Achtes Capitel


Achtes Capitel

Um zwanzig Millionen.

Die Folgen dieses Ereignisses hätte vorläufig Niemand zu erkennen vermocht. Als Henry d’Albaret von demselben Nachricht erhielt, glaubte er anfänglich, dasselbe könnte für ihn nur günstig sein. Mindestens war die Vermählung Hadjine Elizundo’s um einige Zeit verschoben. Obwohl das junge Mädchen jetzt noch von der Last des ersten Schmerzes niedergedrückt sein mußte, zögerte der junge Officier doch nicht, sich in dem Hause der Strada Reale vorzustellen, konnte hier jedoch weder Hadjine noch Xaris sehen. Er mußte sich eben in Geduld fassen.

»Wenn Hadjine, so dachte er, sich damit, daß sie den Capitän Starkos zu heiraten einwilligte, nur einem Wunsche ihres Vaters opferte, so braucht jetzt, wo ihr Vater nicht mehr ist, aus dieser Vermählung ja nichts zu werden.«

Dieser Gedankengang war ja ein ganz richtiger. Eine weitere Schlußfolgerung aus demselben aber ergab, daß sich eben damit die Aussichten Henry d’Albaret’s wesentlich verbesserten und die des Nicolas Starkos verschlechterten.

So kann es auch nicht Wunder nehmen, daß Skopelo am folgenden Morgen an Bord der Sacoleve seinen Capitän in ein Gespräch über diesen Gegenstand verwickelte.

Der zweite Officier der »Karysta« war es gewesen, der, als er gegen zehn Uhr Morgens an Bord zurückkehrte, die Neuigkeit von dem Ableben Elizundo’s mitgebracht hatte, eine Neuigkeit, welche in der Stadt allgemeines Aufsehen erregte.

Man hätte voraussetzen können, daß Nicolas Starkos bei den ersten Worten, welche Skopelo darüber fallen ließ, eine zornige Erregung zeigen würde. Das war jedoch nicht der Fall. Der Capitän verstand sich zu beherrschen und liebte es nicht, sich gegen unabwendbare Thatsachen mit ohnmächtigen Worten aufzulehnen.

»Ah, Elizundo ist also todt? fragte er einfach.

– Ja, er ist todt.

– Sollte er sich das Leben genommen haben? setzte Nicolas Starkos halblaut, als ob er nur mit sich selbst spräche, hinzu.

– Nein, antwortete Skopelo, der die Vermuthung des Capitäns gehört hatte, nein, gewiß nicht. Die Aerzte haben nachgewiesen, daß der Banquier Elizundo einem Schlaganfalle erlegen ist…

– Der ihn sofort todt hinstreckte?…

– Wenigstens ziemlich so. Er soll augenblicklich das Bewußtsein verloren und kaum ein Wort mehr von sich gegeben haben, bis er starb.

– Desto besser, daß es so gekommen ist, Skopelo.

– Ohne Widerrede, Capitän, vorzüglich wenn die Angelegenheit wegen Arkadia schon geordnet war….

– Vollkommen, versicherte Nicolas Starkos. Unsere Wechsel sind escomptirt und nun bist Du in der Lage, die Auslieferung des Gefangenentransportes gegen klingende Münze zu beanspruchen.

– Ei, zum Teufel, es war auch höchste Zeit! rief der zweite Officier. Doch, Capitän, wenn diese erste Sache erledigt ist, wie steht’s mit der zweiten?

– Mit der zweiten?… antwortete ruhig Nicolas Starkos. Nun die zweite wird zu Ende geführt werden, wie das vorausgeplant war. Ich sehe nicht, warum sich bezüglich derselben etwas geändert haben sollte. Hadjine Elizundo wird ihrem todten Vater eben so gehorchen, wie sie dem lebenden Vater gehorcht hätte. Die Gründe dafür sind auch noch jetzt ganz dieselben.

– Ihr habt also nicht die Absicht, Capitän, fuhr Skopelo fort, die Partie aufzugeben?

– Aufgeben! rief Nicolas Starkos mit einem Tone, der seinen festen Willen, jedes etwaige Hinderniß zu besiegen, deutlich erkennen ließ. Sag‘ mir, Skopelo, glaubst Du, es werde auf der ganzen Welt einen Mann geben, der freiwillig die Hände schlösse, wenn er sie nur zu öffnen braucht, um zwanzig Millionen in dieselben fallen zu sehen?

