Wenden wir uns nun von der Orangerie zum Jagdpavillon.
Im Hintergrund des Hofes, wo man durch einen von jonischen Säulen gebildeten Portikus die Hundeställe erblickte, erhob sich ein längliches Gebäude, das sich, wie ein Arm dem andern Arme, dem Pavillon der Orangerie, einem den Ehrenhof einschließenden Halbkreise, entgegenzustrecken schien.
Im Erdgeschoß dieses Pavillons waren Porthos und d’Artagnan eingesperrt, welche die für solche Temperamente höchst widerwärtige Gefangenschaft miteinander teilten.
D’Artagnan ging wie ein Tiger mit starrem Auge auf und ab und gab zuweilen ein dumpfes Knurren an den Gitterstangen eines großen Fensters von sich, das nach dem Gesindehofe ging.
Porthos verdaute in der Stille ein vortreffliches Mittagsmahl, dessen Überreste man soeben abgetragen hatte.
Der eine schien der Vernunft beraubt und sann nach, der andere schien in tiefes Nachsinnen versunken und schlief. Nur war sein Schlaf ein Alp, was sich aus der unzusammenhängenden, unterbrochenen Art und Weise seines Schnarchens entnehmen ließ.
Der Tag neigt sich, sprach d’Artagnan, es muß ungefähr vier Uhr sein. Bald sind wir hundertunddreiundachtzig Stunden eingeschlossen. – Hm, murmelte Porthos, um sich das Ansehen zu geben, als antworte er. – Hört Ihr, ewiger Schläfer? rief d’Artagnan, ungeduldig darüber, daß sich ein anderer am Tage dem Schlaf hingeben konnte, während er selbst die größte Mühe hatte, bei Nacht zu schlafen. – Was? fragte Porthos. – Was ich sage? – Was Ihr sagt? – Ich sage, versetzte d’Artagnan, wir seien bald hundertunddreiundachtzig Stunden hier. – Ihr seid selbst schuld daran, sprach Porthos. – Wieso? – Ja, ich habe Euch unsere Befreiung angeboten. – Durch das Losmachen einer Gitterstange oder durch das Sprengen einer Tür? – Allerdings. – Porthos, Leute, wie wir sind, gehen nicht so ganz einfach fort. – Meiner Treue, ich würde mit der Einfachheit gehen, die Ihr so sehr zu verachten scheint.
D’Artagnan zuckte die Achseln.
Und dann, sagte er, ist damit, daß wir dieses Zimmer verlassen, noch nicht alles getan. – Lieber Freund, sprach Porthos, Ihr scheint mir heute etwas besserer Laune zu sein, als gestern. Erklärt mir, warum mit dem Weggehen aus diesem Zimmer nicht alles getan ist. – Weil wir ohne Waffen und Parole keine fünfzig Schritte im Hof machen würden, ohne auf eine Schildwache zu stoßen. – Wohl, sprach Porthos, wir schlagen die Schildwache tot und haben Waffen. – Ja, aber ehe sie völlig totgeschlagen ist – ein Schweizer hat ein hartes, sehr hartes Leben – wird sie einen Schrei, oder wenigstens einen Seufzer ausstoßen und der Posten dadurch herausgerufen werden. Man umstellt uns, man fängt uns wie Füchse, während wir doch Löwen sind, und wirft uns in ein tiefes Kerkerloch, wo wir nicht einmal den Trost haben, den abscheulichen Himmel von Rueil zu sehen, der dem Himmel von Tarbes nicht mehr gleicht, als die Sonne dem Monde.
Als die zwei Gefangenen so weit in ihrem Gespräch gekommen waren, trat Comminges ein. Ihm gingen ein Sergeant und zwei Soldaten voran, welche das Abendessen in einem mit Schüsseln und Platten gefüllten Tischkorb trugen.
