Remember!

Als die Beichte vollendet war, nahm Karl das Abendmahl; dann verlangte er, seine Kinder zu sehen. Das Volk hielt sich indessen schon bereit; da es wußte, daß zehn Uhr die für die Hinrichtung bestimmte Stunde war, so scharte es sich jetzt in den Straßen und beim Palast zusammen.

Die Kinder des Königs langten an: zuerst die Prinzessin Charlotte, dann der Herzog von Glocester, – ein kleines, blondes Mädchen, die Augen in Tränen gebadet, und ein Knabe von acht bis zehn Jahren, dessen trockenes Auge und verächtlich aufgeworfene Lippe den aufkeimenden Stolz verrieten. Das Kind hatte die ganze Nacht hindurch geweint, aber vor diesen Leuten weinte es nicht.

Karl fühlte, wie sein Herz beim Anblick der beiden Kinder schmolz, die er seit zwei Jahren nicht gesehen hatte und jetzt nur in der Stunde seines Todes wiedersah. Eine Träne trat in seine Augen, und er wandte sich und trocknete sie, denn er wollte stark sein vor denjenigen, denen er ein so schweres Erbe von Leid und Unglück hinterließ.

Er sprach zuerst mit dem jungen Mädchen, zog sie zu sich, empfahl ihr Frömmigkeit, Demut und kindliche Liebe; dann nahm er den jungen Herzog von Glocester und setzte ihn auf seinen Schoß, damit er ihn zugleich an sein Herz drücken und aus das Gesicht küssen könnte.

Er forderte ihn auf, ihm einen Eid zu leisten, daß er sich niemals wolle bei Lebzeiten seiner älteren Brüder, des Prinzen von Wales und des Herzogs von York, auf den Thron setzen lassen.

Das Kind streckte seine kleine Hand in die seines Vaters aus und sprach: Sire, ich schwöre Eurer Majestät…

Karl unterbrach ihn und sagte: Heinrich, nenne mich deinen Vater.

Mein Vater, versetzte das Kind, ich schwöre Euch, daß sie mich eher töten, als zum König machen sollen.

Gut, mein Sohn. Nun umarme mich, und Du auch, Charlotte, und vergeßt mich nicht!

Oh! nein! nein! riefen die Kinder, ihre Arme um den Hals des Königs schlingend.

Gott befohlen! sprach Karl, Gott befohlen, meine Kinder. Führt sie weg, Juxon, ihre Tränen würden mir den Mut zum Sterben rauben.

Als man die Kinder fortgeführt hatte, öffnete man die Pforten, und jedermann konnte eintreten.

Als sich der König unter der Menge der Wachen und Neugierigen, die das Zimmer zu füllen begannen, allein sah, erinnerte er sich, daß der Graf de la Fère dicht unter dem Boden des Gemaches war und, da er ihn nicht sehen konnte, vielleicht immer noch hoffte.

Er zitterte, das geringste Geräusch könnte Athos als Signal erscheinen, und dieser möchte sich durch Wiederaufnahme seiner Arbeit selbst verraten. Er hielt sich deshalb geflissentlich völlig ruhig und unbeweglich und nötigte dadurch alle Anwesenden zur Ruhe.

Der König täuschte sich nicht, Athos war wirklich in gespannter Erwartung; er horchte, er verzweifelte, da er kein Signal hörte; er fing mehrmals möglichst geräuschlos seine Arbeit wieder an; da er aber gehört zu werden fürchtete, hielt er bald wieder inne.

Diese furchtbare Untätigkeit dauerte zwei Stunden. Eine Todesstille herrschte im Zimmer des Königs.

Nun entschloß sich Athos, die Ursache dieser düstern, stummen, nur von dem ungeheuren Lärm des Volkes gestörten Ruhe zu erforschen. Er öffnete die Tapete, die das Loch des Spaltes verbarg, ein wenig und stieg auf den ersten Stock des Schafotts hinab. Kaum vier Zoll über seinem Kopfe war der Boden, der sich in einer Höhe mit der Plattform ausdehnte und das Schafott bildete.

Das Geräusch, das er bis jetzt nur dumpf gehört hatte und das nun düster und bedrohlich an sein Ohr drang, ließ ihn vor Schrecken beben. Er ging bis an den Rand des Schafotts, öffnete das schwarze Tuch in der Höhe seines Auges ein wenig und sah Reiter, die an der furchtbaren Maschine ausgestellt waren, weiterhin eine Reihe Partisanenträger, sodann Musketiere, endlich die ersten Reihen des Volkes, das einem erregten Ozean ähnlich brauste und tobte. Was ist denn vorgefallen? fragte sich Athos, heftiger zitternd als das Tuch, dessen Falten er zerknitterte; das Volk drängt sich, die Soldaten stehen unter den Waffen, und unter den Zuschauern, die insgesamt die Augen nach dem Fenster gerichtet haben, erblicke ich d’Artagnan! Was erwartet er? Was betrachtet er? Großer Gott, sollte er den Henker haben entwischen lassen!

Plötzlich erscholl die Trommel dumpf und düster auf dem Platze; ein Geräusch schwerer, langsamer Tritte machte sich über seinem Kopfe hörbar. Es kam ihm vor, als ob eine ungeheure Prozession das Parkett über ihm beträte; bald hörte er sogar die Bretter des Blutgerüstes krachen. Er warf einen letzten Blick nach dem Platz, und die Haltung der Zuschauer lehrte ihn, was eine im Grunde seines Herzens zurückgebliebene Hoffnung zu erraten bis jetzt verhindert hatte.

Das Geräusch aus dem Platze hatte gänzlich aufgehört. Aller Augen waren nach dem Fenster von Whitehall gerichtet; die aufgesperrten Mäuler und der zurückgehaltene Atem der Menge verrieten, daß sie einem furchtbaren Schauspiel entgegensah.

Das Getöse der Tritte, das Athos auf dem Platz, den er unter dem Boden des königlichen Zimmers einnahm, über seinem Kopfe gehört hatte, wiederholte sich auf dem Schafott, das sich dergestalt unter dem Gewichte bog, daß die Bretter beinahe den Kopf des unglücklichen Edelmanns berührten. Offenbar waren es zwei Reihen Soldaten, die den ihnen zugewiesenen Platz besetzten.

In demselben Augenblicke sprach eine Athos wohlbekannte Stimme, eine edle Stimme, über seinem Kopfe:

Herr Oberst, ich wünsche zu dem Volk zu reden.

Athos bebte vom Scheitel bis zu den Zehen: es war der König, der auf dem Blutgerüste sprach.

Nachdem Karl ein paar Tropfen Wein getrunken und etwas Brot gebrochen, hatte er sich wirklich, um den Tod nicht allzulange erwarten zu müssen, plötzlich entschlossen, ihm entgegenzugehen, und das Zeichen zum Aufbruch gegeben.

Dann hatte man die beiden Flügel des nach dem Platze gehenden Fensters geöffnet, und das Volk sah schweigend aus dem Hintergrunde des Zimmers einen verlarvten Mann hervortreten, in dem man an dem Beile, das er in der Hand hielt, den Scharfrichter erkannte. Dieser Mann näherte sich dem Block und legte sein Beil darauf.

Nach diesem Menschen erblickte man Karl Stuart, der ruhig und festen Schrittes zwischen zwei Priestern ging, gefolgt von einigen Oberoffizieren, die der Hinrichtung beizuwohnen hatten, und von zwei Gliedern Partisanenträgern, die sich auf beiden Seiten des Schafotts aufstellten.

Der Anblick des verlarvten Mannes hatte ein lange anhaltendes Geräusch hervorgebracht. Jedermann war neugierig, zu erfahren, wer der unbekannte Henker wäre, der sich noch zur rechten Zeit angeboten hatte, damit das dem Volk verheißene Schauspiel stattfinden konnte, während man bereits geglaubt hatte, es müsse auf den andern Tag verschoben werden. Jeder verschlang ihn gleichsam mit den Augen, aber man konnte nichts sehen, als daß es ein schwarz gekleideter Mann von mittlerem Wuchse war, der bereits ein gewisses Alter erreicht zu haben schien, denn das Ende eines grau werdenden Bartes stand unter der Larve hervor, die sein Gesicht bedeckte.

Doch beim Anblick des so ruhigen, so edlen, so würdigen Königs stellte sich die Ruhe wieder her, und jedermann konnte es hören, als er sein Verlangen aussprach, mit dem Volk zu reden.

Dieses Verlangen hatte der, an den es gerichtet war, ohne Zweifel mit einem bejahenden Zeichen beantwortet, denn der König fing an, mit fester, wohlklingender, unserem Athos bis in die Tiefe seines Herzens dringender Stimme zu sprechen.

Er rechtfertigte vor dem Volke, was er getan hatte, und gab ihm Ratschläge zur Wohlfahrt Englands.

Oh! sprach Athos zu sich selbst, ist es denn möglich, daß ich höre, was ich höre? Ist es möglich, daß Gott seinen Stellvertreter auf Erden so sehr verlassen hat, daß er so elendiglich sterben muß?… Und ich habe ihn nicht gesehen … habe ihm kein Lebewohl gesagt!

Man vernahm ein Geräusch, als würde das Todeswerkzeug auf dem Blocke bewegt.

Der König unterbrach sich und sprach: Berührt das Beil nicht.

Und er setzte seine Rede fort; als sie zu Ende war, trat eine furchtbare Stille über dem Kopfe des Grafen ein. Er hielt seine Hand vor die Stirn, aber zwischen seiner Hand und seiner Stirn rieselten Schweißtropfen durch, obgleich die Luft eiskalt war.

Diese Stille deutete die letzten Vorbereitungen an.

Nachdem der König seine Rede geschlossen, ließ er einen Blick voll Mitleids über die Menge hinschweifen. Dann machte er den Orden, den er trug, eben jenen Demantstern, den die Königin ihm geschickt hatte, los und übergab ihn dem Priester, der Juxon begleitete. Hierauf zog er aus seiner Brust ein kleines Kreuz, ebenfalls von Diamanten. Dieses kam, wie der Stern, ebenfalls von Frau Henriette.

Mein Herr, sagte er, sich an den Priester wendend, der Juxon begleitete, ich werde dieses Kreuz bis zu meinem letzten Augenblick in der Hand behalten; aber nehmt es von mir, wenn ich tot bin.

Ja, Sire, sprach eine Stimme, in der Athos die von Aramis erkannte.

Karl, der bis dahin seinen Kopf bedeckt gehabt hatte, nahm nun seinen Hut ab und warf ihn von sich. Dann löste er die Knöpfe seines Wamses, zog es aus und warf es neben seinen Hut. Da es aber sehr kalt war, forderte er seinen Schlafrock, den man ihm reichte.

Alle diese Vorbereitungen waren mit furchtbarer Ruhe vor sich gegangen. Man hätte glauben sollen, der König sei im Begriff, sich zu Bett und nicht in seinen Sarg zu legen.

Endlich hob er seine Haare mit der Hand in die Höhe und sagte zu dem Henker: Werden sie Euch hinderlich sein? In diesem Fall könnte man sie mit einer Schnur aufbinden.

Karl begleitete diese Worte mit einem Blick, der unter die Larve des Unbekannten dringen zu wollen schien. Der so edle, so ruhige, so sichere Blick nötigte diesen Menschen, den Kopf abzuwenden. Aber hinter dem tiefen Blicke des Königs begegnete er dem glühenden Blicke Aramis‘. Als der König sah, daß er nicht antwortete, wiederholte er seine Frage.

Es wird genügen, wenn Ihr sie vom Halse entfernt, antwortete der Mann mit dumpfer Stimme.

Der König sagte hierauf, den Block anschauend: Dieser Block ist sehr niedrig; sollte sich kein höherer finden?

Es ist der gewöhnliche Block, antwortete der Verlarvte.

Glaubt Ihr mir den Kopf mit einem Streiche abzuhauen? fragte der König.

Ich hoffe es, antwortete der Scharfrichter.

In den Worten: Ich hoffe es, lag eine so seltsame Betonung, daß alle Anwesenden, den König ausgenommen, bebten.

Es ist gut, sprach der König, und nun, Henker, höre.

Der Verlarvte machte einen Schritt gegen den König und stützte sich auf sein Beil.

Du sollst mich nicht überraschen, sprach Karl zu ihm. Ich werde niederknien, um zu beten; dann schlage noch nicht.

Wann soll ich schlagen? fragte der Verlarvte.

Sobald ich den Hals auf den Block gelegt habe, die Arme ausstrecke und Remember (Gedenke) rufe.

Der Mann mit der Larve machte eine leichte Verbeugung.

Der Augenblick, von der Welt zu scheiden, ist gekommen, sprach der König zu seiner Umgebung. Meine Herren, ich lasse Euch mitten im Sturme und gehe Euch in jenes Vaterland voran, das kein Ungewitter kennt. Gott befohlen.

Er schaute Aramis an und nickte ihm noch besonders zu.

Nun entfernt Euch, fuhr er fort, und laßt mich leise mein Gebet verrichten. Entferne du dich auch, sagte er zu dem Verlarvten; ich weiß, daß ich dir gehöre; aber erinnere dich, daß du erst bei meinem Signal schlagen sollst.

Karl kniete nieder, machte das Zeichen des Kreuzes und näherte seinen Mund den Brettern, als wollte er die Plattform küssen. Dann stützte er sich mit der einen Hand auf den Boden, mit der andern auf den Block, und sagte in französischer Sprache:

Graf de la Fère, seid Ihr da, und kann ich sprechen?

Diese Stimme schlug gerade in Athos‘ Herz und durchdrang es, wie ein kaltes Eisen.

Ja, Majestät, erwiderte er zitternd.

Treuer Freund, edles Herz, sprach der König, ich konnte nicht von dir gerettet werden, ich sollte es nicht werden. Nun aber, und sollte ich eine Entheiligung begehen, sage ich: Ja, ich habe zu den Menschen, ich habe zu Gott gesprochen, ich spreche zuletzt zu dir. Um eine Sache aufrechtzuhalten, die ich für heilig hielt, habe ich den Thron meiner Väter verloren und das Erbe meiner Kinder verschleudert. Eine Million in Gold bleibt mir. Ich habe sie in den Kellern des Schlosses von Newcastle in dem Augenblick vergraben, wo ich diese Stadt verließ. Du allein weißt, daß dieses Geld vorhanden ist. Mache Gebrauch davon, wenn du es zum Wohle meines ältesten Sohnes für zeitgemäß hältst. Und nun, Graf de la Fère, nimm Abschied von mir.

Gott befohlen, heilige Majestät, Märtyrer-Majestät! stammelte Athos, vor Schrecken zu Eis geworden.

Es trat nun ein Stillschweigen ein, währenddessen es Athos vorkam, als stände der König auf und wechselte seine Stellung.

Dann rief der König mit voller, klingender Stimme, so daß man es nicht nur auf dem Schafott, sondern auch auf dem ganzen Platze hörte: Remember!

Kaum war dieses Wort aus seinem Munde, als ein furchtbarer Schlag den Boden des Blutgerüstes erschütterte. Der Staub drang aus dem Tuche hervor und blendete den unglücklichen Edelmann.

Plötzlich hob er mechanisch die Augen und den Kopf empor, und ein warmer Tropfen fiel auf seine Stirn. Athos wich mit einem Schauer des Schreckens zurück, und in demselben Augenblick verwandelten sich die Tropfen in einen dunklen Erguß, der auf dem Boden aufprallte.

Athos fiel auf die Knie und blieb einige Augenblicke wie vom Wahnsinn erfaßt. An dem abnehmenden Gemurmel bemerkte er bald, daß das Volk sich entfernte. Er verharrte noch einen Moment unbeweglich, stumm und bestürzt. Dann tauchte er, sich umwendend, das Ende seines Taschentuches in das Blut des Märtyrer-Königs, und als das Volk immer mehr den Platz verließ, stieg er hinab, schlitzte das Tuch, drängte sich zwischen zwei Pferde, mischte sich unter das Volk und gelangte in die Taverne.

Als er in sein Zimmer trat, beschaute er sich im Spiegel, sah auf seiner Stirn einen breiten roten Fleck, fuhr mit der Hand danach, zog sie voll vom Blute des Königs zurück und fiel in eine Ohnmacht.

Der Verlarvte

Obgleich es erst vier Uhr war, herrschte doch schon finstere Nacht. Der Schnee fiel dick und eisig. Aramis kehrte ebenfalls zurück und fand Athos, wenn auch nicht mehr ohne Bewußtsein, so doch aufs tiefste herabgestimmt; aber bei den ersten Worten seines Freundes erwachte der Graf aus der Lethargie, in die er versunken war.

Nun, sagte Aramis, wir sind besiegt durch Mißgeschick! – Besiegt, sprach Athos, edler, unglücklicher König! – Seid Ihr denn verwundet? fragte Aramis. – Nein, dieses Blut ist das seinige.

Der Graf trocknete seine Stirn.

Wo wart Ihr denn? – Wo Ihr mich gelassen hattet, unter dem Schafott. – Und Ihr habt alles gesehen? – Nein, aber alles gehört. Gott bewahre mich vor einer zweiten Stunde, der ähnlich, die ich soeben durchmachen mußte! Habe ich nicht weiße Haare? – Dann wißt Ihr, daß ich ihn nicht verlassen habe. – Ich hörte Eure Stimme bis zum letzten Augenblick. – Hier ist der Stern, den er mir gegeben, sprach Aramis, hier ist das Kreuz, das ich aus seiner Hand genommen. Er wünschte, daß beides der Königin zugestellt werde. – Und hier ein Taschentuch, um beides darein zu wickeln, sagte Athos und zog das Tuch hervor, das er in des Königs Blut getaucht hatte.

Was hat man mit der armen Leiche gemacht? fragte Athos.

Auf Cromwells Befehl sollen ihr die königlichen Ehren erwiesen werden. Wir haben den Körper in einen bleiernen Sarg gelegt. Die Ärzte beschäftigen sich damit, die unglücklichen Überreste einzubalsamieren. Ist ihr Werk getan, so wird der König auf ein Trauergerüste gesetzt werden.

Hohn! murmelte Athos düster; die königlichen Ehren dem, den sie ermordet haben!

Dies beweist, versetzte Aramis, daß zwar der König stirbt, das Königtum aber nicht.

Ach! rief Athos, das ist vielleicht der letzte ritterliche König, den die Welt haben wird.

Verzweifelt nicht, Graf, sprach eine mächtige Stimme von der Treppe her, auf der Porthos‘ schwere Tritte erschallten. Wir sind alle sterblich, meine armen Freunde.

Ihr kommt spät, mein lieber Porthos, sagte der Graf de la Fère.

Ja, erwiderte Porthos, es waren Leute auf meinem Weg, die mich aufhielten. Die Elenden tanzten! Ich nahm einen beim Halse und erdrosselte ihn, glaube ich, ’so ziemlich. Gerade in diesem Augenblick kam eine Patrouille. Zum Glück war der, mit dem ich es hauptsächlich zu tun hatte, ein paar Minuten außer stande, zu sprechen. Ich benutzte dies, um mich in eine kleine Straße zu werfen. Diese kleine Straße führte mich in eine noch kleinere; dann verirrte ich mich. Ich kenne London nicht, ich verstehe nicht Englisch und glaubte, ich würde mich nie mehr zurechtfinden; aber endlich bin ich doch hier.

Aber d’Artagnan, sagte Aramis, habt Ihr ihn nicht gesehen? Sollte ihm etwas begegnet sein?

Wir wurden durch die Menge getrennt, erwiderte Porthos, und ich konnte trotz allen Anstrengungen nicht wieder zu ihm gelangen.

In diesem Augenblick trat der Vermißte herein und setzte sich mit den Worten: Ich bin müde! zu den Freunden.

Trinkt ein Glas Portwein, sagte Aramis, nahm eine Flasche vom Tisch und füllte ein Glas; trinkt, das wird Euch erquicken.