– Zwanzig Millionen! wiederholte Skopelo, der lächelnd mit den Achseln zuckte. Nun ja, auf den Betrag von ungefähr zwanzig Millionen hatte auch ich das Vermögen unseres alten Freundes Elizundo abgeschätzt.

– Eine hübsche runde Summe und in guten und sicheren Werthpapieren, fuhr Nicolas Starkos fort, deren Umsatz in baares Geld jeden Augenblick erfolgen kann.

– Sobald Ihr der Eigenthümer derselben seid, Capitän, denn vorläufig wird dieses Geld an die schöne Hadjine zurückfallen.

– Welche wiederum mir zufällt! Keine Angst, Skopelo. Mit einem Worte bin ich im Stande, den ehrlichen Namen des Banquiers zu vernichten, und seine Tochter wird nach seinem Ableben, ebenso wie vorher, mehr Werth auf diese Ehre, als auf das Vermögen legen. Doch ich werde nichts sagen, werde nichts zu sagen haben. Den moralischen Druck, den ich auf ihren Vater ausübte, wird auch sie zu empfinden haben, und sie dürfte sich nur glücklich schätzen, jene zwanzig Millionen Nicolas Starkos als Mitgift zuzuführen; und wenn Du daran zweifeln kannst, so kennst Du eben den Capitän der »Karysta« noch immer nicht!«

Nicolas Starkos sprach mit einer so großen Siegesgewißheit, daß sein zweiter Officier, der sich sonst nicht gern Selbsttäuschungen hingab, doch dem Glauben zuneigte, der Zwischenfall des gestrigen Tages werde an dem weiteren Verlaufe der Angelegenheit nichts mehr ändern. Höchstens konnte er eine Verzögerung zur Folge haben, das wäre aber Alles.

Wie lange diese Verzögerung sie aufhalten würde, das war nun allein die Frage, welche Skopelo und Nicolas Starkos einigermaßen beunruhigte, obwohl Letzterer das nicht gern zugeben wollte. Er ermangelte nicht, am nächsten Tage den Trauerfeierlichkeiten für den reichen Banquier beizuwohnen, welche übrigens ziemlich einfach gehalten waren und nur eine kleine Anzahl Leidtragender versammelten. Hier traf er auch mit Henry d’Albaret zusammen; bei dieser Gelegenheit wurden jedoch zwischen den beiden Männern nur einige Blicke gewechselt, ohne daß es natürlich zu weiteren Auseinandersetzungen kam.

Während der fünf nächsten Tage nach dem Ableben Elizundo’s versuchte der Capitän der »Karysta« vergeblich, bis zu dem jungen Mädchen vorzudringen. Die Thür des Trauerhauses blieb für Jedermann verschlossen. Es schien, als ob das Bankhaus selbst mit dem Banquier gestorben wäre.

Henry d’Albaret war übrigens nicht glücklicher, als Nicolas Starkos. Er konnte sich mit Hadjine weder durch einen Besuch, noch durch einen Brief in Verbindung setzen, so daß er sich schon die Frage vorlegte, ob das junge Mädchen nicht unter dem Schutze des treuen Xaris, der auch nicht sichtbar wurde, Korfu gar schon verlassen haben möge.

Weit entfernt, seine Absichten aufzugeben, wiederholte sich der Capitän der »Karysta« mit Vorliebe, daß es sich nur um einen Aufschub der Erfüllung derselben handle. Er selbst ließ es nicht an Andeutungen fehlen, und Skopelo vorzüglich that Alles, um in der Stadt die Nachricht zu verbreiten, daß die eheliche Verbindung zwischen Nicolas Starkos und Hadjine Elizundo unzweifelhaft stattfinden werde. Es handle sich nur darum, die erste Zeit der tiefsten Trauer und vielleicht auch die endgiltige Ordnung der finanziellen Verhältnisse des Bankhauses abzuwarten.

Bezüglich des von dem Banquier hinterlassenen Vermögens wußte man, daß dasselbe ein ungeheures war. Das gewöhnliche Geschwätz der Leute und die in der Stadt umherschwirrenden Gerüchte vergrößerten dasselbe allerdings gut um den fünffachen Betrag. Man versicherte sich da gegenseitig, daß Elizundo nicht weniger als hundert Millionen hinterlasse. Das sei eine Erbin, diese junge Hadjine, und ein glücklicher Mann, dieser Nicolas Starkos, dem ihre Hand zugesagt wäre. In ganz Korfu, in seinen beiden Vorstädten bis weit hinaus in den letzten Dörfern der Insel sprach man von nichts Anderem. In Folge dessen strömten auch eine Menge Maulaffen in der Strada Reale zusammen. Da sie nichts Besseres zu thun hatten, wollten sie wenigstens das weitberühmte Haus anstarren, in welches so viel Geld geflossen wäre und in dem noch so viel davon sein mußte, da nur sehr wenig davon herausgekommen wäre.

