XV.

Beamter und Kriegsmann.

Als am Tage nach diesen Ereignissen Athos nicht erschien, wurde Herr von Treville durch d’Artagnan und Porthos von seinem Verschwinden in Kenntniß gesetzt.

Aramis hatte sich einen Urlaub von fünf Tagen erbeten und befand sich, der Sage nach, in Familienangelegenheiten in Rouen.

Herr von Treville war der Vater seiner Soldaten. Der Geringste und Unbekannteste unter ihnen war, sobald er die Uniform seiner Kompagnie trug, seiner Hülfe und seines Beistandes so sicher, als es nur sein eigener Bruder hätte sein können.

Er begab sich also sogleich zu dem Kriminalrichter. Man ließ den Offizier kommen, der den Posten an der Croix-Rouge kommandirte, und aus den Nachrichten, die man nach und nach erhielt, ging hervor, daß Athos für den Augenblick im Fort-l’Evéque einquartirt war.

Athos hatte alle Prüfungen durchgemacht, denen Bonacieux unterworfen gewesen war.

Wir haben der Konfrontationsscene zwischen den zwei Gefangenen beigewohnt. Athos, welcher bis dahin nichts gesagt hatte, weil er dachte, d’Artagnan könnte ebenfalls beunruhigt worden sein und die nöthige Zeit nicht gefunden haben, erklärte von diesem Augenblick an, er heiße Athos und nicht d’Artagnan. Uebrigens kenne er weder Herrn noch Dame Bonacieux; er habe noch nie weder mit dem einen noch mit der andern gesprochen, er sei gegen zehn Uhr Abends gekommen, um Herrn d’Artagnan, seinen Freund, zu besuchen, aber bis zu dieser Stunde sei er bei Herrn von Treville gewesen, wo er zu Mittag gespeist habe; zehn Zeugen könnten, fügte er bei, diese Thatsache beweisen, und er nannte mehrere ausgezeichnete Edelleute, worunter den Herrn Herzog de la Tremouille.

Der zweite Kommissär wurde gleich dem ersten gewaltig verblüfft durch die einfache und feste Erklärung des Musketiers, an dem er, wie Civilbeamte Kriegsmännern gegenüber zu thun lieben, so gerne sein Müthchen gekühlt hätte, aber die Namen des Herrn von Treville und des Herrn Herzogs erheischten Respekt.

Athos wurde ebenfalls zu dem Kardinal geschickt, aber zum Unglück befand sich dieser bei dem König im Louvre.

In demselben Augenblick traf Herr von Treville, der von dem Kriminalrichter und dem Gouverneur des Fort-l’Evèque kam, ohne Athos gefunden zu haben, bei dem König ein.

Als Kapitän der Musketiere hatte Herr von Treville zu jeder Stunde Eintritt bei dem König.

Man kennt die Vorurtheile des Königs gegen die Königin, welche auf eine geschickte Weise durch den Kardinal genährt wurden, der im Punkte der Intriguen Frauen viel mehr mißtraute, als Männern. Eine der bedeutendsten Ursachen dieser Vorurtheile war die Freundschaft Annas von Oesterreich für Frau von Chevreuse. Diese zwei Frauen bereiteten ihm mehr Unruhe, als die Kriege mit Spanien, die Streitigkeiten mit England und die Finanzverlegenheiten. In seinen Augen und nach seiner Ueberzeugung unterstützte Frau von Chevreuse die Königin nicht nur in ihren politischen Intriguen, sondern auch, was ihn noch viel mehr quälte, in ihren Liebeshändeln.

Bei dem ersten Wort des Kardinals, daß Frau von Chevreuse, die man an ihrem Verbannungsorte Tours glaubte, nach Paris gekommen sei und der Polizei zum Trotz fünf Tage hier verweilt habe, gerieth der König in furchtbaren Zorn. Launisch und ungetreu, wollte der König Ludwig der Gerechte und Ludwig der Keusche heißen. Der Nachwelt wird es schwer werden, diesen Charakter zu begreifen, den die Geschichte nur durch Thatsachen und nie durch Urtheile erklärt.

Als aber der Kardinal beifügte, Frau von Chevreuse sei nicht nur nach Paris gekommen, sondern auch mittelst einer der geheimnißvollen Korrespondenzen, die man damals eine Kabale nannte, mit der Königin in Verbindung getreten; als er versicherte, er, der Kardinal, sei nahe daran gewesen, die verborgensten Fäden dieser Intrigue zu enthüllen, aber in dem Augenblick, wo man die Abgeordnete der Königin bei der Verbannten mit allen Beweisen auf der That hätte ertappen können, habe ein Musketier sich unterstanden, den Gang der Gerechtigkeit gewaltsam zu unterbrechen und mit dem Degen in der Hand über ehrliche Männer des Gesetzes herzufallen, welche beauftragt gewesen, die ganze Angelegenheit unparteiisch zu untersuchen, um sie dem Könige vor Augen zu legen, da konnte Ludwig XIII. nicht mehr an sich halten: er that, mit jener bleichen, stummen Entrüstung, die diesen Fürsten, wenn sie zum Ausbruch kam, bis zur kalten Grausamkeit führte, einen Schritt gegen das Gemach der Königin.

Und dennoch hatte der Kardinal in der ganzen Sache noch nicht ein Wort von dem Herzog von Buckingham gesprochen.

Jetzt trat Herr von Treville ein, kalt, höflich und in tadelloser Haltung.

Durch die Gegenwart des Kardinals und durch die Entstellung in den Gesichtszügen des Königs genugsam über das Vorgefallene unterrichtet, fühlte sich Herr von Treville stark, wie Simson vor den Philistern.

Ludwig XIII. legte bereits die Hand an den Knopf der Thüre. Bei dem Geräusche, das Herrn von Treville’s Eintritt verursachte, drehte er sich um.

»Ihr kommt zu gelegener Zeit, mein Herr,« sprach der König, der, wenn seine Leidenschaften einen gewissen Grad erreicht hatten, sich nicht mehr zu verstellen wußte, »und ich erfahre schöne Dinge von Euren Musketieren.«

»Und ich,« sprach Herr von Treville kalt, »ich habe Ew. Majestät schöne Dinge von Ihren Civildienern zu melden.«

»Wenn es gefällig wäre?« fragte der König stolz.

»Ich habe die Ehre, Ew. Majestät zu benachrichtigen,« fuhr Herr von Treville in demselben Tone fort, »daß eine Anzahl von Prokuratoren, Kommissären und Leuten von der Polizei – sehr schätzenswerthe Leute, aber, wie es scheint, sehr erbittert gegen die Uniform, sich erlaubt hat, einen meiner Musketiere in einem Hause zu verhaften, über die offene Straße zu führen, und auf einen Befehl, dessen Vorzeigung man mir verweigerte, in’s Fort-l’Evêque zu werfen, und Alles dies, sage ich, ist einem meiner Musketiere, oder vielmehr Eurer Musketiere, Sire, einem Mann von tadellosem Benehmen, von beinahe erhabenem Ruf, einem Mann, der Ew. Majestät vortheilhaft bekannt ist, Herrn Athos, widerfahren.«

»Athos,« sprach der König maschinenmäßig; »ja, in der That, ich kenne diesen Namen.«

»Ew. Majestät belieben sich seiner zu erinnern,« sagte Herr von Treville, »Athos ist der Musketier, der bei dem ärgerlichen Duelle, das Ihr kennt, Herrn von Cahusac schwer zu verwunden das Unglück hatte. Apropos, Monseigneur,« fuhr Herr von Treville sich gegen den Kardinal wendend fort, »Herr von Cahusac ist völlig wiederhergestellt, nicht wahr?«

»Ich denke,« sagte der Kardinal, sich vor Zorn in die Lippen beißend.

»Herr Athos wollte also einen seiner Freunde besuchen, welcher gerade nicht zu Hause war, einen Bearner, der als Kadett bei den Garden Seiner Majestät, Kompagnie des Essarts steht; aber kaum befand er sich im Zimmer seines Freundes und hatte in Erwartung desselben ein Buch genommen, als ein Haufen von Schergen und Soldaten das Haus belagert und mehrere Thüren einstößt.«

Der Kardinal machte dem König ein Zeichen, welches bedeuten sollte:

»Es geschah in der Angelegenheit, von der ich gesprochen habe.«

»Wir wissen Alles, was Ihr uns da sagt, denn es ist Alles in unserem Dienste geschehen,« sagte der König.

»Dann geschah es wohl auch im Dienste Ew. Majestät, daß man einen meiner Musketiere ganz unschuldig ergriff, wie einen Missethäter zwischen zwei Wachen stellte und mitten durch einen frechen Pöbelhaufen diesen ehrenfesten Mann hindurchführte, der zehnmal sein Blut im Dienste Seiner Majestät vergossen hat und noch zu vergießen bereit ist.«

»Bah!« sprach der König erschüttert, »ist die Sache wirklich so gegangen?«

»Herr von Treville,« versetzte der Kardinal mit dem größten Phlegma, »verschweigt, daß dieser unschuldige Musketier, dieser ehrenfeste Mann, eine Stunde vorher vier Instruktions-Kommissäre, welche ich zur Untersuchung einer sehr wichtigen Angelegenheit abgeschickt, mit dem Degen in der Faust angegriffen und in die Flucht geschlagen hatte.«

»Ich fordere Ew. Eminenz auf, dies zu beweisen,« rief Herr von Treville mit seiner ganzen gascognischen Freimüthigkeit und mit seiner vollen militärischen Derbheit; »denn Herr Athos, ein Mann von vortrefflichen Eigenschaften, erzeigte mir eine Stunde vorher, nachdem er bei mir zu Mittag gespeist hatte, die Ehre, sich im Salon meines Hotels mit dem Herrn Herzog de la Tremouille und dem Herrn Grafen von Chalus zu unterhalten.«

Der König schaute den Kardinal an.

»Ein Protokoll beglaubigt, was ich sagte,« antwortete der Kardinal ganz laut auf die stumme Frage Seiner Majestät, »und die Mißhandelten haben folgende Urkunde abgefaßt, die ich Ew. Majestät zu überreichen die Ehre habe.«

»Ist ein Protokoll von Beamten so viel werth, als das Ehrenwort eines Kriegsmanns?« erwiederte Herr von Treville in stolzem Tone.

»Ruhig, ruhig, Treville! schweigt,« sagte der König.

»Hegt Seine Eminenz einen Verdacht gegen einen meiner Musketiere,« sprach Treville, »so ist die Gerechtigkeit des Herrn Kardinals so weltbekannt, daß ich selbst eine Untersuchung verlange.«

»In dem Hause, wo diese gerichtliche Besichtigung vorgenommen wurde,« fuhr der Kardinal leidenschaftslos fort, »wohnt, wie ich glaube, ein Bearner, ein Freund des Musketiers.«

»Ja, Ew. Eminenz, so ist es.«

»Glaubt Ihr nicht, daß dieser junge Mensch schlimmen Rath gegeben hat …«

»Herrn Athos, einem Manne, der doppelt so alt ist,« unterbrach ihn Herr von Treville; »nein, Monseigneur, überdies hat Herr d’Artagnan den Abend bei mir zugebracht.«

»Ah! es scheint in der That, die ganze Welt brachte den Abend bei Euch zu?« erwiederte der Kardinal.

»Sollte Ew. Eminenz an meinem Worte zweifeln?« sprach Herr von Treville, dessen Stirne der Zorn roth färbte.

»Nein, davor soll mich Gott bewahren!« sagte der Kardinal; »aber es handelt sich nur darum, zu welcher Stunde er bei Euch war?«

»Ah! das kann ich Ew. Eminenz genau sagen, denn als er eintrat, sah ich auf der Uhr, daß es halb zehn war, obschon ich glaubte, es müßte später sein.«

»Und um welche Zeit hat er Euer Hotel verlassen?«

»Um halb elf Uhr, gerade eine Stunde nach dem Vorfall.«

»Aber,« fuhr der Kardinal fort, »der nicht einen Augenblick an der Redlichkeit des Herrn von Treville zweifelte und gewahr wurde, daß der Sieg seinen Händen entschlüpfen wollte; »aber Athos ist doch in dem Hause der Rue des Fossoyeurs verhaftet worden.«

»Ist es einem Freunde verboten, einen Freund zu besuchen? ist es einem Musketier von meiner Compagnie verboten, mit einem Gardisten von der Compagnie des Essarts Brüderschaft zu halten?«

»Ja, wenn das Haus, wo man mit diesem Freunde Brüderschaft pflegt, verdächtig ist.«

»Weil dieses Haus verdächtig ist, Treville,« sprach der König; »vielleicht wußtet Ihr das nicht?«

»In der That, Sire, ich wußte es nicht. Jedenfalls kann es überall verdächtig sein, nur ziehe ich in Abrede, daß es in dem Theile, welchen Herr d’Artagnan bewohnt, verdächtig ist, denn ich darf wohl im Vertrauen auf seine eigenen Aeußerungen versichern, daß es keinen ergebenern Diener Ew. Majestät, keinen innigern Bewunderer des Herrn Kardinals gibt.«

»Ist das nicht jener d’Artagnan, welcher eines Tags bei dem unglücklichen Streit in der Nähe des Klosters der Karmeliter-Barfüßer Jussac verwundete?« fragte der König und schaute dabei den Kardinal an, der vor Aerger im ganzen Gesicht roth wurde.

»Und am andern Tage Bernajoux. Ja, Sire, ja, es ist derselbe, Ew. Majestät haben ein gutes Gedächtniß.«

»Nun, was wollen wir beschließen?« sagte der König. – »Ich werde die Schuld beweisen.« –

»Und ich leugne sie. Aber Seine Majestät hat Richter und diese Richter sollen entscheiden.«

»Ganz gut,« versetzte der König, »übergeben wir den ganzen Prozeß den Richtern; es ist ihre Sache zu urtheilen, und sie werden urtheilen.«

»Nur ist es sehr traurig,« sprach Herr von Treville, »daß in den gegenwärtigen unglücklichen Zeiten ein Mann beim reinsten Leben, bei der vorwurfsfreiesten Tugend, der Bosheit und Verfolgung nicht entgeht. Die Armee wird auch ganz sicherlich sehr unzufrieden sein, wenn sie sieht, daß sie bei Polizei-Angelegenheiten der strengsten Behandlung preisgegeben wird.«

Das Wort war unklug, aber Herr von Treville hatte es ausgesprochen, weil er mit dem Stand der Dinge genau vertraut war. Er wollte eine Explosion herbeifuhren, denn bei dieser Gelegenheit gibt eine Mine Feuer und Feuer erleuchtet.

»Polizei-Angelegenheiten!« rief der König, Herrn von Treville’s Worte aufnehmen». »Polizei-Angelegenheiten!« und was wißt denn Ihr davon, mein Herr? Kümmert Euch um Euere Musketiere und macht mich nicht toll. Hört man Euch, so sollte man glauben, Frankreich wäre in Gefahr, wenn unglücklicherweise ein Musketier verhaftet wird! Ei! was für ein Lärm um einen Musketier! Ich lasse zehn verhaften, bei Gott, hundert, ja, die ganze Compagnie, und man soll nicht mucksen.«

»Die Musketiere sind schuldig, sobald Ew. Majestät einen Verdacht gegen sie hegen,« entgegnete Herr von Treville, »auch seht Ihr mich bereit, Sire, Euch meinen Degen zu übergeben; denn ich zweifle nicht daran, daß der Herr Kardinal, nachdem er meine Soldaten verklagt hat, am Ende auch mich verklagen wird, und es ist somit besser, daß ich mich selbst in Verhaft gebe, mit Herrn Athos, der bereits verhaftet ist, und mit Herrn d’Artagnan, den man noch verhaften wird.«

»Gascogner-Kopf, wollt Ihr schweigen!« rief der König.

»Sire,« antwortete Treville, ohne die Stimme im Geringsten zu dämpfen, »befehlt, mir meinen Musketier zurückzugeben oder Gericht über ihn zu halten.«

»Man wird Gericht über ihn halten,« sagte der Kardinal.

»Nun, desto besser, in diesem Falle werde ich Seine Majestät bitten, für ihn plaidiren zu dürfen.«

Der König fürchtete ein großes Aufsehen und sprach: »Wenn Seine Eminenz nicht persönliche Motive hätte…«

Der Kardinal sah den König kommen und ging ihm entgegen.

»Um Vergebung,« sagte er, »wenn Ew. Majestät in mir einen Richter von vorgefaßter Meinung erblicken, so ziehe ich mich zurück.«

»Hört,« sprach der König, »schwört Ihr mir bei meinem Vater, daß Herr Athos während des Vorfalls bei Euch gewesen ist und keinen Theil daran genommen hat?«

»Bei Eurem glorreichen Vater und bei Euch selbst, der Ihr das seid, was ich auf der Welt am innigsten liebe und verehre, schwöre ich!«

»Wollt bedenken, Sire,« sprach der Kardinal, »wenn wir den Gefangenen so entlassen, wird man nie mehr die Wahrheit erfahren.«

»Herr Athos wird stets vorhanden und bereit sein, den Gerichten Rede und Antwort zu stehen, wenn sie ihn zu befragen Lust haben,« entgegnete Herr von Treville. »Er wird nicht desertiren, dafür stehe ich.«

»Gewiß, er wird nicht desertiren,« sprach der König, »man kann ihn immer wieder finden, wie Herr von Treville sagt. Ueberdies,« fügte er mit gedämpfter Stimme und einem flehenden Blick auf Se. Eminenz hinzu, »überdies wollen wir sie sicher machen, das ist Politik.«

Diese Politik Ludwigs XIII. machte Richelieu lächeln.

»Befehlt, Sire,« sprach er, »Euch steht das Recht der Begnadigung zu.«

»Das Recht der Begnadigung ist nur auf Schuldige anwendbar,« entgegnete Treville, der das letzte Wort haben wollte, »und mein Musketier ist unschuldig. Ihr laßt also nicht Gnade, sondern Gerechtigkeit widerfahren, Sire.«

»Er ist im Fort-l’Evêque?« sagte der König.

»Ja, Sire, und in engem Gewahrsam, in einem Kerker, wie der gemeinste Verbrecher.«

»Teufel! Teufel!« murmelte der König, »was soll man da thun?«

»Den Freilassungsbefehl unterzeichnen und Alles ist abgemacht,« sprach der Kardinal; »ich halte, wie Ew. Majestät, die Gewährschaft des Herrn von Treville für mehr als genügend.«

Treville verbeugte sich ehrfurchtsvoll und mit einer Freude, die nicht ohne alle Beimischung von Furcht war; er hätte einen hartnäckigen Widerstand diesem plötzlichen Nachgeben vorgezogen.

Der König unterzeichnete den Freilassungsbefehl, den Herr von Treville ohne Verzug forttrug.

Im Augenblick seines Abgangs lächelte ihm der Kardinal freundschaftlich zu und sagte zu dem König:

»Es herrscht bei Euren Musketieren eine schöne Harmonie zwischen den Führern und Soldaten, das ist sehr ersprießlich für den Dienst und sehr ehrenvoll für Alle.«

»Er wird mir demnächst einen schlimmen Streich spielen,« dachte Treville. »Man hat nie das letzte Wort bei einem solchen Menschen. Aber eilen wir; dem König kann gleich wieder ein anderer Kopf wachsen; denn im Ganzen ist es schwieriger, einen Menschen, der einmal herausgekommen ist, wieder nach der Bastille oder dem Fort-l’Evêque zu bringen, als einen Gefangenen zu bewachen, den man eingekerkert hat.«

Herr von Treville hielt triumphirend seinen Einzug im Fort-l’Evêque, wo er den Musketier befreite, den seine Ruhe nicht einen Augenblick verlassen hatte.

Als er zum ersten Mal d’Artagnan wieder sah, sprach er:

»Ihr kommt gut weg. Euer Degenstich gegen Jusac ist nun bezahlt. Es bleibt noch der gegen Bernajoux im Rest, aber seid immerhin auf Eurer Hut!«

Herr von Treville hatte übrigens Recht, dem Kardinal zu mißtrauen und zu glauben, es sei noch nicht Alles vorbei; denn kaum hatte der Kapitän der Musketiere hinter sich geschlossen, als Seine Eminenz zu dem König sagte:

»Nun, da wir allein sind, wollen wir ernsthaft sprechen, wenn es Ew. Majestät gefällig ist. – Sire, der Herzog von Buckingham war fünf Tage lang in Paris, und ist erst diesen Morgen abgereist.«

I.

Die drei Geschenke von Herrn d’Artagnan Vater.

Am ersten Montag des Monats April 1625 schien der Marktflecken Meung, wo der Verfasser des Romans der Rose geboren wurde, in einem so vollständigen Aufruhr begriffen zu sein, als ob die Hugenotten gekommen wären, um ein zweites Rochelle daraus zu machen. Mehrere Bürger beeilten sich, als sie die Frauen die Straßen entlang fliehen sahen und die Kinder auf den Thürschwellen schreien hörten, den Küraß umzuschnallen und, ihre etwas unsichere Haltung durch eine Muskete oder eine Partisane unterstützend, sich nach der Herberge zum Freimüller zu wenden, vor der sich von Minute zu Minute anwachsend eine lärmende, neugierige, dichte Gruppe drängte.

Zu dieser Zeit waren die panischen Schrecken gar häufig, und wenige Tage vergingen, ohne daß eine oder andere Stadt irgend ein Ereigniß dieser Art in ihre Archive einzutragen hatte. Da gab es adelige Herren, welche unter sich Krieg führten; da war der König, der den Kardinal bekriegte; da war der Spanier, der den König bekriegte. Außer diesen stillen oder öffentlichen, geheimen oder geräuschvollen Kriegen, gab es Diebe, Bettler, Hugenotten, Wölfe und Lakaien, welche mit aller Welt Krieg führten. Die Bürger bewaffneten sich immer gegen die Diebe, gegen die Wölfe, gegen die Lakaien; – häufig gegen die adeligen Herren und die Hugenotten; – zuweilen gegen den König; – aber nie gegen den Kardinal und den Spanier. Infolge dieser Gewohnheit geschah es, daß die Bürger an genanntem erstem Montag des Monats April 1625, als sie das Geräusche hörten und weder die gelb und rothen Standarten, noch die Livree des Herzogs von Richelieu sahen, nach der Herberge zum Freimüller liefen.

Hier angelangt, vermochte jeder die Ursache dieses Lärms zu erschauen und zu erkennen.

Ein junger Mensch … entwerfen wir sein Porträt mit einem Federzuge: man denke sich Don Quixote im achtzehnten Jahre; Don Quixote ohne Bruststück, ohne Panzerhemd und ohne Beinschienen; Don Quixote in einem Wamms, dessen blaue Farbe sich in eine unbestimmbare Nuance von Weinhefe und Himmelblau verwandelt hatte. Langes, braunes Gesicht, hervorspringende Backenknochen, Zeichen der Schlauheit, außerordentlich stark entwickelte Kiefermuskeln, ein untrügliches Zeichen, an dem der Gascogner selbst ohne Baret zu erkennen ist, und unser junger Mann trug ein mit einer Art von Feder verziertes Baret; das Auge offen und gescheit; die Nase gebogen, aber fein gezeichnet; zu groß für einen Jüngling, zu klein für einen gemachten Mann, und ein ungeübtes Äuge würde ihn für einen reisenden Pächterssohn gehalten haben, hätte er nicht den langen Degen getragen, der an einem ledernen Wehrgehänge befestigt an die Waden seines Eigentümers schlug, wenn er zu Fuß war, und an das rauhe Fell seines Pferdes, wenn er ritt.

Denn unser junger Mann hatte ein Pferd, und dieses Roß war eben so merkwürdig, als es auch wirklich in die Augen fiel. Es war ein Klepper aus dem Bearn, zwölf bis vierzehn Jahre alt, von gelber Farbe, ohne Haare am Schweif, aber nicht ohne Fesselgeschwüre an den Beinen, ein Thier, das, während es den Kopf im Gehen tiefer hielt, als die Kniee, was die Anwendung des Sprungriemens überflüssig machte, muthig noch seine acht Meilen im Tage zurücklegte. Unglücklicherweise waren die geheimen Vorzüge dieses Pferdes so gut unter seiner seltsamen Haut und unter seinem fehlerhaften Gange versteckt, daß in einer Zeit, wo sich Jedermann auf Pferde verstand, die Erscheinung der genannten Mähre in Meung, woselbst sie vor ungefähr einer Viertelstunde durch das Beaugencythor eingetroffen war, eine allgemeine Sensation hervorbrachte, deren Ungunst bis auf den Reiter zurücksprang.