Ja, trinken wir, rief Athos. Laßt uns trinken und dann aus diesem abscheulichen Lande eilen. Die Feluke erwartet uns, wie ihr wißt; reisen wir diesen Abend, denn wir haben hier nichts mehr zu tun.

Ihr seid eilig, Herr Graf, sagte d’Artagnan.

Dieser blutige Boden brennt mir unter den Füßen, erwiderte Athos.

Ich denke, es bleibt uns noch ein kleines Unternehmen auszuführen.

Der Gedanke dazu kam mir, während ich das Schauspiel betrachtete. – Welcher? sagte Porthos. – Ich wollte wissen, wer der verlarvte Mann wäre, der sich zuvorkommend angeboten hatte, dem König den Hals abzuschneiden. – Ein verlarvter Mann! rief Athos, Ihr habt also den Henker nicht entfliehen lassen? –Der Henker, sagte d’Artagnan, ist immer noch im Keller, wo er ohne Zweifel ein paar Worte mit den Flaschen unseres Wirtes sprechen wird. Aber Ihr erinnert mich eben daran…

D’Artagnan ging an die Tür und rief: Mousqueton! – Gnädiger Herr? erwiderte eine Stimme, die aus der Tiefe der Erde zu kommen schien. – Laßt Euren Gefangenen los, alles ist vorbei. – Aber wer ist der Elende, der Hand an den König gelegt hat? sprach Athos. – Ein Henker aus Liebhaberei, der übrigens das Beil mit großer Leichtigkeit handhabt, denn er bedurfte, wie er hoffte, nur eines Streiches, sagte Aramis. – Ihr habt sein Gesicht nicht gesehen? fragte Athos. – Er hatte eine Larve, erwiderte d’Artagnan. – Aber Ihr, der Ihr in seiner Nähe wart, Aramis? – Ich sah nur einen gräulichen Bart, der unter der Larve hervorkam. – Es ist also ein Mensch von etwas vorgerückterem Alter? fragte Athos. – Oh, das ist kein Beweis, versetzte d’Artagnan; nimmt man eine Larve, so kann man auch einen Bart nehmen. – Es tut mir leid, daß ich ihm nicht folgte! rief Porthos. – Nun, mein lieber Porthos, das ist gerade der Gedanke, der mir kam, sagte d’Artagnan.

Nun? sprach Aramis.

Nun, versetzte d’Artagnan, während ich hinschaute, kam mir das sehnsüchtige Verlangen zu erfahren, wer es wäre. Wie ich um mich her schaute, sah ich zu meiner Rechten einen Kopf, der gespalten und so gut als möglich wieder zusammengeflickt worden war. Bei Gott, sagte ich, zu mir selbst, das ist eine Naht von meiner Art, und ich habe diesen Schädel wohl irgendwo zusammengeflickt. Es war in der Tat der unglückliche Schotte, der Bruder Parrys, der Mensch, an dem, wie ihr wißt, Herr von Groslow seine Kräfte versuchte, und der nur noch einen halben Kopf hatte, als wir ihn trafen.

Ganz richtig, der Mann mit den schwarzen Hühnern, sprach Porthos.

Er selbst. Er machte einem andern Menschen, der sich zu meiner Linken befand, Zeichen. Ich wandte mich um und erkannte den ehrlichen Grimaud, der, wie ich, damit beschäftigt war, meinen verlarvten Henker mit den Blicken zu verschlingen.

Oh! oh! rief ich ihm zu, und Grimaud und der Schotte bemerkten mich und gesellten sich zu mir. Als dann alles in der entsetzlichen Weise zu Ende war und das Volk sich verlief, zogen wir uns in einen Winkel des Platzes zurück und beobachteten von da aus den Henker, der sich in das königliche Zimmer begeben hatte und die Kleider wechselte. Die seinigen waren ohne Zweifel blutig geworden. Er setzte sodann einen schwarzen Hut auf den Kopf, hüllte sich in einen Mantel und verschwand. Ich erriet, daß er herauskommen würde, und lief vor die Tür. Nach fünf Minuten sahen wir ihn dann die Treppe herabsteigen.

Ihr folgtet ihm? rief Athos.

Bei Gott, erwiderte d’Artagnan, aber es geschah nicht ohne Mühe. Er wandte sich jeden Augenblick um; dann waren wir genötigt, uns zu verbergen oder ein gleichgültiges Wesen anzunehmen. Ich wäre ihm zu Leibe gegangen und hätte ihn getötet, aber ich bin nicht selbstsüchtig, und es war ein Vorrecht, das ich Euch vorbehielt, Aramis, und Euch, Athos, um Euch ein wenig zu trösten. Endlich nach einem Marsche von einer halben Stunde durch die krummsten Straßen der Altstadt gelangte er zu einem kleinen, einzelstehenden Hause, wo kein Tritt, kein Licht die Gegenwart eines Menschen andeutete. Der Verlarvte blieb vor einer niedrigen Tür stehen und zog einen Schlüssel hervor. Aber ehe er ihn in das Schloß steckte, wandte er sich um, ohne Zweifel, um zu sehen, ob man ihm nicht folgte. Ich war hinter einen Baum gekauert, Grimaud hinter einen Weichstein. Der Schotte legte sich mit dem flachen Leibe auf den Weg. Wahrscheinlich glaubte sich der Verfolgte allein, denn ich hörte das Klirren des Schlüssels. Die Tür öffnete sich, und er verschwand.

Der Elende! rief Aramis; während Ihr zurückkehrtet, wird er entflohen sein, und wir finden ihn nicht mehr.

Still, Aramis, sprach d’Artagnan, Ihr verkennt mich.

Doch in Eurer Abwesenheit … sagte Athos.

Hatte ich nicht in meiner Abwesenheit an meiner Stelle den Schotten und Grimaud? Ehe er Zeit fand, zehn Schritte im Innern zu tun, hatte ich die Runde um das Haus gemacht. An eine der Türen, an die, durch die er eingetreten war, stellte ich den Schotten, dem ich bedeutete, wenn der Mann mit der schwarzen Larve herauskomme, solle er ihm folgen, wohin er gehe, während Grimaud ihm selbst folgen und dann zurückkommen sollte, um uns da zu erwarten, wo wir waren. Grimaud stellte ich an den zweiten Ausgang mit demselben Austrag, und hier bin ich nun! Das Wild ist umstellt, wer will zum Hallali?

Athos stürzte in die Arme d’Artagnans, der sich seine Stirn trocknete. Freund, sagte er, Ihr seid in der Tat der Beste von uns.

Reist Ihr nun immer noch, Athos? fragte d’Artagnan.

Nein, ich bleibe, antwortete der Graf mit einer drohenden Gebärde, die dem, welchem sie galt, nichts Gutes verhieß.

Die Degen also, und keine Minuten verloren! rief Aramis.

Die vier Freunde zogen rasch wieder ihre gewöhnlichen Kleider an, gürteten ihre Schwerter um, ließen Mousqueton und Blaisois kommen und befahlen ihnen, die Rechnung bei dem Wirt in Ordnung zu bringen und alles für die Abreise bereitzuhalten, da man aller Wahrscheinlichkeit nach London noch in derselben Nacht verlassen würde.

Die Nacht war noch düsterer geworden, der Schnee fiel ohne Unterlaß und sah aus, wie ein großes, über die königsmörderische Stadt ausgebreitetes Leichentuch; es war ungefähr sieben Uhr abends, man sah kaum ein paar Menschen durch die Straßen gehen; alle sprachen ganz leise und nur zu Vertrauten über die furchtbaren Ereignisse des Tages.

In ihre Mäntel gehüllt, durchwanderten die vier Freunde die am Tage so volkreichen, diese Nacht aber so öden Straßen und Plätze der City. D’Artagnan führte sie, wobei er von Zeit zu Zeit Kreuze zu erkennen suchte, die er mit seinem Dolch an den Mauern gemacht hatte; aber die Nacht war so finster, daß sich diese Spuren nur mit Mühe auffinden ließen. D’Artagnan hatte jedoch seinem Kopfe jeden Weichstein, jeden Brunnen, jedes Schild so gut eingeprägt, daß er nach Verlauf eines Marsches von einer halben Stunde mit seinen drei Gefährten vor dem einzelnen Hause anlangte.

D’Artagnan glaubte einen Augenblick, Parrys Bruder sei verschwunden; er täuschte sich. An das Eis seiner Gebirge gewöhnt, hatte sich der kräftige Schotte an einem Weichstein ausgestreckt und, unempfindlich gegen die Ungunst der Witterung, vom Schnee bedecken lassen; aber bei Annäherung der vier Männer stand er auf.

D’Artagnan näherte sich dem Schotten und gab sich ihm zu erkennen. Dann machte er den andern ein Zeichen, herbeizukommen.

Wie steht es? fragte Athos in englischer Sprache.

Niemand ist herausgekommen, antwortete Parrys Bruder.

Gut, bleibt bei diesem Manne, Porthos, und Ihr auch, Aramis, d’Artagnan wird mich zu Grimaud geleiten.

Dieser, der sich in eine hohle Weide gedrückt und sie als Schilderhaus benutzt hatte, gab auf d’Artagnans Frage, ob jemand herausgekommen sei, zur Antwort: Nein, aber es ist jemand hineingegangen. – Ein Mann oder eine Frau? – Ein Mann. – Ah! sprach d’Artagnan, sie sind also zu zwei. – Ich wollte, sie wären zu vier, versetzte Athos, dann wäre die Partie doch gleich. – Vielleicht sind sie zu vier, versetzte d’Artagnan. – Wieso? – Konnten nicht andere Menschen vor ihnen in diesem Hause sein und sie erwarten? – Man kann sehen, sprach Grimaud und deutete auf ein Fenster, durch dessen Läden einige Lichtstrahlen drangen. – Das ist richtig, sagte d’Artagnan, rufen wir die anderen.

Sie wandten sich um das Haus, um Porthos und Aramis zu bedeuten, sie sollten kommen. Diese liefen eilig herbei und fragten: Habt ihr etwas gesehen?

Nein, aber wir werden etwas erfahren, antwortete d’Artagnan, und deutete auf Grimaud, der, sich an die Mauervorsprünge anklammernd, bereits fünf bis sechs Fuß über der Erde war.

Alle vier näherten sich. Grimaud stieg mit der Gewandtheit einer Katze aufwärts; endlich gelang es ihm, einen der Haken zu fassen, die zum Festhalten der Läden dienen, wenn diese offen sind; zu gleicher Zeit fand sein Fuß ein Gesims, das ihm einen hinreichenden Stützpunkt zu geben schien, denn er machte ein Zeichen, durch das er andeutete, er habe sein Ziel erreicht. Dann näherte er sein Auge der Spalte des Ladens.

Wie ist es? fragte d’Artagnan.

Grimaud zeigte seine Hand, die bis auf zwei Finger geschlossen war.

Sprich, sagte Athos, man sieht deine Zeichen nicht. Wieviel sind es?

Grimaud tat sich Gewalt an und erwiderte: Zwei; der eine ist mir gegenüber, der andere wendet mir den Rücken zu. – Gut. Wer ist der dir gegenüber? – Der Mensch, den ich an mir vorübergehen sah. – Kennst du ihn? – Es ist Oliver Cromwell.

Die vier Freunde schauten sich an.

Und der andere? – Mager und schlank gewachsen. – Es ist der Henker, sagten Aramis und d’Artagnan. – Ich sehe nur seinen Rücken, versetzte Grimaud; doch halt, er macht eine Bewegung, er dreht sich um, wenn er seine Larve abgelegt hat, kann ich sehen … Ah! …

Grimaud ließ, als wäre er im Herzen getroffen, den eisernen Haken los und sank mit einem dumpfen Seufzer zurück. Porthos fing ihn in seinen Armen auf.

Hast du ihn gesehen? sagten die vier Freunde. – Ja, sprach Grimaud, mit emporgesträubten Haaren und Schweiß auf der Stirn. – Und wer ist es? sprach Porthos. – Er! er! stammelte Grimaud, bleich wie ein Toter und mit seinen zitternden Händen die Hand seines Herrn ergreifend. – Wer, er? fragte Athos. – Mordaunt! … erwiderte Grimaud.

D’Artagnan, Porthos und Aramis stießen einen Freudenschrei aus.

Athos machte einen Schritt rückwärts, fuhr mit der Hand über die Stirn und murmelte: Verhängnis!

London

.

Als der Klang der Pferdehufe sich in der Ferne verloren hatte, stieg d’Artagnan wieder an den Rand des Flüßchens hinauf und ritt über die Ebene, wobei er so gut als möglich die Richtung nach London ins Auge zu fassen suchte. Die drei Freunde folgten ihm schweigend, bis sie, nachdem sie einen großen Halbkreis beschrieben, das Städtchen weit hinter sich gelassen hatten.

Diesmal, sagte d’Artagnan, als er glaubte, sie seien weit genug, um vom Galopp in den Trab übergehen zu können, diesmal glaube ich, daß entschieden alles verloren ist, und daß wir nichts Besseres tun können, als uns nach Frankreich zu wenden. Was sagt Ihr zu dem Vorschlage, Athos? Findet Ihr ihn nicht vernünftig?

Ja, teurer Freund, erwiderte Athos, aber Ihr habt einst ein edleres, vernünftigeres Wort ausgesprochen, Ihr sagtet: Wir werden hier sterben. Ich erinnere Euch an dieses Wort. Wir müssen diesem großen Trauerspiel bis zum Schluß beiwohnen und werden, was auch kommen mag, vor seiner gänzlichen Entwicklung England nicht verlassen. Denkt Ihr wie ich, Aramis?

In jeder Beziehung, Graf; dann gestehe ich Euch auch, es wäre mir nicht unangenehm, Mordaunt wiederzufinden; es scheint mir, wir haben eine Rechnung mit ihm in Ordnung zu bringen, und es ist nicht unsere Gewohnheit, ein Land zu verlassen, ohne solche Schulden zu bezahlen.

Ja, das ist etwas anderes, sprach d’Artagnan, dieser Grund leuchtet mir ganz ein. Ich bekenne, daß ich, um den fraglichen Mordaunt wiederzufinden, wenn es sein muß, ein ganzes Jahr in London bleibe. Nur müssen wir uns bei einem sichern Mann und so einquartieren, daß kein Verdacht dadurch erregt wird, denn Cromwell muß uns zu dieser Stunde suchen lassen, und soviel ich zu beurteilen vermag, spaßt Cromwell nicht. Athos, kennt Ihr in der ganzen Stadt eine Herberge, wo man weiße Leintücher, vernünftig gekochtes Roastbeef und Wein findet, der nicht von Hopfen oder Wachholder bereitet ist?

Ich glaube, erwiderte Athos. Lord Winter hat uns zu einem Manne geführt, von dem er sagte, er sei ein ehemaliger Spanier und nur durch die Guineen seiner Landsleute naturalisierter Engländer.

Der Gedanke scheint gut, antwortete d’Artagnan. Aber wir dürfen eine Vorsichtsmaßregel nicht vergessen, nämlich unsere Kleider zu wechseln. Unsere Röcke haben einen Schnitt und eine Farbe, daß man uns von weitem als Franzosen erkennt. Ich will mir einen kastanienbraunen Rock kaufen, denn ich habe gesehen, daß alle diese Dummköpfe von Puritanern diese Farbe wahnsinnig lieben.

Aber werdet Ihr Euern Mann wiederfinden, Athos? fragte Aramis.

Oh! gewiß, er wohnte Green-Hall-Street, Bedfords Taverne.

Die Freunde gaben ihren Pferden von neuem die Sporen und kamen gegen fünf Uhr morgens nach London. Bei dem Tor hielt man sie an, und Athos antwortete in vortrefflichem Englisch, sie seien vom Oberst Harrison abgeschickt, um seinen Kollegen, Herrn Pridge, von der nahe bevorstehenden Ankunft des Königs zu benachrichtigen. Er gab auf weitere Fragen nach der Gefangennehmung des Königs die Umstände so genau und so bestimmt an, daß die Torwächter nicht den geringsten Verdacht hegten.

Athos ritt gerade auf Bedfords Taverne zu und gab sich dem Wirt zu erkennen, der so sehr erfreut war, ihn in zahlreicher und seiner Gesellschaft wiederzusehen, daß er sogleich seine besten Zimmer in Bereitschaft setzen ließ.

Obgleich es noch nicht Tag war, so hatten die vier Freunde doch die ganze Stadt in größter Bewegung gefunden. Das Gerücht, daß sich der König, vom Obersten Harrison geleitet, der Hauptstadt nähere, hatte sich schon am Abend verbreitet, und viele waren noch nicht zu Bette gegangen, aus Furcht, der Stuart, wie sie ihn nannten, möchte bei Nacht ankommen, und sie könnten seinen Einzug verfehlen.

D’Artagnans Vorschlag gemäß ließen die vier Franzosen vom Wirt alle möglichen Kleider herbeischaffen. Athos wählte ein schwarzes Kleid, das ihm das Aussehen eines ehrbaren Bürgers verlieh; Aramis, der sich nicht vom Schwerte trennen wollte, nahm ein dunkelgrünes Kleid von militärischem Schnitt; Porthos ließ sich durch ein rotes Wams und grüne Hosen verführen; d’Artagnan stellte unter dem kastanienbraunen Rock, den er sich aussuchte, ziemlich treffend einen Zuckerhändler vor, der sich vom Geschäfte zurückgezogen.

Grimaud und Mousqueton trugen keine Livree mehr und waren auf diese Art völlig verkleidet. Grimaud zeigte den ruhigen, steifen Typus des umsichtigen, Mousqueton den des dickbäuchigen, aufgedunsenen, trägen Engländers.

Trotz des lebhaften Sträubens von Aramis setzte d’Artagnan bei seinen Freunden durch, daß sie sich, um Puritanern noch ähnlicher zu werden, ihre Haare kurz schnitten.

Nun, da wir uns selbst nicht mehr erkennen, sprach Athos, und folglich nicht fürchten müssen, von andern erkannt zu werden, wollen wir den König einziehen sehen; ist er die ganze Nacht marschiert, so muß er unfern von London sein.

Die vier Freunde hatten sich noch nicht zwei Stunden unter die Menge gemischt, als ein gewaltiges Geschrei und eine große Bewegung die Ankunft des Königs verkündigten. Man hatte ihm einen Wagen entgegengeschickt, und der riesige Porthos, der alle Köpfe überragte, kündigte an, er sehe die königliche Karosse kommen; d’Artagnan erhob sich aus den Fußspitzen, während Athos und Aramis horchten, um die öffentliche Stimmung zu erforschen. Man erblickte Harrison an einem Kutschenschlag und Mordaunt am andern.

Das Volk ergoß sich in tausenderlei Verwünschungen gegen den König, so daß Athos voll Verzweiflung zurückkehrte.

Mein Lieber, sagte d’Artagnan zu ihm, Eure Beharrlichkeit ist vergeblich, ich schwöre Euch, die Lage der Dinge ist sehr schlimm. Ich meinerseits halte nur Euretwegen und in dem Gedanken bei der Sache aus, es wäre gar zu lustig, allen diesen Brüllern ihre Beute zu entreißen und eine Nase zu drehen. Ich werde mir die Sache überlegen.

Schon am andern Morgen hörte Athos, am Fenster stehend, den Parlamentsbeschluß ausrufen, der den Exkönig Karl I. wegen Verrats und Mißbrauchs der Gewalt vor die Schranken zog.

D’Artagnan war in seiner Nähe, Aramis betrachtete eine Karte, Porthos wurde von den letzten Leckerbissen eines saftigen Frühstücks in Anspruch genommen.

Das Parlament! rief Athos, das Parlament kann unmöglich einen solchen Beschluß gefaßt haben, und wenn sie es je wagen sollten, ihren König zu verurteilen, so werden sie ihn höchstens zur Verbannung oder zum Gefängnis verurteilen.