Gut, sagte Porthos, abermals Hammelfleisch. – Mein lieber Herr von Comminges, sprach d’Artagnan, Ihr müßt wissen, daß mein Freund, Herr Du Vallon, entschlossen ist, zu den äußersten, gewaltsamsten Mitteln zu greifen, wenn Herr von Mazarin hartnäckig darauf besteht, uns mit dieser Fleischsorte zu füttern. – Ich erkläre sogar, sprach Porthos, daß ich nichts anderes essen werde, wenn man das Hammelfleisch nicht wegnimmt. – Nehmt das Hammelfleisch weg, sagte Herr von Comminges. Herr Du Vallon soll um so angenehmer zu Nacht speisen, als ich ihm eine Neuigkeit mitzuteilen habe, die ihm, ich bin fest überzeugt, Appetit machen wird. – Sollte Herr von Mazarin verschieden sein? fragte Porthos. – Nein, ich bedaure sogar, Euch sagen zu müssen, daß er sich sehr wohl befindet. – Desto schlimmer, versetzte Porthos. – Und worin besteht diese Neuigkeit? fragte d’Artagnan. Eine Neuigkeit im Gefängnis ist eine so seltene Frucht, daß Ihr meine Ungeduld hoffentlich entschuldigen werdet, nicht wahr, Herr von Comminges? Um so mehr, als Ihr uns zu verstehen gegeben habt, die Kunde sei gut. – Sollte es Euch wirklich angenehm sein, zu erfahren, daß sich der Graf de la Fère wohl befindet? erwiderte Comminges.
D’Artagnans kleine Augen öffneten sich übermäßig weit.
Ob es mir angenehm wäre! rief er. Es wäre mir mehr als angenehm; es würde mich glücklich machen!
Wohl, ich bin von ihm beauftragt, Euch seine besten Komplimente zu überbringen und Euch zu sagen, er erfreue sich einer guten Gesundheit.
D’Artagnan wäre beinahe vor Freuden in die Höhe gesprungen. Ein rascher Blick überbrachte Porthos seinen Gedanken; wenn Athos weiß, wo wir sind, sagte dieser Blick, so wird er binnen kurzem handeln.
Porthos war nicht sehr geschickt im Begreifen der Blicke. Diesmal aber begriff er, weil er bei dem Namen Athos denselben Eindruck gehabt hatte.
Aber, fragte der Gascogner schüchtern, der Herr Graf de la Fère hat Euch, wie Ihr sagt, mit seinen Komplimenten an Herrn du Vallon und mich beauftragt? – Ja, mein Herr. – Ihr habt ihn also gesehen? – Allerdings. – Wo denn? – Sehr nahe von hier, antwortete Comminges lächelnd. – Sehr nahe von hier? wiederholte d’Artagnan mit funkelnden Augen. – So nahe, daß Ihr ihn, wenn die Fenster, die in die Orangerie gehen, nicht verstopft wären, von der Stelle aus, wo Ihr seid, sehen könntet. – Herr de la Fère wohnt also im Schlosse? – Ja. – Unter welchem Titel? – Unter demselben Titel, wie Ihr. – Athos ist Gefangener? – Ihr wißt wohl, versetzte Comminges lachend, daß sich in Rueil keine Gefangenen befinden, da es hier kein Gefängnis gibt.– Wir wollen nicht mit Worten spielen, mein Herr. Athos ist verhaftet worden? – Gestern in Saint-Germain, als er die Königin verließ.
D’Artagnans Arme fielen träge an seiner Seite herab. Man hätte glauben können, er wäre vom Blitz getroffen. Die Blässe lief wie eine weiße Wolke über sein gebräuntes Gesicht, verschwand aber in demselben Augenblick wieder.
Gefangen? sprach er.
Gefangen? wiederholte Porthos ganz traurig.
Plötzlich erhob d’Artagnan das Haupt, und man sah in seinen Augen einen unmerklichen Blitz glänzen. Aber dieselbe Niedergeschlagenheit, die ihm vorhergegangen war, folgte auf den flüchtigen Schimmer.
