – Hört! versetzte der Engländer, Ihr könntet etwas tun. – Was? – Morgen bin ich auf der Wache. – Bei Stuart? – Ja, bringt die Nacht bei mir zu. – Unmöglich. – Unmöglich? – Rein unmöglich. – Warum? – Jede Nacht mache ich eine Partie mit Herrn du Vallon; zuweilen gehen wir nicht zu Bette… so spielten wir diesen Morgen noch, als es bereits Tag war. – Nun? – Er würde sich zu sehr langweilen, wenn ich nicht eine Partie mit ihm machte. – Ist er ein guter Spieler? – Ich habe ihn zweitausend Pistolen verlieren und dabei lachen sehen, daß ihm die Tränen kamen. – Bringt ihn mit. – Wie kann ich dies? Unsere Gefangenen? – Ah! Teufel, das ist wahr, sprach der Offizier. Doch laßt sie durch Eure Lakaien bewachen. – Ja, damit sie entfliehen! versetzte d’Artagnan. Ich werde mich wohl hüten. – Es sind also Leute von Stand, daß Euch so viel daran gelegen ist? – Teufel! der eine ist ein reicher Herr aus der Touraine, der andere ein Malteser Ritter aus vornehmem Hause. Wir haben ihr Lösegeld zu 2000 Pfund Sterling für jeden bei der Ankunft in Frankreich festgesetzt und wollen Leute, von denen unsere Lakaien wissen, daß es Millionäre sind, nicht einen Augenblick verlassen. – Ah! ah! rief Groslow. – Ihr begreift also nun, was mich nötigt, Eure höfliche Einladung auszuschlagen, die ich um so mehr zu schätzen weiß, als es im höchsten Grade langweilig ist, immer mit derselben Person zu spielen. – Ah! entgegnete Groslow mit einem Seufzer, es gibt etwas noch Langweiligeres – gar nicht zu spielen. Ich begreife das. – Aber sprecht, sind Eure Gefangenen gefährliche Menschen? – In welcher Beziehung? – Sind sie fähig, ein keckes Wagnis zu unternehmen?

D’Artagnan brach in ein Gelächter aus.

Herr Jesus! rief er, der eine zittert vor Fieberfrost, denn er kann sich nicht an Euer reizendes Land gewöhnen; der andere ist ein Malteser Ritter, so schüchtern wie ein junges Mädchen, und zu größerer Sicherheit haben wir ihnen sogar ihre Messer und Taschenscheren weggenommen. – Gut, so bringt sie mit, sagte Groslow. – Wie? Ihr wollt? – Ja, ich habe acht Mann, vier bewachen Eure Gefangenen, vier bewachen den König. – So läßt sich die Sache allerdings machen, versetzte d’Artagnan, obgleich ich Euch dadurch sehr beschwerlich fallen muß. – Bah! kommt immerhin, Ihr sollt sehen, wie ich das ordne. – Oh! darüber beunruhige ich mich nicht; einem Manne, wie Ihr seid, überlasse ich mich mit geschlossenen Augen. Aber, wenn ich bedenke, fuhr er fort, was hindert uns, schon diesen Abend zu beginnen? – Was? – Unsere Partie. – Nichts in der Welt, erwiderte Groslow.

Sie verabredeten also, daß Groslow an diesem Abend zu den Freunden kommen und diese ihm am nächsten Abend bei seiner Wache Gesellschaft leisten sollten, worauf sie sich voneinander verabschiedeten und d’Artagnan zu seinen Gefährten zurückkehrte.

Was zum Teufel hattet Ihr mit dieser Bulldogge zu verhandeln? fragte Porthos.

Mein Lieber, sprecht nicht in diesem Tone von Herrn Groslow, er ist einer meiner vertrautesten Freunde.

Einer Eurer Freunde! rief Porthos, dieser Bauernschinder?

Still, mein lieber Porthos. Jawohl, es ist wahr, Herr Groslow ist etwas lebhaft, aber ich habe doch zwei gute Eigenschaften bei ihm entdeckt; er ist dumm und stolz.

Porthos riß seine Augen voll Verwunderung auf. Athos und Aramis schauten sich lächelnd an; sie kannten d’Artagnan und wußten, daß er nichts absichtslos tat.