Und diese Sensation war für den jungen d’Artagnan (so hieß der Don Quixote dieser zweiten Rozinante), um so peinlicher, als er sich die lächerliche Seite nicht verbergen konnte, die ihm, ein so guter Reiter er auch war, ein solches Pferd gab. Es war ihm nicht unbekannt, daß dieses Thier einen Werth von höchstens zwanzig Livres hatte; die Worte, von denen das Geschenk begleitet wurde, waren allerdings unschätzbar.

»Mein Sohn,« sagte der gascognische Edelmann m dem reinen Patois des Bearn, von dem sich Heinrich IV. nie hatte losmachen können, »mein Sohn, dieses Pferd ist in dem Hause Deines Vaters vor bald dreizehn Jahren geboren, und seit dieser Zeit hier geblieben, was Dich bewegen muß, dasselbe zu lieben. Verkaufe es nie, laß es ruhig und ehrenvoll an Altersschwäche sterben, und wenn Du einen Feldzug mit ihm machst, so schone es, wie Du einen alten Diener schonen würdest. Am Hofe,« fuhr d’Artagnan Vater fort, »wenn Du die Ehre hast dahin zu kommen, eine Ehre, auf die wir übrigens vermöge unseres alten Adels Anspruch machen dürfen, halte würdig Deinen Namen als Edelmann aufrecht, der von unsern Ahnen seit fünfhundert Jahren auf eine ruhmvolle Weise geführt worden ist, halte ihn aufrecht für Dich und für die Deinigen. Unter den Deinigen verstehe ich Deine Verwandten und Deine Freunde; dulde nie etwas, außer von dem Herrn Kardinal und von dem König. Durch seinen Muth, höre wohl, nur durch seinen Muth, macht ein Edelmann heut zu Tage sein Glück. Wer eine Sekunde zittert, läßt sich vielleicht den Köder entgehen, welchen ihm das Glück gerade während dieser Sekunde darreichte. Du bist jung. Du mußt aus zwei Gründen tapfer werden; einmal weil Du ein Gascogner und dann weil Du mein Sohn bist. Fürchte die Gelegenheit nicht und suche die Abenteuer; ich habe Dich den Degen handhaben gelehrt. Du besitzest einen eisernen Kniebug, eine stählerne Handwurzel; schlage Dich bei jeder Veranlassung; schlage Dich um so mehr, als Zweikämpfe verboten sind, und weil es deshalb eines doppelten Muthes bedarf, sich zu schlagen. Mein Sohn, ich habe Dir nur fünfzehn Thaler, mein Pferd und die Rathschläge zu geben, die Du so eben vernommen hast. Deine Mutter wird das Recept zu einem gewissen Balsam beifügen, das sie von einer Zigeunerin erhalten hat, und das die wunderbare Kraft besitzt, jede Wunde zu heilen, die nicht gerade das Herz berührt. Ziehe aus Allem Nutzen, lebe glücklich und lange.

»Ich habe nur ein Wort beizufügen. Ich will Dir ein Beispiel nennen, nicht das meinige, denn ich bin nie bei Hof erschienen und habe nur die Religionskriege als Freiwilliger mitgemacht: ich spreche von Herrn von Treville, der einst mein Nachbar war und die Ehre hatte, als Kind mit unserem König Ludwig XIII., den Gott erhalten möge, zu spielen. Zuweilen arteten ihre Spiele in Schlachten aus, und bei diesen Schlachten war der König nicht immer der Stärkere. Die Schläge, welche er erhielt, flößten ihm große Achtung und Freundschaft für Herrn von Treville ein. Später schlug sich Herr von Treville fünfmal während seiner ersten Reise nach Paris mit Andern? vom Tode des seligen Königs an bis zur Volljährigkeit des jungen, ohne die Kriege und Belagerungen zu rechnen, siebenmal, und von dieser Volljährigkeit an bis auf den heutigen Tag hundertmal! – Nun ist er, allen Edicten, Ordonnanzen und Urteilssprüchen zum Trotz, Kapitän der Musketiere, d. h. Anführer einer Legion von Cäsaren, welche der König sehr hoch achtet und der Kardinal fürchtet, der sich sonst bekanntlich vor nichts zu fürchten pflegt. Noch mehr, Herr von Treville nimmt jährlich 10,000 Thaler ein; er ist also ein sehr vornehmer Herr. – Er hat angefangen wie Du, besuche ihn mit diesem Briefe und richte Dein Benehmen nach seinen Vorschriften ein, damit es Dir ergehe, wie ihm.«

Darauf gürtete Herr d’Artagnan Vater dem Jüngling seinen eigenen Degen um, küßte ihn zärtlich auf beide Wangen und gab ihm seinen Segen.

Das väterliche Zimmer verlassend, fand der junge Mann seine Mutter, welche ihn mit dem berühmten Recepte erwartete, zu dessen häufiger Anwendung die so eben erhaltenen Rathschläge ihn nöthigen sollten. Der Abschied war von dieser Seite länger und zärtlicher als von der andern. Nicht als ob Herr d’Artagnan seinen Sohn, der sein einziger Sprößling war, nicht geliebt hätte, aber Herr d’Artagnan war ein Mann, und er hätte es als eines Mannes unwürdig erachtet, sich seiner Rührung hinzugeben, während Frau d’Artagnan Weib und überdieß Mutter war. Sie weinte schrecklich, und wir müssen es Herrn d’Artagnan zum Lob nachsagen, daß er sich trotz seiner Anstrengungen, ruhig zu bleiben, wie es die Pflicht eines zukünftigen Musketiers war, von der Natur hinreißen ließ und eine Menge Thränen vergoß, von denen er nur mit großer Mühe die Hälfte verbergen konnte.

Am selben Tage begab sich der junge Mann auf den Weg, ausgerüstet mit den drei väterlichen Geschenken, welche, wie gesagt, aus fünfzehn Thalern, dem Pferde und dem Briefe an Herrn von Treville bestanden; die Rathschläge waren, wie man sich wohl denken kann, in den Kauf gegeben worden. Mit einem solchen Vademecum erschien d’Artagnan in moralischer, wie in physischer Beziehung als eine getreue Copie des Helden von Cervantes, mit dem wir ihn so glücklich verglichen, als wir uns durch unsere Geschichtschreiberpflichten veranlaßt sahen, sein Bild zu entwerfen. Don Quixote hielt die Windmühlen für Riesen und die Schafe für Armeen, d’Artagnan nahm jedes Lächeln für eine Beleidigung und jeden Blick für eine Herausforderung. Demzufolge hielt er seine Faust von Tarbes bis Meung geschlossen und fuhr wenigstens zehnmal des Tags an seinen Degenknopf; die Faust traf indessen keinen Kinnbacken und der Degen kam nicht aus der Scheide. Nicht als ob der Anblick der unglückseligen gelben Mähre nicht oftmals ein Lächeln auf den Gesichtern der Vorübergehenden hervorgerufen hätte, aber da über dem Klepper ein Degen von achtungswerther Größe klirrte und über diesem Degen ein mehr wildes als stolzes Auge glänzte, so unterdrückten die Vorübergehenden ihre Heiterkeit, oder wenn diese Heiterkeit mächtiger wurde, als die Klugheit, so suchten sie wenigstens, wie die antiken Masken, nur auf einer Seite zu lachen; d’Artagnan blieb also majestätisch und unverletzt in seiner Empfindlichkeit bis zu dem unseligen Städtchen Meung.

Hier aber, als er an der Thüre des Freimüllers vom Pferd stieg, ohne daß irgend Jemand, Wirth, Kellner oder Hausknecht erschien, um ihm den Steigbügel am Auftritt zu halten, erblickte d’Artagnan an einem halbgeöffneten Fenster des Erdgeschosses einen Edelmann von schöner Gestalt und vornehmem Aussehen mit leicht gerunzeltem Gesicht, der mit zwei Personen sprach, welche ihm mit großer Untertänigkeit zuzuhören schienen. D’Artagnan glaubte ganz natürlich, seiner Gewohnheit gemäß, der Gegenstand des Gespräches zu sein, und horchte. Diesmal hatte sich d’Artagnan nur zur Hälfte getäuscht; es war zwar nicht von ihm die Rede, aber von seinem Pferde, dessen Eigenschaften der Edelmann seinen Zuhörern aufzählte, und da diese Zuhörer, wie gesagt, große Ehrfurcht vor dem Erzähler zu hegen schienen, so brachen sie jeden Augenblick in ein neues schallendes Gelächter aus. Da nun ein halbes Lächeln hinreichte, um den jungen Mann zum Zorne zu reizen, so begreift man leicht, welchen Eindruck eine so geräuschvolle Heiterkeit auf ihn hervorbringen mußte.

D’Artagnan wollte sich jedoch vorerst über die Physiognomie des Frechen belehren, der es wagte, sich über ihn lustig zu machen. Er heftete seinen Blick voll Stolz auf den Fremden und erkannte in ihm einen Mann von vierzig bis fünfundvierzig Jahren, mit schwarzen, durchdringenden Augen, bleicher Gesichtsfarbe, stark hervortretender Nase und schwarzem, vollkommen zugestutztem Schnurrbart; derselbe trug ein Wamms und veilchenblaue Beinkleider mit Schnürnesteln von ähnlicher Farbe. Dieses Wamms und diese Beinkleider schienen, obwohl neu, doch zerknittert, wie lange in einem Mantelsack eingeschlossene Reisekleider. D’Artagnan machte alle seine Bemerkungen mit der Geschwindigkeit des schärfsten Beobachters und ohne Zweifel von einem instinktartigen Gefühl angetrieben, das ihm sagte, dieser Fremde müsse einen großen Einfluß auf sein zukünftiges Leben ausüben.

Da nun in dem Moment, wo d’Artagnan sein Auge auf den Edelmann mit der veilchenblauen Hose heftete, dieser Herr eine seiner gelehrtesten und gründlichsten Erläuterungen in Bezug der bearnischen Mähre zum Besten gab, so brachen seine Zuhörer in ein schallendes Gelächter aus, und er selbst ließ augenscheinlich gegen seine Gewohnheit ein bleiches Lächeln, wenn man so sagen darf, über sein Antlitz schweben. Diesmal konnte kein Zweifel entstehen, d’Artagnan war wirklich beleidigt. Erfüllt von dieser Überzeugung, drückte er sein Baret tief in die Augen und rückte, indem er sich Mühe gab, einige von den Hofmienen nachzuahmen, die er in der Gascogne bei reisenden vornehmen Herren aufgefangen hatte, eine Hand auf das Stichblatt seines Degens, die andere auf die Hüfte gestützt, vor. Leider verblendete ihn der Zorn immer mehr, je weiter er vorschritt, und statt einer würdigen stolzen Rede, die er im Stillen zu einer Herausforderung vorbereitet hatte, fand er auf seiner Zungenspitze nichts mehr, als eine plumpe Grobheit, die er mit einer wüthenden Geberde begleitete.

»He, mein Herr,« rief er, »mein Herr, der Ihr Euch hinter jenem Laden verbergt, ja Ihr, sagt mir doch ein wenig, über wen Ihr lacht, dann wollen wir gemeinschaftlich lachen.«

Der Edelmann richtete langsam die Augen von dem Pferde auf den Reiter, als ob er einiger Zeit bedürfte, um zu begreifen, daß so seltsame Worte an ihn gesprochen wurden; da ihm sodann kein Zweifel mehr übrig blieb, so runzelte er leicht die Stirne, und antwortete nach einer ziemlich langen Pause mit einem unbeschreiblichen Ausdruck von Spott und Keckheit:

»Ich spreche nicht mit Euch.«

»Aber ich spreche mit Euch,« rief der junge Mann, ganz außer sich über diese Mischung von Frechheit und guten Manieren, von Anstand und Verachtung.

Der Unbekannte betrachtete ihn noch einen Augenblick mit seinem leichten Lächeln und zog sich langsam vom Fenster zurück, ging dann aus dem Wirthshause, näherte sich d’Artagnan bis auf zwei Schritte und blieb vor dem Pferde stehen. Seine ruhige Haltung und seine spöttische Miene hatten die Heiterkeit derjenigen vermehrt, mit denen er plauderte, und die am Fenster geblieben waren. Als d’Artagnan ihn auf sich zukommen sah, zog er seinen Degen einen Fuß lang aus der Scheide.

»Dieses Pferd ist offenbar oder war vielmehr in seiner Jugend ein Goldfuchs,« sprach der Unbekannte, während er in den begonnenen Untersuchungen fortfuhr, und wandte sich dabei an seine Zuhörer am Fenster, ohne daß er die Erbitterung d’Artagnan’s im Geringsten zu beachten schien. »Es ist eine in der Botanik sehr bekannte, aber bis jetzt bei den Pferden sehr seltene Farbe.«

»Wer über das Pferd lacht,« rief der Nebenbuhler Treville’s wüthend, »würde es nicht wagen, über den Herrn zu lachen.«

»Ich lache nicht oft, mein Herr,« erwiederte der Unbekannte, »wie Ihr selbst an meinen Gesichtszügen wahrnehmen könnt, aber ich möchte mir doch gerne das Recht wahren, zu lachen, so oft es mir beliebt.«

»Und ich,« rief d’Artagnan, »ich will nicht, daß irgend Jemand über mich lache, wenn es mir mißfällt.«

»Wirklich, mein Herr?« erwiederte der Unbekannte, ruhiger als je, »nun denn, das ist nicht mehr als billig.«

Und auf seinen Fersen sich drehend, schickte er sich an, durch das große Thor in das Gasthaus zurückzukehren, wo d’Artagnan ein völlig gesatteltes Pferd wahrgenommen hatte.

Aber d’Artagnan besaß nicht den Character, mit dem es ihm möglich gewesen wäre, einen Menschen loszulassen, der die Frechheit gehabt hatte, über ihn zu spotten. Er zog seinen Degen vollends aus der Scheide und fuhr fort, seinen Streit zu verfolgen.

»Umgedreht, mein Herr Spötter, damit ich Euch nicht auf den Rücken schlage.«

»Mich schlagen, mich?« sagte der Andere, sich auf den Fersen umdrehend, und schaute den jungen Mann mit eben so großer Verwunderung als Verachtung an. »Geht, mein Lieber, Ihr seid ein Narr!« Dann fuhr er mit leiser Stimme und als ob er mit sich selbst spräche, fort: »Das ist ärgerlich; welch ein Fund für Seine Majestät, welche überall nach Leuten sucht, um die Musketiere zu rekrutiren.«

Er hatte kaum vollendet, als d’Artagnan mit seiner Degenspitze einen so wüthenden Stoß nach ihm führte, daß er, ohne einen sehr raschen Sprung rückwärts, wahrscheinlich zum letzten Mal gescherzt hätte. Der Unbekannte sah jetzt, daß die Sache über den Spaß hinausging; er zog seinen Degen, begrüßte seinen Gegner und nahm eine Fechterstellung ein. Aber in demselben Augenblick fielen seine zwei Zuhörer in Begleitung des Wirthes mit Stöcken, Schaufeln und Feuerzangen über d’Artagnan her. Dies gab dem Angriff eine so rasche und vollständige Diversion, daß d’Artagnan’s Gegner, während sich dieser umwandte, um einen Hagel von Schlägen abzuwehren, seinen Degen mit der größten Gelassenheit einsteckte und aus einem darstellenden Mitglied, das er beinahe geworden wäre, wieder Zuschauer des Kampfes wurde, – eine Rolle, deren er sich mit seiner gewöhnlichen Unempfindlichkeit entledigte. Nichtsdestoweniger murmelte er durch die Zähne:

»Die Pest über alle Gascogner! Setzt ihn wieder auf sein orangefarbiges Pferd, er mag zum Teufel gehen.«

»Nicht ohne Dich getödtet zu haben, Feigling!« rief d’Artagnan, während er sich so gut als möglich und ohne einen Schritt zurückzuweichen gegen seine drei Feinde, die ihn mit Schlägen überhäuften, zur Wehre setzte.

»Abermals eine Gasconnade«, murmelte der Edelmann. »Bei meiner Ehre, diese Gascogner sind unverbesserlich! Setzt also den Tanz fort, da er es durchaus haben will. Wenn er einmal müde ist, wird er schon sagen, es sei genug.«

Aber der Unbekannte wußte noch nicht, mit was für einem hartnäckigen Menschen er es zu thun hatte; d’Artagnan war nicht der Mann, der Gnade gefordert hätte. Der Kampf dauerte also noch einige Sekunden fort, doch endlich ließ d’Artagnan erschöpft seinen Degen fahren, den ein Schlag mit einer Heugabel entzwei brach. Ein anderer Schlag, welcher seine Stirne traf, schmetterte ihn beinahe zu derselben Zeit blutend und fast ohnmächtig nieder. In diesem Augenblick kamen von allen Seiten Leute auf den Schauplatz gelaufen, der Wirth fürchtete ein ärgerliches Aufsehen und trug den Verwundeten mit Hülfe einiger Kellner in die Küche, wo man ihm Pflege angedeihen ließ.

Der Edelmann aber hatte seinen früheren Platz am Fenster wieder eingenommen und betrachtete mit einer gewissen Ungeduld die umherstehende Menge, deren Verweilen ihm sehr ärgerlich zu sein schien.

»Nun! wie geht es dem Wüthenden?« sagte er, indem er sich bei dem durch das Oeffnen der Thüre verursachten Geräusch umkehrte und an den Wirth wandte, der sich nach dessen Befinden erkundigt hatte. – »Ew. Excellenz ist gesund und wohlbehalten?« fragte der Wirth. – »Ja, vollkommen wohl und gesund, mein lieber Wirth, und ich frage Euch, was aus unserem jungen Menschen geworden ist?« – »Es geht besser mit ihm,« erwiederte der Wirth: »er ist in Ohnmacht gefallen.« – »Wirklich?« sprach der Edelmann.

»Doch ehe er in Ohnmacht fiel, raffte er alle seine Kräfte zusammen, rief nach Euch und forderte Euch heraus.« – »Dieser Bursche ist also der leibhaftige Teufel!« rief der Unbekannte. – »O nein, Ew. Excellenz, es ist kein Teufel,« entgegnete der Wirth mit einer verächtlichen Grimasse, »denn während seiner Ohnmacht haben wir ihn durchsucht und in seinem Päckchen nicht mehr als ein Hemd, in seiner Börse nicht mehr als zwölf Thaler gefunden, was ihn jedoch nicht abhielt, kurz bevor er in Ohnmacht fiel, zu bemerken, wenn dergleichen in Paris geschehen wäre, so müßtet Ihr dies sogleich bereuen, während Ihr es hier erst später bereuen würdet.« – »Dann ist er irgend ein verkleideter Prinz von Geblüt,« sagte der Unbekannte kalt. – »Ich theile Euch dies mit, gnädiger Herr,« versetzte der Wirth, »damit Ihr auf Eurer Hut sein möget.« – »Und er hat Niemand in seinem Zorn genannt?« – ›Allerdings, er schlug an seine Tasche und sagte: »Wir wollen sehen, was Herr von Treville zu der Beleidigung sagen wird, die seinem Schützling widerfahren ist.‹ – »Herr von Treville?« sprach der Unbekannte mit steigender Aufmerksamkeit; »er schlug an seine Tasche, während er den Namen des Herrn von Treville aussprach? … Hört, mein lieber Wirth, indeß Euer junger Mann in Ohnmacht lag, habt Ihr sicherlich nicht versäumt, ein wenig in diese Tasche zu schauen. Was fand sich darin?« – »Ein Brief, mit der Adresse des Herrn von Treville, Kapitäns der Musketiere.« – »Wirklich?« – »Es ist, wie ich Ew. Excellenz zu sagen die Ehre habe.«

Der Wirth, welcher eben nicht mit übergroßem Scharfsinn begabt war, gewahrte den Ausdruck nicht, den seine Worte auf dem Gesichte des Unbekannten hervorriefen. Dieser entfernte sich von dem Gesimse des Kreuzstocks, auf das er sich bis jetzt mit dem Ellbogen gestützt hatte, und faltete die Stirne, wie ein Mensch, den etwas beunruhigt.

»Teufel!« murmelte er zwischen den Zähnen, »sollte mir Treville diesen Gascogner geschickt haben? Er ist noch sehr jung! Aber ein Degenstich bleibt ein Degenstich, welches Alter auch sein Spender haben mag, und man nimmt sich vor einem jungen Bürschchen weniger in Acht, als vor anderen Leuten; Zuweilen genügt ein schwaches Hinderniß, um einem großen Plan in den Weg zu treten.«

Und der Unbekannte versank in ein Nachdenken, das einige Minuten währte.

»Hört einmal, Wirth,« sagte er, »werdet Ihr mich nicht von diesem Wüthenden befreien? Ich kann ihn mit gutem Gewissen nicht töten, und dennoch,« fügte er mit einem kalt drohenden Ausdrucke bei, »ist er mir unbequem. Wo verweilt er?« – »Im ersten Stock in der Stube meiner Frau, wo man ihn verbindet.« – »Hat er Kleidungsstücke und seine Tasche bei sich? Er hat sein Wamms nicht ausgezogen?« – »Alles dies blieb im Gegentheil unten in der Küche. Aber wenn Euch dieser junge Laffe unbequem ist …?«

»Gewiß. Er veranlaßt in Eurem Gasthaus ein Ärgernis, das ehrliche Leute nicht aushalten können. Geht hinauf, macht meine Rechnung und benachrichtigt meinen Lakaien.« – »Wie! gnädiger Herr, Ihr verlasset uns schon?« – »Ihr konntet es daraus sehen, daß ich Euch Befehl gegeben hatte, mein Pferd zu satteln. Hat man mir nicht Folge geleistet?« – »Allerdings, und das Pferd steht völlig aufgezäumt unter dem großen Thor, wie Ew. Excellenz selbst hat sehen können.« – »Das ist gut. Thut, was ich Euch gesagt habe.«

»Oh weh!« sprach der Wirth zu sich selbst; »sollte er vor dem kleinen Jungen bange haben?«

Aber ein gebieterischer Blick des Unbekannten machte seinen Gedanken rasch ein Ende. Er verbeugte sich demüthig und ging ab.

»Mylady soll diesen Burschen nicht gewahr werden,« fuhr der Fremde fort; »sie muß bald kommen; sie bleibt schon allzulange aus. Offenbar ist es besser, wenn ich zu Pferde steige und ihr entgegenreite … Könnte ich nur erfahren, was dieser Brief an Treville enthält!« Und unter fortwährendem Murmeln wandte sich der Fremde nach der Küche.

Inzwischen war der Wirth, der nicht daran zweifelte, daß die Gegenwart des jungen Menschen den Unbekannten aus seiner Herberge treibe, zu seiner Frau hinaufgegangen und hatte d’Artagnan hier wieder gefunden. Er machte ihm begreiflich, die Polizei könnte ihm einen schlimmen Streich spielen, da er mit einem vornehmen Herrn Streit angefangen habe, denn nach der Meinung des Wirthes konnte der Unbekannte nur ein vornehmer Herr sein, und er veranlaßte ihn, trotz seiner Schwäche aufzustehen und seinen Weg fortzusetzen. Halb betäubt, ohne Wamms und den Kopf mit Leinwand umwickelt, stand d’Artagnan auf und ging, vom Wirthe gedrängt, die Treppe hinab; aber als er in die Küche kam, war das erste, was er bemerkte, sein Gegner, der am Fußtritt einer schweren, mit zwei plumpen normannischen Pferden bespannten Karosse ruhig plauderte.

Die Frau, mit der er sprach, war eine Frau von zwanzig bis zweiundzwanzig Jahren, deren Kopf in den Kutschenschlag eingerahmt schien. Wir haben bereits erwähnt, mit welcher Raschheit d’Artagnan eine Physiognomie aufzufassen wußte; er sah also auf den ersten Blick, daß die Frau jung und hübsch war. Diese Schönheit fiel ihm um so mehr auf, als sie eine in den südlichen Gegenden, welche d’Artagnan bis jetzt bewohnt hatte, ganz fremde Erscheinung war. Es war eine Blondine mit langen, auf die Schultern herabfallenden Locken, großen, schmachtenden, blauen Augen, rosigen Lippen und Alabasterhänden; sie sprach sehr lebhaft mit dem Unbekannten.

»Also befiehlt mir Seine Eminenz…« sagte die Dame. – »Sogleich nach England zurückzukehren und sie zu benachrichtigen, ob der Herzog London verlassen hat.« – »Und was meine übrigen Instruktionen betrifft? …« fragte die schöne Reisende. – »Sie sind in dieser Kapsel enthalten, welche Ihr erst jenseits des Kanals öffnen dürfet.« – »Sehr wohl; und Ihr, was macht Ihr?« – »Ich kehre nach Paris zurück.«

»Ohne das freche Bürschchen zu züchtigen?« fragte die Dame.

