Es war neun Uhr abends, die Posten waren um acht Uhr abgelöst worden, und seit einer Stunde hatte die Wache des Kapitäns Groslow angefangen.

D’Artagnan und Porthos, mit ihren Degen bewaffnet, Athos und Aramis, jeder mit einem Dolch auf der Brust, begaben sich nach dem Hause, das Karl Stuart als Gefängnis diente.

Meiner Treu! rief Groslow, als er sie erblickte, ich zählte nicht mehr auf euch.

D’Artagnan näherte sich ihm und erwiderte leise: Herr du Vallon und ich zögerten wirklich einen Augenblick, ob wir kommen sollten.

Warum? fragte Groslow.

D’Artagnan bezeichnete ihm mit dem Auge Athos und Aramis.

Ah! ah! wegen der Gesinnung? Daran ist wenig gelegen, sprach Groslow. Im Gegenteil, fügte er lachend bei, wenn sie ihren Stuart sehen wollen, so werden sie ihn sehen.

Bringen wir die Nacht im Zimmer des Königs zu? fragte d’Artagnan.

Nein, aber im anstoßenden Zimmer, und da die Tür offen bleiben wird, so ist es gerade, als ob wir im Zimmer selbst wären. Ihr habt Euch mit Geld versehen? Ich erkläre Euch, daß ich heute abend höllisch zu spielen gedenke.

Hört Ihr? sagte d’Artagnan und ließ das Gold in seinen Taschen klingen.

Ah, gut! sprach Groslow. Und er öffnete die Tür des Zimmers. Ich will Euch den Weg zeigen, sagte er und ging voraus.

Die acht Wachen waren auf ihrem Posten; vier befanden sich im Zimmer des Königs, zwei an der Verbindungstür, zwei an der Tür, durch welche die vier Freunde eintraten. Beim Anblick der Schwerter lächelte Athos; es handelte sich nicht um eine Schlächterei, sondern um einen Kampf.

Von diesem Augenblick an schien seine ganze gute Laune wiederbelebt.

Karl, den man durch die offene Tür erblickte, lag ganz angekleidet auf seinem Bett, nur mit einer wollenen Decke bedeckt. Zu seinen Häupten saß Parry und las mit leiser Stimme, doch laut genug, daß es der König, der mit geschlossenen Augen zuhörte, vernahm, ein Kapitel aus einer katholischen Bibel.

Ein schlechtes Unschlittlicht, das auf dem schwarzen Tisch stand, beleuchtete das ergebene Antlitz des Königs und das weit weniger ruhige Gesicht seines treuen Dieners.

Von Zeit zu Zeit unterbrach sich der gute Parry, im Glauben, der König schlafe wirklich; dann öffnete dieser die Augen und sagte:

Fahr fort, mein guter Parry, ich höre.

Im ersten Zimmer war ein Tisch bereitet, und auf diesem mit einem Teppich bedeckten Tische befanden sich zwei brennende Lichter, Karten, zwei Becher und Würfel.

Meine Herren, sagte Groslow, ich bitte, setzt Euch: ich Stuart gegenüber, den ich so gern sehe, besonders da, wo er ist, Ihr, Herr d’Artagnan, mir gegenüber.

Athos wurde rot vor Zorn, d’Artagnan schaute ihn mit gefalteter Stirne an.

Gut, sprach d’Artagnan; Ihr, Herr Graf de la Fère, zur Rechten des Herrn Groslow, Ihr, Herr Chevalier d’Herblay, zu seiner Linken, Ihr, Herr du Vallon, neben mir. Ihr wettet auf mich und diese Herren auf Herrn Groslow.

D’Artagnan hatte so Porthos neben sich und sprach mit dem Knie zu ihm, zu Athos und Aramis mit seinen Augen.

Bei dem Namen Graf de la Fère und Chevalier d’Herblay öffnete Karl seine Augen wieder, erhob unwillkürlich sein edles Haupt und umfaßte mit einem Blick alle Personen dieser Scene.

In diesem Moment wandte Parry einige Blätter seiner Bibel um und las ganz laut folgenden Vers des Jeremias: Der Herr spricht: Höret die Worte der Propheten, meiner Knechte, welche ich mit großer Sorge geschickt und zu euch geführt habe.

Die vier Freunde wechselten einen Blick. Die Worte, die Parry gelesen, deuteten ihnen an, daß der König sich ihre Anwesenheit recht erklärte.

D’Artagnans Augen funkelten vor Freude.

Ihr fragtet mich soeben, ob ich bei Geld sei, sagte d’Artagnan, und legte zwanzig Pistolen auf den Tisch.

Ja, erwiderte Groslow.