D’Artagnan machte ein sehr ungläubiges Gesicht.

Wir werden es wohl sehen, sprach Athos, denn ich denke, wir gehen in die Sitzungen. – Ihr habt nicht lange zu warten, versetzte der Wirt, der hinzugetreten war, sie beginnen morgen. – Ah! rief Athos, der Prozeß wurde also vorbereitet, ehe der König gefangen war? – Allerdings, man fing an dem Tage an, wo man ihn erkauft hatte. – Ihr wißt, sagte Aramis, daß unser Freund Mordaunt, wenn auch nicht den Vertrag abgeschlossen, doch wenigstens die ersten Unterhandlungen in dieser Angelegenheit eröffnet hat. – Ihr wißt, sprach d’Artagnan, daß ich diesen Herrn Mordaunt töte, wo er mir in die Hände fällt. – Pfui! rief Athos, einen so elenden Menschen. – Gerade weil er ein Elender ist, töte ich ihn, entgegnete d’Artagnan. Ah, lieber Freund, ich füge mich genugsam Eurem Willen, daß Ihr etwas nachsichtig gegen den meinigen sein müßt. Übrigens erkläre ich diesmal, mag es Euch gefallen oder nicht, daß er nur von mir getötet werden soll. – Und von mir, sagte Porthos. – Und von mir, versetzte Aramis. – Rührende Einhelligkeit, rief d’Artagnan, wie es sich für gute Bürger unserer Art geziemt. Laßt uns einen Gang durch die Stadt machen; Mordaunt wird uns selbst aus drei Schritte bei diesem Nebel nicht erkennen. Laßt uns ein wenig Nebel trinken. – Ja, sprach Porthos, das ist eine Abwechslung nach dem Bier.

Und die vier Freunde gingen wirklich aus, um, wie man gewöhnlich sagt, Luft zu schöpfen.

Der Prozeß

Am andern Tag führte eine zahlreiche Wache Karl I. vor den hohen Gerichtshof, der sein Urteil fällen sollte.

Das Volk belagerte die Straßen und füllte die Häuser in der Nähe des Palastes; die vier Freunde wurden daher bei den ersten Schritten, die sie machten, durch das beinahe unüberwindliche Hindernis lebendiger Mauern aufgehalten; einige stießen sogar Aramis so heftig zurück, daß Porthos seine furchtbare Hand aufhob und auf das mehlige Gesicht eines Bäckers fallen ließ, das, zerquetscht wie eine reife Weintraube, sogleich die Farbe veränderte und sich mit Blut bedeckte. Die Sache machte großen Lärm; drei Männer wollten sich auf Porthos stürzen; aber Athos beseitigte den einen, d’Artagnan den andern, und Porthos warf den dritten über seinen Kopf. Einige englische Liebhaber des Faustkampfes würdigten die rasche und leichte Weise, wie dieses Manöver ausgeführt wurde, und klatschten Beifall. Es fehlte nicht viel, so wären Porthos und seine Freunde, statt niedergeschlagen zu werden, wie sie zu fürchten anfingen, im Triumph umhergetragen worden. Jedenfalls gewannen sie eins bei dieser herkulischen Kundgebung: die Menge öffnete sich vor ihnen, und sie konnten bis zum Palast vordringen. Ganz London drängte sich an den Türen der Tribünen; als die vier Freunde aber endlich Eintritt erlangten, fanden sie daher die ersten Bänke bereits besetzt. Das war nicht schlimm für Menschen, die nicht erkannt sein wollten; zufrieden setzten sie sich daher auf ihre Plätze, mit Ausnahme von Porthos, der sein rotes Wams und seine grünen Beinkleider zeigen wollte und sehr bedauerte, daß er nicht in der ersten Reihe erscheinen konnte.

Die Bänke waren amphitheatralisch geordnet, und die vier Freunde übersahen von ihrem Platze aus die ganze Versammlung. Der Zufall hatte es gefügt, daß sie auf der mittleren Galerie eingetreten waren und sich gerade dem für Karl I. bestimmten Lehnstuhl gegenüber befanden.

Gegen elf Uhr morgens erschien der König auf der Schwelle des Saales. Er trat, umgeben von Wachen, aber mit bedecktem Haupte und mit ruhiger Miene ein und ließ in allen Richtungen einen Blick voll Sicherheit umherschweifen, als sollte er bei einer Versammlung ergebener, demütiger Untertanen den Vorsitz führen, nicht aber auf die Anklagen eines meuterischen Gerichtshofes antworten.

Parry, der ihn begleitete, stand hinter ihm.

Währenddessen betrachtete d’Artagnan seinen Freund Athos, auf dessen Antlitz sich alle Gemütsbewegungen ausprägten, die der König durch Selbstbeherrschung von dem seinigen zu verbannen vermochte. Diese Aufregung des so kalten und ruhigen Mannes erschreckte ihn.

Ich hoffe, sagte er ihm ins Ohr, Ihr werdet ein Beispiel an Seiner Majestät nehmen und Euch nicht albernerweise in diesem Käfig umbringen lassen.

Seid unbesorgt, erwiderte Athos.

Ah! ah! fuhr d’Artagnan fort, es scheint, man fürchtet irgend etwas, denn seht, die Posten verdoppeln sich und tragen jetzt nicht nur Partisanen, sondern auch Musketen.

Dreißig, vierzig, fünfzig, siebenzig Mann, sagte Porthos, die Ankommenden zählend.

Ei! versetzte Aramis, Ihr vergeßt den Offizier, Porthos; es lohnt sich jedoch, scheint mir, wohl der Mühe, ihn mitzuzählen.

Ho! ho! sprach d’Artagnan und wurde bleich vor Zorn, denn er erkannte Mordaunt, der mit entblößtem Degen die Musketiere hinter den König, das heißt, den Tribünen gegenüber, führte.

Der Präsident Bradshaw ergriff jetzt das Wort und sagte zu dem erhabenen Angeklagten:

Stuart, hört die Verlesung der Namen Eurer Richter und sagt dem Tribunal, was Ihr etwa zu bemerken habt.

Der König wandte, als wären diese Worte nicht an ihn gerichtet, seinen Kopf nach einer andern Seite.

Ich schreite zum Aufruf, sagte Bradshaw, ohne daß er die Abwesenheit von 88 unter 161 Mitgliedern, das heißt von drei Fünfteln der Versammlung zu beachten schien.

Die Anwesenden antworteten mit starker oder schwacher Stimme, je nachdem sie den Mut ihrer Meinung besaßen oder nicht besaßen. Ein kurzes Stillschweigen folgte stets auf die zweimal wiederholten Namen der Abwesenden.

Als die Reihe an den Namen des Obersten Fairfax kam, rief eine spöttische Stimme, an deren Silberklang man eine Frau erkannte: Fairfax, er ist zu gescheit, um hier zu sein.

Ein ungeheures Gelächter empfing diese Worte, die mit jener Kühnheit ausgesprochen wurden, welche die Frauen aus ihrer Schwäche schöpfen, die sie vor jeder Rache sichert.

Es ist Lady Fairfax, versetzte d’Artagnan; Ihr erinnert Euch, Porthos? Wir haben sie mit ihrem Gatten bei General Cromwell gesehen.

Nach einem Augenblick war die durch diese sonderbare Episode gestörte Ruhe wiederhergestellt, und der Aufruf dauerte fort. Als er endlich beendigt war, gab der Präsident Befehl, zur Verlesung der Anklageakte überzugehen.

Athos erbleichte; er sah sich abermals in seiner Erwartung getäuscht. Obgleich die Zahl der Richter unzulänglich war, sollte gegen seine Erwartung der Prozeß dennoch vor sich gehen; der König war also zum voraus verurteilt.

Ich habe es Euch gesagt, Athos, sprach d’Artagnan, die Achseln zuckend; aber Ihr zweifelt immer. Nun faßt Euren Mut in beide Hände und hört, ohne Euer Blut zu sehr in Aufwallung geraten zu lassen, die Abscheulichkeiten an, die jener Herr im schwarzen Gewand seinem rechtmäßigen König ins Gesicht sagen wird.

Karl I. hörte die Rede des Anklägers mit besonderer Aufmerksamkeit, ließ die schändlichen Beleidigungen über sich ergehen, beschwerte sich nicht und lächelte verächtlich, wenn der Haß zu sehr überströmte und der Ankläger sich im voraus zum Henker machte. Es war eine furchtbare Anklage, die alle Unklugheiten des Königs als heimtückische Streiche, alle seine Irrtümer als Verbrechen darstellte.

Feuer im Gesicht, mit geballten Fäusten und blutig gebissenen Lippen, schäumte Athos auf seiner Bank. Die Erbitterung und Wut über das empörende Vorgehen des Parlaments, über diese unerhörte Langmut des Königs hatten diesen unbeugsamen Arm, dieses unerschütterliche Herz in eine zitternde Hand, in einen bebenden Körper verwandelt.

In diesem Augenblick endigte der Ankläger mit den Worten: Gegenwärtige Anklage wird von uns im Namen des englischen Volkes vorgebracht.

Aus diese Worte folgte ein Gemurmel auf den Tribünen, und eine andere Stimme, keine Frauenstimme, sondern eine wütende Männerstimme, donnerte hinter d’Artagnan.

Du lügst! rief diese Stimme, neun Zehntel des englischen Volkes verabscheuen, was du sagst!

Diese Stimme kam von Athos, der, außer sich, hoch aufgerichtet, mit ausgestrecktem Arm, dem öffentlichen Ankläger so entgegentrat.

König, Richter, Zuschauer, alle wandten bei diesem kühnen Wort die Augen nach der Tribüne, auf der sich die vier Freunde befanden.

Mordaunt machte es wie die übrigen und erkannte den Edelmann, um den sich die drei andern Franzosen bleich und drohend erhoben hatten. Seine Augen flammten vor Freude. Er hatte die wiedergefunden, deren Aufsuchung und Tod er sein Leben weihte. Eine wütende Bewegung rief rasch zwanzig von seinen Musketieren in seine Reihe, und mit dem Finger auf die Tribüne deutend, wo seine Feinde waren, rief er: Feuer! Feuer auf diese Tribüne!

Aber schnell wie der Gedanke faßte d’Artagnan Athos um den Leib, Porthos packte Aramis, und sie sprangen von den Stufen hinab, stürzten in die Korridore, eilten über die Treppen und verloren sich in der Menge, während im Innern des Saales die angeschlagenen Musketen dreitausend Zuschauer bedrohten, deren Angstgeschrei und Hilferuf der bereits entfachten Mordlust Einhalt taten.

Karl hatte die vier Franzosen ebenfalls erkannt. Er legte eine Hand auf sein Herz, um die Schläge zurückzudrängen, die andere auf seine Augen, um seine treuen Freunde nicht erwürgen zu sehen.

Bleich und zitternd vor Wut stürzte Mordaunt, den bloßen Degen in der Faust, mit zehn Hellebardieren aus dem Saal, durchwühlte fragend und keuchend die Menge und kehrte sodann zurück, ohne etwas gefunden zu haben.

Es herrschte eine unbeschreibliche Bewegung, und es verging mehr als eine halbe Stunde, bis die Ruhe wiederhergestellt war.

Was habt Ihr zu Eurer Verteidigung zu sagen? fragte Bradshaw den König.

Das Haupt beständig bedeckt, erhob sich der König, nicht aus Demut, sondern im Bewußtsein seiner Herrscherwürde, und sprach mit dem Tone eines Richters, nicht eines Angeklagten: Ehe Ihr mich fragt, antwortet mir. Ich war frei in Newcastle, ich schloß einen Vertrag mit den zwei Kammern. Statt Eurerseits diesen Vertrag zu erfüllen, den ich meinerseits erfüllte, habt Ihr mich den Schotten abgekauft, ich weiß, um keinen hohen Preis, und das macht der Sparsamkeit Eurer Verwaltung Ehre. Hofft Ihr aber, daß ich aufgehört habe, Euer König zu sein, weil Ihr den Preis eines Sklaven für mich bezahltet? Euch antworten hieße die Königswürde vergessen; ich werde Euch also nicht eher antworten, bis Ihr das Recht, mich zu befragen, nachgewiesen habt. Euch antworten hieße Euch als meine Richter anerkennen, und ich erkenne in Euch nur meine Henker.

Und mitten unter einer Todesstille setzte sich Karl ruhig, stolz und stets bedeckten Hauptes wieder in seinen Lehnstuhl.

Nun wohl, sprach der Präsident, als er Karl zu einem unüberwindlichen Schweigen entschlossen sah, es sei, wir werden Euch trotz Eures Stillschweigens richten. Ihr seid des Verrats, des Mißbrauchs der Gewalt und des Mordes angeklagt. Die Zeugen werden diese Anklage beglaubigen. Geht, und eine nächste Sitzung mag in Erfüllung bringen, was Ihr in dieser zu tun verweigert.

Karl stand auf und entfernte sich, seinen Wachen folgend, mit Parry, der entsetzlich bleich hinter ihm ging.

Links von der Tür glänzte in düsterem Schimmer auf einem roten Teppich das weiße Beil mit dem langen, von der Hand des Nachrichters geglätteten Stiele, das die Henker des Königs in unglaublicher grausamer Rohheit und um sich an des Königs erwarteter Angst zu werden, dort hatten hinlegen lassen.

Als Karl sich dem Tisch gegenüber befand, blieb er stehen, wandte sich um und sagte lächelnd: Ah! ah! das Beil! O wie geistreich und ganz würdig der Menschen, die nicht wissen, was ein Edelmann ist. Du machst mir nicht bange, Henkerbeil, fügte er bei und schlug darauf mit dem dünnen, biegsamen Rohr, das er in der Hand hielt, und ich schlage dich, in christlicher Geduld wartend, bis du es mir zurückgibst.

Mit königlicher Verachtung die Achseln zückend, setzte er sodann seinen Weg fort und verließ die verdutzte Masse, die sich um den Tisch gedrängt hatte, um das Gesicht des Königs zu sehen, wenn er dieses Beil erblicken würde, das seinen Kopf von seinem Leib trennen sollte.

Als der König zur Tür kam, sah er dort eine Volksmasse zusammengedrängt, die, da sie keinen Platz auf den Tribünen fand, wenigstens das Ende des Schauspiels genießen wollte, dessen interessantester Teil ihr entgangen war. Der Anblick dieser zahllosen Menge, in deren Reihen man nur drohende Gesichter erblickte, entriß dem König einen leichten Seufzer.

Wie viele Menschen, dachte er, und nicht ein ergebener Freund!

Als er aber diese Worte der Entmutigung und des Zweifels in seinem Innern sprach, antwortete eine Stimme in seiner Nähe: Heil der gefallenen Majestät!

Der König wandte sich mit Tränen in den Augen und im Herzen rasch um.

Es war ein alter Soldat von seinen Leibwachen, welcher den König nicht wollte vorübergehen lassen, ohne ihm diese letzte Huldigung darzubringen. Aber sofort mußte er sehen, wie man den Unglücklichen mit Schwertknopfschlägen bearbeitete.

Ach! sprach Karl, das ist eine schwere Strafe für einen sehr kleinen Fehler.

Mit beklommenem Herzen ging er weiter, hatte aber noch nicht hundert Schritte gemacht, als ein Wütender, sich zwischen zwei Soldaten vorbeugend, dem König ins Gesicht spuckte, wie einst ein schändlicher, verfluchter Jude dem Herrn Jesus von Nazareth ins Gesicht gespieen hatte.

Karl wischte sich das Gesicht ab und sagte mit einem traurigen Lächeln:

Der Unglückliche! für eine halbe Krone würde er dasselbe seinem Vater tun.

Gewaltiges Gelächter und finsteres Gemurmel erschollen gleichzeitig; die Menge zog sich zurück, drängte sich wieder herbei, wogte wie ein stürmisches Meer, und es war dem König, als sähe er mitten in der lebendigen Welle Athos‘ funkelnde Augen glänzen.

Der König hatte sich nicht getäuscht, er hatte wirklich Athos und seine Freunde gesehen, die mitten unter der Volksmenge den königlichen Märtyrer mit einem letzten Blick geleiteten.

Als der Soldat Karl begrüßte, zerschmolz Athos‘ Herz vor Freude, und der Unglückliche fand, als er wieder zu sich kam, in seiner Tasche zehn Guineen, die der französische Edelmann hatte hineingleiten lassen. Als jedoch der feige Beleidiger dem gefangenen König in das Gesicht spie, fuhr Athos mit der Hand an den Dolch.

Aber d’Artagnan hielt diese Hand zurück und sprach mit rauhem Tone:

Warte! und Athos hielt inne.

Sie folgten darauf dem Frechen, der ein Fleischergeselle zu sein schien, durch mehrere Gassen, worauf sie ihn stellten und Athos ihm in entsetzlichem Tone zurief: Du bist feig gewesen, du hast einen wehrlosen Mann beschimpft, du hast das Gesicht deines Königs befleckt, du mußt sterben!…

Porthos hob hierauf seinen furchtbaren Arm, ließ ihn wie den Stiel einer Schleuder durch die Luft pfeifen, und die gewichtige Masse fiel mit einem dumpfen Geräusch auf den Schädel des Feiglings, den sie zerschmetterte.

Der Kerl stürzte nieder wie der Ochs unter dem Hammer.

Whitehall

Das Parlament verurteilte, wie vorhergesehen, Karl Stuart zum Tode. Politische Gerichte sind beinahe immer leere Förmlichkeiten; denn dieselben Leidenschaften, welche die Anklage veranlassen, veranlassen auch die Verurteilung.

Obgleich unsere Freunde die Verurteilung erwarteten, so waren sie doch tief gebeugt darüber. D’Artagnan, dessen Geist nie mehr Hilfsquellen besaß, als in der äußersten Not, schwur abermals, er würde alles versuchen, um die Entwicklung dieser blutigen Tragödie zu verhindern; doch durch welche Mittel? Dies sah er noch nicht klar vor sich. Mittlerweile mußte man, um Zeit zu gewinnen, um jeden Preis verhindern, daß die Hinrichtung am zweiten Tag, wie dies die Richter beschlossen hatten, stattfand. Das einzige Mittel war, daß man den Henker von London entfernte; denn zum mindesten dauerte es einen Tag, bis man den Henker aus der nächsten Stadt holen ließ, und ein Tag bedeutet unter solchen Umständen vielleicht die Rettung. D’Artagnan übernahm dieses äußerst schwierige Geschäft.

Nicht minder wesentlich war es, Karl Stuart davon in Kenntnis zu setzen, daß man ihn zu retten versuchen wollte, damit er seine Verteidiger unterstützte oder wenigstens ihren Bemühungen nicht entgegenarbeitete. Aramis übernahm diesen gefährlichen Auftrag. Karl Stuart hatte verlangt, daß man dem Bischof Juxon erlauben sollte, ihn in seinem Gefängnis in Whitehall zu besuchen. Mordaunt war an demselben Abend bei dem Bischof erschienen, um ihm das religiöse Verlangen des Königs, sowie der Erlaubnis Cromwells zu eröffnen. Aramis beschloß, den Bischof durch Einschüchterung oder Überredung dahin zu bringen, daß er ihn an seiner Stelle und mit seinen priesterlichen Insignien angetan nach Whitehall gehen ließe. Athos übernahm es, für den Fall des Mißlingens oder des Gelingens die Mittel zur Abreise aus England in Bereitschaft zu halten.

Der Palast von Whitehall wurde durch drei Regimenter und besonders durch Cromwells beständige Sorge bewacht, der beständig kam und ging und jeden Augenblick seine Generäle und Agenten schickte.

Allein in seinem gewöhnlichen und von zwei Kerzen beleuchteten Zimmer, schaute der zum Tode verurteilte Monarch traurig auf den Luxus seiner vergangenen Größe, wie man in seiner letzten Stunde das Bild des Lebens glänzender und holder sieht, als je.