Der Unbekannte war im Begriff zu antworten, aber in dem Augenblick, wo er den Mund öffnete, sprang d’Artagnan, der alles gehört hatte, auf die Thürschwelle.

»Das freche Bürschchen züchtigt andere,« rief er, »und ich hoffe, daß derjenige, welchen er zu züchtigen hat, ihm diesmal nicht entkommen wird, wie das erstemal.«

»Nicht entkommen wird?« entgegnete der Unbekannte, die Stirne faltend.

»Nein, vor einer Dame, denke ich, werdet Ihr nicht zu fliehen wagen.«

»Bedenkt,« rief Mylady, als sie sah, daß der Edelmann die Hand an den Degen legte, »bedenkt, daß die geringste Zögerung Alles verderben kann.«

»Ihr habt Recht,« rief der Edelmann, »reist also Eurerseits, ich thue desgleichen.«

Und indem er der Dame mit dem Kopf zunickte, sprang er zu Pferde, während der Kutscher der Karosse sein Gespann kräftig mit der Peitsche antrieb. Die zwei Sprechenden entfernten sich also im Galopp, jedes in einer entgegengesetzten Richtung der Straße.

»Heda! Eure Rechnung,« schrie der Wirth, dessen Ergebenheit für den Reisenden sich in tiefe Verachtung verwandelte, als er sah, daß er abging, ohne seine Zeche zu bezahlen.

»Bezahle, Schlingel,« rief der Reisende stets galoppierend seinem Bedienten zu, der dem Wirth ein Paar Geldstücke vor die Füße warf und dann eiligst seinem Herrn nachgaloppierte.

»Ha, Feigling, ha, Elender, ha, falscher Edelmann!« rief d’Artagnan und lief dem Bedienten nach.

Aber der Verwundete war noch zu schwach, um eine solche Erschütterung auszuhalten. Kaum hatte er zehn Schritte gemacht, so klangen ihm die Ohren, er sah nichts mehr, eine Blutwolke zog über seine Augen hin und er stürzte unter dem beständigen Geschrei: »Feigling! Feigling! Feigling!« auf die Straße nieder.

»Er ist in der That sehr feig!« murmelte der Wirth, indem er sich d’Artagnan näherte und sich durch diese Schmeichelei mit dem armen Jungen zu versöhnen suchte, wie der Held in der Fabel mit seiner Schnecke.

»Ja, sehr feig,« sagte d’Artagnan mit schwacher Stimme, »aber sie ist sehr schön.«

»Wer sie?« fragte der Wirth.

»Mylady,« stammelte d’Artagnan und fiel zum zweiten Mal in Ohnmacht.

»Gleich viel,« sprach der Wirth, »es bleibt mir doch dieser da, den ich sicherlich einige Tage behalten werde. Da lassen sich immerhin elf Thaler verdienen.«

Man weiß bereits, daß sich der Inhalt von d’Artagnans Börse gerade auf elf Thaler belief.

Der Wirth hatte auf elf Tage Krankheit den Tag zu einem Thaler gerechnet; aber er hatte die Rechnung ohne seinen Reisenden gemacht. Am andern Morgen stand d’Artagnan schon um fünf Uhr auf, ging in die Küche hinab, verlangte außer einigen anderen Ingredienzien, deren Liste uns nicht zugekommen ist, Wein, Öl, Rosmarin, und bereitete sich, das Rezept seiner Mutter in der Hand, einen Balsam, mit dem er seine zahlreichen Wunden salbte; dann erneuerte er seine Kompressen selbst und wollte keine ärztliche Hilfeleistung gestatten. Der Wirksamkeit des Zigeunerbalsams und ohne Zweifel auch ein wenig der Abwesenheit jedes Arztes hatte es d’Artagnan zu danken, daß er schon an demselben Abend wieder auf den Beinen und am andern Tag beinahe völlig geheilt war.

In dem Augenblick aber, als er den Rosmarin, das Öl und den Wein bezahlen wollte – die einzige Ausgabe des Herrn, der strenge Diät hielt, während das gelbe Roß, wenigstens nach der Aussage des Wirthes, dreimal so viel gefressen hatte, als sich vernünftigerweise bei seiner Gestalt voraussetzen ließ – fand d’Artagnan m seiner Tasche nur noch seine kleine Sammetbörse, sowie die elf Thaler, welche sie enthielt; jedoch der Brief an Herrn von Treville war verschwunden.

Der junge Mann suchte anfangs diesen Brief mit großer Geduld, drehte seine Taschen um und um, durchwühlte seinen Mantelsack, öffnete und schloß seine Börse wieder und wieder, als er aber die Überzeugung gewonnen hatte, daß der Brief nicht mehr zu finden war, gerieth er in einen dritten Anfall von Wuth, der ihn leicht zu einem neuen Verbrauch von aromatischem Wein und Öl veranlassen konnte; denn als man sah, daß dieser junge Brausekopf sich erhitzte und drohte, er werde Alles im Hause kurz und klein schlagen, wenn man seinen Brief nicht finde, da ergriff der Wirth einen Spieß, seine Frau einen Besenstiel, und sein Aufwärter nahm von denselben Stöcken, welche zwei Tage vorher benützt worden waren.

»Meinen Empfehlungsbrief,« schrie d’Artagnan, »meinen Empfehlungsbrief, oder ich spieße Euch alle wie Ortolane.«

Unglücklicherweise trat ein Umstand der Ausführung seiner Drohung in den Weg; sein Degen war erwähntermaßen beim ersten Kampf in zwei Stücke zerbrochen worden, was er völlig vergessen hatte. Als d’Artagnan wirklich vom Leder ziehen wollte, sah er sich ganz einfach mit einem Degenstumpfe von acht bis zehn Zoll bewaffnet, den der Wirth sorgfältig wieder in die Scheide gesteckt hatte. Den übrigen Theil der Klinge hatte der Herr der Herberge geschickt auf die Seite gebracht, um sich einen Bratspieß daraus zu machen.

Diese Enttäuschung dürfte wohl unsern jähzornigen jungen Mann nicht zurückgehalten haben, aber der Wirth bedachte, daß die Forderung, die sein Reisender an ihn stellte, eine völlig gerechte war.

»In der That,« sprach er und senkte dabei seinen Spieß, »wo ist der Brief?«

»Wo ist dieser Brief?« rief d’Artagnan. »Ich sage Euch vor Allem, daß dieser Brief für Herrn von Treville bestimmt ist, und daß er sich wiederfinden muß; ist dies nicht der Fall, so wird Er schon machen, daß er gefunden wird!«

Diese Drohung schüchterte den Wirth vollends ein. Nach dem König und dem Herrn Kardinal war Herr von Treville derjenige Mann, dessen Namen vielleicht am öftesten von den Militären und sogar von den Bürgern wiederholt wurde. Wohl war noch der Pater Joseph vorhanden, aber sein Name wurde immer nur ganz leise ausgesprochen, so groß war der Schrecken, den die graue Eminenz einflößte, wie man den Vertrauten des Kardinals nannte.

Er warf also seinen Spieß weit von sich, befahl seiner Frau, dasselbe mit ihrem Besenstiel zu thun, und seinen Dienern, ihre Stöcke wegzulegen; dann ging er mit gutem Beispiel voran und begann nach dem verlorenen Brief zu suchen.

»Enthielt dieser Brief etwas Werthvolles?« sagte der Wirth, nachdem er einen Augenblick fruchtlos gesucht hatte. – »Heiliger Gott, ich glaube es wohl!« erwiederte der Gascogner, der mit Hülfe dieses Schreibens seinen Weg zu machen hoffte, »er enthielt mein Glück.« – »Anweisungen auf Spanien?« fragte der Wirth unruhig. – »Anweisungen auf den Privatschatz Seiner Majestät,« erwiederte d’Artagnan, der darauf zählte, er werde durch diese Empfehlung in den Dienst des Königs aufgenommen werden, und deßhalb ohne zu lügen diese etwas kecke Antwort geben zu können glaubte.

»Teufel!« rief der Wirth ganz in Verzweiflung.

»Aber daran liegt nichts,« fuhr d’Artagnan mit ganz nationaler Dreistigkeit fort, »daran liegt nichts, das Geld kommt gar nicht in Betracht; der Brief war Alles. Ich hätte lieber tausend Pistolen verloren, als diesen Brief.«

Er würde nicht mehr gewagt haben, wenn er zwanzig tausend gesagt hätte, aber eine gewisse jugendliche Schüchternheit hielt ihn zurück.

Ein Lichtstrahl durchdrang plötzlich den Geist des Wirthes, der von einem entsetzlichen Grauen befallen wurde, als er nichts fand.

»Dieser Brief ist durchaus nicht verloren,« rief er.

»Ah!« seufzte d’Artagnan. – »Nein, er ist Euch gestohlen worden.« – »Gestohlen! und von wem?« – »Von dem Edelmann von gestern. Er ist in die Küche hinabgegangen, wo Euer Wamms lag, und daselbst allein geblieben. Ich wollte wetten, daß er ihn gestohlen hat.«

»Ihr glaubt?« erwiederte d’Artagnan nicht sehr überzeugt, denn er kannte den ganz persönlichen Belang dieses Briefes und sah nichts dabei, was einen Andern nach dem Besitz desselben hätte lüstern machen können. Keiner von den Dienern, keiner von den anwesenden Gasten würde etwas damit gewonnen haben, wenn er sich das Papier zugeeignet hätte.

»Ihr sagt also,« versetzte d’Artagnan, »Ihr habet diesen frechen Edelmann im Verdacht?«

»Ich sage, daß ich vollkommen hievon überzeugt bin,« fuhr der Wirth fort; »als ich ihm mittheilte, Ew. Herrlichkeit sei ein Schützling des Herrn von Treville, und Ihr hättet sogar einen Brief an diesen erlauchten Herrn, da schien er sehr unruhig zu werden und fragte mich, wo dieser Brief sei; dann ging er sogleich in die Küche hinab, weil er wußte, daß Euer Wamms dort lag.«

»Dann ist er mein Dieb,« sagte d’Artagnan, »ich werde mich bei Herrn von Treville darüber beklagen, und Herr von Treville wird sich beim König beklagen.« Sofort zog er majestätisch zwei Thaler aus seiner Tasche, gab sie dem Wirth, der ihn mit dem Hut in der Hand bis vor die Thüre begleitete, und bestieg wieder sein gelbes Roß, das ihn ohne weiteren Unfall bis zu der Porte Saint-Antoine in Paris trug, wo es der Eigenthümer um drei Thaler verkaufte, was sehr gut bezahlt war, da d’Artagnan es auf dem letzten Marsch bedeutend übertrieben hatte. Der Roßkamm, welchem d’Artagnan die Mähre gegen erwähnte neun Livres abtrat, verbarg auch dem jungen Mann keineswegs, daß er diese außerordentliche Summe nur wegen der originellen Farbe des Tieres bezahle.

D’Artagnan hielt also zu Fuß seinen Einzug in Paris, trug sein Päckchen unter dem Arm und marschirte so lange umher, bis er eine Stube zu miethen fand, die der Geringfügigkeit seiner Mittel entsprach. Diese Stube war eine Art von Mansarde und lag in der Rue de Fossoyeurs in der Nähe des Luxemburg.

Sobald d’Artagnan die Miethe bezahlt hatte, nahm er Besitz von seiner Wohnung und brachte den übrigen Theil des Tages damit hin, daß er an sein Wamms und an seine Strümpfe Posamenten annähte, die seine Mutter von einem beinahe neuen Wammse des Herrn d’Artagnan Vaters abgetrennt und ihm insgeheim zugesteckt hatte. Dann ging er auf den Quai de la Ferraille, um eine neue Klinge in seinen Degen machen zu lassen, hierauf nach dem Louvre und erkundigte sich bei dem ersten Musketier, dem er begegnete, nach dem Hotel des Herrn von Treville, welches in der Rue du Vieux-Colombier lag, das heißt, ganz in der Nähe der Wohnung, welche d’Artagnan gemiethet hatte – ein Umstand, der ihm als ein glückliches Vorzeichen für den Erfolg seiner Reise erschien.

Zufrieden mit der Art und Weise, wie er sich in Meung benommen hatte, ohne Gewissensbisse wegen der Vergangenheit, voll Vertrauen aus die Gegenwart, voll Hoffnung für die Zukunft, legte er sich hierauf nieder und schlief den Schlaf des Gerechten.

Dieser noch ganz provinzmäßige Schlaf währte bis zur neunten Stunde des Morgens, wo er aufstand, um sich zu dem berühmten Herrn von Treville, der dritten Person des Reiches nach der väterlichen Schätzung, zu begeben.

X.

Eine Mausfalle im siebzehnten Jahrhundert.

Die Mausfalle ist keine Erfindung unserer Tage; sobald die Gesellschaften bei ihrer Bildung irgend eine Polizei erfunden hatten, erfand diese ihrerseits die Mausfalle.

Da unsere Leser vielleicht noch nicht mit dem Rothwälsch der Rue de Jerusalem vertraut sind, und da wir zum ersten Mal dieses Wort in dieser eigenthümlichen Bedeutung anwenden, so wollen wir ihnen erklären, was eine Mausfalle ist.

Wenn man in irgend einem Hause irgend eine eines Verbrechens verdächtige Person verhaftet hat, so hält man diese Verhaftung geheim; man legt vier oder fünf Mann im ersten Zimmer in Hinterhalt, man öffnet die Thüre allen denjenigen, welche anklopfen, schließt sie wieder hinter ihnen und verhaftet sie; nach Verlauf von zwei bis drei Tagen hat man alle diejenigen, welche mit dem betreffenden Hause in Verbindung stehen, in Händen.

Das ist eine Mausfalle.

Man machte also eine Mausfalle aus der Wohnung des Meisters Bonacieux, und wer daselbst erschien, wurde ergriffen und von den Leuten des Kardinals ausgefragt. Es bedarf kaum der Erwähnung, daß diejenigen, welche zu d’Artagnan kamen, von den Ausforschungen befreit blieben, insofern ein besonderer Gang nach seiner Wohnung im ersten Stock führte.

Ueberdies kamen die drei Musketiere allein dahin. Jeder von ihnen hatte sich einzeln auf Kundschaft gelegt, aber keinem war es gelungen, etwas zu entdecken. Athos war sogar so weit gegangen, Herrn von Treville zu befragen, worüber sein Kapitän in Betracht der gewöhnlichen Schweigsamkeit des würdigen Musketiers nicht wenig erstaunte. Herr von Treville wußte nur, daß das letzte Mal, als er den König, die Königin und den Kardinal gesehen, der Kardinal eine sehr sorgliche Miene hatte, der König sehr unruhig war, und die Augen der Königin andeuteten, daß sie geweint oder gewacht hatte; aber Letzteres veranlaßte keine Verwunderung bei ihm, denn die Königin wachte und weinte viel seit ihrer Verheirathung.

Herr von Treville empfahl jedenfalls Athos den Dienst des Königs und besonders den bei der Königin, und ersuchte ihn, dieselbe Empfehlung seinen Kameraden zu überbringen.

D’Artagnan verließ seine Wohnung nicht; er hatte sein Zimmer in ein Observatorium verwandelt. Von seinem Fenster aus sah er diejenigen ankommen, welche gefangen genommen wurden. Da er ferner die Dielen seines Stubenbodens aufgebrochen hatte und nur ein einfacher Plafond ihn vor dem unter ihm liegenden Zimmer trennte, wo die Verhöre stattfanden, so vernahm er Alles, was zwischen den Inquisitoren und den Angeklagten vorging.

Die Verhöre, welche stets mit einer sorgfältigen Durchsuchung der verhafteten Personen verbunden waren, glichen sich beinahe gänzlich ihrem Inhalt nach: »Hat Euch Madame Bonacieux etwas für ihren Gatten oder für irgend eine andere Person zugestellt?«

»Hat Euch Herr Bonacieux irgend etwas für seine Frau oder für irgend eine andere Person zugestellt?«

»Hat Euch die eine oder der andere von ihnen irgend eine vertrauliche Mittheilung gemacht?«

»Wenn sie etwas wüßten, so würden sie nicht so fragen,« sagte d’Artagnan zu sich selbst. »Was wollen sie nur erfahren? Ob sich der Herzog von Buckingham nicht in Paris befindet, und ob er nicht mit der Königin eine Zusammenkunft gehabt hat oder haben soll.«

D’Artagnan blieb bei dieser Ansicht stehen, der es nach Allem, was er erfahren hatte, nicht an Wahrscheinlichkeit gebrach.

Mittlerweile war die Mausfalle permanent und die Wachsamkeit d’Artagnans ebenso. Am zweiten Tag nach der Verhaftung des armen Bonacieux, als Athos d’Artagnan so eben verlassen hatte, um sich zu Herrn von Treville zu begeben, als es gerade neun Uhr geschlagen und Planchet, der seines Herrn Bett noch nicht gemacht hatte, eben seine Arbeit verrichtete, hörte man an die Hausthüre klopfen. Alsbald wurde diese Thüre geöffnet und wieder verschlossen. Es hatte sich Jemand in der Mausfalle fangen lassen.

D’Artagnan stürzte nach der Stelle, wo die Dielen weggenommen waren, legte sich mit dem Bauch auf den Boden und horchte. Es wurde ein Geschrei vernehmbar, dann folgte ein starkes Seufzen, das man zu ersticken suchte, von einem Verhör war nicht die Rede.

»Teufel!« sprach d’Artagnan zu sich selbst, »es scheint mir, das ist eine Frau; man durchsucht sie, sie widersteht, man thut ihr Gewalt an. Die Schurken!«

D’Artagnan hatte, trotz seiner Klugheit, die größte Mühe, sich von der Scene entfernt zu halten, welche unten vorging.

»Aber ich sage Euch, daß ich die Hausfrau bin, meine Herren, ich sage Euch, daß ich die Frau Bonacieux bin, ich sage Euch, daß ich im Dienste der Königin stehe,« rief die Unglückliche.

»Frau Bonacieux!« murmelte d’Artagnan; »sollte ich so glücklich sein, das gefunden zu haben, was Jedermann sucht?«

»Gerade Euch haben wir hier erwartet,« sprachen die Fragenden unten.

Die Stimme der Frau wurde immer dumpfer; das Tafelwerk ertönte von einer geräuschvollen Bewegung, das Opfer widerstand, so weit eine Frau vier Männern widerstehen kann.

»Vergebung, meine Herren, vergebt …« murmelte die Stimme, welche nur noch unartikulirte Töne hören ließ.

»Sie knebeln sie! sie schleppen sie fort!« rief d’Artagnan und sprang wie eine Feder auf. »Meinen Degen! ich habe ihn zum Glück an meiner Seite. Planchet!«

»Gnädiger Herr!«

»Lauf schnell, suche Athos, Porthos und Aramis auf. Einer von diesen Dreien wird sicherlich zu Hause sein; vielleicht sind alle drei heimgekehrt. Sie sollen sich bewaffnen und rasch hieher kommen. Ah, ich erinnere mich, Athos ist bei Herrn von Treville.«

»Aber wohin geht Ihr, gnädiger Herr, wohin geht Ihr?«

»Ich steige durch das Fenster hinab,« rief d’Artagnan, »um schneller an Ort und Stelle zu sein. Du, lege die Diele wieder ein, fege den Boden, geh‘ durch die Thüre und lauf, wohin ich Dir gesagt habe.«

»O, mein Herr, mein Herr, Ihr bringt Euch ums Leben,« rief Planchet.

»Schweig, Dummkopf,« sprach d’Artagnan und sich mit der Hand an der Randleiste des Fensters haltend, glitt er vom ersten Stockwerk, das glücklicher Weise nicht hoch war, hinab, ohne die geringste Verletzung zu erleiden.

Dann klopfte er an die Thüre und murmelte dabei:

»Ich will mich ebenfalls in der Mausfalle fangen lassen, aber wehe den Katzen, die sich an einer solchen Maus reiben.«

Kaum hatte der Klopfer unter der Hand des jungen Mannes ertönt, als das Geräusch aufhörte; es näherten sich Tritte, die Thüre öffnete sich und d’Artagnan stürzte mit bloßem Degen in das Zimmer des Meisters Bonacieux, dessen Thüre, ohne Zweifel durch eine Feder in Bewegung gesetzt, sich von selbst wieder schloß.

Dann vernahmen die übrigen Bewohner des unglücklichen Hauses, so wie die nächsten Nachbarn ein gewaltiges Geschrei, ein Stampfen, ein Degengeklirr und ein Zertrümmern von Geräthschaften; einen Augenblick nachher konnten die Menschen, welche erstaunt über diesen Lärmen sich an ihr Fenster gestellt hatten, um die Ursache zu erfahren, deutlich sehen, wie die Thür sich wieder öffnete und vier schwarz gekleidete Menschen nicht heraus gingen, sondern gleich aufgescheuchten Raben herausflogen, am Boden und an den Tischecken Federn von ihren Flügeln zurücklassend, d.h. Fetzen von ihren Kleidern und Stücke von ihren Mänteln.

D’Artagnan hatte mit leichter Mühe den Sieg errungen, denn nur ein einziger von den Alguazils war bewaffnet, und dieser vertheidigte sich nur der Form wegen. Die drei andern hatten es allerdings versucht, den jungen Mann mit Stühlen, Bänken und Töpfen niederzuschlagen, aber zwei bis drei Hiebe vom Flammberg des Gascogners flößten ihnen den gehörigen Schrecken ein. Zehn Minuten waren hinreichend, ihre Niederlage zu bewerkstelligen, und d’Artagnan blieb Herr des Schlachtfeldes.

Die Nachbarn, welche ihre Fenster mit der in jenen Zeiten fortwährender Aufstände und Streitigkeiten den Parisern eigenen Kaltblütigkeit geöffnet hatten, schlossen sie wieder, sobald sie die vier schwarzen Männer entfliehen sahen; ihr Instinkt sagt ihnen, daß für den Augenblick alles zu Ende war; überdies war es bereits spät geworden, und damals, wie heut zu Tage legte man sich im Quartier des Luxemburg frühe schlafen.

Allein mit Frau Bonacieux, drehte sich d’Artagnan nach dieser um. Die arme Frau war auf einen Lehnstuhl zurückgesunken und halb ohnmächtig. D’Artagnan schaute sie mit einem raschen Blick prüfend an. Es war eine reizende Frau von fünf- bis sechsundzwanzig Jahren, brünett, mit blauen Augen, leicht aufgestülpter Nase und einem von Rosa und Opal marmorirten Teint. Hier aber hörten die Zeichen auf, nach welchen man sie mit einer vornehmen Dame hätte verwechseln können. Die Hände waren weiß, aber nicht zart, die Füße kündigten keine Frau von Stand an. Zum Glücke konnte sich d’Artagnan noch nicht mit allen diesen Einzelnheiten beschäftigen.

Als d’Artagnan in seiner Musterung der Frau Bonacieux bis zu den Füßen gelangte, sah er auf dem Boden ein feines Batisttuch, das er seiner Gewohnheit gemäß aufhob, und erkannte an der Ecke dieselbe Zeichnung, wie an dem Taschentuch, wegen dessen er sich mit Aramis beinahe auf Leben und Tod hätte schlagen müssen. Von dieser Zeit an mißtraute d’Artagnan allen mit Wappen verzierten Sacktüchern und er steckte deshalb das von ihm aufgehobene, ohne ein Wort zu sagen, in die Tasche der Frau Bonacieux.

In diesem Augenblick kam Frau Bonacieux wieder zu sich; sie schlug die Augen auf, schaute erschrocken um sich und sah, daß das Zimmer leer und sie mit ihrem Befreier allein war. Sie reichte ihm alsbald lächelnd die Hände. Frau Bonacieux besaß das reizendste Lächeln in der Welt.

»Ah! mein Herr,« sprach sie, »Ihr habt mich gerettet. Erlaubt mir, daß ich Euch danke.«

»Madame,« sagte d’Artagnan, »ich habe nicht mehr gethan, als jeder Edelmann an meiner Stelle gethan haben würde. Ihr seid mir also keinen Dank schuldig.«

»Gewiß, mein Herr, gewiß, und ich hoffe, Euch beweisen zu können, daß Ihr keiner Undankbaren einen Dienst geleistet habt. Aber was wollten denn diese Menschen, die ich Anfangs für Diebe gehalten habe, und warum ist Herr Bonacieux nicht hier?«

»Madame, diese Menschen waren bei weitem gefährlicher, als Diebe sein könnten; denn es sind Schergen des Herrn Kardinals, und was Euern Gatten, den Herrn Bonacieux, betrifft, so befindet sich dieser nicht hier, weil man ihn gestern verhaftet und nach der Bastille abgeführt hat.«

»Mein Mann in der Bastille!« rief Frau Bonacieux; »o mein Gott, was hat er denn gethan, dieser arme liebe Mann, er ist ja die Unschuld selbst!«

Und etwas wie ein Lächeln trat auf dem noch erschrockenen Antlitz der jungen Frau hervor.