Nun, Ihr sollt ihn selbst beurteilen, sagte d’Artagnan. – Wieso? – Ich stelle ihn Euch diesen Abend vor; er kommt, um mit uns zu spielen. – Oh! oh! rief Porthos, dessen Augen sich bei diesem Wort entflammten, er ist reich? – Er ist der Sohn eines der bedeutendsten Kaufleute in London. – Und er kann Lanzknecht? – Gut, sprach Porthos, wir werden eine angenehme Nacht zubringen. – Eine um so angenehmere, als sie uns eine noch viel bessere Nacht verspricht. – Wieso? – Wir geben ihm diesen Abend eine Spielpartie, er gibt uns morgen eine. – Wo dies? – Ich werde es Euch sagen. Wir haben uns jetzt nur damit zu beschäftigen, daß wir die Ehre, die uns Herr Groslow erzeigt, würdig ausnehmen. Wir halten diesen Abend in Derby an; Mousqueton reitet voraus, und findet sich eine einzige Flasche Wein in der ganzen Stadt, so kauft er sie. Es wäre auch nicht übel, wenn er Vorkehrungen zu einem guten Abendessen träfe, woran Ihr nicht teilnehmt, Athos, weil Ihr das Fieber habt, und Ihr, Aramis, ebenfalls nicht, weil Ihr Malteser Ritter seid und die Späße von Kriegsknechten Euch erröten machen. Hört Ihr wohl? – Ja, erwiderte Porthos, aber der Teufel soll mich holen, wenn ich es begreife. – Porthos, mein Freund, Ihr wißt, daß ich von väterlicher Seite von den Propheten und von mütterlicher von den Sibyllen abstamme, daß ich nur in Gleichnissen und Rätseln spreche; wer Ohren hat zu hören, der höre; wer Augen hat zu sehen, der sehe. Ich kann für den Augenblick nicht mehr sagen.

Gegen fünf Uhr abends ließ man, wie dies verabredet war, Mousqueton vorausreiten, der eine passende Herberge aussuchte.

Den ganzen Tag hatten sich die vier Freunde, aus Furcht, Verdacht zu erregen, dem König nicht genähert, und statt an der Tafel des Obersten Harrison zu speisen, wie sie dies den Tag zuvor getan, speisten sie unter sich zu Mittag.

Zur bestimmten Stunde erschien Groslow. D’Artagnan empfing ihn, wie einen zwanzigjährigen Freund. Porthos maß ihn vom Scheitel bis zu den Zehen und lächelte, als er erkannte, daß er bei weitem kein Mann von seiner Stärke war. Athos und Aramis taten, was in ihren Kräften lag, um den Ekel zu verbergen, den ihnen diese rohe, plumpe Natur einflößte.

Groslow schien mit dem Empfang zufrieden.

Athos und Aramis verhielten sich ihren Rollen gemäß. Um Mitternacht zogen sie sich in ihr Zimmer zurück, dessen Tür man unter dem Vorwand der Bewachung offen ließ. D’Artagnan begleitete sie überdies und ließ Porthos im Kampfe mit Groslow zurück.

Porthos gewann fünfzig Pistolen von Groslow und fand, als dieser sich entfernt hatte, seine Gesellschaft sei doch angenehmer, als er anfangs geglaubt.

Groslow gedachte sich am andern Tag bei d’Artagnan für den Verlust zu entschädigen, den er bei Porthos erlitten hatte, und erinnerte den Gascogner, als er ihn verließ, an das Rendezvous bei seiner Wache.

Der nächste Tag ging wie gewöhnlich vorüber; d’Artagnan ritt vom Kapitän Groslow zum Obersten Harrison und vom Obersten Harrison zu seinen Freunden. Für jeden, der ihn nicht kannte, schien d’Artagnan in seiner gewöhnlichen Gemütsverfassung zu sein; für seine Freunde, nämlich für Athos und Aramis, war seine Heiterkeit Fieber.

Was kann er vorhaben? sagte Aramis.

Wir wollen warten, antwortete Athos.

Porthos sprach nichts, er zählte nur mit zufriedener Miene die fünfzig Pistolen, die er Groslow abgenommen hatte, in seiner Tasche.