Auf, auf, sprach Comminges, verzweifelt nicht. Ich war weit entfernt, Euch eine traurige Nachricht bringen zu wollen. In diesen Kriegskünsten sind wir alle unsicher. Lacht also über den Zufall, der Euch und Herrn Du Vallon Euren Freund nahe bringt, statt darüber trostlos zu sein.
Aber diese Aufforderung hatte keinen Einfluß auf d’Artagnan, der seine düstere Miene beibehielt.
Und wie sah er aus? fragte Porthos, der, als er sah, daß d’Artagnan das Gespräch fallen ließ, dies benutzen wollte, um ein Wort anzubringen.
Sehr gut, sprach Comminges. Anfangs schien er, wie Ihr, in Verzweiflung zu geraten. Als er aber erfuhr, daß der Herr Kardinal ihm noch diesen Abend einen Besuch machen wollte …
Ah! sprach d’Artagnan, der Herr Kardinal wird dem Grafen de la Fère einen Besuch machen?
Ja, er hat ihn davon in Kenntnis setzen lassen, und als der Herr Graf de la Fère dies erfuhr, beauftragte er mich, euch zu sagen, er würde diese Gunst des Herrn Kardinals benutzen, um eure und seine Lage zu verbessern.
Ah, dieser liebe Graf! sagte d’Artagnan, aber ich glaube, Herr von Comminges täuscht sich.
Wie, ich täusche mich?
Herr von Mazarin wird nicht den Grafen de la Fère besuchen, sondern der Graf de la Fère wird zu Mazarin gerufen werden.
D’Artagnan suchte einen der Blicke von Porthos aufzufangen, um zu erfahren, ob sein Freund die Wichtigkeit dieses Besuches begriff. Aber Porthos schaute nicht einmal auf seine Seite.
Der Herr Kardinal hat also die Gewohnheit, in seiner Orangerie spazieren zu gehen? fuhr d’Artagnan fort.
Jeden Abend schließt er sich darin ein, erwiderte Comminges. Es scheint, er denkt dort über Staatsangelegenheiten nach.
Dann fange ich doch an zu glauben, daß Herr de la Fère den Besuch Seiner Eminenz empfangen wird, versetzte d’Artagnan. Übrigens wird er sich ohne Zweifel begleiten lassen?
Ja, von zwei Soldaten.
Und er wird somit vor zwei Fremden sprechen?
Die Soldaten sind Schweizer aus den kleinen Kantonen und sprechen nur Deutsch. Aller Wahrscheinlichkeit nach werden sie auch vor der Tür warten.
D’Artagnan preßte sich die Nägel in die flache Hand, damit sein Gesicht nichts anderes ausdrücke, als was er ausdrücken wollte.
Ah, mein Herr, sprach d’Artagnan, als wollte er die ganze Unterhaltung in ein einziges Wort zusammenfassen, wenn nur Seine Eminenz sich erweichen läßt und Herrn de la Fère unsere Freiheit bewilligt.
Ich wünsche es von ganzem Herzen, sprach Comminges.
Wenn er aber diesen Besuch vergäße, würdet Ihr nichts Unpassendes darin finden, wenn man ihn daran erinnerte?
Durchaus nichts, im Gegenteil.
Ah, das beruhigt mich ein wenig.
Diese geschickte Veränderung des Gespräches hätte jedem, der in der Seele des Gascogners hätte lesen können, als ein vortreffliches Manöver erscheinen müssen.
