Mazarin ließ den Riegel einer Doppeltür spielen, auf deren Schwelle Athos auf Comminges‘ Rat seinen erhabenen Gast zu empfangen bereit stand.

Als er Mazarin erblickte, verbeugte er sich und sprach: Eure Eminenz hätte sich jeder Begleitung überheben können, denn die Ehre, die mir zu teil wird, ist zu groß, als daß ich sie vergessen sollte.

Mein lieber Graf, sagte d’Artagnan, Seine Eminenz wollte uns auch nicht gerade haben. Herr du Vallon und ich bestanden jedoch, vielleicht etwas unbescheiden darauf, so groß war unser Verlangen, Euch zu sehen.

Bei dieser Stimme, dem spöttischen Ton, der wohl bekannten Gebärde, die Ton und Stimme begleitete, machte Athos einen Sprung des Erstaunens.

D’Artagnan! Porthos! rief er.

In Person, lieber Freund.

In Person, wiederholte Porthos.

Was soll das bedeuten? fragte der Graf.

Das soll bedeuten, antwortete Mazarin, indem er zu lächeln versuchte und sich während des Lächelns in die Lippen biß, das soll bedeuten, daß sich die Rollen verändert haben, denn statt daß diese Herren meine Gefangenen sind, bin ich der Gefangene dieser Herren, und Ihr seht mich genötigt, hier das Gesetz zu empfangen, statt es zu machen. Aber, meine Herren, ich sage euch zum voraus, wenn ihr mich nicht erwürgt, wird euer Sieg von kurzer Dauer sein. Die Reihe ist bald wieder an mir; man wird kommen …

Ah! Monseigneur, sprach d’Artagnan, droht nicht, das gibt ein schlechtes Beispiel. Wir sind doch so sanft und so artig gegen Eure Eminenz! Setzen wir alle üble Laune beiseite, entfernen wir jeden Groll und sprechen freundlich miteinander.

Das ist mir ganz lieb, meine Herren, sagte Mazarin; aber in dem Augenblick, wo wir über mein Lösegeld verhandeln, sollt ihr eure Lage nicht für besser halten, als sie wirklich ist; indem ihr mich in der Falle finget, habt ihr euch mit mir gefangen. Wie wollt ihr von hier wegkommen? Seht die Gitter, seht die Türen, seht oder erratet vielmehr, wieviel Schildwachen diese Höfe füllen, und laßt uns dann einen Vergleich treffen. Ich will euch zeigen, daß ich loyal bin.

Gut, dachte d’Artagnan, wir wollen uns vorsehen, er gedenkt uns einen Streich zu spielen.

Ich habe euch eure Freiheit angeboten, fuhr der Minister fort, ich biete sie euch noch einmal an; wollt ihr sie? Vor einer Stunde werdet ihr entdeckt, verhaftet oder genötigt sein, mich zu töten, was ein furchtbares Verbrechen und loyaler Edelleute, wie ihr seid, ganz unwürdig wäre.

Er hat recht, dachte Athos.

Und wie alles, was in dieser nur von edlen Gedanken bewohnten Seele vorging, so spiegelte sich auch dieser Gedanke in seinen Augen ab.

D’Artagnan aber sagte, um die Hoffnung herabzustimmen, die Athos‘ stillschweigendes Beipflichten in Mazarin erregt hatte: Wir werden auch nur in der äußersten Not zur Gewalt greifen.

Wenn ihr dagegen, fuhr Mazarin fort, wenn ihr mich gehen laßt und eure Freiheit annehmt …

D’Artagnan unterbrach ihn mit den Worten:

Wie sollen wir unsere Freiheit annehmen, da Ihr sie, wie Ihr selbst sagt, fünf Minuten, nachdem Ihr sie gegeben habt, wieder nehmen könnt? Und wie ich Euch kenne, werdet Ihr sie uns wieder nehmen, Monseigneur.

Mazarin versprach hoch und teuer bei seinem Kardinals- und Ministerwort, die Freunde freizulassen. Als er damit nur den Spott des Gascogners herausforderte, versetzte er:

Wohl, ich leiste Euch auf eine untrügliche, handgreifliche Weise Sicherheit. – Ah! das ist etwas anderes, sagte Porthos. – Laßt hören, sprach Athos. – Laßt hören, wiederholte d’Artagnan. – Vor allem, nehmt ihr an? sagte der Kardinal. – Erklärt uns Euern Plan, Monseigneur, und wir werden sehen. – Zieht wohl in Betracht, daß Ihr eingeschlossen, gefangen seid. – Ihr wißt, Monseigneur, entgegnete d’Artagnan, es bleibt uns immer noch ein letztes Mittel. – Welches? – Miteinander zu sterben.