Als man abends in Ryston ankam, versammelte d’Artagnan seine Freunde. Sein Gesicht hatte den Charakter sorgloser Heiterkeit verloren, den es den ganzen Tag hindurch als Maske trug. Athos drückte Aramis die Hand und sagte: Der Augenblick naht.

Ja, sprach d’Artagnan, der es gehört hatte, ja, der Augenblick naht; diese Nacht, meine Herren, retten wir den König. Athos bebte, seine Augen entflammten sich.

D’Artagnan, sagte er zweifelnd, nachdem er gehofft hatte, nicht wahr, es ist kein Scherz? Es würde mir allzu wehe tun.

Es ist seltsam, Athos, daß Ihr an mir zweifelt, sprach d’Artagnan. Wann und wo habt Ihr mich mit dem Herzen eines Freundes und dem Leben eines Königs scherzen sehen? Ich habe Euch gesagt und wiederhole es, daß wir heute nacht Karl I. das Leben retten.

Porthos schaute d’Artagnan mit einem Ausdruck hoher Bewunderung an. Aramis lächelte wie ein Hoffender. Athos war bleich wie der Tod und zitterte an allen Gliedern.

Sprecht, sagte Athos.

Wir sind eingeladen, die Nacht bei Herrn Groslow zuzubringen, ihr wißt dies? – Ja, erwiderte Porthos, er hat uns das Versprechen abgenommen, ihm Revanche zu geben. – Wohl. Aber wißt ihr, wo er uns Revanche geben wird? – Nein. – Bei dem König. – Bei dem König! rief Athos. – Ja, meine Herren, bei dem König. Herr Groslow hat diesen Abend die Wache bei Seiner Majestät, und um sich dabei etwas zu zerstreuen, ladet er uns ein, ihm Gesellschaft zu leisten. – Alle vier? sprach Athos. – Gewiß, bei Gott! alle vier; verlassen wir denn unsere Gefangenen? – Ah! ah! rief Aramis. – Laßt hören, sagte Athos zitternd. – Wir begeben uns also zu Groslow, wir mit unseren Degen, ihr mit euern Dolchen; wir vier überwältigen diese acht Dummköpfe und ihren einfältigen Anführer. Herr Porthos, was sagt Ihr dazu? – Ich sage, das ist nicht schwer, erwiderte Porthos. – Wir kleiden den König als Groslow; Mousqueton, Grimaud und Blaisois halten unsere Pferde an der Wendung der ersten Straße, wir schwingen uns auf, und vor Tag sind wir zwanzig Stunden von hier. Nun, wie ist das angesponnen, Athos?

Athos legte d’Artagnan seine Hände auf die Schultern, schaute ihn mit seinem ruhigen, sanften Lächeln an und sprach: Ich erkläre, Freund, daß es kein Geschöpf unter dem Himmel gibt, das Euch an Edelsinn und Mut nahe kommt. Ich wiederhole dir also, d’Artagnan, du bist der Beste von uns, und ich segne und liebe dich, mein teurer Sohn.

Daß ich es nicht gefunden habe! sagte Porthos und schlug sich dabei vor die Stirne; es ist doch ganz einfach.

Doch wenn ich recht begriffen habe, werden wir alle töten, nicht wahr? fragte Aramis.

Athos bebte und wurde sehr bleich.

Gottes Tod! rief d’Artagnan, es wird wohl sein müssen. Ich habe lange über ein Mittel nachgedacht, wie man das vermeiden könnte, aber ich gestehe, daß ich keines finden konnte.

Es handelt sich nicht darum, mit der Lage der Dinge zu feilschen, versetzte Aramis; wie gehen wir zu Werke?

Ich habe einen doppelten Plan entworfen, sagte d’Artagnan.

Laßt den ersten hören, versetzte Aramis.

Sind wir alle vier vereinigt, so stößt jeder von euch auf mein Signal, dieses Signal ist das Wort Endlich, dem zunächst stehenden Soldaten einen Dolch ins Herz; wir unsererseits tun dasselbe. Dann sind einmal vier Mann tot; die Partie wird also gleich, denn wir sind vier gegen fünf; diese fünf ergeben sich, und wir knebeln sie, oder sie verteidigen sich, und man tötet sie. Sollte zufällig unser Bewirter seine Ansicht ändern und bei seiner Partie nur Porthos und mich zulassen, so muß man bei Gott zu den großen Mitteln greifen und doppelt schlagen, das wird etwas lange und stürmisch werden. Ihr haltet euch außen mit Dolchen und eilt auf den Lärm herbei.