Nur noch eine letzte Bitte, fuhr er fort, mein lieber Herr von Comminges. – Ich stehe ganz zu Diensten, mein Herr. – Ihr werdet den Herrn Grafen de la Fère wiedersehen? – Morgen früh. – Wollt Ihr ihm in unserm Namen guten Morgen wünschen und sagen, er möge für mich um dieselbe Gunst bitten, die er erhalten hat? – Ihr wünscht, daß der Herr Kardinal hierher komme? – Nein; ich kenne mich und bin nicht so anspruchsvoll. Seine Eminenz erweise mir nur die Ehre, mich zu hören. Das ist alles, was ich wünsche. – Oho, murmelte Porthos, den Kopf schüttelnd, ich hätte das nie von ihm geglaubt. Wie doch das Unglück einen Menschen niederbeugt! – Es soll geschehen, sprach Comminges. – Versichert auch dem Grafen, ich befinde mich sehr wohl, und Ihr habt mich zwar traurig, aber in mein Schicksal ergeben gesehen. – Gott befohlen, meine Herren, sprach Comminges. So gefallt ihr mir! Gute Nacht.
Comminges entfernte sich mit einer Verbeugung. D’Artagnan folgte ihm mit den Augen. Kaum aber war die Tür hinter dem Kapitän der Garden geschlossen, als er auf Porthos zustürzte und ihn mit einem unverkennbaren Ausdruck der Freude in die Arme schloß.
Oh! oh! sagte Porthos, was gibt es denn? Werdet Ihr ein Narr, mein lieber Freund?
Wir sind gerettet! rief d’Artagnan.
Das sehe ich durchaus nicht ein, sprach Porthos; ich sehe im Gegenteil, daß wir alle gefangen sind, mit Ausnahme von Aramis, und daß unsere Hoffnungen auf Befreiung sich vermindert haben, seitdem noch einer in die Mausefalle des Herrn von Mazarin gegangen ist.
Keineswegs, mein Freund; diese Mausefalle war genügend für zwei, sie wird zu schwach für drei.
Ich begreife das gar nicht.
Es ist auch nicht nötig; setzen wir uns zu Tische und sammeln wir Kräfte, wir werden ihrer für die Nacht bedürfen.
Was werden wir denn diese Nacht tun? fragte Porthos, immer neugieriger.
Wir werden ohne Zweifel reisen.
Aber …
Setzen wir uns zu Tisch, lieber Freund; die Gedanken kommen mir während des Essens. Nach dem Abendessen, wenn meine Ideen zur vollen Reife gelangt sind, werde ich sie Euch mitteilen.
Das Abendessen war still, aber nicht traurig, denn das feine Lächeln, das d’Artagnan in den Augenblicken seiner guten Laune eigentümlich war, erleuchtete sein Gesicht. Beim Nachtisch warf sich d’Artagnan auf seinem Stuhl zurück, kreuzte ein Bein über das andere und wiegte sich mit der Miene eines vollkommen selbstzufriedenen Menschen. Porthos stützte sein Kinn auf seine beiden Hände, legte seine Ellenbogen auf den Tisch und schaute d’Artagnan mit dem vertrauensvollen Blicke an, der diesem Koloß einen so bewundernswürdig gutmütigen Ausdruck verlieh.
Nun, sagte d’Artagnan zu dem seine Neugierde nur mit Mühe bezwingenden Freunde, um welche Stunde ungefähr haben wir die Schweizer Wachen gestern auf- und abgehen sehen? – Ich glaube, eine Stunde nach Einbruch der Nacht. – Wenn sie also heute kommen, wie gestern, so werden wir nicht über eine Viertelstunde auf das Vergnügen, sie zu sehen, warten müssen. – Höchstens eine Viertelstunde. – Ihr habt immer noch Euren guten Arm, nicht wahr, Porthos?
Porthos knöpfte seinen Ärmel auf, streifte das Hemd zurück und betrachtete mit Vergnügen seinen nervigen Arm, der wohl so dick war, als der Schenkel eines gewöhnlichen Mannes.