Parry hatte seinen Herrn nicht verlassen und seit seiner Verurteilung nicht aufgehört zu weinen.

Mit dem Ellbogen auf einen Tisch gestützt, betrachtete Karl Stuart ein Medaillon, auf dem die Porträts seiner Gemahlin und seiner Tochter nebeneinander waren. Er näherte das Porträt seinen Lippen und murmelte dabei nacheinander die Namen seiner Kinder. Manchmal war es ihm, als müsse dies alles nur ein böser Traum sein, dann wieder sehnte er sich nach dem versprochenen Priester und wünschte, dieser möchte ein Mann von edlem und großem Geist sein. Er erwartete zuerst Juxon und nach Juxon das Märtyrertum.

Es war eine nebelige, kalte Nacht. Die Glocke schlug langsam im Turme der benachbarten Kirche. Die bleiche Helle zweier Kerzen ließ in dem großen, hohen Gemach Phantome erscheinen, die von seltsamen Reflexen beleuchtet waren. Diese Phantome waren die Ahnen König Karls, die sich aus ihren goldenen Rahmen lösten. Die Reflexe rührten von dem letzten bleichen, spiegelnden Schimmer eines Kohlenfeuers her, das im Erlöschen begriffen war.

Eine unsägliche Traurigkeit bemächtigte sich des Königs. Er begrub seine Stirn in seinen Händen, dachte an die Welt, die so schön ist, wenn man sie verläßt, oder vielmehr wenn sie uns verläßt, an die Liebkosungen der Kinder, die so süß und zart sind, besonders wenn man von diesen Kindern getrennt ist, um sie nie mehr zu sehen, dann an seine Gattin, ein edles, mutiges Geschöpf, das ihn bis zu seinem letzten Augenblick unterstützt hatte.

Plötzlich schreckte ihn das Geräusch von Tritten auf, die Tür öffnete sich, Fackeln füllten das Gemach mit ihrem rauchigen Licht, und ein Geistlicher in bischöflichem Gewande trat ein, gefolgt von zwei Wachen, denen Karl mit der Hand ein gebieterisches Zeichen machte. Die zwei Wachen entfernten sich, das Gemach versank abermals in Dunkelheit.

Juxon! rief Karl. Juxon! ich danke, mein letzter Freund, Ihr kommt zu gelegener Zeit.

Der Bischof warf einen unruhigen Seitenblick auf den Menschen, der in einem Winkel des Kamins schluchzte.

Auf! Parry, sagte der König, weine nicht. Gott kommt zu uns.

Wenn es Parry ist, versetzte der Bischof, so habe ich nichts zu fürchten. Erlaubt mir also, Sire, Eure Majestät zu begrüßen und ihr zu sagen, wer ich bin und aus welchem Grund ich komme.

Bei diesem Anblick, bei dieser Stimme war Karl ohne Zweifel im Begriff zu rufen; aber Aramis legte den Finger auf die Lippen und verbeugte sich tief vor dem König von England.

Der Chevalier! murmelte Karl.

Ja, Sire, unterbrach ihn Aramis, die Stimme erhebend, ja, der Bischof Juxon, ein getreuer Ritter Christi, der sich den Wünschen Eurer Majestät fügt.

Karl faltete die Hände; er hatte Aramis erkannt, und eine tiefe Rührung ergriff ihn gegenüber diesen Fremdlingen, die ohne einen andern Grund, als eine Gewissenspflicht, so gegen den Willen eines Volkes und das Geschick eines Königs ankämpften.

Ihr seid es, sprach er, Ihr! Wie seid Ihr bis hierher gelangt? Mein Gott, Ihr wäret verloren, wenn sie Euch erkennen würden.

Denkt nicht an mich, Sire, sagte Aramis, dem König abermals durch eine Gebärde Stillschweigen empfehlend, denkt nur an Euch, Eure Freunde nahen. Was wir tun werden, weiß ich noch nicht; aber vier entschlossene Männer sind viel zu tun im stande. Schließt indessen das Auge nicht, erschreckt über nichts, seid auf alles gefaßt.

Karl schüttelte den Kopf und erwiderte: Freund, wißt Ihr, daß Ihr keine Zeit zu verlieren habt, daß Ihr Euch beeilen müßt, wenn Ihr handeln wollt? Wißt Ihr, daß ich morgen um zehn Uhr sterben soll?

Sire, es wird bis dahin etwas geschehen, was eine Hinrichtung unmöglich macht.

In demselben Augenblick vernahm man unter dem Fenster des Königs ein Geräusch, wie von einem Holzwagen, der abgeladen wird.

Hört Ihr? sprach der König. Auf dieses Geräusch folgte ein Schrei des Schmerzes.

Ein Schrei … ich weiß nicht, wer ihn ausstoßen konnte, aber das Geräusch will ich deuten, sagte der König. Wißt Ihr, daß ich vor diesem Fenster hingerichtet werden soll? fügte er bei, die Hand nach dem düstern, öden, nur von Soldaten und Schildwachen besetzten Platze ausstreckend.

Ja, Sire, ich weiß es.

Nun, das Holz, das man bringt, besteht aus den Balken und Brettern, aus denen mein Schafott errichtet werden soll. Es wird sich ein Arbeiter beim Abladen verwundet haben. Aramis bebte unwillkürlich.

Ihr seht, daß Ihr vergeblich auf Eurem Willen beharrt, sprach Karl; ich bin verurteilt, laßt mich meinen Tod erleiden! – Sire, antwortete Aramis, der seine einen Augenblick gestörte Ruhe wiedergewann, sie mögen ein Schafott errichten, aber sie können keinen Henker finden. – Was wollt Ihr damit sagen? – Daß der Henker zu dieser Stunde entführt ist; morgen wird das Blutgerüst bereit sein, aber der Henker wird fehlen, und man muß die Hinrichtung auf übermorgen verschieben. – Und dann? – Morgen in der Nacht retten wir Euch. – Ihr seid in der Tat wunderbare Menschen, sprach der König, und ich würde nicht daran geglaubt haben, wenn man mir solche Dinge erzählt hätte. – Nun hört mich an, Sire, sprach Aramis. Vergeht keinen Augenblick, daß wir für Euer Heil wachen; beobachtet alles, horcht auf alles, erklärt Euch alles, den geringsten Gesang, das kleinste Zeichen. – Oh! Chevalier, was soll ich Euch sagen? rief der König. Kein Wort, und käme es aus der tiefsten Tiefe meines Herzens, vermöchte meine Dankbarkeit auszudrücken.

Aramis wollte dem König die Hand küssen, aber der König ergriff die seinige und drückte sie an sein Herz.

Um jeden Verdacht zu vermeiden, entfernte sich Aramis bald; der König geleitete ihn bis zur Tür. Hier erteilte der Franzose aufs würdevollste den Segen, worauf er zum erzbischöflichen Palast zurückkehrte.

Juxon erwartete ihn voll Angst, doch Aramis beruhigte ihn mit den Worten: Alles ging gut; jeder hielt mich für Euch, und der König segnet Euch, bis Ihr ihn segnen werdet.

Aramis wechselte seine Kleider und verließ den Bischof. Kaum hatte er zehn Schritte auf der Straße gemacht, so bemerkte er einen verhüllten Menschen, der ihm folgte. Es war Porthos, der den Auftrag erhalten hatte, seinerseits Aramis bei seinem kühnen Unterfangen nach Kräften zu bewachen.

Beide eilten zum Gasthof, wo die vier Freunde sich um elf Uhr zu treffen verabredet hatten. Aramis und Porthos waren die ersten; nach ihnen kehrte Athos zurück.

Alles geht gut, sagte er, ehe seine Freunde Zeit hatten, ihn zu befragen.

Was habt Ihr getan? sprach Aramis.

Ich habe eine kleine Feluke gemietet, die so schmal ist wie eine Piroge und so leicht wie eine Schwalbe. Sie erwartet uns in Greenwich mit einem Patron und vier Mann, die gegen eine Bezahlung von fünfzig Pfund Sterling drei Nächte hintereinander zu unserer Verfügung sind. Einmal mit dem König an Bord, benutzen wir die Flut, fahren die Themse hinab und sind in zwei Stunden in offener See. Als wahre Piraten folgen wir sodann der Küste, verbergen uns an den unzugänglichen Ufern und steuern, wenn das Meer frei ist, nach Boulogne. Für den Fall, daß ich getötet würde, bemerke ich Euch,, daß der Patron des Schiffes Roger ist und daß die Feluke der Blitz heißt. Ein an den vier Enden geknüpftes Taschentuch ist das Erkennungszeichen.

Einen Augenblick nachher kam d’Artagnan ebenfalls.

Leert Eure Taschen, sagte er, bis die Summe von hundert Pfund Sterling voll ist; denn die meinigen (d’Artagnan kehrte seine Taschen um) sind ganz leer.

Die Summe war in der Sekunde beisammen. D’Artagnan ging hinaus und kehrte sogleich wieder zurück.

Das ist abgemacht, sagte er; aber es hat Mühe gekostet. – Der Henker hat London verlassen? fragte Athos. – Jawohl. Aber es war dies nicht sicher genug; er konnte zu einem Tor hinausgehen und zum andern wieder hereinkommen. – Wo ist er jetzt? sprach Athos. – Im Keller. – In welchem Keller? – Im Keller unseres Wirtes. Mousqueton sitzt auf der Schwelle, und hier ist der Schlüssel. – Bravo, sagte Aramis. Aber wie habt Ihr ihn vermocht, zu verschwinden? – Womit man alles in dieser Welt vermag, mit Geld. Es kostete mich viel, aber er willigte ein. – Wieviel hat es Euch gekostet, Freund? fragte Athos; denn Ihr begreift nun, da wir nicht mehr ganz arme Musketiere ohne Hab und Gut sind, müssen alle Ausgaben gemeinschaftlich sein.– Es hat mich zwölftausend Livres gekostet, erwiderte d’Artagnan. – Wo habt Ihr diese gefunden? Besaßet Ihr denn eine solche Summe? – Der berühmte Diamant der Königin, antwortete d’Artagnan mit einem Seufzer. – Mit dem Henker selbst ist also die Sache gut abgelaufen, sagte Athos; leider aber hat jeder Henker seinen Knecht, seinen Gehilfen, was weiß ich? – Dieser hatte auch einen; aber das Glück war uns günstig. – Wie dies? – In dem Augenblick, wo ich glaubte, ich hätte ein zweites Geschäft abzumachen, brachte man den Burschen mit gebrochenem Schenkel zurück. Aus übermäßigem Eifer begleitete er den Wagen, der die Bretter und Balken führte, bis unter die Fenster des Königs. Einer von diesen Balken fiel ihm auf das Bein und zerschmetterte es. – Ah, sprach Aramis, er hat also den Schrei ausgestoßen, den ich im Gemach des Königs vernahm. – Das ist wahrscheinlich, sagte d’Artagnan; da er aber ein Mensch von Überlegung ist, so versprach er bei seiner Entfernung, an seiner Stelle vier erfahrene, geschickte Arbeiter zu senden, um die andern zu unterstützen, und als er bei seinem Herrn angelangt war, schrieb er sogleich an Tom Lowe, einen ihm befreundeten Zimmermann, er möge sich zur Erfüllung seines Versprechens nach Whitehall begeben. Hier ist der Brief, den er durch einen Expressen abschickte, der ihn um zehn Pence besorgen sollte, aber um einen Louisd’or an mich verkaufte. – Was, zum Teufel, wollt Ihr mit dem Brief machen? sagte Athos. – Ihr erratet es nicht? versetzte d’Artagnan mit glänzenden Augen. – Bei meiner Seele, nein. – Wohl, mein lieber Athos, Ihr, der Englisch spricht wie John Bull, Ihr seid Meister Tom Lowe, und wir sind Eure drei Gesellen. Begreift Ihr es nun?

Athos stieß einen Schrei der Bewunderung und Freude aus, lief in ein Kabinett und nahm Arbeiterkleider, welche die vier Freunde alsbald anzogen, worauf sie, Athos mit einer Säge, Porthos mit einer Zange, Aramis mit einer Axt und d’Artagnan mit einem Hammer und Nägeln den Gasthof verließen.

Der Brief des Henkerknechtes diente bei dem Zimmermeister zur Beglaubigung, daß sie die Erwarteten seien.

Die Arbeiter

Gegen Mitternacht vernahm Karl ein starkes Geräusch unter seinem Fenster. An verschiedenartigen Tönen ließen sich Hammer und Axt, Zange und Säge unterscheiden. Er hatte sich ganz angekleidet auf sein Bett geworfen und fing an zu entschlummern, als ihn dieses Geräusch plötzlich erweckte, und da es außer seiner physischen Unannehmlichkeit ein furchtbares moralisches Echo in seiner Seele fand, so erfaßten ihn die gräßlichen Gedanken des vorhergehenden Tages abermals. Allein in der Finsternis und Einsamkeit, hatte er nicht die Kraft, diese neue Marter zu ertragen, und ließ durch Parry der Schildwache sagen, sie möge die Arbeiter bitten, minder stark zu klopfen und Mitleid mit dem letzten Schlafe dessen zu haben, der ihr König gewesen sei.

Die Schildwache wollte nicht von ihrem Posten gehen, ließ aber Parry hinaus.

Am Fenster bemerkte Parry auf gleicher Höhe mit dem Balkon, dessen Gitter man weggenommen hatte, ein breites Schafott, um das man schwarze Sarsche zu nageln anfing.

Dieses ungefähr zwanzig Fuß hohe Schafott hatte zwei innere Stockwerke. Parry suchte, so verhaßt ihm der Anblick war, unter den acht bis zehn Arbeitern, welche die unselige Maschine erbauten, die, deren Geräusch für den König am unangenehmsten sein mußte, und erblickte auf einem Brette zwei Männer, die mit Hilfe einer Brechstange die letzten Fischbänder des eisernen Balkons losmachten. Der eine derselben, ein wahrer Koloß, arbeitete wie ein römischer mauernbrechender Widder. Bei jedem Schlag seines Instrumentes flog der Stein in Stücke. Der andere war niedergekniet und zog die erschütterten Steine an sich. Diese machten offenbar den Lärm, über den sich der König beklagte.

Parry stieg auf die Leiter und sagte zu ihnen: Meine Freunde, wollt ein wenig stiller arbeiten. Ich bitte Euch, der König schläft, er bedarf des Schlafes.

Der Mensch, der mit der Brechstange arbeitete, hielt inne und wandte sich um. Weil er aber aufrecht stand, so konnte Parry sein Gesicht in der Finsternis nicht erkennen. Der Knieende aber wandte sich um, und da sein Gesicht von der Laterne beleuchtet wurde, so vermochte ihn Parry zu sehen. Dieser Mensch schaute ihn fest an und legte einen Finger an seinen Mund. Parry wich erstaunt zurück.

Es ist gut, es ist gut, sagte der Arbeiter in vortrefflichem Englisch, kehrt zurück und sagt dem König, wenn er heute nacht schlecht schlafe, so werde er morgen nacht desto besser schlafen.

Diese Worte, die, buchstäblich gedeutet, einen so furchtbaren Sinn hatten, wurden von den Zimmerleuten, die an den Seiten und dem inneren Gerüste arbeiteten, mit einem Ausbruche gräßlicher Freude aufgenommen.

Parry glaubte zu träumen und kehrte zurück. Karl erwartete ihn mit Ungeduld. Parry schloß die Tür, ging mit freudestrahlendem Gesicht auf den König zu und sagte leise: Sire, wißt Ihr, wer die Arbeiter sind, die ein solches Geräusch machen?

Nein, antwortete Karl, schwermütig das Haupt schüttelnd, wie soll ich es wissen? Kenne ich diese Menschen? – Sire, sagte Parry noch leiser und sich aus das Bett seines Gebieters neigend, Sire, es ist der Graf de la Fère und sein Freund. – Sie errichten mein Schafott? sprach der König erstaunt. – Ja, und während sie es errichten, machen sie ein Loch in die Mauer. – Still, versetzte der König, ängstlich um sich her schauend; du hast sie gesehen? – Ich habe mit ihnen gesprochen.

Der König faltete die Hände, schlug die Augen zum Himmel auf und verrichtete ein kurzes, inbrünstiges Gebet. Dann verließ er sein Bett und ging auf das Fenster zu, dessen Vorhänge er auf die Seite schob. Die Wachen des Balkons waren immer noch da; jenseit des Balkons aber breitete sich eine düstere Plattform aus, auf welcher Schatten umhergingen.

Karl vermochte nichts zu unterscheiden, aber er fühlte unter seinen Füßen die Erschütterung infolge der Schläge seiner Freunde. Und jeder dieser Schläge hallte in seinem Herzen wieder.

Parry hatte sich nicht getäuscht, er hatte Athos erkannt. Er war es wirklich, der, unterstützt von Porthos, ein Loch aushöhlte, in dem einer der Querbalken ruhen sollte.

Dieses Loch lief in eine unter dem Boden des königlichen Zimmers angebrachte Öffnung. War man einmal in dieser Öffnung, die einem sehr niedrigen Zwischenstock glich, so konnte man mittelst einer Brechstange und guter Schultern eine Platte des Bodens sprengen. Der König schlüpfte sodann durch die Öffnung, erreichte mit seinen Rettern eine der Abteilungen des ganz mit schwarzem Tuch bedeckten Schafotts, zog ebenfalls ein Arbeitergewand an, das man für ihn bereit hielt, und ging ganz furchtlos mit den vier Freunden hinab. Die Schildwachen, die, ohne irgend einen Verdacht zu haben, die Arbeiter vom Schafott kommen sahen, ließen sie vorübergehen. Die Feluke war, wie gesagt, bereit.

Dieser Plan war umfassend und zugleich einfach und leicht auszuführen.

Athos zerriß seine zarten, weißen Hände, um Steine herauszuheben, die von Porthos aus ihren Basen gebrochen wurden. Bereits konnte er den Kopf unter die Zieraten stecken, die den untern Kranz des Balkons schmückten. Noch zwei Stunden, und er brachte den ganzen Körper durch. Vor Tag sollte das Loch fertig sein und völlig unter den Falten einer innern Tapete verschwinden, die d’Artagnan zu legen hatte. D’Artagnan hatte sich für einen französischen Arbeiter ausgegeben und brachte die Nägel wie der geschickteste Tapezier an. Aramis schnitt das überflüssige der Sarsche ab, die bis zur Erde herabhing und hinter der sich das Blutgerüst erhob.

Der Tag erschien an den Gipfeln der Häuser. Ein großes Torf- und Kohlenfeuer hatte den Arbeitern über die kalte Nacht vom 29. auf den 30. Januar hinweggeholfen. Jeden Augenblick unterbrachen sich selbst die Eifrigsten bei der Arbeit, um sich am Feuer zu wärmen. Athos und Porthos allein hatten ihr Werk nicht verlassen. Beim ersten Schimmer des Tages war auch das Loch vollendet. Athos drang hinein und nahm dabei die in ein Stück schwarzer Sarsche gewickelten, für den König bestimmten Kleider mit. Porthos gab ihm seine Brechstange, und d’Artagnan nagelte innen eine Tapete von Sarsche an, hinter der das Loch und der, den es verbarg, verschwanden.

Athos brauchte nur noch zwei Stunden zu arbeiten, um sich mit dem König in Verbindung zu setzen, und nach der Voraussicht der vier Freunde hatten sie den ganzen Tag vor sich, da man in Ermangelung des Henkers von London den von Bristol holen mußte.

D’Artagnan legte sein kastanienbraunes Kleid wieder an, und Porthos nahm sein rotes Wams. Aramis begab sich zu Juxon, um womöglich mit ihm zu dem König zu gelangen. Alle drei sollten sich um die Mittagsstunde auf dem Whitehall-Platz zusammenfinden, um zu sehen, was vorginge.