»Was er gethan hat, Madame?« sprach d’Artagnan; »ich glaube, sein Verbrechen besteht einzig und allein darin, daß er zugleich das Glück und das Unglück hat, Euer Gatte zu sein.« – »Aber, mein Herr, Ihr wißt also …« – »Ich weiß, daß man Euch entführt hat, Madame.« – »Und wer hat dies gethan? Wißt Ihr es? O! wenn ihr es wißt, so sagt es mir.« –»Ein Mann von vierzig bis fünfundvierzig Jahren, mit schwarzen Haaren, dunkler Gesichtsfarbe und einer Narbe an der linken Schläfe.« – »So ist es, so ist es, aber sein Name?« – »Ah! sein Name? Ich weiß ihn nicht.« – »Und mein Mann, wußte er, daß man mich gewaltsam weggebracht hatte?« – »Er war von dem Entführer selbst davon benachrichtigt worden.« – »Und hat er irgend einen Verdacht in Beziehung auf die Ursache dieses Ereignisses?« fragte Frau Bonacieux mit einer Verlegenheit. – »Er schrieb dasselbe einer politischen Ursache zu.« – »Anfangs zweifelte ich daran, und nun theile ich seine Ansicht. Also hat dieser gute Herr Bonacieux mich nicht einen Augenblick im Verdacht gehabt?« – »Ach! weit entfernt, Madame. Er war zu stolz auf Eure Klugheit und besonders auf Eure Liebe.«

Ein zweites, beinahe unmerkliches Lächeln umspielte die rosigen Lippen der schönen jungen Frau.

»Aber wie ist es Euch gelungen zu entfliehen?« fuhr d’Artagnan fort.

»Ich benützte einen Augenblick, wo ich allein blieb, und da ich seit diesem Morgen wußte, was ich von meiner Entführung zu halten hatte, so ließ ich mich mit Hülfe meiner Betttücher vom Fenster herab und lief hierher, in der Hoffnung, meinen Mann zu finden.«

»Um Euch unter seinen Schutz zu stellen?«

»Oh! nein, der arme liebe Mann, ich wußte wohl, daß er unfähig wäre, mich zu vertheidigen. Da er uns aber zu etwas Anderem dienen konnte, so wollte ich ihn hievon in Kenntniß setzen.«

»Wovon?«

»O, das ist nicht mein Geheimniß, ich kann es Euch also nicht sagen.«

»Uebrigens,« sprach d’Artagnan, »verzeiht, Madame, daß ich, ein einfacher Soldat, Euch an Klugheit erinnere, übrigens glaube ich, daß wir uns hier nicht am geeigneten Orte zu vertraulichen Mittheilungen befinden. Die Menschen, welche ich in die Flucht geschlagen habe, werden binnen Kurzem mit bewaffneter Mannschaft zurückkehren, und wenn sie uns hier finden, sind wir verloren. Ich habe wohl drei von meinen Freunden benachrichtigen lassen, aber wer weiß, ob man sie zu Hause traf?«

»Ja, ja, Ihr habt Recht,« rief Frau Bonacieux erschrocken, »fliehen wir, retten wir uns!«

Bei diesen Worten nahm sie d’Artagnan beim Arm und suchte ihn fortzuziehen.

»Aber wohin fliehen?« sprach d’Artagnan. »Wo werden wir sicher sein?«

»Entfernen wir uns zuerst von diesem Hause und das Uebrige wird sich finden.«

Und der junge Mann und die junge Frau gingen rasch, ohne auch nur die Hausthüre zu verschließen, durch die Rue des Fosses – Monsieur-le-Prince und hielten erst auf der Place Saint-Sulpice an.

»Und was fangen wir nun an?« fragte d’Artagnan, »und wohin soll ich Euch führen?«

»Ich bin sehr in Verlegenheit, Euch hierauf zu antworten,« sagte Frau Bonacieux. »Es war meine Absicht, Herrn de la Porte durch meinen Mann benachrichtigen zu lassen, damit er uns genau sagen könnte, was seit drei Tagen im Louvre vorgegangen ist, und ob es nicht gefährlich für mich sei, dort zu erscheinen.«

»Aber ich kann eben so wohl Herrn de la Porte benachrichtigen,« sagte d’Artagnan.

»Allerdings, nur ist dabei ein unglücklicher Umstand zu bedenken. Herrn Bonacieux kennt man im Louvre und ließe ihn passiren, während man Euch nicht kennt und Euch die Thüre verschließen würde.«

»Ah, bah!« sprach d’Artagnan, »Ihr habt gewiß an irgend einer Pforte des Louvre einen Hausmeister, der Euch ergeben ist, und mit Hülfe eines Losungswortes…«

Frau Bonacieux schaute den jungen Mann fest an.

»Und wenn ich Euch dieses Losungswort gebe, »sprach sie, »würdet Ihr es wohl vergessen, sobald Ihr Euch desselben bedient hättet?« – »Bei meiner Ehre, so wahr ich ein Edelmann bin,« sagte d’Artagnan mit einem Ton, der keinen Zweifel an seiner Aufrichtigkeit übrig ließ. – »Gut, ich glaube Euch, Ihr seht aus, wie ein braver junger Mann. Ueberdies ist Euer Glück vielleicht die Folge Eurer Ergebenheit.« – »Ich werde ohne ein Versprechen und freiwillig Alles thun, was in meinen Kräften liegt, um dem König zu dienen und der Königin angenehm zu sein,«sagte d’Artagnan. »Verfügt also über mich, als über einen Freund.« –»Aber ich, wohin werdet Ihr mich einstweilen bringen?« –»Habt Ihr Niemand, bei dem Herr de la Porte Euch abholen konnte?« –»Nein, ich will mich Niemand anvertrauen.« – »Halt!« sprach d’Artagnan, »wir sind an der Thüre von Athos. Ja, so geht es.« –»Wer ist Athos?« – »Einer von meinen Freunden.« – »Aber wenn er zu Hause ist, so sieht er mich.« – »Er ist nicht zu Hause, und ich nehme den Schlüssel mit, nachdem ich Euch in sein Zimmer geführt habe.« – »Und wenn er zurückkommt?« – »Er wird nicht zurückkommen. Ueberdies wird man ihm sagen, ich habe eine Frau gebracht und diese Frau befinde sich in seiner Wohnung.« – »Das wird meinen Ruf zu sehr gefährden, wißt Ihr wohl?« – »Was ist Euch daran gelegen? Man kennt Euch nicht, und abgesehen davon, befinden wir uns in einer Lage, wo man sich einiger Maßen über die Schicklichkeit wegsetzen muß.« – »Gehen wir also zu Eurem Freunde. Wo wohnt er?« – »In der Rue Ferou, zwei Schritte von hier.« – »Vorwärts!«

Uno beide setzten sich wieder in Marsch. Athos war, wie d’Artagnan vorausgesehen hatte, nicht zu Hause. Dieser nahm den Schlüssel, den man ihm als einem Freunde des Miethmannes zu geben gewohnt war, stieg die Treppe hinauf und führte Frau Bonacieux in die von uns bereits beschriebene Wohnung.

»Thut wie daheim,« sprach er, »schließt die Thüre von innen und öffnet Niemand, wenn Ihr nicht dreimal auf folgende Weise klopfen hört; gebt Acht.« Und er klopfte dreimal, zweimal kurz hinter einander und sehr stark, einmal entfernter und leichter.

»Gut,« sprach Frau Bonacieux. Nun ist es an mir. Euch Instructionen zu geben.« – »Ich höre.« – »Begebt Euch nach der Pforte des Louvre auf der Seite der Rue de l’Echelle und fragt nach Germain.« – »Gut, und dann?« – »Er wird Euch fragen, was Ihr wollt, und Ihr antwortet ihm mit den zwei Worten Tours und Brüssel. Sogleich wird er sodann zu Euern Befehlen stehen.« – »Und was soll ich ihm befehlen?« –»Herrn de la Porte, den Kammerdiener der Königin, zu holen.« – »Und wenn er ihn geholt hat und Herr de la Porte kommt?« – »So schickt Ihr ihn zu mir.« – »Ganz gut. Aber wo und wie werde ich Euch wiedersehen?« – »Ist Euch viel daran gelegen, mich wiederzusehen?« – »Gewiß.« – »Ueberlaßt mir die Sorge hiefür und seid ruhig.« – »Ich baue auf Euer Wort.« – »Rechnet darauf.«

D’Artagnan verabschiedete sich von Frau Bonacieux mit dem verliebtesten Blick, den er auf ihrer reizenden kleinen Person zu concentriren vermochte, und während er die Treppen hinabstieg, hörte er die Thüre doppelt hinter sich verschließen. Mit zwei Sprüngen war er am Louvre. Als er durch die Pforte an der Rue de l’Echelle trat, schlug es zehn Uhr. Die von uns mitgetheilten Ereignisse waren im Verlauf einer halben Stunde erfolgt.

Alles ging, wie Frau Bonacieux vorhergesagt hatte. Auf das bestimmte Losungswort verbeugte sich Germain; zwei Minuten nachher befand sich de la Porte in der Loge; mit zwei Worten theilte ihm d’Artagnan das Nothwendige mit und bezeichnete ihm den Aufenthalt der Frau Bonacieux. Sobald de la Porte die Adresse genau wußte, entfernte er sich in größter Eile; kaum hatte er jedoch zehn Schritte gemacht, als er zurückkehrte und zu d’Artagnan sagte:

»Junger Mann, einen Rath!« – »Welchen?« – »Man könnte Euch wegen dessen, was vorgefallen ist, beunruhigen.« – »Ihr glaubt?« –»Ja, habt Ihr einen Freund, dessen Uhr nachgeht?« – »Nun?« – »Geht zu ihm, damit er bezeugen kann, Ihr wäret um halb zehn Uhr bei ihm gewesen. Das nennt man in der Justiz ein Alibi.«

D’Artagnan fand den Rath klug. Er lief über Hals und Kopf und kam zu Herrn von Treville. Aber statt wie alle Welt in den Salon zu gehen, bat er, in sein Cabinet eingelassen zu werden. Da d’Artagnan einer der täglichen Gäste des Hotels war, so setzte man seiner Bitte keine Schwierigkeiten entgegen und benachrichtigte Herrn von Treville, sein junger Landsmann, der ihm etwas Wichtiges mitzutheilen habe, verlange eine Privataudienz. Nach fünf Minuten fragte Herr von Treville d’Artagnan, in was er ihm zu Dienst sein könne, und welchem Umstand er seinen späten Besuch zuzuschreiben habe?

»Um Vergebung, gnädiger Herr,« sprach d’Artagnan, der den Augenblick seines Alleinseins dazu benützt hatte, die Uhr um drei Viertelstunden zurückzurücken; »ich dachte, da es erst neun Uhr fünfundzwanzig Minuten sei, so könne ich mich wohl noch bei Euch einfinden.«

»Neun Uhr fünfundzwanzig Minuten!« rief Herr von Treville und schaute nach seiner Pendeluhr; »das ist unmöglich!«

»Seht selbst, gnädiger Herr, dort ist der Beweis.«

»Es ist richtig,« versetzte Herr von Treville, »ich hätte geglaubt, es wäre später. Doch laßt hören, was wollt Ihr von mir?«

D’Artagnan machte nun Herrn von Treville eine lang Geschichte über die Königin, er setzte ihm seine Befürchtungen in Beziehung auf seine Majestät auseinander, erzählte ihm, was er von den Projekten des Kardinals in Betreff Buckinghams hatte sagen hören, und Alles dies mit einer Ruhe, mit einer festen Haltung, wodurch sich Herr von Treville um so leichter bethören ließ, als er ja selbst wahrgenommen hatte, daß etwas Neues zwischen dem König, der Königin und dem Kardinal vorging.

Als es zehn Uhr schlug, verließ d’Artagnan Herrn von Treville, der ihm für seine Nachrichten dankte und ihm empfahl, den Dienst des Königs und der Königin wohl im Auge und im Herzen zu haben. Aber unten an der Treppe erinnerte sich d’Artagnan, daß er seinen Stock vergessen hatte. Er stieg schnell wieder hinauf, kehrte in das Cabinet zurück, rückte die Uhr mit dem Finger an ihre Stunde vor, damit man am andern Morgen nicht bemerken konnte, daß man sie in Unordnung gebracht hatte, und da er nun eines Zeugen für sein Alibi gewiß war, lief er wieder die Treppe hinab und befand sich in Kurzem abermals auf der Straße.

Der Verlarvte

Obgleich es erst vier Uhr war, herrschte doch schon finstere Nacht. Der Schnee fiel dick und eisig. Aramis kehrte ebenfalls zurück und fand Athos, wenn auch nicht mehr ohne Bewußtsein, so doch aufs tiefste herabgestimmt; aber bei den ersten Worten seines Freundes erwachte der Graf aus der Lethargie, in die er versunken war.

Nun, sagte Aramis, wir sind besiegt durch Mißgeschick! – Besiegt, sprach Athos, edler, unglücklicher König! – Seid Ihr denn verwundet? fragte Aramis. – Nein, dieses Blut ist das seinige.

Der Graf trocknete seine Stirn.

Wo wart Ihr denn? – Wo Ihr mich gelassen hattet, unter dem Schafott. – Und Ihr habt alles gesehen? – Nein, aber alles gehört. Gott bewahre mich vor einer zweiten Stunde, der ähnlich, die ich soeben durchmachen mußte! Habe ich nicht weiße Haare? – Dann wißt Ihr, daß ich ihn nicht verlassen habe. – Ich hörte Eure Stimme bis zum letzten Augenblick. – Hier ist der Stern, den er mir gegeben, sprach Aramis, hier ist das Kreuz, das ich aus seiner Hand genommen. Er wünschte, daß beides der Königin zugestellt werde. – Und hier ein Taschentuch, um beides darein zu wickeln, sagte Athos und zog das Tuch hervor, das er in des Königs Blut getaucht hatte.

Was hat man mit der armen Leiche gemacht? fragte Athos.

Auf Cromwells Befehl sollen ihr die königlichen Ehren erwiesen werden. Wir haben den Körper in einen bleiernen Sarg gelegt. Die Ärzte beschäftigen sich damit, die unglücklichen Überreste einzubalsamieren. Ist ihr Werk getan, so wird der König auf ein Trauergerüste gesetzt werden.

Hohn! murmelte Athos düster; die königlichen Ehren dem, den sie ermordet haben!

Dies beweist, versetzte Aramis, daß zwar der König stirbt, das Königtum aber nicht.

Ach! rief Athos, das ist vielleicht der letzte ritterliche König, den die Welt haben wird.

Verzweifelt nicht, Graf, sprach eine mächtige Stimme von der Treppe her, auf der Porthos‘ schwere Tritte erschallten. Wir sind alle sterblich, meine armen Freunde.

Ihr kommt spät, mein lieber Porthos, sagte der Graf de la Fère.

Ja, erwiderte Porthos, es waren Leute auf meinem Weg, die mich aufhielten. Die Elenden tanzten! Ich nahm einen beim Halse und erdrosselte ihn, glaube ich, ’so ziemlich. Gerade in diesem Augenblick kam eine Patrouille. Zum Glück war der, mit dem ich es hauptsächlich zu tun hatte, ein paar Minuten außer stande, zu sprechen. Ich benutzte dies, um mich in eine kleine Straße zu werfen. Diese kleine Straße führte mich in eine noch kleinere; dann verirrte ich mich. Ich kenne London nicht, ich verstehe nicht Englisch und glaubte, ich würde mich nie mehr zurechtfinden; aber endlich bin ich doch hier.

Aber d’Artagnan, sagte Aramis, habt Ihr ihn nicht gesehen? Sollte ihm etwas begegnet sein?

Wir wurden durch die Menge getrennt, erwiderte Porthos, und ich konnte trotz allen Anstrengungen nicht wieder zu ihm gelangen.

In diesem Augenblick trat der Vermißte herein und setzte sich mit den Worten: Ich bin müde! zu den Freunden.

Trinkt ein Glas Portwein, sagte Aramis, nahm eine Flasche vom Tisch und füllte ein Glas; trinkt, das wird Euch erquicken.

Ja, trinken wir, rief Athos. Laßt uns trinken und dann aus diesem abscheulichen Lande eilen. Die Feluke erwartet uns, wie ihr wißt; reisen wir diesen Abend, denn wir haben hier nichts mehr zu tun.

Ihr seid eilig, Herr Graf, sagte d’Artagnan.

Dieser blutige Boden brennt mir unter den Füßen, erwiderte Athos.

Ich denke, es bleibt uns noch ein kleines Unternehmen auszuführen.

Der Gedanke dazu kam mir, während ich das Schauspiel betrachtete. – Welcher? sagte Porthos. – Ich wollte wissen, wer der verlarvte Mann wäre, der sich zuvorkommend angeboten hatte, dem König den Hals abzuschneiden. – Ein verlarvter Mann! rief Athos, Ihr habt also den Henker nicht entfliehen lassen? –Der Henker, sagte d’Artagnan, ist immer noch im Keller, wo er ohne Zweifel ein paar Worte mit den Flaschen unseres Wirtes sprechen wird. Aber Ihr erinnert mich eben daran…

D’Artagnan ging an die Tür und rief: Mousqueton! – Gnädiger Herr? erwiderte eine Stimme, die aus der Tiefe der Erde zu kommen schien. – Laßt Euren Gefangenen los, alles ist vorbei. – Aber wer ist der Elende, der Hand an den König gelegt hat? sprach Athos. – Ein Henker aus Liebhaberei, der übrigens das Beil mit großer Leichtigkeit handhabt, denn er bedurfte, wie er hoffte, nur eines Streiches, sagte Aramis. – Ihr habt sein Gesicht nicht gesehen? fragte Athos. – Er hatte eine Larve, erwiderte d’Artagnan. – Aber Ihr, der Ihr in seiner Nähe wart, Aramis? – Ich sah nur einen gräulichen Bart, der unter der Larve hervorkam. – Es ist also ein Mensch von etwas vorgerückterem Alter? fragte Athos. – Oh, das ist kein Beweis, versetzte d’Artagnan; nimmt man eine Larve, so kann man auch einen Bart nehmen. – Es tut mir leid, daß ich ihm nicht folgte! rief Porthos. – Nun, mein lieber Porthos, das ist gerade der Gedanke, der mir kam, sagte d’Artagnan.

Nun? sprach Aramis.

Nun, versetzte d’Artagnan, während ich hinschaute, kam mir das sehnsüchtige Verlangen zu erfahren, wer es wäre. Wie ich um mich her schaute, sah ich zu meiner Rechten einen Kopf, der gespalten und so gut als möglich wieder zusammengeflickt worden war. Bei Gott, sagte ich, zu mir selbst, das ist eine Naht von meiner Art, und ich habe diesen Schädel wohl irgendwo zusammengeflickt. Es war in der Tat der unglückliche Schotte, der Bruder Parrys, der Mensch, an dem, wie ihr wißt, Herr von Groslow seine Kräfte versuchte, und der nur noch einen halben Kopf hatte, als wir ihn trafen.

Ganz richtig, der Mann mit den schwarzen Hühnern, sprach Porthos.

Er selbst. Er machte einem andern Menschen, der sich zu meiner Linken befand, Zeichen. Ich wandte mich um und erkannte den ehrlichen Grimaud, der, wie ich, damit beschäftigt war, meinen verlarvten Henker mit den Blicken zu verschlingen.

Oh! oh! rief ich ihm zu, und Grimaud und der Schotte bemerkten mich und gesellten sich zu mir. Als dann alles in der entsetzlichen Weise zu Ende war und das Volk sich verlief, zogen wir uns in einen Winkel des Platzes zurück und beobachteten von da aus den Henker, der sich in das königliche Zimmer begeben hatte und die Kleider wechselte. Die seinigen waren ohne Zweifel blutig geworden. Er setzte sodann einen schwarzen Hut auf den Kopf, hüllte sich in einen Mantel und verschwand. Ich erriet, daß er herauskommen würde, und lief vor die Tür. Nach fünf Minuten sahen wir ihn dann die Treppe herabsteigen.

Ihr folgtet ihm? rief Athos.

Bei Gott, erwiderte d’Artagnan, aber es geschah nicht ohne Mühe. Er wandte sich jeden Augenblick um; dann waren wir genötigt, uns zu verbergen oder ein gleichgültiges Wesen anzunehmen. Ich wäre ihm zu Leibe gegangen und hätte ihn getötet, aber ich bin nicht selbstsüchtig, und es war ein Vorrecht, das ich Euch vorbehielt, Aramis, und Euch, Athos, um Euch ein wenig zu trösten. Endlich nach einem Marsche von einer halben Stunde durch die krummsten Straßen der Altstadt gelangte er zu einem kleinen, einzelstehenden Hause, wo kein Tritt, kein Licht die Gegenwart eines Menschen andeutete. Der Verlarvte blieb vor einer niedrigen Tür stehen und zog einen Schlüssel hervor. Aber ehe er ihn in das Schloß steckte, wandte er sich um, ohne Zweifel, um zu sehen, ob man ihm nicht folgte. Ich war hinter einen Baum gekauert, Grimaud hinter einen Weichstein. Der Schotte legte sich mit dem flachen Leibe auf den Weg. Wahrscheinlich glaubte sich der Verfolgte allein, denn ich hörte das Klirren des Schlüssels. Die Tür öffnete sich, und er verschwand.

Der Elende! rief Aramis; während Ihr zurückkehrtet, wird er entflohen sein, und wir finden ihn nicht mehr.

Still, Aramis, sprach d’Artagnan, Ihr verkennt mich.

Doch in Eurer Abwesenheit … sagte Athos.

Hatte ich nicht in meiner Abwesenheit an meiner Stelle den Schotten und Grimaud? Ehe er Zeit fand, zehn Schritte im Innern zu tun, hatte ich die Runde um das Haus gemacht. An eine der Türen, an die, durch die er eingetreten war, stellte ich den Schotten, dem ich bedeutete, wenn der Mann mit der schwarzen Larve herauskomme, solle er ihm folgen, wohin er gehe, während Grimaud ihm selbst folgen und dann zurückkommen sollte, um uns da zu erwarten, wo wir waren. Grimaud stellte ich an den zweiten Ausgang mit demselben Austrag, und hier bin ich nun! Das Wild ist umstellt, wer will zum Hallali?

Athos stürzte in die Arme d’Artagnans, der sich seine Stirn trocknete. Freund, sagte er, Ihr seid in der Tat der Beste von uns.

Reist Ihr nun immer noch, Athos? fragte d’Artagnan.

Nein, ich bleibe, antwortete der Graf mit einer drohenden Gebärde, die dem, welchem sie galt, nichts Gutes verhieß.

Die Degen also, und keine Minuten verloren! rief Aramis.

Die vier Freunde zogen rasch wieder ihre gewöhnlichen Kleider an, gürteten ihre Schwerter um, ließen Mousqueton und Blaisois kommen und befahlen ihnen, die Rechnung bei dem Wirt in Ordnung zu bringen und alles für die Abreise bereitzuhalten, da man aller Wahrscheinlichkeit nach London noch in derselben Nacht verlassen würde.

Die Nacht war noch düsterer geworden, der Schnee fiel ohne Unterlaß und sah aus, wie ein großes, über die königsmörderische Stadt ausgebreitetes Leichentuch; es war ungefähr sieben Uhr abends, man sah kaum ein paar Menschen durch die Straßen gehen; alle sprachen ganz leise und nur zu Vertrauten über die furchtbaren Ereignisse des Tages.

In ihre Mäntel gehüllt, durchwanderten die vier Freunde die am Tage so volkreichen, diese Nacht aber so öden Straßen und Plätze der City. D’Artagnan führte sie, wobei er von Zeit zu Zeit Kreuze zu erkennen suchte, die er mit seinem Dolch an den Mauern gemacht hatte; aber die Nacht war so finster, daß sich diese Spuren nur mit Mühe auffinden ließen. D’Artagnan hatte jedoch seinem Kopfe jeden Weichstein, jeden Brunnen, jedes Schild so gut eingeprägt, daß er nach Verlauf eines Marsches von einer halben Stunde mit seinen drei Gefährten vor dem einzelnen Hause anlangte.

D’Artagnan glaubte einen Augenblick, Parrys Bruder sei verschwunden; er täuschte sich. An das Eis seiner Gebirge gewöhnt, hatte sich der kräftige Schotte an einem Weichstein ausgestreckt und, unempfindlich gegen die Ungunst der Witterung, vom Schnee bedecken lassen; aber bei Annäherung der vier Männer stand er auf.

D’Artagnan näherte sich dem Schotten und gab sich ihm zu erkennen. Dann machte er den andern ein Zeichen, herbeizukommen.