Mazarin bebte.

Hört, fuhr er fort, am Ende des Ganges ist eine Tür, wozu ich den Schlüssel habe; diese Tür führt in den Park. Geht mit dem Schlüssel, ihr seid flink, ihr seid kräftig, ihr seid bewaffnet, und in einer Entfernung von hundert Schritten, wenn ihr euch links wendet, findet ihr die Mauer des Parks; ihr steigt darüber und seid mit drei Sprüngen auf der Straße und frei. Ich kenne euch nun hinreichend, um zu wissen, daß es, wenn man euch angreift, kein Hindernis gegen eure Flucht sein wird.

Ah! bei Gott, Monseigneur, sagte d’Artagnan, das ist gut, das heiße ich sprechen. Wo ist der Schlüssel, den Ihr uns bieten wollt?

Hier.

Aber Monseigneur, fügte d’Artagnan bei, Ihr werdet uns wohl zu der Tür führen?

Sehr gern, sprach der Minister, wenn es dessen zu eurer Beruhigung bedarf.

Mazarin, der nicht so leichten Kaufes durchzukommen gehofft hatte, wandte sich ganz strahlend nach dem Gange und öffnete die Tür.

Sie ging allerdings nach dem Park, was die drei Flüchtlinge an dem Nachtwind wahrnahmen, der sich im Gange fing und ihnen den Schnee ins Gesicht trieb.

Teufel! Teufel! sagte d’Artagnan, es ist eine furchtbare Nacht, Monseigneur. Wir kennen die Örtlichkeiten nicht und werden nie unsern Weg finden. Da nun Eure Eminenz so viel getan hat, daß sie uns bis hierher führte … nur noch einige Schritte, Monseigneur, geleitet uns bis zur Mauer.

Es sei, sprach der Kardinal.

Und gerade ausgehend, schritt er mit raschem Schritte auf die Mauer zu, an deren Fuß bald alle vier waren.

Seid ihr zufrieden, meine Herren? fragte Mazarin. – Ich glaube wohl, wir müßten sonst sehr schwieriger Natur sein. Teufel, welche Ehre! Drei arme Edelleute von einem Kirchenfürsten geleitet! Doch, Monseigneur, Ihr sagtet soeben, wir wären mutig, flink und bewaffnet? – Ja. – Ihr täuscht Euch; nur ich und Herr du Vallon sind bewaffnet; der Herr Graf ist es nicht, und wenn wir irgend einer Patrouille begegneten, so könnten wir uns verteidigen müssen. – Das ist nur zu richtig. – Aber wo werden wir ein Schwert finden? – Monseigneur, sagte d’Artagnan, wird dem Grafen das seinige leihen, das ihm unnütz ist. – Sehr gern, sprach der Kardinal, ich bitte sogar den Herrn Grafen, es als Andenken von mir behalten zu wollen. – Das ist doch äußerst artig, Graf, versetzte d’Artagnan. – Ja, erwiderte Athos, ich verspreche auch, mich nie davon zu trennen. – Ein rührender Austausch! sprach d’Artagnan. Habt Ihr keine Tränen in den Augen, Porthos? – Ja, erwiderte Porthos, doch weiß ich nicht, ob dies mir die Tränen erpreßt oder der Wind. – Nun steigt hinauf, Athos, und macht geschwind.

Athos gelangte, von Porthos unterstützt, der ihn wie eine Feder aufhob, auf den Kamm der Mauer.

Nun springt hinab, Athos.

Athos sprang und verschwand auf der andern Seite der Mauer.

Seid Ihr unten? fragte d’Artagnan. – Ja. – Ohne einen Unfall? – Ganz unversehrt. – Porthos, beobachtet den Herrn Kardinal, während ich hinaufsteige; nein, ich bedarf Euer nicht, ich werde wohl allein hinaufkommen. Beobachtet nur den Herrn Kardinal. – Ich beobachte ihn, erwiderte Porthos. – Nun? … – Ihr habt recht, es ist schwieriger, als ich glaubte. Leiht mir Euern Rücken, aber ohne von dem Herrn Kardinal abzulassen. – Ich lasse nicht von ihm ab.

Porthos bot d’Artagnan seinen Rücken, und dieser war bald mit Hilfe seiner Stütze rittlings auf dem Kamm der Mauer.