In Wahrheit bezifferte sich das betreffende Vermögen auf eine sehr hohe Summe. Diese betrug nahe an zwanzig Millionen und bestand, wie Nicolas Starkos zu Skopelo bei ihrer neulichen Unterhaltung gesagt, zum größten Theil in sehr leicht realisirbaren Werthen und nur wenig in Grundbesitz.

Davon überzeugte sich, während der ersten Tage nach dem Tode des Banquiers, ebensowohl Hadjine Elizundo, wie auch Xaris. Dabei erhielten sie freilich auch Aufklärung über die Art und Weise, wie dieses Vermögen aufgehäuft worden war. Xaris hatte wenigstens so viel Kenntniß von den Geschäften des Banquiers, um hinreichend durchschauen zu können, welcher Art diese Geschäfte gewesen waren, als ihm die Bücher und Papiere des Verstorbenen zur Durchsicht eingehändigt wurden. Elizundo hatte offenbar die Absicht gehabt, diese später zu vernichten, wenn ihn der Tod nicht überraschte. Jetzt waren sie vorhanden und sprachen deutlich genug für sich selbst.

Hadjine und Xaris wußten nur zu gut, woher diese Millionen stammten. Sie brauchten nicht mehr von anderer Seite zu erfahren, auf welche verabscheuungswürdige Handelsgeschäfte, auf wie viel Noth und Kummer diese Millionen aufgebaut waren.

Auf die Mitwissenschaft dieser Verhältnisse begründete Nicolas Starkos also seine Macht über Elizundo. Er war sein Genosse, er konnte ihn mit einem Worte entehren! Gefiel es ihm selbst, dann zu verschwinden, so hätte Niemand vermocht, seine Spuren wieder zu finden. Und damit, daß er dem Vater die Tochter entriß, wollte er sich sein Stillschweigen abkaufen lassen.

»Der Elende!… Der Schuft! rief Xaris.

– Schweig!« antwortete Hadjine.

Er schwieg, denn er fühlte wohl, daß seine Worte weiter hinaus klingen konnten, als bis zu Nicolas Starkos. Die jetzt gespannten Verhältnisse mußten aber doch binnen Kurzem eine Lösung finden, und vorzüglich ging es Hadjine selbst an, eine solche im Interesse Aller bald herbeizuführen.

Am sechsten Tage nach dem Ableben Elizundo’s wurde Nicolas Starkos, den Xaris an der Treppe des Molos erwartet hatte, gegen sieben Uhr Abends ersucht, sofort im Bankhause zu erscheinen.

Es wäre zu weit gegangen, wenn wir sagten, daß ihm diese Einladung in besonders freundlichem Tone übermittelt wurde, Xaris stieß die wenigen Worte im Gegentheil in einer Weise hervor, welche nichts Gutes versprach, als er auf den Capitän der »Karysta« zutrat. Letzterer war aber nicht der Mann dazu, sich um solche Kleinigkeiten zu kümmern, und folgte Xaris nach dem Comptoir, wo er ohne Zögern eingelassen wurde.

Als die Nachbarn Nicolas Starkos in das bis jetzt streng geschlossen gehaltene Haus eintreten sahen, unterlag es für sie keinem weiteren Zweifel, daß Jenem die günstigsten Aussichten lachten.

Nicolas Starkos fand Hadjine in dem Cabinet ihres Vaters. Sie saß daselbst vor einem Schreibtische, auf dem eine Menge Papiere, Documente und Bücher umherlagen. Der Capitän erkannte, daß das junge Mädchen schon jetzt in die Geschäftsthätigkeit des Hauses Einsicht erlangt haben möge, und er täuschte sich damit auch nicht. Es fragte sich nur, ob sie auch schon die Beziehungen kannte, welche der Banquier mit den Seeräubern des Archipels unterhalten hatte

Beim Eintritt des Capitäns erhob sich Hadjine – was es ihr ersparte, diesen zum Niedersetzen aufzufordern – und machte Xaris ein Zeichen, sie allein zu lassen. Sie trug tiefe Trauerkleidung. Ihre ernsten Züge, wie ihre von Nachtwachen angegriffenen Augen, verriethen in der ganzen Erscheinung zwar eine gewisse Hinfälligkeit, aber noch lange keine geistige Ermattung. Bei dem jetzigen Gespräche, das für alle in Frage kommenden Personen von so weitreichenden Folgen werden sollte, verließ sie ihre Ruhe nicht einen einzigen Augenblick.