Wie steht es? fragte Athos in englischer Sprache.

Niemand ist herausgekommen, antwortete Parrys Bruder.

Gut, bleibt bei diesem Manne, Porthos, und Ihr auch, Aramis, d’Artagnan wird mich zu Grimaud geleiten.

Dieser, der sich in eine hohle Weide gedrückt und sie als Schilderhaus benutzt hatte, gab auf d’Artagnans Frage, ob jemand herausgekommen sei, zur Antwort: Nein, aber es ist jemand hineingegangen. – Ein Mann oder eine Frau? – Ein Mann. – Ah! sprach d’Artagnan, sie sind also zu zwei. – Ich wollte, sie wären zu vier, versetzte Athos, dann wäre die Partie doch gleich. – Vielleicht sind sie zu vier, versetzte d’Artagnan. – Wieso? – Konnten nicht andere Menschen vor ihnen in diesem Hause sein und sie erwarten? – Man kann sehen, sprach Grimaud und deutete auf ein Fenster, durch dessen Läden einige Lichtstrahlen drangen. – Das ist richtig, sagte d’Artagnan, rufen wir die anderen.

Sie wandten sich um das Haus, um Porthos und Aramis zu bedeuten, sie sollten kommen. Diese liefen eilig herbei und fragten: Habt ihr etwas gesehen?

Nein, aber wir werden etwas erfahren, antwortete d’Artagnan, und deutete auf Grimaud, der, sich an die Mauervorsprünge anklammernd, bereits fünf bis sechs Fuß über der Erde war.

Alle vier näherten sich. Grimaud stieg mit der Gewandtheit einer Katze aufwärts; endlich gelang es ihm, einen der Haken zu fassen, die zum Festhalten der Läden dienen, wenn diese offen sind; zu gleicher Zeit fand sein Fuß ein Gesims, das ihm einen hinreichenden Stützpunkt zu geben schien, denn er machte ein Zeichen, durch das er andeutete, er habe sein Ziel erreicht. Dann näherte er sein Auge der Spalte des Ladens.

Wie ist es? fragte d’Artagnan.

Grimaud zeigte seine Hand, die bis auf zwei Finger geschlossen war.

Sprich, sagte Athos, man sieht deine Zeichen nicht. Wieviel sind es?

Grimaud tat sich Gewalt an und erwiderte: Zwei; der eine ist mir gegenüber, der andere wendet mir den Rücken zu. – Gut. Wer ist der dir gegenüber? – Der Mensch, den ich an mir vorübergehen sah. – Kennst du ihn? – Es ist Oliver Cromwell.

Die vier Freunde schauten sich an.

Und der andere? – Mager und schlank gewachsen. – Es ist der Henker, sagten Aramis und d’Artagnan. – Ich sehe nur seinen Rücken, versetzte Grimaud; doch halt, er macht eine Bewegung, er dreht sich um, wenn er seine Larve abgelegt hat, kann ich sehen … Ah! …

Grimaud ließ, als wäre er im Herzen getroffen, den eisernen Haken los und sank mit einem dumpfen Seufzer zurück. Porthos fing ihn in seinen Armen auf.

Hast du ihn gesehen? sagten die vier Freunde. – Ja, sprach Grimaud, mit emporgesträubten Haaren und Schweiß auf der Stirn. – Und wer ist es? sprach Porthos. – Er! er! stammelte Grimaud, bleich wie ein Toter und mit seinen zitternden Händen die Hand seines Herrn ergreifend. – Wer, er? fragte Athos. – Mordaunt! … erwiderte Grimaud.

D’Artagnan, Porthos und Aramis stießen einen Freudenschrei aus.

Athos machte einen Schritt rückwärts, fuhr mit der Hand über die Stirn und murmelte: Verhängnis!

Remember!

Als die Beichte vollendet war, nahm Karl das Abendmahl; dann verlangte er, seine Kinder zu sehen. Das Volk hielt sich indessen schon bereit; da es wußte, daß zehn Uhr die für die Hinrichtung bestimmte Stunde war, so scharte es sich jetzt in den Straßen und beim Palast zusammen.

Die Kinder des Königs langten an: zuerst die Prinzessin Charlotte, dann der Herzog von Glocester, – ein kleines, blondes Mädchen, die Augen in Tränen gebadet, und ein Knabe von acht bis zehn Jahren, dessen trockenes Auge und verächtlich aufgeworfene Lippe den aufkeimenden Stolz verrieten. Das Kind hatte die ganze Nacht hindurch geweint, aber vor diesen Leuten weinte es nicht.

Karl fühlte, wie sein Herz beim Anblick der beiden Kinder schmolz, die er seit zwei Jahren nicht gesehen hatte und jetzt nur in der Stunde seines Todes wiedersah. Eine Träne trat in seine Augen, und er wandte sich und trocknete sie, denn er wollte stark sein vor denjenigen, denen er ein so schweres Erbe von Leid und Unglück hinterließ.

Er sprach zuerst mit dem jungen Mädchen, zog sie zu sich, empfahl ihr Frömmigkeit, Demut und kindliche Liebe; dann nahm er den jungen Herzog von Glocester und setzte ihn auf seinen Schoß, damit er ihn zugleich an sein Herz drücken und aus das Gesicht küssen könnte.

Er forderte ihn auf, ihm einen Eid zu leisten, daß er sich niemals wolle bei Lebzeiten seiner älteren Brüder, des Prinzen von Wales und des Herzogs von York, auf den Thron setzen lassen.

Das Kind streckte seine kleine Hand in die seines Vaters aus und sprach: Sire, ich schwöre Eurer Majestät…

Karl unterbrach ihn und sagte: Heinrich, nenne mich deinen Vater.

Mein Vater, versetzte das Kind, ich schwöre Euch, daß sie mich eher töten, als zum König machen sollen.

Gut, mein Sohn. Nun umarme mich, und Du auch, Charlotte, und vergeßt mich nicht!

Oh! nein! nein! riefen die Kinder, ihre Arme um den Hals des Königs schlingend.

Gott befohlen! sprach Karl, Gott befohlen, meine Kinder. Führt sie weg, Juxon, ihre Tränen würden mir den Mut zum Sterben rauben.

Als man die Kinder fortgeführt hatte, öffnete man die Pforten, und jedermann konnte eintreten.

Als sich der König unter der Menge der Wachen und Neugierigen, die das Zimmer zu füllen begannen, allein sah, erinnerte er sich, daß der Graf de la Fère dicht unter dem Boden des Gemaches war und, da er ihn nicht sehen konnte, vielleicht immer noch hoffte.

Er zitterte, das geringste Geräusch könnte Athos als Signal erscheinen, und dieser möchte sich durch Wiederaufnahme seiner Arbeit selbst verraten. Er hielt sich deshalb geflissentlich völlig ruhig und unbeweglich und nötigte dadurch alle Anwesenden zur Ruhe.

Der König täuschte sich nicht, Athos war wirklich in gespannter Erwartung; er horchte, er verzweifelte, da er kein Signal hörte; er fing mehrmals möglichst geräuschlos seine Arbeit wieder an; da er aber gehört zu werden fürchtete, hielt er bald wieder inne.

Diese furchtbare Untätigkeit dauerte zwei Stunden. Eine Todesstille herrschte im Zimmer des Königs.

Nun entschloß sich Athos, die Ursache dieser düstern, stummen, nur von dem ungeheuren Lärm des Volkes gestörten Ruhe zu erforschen. Er öffnete die Tapete, die das Loch des Spaltes verbarg, ein wenig und stieg auf den ersten Stock des Schafotts hinab. Kaum vier Zoll über seinem Kopfe war der Boden, der sich in einer Höhe mit der Plattform ausdehnte und das Schafott bildete.

Das Geräusch, das er bis jetzt nur dumpf gehört hatte und das nun düster und bedrohlich an sein Ohr drang, ließ ihn vor Schrecken beben. Er ging bis an den Rand des Schafotts, öffnete das schwarze Tuch in der Höhe seines Auges ein wenig und sah Reiter, die an der furchtbaren Maschine ausgestellt waren, weiterhin eine Reihe Partisanenträger, sodann Musketiere, endlich die ersten Reihen des Volkes, das einem erregten Ozean ähnlich brauste und tobte. Was ist denn vorgefallen? fragte sich Athos, heftiger zitternd als das Tuch, dessen Falten er zerknitterte; das Volk drängt sich, die Soldaten stehen unter den Waffen, und unter den Zuschauern, die insgesamt die Augen nach dem Fenster gerichtet haben, erblicke ich d’Artagnan! Was erwartet er? Was betrachtet er? Großer Gott, sollte er den Henker haben entwischen lassen!

Plötzlich erscholl die Trommel dumpf und düster auf dem Platze; ein Geräusch schwerer, langsamer Tritte machte sich über seinem Kopfe hörbar. Es kam ihm vor, als ob eine ungeheure Prozession das Parkett über ihm beträte; bald hörte er sogar die Bretter des Blutgerüstes krachen. Er warf einen letzten Blick nach dem Platz, und die Haltung der Zuschauer lehrte ihn, was eine im Grunde seines Herzens zurückgebliebene Hoffnung zu erraten bis jetzt verhindert hatte.

Das Geräusch aus dem Platze hatte gänzlich aufgehört. Aller Augen waren nach dem Fenster von Whitehall gerichtet; die aufgesperrten Mäuler und der zurückgehaltene Atem der Menge verrieten, daß sie einem furchtbaren Schauspiel entgegensah.

Das Getöse der Tritte, das Athos auf dem Platz, den er unter dem Boden des königlichen Zimmers einnahm, über seinem Kopfe gehört hatte, wiederholte sich auf dem Schafott, das sich dergestalt unter dem Gewichte bog, daß die Bretter beinahe den Kopf des unglücklichen Edelmanns berührten. Offenbar waren es zwei Reihen Soldaten, die den ihnen zugewiesenen Platz besetzten.

In demselben Augenblicke sprach eine Athos wohlbekannte Stimme, eine edle Stimme, über seinem Kopfe:

Herr Oberst, ich wünsche zu dem Volk zu reden.

Athos bebte vom Scheitel bis zu den Zehen: es war der König, der auf dem Blutgerüste sprach.

Nachdem Karl ein paar Tropfen Wein getrunken und etwas Brot gebrochen, hatte er sich wirklich, um den Tod nicht allzulange erwarten zu müssen, plötzlich entschlossen, ihm entgegenzugehen, und das Zeichen zum Aufbruch gegeben.

Dann hatte man die beiden Flügel des nach dem Platze gehenden Fensters geöffnet, und das Volk sah schweigend aus dem Hintergrunde des Zimmers einen verlarvten Mann hervortreten, in dem man an dem Beile, das er in der Hand hielt, den Scharfrichter erkannte. Dieser Mann näherte sich dem Block und legte sein Beil darauf.

Nach diesem Menschen erblickte man Karl Stuart, der ruhig und festen Schrittes zwischen zwei Priestern ging, gefolgt von einigen Oberoffizieren, die der Hinrichtung beizuwohnen hatten, und von zwei Gliedern Partisanenträgern, die sich auf beiden Seiten des Schafotts aufstellten.

Der Anblick des verlarvten Mannes hatte ein lange anhaltendes Geräusch hervorgebracht. Jedermann war neugierig, zu erfahren, wer der unbekannte Henker wäre, der sich noch zur rechten Zeit angeboten hatte, damit das dem Volk verheißene Schauspiel stattfinden konnte, während man bereits geglaubt hatte, es müsse auf den andern Tag verschoben werden. Jeder verschlang ihn gleichsam mit den Augen, aber man konnte nichts sehen, als daß es ein schwarz gekleideter Mann von mittlerem Wuchse war, der bereits ein gewisses Alter erreicht zu haben schien, denn das Ende eines grau werdenden Bartes stand unter der Larve hervor, die sein Gesicht bedeckte.

Doch beim Anblick des so ruhigen, so edlen, so würdigen Königs stellte sich die Ruhe wieder her, und jedermann konnte es hören, als er sein Verlangen aussprach, mit dem Volk zu reden.

Dieses Verlangen hatte der, an den es gerichtet war, ohne Zweifel mit einem bejahenden Zeichen beantwortet, denn der König fing an, mit fester, wohlklingender, unserem Athos bis in die Tiefe seines Herzens dringender Stimme zu sprechen.

Er rechtfertigte vor dem Volke, was er getan hatte, und gab ihm Ratschläge zur Wohlfahrt Englands.

Oh! sprach Athos zu sich selbst, ist es denn möglich, daß ich höre, was ich höre? Ist es möglich, daß Gott seinen Stellvertreter auf Erden so sehr verlassen hat, daß er so elendiglich sterben muß?… Und ich habe ihn nicht gesehen … habe ihm kein Lebewohl gesagt!

Man vernahm ein Geräusch, als würde das Todeswerkzeug auf dem Blocke bewegt.

Der König unterbrach sich und sprach: Berührt das Beil nicht.

Und er setzte seine Rede fort; als sie zu Ende war, trat eine furchtbare Stille über dem Kopfe des Grafen ein. Er hielt seine Hand vor die Stirn, aber zwischen seiner Hand und seiner Stirn rieselten Schweißtropfen durch, obgleich die Luft eiskalt war.

Diese Stille deutete die letzten Vorbereitungen an.

Nachdem der König seine Rede geschlossen, ließ er einen Blick voll Mitleids über die Menge hinschweifen. Dann machte er den Orden, den er trug, eben jenen Demantstern, den die Königin ihm geschickt hatte, los und übergab ihn dem Priester, der Juxon begleitete. Hierauf zog er aus seiner Brust ein kleines Kreuz, ebenfalls von Diamanten. Dieses kam, wie der Stern, ebenfalls von Frau Henriette.

Mein Herr, sagte er, sich an den Priester wendend, der Juxon begleitete, ich werde dieses Kreuz bis zu meinem letzten Augenblick in der Hand behalten; aber nehmt es von mir, wenn ich tot bin.

Ja, Sire, sprach eine Stimme, in der Athos die von Aramis erkannte.

Karl, der bis dahin seinen Kopf bedeckt gehabt hatte, nahm nun seinen Hut ab und warf ihn von sich. Dann löste er die Knöpfe seines Wamses, zog es aus und warf es neben seinen Hut. Da es aber sehr kalt war, forderte er seinen Schlafrock, den man ihm reichte.

Alle diese Vorbereitungen waren mit furchtbarer Ruhe vor sich gegangen. Man hätte glauben sollen, der König sei im Begriff, sich zu Bett und nicht in seinen Sarg zu legen.

Endlich hob er seine Haare mit der Hand in die Höhe und sagte zu dem Henker: Werden sie Euch hinderlich sein? In diesem Fall könnte man sie mit einer Schnur aufbinden.

Karl begleitete diese Worte mit einem Blick, der unter die Larve des Unbekannten dringen zu wollen schien. Der so edle, so ruhige, so sichere Blick nötigte diesen Menschen, den Kopf abzuwenden. Aber hinter dem tiefen Blicke des Königs begegnete er dem glühenden Blicke Aramis‘. Als der König sah, daß er nicht antwortete, wiederholte er seine Frage.

Es wird genügen, wenn Ihr sie vom Halse entfernt, antwortete der Mann mit dumpfer Stimme.

Der König sagte hierauf, den Block anschauend: Dieser Block ist sehr niedrig; sollte sich kein höherer finden?

Es ist der gewöhnliche Block, antwortete der Verlarvte.

Glaubt Ihr mir den Kopf mit einem Streiche abzuhauen? fragte der König.

Ich hoffe es, antwortete der Scharfrichter.

In den Worten: Ich hoffe es, lag eine so seltsame Betonung, daß alle Anwesenden, den König ausgenommen, bebten.

Es ist gut, sprach der König, und nun, Henker, höre.

Der Verlarvte machte einen Schritt gegen den König und stützte sich auf sein Beil.

Du sollst mich nicht überraschen, sprach Karl zu ihm. Ich werde niederknien, um zu beten; dann schlage noch nicht.

Wann soll ich schlagen? fragte der Verlarvte.

Sobald ich den Hals auf den Block gelegt habe, die Arme ausstrecke und Remember (Gedenke) rufe.

Der Mann mit der Larve machte eine leichte Verbeugung.

Der Augenblick, von der Welt zu scheiden, ist gekommen, sprach der König zu seiner Umgebung. Meine Herren, ich lasse Euch mitten im Sturme und gehe Euch in jenes Vaterland voran, das kein Ungewitter kennt. Gott befohlen.

Er schaute Aramis an und nickte ihm noch besonders zu.

Nun entfernt Euch, fuhr er fort, und laßt mich leise mein Gebet verrichten. Entferne du dich auch, sagte er zu dem Verlarvten; ich weiß, daß ich dir gehöre; aber erinnere dich, daß du erst bei meinem Signal schlagen sollst.

Karl kniete nieder, machte das Zeichen des Kreuzes und näherte seinen Mund den Brettern, als wollte er die Plattform küssen. Dann stützte er sich mit der einen Hand auf den Boden, mit der andern auf den Block, und sagte in französischer Sprache:

Graf de la Fère, seid Ihr da, und kann ich sprechen?

Diese Stimme schlug gerade in Athos‘ Herz und durchdrang es, wie ein kaltes Eisen.

Ja, Majestät, erwiderte er zitternd.

Treuer Freund, edles Herz, sprach der König, ich konnte nicht von dir gerettet werden, ich sollte es nicht werden. Nun aber, und sollte ich eine Entheiligung begehen, sage ich: Ja, ich habe zu den Menschen, ich habe zu Gott gesprochen, ich spreche zuletzt zu dir. Um eine Sache aufrechtzuhalten, die ich für heilig hielt, habe ich den Thron meiner Väter verloren und das Erbe meiner Kinder verschleudert. Eine Million in Gold bleibt mir. Ich habe sie in den Kellern des Schlosses von Newcastle in dem Augenblick vergraben, wo ich diese Stadt verließ. Du allein weißt, daß dieses Geld vorhanden ist. Mache Gebrauch davon, wenn du es zum Wohle meines ältesten Sohnes für zeitgemäß hältst. Und nun, Graf de la Fère, nimm Abschied von mir.

Gott befohlen, heilige Majestät, Märtyrer-Majestät! stammelte Athos, vor Schrecken zu Eis geworden.

Es trat nun ein Stillschweigen ein, währenddessen es Athos vorkam, als stände der König auf und wechselte seine Stellung.

Dann rief der König mit voller, klingender Stimme, so daß man es nicht nur auf dem Schafott, sondern auch auf dem ganzen Platze hörte: Remember!

Kaum war dieses Wort aus seinem Munde, als ein furchtbarer Schlag den Boden des Blutgerüstes erschütterte. Der Staub drang aus dem Tuche hervor und blendete den unglücklichen Edelmann.

Plötzlich hob er mechanisch die Augen und den Kopf empor, und ein warmer Tropfen fiel auf seine Stirn. Athos wich mit einem Schauer des Schreckens zurück, und in demselben Augenblick verwandelten sich die Tropfen in einen dunklen Erguß, der auf dem Boden aufprallte.

Athos fiel auf die Knie und blieb einige Augenblicke wie vom Wahnsinn erfaßt. An dem abnehmenden Gemurmel bemerkte er bald, daß das Volk sich entfernte. Er verharrte noch einen Moment unbeweglich, stumm und bestürzt. Dann tauchte er, sich umwendend, das Ende seines Taschentuches in das Blut des Märtyrer-Königs, und als das Volk immer mehr den Platz verließ, stieg er hinab, schlitzte das Tuch, drängte sich zwischen zwei Pferde, mischte sich unter das Volk und gelangte in die Taverne.

Als er in sein Zimmer trat, beschaute er sich im Spiegel, sah auf seiner Stirn einen breiten roten Fleck, fuhr mit der Hand danach, zog sie voll vom Blute des Königs zurück und fiel in eine Ohnmacht.

London

.

Als der Klang der Pferdehufe sich in der Ferne verloren hatte, stieg d’Artagnan wieder an den Rand des Flüßchens hinauf und ritt über die Ebene, wobei er so gut als möglich die Richtung nach London ins Auge zu fassen suchte. Die drei Freunde folgten ihm schweigend, bis sie, nachdem sie einen großen Halbkreis beschrieben, das Städtchen weit hinter sich gelassen hatten.

Diesmal, sagte d’Artagnan, als er glaubte, sie seien weit genug, um vom Galopp in den Trab übergehen zu können, diesmal glaube ich, daß entschieden alles verloren ist, und daß wir nichts Besseres tun können, als uns nach Frankreich zu wenden. Was sagt Ihr zu dem Vorschlage, Athos? Findet Ihr ihn nicht vernünftig?

Ja, teurer Freund, erwiderte Athos, aber Ihr habt einst ein edleres, vernünftigeres Wort ausgesprochen, Ihr sagtet: Wir werden hier sterben. Ich erinnere Euch an dieses Wort. Wir müssen diesem großen Trauerspiel bis zum Schluß beiwohnen und werden, was auch kommen mag, vor seiner gänzlichen Entwicklung England nicht verlassen. Denkt Ihr wie ich, Aramis?

In jeder Beziehung, Graf; dann gestehe ich Euch auch, es wäre mir nicht unangenehm, Mordaunt wiederzufinden; es scheint mir, wir haben eine Rechnung mit ihm in Ordnung zu bringen, und es ist nicht unsere Gewohnheit, ein Land zu verlassen, ohne solche Schulden zu bezahlen.

Ja, das ist etwas anderes, sprach d’Artagnan, dieser Grund leuchtet mir ganz ein. Ich bekenne, daß ich, um den fraglichen Mordaunt wiederzufinden, wenn es sein muß, ein ganzes Jahr in London bleibe. Nur müssen wir uns bei einem sichern Mann und so einquartieren, daß kein Verdacht dadurch erregt wird, denn Cromwell muß uns zu dieser Stunde suchen lassen, und soviel ich zu beurteilen vermag, spaßt Cromwell nicht. Athos, kennt Ihr in der ganzen Stadt eine Herberge, wo man weiße Leintücher, vernünftig gekochtes Roastbeef und Wein findet, der nicht von Hopfen oder Wachholder bereitet ist?

Ich glaube, erwiderte Athos. Lord Winter hat uns zu einem Manne geführt, von dem er sagte, er sei ein ehemaliger Spanier und nur durch die Guineen seiner Landsleute naturalisierter Engländer.

Der Gedanke scheint gut, antwortete d’Artagnan. Aber wir dürfen eine Vorsichtsmaßregel nicht vergessen, nämlich unsere Kleider zu wechseln. Unsere Röcke haben einen Schnitt und eine Farbe, daß man uns von weitem als Franzosen erkennt. Ich will mir einen kastanienbraunen Rock kaufen, denn ich habe gesehen, daß alle diese Dummköpfe von Puritanern diese Farbe wahnsinnig lieben.

Aber werdet Ihr Euern Mann wiederfinden, Athos? fragte Aramis.

Oh! gewiß, er wohnte Green-Hall-Street, Bedfords Taverne.

Die Freunde gaben ihren Pferden von neuem die Sporen und kamen gegen fünf Uhr morgens nach London. Bei dem Tor hielt man sie an, und Athos antwortete in vortrefflichem Englisch, sie seien vom Oberst Harrison abgeschickt, um seinen Kollegen, Herrn Pridge, von der nahe bevorstehenden Ankunft des Königs zu benachrichtigen. Er gab auf weitere Fragen nach der Gefangennehmung des Königs die Umstände so genau und so bestimmt an, daß die Torwächter nicht den geringsten Verdacht hegten.

Athos ritt gerade auf Bedfords Taverne zu und gab sich dem Wirt zu erkennen, der so sehr erfreut war, ihn in zahlreicher und seiner Gesellschaft wiederzusehen, daß er sogleich seine besten Zimmer in Bereitschaft setzen ließ.

Obgleich es noch nicht Tag war, so hatten die vier Freunde doch die ganze Stadt in größter Bewegung gefunden. Das Gerücht, daß sich der König, vom Obersten Harrison geleitet, der Hauptstadt nähere, hatte sich schon am Abend verbreitet, und viele waren noch nicht zu Bette gegangen, aus Furcht, der Stuart, wie sie ihn nannten, möchte bei Nacht ankommen, und sie könnten seinen Einzug verfehlen.

D’Artagnans Vorschlag gemäß ließen die vier Franzosen vom Wirt alle möglichen Kleider herbeischaffen. Athos wählte ein schwarzes Kleid, das ihm das Aussehen eines ehrbaren Bürgers verlieh; Aramis, der sich nicht vom Schwerte trennen wollte, nahm ein dunkelgrünes Kleid von militärischem Schnitt; Porthos ließ sich durch ein rotes Wams und grüne Hosen verführen; d’Artagnan stellte unter dem kastanienbraunen Rock, den er sich aussuchte, ziemlich treffend einen Zuckerhändler vor, der sich vom Geschäfte zurückgezogen.