Aber, wenn man Euch selbst schlüge? sprach Athos.

Unmöglich, erwiderte d’Artagnan; diese Biertrinker sind zu plump und ungeschickt; übrigens schlagt Ihr an die Gurgel, Porthos, das tötet ebenso schnell und hindert die Leute zu schreien.

In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und es erschien ein Soldat.

Der Herr Kapitän Groslow, sagte er in schlechtem Französisch, läßt Herrn d’Artagnan und Herrn du Vallon benachrichtigen, daß er sie erwartet.

Wo?

In dem Zimmer des englischen Nebukadnezars, antwortete der Soldat, ein eingefleischter Puritaner.

Es ist gut, erwiderte in vortrefflichem Englisch Athos, dem bei dieser Beleidigung der königlichen Majestät die Röte ins Gesicht gestiegen war; es ist gut, sagt dem Kapitän Groslow, wir kommen.

Als der Puritaner weggegangen war, wurde den Lakaien Befehl gegeben, acht Pferde zu satteln und, ohne daß einer sich von dem andern trennen oder absteigen dürfe, an der Ecke einer Straße zu warten, die ungefähr zwanzig Schritte von dem Hause lag, wo der König einquartiert war.

Die Straße nach der Picardie

Vollkommen sicher in Paris, verhehlten sich Athos und Aramis doch nicht, daß sie große Gefahr liefen, sobald sie den Fuß aus der Stadt setzten; aber man weiß, welche Bedeutung für solche Männer die Gefahr hatte. Überdies ließ sie der Gedanke an ihre Freunde nicht ruhen.

Übrigens war Paris selbst nicht ruhig. Die Lebensmittel begannen zu fehlen, und jenachdem einer von den Generälen des Prinzen von Conti seinen Einfluß wiedergewinnen zu müssen glaubte, veranlaßte er eine kleine Meuterei, die er beschwichtigte, und die ihm für einen Augenblick den Vorrang vor seinen Kollegen verlieh.

Bei einer dieser Meutereien ließ Herr von Beaufort das Haus und die Bibliothek des Herrn von Mazarin plündern, um, wie er sagte, dem armen Volk etwas zu nagen zu geben.

Athos und Aramis verließen Paris nach diesem Staatsstreich, der an dem Abend des Tages stattfand, an dem die Pariser in Charenton geschlagen wurden.

Von Furcht erschüttert, von Parteiungen zerrissen, war Paris, als sie sich entfernten, bereits in größter Not und der Hungersnot nahe. Pariser und Frondeurs, glaubten sie, dasselbe Elend, dieselbe Furcht, dieselben Intriguen im feindlichen Lager zu finden. Ihr Erstaunen war daher groß, als sie, durch Saint-Denis reitend, erfuhren, in Saint-Denis lache und singe man und führe ein lustiges Leben.

Die Edelleute wählten Umwege, anfangs um nicht in die Hände der in der Isle de France zerstreuten Mazariner zu fallen, sodann aber um den Frondeurs zu entgehen, welche die Normandie besetzt hielten und nicht verfehlt haben würden, sie zu Herrn von Longueville zu führen, damit er in ihnen Freunde oder Feinde erkenne. Sobald sie diesen Gefahren entgangen waren, zogen sie auf dem Weg von Boulogne nach Abbeville und folgten ihm Schritt für Schritt, Spur für Spur.

Ihr Suchen war jedoch eine Zeit lang vergebens. Zwei bis drei Herbergen waren bereits besucht worden, zwei bis drei Wirte hatte man bereits befragt, ohne daß irgend eine Andeutung ihre Zweifel erleuchtete oder ihre Nachforschungen leitete, als Athos in Montreuil auf dem Tische, den seine zarten Finger berührten, etwas Rauhes fühlte. Er hob das Tischtuch auf und las auf dem Holz folgende mit einer Messerklinge tief eingegrabene Hieroglyphen:

Porth. – d’Art. – den 2ten Februar.

Vortrefflich, sagte Athos, indem er Aramis die Inschrift zeigte, wir wollten hier über Nacht bleiben; aber es ist unnötig, reiten wir weiter.