»Hier bin ich, Hadjine Elizundo, begann der Capitän, und stehe zu Ihrem Befehl. Weshalb haben Sie mich rufen lassen?

– Aus zwei Gründen, Nicolas Starkos, antwortete das junge Mädchen, welche gerade auf ihr Ziel losgehen wollte. Zunächst wollte ich Ihnen sagen, daß die geplante Verbindung, zu der mich mein Vater, wie Sie recht wohl wissen, nur zwang, fortan als aufgehoben zu betrachten ist.

– Und ich, erwiderte Nicolas Starkos sehr kalt, begnüge mich, dem entgegen zu halten, daß Hadjine Elizundo, wenn sie in dieser Weise spricht, wohl die Folgen nicht bedacht hat, welche ihre Worte haben könnten.

– Das hab‘ ich wohl bedacht, entgegnete das junge Mädchen, und Sie werden erst recht begreifen, daß mein Beschluß unwiderruflich ist, wenn ich Ihnen sage, daß mir schon Alles bezüglich der Art der Geschäfte bekannt ist, welche das Haus Elizundo mit Ihnen und Ihresgleichen gemacht hat, Nicolas Starkos!«

Natürlich hörte der Capitän der »Karysta« diese kurze und bestimmte Antwort nicht ohne Mißbehagen. Wohl hatte er schon vorausgesetzt, daß Hadjine Elizundo versuchen würde, ihm in aller Form den Abschied zu geben, aber er hatte auch gehofft, ihren Widerstand zu brechen, wenn er ihr mittheilte, was ihr Vater gewesen und welche Beziehungen er zu ihm selbst unterhalten hatte. Und jetzt wußte sie schon Alles! Damit zerbrach eine Waffe, vielleicht die allerbeste, ihm unter der Hand. Immerhin fühlte er sich noch nicht ganz entwaffnet, sondern fuhr in etwas ironischem Tone fort:

»Sie kennen also die Geschäfte des Hauses Elizundo, und trotzdem verharren Sie bei Ihrer Weigerung?

– Ich verharre dabei, Nicolas Starkos, und werde stets dabei verharren, weil ich das für unabweisliche Pflicht halte!

– So muß ich wohl annehmen, antwortete Nicolas Starkos, daß der Capitän Henry d’Albaret…

– Lassen Sie den Namen Henry d’Albaret’s hier vollkommen aus dem Spiele!« unterbrach ihn lebhaft Hadjine.

Dann wieder mehr Herrin ihrer selbst, setzte sie, um jede Herausforderung, welche sie hätte auf’s Neue reizen können, zu vermeiden, ruhig hinzu:

»Sie wissen sicherlich, Nicolas Starkos, daß der Capitän d’Albaret niemals zustimmen würde, sich mit der Tochter des Banquiers Elizundo zu verbinden.

– Schwierig dürfte das werden!

– Aber ehrenhaft bliebe seine Weigerung!

– Und warum?

– Weil ein Mann wie er nicht eine Erbin heiratet, deren Vater der Banquier von Seeräubern gewesen ist. Nein, ein Mann von Ehre kann ein in dieser Weise erworbenes Vermögen nicht annehmen.

– Es scheint mir aber, wendete Nicolas Starkos ein, daß wir hier von Dingen reden welche mit dem Gegenstand, um den es sich handelt, nicht das Geringste zu thun haben.

– Dieser Gegenstand ist abgethan!

– Erlauben Sie mir zu bemerken, daß es der Capitän Starkos, nicht der Capitän d’Albaret war, dem Hadjine Elizundo die Hand reichen sollte. Der Tod ihres Vaters kann ihre Anschauungen hierüber ebenso wenig geändert haben, wie die meinigen.

– Ich gehorchte meinem Vater, antwortete Hadjine, ich gehorchte ihm, sogar ohne die Gründe zu wissen, die ihn zwangen, mich zum Opfer zu bringen. Jetzt weiß ich, daß ich durch meinem Gehorsam ihm die Ehre seines Namens gerettet hätte.