Grimaud und Mousqueton trugen keine Livree mehr und waren auf diese Art völlig verkleidet. Grimaud zeigte den ruhigen, steifen Typus des umsichtigen, Mousqueton den des dickbäuchigen, aufgedunsenen, trägen Engländers.

Trotz des lebhaften Sträubens von Aramis setzte d’Artagnan bei seinen Freunden durch, daß sie sich, um Puritanern noch ähnlicher zu werden, ihre Haare kurz schnitten.

Nun, da wir uns selbst nicht mehr erkennen, sprach Athos, und folglich nicht fürchten müssen, von andern erkannt zu werden, wollen wir den König einziehen sehen; ist er die ganze Nacht marschiert, so muß er unfern von London sein.

Die vier Freunde hatten sich noch nicht zwei Stunden unter die Menge gemischt, als ein gewaltiges Geschrei und eine große Bewegung die Ankunft des Königs verkündigten. Man hatte ihm einen Wagen entgegengeschickt, und der riesige Porthos, der alle Köpfe überragte, kündigte an, er sehe die königliche Karosse kommen; d’Artagnan erhob sich aus den Fußspitzen, während Athos und Aramis horchten, um die öffentliche Stimmung zu erforschen. Man erblickte Harrison an einem Kutschenschlag und Mordaunt am andern.

Das Volk ergoß sich in tausenderlei Verwünschungen gegen den König, so daß Athos voll Verzweiflung zurückkehrte.

Mein Lieber, sagte d’Artagnan zu ihm, Eure Beharrlichkeit ist vergeblich, ich schwöre Euch, die Lage der Dinge ist sehr schlimm. Ich meinerseits halte nur Euretwegen und in dem Gedanken bei der Sache aus, es wäre gar zu lustig, allen diesen Brüllern ihre Beute zu entreißen und eine Nase zu drehen. Ich werde mir die Sache überlegen.

Schon am andern Morgen hörte Athos, am Fenster stehend, den Parlamentsbeschluß ausrufen, der den Exkönig Karl I. wegen Verrats und Mißbrauchs der Gewalt vor die Schranken zog.

D’Artagnan war in seiner Nähe, Aramis betrachtete eine Karte, Porthos wurde von den letzten Leckerbissen eines saftigen Frühstücks in Anspruch genommen.

Das Parlament! rief Athos, das Parlament kann unmöglich einen solchen Beschluß gefaßt haben, und wenn sie es je wagen sollten, ihren König zu verurteilen, so werden sie ihn höchstens zur Verbannung oder zum Gefängnis verurteilen.

D’Artagnan machte ein sehr ungläubiges Gesicht.

Wir werden es wohl sehen, sprach Athos, denn ich denke, wir gehen in die Sitzungen. – Ihr habt nicht lange zu warten, versetzte der Wirt, der hinzugetreten war, sie beginnen morgen. – Ah! rief Athos, der Prozeß wurde also vorbereitet, ehe der König gefangen war? – Allerdings, man fing an dem Tage an, wo man ihn erkauft hatte. – Ihr wißt, sagte Aramis, daß unser Freund Mordaunt, wenn auch nicht den Vertrag abgeschlossen, doch wenigstens die ersten Unterhandlungen in dieser Angelegenheit eröffnet hat. – Ihr wißt, sprach d’Artagnan, daß ich diesen Herrn Mordaunt töte, wo er mir in die Hände fällt. – Pfui! rief Athos, einen so elenden Menschen. – Gerade weil er ein Elender ist, töte ich ihn, entgegnete d’Artagnan. Ah, lieber Freund, ich füge mich genugsam Eurem Willen, daß Ihr etwas nachsichtig gegen den meinigen sein müßt. Übrigens erkläre ich diesmal, mag es Euch gefallen oder nicht, daß er nur von mir getötet werden soll. – Und von mir, sagte Porthos. – Und von mir, versetzte Aramis. – Rührende Einhelligkeit, rief d’Artagnan, wie es sich für gute Bürger unserer Art geziemt. Laßt uns einen Gang durch die Stadt machen; Mordaunt wird uns selbst aus drei Schritte bei diesem Nebel nicht erkennen. Laßt uns ein wenig Nebel trinken. – Ja, sprach Porthos, das ist eine Abwechslung nach dem Bier.

Und die vier Freunde gingen wirklich aus, um, wie man gewöhnlich sagt, Luft zu schöpfen.

Der Prozeß

Am andern Tag führte eine zahlreiche Wache Karl I. vor den hohen Gerichtshof, der sein Urteil fällen sollte.

Das Volk belagerte die Straßen und füllte die Häuser in der Nähe des Palastes; die vier Freunde wurden daher bei den ersten Schritten, die sie machten, durch das beinahe unüberwindliche Hindernis lebendiger Mauern aufgehalten; einige stießen sogar Aramis so heftig zurück, daß Porthos seine furchtbare Hand aufhob und auf das mehlige Gesicht eines Bäckers fallen ließ, das, zerquetscht wie eine reife Weintraube, sogleich die Farbe veränderte und sich mit Blut bedeckte. Die Sache machte großen Lärm; drei Männer wollten sich auf Porthos stürzen; aber Athos beseitigte den einen, d’Artagnan den andern, und Porthos warf den dritten über seinen Kopf. Einige englische Liebhaber des Faustkampfes würdigten die rasche und leichte Weise, wie dieses Manöver ausgeführt wurde, und klatschten Beifall. Es fehlte nicht viel, so wären Porthos und seine Freunde, statt niedergeschlagen zu werden, wie sie zu fürchten anfingen, im Triumph umhergetragen worden. Jedenfalls gewannen sie eins bei dieser herkulischen Kundgebung: die Menge öffnete sich vor ihnen, und sie konnten bis zum Palast vordringen. Ganz London drängte sich an den Türen der Tribünen; als die vier Freunde aber endlich Eintritt erlangten, fanden sie daher die ersten Bänke bereits besetzt. Das war nicht schlimm für Menschen, die nicht erkannt sein wollten; zufrieden setzten sie sich daher auf ihre Plätze, mit Ausnahme von Porthos, der sein rotes Wams und seine grünen Beinkleider zeigen wollte und sehr bedauerte, daß er nicht in der ersten Reihe erscheinen konnte.

Die Bänke waren amphitheatralisch geordnet, und die vier Freunde übersahen von ihrem Platze aus die ganze Versammlung. Der Zufall hatte es gefügt, daß sie auf der mittleren Galerie eingetreten waren und sich gerade dem für Karl I. bestimmten Lehnstuhl gegenüber befanden.

Gegen elf Uhr morgens erschien der König auf der Schwelle des Saales. Er trat, umgeben von Wachen, aber mit bedecktem Haupte und mit ruhiger Miene ein und ließ in allen Richtungen einen Blick voll Sicherheit umherschweifen, als sollte er bei einer Versammlung ergebener, demütiger Untertanen den Vorsitz führen, nicht aber auf die Anklagen eines meuterischen Gerichtshofes antworten.

Parry, der ihn begleitete, stand hinter ihm.

Währenddessen betrachtete d’Artagnan seinen Freund Athos, auf dessen Antlitz sich alle Gemütsbewegungen ausprägten, die der König durch Selbstbeherrschung von dem seinigen zu verbannen vermochte. Diese Aufregung des so kalten und ruhigen Mannes erschreckte ihn.

Ich hoffe, sagte er ihm ins Ohr, Ihr werdet ein Beispiel an Seiner Majestät nehmen und Euch nicht albernerweise in diesem Käfig umbringen lassen.

Seid unbesorgt, erwiderte Athos.

Ah! ah! fuhr d’Artagnan fort, es scheint, man fürchtet irgend etwas, denn seht, die Posten verdoppeln sich und tragen jetzt nicht nur Partisanen, sondern auch Musketen.

Dreißig, vierzig, fünfzig, siebenzig Mann, sagte Porthos, die Ankommenden zählend.

Ei! versetzte Aramis, Ihr vergeßt den Offizier, Porthos; es lohnt sich jedoch, scheint mir, wohl der Mühe, ihn mitzuzählen.

Ho! ho! sprach d’Artagnan und wurde bleich vor Zorn, denn er erkannte Mordaunt, der mit entblößtem Degen die Musketiere hinter den König, das heißt, den Tribünen gegenüber, führte.

Der Präsident Bradshaw ergriff jetzt das Wort und sagte zu dem erhabenen Angeklagten:

Stuart, hört die Verlesung der Namen Eurer Richter und sagt dem Tribunal, was Ihr etwa zu bemerken habt.

Der König wandte, als wären diese Worte nicht an ihn gerichtet, seinen Kopf nach einer andern Seite.

Ich schreite zum Aufruf, sagte Bradshaw, ohne daß er die Abwesenheit von 88 unter 161 Mitgliedern, das heißt von drei Fünfteln der Versammlung zu beachten schien.

Die Anwesenden antworteten mit starker oder schwacher Stimme, je nachdem sie den Mut ihrer Meinung besaßen oder nicht besaßen. Ein kurzes Stillschweigen folgte stets auf die zweimal wiederholten Namen der Abwesenden.

Als die Reihe an den Namen des Obersten Fairfax kam, rief eine spöttische Stimme, an deren Silberklang man eine Frau erkannte: Fairfax, er ist zu gescheit, um hier zu sein.

Ein ungeheures Gelächter empfing diese Worte, die mit jener Kühnheit ausgesprochen wurden, welche die Frauen aus ihrer Schwäche schöpfen, die sie vor jeder Rache sichert.

Es ist Lady Fairfax, versetzte d’Artagnan; Ihr erinnert Euch, Porthos? Wir haben sie mit ihrem Gatten bei General Cromwell gesehen.

Nach einem Augenblick war die durch diese sonderbare Episode gestörte Ruhe wiederhergestellt, und der Aufruf dauerte fort. Als er endlich beendigt war, gab der Präsident Befehl, zur Verlesung der Anklageakte überzugehen.

Athos erbleichte; er sah sich abermals in seiner Erwartung getäuscht. Obgleich die Zahl der Richter unzulänglich war, sollte gegen seine Erwartung der Prozeß dennoch vor sich gehen; der König war also zum voraus verurteilt.

Ich habe es Euch gesagt, Athos, sprach d’Artagnan, die Achseln zuckend; aber Ihr zweifelt immer. Nun faßt Euren Mut in beide Hände und hört, ohne Euer Blut zu sehr in Aufwallung geraten zu lassen, die Abscheulichkeiten an, die jener Herr im schwarzen Gewand seinem rechtmäßigen König ins Gesicht sagen wird.

Karl I. hörte die Rede des Anklägers mit besonderer Aufmerksamkeit, ließ die schändlichen Beleidigungen über sich ergehen, beschwerte sich nicht und lächelte verächtlich, wenn der Haß zu sehr überströmte und der Ankläger sich im voraus zum Henker machte. Es war eine furchtbare Anklage, die alle Unklugheiten des Königs als heimtückische Streiche, alle seine Irrtümer als Verbrechen darstellte.

Feuer im Gesicht, mit geballten Fäusten und blutig gebissenen Lippen, schäumte Athos auf seiner Bank. Die Erbitterung und Wut über das empörende Vorgehen des Parlaments, über diese unerhörte Langmut des Königs hatten diesen unbeugsamen Arm, dieses unerschütterliche Herz in eine zitternde Hand, in einen bebenden Körper verwandelt.

In diesem Augenblick endigte der Ankläger mit den Worten: Gegenwärtige Anklage wird von uns im Namen des englischen Volkes vorgebracht.

Aus diese Worte folgte ein Gemurmel auf den Tribünen, und eine andere Stimme, keine Frauenstimme, sondern eine wütende Männerstimme, donnerte hinter d’Artagnan.

Du lügst! rief diese Stimme, neun Zehntel des englischen Volkes verabscheuen, was du sagst!

Diese Stimme kam von Athos, der, außer sich, hoch aufgerichtet, mit ausgestrecktem Arm, dem öffentlichen Ankläger so entgegentrat.

König, Richter, Zuschauer, alle wandten bei diesem kühnen Wort die Augen nach der Tribüne, auf der sich die vier Freunde befanden.

Mordaunt machte es wie die übrigen und erkannte den Edelmann, um den sich die drei andern Franzosen bleich und drohend erhoben hatten. Seine Augen flammten vor Freude. Er hatte die wiedergefunden, deren Aufsuchung und Tod er sein Leben weihte. Eine wütende Bewegung rief rasch zwanzig von seinen Musketieren in seine Reihe, und mit dem Finger auf die Tribüne deutend, wo seine Feinde waren, rief er: Feuer! Feuer auf diese Tribüne!

Aber schnell wie der Gedanke faßte d’Artagnan Athos um den Leib, Porthos packte Aramis, und sie sprangen von den Stufen hinab, stürzten in die Korridore, eilten über die Treppen und verloren sich in der Menge, während im Innern des Saales die angeschlagenen Musketen dreitausend Zuschauer bedrohten, deren Angstgeschrei und Hilferuf der bereits entfachten Mordlust Einhalt taten.

Karl hatte die vier Franzosen ebenfalls erkannt. Er legte eine Hand auf sein Herz, um die Schläge zurückzudrängen, die andere auf seine Augen, um seine treuen Freunde nicht erwürgen zu sehen.

Bleich und zitternd vor Wut stürzte Mordaunt, den bloßen Degen in der Faust, mit zehn Hellebardieren aus dem Saal, durchwühlte fragend und keuchend die Menge und kehrte sodann zurück, ohne etwas gefunden zu haben.

Es herrschte eine unbeschreibliche Bewegung, und es verging mehr als eine halbe Stunde, bis die Ruhe wiederhergestellt war.

Was habt Ihr zu Eurer Verteidigung zu sagen? fragte Bradshaw den König.

Das Haupt beständig bedeckt, erhob sich der König, nicht aus Demut, sondern im Bewußtsein seiner Herrscherwürde, und sprach mit dem Tone eines Richters, nicht eines Angeklagten: Ehe Ihr mich fragt, antwortet mir. Ich war frei in Newcastle, ich schloß einen Vertrag mit den zwei Kammern. Statt Eurerseits diesen Vertrag zu erfüllen, den ich meinerseits erfüllte, habt Ihr mich den Schotten abgekauft, ich weiß, um keinen hohen Preis, und das macht der Sparsamkeit Eurer Verwaltung Ehre. Hofft Ihr aber, daß ich aufgehört habe, Euer König zu sein, weil Ihr den Preis eines Sklaven für mich bezahltet? Euch antworten hieße die Königswürde vergessen; ich werde Euch also nicht eher antworten, bis Ihr das Recht, mich zu befragen, nachgewiesen habt. Euch antworten hieße Euch als meine Richter anerkennen, und ich erkenne in Euch nur meine Henker.

Und mitten unter einer Todesstille setzte sich Karl ruhig, stolz und stets bedeckten Hauptes wieder in seinen Lehnstuhl.

Nun wohl, sprach der Präsident, als er Karl zu einem unüberwindlichen Schweigen entschlossen sah, es sei, wir werden Euch trotz Eures Stillschweigens richten. Ihr seid des Verrats, des Mißbrauchs der Gewalt und des Mordes angeklagt. Die Zeugen werden diese Anklage beglaubigen. Geht, und eine nächste Sitzung mag in Erfüllung bringen, was Ihr in dieser zu tun verweigert.

Karl stand auf und entfernte sich, seinen Wachen folgend, mit Parry, der entsetzlich bleich hinter ihm ging.

Links von der Tür glänzte in düsterem Schimmer auf einem roten Teppich das weiße Beil mit dem langen, von der Hand des Nachrichters geglätteten Stiele, das die Henker des Königs in unglaublicher grausamer Rohheit und um sich an des Königs erwarteter Angst zu werden, dort hatten hinlegen lassen.

Als Karl sich dem Tisch gegenüber befand, blieb er stehen, wandte sich um und sagte lächelnd: Ah! ah! das Beil! O wie geistreich und ganz würdig der Menschen, die nicht wissen, was ein Edelmann ist. Du machst mir nicht bange, Henkerbeil, fügte er bei und schlug darauf mit dem dünnen, biegsamen Rohr, das er in der Hand hielt, und ich schlage dich, in christlicher Geduld wartend, bis du es mir zurückgibst.

Mit königlicher Verachtung die Achseln zückend, setzte er sodann seinen Weg fort und verließ die verdutzte Masse, die sich um den Tisch gedrängt hatte, um das Gesicht des Königs zu sehen, wenn er dieses Beil erblicken würde, das seinen Kopf von seinem Leib trennen sollte.

Als der König zur Tür kam, sah er dort eine Volksmasse zusammengedrängt, die, da sie keinen Platz auf den Tribünen fand, wenigstens das Ende des Schauspiels genießen wollte, dessen interessantester Teil ihr entgangen war. Der Anblick dieser zahllosen Menge, in deren Reihen man nur drohende Gesichter erblickte, entriß dem König einen leichten Seufzer.

Wie viele Menschen, dachte er, und nicht ein ergebener Freund!

Als er aber diese Worte der Entmutigung und des Zweifels in seinem Innern sprach, antwortete eine Stimme in seiner Nähe: Heil der gefallenen Majestät!

Der König wandte sich mit Tränen in den Augen und im Herzen rasch um.

Es war ein alter Soldat von seinen Leibwachen, welcher den König nicht wollte vorübergehen lassen, ohne ihm diese letzte Huldigung darzubringen. Aber sofort mußte er sehen, wie man den Unglücklichen mit Schwertknopfschlägen bearbeitete.

Ach! sprach Karl, das ist eine schwere Strafe für einen sehr kleinen Fehler.

Mit beklommenem Herzen ging er weiter, hatte aber noch nicht hundert Schritte gemacht, als ein Wütender, sich zwischen zwei Soldaten vorbeugend, dem König ins Gesicht spuckte, wie einst ein schändlicher, verfluchter Jude dem Herrn Jesus von Nazareth ins Gesicht gespieen hatte.

Karl wischte sich das Gesicht ab und sagte mit einem traurigen Lächeln:

Der Unglückliche! für eine halbe Krone würde er dasselbe seinem Vater tun.

Gewaltiges Gelächter und finsteres Gemurmel erschollen gleichzeitig; die Menge zog sich zurück, drängte sich wieder herbei, wogte wie ein stürmisches Meer, und es war dem König, als sähe er mitten in der lebendigen Welle Athos‘ funkelnde Augen glänzen.

Der König hatte sich nicht getäuscht, er hatte wirklich Athos und seine Freunde gesehen, die mitten unter der Volksmenge den königlichen Märtyrer mit einem letzten Blick geleiteten.

Als der Soldat Karl begrüßte, zerschmolz Athos‘ Herz vor Freude, und der Unglückliche fand, als er wieder zu sich kam, in seiner Tasche zehn Guineen, die der französische Edelmann hatte hineingleiten lassen. Als jedoch der feige Beleidiger dem gefangenen König in das Gesicht spie, fuhr Athos mit der Hand an den Dolch.

Aber d’Artagnan hielt diese Hand zurück und sprach mit rauhem Tone:

Warte! und Athos hielt inne.

Sie folgten darauf dem Frechen, der ein Fleischergeselle zu sein schien, durch mehrere Gassen, worauf sie ihn stellten und Athos ihm in entsetzlichem Tone zurief: Du bist feig gewesen, du hast einen wehrlosen Mann beschimpft, du hast das Gesicht deines Königs befleckt, du mußt sterben!…

Porthos hob hierauf seinen furchtbaren Arm, ließ ihn wie den Stiel einer Schleuder durch die Luft pfeifen, und die gewichtige Masse fiel mit einem dumpfen Geräusch auf den Schädel des Feiglings, den sie zerschmetterte.

Der Kerl stürzte nieder wie der Ochs unter dem Hammer.

Whitehall

Das Parlament verurteilte, wie vorhergesehen, Karl Stuart zum Tode. Politische Gerichte sind beinahe immer leere Förmlichkeiten; denn dieselben Leidenschaften, welche die Anklage veranlassen, veranlassen auch die Verurteilung.

Obgleich unsere Freunde die Verurteilung erwarteten, so waren sie doch tief gebeugt darüber. D’Artagnan, dessen Geist nie mehr Hilfsquellen besaß, als in der äußersten Not, schwur abermals, er würde alles versuchen, um die Entwicklung dieser blutigen Tragödie zu verhindern; doch durch welche Mittel? Dies sah er noch nicht klar vor sich. Mittlerweile mußte man, um Zeit zu gewinnen, um jeden Preis verhindern, daß die Hinrichtung am zweiten Tag, wie dies die Richter beschlossen hatten, stattfand. Das einzige Mittel war, daß man den Henker von London entfernte; denn zum mindesten dauerte es einen Tag, bis man den Henker aus der nächsten Stadt holen ließ, und ein Tag bedeutet unter solchen Umständen vielleicht die Rettung. D’Artagnan übernahm dieses äußerst schwierige Geschäft.

Nicht minder wesentlich war es, Karl Stuart davon in Kenntnis zu setzen, daß man ihn zu retten versuchen wollte, damit er seine Verteidiger unterstützte oder wenigstens ihren Bemühungen nicht entgegenarbeitete. Aramis übernahm diesen gefährlichen Auftrag. Karl Stuart hatte verlangt, daß man dem Bischof Juxon erlauben sollte, ihn in seinem Gefängnis in Whitehall zu besuchen. Mordaunt war an demselben Abend bei dem Bischof erschienen, um ihm das religiöse Verlangen des Königs, sowie der Erlaubnis Cromwells zu eröffnen. Aramis beschloß, den Bischof durch Einschüchterung oder Überredung dahin zu bringen, daß er ihn an seiner Stelle und mit seinen priesterlichen Insignien angetan nach Whitehall gehen ließe. Athos übernahm es, für den Fall des Mißlingens oder des Gelingens die Mittel zur Abreise aus England in Bereitschaft zu halten.

Der Palast von Whitehall wurde durch drei Regimenter und besonders durch Cromwells beständige Sorge bewacht, der beständig kam und ging und jeden Augenblick seine Generäle und Agenten schickte.

Allein in seinem gewöhnlichen und von zwei Kerzen beleuchteten Zimmer, schaute der zum Tode verurteilte Monarch traurig auf den Luxus seiner vergangenen Größe, wie man in seiner letzten Stunde das Bild des Lebens glänzender und holder sieht, als je.

Parry hatte seinen Herrn nicht verlassen und seit seiner Verurteilung nicht aufgehört zu weinen.

Mit dem Ellbogen auf einen Tisch gestützt, betrachtete Karl Stuart ein Medaillon, auf dem die Porträts seiner Gemahlin und seiner Tochter nebeneinander waren. Er näherte das Porträt seinen Lippen und murmelte dabei nacheinander die Namen seiner Kinder. Manchmal war es ihm, als müsse dies alles nur ein böser Traum sein, dann wieder sehnte er sich nach dem versprochenen Priester und wünschte, dieser möchte ein Mann von edlem und großem Geist sein. Er erwartete zuerst Juxon und nach Juxon das Märtyrertum.

Es war eine nebelige, kalte Nacht. Die Glocke schlug langsam im Turme der benachbarten Kirche. Die bleiche Helle zweier Kerzen ließ in dem großen, hohen Gemach Phantome erscheinen, die von seltsamen Reflexen beleuchtet waren. Diese Phantome waren die Ahnen König Karls, die sich aus ihren goldenen Rahmen lösten. Die Reflexe rührten von dem letzten bleichen, spiegelnden Schimmer eines Kohlenfeuers her, das im Erlöschen begriffen war.

Eine unsägliche Traurigkeit bemächtigte sich des Königs. Er begrub seine Stirn in seinen Händen, dachte an die Welt, die so schön ist, wenn man sie verläßt, oder vielmehr wenn sie uns verläßt, an die Liebkosungen der Kinder, die so süß und zart sind, besonders wenn man von diesen Kindern getrennt ist, um sie nie mehr zu sehen, dann an seine Gattin, ein edles, mutiges Geschöpf, das ihn bis zu seinem letzten Augenblick unterstützt hatte.

Plötzlich schreckte ihn das Geräusch von Tritten auf, die Tür öffnete sich, Fackeln füllten das Gemach mit ihrem rauchigen Licht, und ein Geistlicher in bischöflichem Gewande trat ein, gefolgt von zwei Wachen, denen Karl mit der Hand ein gebieterisches Zeichen machte. Die zwei Wachen entfernten sich, das Gemach versank abermals in Dunkelheit.

Juxon! rief Karl. Juxon! ich danke, mein letzter Freund, Ihr kommt zu gelegener Zeit.