Ehe Aramis das Schafott verließ, näherte er sich der Öffnung, wo Athos verborgen war, um ihm mitzuteilen, er wolle Karl zu sehen suchen.

Gott befohlen, also und guten Mut, sprach Athos; berichtet dem König, wie die Sachen stehen, sagt ihm, sobald er allein sei, möge er auf den Boden klopfen, damit ich meine Arbeit sicher fortsetzen kann. Wollte mir Parry vorher die innere Platte des Kamins, die ohne Zweifel aus Marmor ist, losmachen helfen, so wäre schon etwas geschehen. Ihr, Aramis, trachtet danach, den König nicht zu verlassen. Sprecht laut, sehr laut, denn man wird Euch von der Tür aus belauschen. Befindet sich eine Wache im Innern des Zimmers, so tötet sie, ohne Euch lange zu bedenken; sind zwei da, so mag Parry die eine töten, und Ihr fertigt die andere ab; sind es drei, so laßt Euch töten, aber rettet den König.

Seid unbesorgt, ich nehme zwei Dolche mit, um einen davon Parry zu geben. Eure Hand, denn vielleicht sehen wir uns nicht wieder.

Athos schlang seinen Arm um den Hals von Aramis, küßte ihn und sprach: Gehabt Euch wohl, Aramis. Sterbe ich, so sagt d’Artagnan, daß ich ihn liebe, wie mein Kind, und umarmt ihn in meinem Namen. Umarmt auch Porthos, unsern guten, braven Porthos. Gott befohlen.

Gott befohlen, erwiderte Aramis. Ich bin jetzt so fest überzeugt, daß der König entkommen wird, als ich überzeugt bin, daß ich in diesem Augenblick die redlichste Hand der Welt drücke.

Aramis verließ Athos, stieg ebenfalls von dem Schafott herab und kehrte, die Melodie eines Lobliedes auf Cromwell pfeifend, in das Hotel zurück. Er fand die zwei andern Freunde, die in der Nähe eines guten Feuers am Tische saßen, eine Flasche Portwein tranken und ein kaltes Huhn verzehrten. Porthos aß und stieß zugleich tausend Verwünschungen gegen die heillosen Parlamentsmitglieder aus. D’Artagnan saß stillschweigend da, baute aber in seinen Gedanken die kühnsten Pläne.

Aramis erzählte ihnen, was verabredet war. D’Artagnan billigte mit dem Kopfe, Porthos mit lauter Stimme.

Aramis aß schnell ein Stück Fleisch, trank ein Glas Wein und wechselte die Kleider.

Nun begebe ich mich zu Seiner Herrlichkeit, sagte er. Ihr haltet die Waffen bereit, Porthos. Überwacht Euern Henker gut, d’Artagnan.

Gleichviel; verdoppelt die Wachsamkeit und bleibt keinen Augenblick untätig.

Untätig, mein Lieber? fragte Porthos. Ich raste nicht, ich bin unablässig auf meinen Beinen, ich sehe aus wie ein Tänzer. Gottes Tod! wie liebe ich Frankreich in diesem Augenblick, und wie gut ist es, ein eigenes Vaterland zu haben, wenn man so schlimm im fremden Lande daran ist.

Aramis verließ sie, wie er Athos verlassen hatte, das heißt, indem er beide umarmte. Dann begab er sich zu dem Bischof Juxon und stellte ihm sein Verlangen vor. Juxon entschloß sich um so leichter, Aramis mitzunehmen, als man ihn bereits benachrichtigt hatte, man würde eines Priesters bedürfen für den Fall, daß der König das Abendmahl nehmen und eine Messe zu hören wünsche.

Im gleichen Ornat wie Aramis am vorhergehenden Tage, stieg der Bischof in seinen Wagen; mehr verkleidet durch seine Blässe und durch seine Traurigkeit, als durch sein Diakonengewand, stieg Aramis zu ihm ein. Der Wagen hielt vor dem Tor von Whitehall. Es war ungefähr neun Uhr morgens. Nichts schien verändert. Die Vorzimmer und Gänge waren, wie am Tage vorher, mit Wachen angefüllt. Zwei Schildwachen standen vor der Tür des Königs, zwei andere gingen vor dem Balkon auf der Plattform des Blutgerüstes auf und ab, auf dem man bereits den Block befestigt hatte.

Der König war voll Hoffnung; als er Aramis wiedersah, verwandelte sich diese Hoffnung in Freude. Er umarmte Juxon und drückte Aramis die Hand. Der Bischof sprach mit dem König absichtlich laut und vor aller Welt von ihrem gestrigen Zusammensein. Der König antwortete ihm, die Worte, die er ihm gesagt, hätten Frucht getragen, und er wünsche noch eine ähnliche Unterredung. Juxon wandte sich nach den Anwesenden um und bat sie, ihn mit dem König allein zu lassen.

Alle entfernten sich. Sobald die Tür wieder geschlossen war, sagte Aramis rasch: Sire, Ihr seid gerettet! Der Nachrichter von London ist verschwunden. Sein Gehilfe hat sich gestern unter den Fenstern Eurer Majestät den Schenkel gebrochen. Der Schrei, den wir hörten, rührte von ihm her. Ohne Zweifel hat man das Verschwinden des Henkers bereits wahrgenommen; doch es gibt erst in Bristol einen zweiten, und man braucht Zeit, um ihn zu holen. Wir haben also wenigstens 24 Stunden für uns.

Aber der Graf de la Fère? fragte der König.

Er befindet sich zwei Fuß unter Euch, Sire. Nehmt das Schüreisen von der Glutpfanne und klopft dreimal! Ihr werdet hören, daß man Euch antwortet.

Der König nahm mit zitternder Hand das Instrument und klopfte dreimal in gleichmäßigen Zwischenräumen. Sogleich erschollen, als Erwiderung des Signals, dumpfe, behutsame Schläge unter dem Boden.

Also der, welcher mir antwortet, … sagte der König.

Ist der Graf de la Fère, Sire, antwortete Aramis. Er bereitet den Weg, auf dem Eure Majestät zu fliehen im stände sein wird. Parry mag diese Marmorplatte aufheben, und der Gang ist völlig geöffnet.

Aber ich habe kein Werkzeug, sagte Parry.

Nehmt diesen Dolch, versetzte Aramis, nur hütet Euch, denselben zu sehr abzustumpfen, denn Ihr könntet seiner bedürfen, um etwas anderes auszuhöhlen, als den Stein.

Oh, Juxon, sprach Karl, sich gegen den Bischof umwendend und seine beiden Hände fassend, hört die Bitte dessen, der Euer König war.

Der es noch ist und immer sein wird, sprach Juxon, dem Fürsten die Hand küssend.

Betet Euer ganzes Leben für diesen Edelmann, den Ihr hier seht, für einen andern, den Ihr unter unsern Füßen hört, und für noch zwei, die irgendwo, ich bin es fest überzeugt, zu meinem Heile wachen.

Sire, antwortete Juxon, es soll geschehen. Jeden Tag, solange ich lebe, soll ein Gebet für die Eurer Majestät getreuen Seelen zum Himmel emporsteigen.

Der Gräber setzte noch einige Zeit seine Arbeit fort, die man immer näher kommen fühlte. Plötzlich aber erscholl ein unerwartetes Geräusch in der Galerie. Aramis ergriff das Schüreisen und gab das Signal zur Unterbrechung.

Das Geräusch von regelmäßigen Schritten näherte sich. Die vier Männer blieben unbeweglich. Aller Augen waren auf die Tür geheftet, die sich langsam und mit einer Art von Feierlichkeit öffnete.

Wachen waren in Reih und Glied im Vorzimmer des Königs aufgestellt. Schwarz gekleidet und mit einem Ernst von schlimmer Vorbedeutung trat ein Kommissar des Parlaments ein, grüßte den König, entrollte ein Pergament und las ihm seinen Spruch vor, wie man dies gewöhnlich bei den Verurteilten tut, die das Blutgerüst besteigen sollen.

Was soll das bedeuten? fragte Aramis den Bischof.

Juxon erwiderte ihm durch ein Zeichen, daß er ebensowenig wisse, als er.

Also heute? sagte der König mit einer nur für Juxon und Aramis bemerkbaren Bewegung.

Wart Ihr nicht davon in Kenntnis gesetzt, Sire, daß es heute geschehen sollte? fragte der Mann in dem schwarzen Gewande.

Und ich soll wie ein gemeiner Verbrecher von der Hand des Henkers von London sterben? sagte der König.

Der Henker von London ist verschwunden, Sire, antwortete der Kommissar des Parlaments; aber es hat sich ein Mensch statt seiner angeboten. Die Hinrichtung wird also nur um so viel Zeit verzögert werden, als Ihr fordert, um Eure zeitlichen und geistigen Angelegenheiten in Ordnung zu bringen.

Ein leichter, an Karls Haarwurzeln perlender Schweiß war die einzige Spur von Aufregung, die diese Mitteilung bei ihm hervorbrachte.

Aramis aber wurde leichenbleich. Sein Herz schlug nicht mehr. Er schloß die Augen und stützte seine Hand auf einen Tisch. Als Karl diesen tiefen Schmerz wahrnahm, schien er den seinigen zu vergessen.

Er ging auf ihn zu, nahm ihn bei der Hand, umarmte ihn und sprach mit sanftem, traurigem Lächeln: Auf, mein Freund, Mut gefaßt!

Dann sich gegen den Kommissar wendend, sagte er: Mein Herr, ich bin bereit und verlange nur zwei Dinge. Erstens, das Abendmahl zu nehmen, und dann, meine Kinder zu umarmen und ihnen das letzte Lebewohl zu sagen. Wird mir dies gestattet werden?

Ja, Sire, antwortete der Kommissar des Parlaments und entfernte sich.

Als Aramis sich wieder gefaßt hatte, preßte er sich die Nägel ins Fleisch. Ein furchtbarer Seufzer entstieg seiner Brust.

Oh, hochwürdiger Herr! rief er, Juxons Hände ergreifend, wo ist Gott? Wo ist Gott?

Mein Sohn, sprach der Bischof mit Festigkeit, Ihr seht Gott nicht, weil die Leidenschaften der Erde ihn verbergen.

Mein Sohn, sagte der König zu Aramis, verzweifle nicht. Du fragst, was Gott mache? Gott sieht deine Ergebenheit und mein Märtyrertum, und glaube mir, beides wird seine Belohnung finden. Halte dich also bei dem, was geschieht, an die Menschen und nicht an Gott. Die Menschen bewirken meinen Tod, die Menschen veranlassen deine Tränen.

Ja, Sire, erwiderte Aramis, Ihr habt recht, an die Menschen muß ich mich halten, und an sie werde ich mich auch halten.

Setzt Euch, Juxon, sprach der König niederknieend, Ihr habt mich noch zu hören, ich habe noch zu beichten. Bleibt, mein Herr, fügte er gegen Aramis bei, der eine Bewegung machte, um sich zurückzuziehen; bleibt auch Ihr, Parry, ich habe selbst bei den Geheimnissen der Beichte nichts zu sagen, was sich nicht vor aller Welt sagen ließe. Bleibt, ich bedaure nur, daß mich nicht die ganze Welt wie Ihr und mit Euch hören kann.

Juxon setzte sich, und der König begann, vor ihm knieend, wie der geringste Gläubige, seine Beichte.

Die Feder wirkt mehr als das Schwert

Ehe d’Artagnan wegritt, suchte er Aramis auf und sagte zu ihm: Mein lieber Aramis, Ihr seid ein echter Frondeur. Mißtraut also Athos, der in seiner Großmut für niemand und auch für sich selbst nicht sorgen will; mißtraut auch Porthos, der, um dem Grafen zu gefallen, den er über alles bewundert, diesem behilflich sein wird, daß Mazarin entkommt, wenn Mazarin nur gescheit genug ist, zu weinen oder den Ritterlichen zu spielen.

Aramis lächelte auf seine feine und zugleich entschlossene Weise.

Seid unbesorgt, erwiderte er, ich habe meine Bedingungen zu stellen. Ich arbeite nicht für mich, sondern für andere, und mein kleiner Ehrgeiz soll geziemenden Ortes Früchte tragen.

Gut, dachte d’Artagnan, von dieser Seite kann ich ruhig sein.

Er drückte Aramis die Hand und ging dann zu Porthos, der ihm versprach, sich vor Mazarins Glastür zu pflanzen, um ihn zu bewachen, und ihm beim ersten verdächtigen Schritt das Lebenslicht auszublasen.

Er drückte auch Porthos beruhigt die Hand und suchte Athos auf.

Mein lieber Athos, sprach er, ich reise und habe Euch nur eins zu sagen. Ihr kennt Anna von Österreich. Die Gefangenschaft des Herrn von Mazarin allein verbürgt mein Leben. Laßt Ihr ihn frei, so bin ich tot.

Dieser Gedanke allein, mein lieber d’Artagnan, kann mich zum Gewerbe eines Gefangenenwärters bestimmen. Ich gebe Euch mein Wort, daß Ihr den Kardinal finden werdet, wo Ihr ihn gelassen habt.

Das beruhigt mich mehr, als alle königlichen Unterschriften, dachte d’Artagnan. Nun, da ich Athos‘ Wort habe, kann ich reisen.

D’Artagnan reiste wirklich allein ab, ohne ein anderes Geleite, als sein Schwert, und mit einem einfachen Wort von Mazarin, um zu der Königin gelangen zu können. Sechs Stunden nach seiner Abreise von Pierrefonds befand er sich in Saint-Germain.

Mazarins Verschwinden war noch unbekannt; Anna von Österreich wußte allein davon und verbarg ihre Unruhe sogar vor ihren Vertrautesten. Man hatte in d’Artagnans Zimmer die zwei geknebelten und gebundenen Soldaten gefunden; man hatte ihnen sogleich wieder zu dem Gebrauche ihrer Glieder und ihrer Sprache verholfen, aber sie vermochten nichts anderes zu sagen, als was sie wußten, das heißt, wie sie geangelt, gebunden und ausgezogen worden waren. Was jedoch Porthos und d’Artagnan später gemacht hatten, das wußten sie ebensowenig, als die andern Bewohner des Schlosses.

Bernouin allein wußte ein wenig mehr, als die andern. Als Bernouin seinen Herrn nicht mehr zurückkommen sah und die Mitternachtsstunde schlagen hörte, wagte er es, in die Orangerie zu dringen. Daß er die erste Tür mit allerlei Geräte verrammelt fand, erregte bereits Verdacht bei ihm; aber er wollte diesen Verdacht niemand mitteilen und brach sich geduldig Bahn. Da gelangte er in den Gang, dessen Türen er insgesamt offen fand. Ebenso war es mit der Türe von Athos und der Parktüre. Von hier aus konnte er leicht den Tritten auf dem Schnee folgen, und er sah, daß sie nach der Mauer zu gingen; auf der andern Seite fand er dieselbe Spur, sodann Tritte von Pferden und endlich die Spuren einer ganzen Reitertruppe, die sich in der Richtung von Enghien entfernt hatte. Nun blieb ihm kein Zweifel mehr, daß die drei Gefangenen den Kardinal entführt hatten, da diese Gefangenen mit ihm verschwunden waren, und er lief deshalb nach Saint-Germain, um die Königin zu benachrichtigen.

Anna von Österreich empfahl ihm Stillschweigen, und Bernouin beobachtete dieses gewissenhaft; sie ließ nur den Prinzen kommen, dem sie alles sagte, und der Prinz schickte sogleich fünf- bis sechshundert Reiter ins Feld, mit dem Befehl, die ganze Umgegend zu durchsuchen und jede verdächtige Truppe, die sich von Rueil entfernen würde, nach Saint-Germain zurückzubringen.

Als d’Artagnan in den Hof des alten Schlosses gelangte, war die erste Person, die er erblickte, Bernouin, der auf der Schwelle stand und Nachrichten von seinem verschwundenen Herrn erwartete.

Beim Anblick d’Artagnans, der zu Pferd in dem Ehrenhof erschien, rieb sich Bernouin die Augen, denn er glaubte sich zu täuschen. Aber d’Artagnan nickte ihm freundlich zu, stieg ab, warf den Zügel seines Pferdes einem vorübergehenden Lakaien zu und ging, mit einem Lächeln auf den Lippen, zu dem Kammerdiener.

Herr d’Artagnan! rief dieser, wie ein vom Alp geplagter Mensch, der im Schlafe spricht; Herr d’Artagnan! – Er selbst, Herr Bernouin. – Und was wollt Ihr hier, gnädiger Herr? – Nachrichten von Herrn von Mazarin bringen, und zwar die allerneuesten. – Was ist denn mit ihm geschehen? – Er befindet sich wie Ihr und ich. – Es ist ihm also nichts Unangenehmes widerfahren? – Durchaus nichts. Er hat nur das Bedürfnis gefühlt, einen kleinen Ausflug in der Umgegend von Paris zu machen, und da hat er uns, den Herrn Grafen de la Fère, Herrn du Vallon und mich, gebeten, ihn zu begleiten. Wir sind gestern abend hier abgereist, und nun bin ich hier. – Ihr seid hier. – Seine Eminenz hat Ihrer Majestät etwas sagen zu lassen, eine geheime Mission, die nur einem zuverlässigen Manne anvertraut werden konnte, und so schickte er mich nach Saint-Germain. Wenn Ihr Eurem Gebieter etwas Angenehmes erweisen wollt, mein lieber Herr Bernouin, so habt die Güte, Ihrer Majestät meine Ankunft und den Zweck derselben zu melden.

D’Artagnan näherte sich seiner Fürstin mit allen Zeichen der tiefsten Ehrfurcht. Drei Schritte vor ihr ließ er sich auf ein Knie nieder und überreichte ihr Mazarins Brief, der aber nichts als eine Beglaubigung des Boten enthielt.

Sie fragte daher d’Artagnan, der ihr alles mit der naiven, einfältigen Miene erzählte, die er unter gewissen Umständen so geschickt anzunehmen wußte.

Die Königin betrachtete ihn, während er sprach, mit wachsendem Erstaunen; sie begriff nicht, wie ein Mensch ein solches Unternehmen wagen konnte, und noch viel weniger, daß er die Kühnheit hatte, es der zu erzählen, deren Interesse und beinahe Pflicht es war, Strafe dafür zu verhängen.

Wie, mein Herr, rief die Königin, rot vor Entrüstung, als d’Artagnan seinen Bericht vollendet hatte, Ihr wagt es, mir Euer Verbrechen zu gestehen, Euern Verrat zu erzählen!

Verzeiht, Madame, es scheint mir, ich habe mich entweder schlecht ausgedrückt, oder Eure Majestät hat mich schlecht verstanden; es ist hier weder von einem Verbrechen, noch von einem Verrat die Rede. Herr von Mazarin hielt Herrn du Vallon und mich gefangen, weil wir nicht glauben konnten, er habe uns nach England geschickt, um dem König Karl I., dem Schwager des seligen Königs, Eures Gemahls, dem Gatten Eurer Schwägerin, ruhig den Hals abschneiden zu sehen, und weil wir alles taten, was in unsern Kräften lag, um dem königlichen Märtyrer das Leben zu retten. Wir, mein Freund und ich, waren also überzeugt, es müsse hier ein Irrtum obwalten, dessen Opfer wir seien, und eine Erklärung zwischen uns und Seiner Eminenz erschien uns unerläßlich. Soll aber eine Erklärung fruchtbar sein, so muß sie ruhig, fern vom Geräusch und von allen überzähligen Leuten stattfinden. Wir haben demzufolge den Herrn Kardinal in das Schloß meines Freundes geführt und uns dort gegenseitig erklärt. Was wir vorhergesehen hatten, erwies sich als wahr: es waltete ein Irrtum ob. Herr von Mazarin war der Meinung, wir hätten dem General Cromwell gedient, statt König Karl zu dienen, was eine Schande gewesen wäre, die sich von uns auf ihn, von ihm auf Eure Majestät übertragen hätte, eine Niederträchtigkeit, welche das Königtum Eures erhabenen Sohnes an seinem Stamm befleckt haben würde. Wir haben ihm aber nun den Beweis vom Gegenteil gegeben. Dieser Beweis befriedigte ihn so, daß er mich zum Zeichen seiner Zufriedenheit hierher geschickt hat, um mit Euch über die Entschädigung zu sprechen, die man Edelleuten schuldig ist, die schlecht beurteilt und mit Unrecht verfolgt worden sind.