Ja, ja, sagte er, ziemlich gut. – Somit würdet Ihr, ohne Euch zu sehr anzustrengen, einen Reif aus dieser Zange und einen Pfropfenzieher aus dieser Schaufel machen? – Gewiß, erwiderte Porthos. – Laßt sehen.
Der Riese nahm die bezeichneten Gegenstände und bewerkstelligte mit der größten Leichtigkeit und ohne scheinbare Anstrengung die von seinem Freunde gewünschten Wandlungen.
Hier, sagte Porthos.
Herrlich, rief d’Artagnan; Ihr seid in der Tat reich begabt. Nun hört mich recht aufmerksam zu, mein lieber Simson. Nähert Euch dem Fenster und bedient Euch Eurer Kraft, um eine Fensterstange loszumachen! Wartet, bis ich die Lampe ausgelöscht habe.
Porthos trat ans Fenster, nahm eine Stange mit beiden Händen, klammerte sich daran, zog sie an sich und bog sie wie eine Sehne, so daß die beiden Enden aus der steinernen Lade herausgingen, in der sie seit dreißig Jahren festgekittet waren.
Seht, mein Freund, sagte d’Artagnan, das hätte der Kardinal mit all seinem Genie nie tun können.
Soll ich noch andere ausreißen? fragte Porthos.
Nein, diese wird genügen; ein Mann kann nun durchschlüpfen.
Porthos versuchte es und drang mit dem ganzen Oberleibe durch.
Ja, es geht, sagte er. – In der Tat, das ist eine ziemlich schöne Öffnung. Nun streckt Euern Arm durch. – Durch was? – Durch die Öffnung. – Warum? – Ihr werdet es sogleich erfahren, streckt ihn immerhin durch.
Porthos gehorchte, folgsam wie ein Soldat, und streckte seinen Arm durch das Gitter.
Vortrefflich, sagte d’Artagnan. – Es scheint mir, das geht. – Wie auf Röllchen. – Gut. Was soll ich nun tun? – Nichts. – Es ist also beendigt? – Noch nicht. – Ich wünschte übrigens doch zu begreifen … – Hört, lieber Freund, und mit zwei Worten werdet Ihr im klaren sein. Die Tür des Postens öffnet sich, wie Ihr seht. – Ja, ich sehe es. – Man wird die beiden Wachen, die Herrn von Mazarin nach der Orangerie begleiten, in unsern Hof schicken. – Sie kommen eben heraus. – Wenn sie nur die Tür der Wachtstube schließen! Gut, sie schließen sie. – Hernach? – Stille, sie könnten uns hören. – Ich werde also nichts erfahren? – Doch, denn während der Ausführung werdet Ihr begreifen. – Ich hätte jedoch vorgezogen … – Es wird Euch das Vergnügen der Überraschung zu teil werden. – Ah! das ist wahr. – St!
Porthos blieb stumm und unbeweglich.
Die zwei Soldaten gingen gerade auf das Fenster zu und rieben sich dabei die Hände, denn man war im Monat Februar, und es herrschte eine ziemlich scharfe Kälte.
In diesem Augenblick öffnete sich die Tür der Wachtstube abermals, und man rief einen Soldaten zurück.
Der Soldat verließ seinen Kameraden und ging in die Wachtstube.
Geht es immer noch? fragte Porthos. – Besser als je, antwortete d’Artagnan. Hört nun. Ich will diesen Soldaten rufen und mit ihm plaudern, wie ich es gestern getan habe, Ihr erinnert Euch? – Ja; nur habe ich nicht ein Wort von dem verstanden, was er sagte. – Er hatte allerdings einen etwas starken Accent. Aber verliert kein Wort von dem, was ich Euch sage, Porthos, alles hängt von der Ausführung ab. – Gut, die Ausführung, das ist meine Stärke.