Nun wohl, versetzte d’Artagnan, ich aber sage Euch: Nehmt Euern Schatz in acht, mein lieber Herr Groslow, denn ich stehe Euch dafür, wir gehen nicht von hinnen, ohne ihn Euch geraubt zu haben.

Das wird nicht geschehen, ohne daß ich ihn verteidige, entgegnete Groslow.

Desto besser, rief d’Artagnan. Kampf, mein lieber Kapitän, Kampf! Mögt Ihr nun wissen oder nicht wissen, was wir verlangen.

Ah! ja, ich weiß es wohl, erwiderte Groslow, in sein plumpes Gelächter ausbrechend; ihr Franzosen sucht nur Wunden und Beulen.

Karl hatte wirklich alles gehört, alles verstanden. Eine leichte Röte stieg ihm ins Gesicht, die Soldaten sahen ihn allmählich seine müden Glieder ausstrecken und unter dem Vorwand einer durch den glühenden Ofen erzeugten übermäßigen Hitze nach und nach die schottische Decke abwerfen, unter der er, wie gesagt, ganz angekleidet lag.

Athos und Aramis bebten vor Freude, als sie sahen, daß der König angekleidet war.

Die Partie begann. Diesen Abend wandte sich das Glück auf die Seite Groslows; er gewann beständig. Hundert Pistolen gingen von der einen Seite des Tisches auf die andere über; Groslow war von einer tollen Heiterkeit.

Porthos, der die fünfzig Pistolen, die er am Tage vorher gewonnen, wieder verloren hatte, und noch über dreißig von den seinigen dazu, war sehr verdrießlich und stieß d’Artagnan mit dem Knie, als wollte er ihn fragen, ob es noch nicht bald Zeit sei, zu einem andern Spiel überzugehen; Athos und Aramis schauten ihn auch von Zeit zu Zeit mit forschenden Augen an, aber d’Artagnan blieb unempfindlich.

Es schlug zehn Uhr. Man hörte die Runde vorüberkommen.

Wieviel solcher Runden macht Ihr? sagte d’Artagnan, neue Pistolen aus der Tasche ziehend.

Fünf, erwiderte Groslow, alle zwei Stunden eine.

Das ist klug, versetzte d’Artagnan.

Nun warf er Athos und Aramis einen Blick zu, und als man die Tritte der Patrouille sich entfernen hörte, erwiderte er zum erstenmale Porthos‘ Kniestöße.

Angelockt durch den Reiz des Spieles und durch den auf alle Menschen so mächtig wirkenden Anblick des Goldes, näherten sich die Soldaten, die ihrem Befehl gemäß im Zimmer des Königs bleiben sollten, allmählich der Tür, erhoben sich auf den Fußspitzen und schauten d’Artagnan und Porthos über die Schultern; die von der Tür näherten sich ebenfalls und unterstützten auf diese Art die Wünsche der vier Freunde, die lieber alle bei der Hand haben wollten. Die zwei Wachen an der Tür hatten beständig das Schwert entblößt, aber sie stützten sich auf die Spitze und schauten den Spielern zu.

D’Artagnan wandte sich um und sah, wie Parry zwischen zwei Soldaten stand und Karl, auf seinen Ellbogen gestützt, die Hände faltete und ein glühendes Gebet an Gott zu richten schien. D’Artagnan begriff, daß der Augenblick gekommen war, daß sich jeder an seinem Posten befand und daß man nur das Losungswort »Endlich« erwartete.

Er schleuderte Athos und Aramis einen vielsagenden Blick zu, und beide rückten ihren Stuhl leicht zurück, um sich frei bewegen zu können.

Er gab Porthos einen zweiten Kniestoß: dieser stand halb auf, als wollte er seine steifen Beine wieder gelenk machen und versicherte sich beim Aufstehen, daß sein Degen leicht aus der Scheide gehen würde.

Sacrebleu! rief d’Artagnan, abermals zwanzig Pistolen verloren. In der Tat, Kapitän Groslow, Ihr habt zu viel Glück, das kann nicht so fortdauern. Und indem er noch zwanzig Pistolen aus seiner Tasche zog, sagte er: Noch einen Coup, Kapitän. Diese zwanzig Pistolen auf einen Satz, auf einen einzigen, den letzten.

Es gilt, zwanzig Pistolen, versetzte Groslow.

Und er schlug, wie dies gebräuchlich ist, zwei Karten um, einen König für d’Artagnan, ein As für sich.

Einen König, sprach d’Artagnan, das ist ein gutes Vorzeichen. Herr Groslow, fügte er bei, gebt auf den König acht!

Trotz seiner Selbstbeherrschung vibrierte d’Artagnans Stimme aus eine so seltsame Weise, daß sein Partner bebte.