Ich höre und bewundere Euch, mein Herr, erwiderte Anna von Österreich. In der Tat, ich habe selten eine so maßlose Unverschämtheit gesehen.

Ah! nun täuscht sich Eure Majestät ebenfalls über unsere Absichten, wie dies bei Herrn von Mazarin der Fall gewesen ist, sprach d’Artagnan,

Ihr seid in einem Irrtum befangen, mein Herr, entgegnete die Königin; ich täusche mich so wenig, daß Ihr in zehn Minuten verhaftet seid, und daß ich in einer Stunde aufbreche, um meinen Minister an der Spitze meines Heeres zu befreien.

Ich bin fest überzeugt, daß Eure Majestät keine solche Unklugheit begehen wird, sagte d’Artagnan. Ehe der Herr Kardinal befreit würde, wäre er tot, und Seine Eminenz ist von der Wahrheit dessen, was ich sage, so fest überzeugt, daß sie mich im Gegenteil gebeten hat, falls ich einen solchen Willen bei Eurer Majestät wahrnehmen sollte, alles zu tun, was ich vermöchte, um dieselbe von ihrem Vorhaben abzubringen.

Wohl, so werde ich mich begnügen, Euch verhaften zu lassen.

Ebensowenig, Madame, denn für den Fall meiner Verhaftung ist vorhergesehen, wie für die Befreiung des Kardinals. Wenn ich morgen zu einer bestimmten Stunde nicht zurückgekehrt bin, so wird der Herr Kardinal übermorgen früh nach Paris geführt.

Ich glaube, sagte Anna von Österreich, auf d’Artagnan einen furchtbaren Blick werfend, Ihr bedroht die Mutter Eures Königs!

Madame, ich drohe, weil man mich dazu nötigt. Glaubt mir aber, Madame, so wahr ein Herz in dieser Brust schlägt, Ihr seid das beständige Idol unseres Lebens gewesen, das wir, wie Ihr wohl wißt, zwanzigmal für Eure Majestät gewagt haben. Schaut mich an, mich, der zu Euch spricht, mich, den Ihr anklagt, daß er die Stimme erhebe und einen drohenden Ton annehme. Was bin ich? Ein armer Offizier ohne Vermögen, ohne Schutz, ohne Zukunft, wenn der Blick meiner Königin, den ich so lange gesucht habe, nicht eine Minute lang auf mir weilt. Schaut den Grafen de la Fère an, dieses Musterbild des Adels, diese Blume der Ritterschaft; er hat gegen seine Königin Partei genommen, oder nein, er hat Partei gegen ihren Minister ergriffen, und er fordert für sich nicht das geringste. Schaut Herrn du Vallon an, diesen treuen Freund, diesen stählernen Arm; seit zwanzig Jahren erwartet er aus Eurem Munde ein Wort, das mittels eines Wappens aus ihm machen soll, was er vermöge seiner Gesinnungen und Tapferkeit längst ist. Seht endlich Euer Volk an, das wohl etwas für eine Königin bedeutet; Euer Volk, das Euch liebt und dennoch leidet; das Ihr liebt, und das dennoch Hunger hat; das nichts anderes verlangt, als Euch zu segnen, und das Euch dennoch … Nein, ich habe unrecht; Euer Volk wird Euch nie fluchen, Madame. Sagt ein Wort, und alles ist abgetan. Der Friede folgt auf den Krieg, die Freude auf die Tränen, das Glück auf das Ungemach.

Anna von Österreich betrachtete mit einem gewissen Erstaunen das martialische Gesicht d’Artagnans, auf dem ein seltsamer Ausdruck von Rührung zu lesen stand.

Warum habt Ihr dies alles nicht gesagt, ehe Ihr handeltet? entgegnete sie.

Weil wir Eurer Majestät etwas zu beweisen hatten, woran sie zu zweifeln schien; daß wir nämlich noch etwas Mut besitzen, und daß es billig ist, uns einigen Wert beizumessen.

Und dieser Mut würde vor nichts zurückweichen, wie ich sehe? erwiderte Anna von Österreich.

Er ist in vergangenen Zeiten vor nichts zurückgewichen, warum sollte er dies in der Zukunft tun?

Und dieser Mut würde im Fall einer Weigerung und folglich im Fall eines Kampfes sogar mich aus der Mitte meines Hofes entführen, um mich der Fronde auszuliefern, wie Ihr meinen Minister ausliefern wollt?

Wir haben nie daran gedacht, Madame; hätten wir es aber unter uns vieren beschlossen, so würden wir es sicherlich auch ausführen.

Ich mußte es wissen, murmelte Anna von Österreich; es sind eherne Männer.

Ah! Madame, sprach d’Artagnan, das beweist mir, daß Eure Majestät nicht erst seit heute einen richtigen Begriff von uns hat.

Gut, sagte Anna, wo ist der Vertrag?

Hier.

Anna von Österreich warf ihre Augen auf den Vertrag, den ihr d’Artagnan hinreichte.

Ich sehe hier nur die allgemeinen Bedingungen, sagte sie. Die Interessen des Herrn von Conti, des Herrn von Bouillon, des Herrn von Elboeuf und des Koadjutors sind festgesetzt, aber die Eurigen?

Wir überschätzen uns nicht, Madame. Wir wollten unsere Namen nicht auf einen Staatsvertrag setzen.

Aber ich denke, Ihr habt nicht darauf verzichtet, mir Eure Ansprüche mündlich vorzutragen.

Ich glaube, daß Ihr eine große und mächtige Königin seid, Madame, und daß es Eurer Größe und Macht unwürdig wäre, diejenigen nicht auf geziemende Weise zu belohnen, die Seine Eminenz nach Saint-Germain zurückbringen werden.

Das ist meine Absicht, erwiderte die Königin; sprecht, laßt hören.

Der, welcher in der Angelegenheit unterhandelte, muß, wenn die Belohnung nicht unter Eurer Majestät stehen soll, Chef der Garden, etwa Oberst der Musketiere werden.

Was Ihr da verlangt, ist die Stelle des Herrn von Treville.

Die Stelle ist erledigt, Madame, und seit einem Jahr, seit Herr von Treville quittiert hat, nicht wiederbesetzt worden.

Aber es ist eines der ersten militärischen Ämter des königlichen Hauses.

Herr von Treville war ein einfacher Junker aus der Gascogne, wie ich, Madame, und hat diese Stelle seit zwanzig Jahren inne.

Ihr habt auf alles eine Antwort, mein Herr, sprach Anna von Österreich.

Und sie nahm von einem Schreibtisch ein Patent, das sie ausfüllte und unterzeichnete.

Aber dies genügte dem Klugen, der den Wechsel der Hofgunst kannte, noch nicht. Er bestand auf einer sicheren runden Summe, und die Königin unterzeichnete nach einigem Sträuben eine Anweisung auf hunderttausend Taler.

Ebenso genehmigte die Königin die Baronie für Porthos und die Forderungen Aramis‘. Athos wollte sie, da er nichts verlangte, dadurch ehren, daß sie Raoul ein Regiment gab.

Noch immer sträubte sie sich aber, die Unterschrift des Vertrages mit den Parisern zu vollziehen; auch diese, die sie auf den nächsten Tag verschieben wollte, rang ihr der schlaue Gascogner endlich ab.

Aber kaum hatte sie unterzeichnet, als der Stolz wie ein Sturm in ihr losbrach und sie zu weinen anfing.

D’Artagnan schauerte, als er diese Tränen sah. In jener Zeit weinten die Königinnen wie einfache Frauen.

Der Gascogner schüttelte den Kopf. Diese königlichen Tränen schienen ihn auf dem Herzen zu brennen.

Madame, sagte er niederknieend, schaut den unglücklichen Edelmann an, der zu Euern Füßen liegt; er bittet Euch, zu glauben, daß ihm an Eurem Wohlgefallen alles liegt. Zum Beweise soll Eure Majestät Herrn von Mazarin ohne Bedingungen zurücknehmen. Nehmt, Madame, hier sind die heiligen Unterschriften Eurer Majestät zurück; Ihr seid zu nichts mehr verbunden.

Es gibt Augenblicke, wo in den trockensten und kältesten Herzen ein edles Gefühl keimt. Anna von Österreich hatte einen dieser Augenblicke. D’Artagnan hatte, von seiner eigenen Gemütsbewegung hingerissen, die mit der der Königin im Einklang stand, ein diplomatisches Meisterstück getan.

Ihr hattet recht, mein Herr, sprach Anna, ich verkannte Euch. Hier sind die unterzeichneten Urkunden, die ich Euch aus freiem Antrieb zurückgebe; geht und bringt uns so schnell als möglich den Kardinal zurück.

Madame, sprach d’Artagnan, vor zwanzig Jahren, mein gutes Gedächtnis erinnert mich daran, habe ich die Ehre gehabt, hinter einem Vorhang des Stadthauses eine dieser schönen Hände zu küssen.

Hier ist die andere, sagte die Königin, und damit die linke nicht minder freigebig sei, als die rechte, – sie zog von ihrem Finger einen dem ersten ähnlichen Diamanten – nehmt und behaltet diesen Ring zum Andenken an mich.

Madame, sprach d’Artagnan sich erhebend, ich habe nur noch einen einzigen Wunsch, nämlich, daß das erste, was Ihr von mir verlangt, mein Leben sein möge.

Und d’Artagnan entfernte sich mit der ihm eigenen edlen Haltung.

Ich habe diese Männer verkannt, sagte Anna von Österreich, d’Artagnan nachschauend, und nun ist es für mich zu spät, sie zu benutzen, denn in einem Jahr ist der König volljährig.

Fünfzehn Stunden nachher brachten d’Artagnan und Porthos Herrn von Mazarin der Königin zurück und erhielten der eine sein Patent als Kapitän-Leutnant, der andere sein Diplom als Baron.

Nun, seid ihr zufrieden? fragte Anna von Österreich.

D’Artagnan verbeugte sich, Porthos drehte sein Diplom zwischen den Fingern hin und her und schaute Mazarin an.

Was gibt es denn noch? fragte der Minister. – Monseigneur, es ist von dem Versprechen eines Ordens bei der ersten Beförderung die Rede gewesen. – Ihr wißt, Herr Baron, daß man nicht Ritter des Ordens sein kann, ohne seine Proben abzulegen, entgegnete Mazarin. – Oh! rief Porthos, ich habe das blaue Band nicht für mich verlangt. – Für wen denn? fragte Mazarin. – Für meinen Freund, den Grafen de la Fère. – Ah! für ihn, sprach die Königin; das ist etwas anderes, die Proben sind abgelegt. – Er wird ihn haben? – Er hat ihn.

An demselben Tag wurde der Vertrag von Paris unterzeichnet, und man machte überall bekannt, der Kardinal habe sich drei Tage lang eingeschlossen, um ihn sorgfältiger auszuarbeiten.

Der Vertrag befriedigte die Wünsche fast aller frondierenden Großen; nur der Koadjutor erhielt nichts; man versprach ihm wohl, in Betreff seines Kardinalshutes mit dem Papst zu verhandeln, aber er wußte, was man von solchen Versprechungen zu halten hatte, wenn sie von der Königin und Herrn von Mazarin kamen.

Als sich ganz Paris über die auf den folgenden Tag bestimmte Rückkehr des Königs freute, war daher Herr von Gondi allein inmitten der allgemeinen Heiterkeit so schlechter Laune, daß er sogleich zwei Männer rufen ließ, die er, sobald er sich in dieser Stimmung befand, rufen zu lassen pflegte.

Diese zwei Männer waren der Graf von Rochefort und der Bettler von Saint-Eustache.

Sie erschienen mit ihrer gewöhnlichen Pünktlichkeit, und der Koadjutor brachte einen Teil der Nacht mit ihnen zu.

Die Rückkehr nach Paris

Während d’Artagnan und Porthos den Kardinal nach Saint-Germain führten, waren Athos und Aramis, welche dieselben in Saint-Denis verlassen hatten, nach Paris zurückgekehrt.

Jeder von ihnen hatte seinen Besuch zu machen.

Kaum hatte Aramis seine Reiterkleider abgelegt, so eilte er in das Stadthaus, wo sich Frau von Longueville befand. Bei der ersten Kunde vom Frieden stieß die schöne Herzogin eine laute Verwünschung aus. Der Krieg machte sie zur Königin, der Frieden führte ihre Abdankung herbei. Sie erklärte, daß sie nie den Vertrag unterzeichnen würde und den Krieg nie aufhören lassen wollte.

Als ihr jedoch Aramis diesen Frieden in seinem wahren Lichte, nämlich mit seinen Vorteilen dargestellt, als er ihr statt ihres zweifelhaften und bestrittenen Königtums von Paris das Vizekönigtum der ganzen Normandie vorhielt, als er die vom Kardinal versprochenen fünfmalhunderttausend Franken an ihren Ohren klingeln und vor ihren Augen die Ehre glänzen ließ, die ihr der König erwies, indem er ihr Kind über die Taufe hob, da protestierte Frau von Longueville nur noch infolge der Gewohnheit, zu protestieren, welche die hübschen Frauen an sich haben, und verteidigte sich nur, um sich zu ergeben.

Aramis stellte sich, als glaube er an die Wahrheit ihres Widerstandes, und wollte sich in seinen eigenen Augen das Verdienst nicht nehmen, sie überredet zu haben.

Madame, sagte er zu ihr, Ihr wolltet einmal den Herrn Prinzen, Euern Bruder, den größten Feldherrn unserer Zeit, tüchtig klopfen, und wenn die Frauen von Genie einmal etwas wollen, so gelingt es ihnen immer. Es ist Euch gelungen; der Herr Prinz ist geschlagen, da er nicht mehr Krieg führen kann. Nun zieht ihn auf unsere Partei herüber, macht ihn ganz sacht von der Königin los, die er nicht liebt, und von Herrn von Mazarin, den er verachtet. Die Fronde ist eine Komödie, von der wir bis jetzt nur den ersten Akt gespielt haben. Wir wollen sehen, wie es Mazarin im zweiten Akte, von dem Tage ab, wo der Herr Prinz infolge Eures Zuredens sich gegen den Hof gewendet haben wird, gehen wird.

Frau von Longueville ließ sich überreden. Diese herzogliche Frondeuse war so fest von der Gewalt ihrer schönen Augen überzeugt, daß sie durchaus nicht an ihrem Einflüsse sogar auf Herrn von Condé zweifelte, und die Skandalchronik jener Zeit sagt, sie habe sich nicht zu viel zugetraut.

Als Athos seinen Freund Aramis auf der Place-Royale verließ, begab er sich zu Frau von Chevreuse. Hier war abermals eine Frondeuse zu überreden; aber diese war schwerer zu besiegen, als ihre junge Rivalin. Man hatte keine Bedingung zu ihren Gunsten festgesetzt. Herr von Chevreuse war nicht zum Gouverneur irgend einer Provinz ernannt worden, und wenn die Königin sich herbeiließ, Patin zu werden, so konnte es nur bei ihrem Enkel oder ihrer Enkelin sein.

Beim ersten Wort vom Frieden runzelte also Frau von Chevreuse die Stirne, und trotz aller Logik von Athos, der ihr zu beweisen suchte, daß ein längerer Krieg unmöglich sei, bestand sie auf Fortsetzung der Feindseligkeiten.

Schöne Freundin, sprach Athos, erlaubt mir, Euch zu bemerken, daß alle des Krieges müde sind, daß, Euch und den Koadjutor vielleicht ausgenommen, jeder den Frieden wünscht. Ihr werdet machen, daß man Euch verbannt, wie zur Zeit des Königs Ludwig XIII. Glaubt mir, wir haben das Alter der Erfolge in der Intrigue hinter uns, und Eure schönen Augen sind nicht dazu bestimmt, in Tränen über Paris zu erlöschen, wo es stets zwei Königinnen geben wird, solange Ihr da seid.

Oh, sagte die Herzogin, ich kann den Krieg nicht allein führen, aber ich kann mich an dieser undankbaren Königin und an dem ehrgeizigen Günstling rächen, und so wahr ich Herzogin bin, ich werde mich rächen!

Madame, sprach Athos, ich bitte Euch dringend, bereitet Herrn von Bragelonne keine schlimme Zukunft. Er ist in die Welt getreten, der Prinz will ihm wohl, er ist jung, lassen wir ihn bei dem jungen König seinen Platz einnehmen. Ach, entschuldigt meine Schwäche, Madame; es kommt ein Augenblick, wo der Mensch in seinen Kindern wieder auflebt und jung wird.

Die Herzogin lächelte halb zärtlich, halb ironisch.

Graf, sagte sie, Ihr seid, muß ich fürchten, für die Partei des Hofes gewonnen. Habt Ihr nicht irgend ein blaues Band in Eurer Tasche?

Ja, Madame, sprach Athos, ich habe den Hosenbandorden, den mir der König Karl einige Tage vor seinem Tod gegeben hat.

Der Graf sprach die Wahrheit. Er wußte nichts von der Bitte Porthos‘, und es war ihm nicht bekannt, daß er noch einen andern Orden hatte, als diesen.

Ei nun, man muß sich darein finden, schließlich alt zu werden, sprach die Herzogin träumerisch.

Athos nahm ihre Hand und küßte sie. Sie seufzte und schaute ihn an.

Graf, sagte sie, Bragelonne muß ein reizender Aufenthalt sein. Ihr seid ein Mann von Geschmack, Ihr müßt Wasser, Wald, Blumen haben.

Sie seufzte abermals und stützte ihren reizenden Kopf auf ihre kokett zurückgebogene und in Bezug auf Form und Weiße immer noch bewundernswürdig hübsche Hand.

Madame, erwiderte der Graf, was sagtet Ihr soeben? Nie habe ich Euch so jung, nie habe ich Euch so schön gesehen.

Die Herzogin schüttelte den Kopf und sprach:

Bleibt Herr von Bragelonne in Paris? – Was denkt Ihr davon? fragte Athos. – Laßt ihn mir, versetzte die Herzogin. – Nein, Madame, wenn Ihr die Geschichte von Ödipus vergessen habt, so erinnere ich mich derselben. – In der Tat, Graf, Ihr seid sehr artig, und ich würde gern einen Monat in Bragelonne leben. – Fürchtet Ihr nicht, mir viele Neider zuzuziehen, Herzogin? erwiderte Athos. – Nein, ich werde inkognito reisen, Graf, unter dem Namen Marie Michon. – Ihr seid anbetungswürdig, Madame. – Aber laßt Raoul nicht bei Euch. – Warum dies? – Weil er verliebt ist. – Er, ein Kind? – Er liebt auch ein Kind.

Athos wurde träumerisch.

Ihr habt recht, Herzogin; diese seltsame Liebe für ein Kind kann ihn eines Tages sehr unglücklich machen. In Flandern wird’s einen Feldzug geben, und er soll dahin gehen.

Bei seiner Rückkehr schickt Ihr ihn mir, und ich werde ihn gegen die Liebe panzern.

Ach! Madame, sprach Athos, heutzutage ist die Liebe wie der Krieg, und der Panzer ist nutzlos geworden.

In diesem Augenblick trat Raoul ein. Er meldete dem Grafen und der Herzogin, der Graf von Guiche, sein Freund, habe ihm mitgeteilt, am nächsten Tag werde der feierliche Einzug des Königs, der Königin und des Ministers stattfinden. Am andern Morgen bei Tagesanbruch traf der Hof feierlich alle Vorkehrungen, um Saint-Germain zu verlassen.