– Nun also, wenn Sie das wissen… fiel Nicolas Starkos ein.

– Ich weiß, unterbrach ihn sofort wieder Hadjine, ich weiß, daß Sie es waren, sein Mitschuldiger, der ihn zu jenen verbrecherischen Geschäften veranlaßte, daß Sie jene Millionen dem vorher ehrenhaft dastehenden Bankhause zuführten. Ich weiß, daß Sie ihn bedrohten, seine Schande der Oeffentlichkeit preiszugeben, wenn er Ihnen seine Tochter nicht überlassen wollte. Wahrhaftig, Nicolas Starkos, haben Sie jemals glauben können, daß meine Zustimmung, Sie zu heiraten, einen anderen Grund als den Gehorsam gegen meinen Vater haben könnte?

– Zugegeben, Hadjine Elizundo; ich habe Ihnen also nichts mitzutheilen. Wenn Sie aber auf die Ehre Ihres Vaters während dessen Lebzeiten einen hohen Werth legten, so können Sie auch nach seinem Ableben nicht anders handeln, und für den Fall, daß Sie darauf bestehen, Ihre Zusage mir gegenüber zurückzunehmen…

– So werden Sie Alles sagen, Nicolas Starkos! rief das junge Mädchen mit einem solchen Ausdruck von Widerwillen und Verachtung, daß sogar dem auf Alles gefaßten Mann ein Schimmer von Schamröthe über die Stirn flog.

– Ja… Alles! versetzte er.

– Sie werden es nicht thun, Nicolas Starkos!

– Und warum?

– Weil Sie sich damit selbst anklagten!

– Mich anklagen, Hadjine Elizundo! Glauben Sie etwa, jene Geschäfte wären jemals unter meinem Namen abgeschlossen worden? Bilden Sie sich etwa ein, Nicolas Starkos fahre selbst im Archipel umher und handle mit den Kriegsgefangenen? Nein! Wenn ich rede, werde ich mich deshalb nicht bloßstellen, und wenn Sie mich dazu zwingen, werd‘ ich eben reden!«

Das junge Mädchen blickte dem Capitän gerade in’s Gesicht. Ihre Augen, welchen die ganze Kühnheit des guten Gewissens innewohnte, senkten sich vor den seinigen, so erschreckend diese auch d’reinschauen mochten, nicht zur Erde.

»Nicolas Starkos, fuhr sie fort, ich könnte Sie mit einem Worte entwaffnen, denn es ist weder Theilnahme noch Liebe, welche Sie auf diese Verbindung bestehen heißt. Ihnen ist es nur darum zu thun, in den Besitz meines väterlichen Vermögens zu kommen! Ja, ich könnte Ihnen sagen: Sie verlangen weiter nichts als jene Millionen!… Nun gut, hier sind sie! Nehmen Sie dieselben und ziehen Sie Ihres Weges, damit ich Sie niemals wieder sehe! Ich werde das aber nicht sagen, Nicolas Starkos!… Die Millionen, welche ich erbe, werden Ihr Eigenthum nicht werden!… Ich will sie behalten, um davon einen Gebrauch zu machen, wie es mir beliebt!… Nein, Sie erhalten dieselben nicht! Und nun verlassen Sie dieses Zimmer! Verlassen dieses Haus!… Gehen Sie!«

Mit ausgestrecktem Arme und hoch erhobenem Kopfe schien Hadjine Elizundo jetzt den Capitän ebenso zu verfluchen, wie Andronika ihm wenige Wochen vorher auf der Schwelle ihres Hauses geflucht hatte.

Wenn Nicolas Starkos aber an jenem Tage vor der erzürnten Mutter zurückgewichen war, trat er jetzt dagegen voller Entschlossenheit auf das junge Mädchen zu.

»Hadjine Elizundo, sagte er mit grollender Stimme, ja, ich muß jene Millionen haben! Auf eine oder die andere Weise muß ich sie haben… Und sie werden mein werden!

– Nein, eher vernichte ich sie, eher werfe ich sie in das Wasser des Golfs! antwortete Hadjine.

– Ich werde sie haben, sag‘ ich Ihnen, weil ich sie will!«

Nicolas Starkos hatte das junge Mädchen am Arme gefaßt. Der Zorn übermannte ihn, so daß er seiner nicht mehr Herr war. Sein Blick trübte sich. Er wäre im Stande gewesen, sie zu ermorden.