Groslow fing an, die Karten umzuschlagen. Schlug er zuerst ein As um, so hatte er gewonnen, schlug er einen König um, so hatte er verloren. Er schlug einen König um.

Endlich! sagte d’Artagnan.

Bei diesen Worten erhoben sich Athos und Aramis, Porthos wich einen Schritt zurück. Dolche und Schwerter glänzten. Aber plötzlich öffnete sich die Tür, und Harrison erschien auf der Schwelle mit einem in einen Mantel gehüllten Manne, hinter dem man die Musketen von fünf bis sechs Mann glänzen sah.

Groslow schämte sich, mitten unter Weinflaschen, Karten und Würfeln ertappt zu werden, und stand rasch auf. Harrison schenkte ihm aber keine Aufmerksamkeit, trat, gefolgt von seinem Gefährten, ins Zimmer des Königs und sprach: Karl Stuart, es ist der Befehl eingetroffen, Euch ohne den geringsten Aufenthalt bei Tag oder bei Nacht nach London zu führen. Bereitet Euch, sogleich aufzubrechen.

Von wem ist der Befehl? fragte der König.

Vom General Oliver Cromwell, antwortete Harrison, und hier ist Herr Mordaunt, der ihn überbracht hat und beauftragt ist, ihn vollziehen zu lassen.

Mordaunt, murmelten die vier Freunde, sich gegenseitig anschauend.

D’Artagnan raffte alles Geld zusammen, das er und Porthos verloren hatten, und steckte es in seine weite Tasche;, Athos und Aramis stellten sich hinter ihn. Bei dieser Bewegung wandte sich Mordaunt um, erkannte sie und stieß einen Schrei wilder Freude aus.

Ich glaube, wir sind gefangen, sagte d’Artagnan ganz leise zu seinen Freunden.

Noch nicht, erwiderte Porthos.

Oberst! rief Mordaunt, laßt dieses Haus umzingeln, Ihr seid verraten. Diese vier Franzosen haben sich aus Newcastle geflüchtet und wollen ohne Zweifel den König entführen. Man verhafte sie.

Oh! junger Mann, sprach d’Artagnan, den Degen ziehend, das ist ein Befehl, der sich leichter sagen, als vollstrecken läßt. Dann beschrieb er mit seinem Schwerte einen furchtbaren Kreis und rief: Abgezogen, Freunde! Abgezogen!

Zu gleicher Zeit stürzte er nach der Tür und warf zwei Soldaten nieder, ehe sie ihre Musketen anzuschlagen vermochten; Athos und Aramis folgten ihm; Porthos bildete die Nachhut, und bevor Oberst, Offiziere, Soldaten sich einigermaßen gefaßt hatten, waren alle vier auf der Straße.

Feuer! rief Mordaunt, schießt auf sie!

Zwei oder drei Musketen wurden wirklich abgefeuert, jedoch ohne einen andern Erfolg, als daß man bei dem Feuer die vier Flüchtlinge sich unversehrt um die Straßenecke wenden sah.

Die Pferde waren am bezeichneten Orte, die Bedienten hatten nur ihren Herren die Zügel zuzuwerfen, und diese schwangen sich, mit der Leichtigkeit vollendeter Reiter in den Sattel.

Vorwärts! rief d’Artagnan, die Sporen gegeben, festgehalten!

Und sie sprengten, d’Artagnan folgend, fort und schlugen den Weg ein, den sie bereits am Tage gemacht hatten, das heißt, den Weg nach Schottland. Der Flecken hatte weder Tore noch Mauern, und sie kamen folglich ohne Schwierigkeiten hinaus.

Fünfzig Schritte vor dem letzten Hause hielt d’Artagnan an und rief: Halt!

Wie, Halt? sprach Porthos; mit verhängten Zügeln, wollt Ihr sagen?

Keineswegs, versetzte d’Artagnan, diesmal wird man uns verfolgen; wir wollen sie aus dem Flecken ziehen und uns auf der Straße nach Schottland nachreiten lassen; haben wir sie im Galopp vorüberkommen gesehen, so schlagen wir die entgegengesetzte Straße ein.

Einige Schritte von dieser Stelle floß ein Bach, über den eine Brücke gebaut war; d’Artagnan führte sein Pferd unter den Bogen dieser Brücke, seine Freunde folgten ihm.

Sie waren kaum zehn Minuten hier, als sie den raschen Galopp einer nahenden Reitertruppe vernahmen. Fünf Minuten nachher zog diese Truppe über ihren Köpfen hin, weit entfernt, zu vermuten, daß sie nur durch die Dicke eines Brückengewölbes von den Gegenständen ihrer Verfolgung getrennt seien.