Sie stiegen wieder zu Pferd und erreichten Abbeville. Hier hielten sie an, waren aber sehr in Verlegenheit wegen der großen Menge von Gasthöfen. Man konnte nicht in allen einkehren; wie sollte man aber erraten, in welchem ihre Freunde gewohnt hatten?

Glaubt mir, Athos, sagte Aramis, wir dürfen nicht daran denken, in Abbeville etwas zu finden. Sind wir in Verlegenheit, so waren es unsere Freunde auch. Handelte es sich nur um Porthos, – er hätte den prachtvollsten Gasthof gewählt. Aber d’Artagnan hat keine solche Schwäche. Porthos mochte ihm immerhin bemerken, er sterbe vor Hunger, d’Artagnan setzte seinen Weg fort, unerbittlich wie das Geschick, und wir müssen ihn anderswo suchen.

Sie ritten also weiter, aber nichts bot sich ihnen dar. Die Freunde hatten sich eine äußerst schwierige und peinliche Aufgabe gestellt, und ohne den auf ihr Herz wirkenden dreifachen Hebel der Ehre, der Freundschaft und der Dankbarkeit würden die zwei Reisenden hundertmal darauf Verzicht geleistet haben, den Sand zu durchwühlen, die Vorübergehenden zu befragen, die Zeichen zu deuten und die Gesichter zu erforschen.

So kamen sie bis Peronne.

Athos fing an zu verzweifeln. Er machte sich den Vorwurf, nicht sorglich genug geforscht zu haben. Schon waren sie bereit, auf ihrem Wege wieder umzukehren, als Athos in der Vorstadt, die zu den Toren der Stadt führte, an einer weißen Mauer, welche die Ecke einer um den Wall laufenden Straße bildete, eine außerordentlich naive Zeichnung mit Kohle erblickte, die zwei Reiter darstellte, welche wie wahnsinnig galoppierten. Der eine von diesen Reitern hielt in der Hand einen Zettel, worauf in spanischer Sprache die Worte geschrieben waren:

Man folgt uns.

Oho! sagte Athos, das ist klar wie der Tag. Obgleich verfolgt, hat d’Artagnan fünf Minuten hier angehalten. Dies beweist übrigens, daß ihm seine Verfolger nicht sehr nahe waren, und es ist ihm vielleicht gelungen, ihnen zu entkommen.

Aramis schüttelte den Kopf.

Wäre er entkommen, so würden wir ihn gesehen oder etwas von ihm gehört haben.

Ihr habt recht, Aramis, wir wollen weiterreiten.

Es ist nicht möglich, die Unruhe und Ungeduld der zwei Edelleute zu schildern. Sie galoppierten drei bis vier Stunden mit demselben Ungestüm, wie die Reiter an der Wand. Plötzlich sahen sie an einer engen, zwischen zwei Böschungen eingeschlossenen Schlucht die Straße halb durch einen ungeheuren Stein versperrt. Sein ursprünglicher Platz war auf einer Seite der Böschungen angedeutet, und die Höhlung, die er zurückgelassen hatte, bewies, daß er nicht allein hatte rollen können, während seine Schwere anzeigte, daß es der Arme eines Goliath bedurft hatte, um ihn in Bewegung zu setzen.

Aramis hielt an.

Oho! sagte er, den Stein anschauend, hier ist Ajax von Telamon oder Porthos an der Arbeit gewesen. Steigen wir ab, Graf, und untersuchen wir diesen Felsen.

Beide stiegen ab. Der Stein war in der offenbaren Absicht herbeigewälzt worden, Reitern den Weg zu versperren. Man hatte ihn daher querüber gelegt. Aber die Reiter hatten dieses Hindernis gefunden und waren abgestiegen, um es zu beseitigen.

Die Freunde untersuchten den Stein von allen Seiten, die dem Licht ausgesetzt waren, er bot nichts Außerordentliches. Sie riefen nun Blaisois und Grimaud, und allen vieren gemeinschaftlich gelang es, den Felsen umzudrehen. Auf der Seite, welche die Erde berührte, war geschrieben: Acht Chevaulegers verfolgen uns. Gelangen wir bis Compiegne, so kehren wir im Bekränzten Pfauen ein. Der Wirt ist ein Freund von uns.