Die Königin hatte schon am Abend vorher d’Artagnan kommen lassen.

Mein Herr, sagte sie zu ihm, man versichert mir, Paris sei nicht ruhig. Mir ist bange für den König; stellt Euch an den Kutschenschlag rechts.

Eure Majestät mag unbesorgt sein, erwiderte d’Artagnan, ich stehe für den König.

Und sich vor der Königin verbeugend, trat er ab.

Als d’Artagnan die Königin verließ, sagte ihm Bernouin, der Kardinal erwarte ihn in wichtigen Angelegenheiten.

Er begab sich sogleich zum Kardinal.

Mein Herr, sagte Mazarin, man spricht von einer Meuterei in Paris. Ich werde links vom König sitzen, und da ich hauptsächlich bedroht bin, so haltet Euch am Kutschenschlage links.

Eure Eminenz beruhige sich, erwiderte d’Artagnan, man wird kein Haar von ihrem Haupte berühren.

Teufel! murmelte er, als er im Vorzimmer war, wie soll ich mich da herausziehen? Ich kann nicht zugleich am Kutschenschlage links und an dem rechts sein. Ah, bah! ich bewache den König, und Porthos bewacht den Kardinal.

Diese Anordnung befriedigte alle, was ziemlich selten vorkommt. Die Königin hatte Zutrauen zu dem Mute d’Artagnans, den sie kannte, und Mazarin zu der Tapferkeit Porthos‘, die er erprobt hatte.

Der Zug setzte sich nach Paris in einer zuvor bestimmten Folge in Bewegung. Guitaut und Comminges marschierten an der Spitze der Garden voraus. Dann kam der königliche Wagen; an einem Schlage ritt d’Artagnan, am andern Porthos. Hierauf folgten die Musketiere, die alten Freunde d’Artagnans seit zweiundzwanzig Jahren.

Als man an die Barriere gelangte, wurde der Wagen von einem gewaltigen: Es lebe der König! Es lebe die Königin! begrüßt. Einige Rufe: Es lebe Mazarin! mischten sich darein, fanden aber kein Echo.

Man begab sich nach Notre-Dame, wo das Tedeum gesungen werden sollte.

Die ganze Bevölkerung von Paris war auf den Straßen. Man hatte die Schweizer am Wege als Spaliere aufgestellt. Da aber der Weg lang war, so standen sie immer auf sechs bis acht Schritte Entfernung voneinander und nur einen Mann hoch. Der Wall war also durchaus ungenügend, und von Zeit zu Zeit hatte der Damm, von einer Volkswoge durchbrochen, die größte Mühe, sich wiederherzustellen.

Bei jedem Durchbruch, so wohlwollend er auch war, denn er rührte von dem Verlangen der Pariser her, ihren König und ihre Königin wiederzusehen, deren sie seit einem Jahre beraubt gewesen waren, schaute Anna von Österreich d’Artagnan besorgt an; dieser aber beruhigte sie mit einem Lächeln.

Mazarin, der um einige Lebehochrufe auf sich selbst wohl tausend Louisd’or ausgegeben und die Rufe, die er gehört, nicht zu zwanzig Pistolen angeschlagen hatte, schaute Porthos ebenfalls unruhig an; aber der riesige Garde antwortete auf diesen Blick mit einer so schönen Baßstimme: Seid unbesorgt, Monseigneur! daß sich Mazarin beruhigte.

Als man zum Palais-Royal gelangte, fand man die Volksmenge immer zahlreicher. Sie war durch alle anliegenden Straßen auf diesen Platz geströmt, und man sah die ganze Masse wie einen breiten, aufgeregten Strom dem Wagen entgegenkommen und sich stürmisch in die Rue Saint-Honoré wälzen.

Als man den Platz erreichte, erschollen mächtige Rufe: Es leben Ihre Majestäten! Mazarin legte sich aus dem Kutschenschlag; zwei oder drei Rufe: Es lebe der Kardinal! begrüßten seine Erscheinung; doch fast in demselben Augenblick wurden sie durch Pfeifen und Zischen unbarmherzig erstickt. Mazarin erbleichte und warf sich rasch zurück.

Kanaillen! murmelte Porthos.

D’Artagnan sagte nichts; aber er kräuselte seinen Schnurrbart mit einer eigentümlichen Gebärde, welche andeutete, daß seine gascognische Galle zu kochen begann.

Anna von Österreich neigte sich an das Ohr des jungen Königs und flüsterte ihm zu: Macht ein freundliches Gesicht und richtet ein paar Worte an Herrn d’Artagnan, mein Sohn.

Der König neigte sich aus dem Kutschenschlag und sagte: Ich habe Euch noch nicht guten Morgen gewünscht, Herr d’Artagnan, und doch erkannte ich Euch gar wohl. Ihr wart hinter meinen Bettvorhängen in der Nacht, als die Pariser mich schlafen sehen wollten.

Und wenn es der König erlaubt, versetzte d’Artagnan, so werde ich bei ihm sein, so oft er einer Gefahr preisgegeben ist.

Mein Herr, sagte Mazarin zu Porthos, was würdet Ihr tun, wenn sich das Volk auf uns stürzte?

Ich würde so viele, als ich könnte, totschlagen, erwiderte Porthos.

Hm! murmelte Mazarin, so brav und stark Ihr auch seid, so vermöchtet Ihr doch nicht alle totzuschlagen.

Das ist wahr, sagte Porthos, sich auf den Steigbügeln erhebend, um die unermeßliche Menge besser zu überschauen, das ist wahr, es sind ihrer viele.

Ich glaube, der andere wäre mir lieber, sprach Mazarin, und warf sich wieder in den Hintergrund des Wagens zurück.

Die Königin und ihr Minister hatten Ursache, sich einigermaßen beunruhigt zu fühlen, wenigstens der letztere. Obschon die Menge den äußern Anschein von Achtung und sogar von Zuneigung für den König und die Regentin beobachtete, so begann sie doch, sich stürmisch zu bewegen. Man hörte jenes dumpfe Getöse, das, wenn es über die Wellen hinstreift, Sturm anzeigt, und, wenn es über die Volksmenge hinzieht, Aufruhr verkündigt.

D’Artagnan wandte sich gegen die Musketiere um und machte, mit den Augen blinzelnd, ein für das Volk unmerkliches, aber für diese brave Elite sehr verständliches Zeichen. Die Reihen der Pferde schlossen sich aneinander an, und ein leichtes Beben durchlief die Männer. An der Barriere des Sergents war man genötigt, Halt zu machen; Comminges verließ die Spitze der Eskorte und kam an den Wagen der Königin. Die Königin fragte d’Artagnan mit dem Blick. D’Artagnan antwortete ihr in derselben Sprache.

Geht vorwärts, sagte die Königin.

Comminges ging wieder an seinen Posten. Man machte einen Anlauf, und die lebendige Barriere wurde mit Gewalt durchbrochen.

Da erhob sich aus der Menge dumpfes Gemurre, das diesmal ebensowohl an den König, als an seinen Minister gerichtet war.

Vorwärts, rief d’Artagnan mit voller Stimme.

Vorwärts, wiederholte Porthos.

Aber als hätte die Menge nur diese Kundgebung erwartet, um zu beginnen, so machten sich jetzt auf einmal alle feindseligen Gesinnungen, die sie bis jetzt zurückgehalten hatte, Luft. Das Geschrei: Nieder mit Mazarin! Tod dem Kardinal! erscholl von allen Seiten.

Zu gleicher Zeit wälzte sich durch die Straßen Grenelle-Saint-Honoré und du Coq eine doppelte Woge hervor, durchbrach das schwache Spalier der Schweizer-Garden und trieb seinen ungestümen Wirbel bis zu den Beinen der Pferde von d’Artagnan und Porthos.

Dieser neue Einbruch war gefährlicher als die andern, denn er bestand aus Leuten, die besser bewaffnet erschienen, als es die Leute aus dem Volk in solchen Fällen gewöhnlich sind. Man sah, daß diese letzte Bewegung keine Wirkung des Zufalls war, der eine gewisse Anzahl von Unzufriedenen aus demselben Punkte vereinigt, sondern die Wirkung eines feindseligen Geistes, der einen Angriff organisiert hatte.

Diese beiden Massen hatten auch jede ihren Anführer. Der eine schien nicht dem Volke, sondern der ehrenwerten Körperschaft der Bettler anzugehören, während man in dem andern, obgleich er sich als Mann des Volkes zu geben suchte, leicht einen Edelmann erkennen konnte.

Beide handelten offenbar von einem und demselben Impulse getrieben.

Es entstand eine lebhafte Erschütterung, die sich bis in den königlichen Wagen fühlbar machte. Dann erschollen tausend Rufe, die einen ungeheuren Lärm machten, und dazwischenhinein ein paar Flintenschüsse.

Herbei, Musketiere! rief d’Artagnan.

Die Eskorte trennte sich in zwei Reihen; die eine ritt auf die rechte Seite des Wagens, die andere auf die linke, die eine kam d’Artagnan, die andere Porthos zu Hilfe.

Nun entspann sich ein Handgemenge, das um so furchtbarer war, weil es kein bestimmtes Ziel hatte, und um so trauriger erschien, als man nicht wußte, warum und für wen man sich schlug.

Wie alle Bewegungen des großen Haufens, so war der Anlauf dieser Menge furchtbar; durchaus nicht zahlreich und schlecht aneinandergereiht, begannen die Musketiere, die ihre Pferde unter dieser Volksmasse nicht gehörig ausgreifen lassen konnten, in Unordnung zu geraten. D’Artagnan wollte die Vorhänge des Wagens herablassen, aber der junge König streckte den Arm aus und sprach: Nein, Herr d’Artagnan, ich will sehen.

Wenn Eure Majestät sehen will, erwiderte d’Artagnan, nun wohl, so mag sie schauen!

Und sich mit jenem Ungestüm umwendend, das ihn so furchtbar machte, drang d’Artagnan auf den Anführer der Meuterer ein, der, eine Pistole in der einen, ein breites Schwert in der andern Hand, sich bis zum Kutschenschlag, mit zwei Musketieren kämpfend, Bahn gebrochen hatte.

Platz, Mord und Tod! rief d’Artagnan, Platz!

Bei dieser Stimme hob der Mann mit der Pistole und dem breiten Schwerte den Kopf in die Höhe: aber es war bereits zu spät: d’Artagnan hatte seinen Streich geführt; sein Degen war tief in die Brust gedrungen.

Ah, Ventre-Saint-gris! rief d’Artagnan, indem er zu spät seinen Streich zurückzuhalten suchte, was zum Teufel, macht Ihr hier, Graf?

Ich mußte mein Geschick erfüllen, erwiderte Rochefort, auf ein Knie fallend; ich habe mich bereits von dreien Eurer Schwertstreiche erhoben; von dem vierten aber werde ich mich nicht erheben.

Graf, sagte d’Artagnan mit einer gewissen Rührung, ich habe geschlagen, ohne zu wissen, daß Ihr es wart. Es wäre mir sehr leid, wenn Ihr sterben und mit Gefühlen des Hasses gegen mich verscheiden solltet.

Rochefort reichte d’Artagnan die Hand; d’Artagnan nahm sie. Der Graf wollte sprechen, aber ein Blutstrom erstickte seine Worte. Er streckte sich in einem letzten Krampfe aus und verschied.

Zurück, Kanaillen! rief d’Artagnan. Euer Anführer ist tot, und Ihr habt nichts mehr hier zu schaffen.

Und wirklich, als wäre der Graf von Rochefort die Seele des Angriffes gewesen, der nach dieser Seite der königlichen Karosse gerichtet war, ergriff der ganze Volkshaufe, der ihm gefolgt war und ihm gehorchte, die Flucht, als er ihn fallen sah. D’Artagnan machte mit etwa zwanzig Musketieren einen Einfall in die Rue du Coq, und dieser Teil des Aufruhrs verschwand wie eine Rauchwolke, indem er sich auf der Place Saint-Germain-l’Auxerrois zerstreute und bald auf den Quais verlor.

D’Artagnan kehrte zurück, um Porthos Hilfe zu leisten, im Fall er solcher bedürfen sollte. Aber Porthos hatte seine Arbeit ebenso gewissenhaft vollbracht, als d’Artagnan. Die linke Seite der Karosse war nicht minder gut abgefegt, als die rechte, und man hob den Vorhang des Kutschenschlags empor, den Mazarin, minder kriegerisch als der König, vorsichtig herabgelassen hatte.

Porthos sah äußerst schwermütig aus.

Was für ein Teufelsgesicht macht Ihr denn, Porthos, und welch eine sonderbare Miene habt Ihr für einen Sieger? rief d’Artagnan. – Aber Ihr selbst, versetzte Porthos, Ihr kommt mir sehr bewegt vor? – Es ist auch Grund dazu vorhanden; denn ich habe soeben einen alten Freund getötet. – Wirklich? sprach Porthos. Wen denn? – Den armen Grafen von Rochefort. – Nun, das ist gerade wie bei mir. Ich habe einen Menschen getötet, dessen Gesicht mir unbekannt ist. Leider schlug ich ihn an den Kopf, und in einem Augenblick war das ganze Gesicht voll Blut. – Und er hat im Fallen nichts gerufen? – Doch; er sagte Uf! – Ich begreife, versetzte d’Artagnan, der sich des Lachens nicht enthalten konnte, ich begreife, daß es Euch nicht sehr ins klare brachte, wenn er weiter nichts gesagt hat.

Nun, mein Herr? fragte die Königin.

Madame, erwiderte d’Artagnan, die Straße ist vollkommen frei, und Eure Majestät kann ihren Weg fortsetzen.

Der Zug gelangte nun ohne irgend einen andern Unfall zu der Notre-Dame Kirche, unter deren Portal die Geistlichkeit, mit dem Koadjutor an der Spitze, den König, die Königin und den Minister erwartete, für deren glückliche Rückkehr ein Te deum gesungen werden sollte.

Während des Gottesdienstes und im Augenblick, wo er seinem Ende nahte, kam ein Straßenjunge ganz bestürzt in die Kirche gelaufen, eilte in die Sakristei, kleidete sich rasch als Chorknabe, durchschritt mit Hilfe der ehrwürdigen Uniform, die er angezogen, die Menge, die den Tempel füllte, und näherte sich Bazin, der in seinem blauen Gewand und mit dem silberverzierten Fischbeinstab in der Hand mit ernster Miene dem Schweizer am Eingang des Chors gegenüberstand.

Bazin fühlte, daß man ihn am Rocke zog. Er senkte seine voll Andacht zum Himmel aufgeschlagenen Augen zu Boden und erkannte Friquet.

Nun, Bursche, fragte der Mesner, was gibt es denn, daß du es wagst, mich in der Ausübung meiner Funktionen zu stören? – Herr Bazin, antwortete Friquet, Herr Maillard, Ihr wißt, der Weihwassergeber von Saint-Eustache … – Ja, weiter? – Er hat bei der Fechterei einen Schwertstreich auf den Kopf bekommen. Der große Riese, den Ihr dort seht, der mit den vielen Stickereien hat ihm denselben gegeben. – Ja, und in diesem Fall muß er was Ordentliches abgekriegt haben, sprach Bazin. – So Ordentliches, daß er stirbt und gern vor seinem Tode dem Herrn Koadjutor beichten möchte, der, wie man sagt, die Macht besitzt, die groben Sünden zu vergeben. – Und er bildet sich ein, der Koadjutor werde sich seinetwegen stören lassen? – Ja, allerdings, denn es scheint, der Herr Koadjutor hat es ihm versprochen. – Wer sagt dir das? – Herr Maillard selbst. – Du hast ihn also gesehen? – Gewiß, ich war dabei, als er fiel. – Was hast du dort gemacht? – Ich schrie: Nieder mit Mazarin! Tod dem Kardinal! Den Italiener an den Galgen! Sagtet Ihr nicht, ich soll das schreien? – Willst du wohl schweigen, dummer Kerl! sprach Bazin und schaute unruhig umher. – Der arme Herr Maillard sagte also: Hole mir den Koadjutor, Friquet, und wenn Du mir ihn bringst, so mache ich dich zu meinem Erben. Denkt doch, Vater Bazin: der Erbe von Herrn Maillard, dem Weihwassergeber in Saint-Eustache! Ich kann jetzt für immer meine Arme in den Schoß legen. Jedenfalls möchte ich ihm sehr gern diesen Dienst leisten; was sagt Ihr dazu? – Ich will den Herrn Koadjutor benachrichtigen, sprach Bazin.

Und er näherte sich dann ehrfurchtsvoll und langsam dem Prälaten, sagte ihm einige Worte ins Ohr, worauf dieser mit einem bejahenden Zeichen antwortete, kehrte mit demselben Schritt, mit dem er weggegangen war, zurück und sprach: Sage dem Sterbenden, er solle sich gedulden, Monseigneur werde in einer Stunde bei ihm sein.

Gut, versetzte Friquet, mein Glück ist gemacht.

Doch wohin hat er sich tragen lassen?

Nach dem Turm von Saint-Jacques-la-Boucherie.

Entzückt über den Erfolg seiner Botschaft, verließ Friquet, ohne sein Chorknabengewand abzulegen, das ihm überdies den Durchgang bedeutend erleichterte, die Kirche und schlug mit aller Geschwindigkeit, deren er fähig war, den Weg nach dem Turme von Saint-Jacques-la-Boucherie ein.

Sobald das Tedeum vollendet war, begab sich der Koadjutor seinem Versprechen gemäß und ohne seine priesterlichen Gewänder abzulegen, ebenfalls nach dem alten Turme, der ihm so wohl bekannt war. Er kam noch zu rechter Zeit; der Verwundete wurde zwar jeden Augenblick schwächer, war aber noch nicht tot.

Man öffnete ihm die Tür des Zimmers, wo der Bettler mit dem Tode rang.

Einen Augenblick nachher kam Friquet heraus, einen großen ledernen Sack in der Hand haltend, den er aufriß, sobald er aus dem Zimmer war, und zu seinem nicht geringen Erstaunen voll Gold fand.

Der Bettler hatte Friquet Wort gehalten und ihn zu seinem Erben gemacht.

Oh, Mutter Nanette! rief Friquet atemlos, oh! Mutter Nanette!

Mehr konnte er nicht herausbringen, aber er nahm alle Kraft zusammen und rannte verzweiflungsvoll nach der Straße, und wie der Grieche von Marathon, der auf dem Marktplatz von Athen mit seinem Lorbeerkranz in der Hand tot zusammensank, stürzte Friquet, als er auf der Hausschwelle des Rates Broussel angelangt war, wie leblos nieder. Sein Sack fuhr auf, und die Louisd’or rollten auf dem Boden umher.

Die Mutter Nanette hob zuerst die Goldstücke und dann auch Friquet auf.

Während dieser Zeit gelangte der Zug ins Palais-Royal.

Das ist ein tapferer Mann, meine Mutter, dieser Herr d’Artagnan, sagte der junge König.

Ja, mein Sohn, und er hat Eurem Vater große Dienste geleistet. Behandelt ihn also in Zukunft freundlich.

Herr Kapitän, sprach der König, aus dem Wagen steigend, zu d’Artagnan, die Frau Königin beauftragt mich, Euch für heute zum Mittagsmahl einzuladen, Euch und Euren Freund, den Herrn Baron du Vallon.

Es war dies eine große Ehre für d’Artagnan und für Porthos. Sie erfüllte Porthos auch mit Entzücken; aber während der ganzen Dauer des Mahles schien der würdige Edelmann äußerst unruhig.

Was hattet Ihr denn, Baron? sagte d’Artagnan zu ihm, als sie miteinander die Treppe des Palais-Royal hinabstiegen; Ihr kamt mir über Tisch ganz sorgenvoll vor.

Ich suchte mich zu erinnern, wo ich den Bettler gesehen, den ich getötet haben muß, antwortete Porthos.