– Ich weiß es, bei Gott, wohl und zähle auch auf Euch. – Sprecht. – Ich will also den Soldaten rufen und mit ihm plaudern. – Das habt Ihr bereits gesagt. – Ich drehe mich auf die linke Seite, so daß er im Augenblick, wo er auf die Bank steigt, auf Eurer rechten sein wird. – Aber wenn er nicht steigt? – Er wird es tun, seid unbesorgt. Im Augenblick, wo er auf die Bank steigt, streckt Ihr Euern Arm aus und ergreift ihn beim Halse. Dann hebt Ihr ihn bei den Ohren auf, wie Tobias den Fisch, und zieht ihn in unser Zimmer herein, wobei Ihr ihn jedoch so stark drücken müßt, daß er nicht schreien kann. – Ja, sprach Porthos; aber wenn ich ihn erwürge? – Am Ende ist es nur ein Schweizer, aber Ihr werdet ihn hoffentlich nicht erwürgen. Ihr setzt ihn ganz sacht hier nieder, und wir knebeln ihn und binden ihn irgendwo an. Das verschafft uns vor allem eine Uniform und ein Schwert. – Vortrefflich, sprach Porthos, indem er d’Artagnan mit tiefer Bewunderung anschaute. Doch eine Uniform und ein Schwert sind nicht genug für uns zwei. – Nun, hat er nicht seinen Kameraden? – Das ist richtig, versetzte Porthos. – Wenn ich huste, so ist es Zeit, daß Ihr Euern Arm ausstreckt. – Gut.
Die Freunde gingen jeder an seinen bezeichneten Posten. Porthos blieb gänzlich im Winkel des Fensters verborgen.
Guten Abend, Kamerad, sagte d’Artagnan mit seiner freundlichsten Stimme und mit dem ruhigsten Ton. – Guten Abend, Herr, antwortete der Soldat in seinem grausamen Schweizerdialekt. – Es ist heute eben nicht sehr warm zum Spazierengehen, sagte d’Artagnan. – Brrr! machte der Soldat. – Und ich glaube, ein Glas Wein wäre Euch nicht unangenehm. – Ein Glas Wein wäre sehr willkommen. – Der Fisch beißt an, der Fisch beißt an! flüsterte d’Artagnan Porthos zu. – Ich begreife, erwiderte Porthos. – Ich habe da eine Flasche, sagte d’Artagnan. – Eine Flasche? – Ja. – Eine volle Flasche? – Ja, ganz voll, und sie gehört Euch, wenn Ihr sie auf meine Gesundheit trinken wollt.– Recht gern, versetzte der Soldat sich nähernd. – Nehmt sie, mein Freund, sprach der Gascogner. – Sehr gern; ich glaube, es ist eine Bank hier. – Oh, ja doch, man sollte glauben, man hätte sie zu diesem Zweck hierhergestellt. Steigt herauf. So ist es gut, mein Freund.
D’Artagnan hustete.
In demselben Augenblick senkte sich Porthos‘ Arm. Seine stählerne Faust packte rasch wie ein Blitz und fest wie eine Zange den Hals des Soldaten, preßte ihn fest zusammen, zog ihn durch die Öffnung an sich, auf die Gefahr, ihn beim Durchziehen zu ersticken, und setzte ihn auf den Boden, wo ihn d’Artagnan, indem er ihm gerade nur Zeit ließ, um Atem zu holen, mit seiner Schärpe knebelte, und daraus mit unglaublicher Geschwindigkeit auszukleiden anfing.
Nun haben wir einmal ein Schwert und ein Kleid, sagte Porthos.
Ich nehme beides, sprach d’Artagnan. Wollt Ihr ein anderes Schwert und ein anderes Kleid, so müßt Ihr die Geschichte noch einmal anfangen. Aufgepaßt! Ich sehe gerade den zweiten Soldaten aus der Wachtstube hervortreten und auf uns zukommen.