Das ist etwas Bestimmtes, sagte Athos, und wir werden jedenfalls erfahren, woran wir sind. Gehen wir also.

Ja, sprach Aramis! aber wenn wir dahin gelangen wollen, müssen wir unsern Pferden einige Rast gönnen; denn sie sind fast hin.

Aramis sprach die Wahrheit. Man hielt bei der ersten Schenke an, ließ jedes Pferd ein doppeltes Maß mit Wein befeuchteten Hafer fressen, gönnte den Tieren drei Stunden Ruhe und setzte sich wieder in Marsch. Die Männer selbst waren vor Müdigkeit gelähmt, aber die Hoffnung hielt sie aufrecht.

Sechs Stunden nachher erreichten Athos und Aramis Compiegne und erkundigten sich nach dem Bekränzten Pfauen.

Man zeigte ihnen ein Schild, das den Gott Pan mit einem Kranz auf dem Haupte darstellte.

Die Freunde stiegen ab und fragten den Wirt, einen braven Mann, dickbauchig und kahlköpfig, ob nicht vor mehr oder minder langer Zeit zwei von Chevaulegers verfolgte Edelleute hier gewohnt hätten. Der Wirt holte, ohne zu antworten, aus einer Truhe die Hälfte einer Degenklinge.

Kennt Ihr das? sagte er.

Athos warf nur einen Blick auf die Klinge und sprach:

Das ist der Degen d’Artagnans. – Des Großen oder des Kleinen? fragte der Wirt. – Des Kleinen, antwortete Athos. – Ich sehe, daß Ihr Freunde dieser Herren seid. – Nun, was ist ihnen begegnet? – Sie sind mit verschlagenen Pferden in meinem Hof angekommen, und ehe sie Zeit hatten, das große Tor zu verschließen, erschienen acht Chevaulegers, welche sie verfolgten, hinter ihnen. – Acht, sprach Aramis. Ich wundere mich sehr, daß d’Artagnan und Porthos, zwei Tapfere dieser Art, sich von acht Mann haben verhaften lassen.

Ei, mein Herr, die acht Mann wären auch nicht zu ihrem Ziel gekommen, hätten sie nicht in der Stadt etwa zwanzig Soldaten vom Regiment Royal-Italien, das hier in Garnison liegt, mitgebracht, so daß Eure Freunde buchstäblich durch die Zahl überwältigt worden sind. – Verhaftet also, sagte Athos; weiß man warum? – Nein, mein Herr, man hat sie sogleich weggeführt, und sie hatten nicht einmal Zeit, mir etwas zuzuflüstern. Nur fand ich, als sie abgegangen waren, dieses Stück von einem Degen auf dem Schlachtfeld, als ich zwei Tote und fünf bis sechs Verwundete wegbringen half. – Und ihnen ist nichts widerfahren? fragte Aramis. Ich glaube nicht. – Das ist noch ein Trost. – Wißt Ihr, wohin man sie geführt hat? fragte Athos. – Man hat sie in der Richtung von Louvres weggeführt. – Wir wollen Blaisois und Grimaud hier lassen, sagte Athos; sie sollen morgen mit den Pferden, die uns nicht mehr weiter bringen können, nach Paris zurückkehren. Wir aber nehmen die Post. – Nehmen wir die Post, versetzte Aramis.

Man schickte nach Pferden.

Während dieser Zeit speisten die Freunde in Eile zu Mittag. Sie wollten, wenn sie in Louvres irgend welche Auskunft fänden, ihren Weg sogleich fortsetzen.

Sie erreichten Louvres. Dort gab es keine Herberge. Man trank aber in einer Wirtschaft einen Likör, der durch den Ort schon damals berühmt war.

Wir wollen hier absteigen, sagte Athos; d’Artagnan wird diese Gelegenheit nicht versäumt haben, nicht um ein Glas Likör zu trinken, sondern um uns eine Andeutung zu hinterlassen.

Sie traten ein und verlangten zwei Gläser Likör am Schenktisch, wie d’Artagnan und Porthos sie verlangt haben mußten. Der Schenktisch, auf dem man gewöhnlich trank, war mit einer Zinnplatte bedeckt. Auf diese Platte hatte man mit der Spitze einer dicken Nadel geschrieben:

Rueil, D.