Und Ihr könnt nicht darauf kommen?

Nein.

Nun so sucht, mein Freund, sucht, und wenn Ihr gefunden habt, so werdet Ihr es mir sagen, nicht wahr?

Bei Gott, ja, erwiderte Porthos.

Die Lanzknecht-Partie

Es war neun Uhr abends, die Posten waren um acht Uhr abgelöst worden, und seit einer Stunde hatte die Wache des Kapitäns Groslow angefangen.

D’Artagnan und Porthos, mit ihren Degen bewaffnet, Athos und Aramis, jeder mit einem Dolch auf der Brust, begaben sich nach dem Hause, das Karl Stuart als Gefängnis diente.

Meiner Treu! rief Groslow, als er sie erblickte, ich zählte nicht mehr auf euch.

D’Artagnan näherte sich ihm und erwiderte leise: Herr du Vallon und ich zögerten wirklich einen Augenblick, ob wir kommen sollten.

Warum? fragte Groslow.

D’Artagnan bezeichnete ihm mit dem Auge Athos und Aramis.

Ah! ah! wegen der Gesinnung? Daran ist wenig gelegen, sprach Groslow. Im Gegenteil, fügte er lachend bei, wenn sie ihren Stuart sehen wollen, so werden sie ihn sehen.

Bringen wir die Nacht im Zimmer des Königs zu? fragte d’Artagnan.

Nein, aber im anstoßenden Zimmer, und da die Tür offen bleiben wird, so ist es gerade, als ob wir im Zimmer selbst wären. Ihr habt Euch mit Geld versehen? Ich erkläre Euch, daß ich heute abend höllisch zu spielen gedenke.

Hört Ihr? sagte d’Artagnan und ließ das Gold in seinen Taschen klingen.

Ah, gut! sprach Groslow. Und er öffnete die Tür des Zimmers. Ich will Euch den Weg zeigen, sagte er und ging voraus.

Die acht Wachen waren auf ihrem Posten; vier befanden sich im Zimmer des Königs, zwei an der Verbindungstür, zwei an der Tür, durch welche die vier Freunde eintraten. Beim Anblick der Schwerter lächelte Athos; es handelte sich nicht um eine Schlächterei, sondern um einen Kampf.

Von diesem Augenblick an schien seine ganze gute Laune wiederbelebt.

Karl, den man durch die offene Tür erblickte, lag ganz angekleidet auf seinem Bett, nur mit einer wollenen Decke bedeckt. Zu seinen Häupten saß Parry und las mit leiser Stimme, doch laut genug, daß es der König, der mit geschlossenen Augen zuhörte, vernahm, ein Kapitel aus einer katholischen Bibel.

Ein schlechtes Unschlittlicht, das auf dem schwarzen Tisch stand, beleuchtete das ergebene Antlitz des Königs und das weit weniger ruhige Gesicht seines treuen Dieners.

Von Zeit zu Zeit unterbrach sich der gute Parry, im Glauben, der König schlafe wirklich; dann öffnete dieser die Augen und sagte:

Fahr fort, mein guter Parry, ich höre.

Im ersten Zimmer war ein Tisch bereitet, und auf diesem mit einem Teppich bedeckten Tische befanden sich zwei brennende Lichter, Karten, zwei Becher und Würfel.

Meine Herren, sagte Groslow, ich bitte, setzt Euch: ich Stuart gegenüber, den ich so gern sehe, besonders da, wo er ist, Ihr, Herr d’Artagnan, mir gegenüber.

Athos wurde rot vor Zorn, d’Artagnan schaute ihn mit gefalteter Stirne an.

Gut, sprach d’Artagnan; Ihr, Herr Graf de la Fère, zur Rechten des Herrn Groslow, Ihr, Herr Chevalier d’Herblay, zu seiner Linken, Ihr, Herr du Vallon, neben mir. Ihr wettet auf mich und diese Herren auf Herrn Groslow.

D’Artagnan hatte so Porthos neben sich und sprach mit dem Knie zu ihm, zu Athos und Aramis mit seinen Augen.

Bei dem Namen Graf de la Fère und Chevalier d’Herblay öffnete Karl seine Augen wieder, erhob unwillkürlich sein edles Haupt und umfaßte mit einem Blick alle Personen dieser Scene.

In diesem Moment wandte Parry einige Blätter seiner Bibel um und las ganz laut folgenden Vers des Jeremias: Der Herr spricht: Höret die Worte der Propheten, meiner Knechte, welche ich mit großer Sorge geschickt und zu euch geführt habe.

Die vier Freunde wechselten einen Blick. Die Worte, die Parry gelesen, deuteten ihnen an, daß der König sich ihre Anwesenheit recht erklärte.

D’Artagnans Augen funkelten vor Freude.

Ihr fragtet mich soeben, ob ich bei Geld sei, sagte d’Artagnan, und legte zwanzig Pistolen auf den Tisch.

Ja, erwiderte Groslow.

Nun wohl, versetzte d’Artagnan, ich aber sage Euch: Nehmt Euern Schatz in acht, mein lieber Herr Groslow, denn ich stehe Euch dafür, wir gehen nicht von hinnen, ohne ihn Euch geraubt zu haben.

Das wird nicht geschehen, ohne daß ich ihn verteidige, entgegnete Groslow.

Desto besser, rief d’Artagnan. Kampf, mein lieber Kapitän, Kampf! Mögt Ihr nun wissen oder nicht wissen, was wir verlangen.

Ah! ja, ich weiß es wohl, erwiderte Groslow, in sein plumpes Gelächter ausbrechend; ihr Franzosen sucht nur Wunden und Beulen.

Karl hatte wirklich alles gehört, alles verstanden. Eine leichte Röte stieg ihm ins Gesicht, die Soldaten sahen ihn allmählich seine müden Glieder ausstrecken und unter dem Vorwand einer durch den glühenden Ofen erzeugten übermäßigen Hitze nach und nach die schottische Decke abwerfen, unter der er, wie gesagt, ganz angekleidet lag.

Athos und Aramis bebten vor Freude, als sie sahen, daß der König angekleidet war.

Die Partie begann. Diesen Abend wandte sich das Glück auf die Seite Groslows; er gewann beständig. Hundert Pistolen gingen von der einen Seite des Tisches auf die andere über; Groslow war von einer tollen Heiterkeit.

Porthos, der die fünfzig Pistolen, die er am Tage vorher gewonnen, wieder verloren hatte, und noch über dreißig von den seinigen dazu, war sehr verdrießlich und stieß d’Artagnan mit dem Knie, als wollte er ihn fragen, ob es noch nicht bald Zeit sei, zu einem andern Spiel überzugehen; Athos und Aramis schauten ihn auch von Zeit zu Zeit mit forschenden Augen an, aber d’Artagnan blieb unempfindlich.

Es schlug zehn Uhr. Man hörte die Runde vorüberkommen.

Wieviel solcher Runden macht Ihr? sagte d’Artagnan, neue Pistolen aus der Tasche ziehend.

Fünf, erwiderte Groslow, alle zwei Stunden eine.

Das ist klug, versetzte d’Artagnan.

Nun warf er Athos und Aramis einen Blick zu, und als man die Tritte der Patrouille sich entfernen hörte, erwiderte er zum erstenmale Porthos‘ Kniestöße.

Angelockt durch den Reiz des Spieles und durch den auf alle Menschen so mächtig wirkenden Anblick des Goldes, näherten sich die Soldaten, die ihrem Befehl gemäß im Zimmer des Königs bleiben sollten, allmählich der Tür, erhoben sich auf den Fußspitzen und schauten d’Artagnan und Porthos über die Schultern; die von der Tür näherten sich ebenfalls und unterstützten auf diese Art die Wünsche der vier Freunde, die lieber alle bei der Hand haben wollten. Die zwei Wachen an der Tür hatten beständig das Schwert entblößt, aber sie stützten sich auf die Spitze und schauten den Spielern zu.

D’Artagnan wandte sich um und sah, wie Parry zwischen zwei Soldaten stand und Karl, auf seinen Ellbogen gestützt, die Hände faltete und ein glühendes Gebet an Gott zu richten schien. D’Artagnan begriff, daß der Augenblick gekommen war, daß sich jeder an seinem Posten befand und daß man nur das Losungswort »Endlich« erwartete.

Er schleuderte Athos und Aramis einen vielsagenden Blick zu, und beide rückten ihren Stuhl leicht zurück, um sich frei bewegen zu können.

Er gab Porthos einen zweiten Kniestoß: dieser stand halb auf, als wollte er seine steifen Beine wieder gelenk machen und versicherte sich beim Aufstehen, daß sein Degen leicht aus der Scheide gehen würde.

Sacrebleu! rief d’Artagnan, abermals zwanzig Pistolen verloren. In der Tat, Kapitän Groslow, Ihr habt zu viel Glück, das kann nicht so fortdauern. Und indem er noch zwanzig Pistolen aus seiner Tasche zog, sagte er: Noch einen Coup, Kapitän. Diese zwanzig Pistolen auf einen Satz, auf einen einzigen, den letzten.

Es gilt, zwanzig Pistolen, versetzte Groslow.

Und er schlug, wie dies gebräuchlich ist, zwei Karten um, einen König für d’Artagnan, ein As für sich.

Einen König, sprach d’Artagnan, das ist ein gutes Vorzeichen. Herr Groslow, fügte er bei, gebt auf den König acht!

Trotz seiner Selbstbeherrschung vibrierte d’Artagnans Stimme aus eine so seltsame Weise, daß sein Partner bebte.

Groslow fing an, die Karten umzuschlagen. Schlug er zuerst ein As um, so hatte er gewonnen, schlug er einen König um, so hatte er verloren. Er schlug einen König um.

Endlich! sagte d’Artagnan.

Bei diesen Worten erhoben sich Athos und Aramis, Porthos wich einen Schritt zurück. Dolche und Schwerter glänzten. Aber plötzlich öffnete sich die Tür, und Harrison erschien auf der Schwelle mit einem in einen Mantel gehüllten Manne, hinter dem man die Musketen von fünf bis sechs Mann glänzen sah.

Groslow schämte sich, mitten unter Weinflaschen, Karten und Würfeln ertappt zu werden, und stand rasch auf. Harrison schenkte ihm aber keine Aufmerksamkeit, trat, gefolgt von seinem Gefährten, ins Zimmer des Königs und sprach: Karl Stuart, es ist der Befehl eingetroffen, Euch ohne den geringsten Aufenthalt bei Tag oder bei Nacht nach London zu führen. Bereitet Euch, sogleich aufzubrechen.

Von wem ist der Befehl? fragte der König.

Vom General Oliver Cromwell, antwortete Harrison, und hier ist Herr Mordaunt, der ihn überbracht hat und beauftragt ist, ihn vollziehen zu lassen.

Mordaunt, murmelten die vier Freunde, sich gegenseitig anschauend.

D’Artagnan raffte alles Geld zusammen, das er und Porthos verloren hatten, und steckte es in seine weite Tasche;, Athos und Aramis stellten sich hinter ihn. Bei dieser Bewegung wandte sich Mordaunt um, erkannte sie und stieß einen Schrei wilder Freude aus.

Ich glaube, wir sind gefangen, sagte d’Artagnan ganz leise zu seinen Freunden.

Noch nicht, erwiderte Porthos.

Oberst! rief Mordaunt, laßt dieses Haus umzingeln, Ihr seid verraten. Diese vier Franzosen haben sich aus Newcastle geflüchtet und wollen ohne Zweifel den König entführen. Man verhafte sie.

Oh! junger Mann, sprach d’Artagnan, den Degen ziehend, das ist ein Befehl, der sich leichter sagen, als vollstrecken läßt. Dann beschrieb er mit seinem Schwerte einen furchtbaren Kreis und rief: Abgezogen, Freunde! Abgezogen!

Zu gleicher Zeit stürzte er nach der Tür und warf zwei Soldaten nieder, ehe sie ihre Musketen anzuschlagen vermochten; Athos und Aramis folgten ihm; Porthos bildete die Nachhut, und bevor Oberst, Offiziere, Soldaten sich einigermaßen gefaßt hatten, waren alle vier auf der Straße.

Feuer! rief Mordaunt, schießt auf sie!

Zwei oder drei Musketen wurden wirklich abgefeuert, jedoch ohne einen andern Erfolg, als daß man bei dem Feuer die vier Flüchtlinge sich unversehrt um die Straßenecke wenden sah.

Die Pferde waren am bezeichneten Orte, die Bedienten hatten nur ihren Herren die Zügel zuzuwerfen, und diese schwangen sich, mit der Leichtigkeit vollendeter Reiter in den Sattel.

Vorwärts! rief d’Artagnan, die Sporen gegeben, festgehalten!

Und sie sprengten, d’Artagnan folgend, fort und schlugen den Weg ein, den sie bereits am Tage gemacht hatten, das heißt, den Weg nach Schottland. Der Flecken hatte weder Tore noch Mauern, und sie kamen folglich ohne Schwierigkeiten hinaus.

Fünfzig Schritte vor dem letzten Hause hielt d’Artagnan an und rief: Halt!

Wie, Halt? sprach Porthos; mit verhängten Zügeln, wollt Ihr sagen?

Keineswegs, versetzte d’Artagnan, diesmal wird man uns verfolgen; wir wollen sie aus dem Flecken ziehen und uns auf der Straße nach Schottland nachreiten lassen; haben wir sie im Galopp vorüberkommen gesehen, so schlagen wir die entgegengesetzte Straße ein.

Einige Schritte von dieser Stelle floß ein Bach, über den eine Brücke gebaut war; d’Artagnan führte sein Pferd unter den Bogen dieser Brücke, seine Freunde folgten ihm.

Sie waren kaum zehn Minuten hier, als sie den raschen Galopp einer nahenden Reitertruppe vernahmen. Fünf Minuten nachher zog diese Truppe über ihren Köpfen hin, weit entfernt, zu vermuten, daß sie nur durch die Dicke eines Brückengewölbes von den Gegenständen ihrer Verfolgung getrennt seien.

Schluß

Als die zwei Freunde nach Hause kamen, fanden sie einen Brief von Athos, der sie zu einer Zusammenkunft im Grand-Charlemagne auf den andern Morgen beschied.

Beide legten sich früh nieder, aber keiner schlief. Man gelangt nicht so zum Ziel aller seiner Wünsche, ohne daß dieses Ziel, wenigstens für die erste Nacht, den Schlaf verjagte.

Am andern Morgen begaben sich beide zur bezeichneten Stunde zu Athos. Sie fanden den Grafen und Aramis in Reisekleidern.

Gut, sprach Porthos, wir reisen also zusammen.

Oh! mein Gott, ja, versetzte Aramis; seit dem Augenblick, wo es keine Fronde mehr gibt, ist in Paris nichts zu tun. Frau von Longueville hat mich eingeladen, einige Tage in der Normandie zuzubringen, und mir den Auftrag gegeben, während man ihren Sohn taufe, ihre Wohnung in Rouen in Bereitschaft halten zu lassen. Ich werde mich dieses Auftrags entledigen und mich dann, wenn es nichts Neues zu tun gibt, wieder in meinem Kloster Noisy-le-Sec begraben.

Und ich, sprach Athos, kehre nach Bragelonne zurück. Ihr wißt, mein lieber d’Artagnan, ich bin nur noch ein Landmann; Raoul hat kein anderes Vermögen, als das meinige, der arme Junge! Ich muß darüber wachen, denn ich gebe gewissermaßen nur den Namen dazu.

Und was wollt Ihr aus Raoul machen?

Ich überlasse ihn Euch, mein Freund. In Flandern gibt’s einen Feldzug; Ihr nehmt ihn mit; denn ich fürchte, der Aufenthalt in Blois ist seinem jungen Kopfe gefährlich. Behaltet ihn bei Euch und lehrt ihn brav und rechtschaffen sein; wie Ihr es seid.

Und ich werde Euch also nicht mehr haben, Athos? Aber ich habe wenigstens ihn, diesen teuern Blondkopf, und obgleich er noch ein Kind ist, so werde ich doch, da Eure ganze Seele sich in ihm wiederbelebt, teurer Athos, stets glauben, Ihr seiet bei mir, Ihr begleitet und unterstützet mich.

Die vier Freunde umarmten sich mit Tränen in den Augen.

Dann trennten sie sich, ohne zu wissen, ob sie einander je wiedersehen würden.

D’Artagnan kehrte in die Rue Tiquetonne mit Porthos zurück. Dieser war beständig in Gedanken versunken und grübelte nach, wer der Mann sei, den er erschlagen hatte. Als man vor den Gasthof zur Rehziege gelangte, fand man die Equipage des Barons bereit und Mousqueton im Sattel.

Hört, d’Artagnan, sagte Porthos, verlaßt den Dienst und kommt mit mir nach Pierrefonds, nach Bracieux oder nach du Vallon. Wir wollen miteinander alt werden und von unsern Kameraden plaudern.

Nein, sagte d’Artagnan, den Teufel! Der Feldzug wird eröffnet, und ich will dabei sein. Ich hoffe wohl etwas dabei zu gewinnen.

Und was hofft Ihr denn zu werden?

Marschall von Frankreich, bei Gott!

Ah, ah! rief Porthos und schaute d’Artagnan an, in dessen Gasconaden er sich nie hatte ganz finden können.

Kommt mit mir, Porthos, sprach d’Artagnan; ich mache Euch zum Herzog.

Nein, versetzte Porthos, Mouston will nicht mehr in den Krieg ziehen. Überdies bereitet man mir zu Hause einen feierlichen Einzug, worüber alle meine Nachbarn vor Ärger bersten werden.

Hierauf habe ich nichts zu erwidern, sprach d’Artagnan, denn er kannte die Eitelkeit des neuen Barons. Auf Wiedersehen also, mein Freund!

Auf Wiedersehen, teurer Kapitän, sagte Porthos. Ihr wißt, daß Ihr, wenn Ihr mich besuchen wollt, stets in meiner Baronie willkommen seid.

Ja, erwiderte d’Artagnan, wenn ich aus dem Feld heimkehre, stelle ich mich bei Euch ein.

Die Equipagen des Herrn Barons warten, sagte Mousqueton.

Die zwei Freunde trennten sich mit einem innigen Händedruck. D’Artagnan blieb auf der Türschwelle und sah mit schwermütigem Auge dem sich entfernenden Porthos nach.

Aber nach zwanzig Schritten hielt Porthos plötzlich an, schlug sich vor die Stirn, kehrte zurück und rief: Jetzt fällt mir’s ein!

Was? fragte d’Artagnan.

Wer der Bettler ist, den ich getötet habe.

Ah! wirklich! Wer ist es denn?

Jene Kanaille von Bonacieux.

Und hocherfreut über diese beruhigende Gewißheit, sprengte Porthos hinter Mouston her, mit dem er an der Straßenecke verschwand.

D’Artagnan blieb einen Augenblick unbeweglich und in Gedanken versunken. Als er sich dann umwandte, erblickte er die schöne Madeleine, die, voll Unruhe auf d’Artagnans Kapitänsuniform schauend, auf der Schwelle stand.

Madeleine, sagte der Gascogner, gebt mir die Wohnung im ersten Stock. Jetzt, da ich Kapitän der Musketiere bin, sehe ich mich genötigt, meiner Würde gemäß zu leben. Aber haltet mir immerhin mein Zimmer im fünften frei, denn man kann nicht wissen, was geschieht.

 

*

Als Fortsetzung und Schluß (dritte Abteilung der »Drei Musketiere«) dieses Romans schrieb Alexander Dumas den ungemein spannenden Roman: » Der Graf von Bragelonne oder Zehn Jahre nachher«, der sieben starke Bände (in 3 Geschenkbände geb. statt früher M 15.– nur noch M 9.25 – K. 11.10 ö. W.) umfaßt und durch jede Buchhandlung zu beziehen ist.

Stuttgart.
Franckh’sche Verlagshandlung.