Mazarin gab sich den Anschein, als müßte er lachen.

Seid Ihr oben? fragte Porthos. – Ja, mein Freund, und nun … – Was nun? – Nun gebt mir den Herrn Kardinal herauf, und bei dem geringsten Schrei, den er ausstößt, erstickt ihn.

Mazarin wollte schreien, aber Porthos preßte ihn mit seinen Händen zusammen und hob ihn bis zu d’Artagnan hinauf, der ihn am Kragen faßte, zu sich setzte und mit drohendem Ton zu ihm sagte:

Mein Herr, springt sogleich zu dem Grafen de la Fère hinab, oder ich bringe Euch um, so wahr ich ein Edelmann bin. – Herr, Herr! rief Mazarin, Ihr brecht Euer Wort. – Ich? Wo habe ich Euch irgend etwas versprochen, Monseigneur?

Mazarin stieß einen Seufzer aus und erwiderte: Ihr seid frei durch mich, mein Herr; Eure Freiheit war mein Lösegeld.

Aber das Lösegeld für den ungeheuren, in der Galerie vergrabenen Schatz, zu dem man hinabsteigt, indem man an eine in der Mauer verborgene Feder drückt, wodurch ein Kübel fortgerückt und eine Treppe sichtbar wird? Sagt, Monseigneur, ist das nicht auch etwas wert?

Jesus, mein Gott! versetzte Mazarin, beinahe erstickt und die Hände faltend, ich bin ein verlorener Mann.

Aber ohne sich an seine Klagen zu kehren, nahm ihn d’Artagnan unter dem Arm und ließ ihn sacht in Athos‘ Hände hinabgleiten, der ruhig unten an der Mauer geblieben war.

Sodann sagte d’Artagnan zu Porthos: Nehmt meine Hand, ich halte mich an der Mauer.

Porthos machte eine Anstrengung, daß die Mauer erbebte, und gelangte ebenfalls auf die Höhe.

Ich hatte nicht ganz begriffen, sagte er, aber nun begreife ich; das ist komisch.

Findet Ihr? erwiderte d’Artagnan, desto besser? aber damit es bis zum Ende komisch bleibt, wollen wir keine Zeit verlieren.

Und er sprang von der Mauer herab.

Porthos tat dasselbe.

Begleitet den Herrn Kardinal, meine Herren, sprach d’Artagnan, ich sondiere unterdessen die Gegend.

Der Gascogner zog den Degen und marschierte in der Vorhut.

Monseigneur, sagte er, wohin müssen wir uns wenden, um die Landstraße zu erreichen? Denkt wohl nach, ehe Ihr antwortet; denn wenn sich Eure Eminenz täuschte, so könnte dies große Unannehmlichkeiten nach sich ziehen, nicht allein für uns, sondern auch für den Herrn Kardinal.

Geht an der Mauer hin, sprach Mazarin, und ihr lauft keine Gefahr, euch zu verirren.

Die drei Freunde verdoppelten ihre Schritte, aber nach einigen Augenblicken waren sie genötigt, wieder langsamer zu gehen; der Kardinal vermochte ihnen, trotz des besten Willens, nicht zu folgen.

Plötzlich stieß d’Artagnan an etwas Warmes, was eine Bewegung machte.

Halt! ein Pferd! sagte er, ich habe ein Pferd gefunden, meine Herren. – Und ich auch, sprach Athos. – Und ich ebenfalls! rief Porthos, der dem Befehle getreu den Kardinal beständig am Arme hielt. – Das nenne ich Glück, Monseigneur, sagte d’Artagnan, gerade in der Minute, wo Eure Eminenz sich beklagte, zu Fuß gehen zu müssen.

Aber in dem Augenblick, wo er diese Worte sprach, senkte sich ein Pistolenlauf auf seine Brust, und er hörte mit ernstem Tone sagen:

Rührt nicht an! – Grimaud! rief d’Artagnan, Grimaud! schickt dich der Himmel? – Nein, gnädiger Herr, antwortete der ehrliche Diener, Herr Aramis hieß mich die Pferde bewachen. – Aramis ist also hier? – Ja, gnädiger Herr, seit gestern. – Und was macht ihr? – Wir lauern. – Was! Aramis ist hier? wiederholte Athos. – An der kleinen Schloßpforte. Dort war sein Posten. Ihr seid also zahlreich? – Wir sind zu sechzig. – Laß ihm melden, daß wir hier sind. – Sogleich, gnädiger Herr.