Sie sind in Rueil, sagte Aramis, der diese Inschrift zuerst wahrnahm.

Gehen wir also nach Rueil, sprach Athos.

Das heißt uns in den Rachen des Wolfes stürzen, versetzte Aramis.

Wäre ich der Freund von Jonas gewesen, wie ich der Freund d’Artagnans bin, so würde ich ihm in den Bauch des Walfisches gefolgt sein. Und Ihr hättet dasselbe getan, wie ich, Aramis.

Wahrhaftig, mein lieber Graf, ich glaube, Ihr macht mich besser, als ich bin. Wäre ich allein, so weiß ich nicht, ob ich mich ohne große Vorsichtsmaßregeln nach Rueil begeben würde; aber wohin Ihr geht, gehe ich auch.

Sie nahmen Pferde und ritten nach Rueil.

Athos hatte, ohne es zu ahnen, Aramis den besten Rat gegeben, der sich befolgen ließ. Die Abgeordneten des Parlaments waren soeben in Rueil zu den berüchtigten Konferenzen angelangt, die drei Wochen dauern und den hinkenden Frieden herbeiführen sollten, infolgedessen der Prinz verhaftet wurde. Rueil war voll von Pariser Advokaten, voll Präsidenten, Räten und Rechtsverdrehern aller Art. Der Hof hatte Edelleute, Offiziere und Garden geschickt, und inmitten dieser bunten Gesellschaft war es leicht; so unbekannt zu bleiben, als man nur immer wollte. Überdies hatten die Konferenzen einen Waffenstillstand herbeigeführt, und eine Verhaftung von Edelleuten hätte man in diesem Augenblick, wären sie auch Frondeurs ersten Ranges gewesen, als eine Verletzung des Völkerrechts betrachtet.

Die zwei Freunde wähnten, alle seien mit dem Gedanken beschäftigt, der sie quälte. Sie mischten sich unter die Gruppen, in der Hoffnung, sie würden etwas von d’Artagnan und Porthos hören; aber niemand hatte für anderes Sinn als für Artikel und Amendements. Athos war der Meinung, man müsse geradeswegs zum Minister gehen.

Mein Freund, warf Aramis ein, was Ihr da sagt, ist sehr schön; aber nehmt Euch wohl in acht! Unsere Sicherheit rührt von unserer Verborgenheit her. Wenn wir uns auf irgend eine Weise zu erkennen geben, so werden wir unmittelbar zu unseren Freunden in ein Kerkerloch geworfen, aus dem uns der Teufel nicht mehr herausziehen wird. Überlassen wir nichts dem Zufall, sondern überlegen wir alles recht wohl. In Compiegne verhaftet, wurden sie nach Rueil gebracht, hierüber haben wir in Louvres Gewißheit erlangt; in Rueil sind sie von dem Kardinal verhört worden, der sie nach dem Verhör bei sich behalten oder nach Saint-Germain geschickt hat. In der Bastille sind sie nicht, denn die Bastille ist in den Händen der Frondeurs, und der Sohn Broussels befehligt daselbst. Tot sind sie auch nicht, denn d’Artagnans Tod hätte Lärm gemacht. Was Porthos betrifft, so halte ich ihn für ewig, wie Gott, obgleich er minder geduldig ist. Wir wollen also nicht verzweifeln, sondern warten und in Rueil bleiben, denn ich bin fest überzeugt, sie sind noch in Rueil. Aber was habt Ihr denn? Ihr erbleicht!

Da fällt mir ein, sprach Athos mit beinahe zitternder Stimme, da fällt mir ein, daß Herr von Richelieu im Schlosse von Rueil eine abscheuliche Fallgrube hat anlegen lassen.

Oh! seid unbesorgt, sagte Aramis; Herr von Richelieu war ein Edelmann. Er konnte wie ein König die Größten unter uns am Kopf berühren und durch diese Berührung den Kopf auf den Schultern zum Wanken bringen. Herr von Mazarin aber ist ein Knauser, der uns höchstens am Kragen packen kann. Beruhigt Euch, mein Freund; ich bleibe bei meiner Behauptung: d’Artagnan und Porthos sind ganz gewiß noch am Leben und befinden sich in Rueil.