Ich glaube, es wäre unklug, dasselbe Manöver zu wiederholen, sagte Porthos. Man kommt, sagen die Leute, nicht zweimal mit denselben Mitteln ans Ziel. Wenn ich ihn verfehlte, wäre alles verloren. Ich will hinaussteigen, ihn in dem Augenblick, wo er nicht darauf gefaßt sein wird, packen und wohl geknebelt Euch hereinreichen.
Das ist besser, antwortete der Gascogner.
Haltet Euch bereit, sprach Porthos und schlüpfte durch die Öffnung.
Die Sache ging planmäßig vor sich. Der Riese verbarg sich am Weg des Soldaten, und als dieser an ihm vorüberkam, faßte er ihn beim Halse, knebelte ihn, stieß ihn wie eine Mumie zwischen den Gitterstangen durch und kehrte hinter ihm zurück.
Hierauf entkleideten sie auch den zweiten Soldaten und banden ihn am Bett fest.
Das geht vortrefflich, sagte d’Artagnan; nun probiert einmal das Kleid dieses Burschen an, Porthos. Ich zweifle, daß es Euch gut paßt; doch wenn es zu eng ist, so seid deshalb unbesorgt, das Wehrgehänge und besonders der Hut mit den roten Federn werden genügen.
Da der zweite Soldat zufällig ein riesiger Schweizer war, paßte alles aufs beste.
Nachdem sich die beiden Freunde angezogen hatten, sagte d’Artagnan zu den Schweizern:
Was euch betrifft, Kameraden, so könnt ihr versichert sein, daß euch nichts widerfährt, wenn ihr euch vernünftig benehmen wollt. Rührt ihr euch aber, so seid ihr des Todes.
Die Soldaten verhielten sich ganz still; sie hatten an Porthos‘ Faust bemerkt, daß die Sache sehr ernster Natur war.
Nun steigen wir, Porthos, in den Hof hinab. – Ja. – Wir nehmen den Platz der zwei Burschen ein. – Gut. – Wir gehen auf und ab. – Das wird nicht übel sein, da ohnehin keine bedeutende Wärme herrscht. – In einem Augenblick ruft der Kammerdiener, wie gestern und vorgestern, nach den Leuten vom Dienste. – Wir antworten? – Im Gegenteil, wir antworten nicht. – Wie Ihr wollt, es liegt mir nichts am Antworten. – Wir antworten also nicht; wir drücken nur unsere Hüte in den Kopf und geleiten Seine Eminenz. – Wohin? – Wohin sie geht: zu Athos. Glaubt Ihr, es werde ihm unangenehm sein, uns zu sehen? – Oh, oh! ich begreife, rief Porthos. – Wartet noch, ehe Ihr schreit. Porthos; denn bei meinem Wort, Ihr seid noch nicht am Ende, versetzte der Gascogner mit spöttischem Ton. – Was soll denn noch geschehen? sprach Porthos. – Folgt mir, erwiderte d’Artagnan; Ihr werdet schon sehen.
Und er schlüpfte durch die Öffnung und glitt leicht in den Hof hinab. Porthos folgte ihm auf demselben Wege, obgleich mit mehr Mühe und mit weniger Eile.
Kaum hatten d’Artagnan und Porthos die Erde berührt, als eine Tür sich öffnete und ein Kammerdiener rief: Die Leute vom Dienst!
Zu gleicher Zeit öffnete sich die Wachtstube, und eine andere Stimme rief: La Bruyère und Du Barthois, vorwärts!
Es scheint, ich heiße La Bruyère, sagte d’Artagnan.
Und ich Du Barthois, versetzte Porthos.
Wo seid ihr? sagte der Kammerdiener, dessen durch das Licht geblendete Augen unsere zwei Helden nicht zu unterscheiden vermochten.
Hier, antwortete d’Artagnan. Und sich gegen Porthos umwendend, fügte er hinzu: Was sagt Ihr hierzu, Herr Du Vallon?
Meiner Treu! wenn das so fortgeht, sage ich, es ist hübsch.