Der Bischof warf einen unruhigen Seitenblick auf den Menschen, der in einem Winkel des Kamins schluchzte.

Auf! Parry, sagte der König, weine nicht. Gott kommt zu uns.

Wenn es Parry ist, versetzte der Bischof, so habe ich nichts zu fürchten. Erlaubt mir also, Sire, Eure Majestät zu begrüßen und ihr zu sagen, wer ich bin und aus welchem Grund ich komme.

Bei diesem Anblick, bei dieser Stimme war Karl ohne Zweifel im Begriff zu rufen; aber Aramis legte den Finger auf die Lippen und verbeugte sich tief vor dem König von England.

Der Chevalier! murmelte Karl.

Ja, Sire, unterbrach ihn Aramis, die Stimme erhebend, ja, der Bischof Juxon, ein getreuer Ritter Christi, der sich den Wünschen Eurer Majestät fügt.

Karl faltete die Hände; er hatte Aramis erkannt, und eine tiefe Rührung ergriff ihn gegenüber diesen Fremdlingen, die ohne einen andern Grund, als eine Gewissenspflicht, so gegen den Willen eines Volkes und das Geschick eines Königs ankämpften.

Ihr seid es, sprach er, Ihr! Wie seid Ihr bis hierher gelangt? Mein Gott, Ihr wäret verloren, wenn sie Euch erkennen würden.

Denkt nicht an mich, Sire, sagte Aramis, dem König abermals durch eine Gebärde Stillschweigen empfehlend, denkt nur an Euch, Eure Freunde nahen. Was wir tun werden, weiß ich noch nicht; aber vier entschlossene Männer sind viel zu tun im stande. Schließt indessen das Auge nicht, erschreckt über nichts, seid auf alles gefaßt.

Karl schüttelte den Kopf und erwiderte: Freund, wißt Ihr, daß Ihr keine Zeit zu verlieren habt, daß Ihr Euch beeilen müßt, wenn Ihr handeln wollt? Wißt Ihr, daß ich morgen um zehn Uhr sterben soll?

Sire, es wird bis dahin etwas geschehen, was eine Hinrichtung unmöglich macht.

In demselben Augenblick vernahm man unter dem Fenster des Königs ein Geräusch, wie von einem Holzwagen, der abgeladen wird.

Hört Ihr? sprach der König. Auf dieses Geräusch folgte ein Schrei des Schmerzes.

Ein Schrei … ich weiß nicht, wer ihn ausstoßen konnte, aber das Geräusch will ich deuten, sagte der König. Wißt Ihr, daß ich vor diesem Fenster hingerichtet werden soll? fügte er bei, die Hand nach dem düstern, öden, nur von Soldaten und Schildwachen besetzten Platze ausstreckend.

Ja, Sire, ich weiß es.

Nun, das Holz, das man bringt, besteht aus den Balken und Brettern, aus denen mein Schafott errichtet werden soll. Es wird sich ein Arbeiter beim Abladen verwundet haben. Aramis bebte unwillkürlich.

Ihr seht, daß Ihr vergeblich auf Eurem Willen beharrt, sprach Karl; ich bin verurteilt, laßt mich meinen Tod erleiden! – Sire, antwortete Aramis, der seine einen Augenblick gestörte Ruhe wiedergewann, sie mögen ein Schafott errichten, aber sie können keinen Henker finden. – Was wollt Ihr damit sagen? – Daß der Henker zu dieser Stunde entführt ist; morgen wird das Blutgerüst bereit sein, aber der Henker wird fehlen, und man muß die Hinrichtung auf übermorgen verschieben. – Und dann? – Morgen in der Nacht retten wir Euch. – Ihr seid in der Tat wunderbare Menschen, sprach der König, und ich würde nicht daran geglaubt haben, wenn man mir solche Dinge erzählt hätte. – Nun hört mich an, Sire, sprach Aramis. Vergeht keinen Augenblick, daß wir für Euer Heil wachen; beobachtet alles, horcht auf alles, erklärt Euch alles, den geringsten Gesang, das kleinste Zeichen. – Oh! Chevalier, was soll ich Euch sagen? rief der König. Kein Wort, und käme es aus der tiefsten Tiefe meines Herzens, vermöchte meine Dankbarkeit auszudrücken.

Aramis wollte dem König die Hand küssen, aber der König ergriff die seinige und drückte sie an sein Herz.

Um jeden Verdacht zu vermeiden, entfernte sich Aramis bald; der König geleitete ihn bis zur Tür. Hier erteilte der Franzose aufs würdevollste den Segen, worauf er zum erzbischöflichen Palast zurückkehrte.

Juxon erwartete ihn voll Angst, doch Aramis beruhigte ihn mit den Worten: Alles ging gut; jeder hielt mich für Euch, und der König segnet Euch, bis Ihr ihn segnen werdet.

Aramis wechselte seine Kleider und verließ den Bischof. Kaum hatte er zehn Schritte auf der Straße gemacht, so bemerkte er einen verhüllten Menschen, der ihm folgte. Es war Porthos, der den Auftrag erhalten hatte, seinerseits Aramis bei seinem kühnen Unterfangen nach Kräften zu bewachen.

Beide eilten zum Gasthof, wo die vier Freunde sich um elf Uhr zu treffen verabredet hatten. Aramis und Porthos waren die ersten; nach ihnen kehrte Athos zurück.

Alles geht gut, sagte er, ehe seine Freunde Zeit hatten, ihn zu befragen.

Was habt Ihr getan? sprach Aramis.

Ich habe eine kleine Feluke gemietet, die so schmal ist wie eine Piroge und so leicht wie eine Schwalbe. Sie erwartet uns in Greenwich mit einem Patron und vier Mann, die gegen eine Bezahlung von fünfzig Pfund Sterling drei Nächte hintereinander zu unserer Verfügung sind. Einmal mit dem König an Bord, benutzen wir die Flut, fahren die Themse hinab und sind in zwei Stunden in offener See. Als wahre Piraten folgen wir sodann der Küste, verbergen uns an den unzugänglichen Ufern und steuern, wenn das Meer frei ist, nach Boulogne. Für den Fall, daß ich getötet würde, bemerke ich Euch,, daß der Patron des Schiffes Roger ist und daß die Feluke der Blitz heißt. Ein an den vier Enden geknüpftes Taschentuch ist das Erkennungszeichen.

Einen Augenblick nachher kam d’Artagnan ebenfalls.

Leert Eure Taschen, sagte er, bis die Summe von hundert Pfund Sterling voll ist; denn die meinigen (d’Artagnan kehrte seine Taschen um) sind ganz leer.

Die Summe war in der Sekunde beisammen. D’Artagnan ging hinaus und kehrte sogleich wieder zurück.

Das ist abgemacht, sagte er; aber es hat Mühe gekostet. – Der Henker hat London verlassen? fragte Athos. – Jawohl. Aber es war dies nicht sicher genug; er konnte zu einem Tor hinausgehen und zum andern wieder hereinkommen. – Wo ist er jetzt? sprach Athos. – Im Keller. – In welchem Keller? – Im Keller unseres Wirtes. Mousqueton sitzt auf der Schwelle, und hier ist der Schlüssel. – Bravo, sagte Aramis. Aber wie habt Ihr ihn vermocht, zu verschwinden? – Womit man alles in dieser Welt vermag, mit Geld. Es kostete mich viel, aber er willigte ein. – Wieviel hat es Euch gekostet, Freund? fragte Athos; denn Ihr begreift nun, da wir nicht mehr ganz arme Musketiere ohne Hab und Gut sind, müssen alle Ausgaben gemeinschaftlich sein.– Es hat mich zwölftausend Livres gekostet, erwiderte d’Artagnan. – Wo habt Ihr diese gefunden? Besaßet Ihr denn eine solche Summe? – Der berühmte Diamant der Königin, antwortete d’Artagnan mit einem Seufzer. – Mit dem Henker selbst ist also die Sache gut abgelaufen, sagte Athos; leider aber hat jeder Henker seinen Knecht, seinen Gehilfen, was weiß ich? – Dieser hatte auch einen; aber das Glück war uns günstig. – Wie dies? – In dem Augenblick, wo ich glaubte, ich hätte ein zweites Geschäft abzumachen, brachte man den Burschen mit gebrochenem Schenkel zurück. Aus übermäßigem Eifer begleitete er den Wagen, der die Bretter und Balken führte, bis unter die Fenster des Königs. Einer von diesen Balken fiel ihm auf das Bein und zerschmetterte es. – Ah, sprach Aramis, er hat also den Schrei ausgestoßen, den ich im Gemach des Königs vernahm. – Das ist wahrscheinlich, sagte d’Artagnan; da er aber ein Mensch von Überlegung ist, so versprach er bei seiner Entfernung, an seiner Stelle vier erfahrene, geschickte Arbeiter zu senden, um die andern zu unterstützen, und als er bei seinem Herrn angelangt war, schrieb er sogleich an Tom Lowe, einen ihm befreundeten Zimmermann, er möge sich zur Erfüllung seines Versprechens nach Whitehall begeben. Hier ist der Brief, den er durch einen Expressen abschickte, der ihn um zehn Pence besorgen sollte, aber um einen Louisd’or an mich verkaufte. – Was, zum Teufel, wollt Ihr mit dem Brief machen? sagte Athos. – Ihr erratet es nicht? versetzte d’Artagnan mit glänzenden Augen. – Bei meiner Seele, nein. – Wohl, mein lieber Athos, Ihr, der Englisch spricht wie John Bull, Ihr seid Meister Tom Lowe, und wir sind Eure drei Gesellen. Begreift Ihr es nun?

Athos stieß einen Schrei der Bewunderung und Freude aus, lief in ein Kabinett und nahm Arbeiterkleider, welche die vier Freunde alsbald anzogen, worauf sie, Athos mit einer Säge, Porthos mit einer Zange, Aramis mit einer Axt und d’Artagnan mit einem Hammer und Nägeln den Gasthof verließen.

Der Brief des Henkerknechtes diente bei dem Zimmermeister zur Beglaubigung, daß sie die Erwarteten seien.

Die Arbeiter

Gegen Mitternacht vernahm Karl ein starkes Geräusch unter seinem Fenster. An verschiedenartigen Tönen ließen sich Hammer und Axt, Zange und Säge unterscheiden. Er hatte sich ganz angekleidet auf sein Bett geworfen und fing an zu entschlummern, als ihn dieses Geräusch plötzlich erweckte, und da es außer seiner physischen Unannehmlichkeit ein furchtbares moralisches Echo in seiner Seele fand, so erfaßten ihn die gräßlichen Gedanken des vorhergehenden Tages abermals. Allein in der Finsternis und Einsamkeit, hatte er nicht die Kraft, diese neue Marter zu ertragen, und ließ durch Parry der Schildwache sagen, sie möge die Arbeiter bitten, minder stark zu klopfen und Mitleid mit dem letzten Schlafe dessen zu haben, der ihr König gewesen sei.

Die Schildwache wollte nicht von ihrem Posten gehen, ließ aber Parry hinaus.

Am Fenster bemerkte Parry auf gleicher Höhe mit dem Balkon, dessen Gitter man weggenommen hatte, ein breites Schafott, um das man schwarze Sarsche zu nageln anfing.

Dieses ungefähr zwanzig Fuß hohe Schafott hatte zwei innere Stockwerke. Parry suchte, so verhaßt ihm der Anblick war, unter den acht bis zehn Arbeitern, welche die unselige Maschine erbauten, die, deren Geräusch für den König am unangenehmsten sein mußte, und erblickte auf einem Brette zwei Männer, die mit Hilfe einer Brechstange die letzten Fischbänder des eisernen Balkons losmachten. Der eine derselben, ein wahrer Koloß, arbeitete wie ein römischer mauernbrechender Widder. Bei jedem Schlag seines Instrumentes flog der Stein in Stücke. Der andere war niedergekniet und zog die erschütterten Steine an sich. Diese machten offenbar den Lärm, über den sich der König beklagte.

Parry stieg auf die Leiter und sagte zu ihnen: Meine Freunde, wollt ein wenig stiller arbeiten. Ich bitte Euch, der König schläft, er bedarf des Schlafes.

Der Mensch, der mit der Brechstange arbeitete, hielt inne und wandte sich um. Weil er aber aufrecht stand, so konnte Parry sein Gesicht in der Finsternis nicht erkennen. Der Knieende aber wandte sich um, und da sein Gesicht von der Laterne beleuchtet wurde, so vermochte ihn Parry zu sehen. Dieser Mensch schaute ihn fest an und legte einen Finger an seinen Mund. Parry wich erstaunt zurück.

Es ist gut, es ist gut, sagte der Arbeiter in vortrefflichem Englisch, kehrt zurück und sagt dem König, wenn er heute nacht schlecht schlafe, so werde er morgen nacht desto besser schlafen.

Diese Worte, die, buchstäblich gedeutet, einen so furchtbaren Sinn hatten, wurden von den Zimmerleuten, die an den Seiten und dem inneren Gerüste arbeiteten, mit einem Ausbruche gräßlicher Freude aufgenommen.

Parry glaubte zu träumen und kehrte zurück. Karl erwartete ihn mit Ungeduld. Parry schloß die Tür, ging mit freudestrahlendem Gesicht auf den König zu und sagte leise: Sire, wißt Ihr, wer die Arbeiter sind, die ein solches Geräusch machen?

Nein, antwortete Karl, schwermütig das Haupt schüttelnd, wie soll ich es wissen? Kenne ich diese Menschen? – Sire, sagte Parry noch leiser und sich aus das Bett seines Gebieters neigend, Sire, es ist der Graf de la Fère und sein Freund. – Sie errichten mein Schafott? sprach der König erstaunt. – Ja, und während sie es errichten, machen sie ein Loch in die Mauer. – Still, versetzte der König, ängstlich um sich her schauend; du hast sie gesehen? – Ich habe mit ihnen gesprochen.

Der König faltete die Hände, schlug die Augen zum Himmel auf und verrichtete ein kurzes, inbrünstiges Gebet. Dann verließ er sein Bett und ging auf das Fenster zu, dessen Vorhänge er auf die Seite schob. Die Wachen des Balkons waren immer noch da; jenseit des Balkons aber breitete sich eine düstere Plattform aus, auf welcher Schatten umhergingen.

Karl vermochte nichts zu unterscheiden, aber er fühlte unter seinen Füßen die Erschütterung infolge der Schläge seiner Freunde. Und jeder dieser Schläge hallte in seinem Herzen wieder.

Parry hatte sich nicht getäuscht, er hatte Athos erkannt. Er war es wirklich, der, unterstützt von Porthos, ein Loch aushöhlte, in dem einer der Querbalken ruhen sollte.

Dieses Loch lief in eine unter dem Boden des königlichen Zimmers angebrachte Öffnung. War man einmal in dieser Öffnung, die einem sehr niedrigen Zwischenstock glich, so konnte man mittelst einer Brechstange und guter Schultern eine Platte des Bodens sprengen. Der König schlüpfte sodann durch die Öffnung, erreichte mit seinen Rettern eine der Abteilungen des ganz mit schwarzem Tuch bedeckten Schafotts, zog ebenfalls ein Arbeitergewand an, das man für ihn bereit hielt, und ging ganz furchtlos mit den vier Freunden hinab. Die Schildwachen, die, ohne irgend einen Verdacht zu haben, die Arbeiter vom Schafott kommen sahen, ließen sie vorübergehen. Die Feluke war, wie gesagt, bereit.

Dieser Plan war umfassend und zugleich einfach und leicht auszuführen.

Athos zerriß seine zarten, weißen Hände, um Steine herauszuheben, die von Porthos aus ihren Basen gebrochen wurden. Bereits konnte er den Kopf unter die Zieraten stecken, die den untern Kranz des Balkons schmückten. Noch zwei Stunden, und er brachte den ganzen Körper durch. Vor Tag sollte das Loch fertig sein und völlig unter den Falten einer innern Tapete verschwinden, die d’Artagnan zu legen hatte. D’Artagnan hatte sich für einen französischen Arbeiter ausgegeben und brachte die Nägel wie der geschickteste Tapezier an. Aramis schnitt das überflüssige der Sarsche ab, die bis zur Erde herabhing und hinter der sich das Blutgerüst erhob.

Der Tag erschien an den Gipfeln der Häuser. Ein großes Torf- und Kohlenfeuer hatte den Arbeitern über die kalte Nacht vom 29. auf den 30. Januar hinweggeholfen. Jeden Augenblick unterbrachen sich selbst die Eifrigsten bei der Arbeit, um sich am Feuer zu wärmen. Athos und Porthos allein hatten ihr Werk nicht verlassen. Beim ersten Schimmer des Tages war auch das Loch vollendet. Athos drang hinein und nahm dabei die in ein Stück schwarzer Sarsche gewickelten, für den König bestimmten Kleider mit. Porthos gab ihm seine Brechstange, und d’Artagnan nagelte innen eine Tapete von Sarsche an, hinter der das Loch und der, den es verbarg, verschwanden.

Athos brauchte nur noch zwei Stunden zu arbeiten, um sich mit dem König in Verbindung zu setzen, und nach der Voraussicht der vier Freunde hatten sie den ganzen Tag vor sich, da man in Ermangelung des Henkers von London den von Bristol holen mußte.

D’Artagnan legte sein kastanienbraunes Kleid wieder an, und Porthos nahm sein rotes Wams. Aramis begab sich zu Juxon, um womöglich mit ihm zu dem König zu gelangen. Alle drei sollten sich um die Mittagsstunde auf dem Whitehall-Platz zusammenfinden, um zu sehen, was vorginge.

Ehe Aramis das Schafott verließ, näherte er sich der Öffnung, wo Athos verborgen war, um ihm mitzuteilen, er wolle Karl zu sehen suchen.

Gott befohlen, also und guten Mut, sprach Athos; berichtet dem König, wie die Sachen stehen, sagt ihm, sobald er allein sei, möge er auf den Boden klopfen, damit ich meine Arbeit sicher fortsetzen kann. Wollte mir Parry vorher die innere Platte des Kamins, die ohne Zweifel aus Marmor ist, losmachen helfen, so wäre schon etwas geschehen. Ihr, Aramis, trachtet danach, den König nicht zu verlassen. Sprecht laut, sehr laut, denn man wird Euch von der Tür aus belauschen. Befindet sich eine Wache im Innern des Zimmers, so tötet sie, ohne Euch lange zu bedenken; sind zwei da, so mag Parry die eine töten, und Ihr fertigt die andere ab; sind es drei, so laßt Euch töten, aber rettet den König.

Seid unbesorgt, ich nehme zwei Dolche mit, um einen davon Parry zu geben. Eure Hand, denn vielleicht sehen wir uns nicht wieder.

Athos schlang seinen Arm um den Hals von Aramis, küßte ihn und sprach: Gehabt Euch wohl, Aramis. Sterbe ich, so sagt d’Artagnan, daß ich ihn liebe, wie mein Kind, und umarmt ihn in meinem Namen. Umarmt auch Porthos, unsern guten, braven Porthos. Gott befohlen.

Gott befohlen, erwiderte Aramis. Ich bin jetzt so fest überzeugt, daß der König entkommen wird, als ich überzeugt bin, daß ich in diesem Augenblick die redlichste Hand der Welt drücke.

Aramis verließ Athos, stieg ebenfalls von dem Schafott herab und kehrte, die Melodie eines Lobliedes auf Cromwell pfeifend, in das Hotel zurück. Er fand die zwei andern Freunde, die in der Nähe eines guten Feuers am Tische saßen, eine Flasche Portwein tranken und ein kaltes Huhn verzehrten. Porthos aß und stieß zugleich tausend Verwünschungen gegen die heillosen Parlamentsmitglieder aus. D’Artagnan saß stillschweigend da, baute aber in seinen Gedanken die kühnsten Pläne.

Aramis erzählte ihnen, was verabredet war. D’Artagnan billigte mit dem Kopfe, Porthos mit lauter Stimme.

Aramis aß schnell ein Stück Fleisch, trank ein Glas Wein und wechselte die Kleider.

Nun begebe ich mich zu Seiner Herrlichkeit, sagte er. Ihr haltet die Waffen bereit, Porthos. Überwacht Euern Henker gut, d’Artagnan.

Gleichviel; verdoppelt die Wachsamkeit und bleibt keinen Augenblick untätig.

Untätig, mein Lieber? fragte Porthos. Ich raste nicht, ich bin unablässig auf meinen Beinen, ich sehe aus wie ein Tänzer. Gottes Tod! wie liebe ich Frankreich in diesem Augenblick, und wie gut ist es, ein eigenes Vaterland zu haben, wenn man so schlimm im fremden Lande daran ist.

Aramis verließ sie, wie er Athos verlassen hatte, das heißt, indem er beide umarmte. Dann begab er sich zu dem Bischof Juxon und stellte ihm sein Verlangen vor. Juxon entschloß sich um so leichter, Aramis mitzunehmen, als man ihn bereits benachrichtigt hatte, man würde eines Priesters bedürfen für den Fall, daß der König das Abendmahl nehmen und eine Messe zu hören wünsche.

Im gleichen Ornat wie Aramis am vorhergehenden Tage, stieg der Bischof in seinen Wagen; mehr verkleidet durch seine Blässe und durch seine Traurigkeit, als durch sein Diakonengewand, stieg Aramis zu ihm ein. Der Wagen hielt vor dem Tor von Whitehall. Es war ungefähr neun Uhr morgens. Nichts schien verändert. Die Vorzimmer und Gänge waren, wie am Tage vorher, mit Wachen angefüllt. Zwei Schildwachen standen vor der Tür des Königs, zwei andere gingen vor dem Balkon auf der Plattform des Blutgerüstes auf und ab, auf dem man bereits den Block befestigt hatte.

Der König war voll Hoffnung; als er Aramis wiedersah, verwandelte sich diese Hoffnung in Freude. Er umarmte Juxon und drückte Aramis die Hand. Der Bischof sprach mit dem König absichtlich laut und vor aller Welt von ihrem gestrigen Zusammensein. Der König antwortete ihm, die Worte, die er ihm gesagt, hätten Frucht getragen, und er wünsche noch eine ähnliche Unterredung. Juxon wandte sich nach den Anwesenden um und bat sie, ihn mit dem König allein zu lassen.

Alle entfernten sich. Sobald die Tür wieder geschlossen war, sagte Aramis rasch: Sire, Ihr seid gerettet! Der Nachrichter von London ist verschwunden. Sein Gehilfe hat sich gestern unter den Fenstern Eurer Majestät den Schenkel gebrochen. Der Schrei, den wir hörten, rührte von ihm her. Ohne Zweifel hat man das Verschwinden des Henkers bereits wahrgenommen; doch es gibt erst in Bristol einen zweiten, und man braucht Zeit, um ihn zu holen. Wir haben also wenigstens 24 Stunden für uns.

Aber der Graf de la Fère? fragte der König.

Er befindet sich zwei Fuß unter Euch, Sire. Nehmt das Schüreisen von der Glutpfanne und klopft dreimal! Ihr werdet hören, daß man Euch antwortet.

Der König nahm mit zitternder Hand das Instrument und klopfte dreimal in gleichmäßigen Zwischenräumen. Sogleich erschollen, als Erwiderung des Signals, dumpfe, behutsame Schläge unter dem Boden.

Also der, welcher mir antwortet, … sagte der König.

Ist der Graf de la Fère, Sire, antwortete Aramis. Er bereitet den Weg, auf dem Eure Majestät zu fliehen im stände sein wird. Parry mag diese Marmorplatte aufheben, und der Gang ist völlig geöffnet.

Aber ich habe kein Werkzeug, sagte Parry.

Nehmt diesen Dolch, versetzte Aramis, nur hütet Euch, denselben zu sehr abzustumpfen, denn Ihr könntet seiner bedürfen, um etwas anderes auszuhöhlen, als den Stein.

Oh, Juxon, sprach Karl, sich gegen den Bischof umwendend und seine beiden Hände fassend, hört die Bitte dessen, der Euer König war.

Der es noch ist und immer sein wird, sprach Juxon, dem Fürsten die Hand küssend.

Betet Euer ganzes Leben für diesen Edelmann, den Ihr hier seht, für einen andern, den Ihr unter unsern Füßen hört, und für noch zwei, die irgendwo, ich bin es fest überzeugt, zu meinem Heile wachen.

Sire, antwortete Juxon, es soll geschehen. Jeden Tag, solange ich lebe, soll ein Gebet für die Eurer Majestät getreuen Seelen zum Himmel emporsteigen.

Der Gräber setzte noch einige Zeit seine Arbeit fort, die man immer näher kommen fühlte. Plötzlich aber erscholl ein unerwartetes Geräusch in der Galerie. Aramis ergriff das Schüreisen und gab das Signal zur Unterbrechung.