Gleichviel, sagte Athos, wir sollten vom Koadjutor die Erlaubnis auswirken, den Konferenzen beiwohnen zu dürfen.

Mit all diesen abscheulichen Rechtsverdrehern! Ist das wirklich Euer Gedanke, mein Lieber? Glaubt Ihr, es werde auch nur mit einem Worte von der Freiheit oder der Gefangenschaft d’Artagnans oder Porthos‘ die Rede sein? Nein, meiner Ansicht nach müssen wir ein anderes Mittel suchen.

Ich komme auf meinen ersten Gedanken zurück, versetzte Athos, ich kenne kein anderes Mittel, als das, offen und gerade zu handeln. Ich werde nicht Mazarin, sondern die Königin aufsuchen und ihr sagen: Madame, gebt uns Eure Diener und unsere Freunde zurück.

Aramis schüttelte den Kopf.

Das ist ein letztes Mittel, dessen Anwendung Euch immer noch frei steht, Athos; aber glaubt mir, bedient Euch seiner nur im äußersten Fall; es wird immer noch Zeit sein, seine Zuflucht dazu zu nehmen. Mittlerweile setzen wir unsere Nachforschungen fort!

Sie fuhren also fort zu suchen, zogen so viele Erkundigungen ein, brachten so viele Menschen unter allen erdenkbaren Vorwänden zum Plaudern, bis sie endlich einen Chevauleger fanden, der ihnen gestand, er sei bei der Eskorte gewesen, die d’Artagnan und Porthos von Compiegne nach Rueil gebracht habe. Ohne diesen Chevauleger hätte man nicht einmal etwas von ihrer Ankunft erfahren.

Athos kam immer wieder auf seinen Gedanken zurück, sich zu der Königin zu begeben.

Um zu der Königin zu gehen, sagte Aramis, muß man zuvor zu dem Kardinal gehen; erinnert Euch aber, was ich Euch gesagt habe, wir hätten den Kardinal nicht so bald gesehen, so würden wir auch mit unseren Freunden vereinigt, aber nicht in der Art, wie wir wünschen. Diese Art von Wiedervereinigung hat ganz und gar nichts Verlockendes für mich, das muß ich gestehen. Wir wollen in Freiheit handeln, um gut und rasch handeln zu können. – Ich werde die Königin aufsuchen, sprach Athos. – Wohl, mein Freund, seid Ihr entschlossen, diese Torheit zu begehen, so benachrichtigt mich gefälligst einen Tag zuvor davon. – Warum dies? – Weil ich diesen Umstand benutzen werde, um einen Besuch in Paris zu machen. – Bei wem? – Was weiß ich? Vielleicht bei Frau von Longueville. Sie ist dort allmächtig und wird mich unterstützen. Laßt es mir nur durch irgend jemand sagen, wenn Ihr verhaftet seid. – Warum wollt Ihr die Verhaftung nicht mit mir wagen, Aramis? – Nein, ich danke. – Alle vier verhaftet und vereinigt, sind wir, glaube ich, keiner Gefahr ausgesetzt. Nach Verlauf von vierundzwanzig Stunden haben wir alle wieder die Freiheit erlangt. – Mein Lieber, seitdem ich Herrn von Chatillon, den Liebling der Damen von Saint-Germain, getötet habe, ist zu viel Glanz um meine Person verbreitet, als daß ich das Gefängnis nicht doppelt fürchten sollte. Die Königin wäre imstande, den Rat Mazarins bei dieser Gelegenheit zu befolgen, und Mazarin würde ihr raten, mich richten zu lassen. – Glaubt Ihr denn, Aramis, sie liebe diesen Italiener so, wie man sagt? – Sie hat auch einen Engländer geliebt. – Ei, mein Lieber, sie ist Frau! – Nein, Ihr täuscht Euch, Athos, sie ist Königin! – Teurer Freund, ich opfere mich auf und verlange eine Audienz bei der Königin. – Gott befohlen, Athos; ich sammle ein Heer. – Wozu? – Um zurückzukehren und Rueil zu belagern. – Wo finden wir uns wieder? – Unter dem Galgen des Kardinals.

Und so trennten sich die zwei Freunde: Aramis, um nach Paris zurückzukehren, Athos, um sich durch einige vorbereitende Schritte einen Weg bis zu der Königin zu bahnen.