Das Geräusch von regelmäßigen Schritten näherte sich. Die vier Männer blieben unbeweglich. Aller Augen waren auf die Tür geheftet, die sich langsam und mit einer Art von Feierlichkeit öffnete.

Wachen waren in Reih und Glied im Vorzimmer des Königs aufgestellt. Schwarz gekleidet und mit einem Ernst von schlimmer Vorbedeutung trat ein Kommissar des Parlaments ein, grüßte den König, entrollte ein Pergament und las ihm seinen Spruch vor, wie man dies gewöhnlich bei den Verurteilten tut, die das Blutgerüst besteigen sollen.

Was soll das bedeuten? fragte Aramis den Bischof.

Juxon erwiderte ihm durch ein Zeichen, daß er ebensowenig wisse, als er.

Also heute? sagte der König mit einer nur für Juxon und Aramis bemerkbaren Bewegung.

Wart Ihr nicht davon in Kenntnis gesetzt, Sire, daß es heute geschehen sollte? fragte der Mann in dem schwarzen Gewande.

Und ich soll wie ein gemeiner Verbrecher von der Hand des Henkers von London sterben? sagte der König.

Der Henker von London ist verschwunden, Sire, antwortete der Kommissar des Parlaments; aber es hat sich ein Mensch statt seiner angeboten. Die Hinrichtung wird also nur um so viel Zeit verzögert werden, als Ihr fordert, um Eure zeitlichen und geistigen Angelegenheiten in Ordnung zu bringen.

Ein leichter, an Karls Haarwurzeln perlender Schweiß war die einzige Spur von Aufregung, die diese Mitteilung bei ihm hervorbrachte.

Aramis aber wurde leichenbleich. Sein Herz schlug nicht mehr. Er schloß die Augen und stützte seine Hand auf einen Tisch. Als Karl diesen tiefen Schmerz wahrnahm, schien er den seinigen zu vergessen.

Er ging auf ihn zu, nahm ihn bei der Hand, umarmte ihn und sprach mit sanftem, traurigem Lächeln: Auf, mein Freund, Mut gefaßt!

Dann sich gegen den Kommissar wendend, sagte er: Mein Herr, ich bin bereit und verlange nur zwei Dinge. Erstens, das Abendmahl zu nehmen, und dann, meine Kinder zu umarmen und ihnen das letzte Lebewohl zu sagen. Wird mir dies gestattet werden?

Ja, Sire, antwortete der Kommissar des Parlaments und entfernte sich.

Als Aramis sich wieder gefaßt hatte, preßte er sich die Nägel ins Fleisch. Ein furchtbarer Seufzer entstieg seiner Brust.

Oh, hochwürdiger Herr! rief er, Juxons Hände ergreifend, wo ist Gott? Wo ist Gott?

Mein Sohn, sprach der Bischof mit Festigkeit, Ihr seht Gott nicht, weil die Leidenschaften der Erde ihn verbergen.

Mein Sohn, sagte der König zu Aramis, verzweifle nicht. Du fragst, was Gott mache? Gott sieht deine Ergebenheit und mein Märtyrertum, und glaube mir, beides wird seine Belohnung finden. Halte dich also bei dem, was geschieht, an die Menschen und nicht an Gott. Die Menschen bewirken meinen Tod, die Menschen veranlassen deine Tränen.

Ja, Sire, erwiderte Aramis, Ihr habt recht, an die Menschen muß ich mich halten, und an sie werde ich mich auch halten.

Setzt Euch, Juxon, sprach der König niederknieend, Ihr habt mich noch zu hören, ich habe noch zu beichten. Bleibt, mein Herr, fügte er gegen Aramis bei, der eine Bewegung machte, um sich zurückzuziehen; bleibt auch Ihr, Parry, ich habe selbst bei den Geheimnissen der Beichte nichts zu sagen, was sich nicht vor aller Welt sagen ließe. Bleibt, ich bedaure nur, daß mich nicht die ganze Welt wie Ihr und mit Euch hören kann.

Juxon setzte sich, und der König begann, vor ihm knieend, wie der geringste Gläubige, seine Beichte.

Die Feder wirkt mehr als das Schwert

Ehe d’Artagnan wegritt, suchte er Aramis auf und sagte zu ihm: Mein lieber Aramis, Ihr seid ein echter Frondeur. Mißtraut also Athos, der in seiner Großmut für niemand und auch für sich selbst nicht sorgen will; mißtraut auch Porthos, der, um dem Grafen zu gefallen, den er über alles bewundert, diesem behilflich sein wird, daß Mazarin entkommt, wenn Mazarin nur gescheit genug ist, zu weinen oder den Ritterlichen zu spielen.

Aramis lächelte auf seine feine und zugleich entschlossene Weise.

Seid unbesorgt, erwiderte er, ich habe meine Bedingungen zu stellen. Ich arbeite nicht für mich, sondern für andere, und mein kleiner Ehrgeiz soll geziemenden Ortes Früchte tragen.

Gut, dachte d’Artagnan, von dieser Seite kann ich ruhig sein.

Er drückte Aramis die Hand und ging dann zu Porthos, der ihm versprach, sich vor Mazarins Glastür zu pflanzen, um ihn zu bewachen, und ihm beim ersten verdächtigen Schritt das Lebenslicht auszublasen.

Er drückte auch Porthos beruhigt die Hand und suchte Athos auf.

Mein lieber Athos, sprach er, ich reise und habe Euch nur eins zu sagen. Ihr kennt Anna von Österreich. Die Gefangenschaft des Herrn von Mazarin allein verbürgt mein Leben. Laßt Ihr ihn frei, so bin ich tot.

Dieser Gedanke allein, mein lieber d’Artagnan, kann mich zum Gewerbe eines Gefangenenwärters bestimmen. Ich gebe Euch mein Wort, daß Ihr den Kardinal finden werdet, wo Ihr ihn gelassen habt.

Das beruhigt mich mehr, als alle königlichen Unterschriften, dachte d’Artagnan. Nun, da ich Athos‘ Wort habe, kann ich reisen.

D’Artagnan reiste wirklich allein ab, ohne ein anderes Geleite, als sein Schwert, und mit einem einfachen Wort von Mazarin, um zu der Königin gelangen zu können. Sechs Stunden nach seiner Abreise von Pierrefonds befand er sich in Saint-Germain.

Mazarins Verschwinden war noch unbekannt; Anna von Österreich wußte allein davon und verbarg ihre Unruhe sogar vor ihren Vertrautesten. Man hatte in d’Artagnans Zimmer die zwei geknebelten und gebundenen Soldaten gefunden; man hatte ihnen sogleich wieder zu dem Gebrauche ihrer Glieder und ihrer Sprache verholfen, aber sie vermochten nichts anderes zu sagen, als was sie wußten, das heißt, wie sie geangelt, gebunden und ausgezogen worden waren. Was jedoch Porthos und d’Artagnan später gemacht hatten, das wußten sie ebensowenig, als die andern Bewohner des Schlosses.

Bernouin allein wußte ein wenig mehr, als die andern. Als Bernouin seinen Herrn nicht mehr zurückkommen sah und die Mitternachtsstunde schlagen hörte, wagte er es, in die Orangerie zu dringen. Daß er die erste Tür mit allerlei Geräte verrammelt fand, erregte bereits Verdacht bei ihm; aber er wollte diesen Verdacht niemand mitteilen und brach sich geduldig Bahn. Da gelangte er in den Gang, dessen Türen er insgesamt offen fand. Ebenso war es mit der Türe von Athos und der Parktüre. Von hier aus konnte er leicht den Tritten auf dem Schnee folgen, und er sah, daß sie nach der Mauer zu gingen; auf der andern Seite fand er dieselbe Spur, sodann Tritte von Pferden und endlich die Spuren einer ganzen Reitertruppe, die sich in der Richtung von Enghien entfernt hatte. Nun blieb ihm kein Zweifel mehr, daß die drei Gefangenen den Kardinal entführt hatten, da diese Gefangenen mit ihm verschwunden waren, und er lief deshalb nach Saint-Germain, um die Königin zu benachrichtigen.

Anna von Österreich empfahl ihm Stillschweigen, und Bernouin beobachtete dieses gewissenhaft; sie ließ nur den Prinzen kommen, dem sie alles sagte, und der Prinz schickte sogleich fünf- bis sechshundert Reiter ins Feld, mit dem Befehl, die ganze Umgegend zu durchsuchen und jede verdächtige Truppe, die sich von Rueil entfernen würde, nach Saint-Germain zurückzubringen.

Als d’Artagnan in den Hof des alten Schlosses gelangte, war die erste Person, die er erblickte, Bernouin, der auf der Schwelle stand und Nachrichten von seinem verschwundenen Herrn erwartete.

Beim Anblick d’Artagnans, der zu Pferd in dem Ehrenhof erschien, rieb sich Bernouin die Augen, denn er glaubte sich zu täuschen. Aber d’Artagnan nickte ihm freundlich zu, stieg ab, warf den Zügel seines Pferdes einem vorübergehenden Lakaien zu und ging, mit einem Lächeln auf den Lippen, zu dem Kammerdiener.

Herr d’Artagnan! rief dieser, wie ein vom Alp geplagter Mensch, der im Schlafe spricht; Herr d’Artagnan! – Er selbst, Herr Bernouin. – Und was wollt Ihr hier, gnädiger Herr? – Nachrichten von Herrn von Mazarin bringen, und zwar die allerneuesten. – Was ist denn mit ihm geschehen? – Er befindet sich wie Ihr und ich. – Es ist ihm also nichts Unangenehmes widerfahren? – Durchaus nichts. Er hat nur das Bedürfnis gefühlt, einen kleinen Ausflug in der Umgegend von Paris zu machen, und da hat er uns, den Herrn Grafen de la Fère, Herrn du Vallon und mich, gebeten, ihn zu begleiten. Wir sind gestern abend hier abgereist, und nun bin ich hier. – Ihr seid hier. – Seine Eminenz hat Ihrer Majestät etwas sagen zu lassen, eine geheime Mission, die nur einem zuverlässigen Manne anvertraut werden konnte, und so schickte er mich nach Saint-Germain. Wenn Ihr Eurem Gebieter etwas Angenehmes erweisen wollt, mein lieber Herr Bernouin, so habt die Güte, Ihrer Majestät meine Ankunft und den Zweck derselben zu melden.

D’Artagnan näherte sich seiner Fürstin mit allen Zeichen der tiefsten Ehrfurcht. Drei Schritte vor ihr ließ er sich auf ein Knie nieder und überreichte ihr Mazarins Brief, der aber nichts als eine Beglaubigung des Boten enthielt.

Sie fragte daher d’Artagnan, der ihr alles mit der naiven, einfältigen Miene erzählte, die er unter gewissen Umständen so geschickt anzunehmen wußte.

Die Königin betrachtete ihn, während er sprach, mit wachsendem Erstaunen; sie begriff nicht, wie ein Mensch ein solches Unternehmen wagen konnte, und noch viel weniger, daß er die Kühnheit hatte, es der zu erzählen, deren Interesse und beinahe Pflicht es war, Strafe dafür zu verhängen.

Wie, mein Herr, rief die Königin, rot vor Entrüstung, als d’Artagnan seinen Bericht vollendet hatte, Ihr wagt es, mir Euer Verbrechen zu gestehen, Euern Verrat zu erzählen!

Verzeiht, Madame, es scheint mir, ich habe mich entweder schlecht ausgedrückt, oder Eure Majestät hat mich schlecht verstanden; es ist hier weder von einem Verbrechen, noch von einem Verrat die Rede. Herr von Mazarin hielt Herrn du Vallon und mich gefangen, weil wir nicht glauben konnten, er habe uns nach England geschickt, um dem König Karl I., dem Schwager des seligen Königs, Eures Gemahls, dem Gatten Eurer Schwägerin, ruhig den Hals abschneiden zu sehen, und weil wir alles taten, was in unsern Kräften lag, um dem königlichen Märtyrer das Leben zu retten. Wir, mein Freund und ich, waren also überzeugt, es müsse hier ein Irrtum obwalten, dessen Opfer wir seien, und eine Erklärung zwischen uns und Seiner Eminenz erschien uns unerläßlich. Soll aber eine Erklärung fruchtbar sein, so muß sie ruhig, fern vom Geräusch und von allen überzähligen Leuten stattfinden. Wir haben demzufolge den Herrn Kardinal in das Schloß meines Freundes geführt und uns dort gegenseitig erklärt. Was wir vorhergesehen hatten, erwies sich als wahr: es waltete ein Irrtum ob. Herr von Mazarin war der Meinung, wir hätten dem General Cromwell gedient, statt König Karl zu dienen, was eine Schande gewesen wäre, die sich von uns auf ihn, von ihm auf Eure Majestät übertragen hätte, eine Niederträchtigkeit, welche das Königtum Eures erhabenen Sohnes an seinem Stamm befleckt haben würde. Wir haben ihm aber nun den Beweis vom Gegenteil gegeben. Dieser Beweis befriedigte ihn so, daß er mich zum Zeichen seiner Zufriedenheit hierher geschickt hat, um mit Euch über die Entschädigung zu sprechen, die man Edelleuten schuldig ist, die schlecht beurteilt und mit Unrecht verfolgt worden sind.

Ich höre und bewundere Euch, mein Herr, erwiderte Anna von Österreich. In der Tat, ich habe selten eine so maßlose Unverschämtheit gesehen.

Ah! nun täuscht sich Eure Majestät ebenfalls über unsere Absichten, wie dies bei Herrn von Mazarin der Fall gewesen ist, sprach d’Artagnan,

Ihr seid in einem Irrtum befangen, mein Herr, entgegnete die Königin; ich täusche mich so wenig, daß Ihr in zehn Minuten verhaftet seid, und daß ich in einer Stunde aufbreche, um meinen Minister an der Spitze meines Heeres zu befreien.

Ich bin fest überzeugt, daß Eure Majestät keine solche Unklugheit begehen wird, sagte d’Artagnan. Ehe der Herr Kardinal befreit würde, wäre er tot, und Seine Eminenz ist von der Wahrheit dessen, was ich sage, so fest überzeugt, daß sie mich im Gegenteil gebeten hat, falls ich einen solchen Willen bei Eurer Majestät wahrnehmen sollte, alles zu tun, was ich vermöchte, um dieselbe von ihrem Vorhaben abzubringen.

Wohl, so werde ich mich begnügen, Euch verhaften zu lassen.

Ebensowenig, Madame, denn für den Fall meiner Verhaftung ist vorhergesehen, wie für die Befreiung des Kardinals. Wenn ich morgen zu einer bestimmten Stunde nicht zurückgekehrt bin, so wird der Herr Kardinal übermorgen früh nach Paris geführt.

Ich glaube, sagte Anna von Österreich, auf d’Artagnan einen furchtbaren Blick werfend, Ihr bedroht die Mutter Eures Königs!

Madame, ich drohe, weil man mich dazu nötigt. Glaubt mir aber, Madame, so wahr ein Herz in dieser Brust schlägt, Ihr seid das beständige Idol unseres Lebens gewesen, das wir, wie Ihr wohl wißt, zwanzigmal für Eure Majestät gewagt haben. Schaut mich an, mich, der zu Euch spricht, mich, den Ihr anklagt, daß er die Stimme erhebe und einen drohenden Ton annehme. Was bin ich? Ein armer Offizier ohne Vermögen, ohne Schutz, ohne Zukunft, wenn der Blick meiner Königin, den ich so lange gesucht habe, nicht eine Minute lang auf mir weilt. Schaut den Grafen de la Fère an, dieses Musterbild des Adels, diese Blume der Ritterschaft; er hat gegen seine Königin Partei genommen, oder nein, er hat Partei gegen ihren Minister ergriffen, und er fordert für sich nicht das geringste. Schaut Herrn du Vallon an, diesen treuen Freund, diesen stählernen Arm; seit zwanzig Jahren erwartet er aus Eurem Munde ein Wort, das mittels eines Wappens aus ihm machen soll, was er vermöge seiner Gesinnungen und Tapferkeit längst ist. Seht endlich Euer Volk an, das wohl etwas für eine Königin bedeutet; Euer Volk, das Euch liebt und dennoch leidet; das Ihr liebt, und das dennoch Hunger hat; das nichts anderes verlangt, als Euch zu segnen, und das Euch dennoch … Nein, ich habe unrecht; Euer Volk wird Euch nie fluchen, Madame. Sagt ein Wort, und alles ist abgetan. Der Friede folgt auf den Krieg, die Freude auf die Tränen, das Glück auf das Ungemach.

Anna von Österreich betrachtete mit einem gewissen Erstaunen das martialische Gesicht d’Artagnans, auf dem ein seltsamer Ausdruck von Rührung zu lesen stand.

Warum habt Ihr dies alles nicht gesagt, ehe Ihr handeltet? entgegnete sie.

Weil wir Eurer Majestät etwas zu beweisen hatten, woran sie zu zweifeln schien; daß wir nämlich noch etwas Mut besitzen, und daß es billig ist, uns einigen Wert beizumessen.

Und dieser Mut würde vor nichts zurückweichen, wie ich sehe? erwiderte Anna von Österreich.

Er ist in vergangenen Zeiten vor nichts zurückgewichen, warum sollte er dies in der Zukunft tun?

Und dieser Mut würde im Fall einer Weigerung und folglich im Fall eines Kampfes sogar mich aus der Mitte meines Hofes entführen, um mich der Fronde auszuliefern, wie Ihr meinen Minister ausliefern wollt?

Wir haben nie daran gedacht, Madame; hätten wir es aber unter uns vieren beschlossen, so würden wir es sicherlich auch ausführen.

Ich mußte es wissen, murmelte Anna von Österreich; es sind eherne Männer.

Ah! Madame, sprach d’Artagnan, das beweist mir, daß Eure Majestät nicht erst seit heute einen richtigen Begriff von uns hat.

Gut, sagte Anna, wo ist der Vertrag?

Hier.

Anna von Österreich warf ihre Augen auf den Vertrag, den ihr d’Artagnan hinreichte.

Ich sehe hier nur die allgemeinen Bedingungen, sagte sie. Die Interessen des Herrn von Conti, des Herrn von Bouillon, des Herrn von Elboeuf und des Koadjutors sind festgesetzt, aber die Eurigen?

Wir überschätzen uns nicht, Madame. Wir wollten unsere Namen nicht auf einen Staatsvertrag setzen.

Aber ich denke, Ihr habt nicht darauf verzichtet, mir Eure Ansprüche mündlich vorzutragen.

Ich glaube, daß Ihr eine große und mächtige Königin seid, Madame, und daß es Eurer Größe und Macht unwürdig wäre, diejenigen nicht auf geziemende Weise zu belohnen, die Seine Eminenz nach Saint-Germain zurückbringen werden.

Das ist meine Absicht, erwiderte die Königin; sprecht, laßt hören.

Der, welcher in der Angelegenheit unterhandelte, muß, wenn die Belohnung nicht unter Eurer Majestät stehen soll, Chef der Garden, etwa Oberst der Musketiere werden.

Was Ihr da verlangt, ist die Stelle des Herrn von Treville.

Die Stelle ist erledigt, Madame, und seit einem Jahr, seit Herr von Treville quittiert hat, nicht wiederbesetzt worden.

Aber es ist eines der ersten militärischen Ämter des königlichen Hauses.

Herr von Treville war ein einfacher Junker aus der Gascogne, wie ich, Madame, und hat diese Stelle seit zwanzig Jahren inne.

Ihr habt auf alles eine Antwort, mein Herr, sprach Anna von Österreich.

Und sie nahm von einem Schreibtisch ein Patent, das sie ausfüllte und unterzeichnete.

Aber dies genügte dem Klugen, der den Wechsel der Hofgunst kannte, noch nicht. Er bestand auf einer sicheren runden Summe, und die Königin unterzeichnete nach einigem Sträuben eine Anweisung auf hunderttausend Taler.

Ebenso genehmigte die Königin die Baronie für Porthos und die Forderungen Aramis‘. Athos wollte sie, da er nichts verlangte, dadurch ehren, daß sie Raoul ein Regiment gab.

Noch immer sträubte sie sich aber, die Unterschrift des Vertrages mit den Parisern zu vollziehen; auch diese, die sie auf den nächsten Tag verschieben wollte, rang ihr der schlaue Gascogner endlich ab.

Aber kaum hatte sie unterzeichnet, als der Stolz wie ein Sturm in ihr losbrach und sie zu weinen anfing.

D’Artagnan schauerte, als er diese Tränen sah. In jener Zeit weinten die Königinnen wie einfache Frauen.

Der Gascogner schüttelte den Kopf. Diese königlichen Tränen schienen ihn auf dem Herzen zu brennen.

Madame, sagte er niederknieend, schaut den unglücklichen Edelmann an, der zu Euern Füßen liegt; er bittet Euch, zu glauben, daß ihm an Eurem Wohlgefallen alles liegt. Zum Beweise soll Eure Majestät Herrn von Mazarin ohne Bedingungen zurücknehmen. Nehmt, Madame, hier sind die heiligen Unterschriften Eurer Majestät zurück; Ihr seid zu nichts mehr verbunden.

Es gibt Augenblicke, wo in den trockensten und kältesten Herzen ein edles Gefühl keimt. Anna von Österreich hatte einen dieser Augenblicke. D’Artagnan hatte, von seiner eigenen Gemütsbewegung hingerissen, die mit der der Königin im Einklang stand, ein diplomatisches Meisterstück getan.

Ihr hattet recht, mein Herr, sprach Anna, ich verkannte Euch. Hier sind die unterzeichneten Urkunden, die ich Euch aus freiem Antrieb zurückgebe; geht und bringt uns so schnell als möglich den Kardinal zurück.

Madame, sprach d’Artagnan, vor zwanzig Jahren, mein gutes Gedächtnis erinnert mich daran, habe ich die Ehre gehabt, hinter einem Vorhang des Stadthauses eine dieser schönen Hände zu küssen.

Hier ist die andere, sagte die Königin, und damit die linke nicht minder freigebig sei, als die rechte, – sie zog von ihrem Finger einen dem ersten ähnlichen Diamanten – nehmt und behaltet diesen Ring zum Andenken an mich.

Madame, sprach d’Artagnan sich erhebend, ich habe nur noch einen einzigen Wunsch, nämlich, daß das erste, was Ihr von mir verlangt, mein Leben sein möge.

Und d’Artagnan entfernte sich mit der ihm eigenen edlen Haltung.

Ich habe diese Männer verkannt, sagte Anna von Österreich, d’Artagnan nachschauend, und nun ist es für mich zu spät, sie zu benutzen, denn in einem Jahr ist der König volljährig.

Fünfzehn Stunden nachher brachten d’Artagnan und Porthos Herrn von Mazarin der Königin zurück und erhielten der eine sein Patent als Kapitän-Leutnant, der andere sein Diplom als Baron.

Nun, seid ihr zufrieden? fragte Anna von Österreich.

D’Artagnan verbeugte sich, Porthos drehte sein Diplom zwischen den Fingern hin und her und schaute Mazarin an.

Was gibt es denn noch? fragte der Minister. – Monseigneur, es ist von dem Versprechen eines Ordens bei der ersten Beförderung die Rede gewesen. – Ihr wißt, Herr Baron, daß man nicht Ritter des Ordens sein kann, ohne seine Proben abzulegen, entgegnete Mazarin. – Oh! rief Porthos, ich habe das blaue Band nicht für mich verlangt. – Für wen denn? fragte Mazarin. – Für meinen Freund, den Grafen de la Fère. – Ah! für ihn, sprach die Königin; das ist etwas anderes, die Proben sind abgelegt. – Er wird ihn haben? – Er hat ihn.

An demselben Tag wurde der Vertrag von Paris unterzeichnet, und man machte überall bekannt, der Kardinal habe sich drei Tage lang eingeschlossen, um ihn sorgfältiger auszuarbeiten.

Der Vertrag befriedigte die Wünsche fast aller frondierenden Großen; nur der Koadjutor erhielt nichts; man versprach ihm wohl, in Betreff seines Kardinalshutes mit dem Papst zu verhandeln, aber er wußte, was man von solchen Versprechungen zu halten hatte, wenn sie von der Königin und Herrn von Mazarin kamen.

Als sich ganz Paris über die auf den folgenden Tag bestimmte Rückkehr des Königs freute, war daher Herr von Gondi allein inmitten der allgemeinen Heiterkeit so schlechter Laune, daß er sogleich zwei Männer rufen ließ, die er, sobald er sich in dieser Stimmung befand, rufen zu lassen pflegte.

Diese zwei Männer waren der Graf von Rochefort und der Bettler von Saint-Eustache.

Sie erschienen mit ihrer gewöhnlichen Pünktlichkeit, und der Koadjutor brachte einen Teil der Nacht mit ihnen zu.