Hadjine Elizundo durchschaute das Alles im Augenblick. Sterben! Was kümmerte sie das jetzt! Der Tod hätte sie nicht erschreckt. Das energische junge Mädchen hatte aber ganz andere Pläne entworfen… Sie hatte sich verurtheilt zu leben.

»Xaris!« rief sie.

Die Thür ging auf, Xaris erschien.

»Xaris, bring‘ diesen Mann hinaus!«

Nicolas Starkos hatte nicht mehr die Zeit sich umzudrehen, als er sich schon von ein paar Eisenarmen gepackt fühlte, so daß ihm der Athem ausging. Er wollte sprechen, schreien – konnte es aber eben so wenig, als es ihm gelang, sich aus den schrecklichen Fesseln zu befreien. Halb erstickt, dem Tode nahe, so daß er nicht einmal mehr erröthen konnte, sah er sich an der Thür des Hauses abgesetzt.

Hier rief ihm Xaris nur noch die Worte zu:

»Ich tödtete Euch nicht, weil sie mir nicht befohlen hat, Euch zu tödten. Wenn sie mir das sagt, wird es geschehen!«

Damit schloß er hinter ihm die Thür.

Zu dieser Stunde war die Straße schon ziemlich menschenleer. Niemand hatte mit angesehen, was eben hier vorging, das heißt, daß Nicolas Starkos mit Gewalt aus dem Hause des Banquiers Elizundo entfernt worden war. Man hatte ihn aber eintreten sehen; das genügte. Als Henry d’Albaret in Folge dessen später erfuhr, daß sein Rival da empfangen worden war, mußte er wie alle Welt denken, daß der Capitän der »Karysta« zu dem jungen Mädchen nach wie vor in dem Verhältniß eines Verlobten stehe.

Welcher Schlag war das für ihn! Nicolas Starkos in dem Hause aufgenommen, von dem ihn ein unerbittlicher Befehl fern hielt. Er war zuerst wirklich versucht, Hadjine zu fluchen, und wem wäre das an seiner Stelle anders ergangen? Aber er beherrschte sich noch, seine Liebe trug den Sieg davon über den Zorn, und obwohl der äußere Schein gegen das junge Mädchen sprach, sagte er sich doch:

»Nein, nein!… Das ist unmöglich!… Mit diesem Manne!… Das kann nicht sein!… Das ist nicht wahr!«

Trotz seiner gegen Hadjine Elizundo ausgestoßenen Drohungen, hielt es Nicolas Starkos nach einiger Ueberlegung doch für angezeigt, noch zu schweigen. Noch wollte er von dem Geheimniß, welches auf dem Leben des Banquiers lastete, nichts offenbaren. Das sicherte ihm wenigstens volle Handelsfreiheit, und wenn die Umstände es erheischten, würde es dazu später ja immer noch Zeit sein.

Er verhehlte nämlich dem zweiten Officier nichts von dem, was sich seit seinem Besuche bei Hadjine Elizundo zugetragen hatte. Skopelo stimmte ihm bei, jetzt noch zu schweigen und sich zurückzuhalten, wohl aber darauf zu achten, ob die Dinge nicht selbst eine ihren Absichten günstigere Wendung annähmen. Am meisten beunruhigte ihn freilich, daß die Erbin sein Schweigen nicht durch Abtretung der Erbschaft zu erkaufen willens schien. Warum? Das begriff er vorläufig wenigstens nicht.

Während der folgenden Tage und bis zum 12. November verließ Nicolas Starkos sein Schiff auch nicht auf eine Stunde. Er grübelte und erwog die verschiedensten Mittel, welche ihn zu seinem Ziele führen könnten. Uebrigens rechnete er nicht wenig auf einen glücklichen Zufall, der ihm schon so oft während seiner verbrecherischen Laufbahn zu Hilfe gekommen war. Dieses Mal rechnete er falsch.

Henry d’Albaret hielt sich andererseits vollkommen zurückgezogen. Er hatte es nicht für geboten erachtet, seine Versuche, das junge Mädchen zu sehen, noch zu wiederholen; aber er verzweifelte deshalb auch noch nicht.

Am 12. des Abends wurde ihm ein Brief in sein Hôtel gebracht. Eine Ahnung sagte ihm, daß derselbe von Hadjine Elizundo komme. Er erbrach ihn, sah nach der Unterschrift; richtig, er hatte sich nicht geirrt.

Der Brief enthielt nur wenige, von der Hand des jungen Mädchens geschriebene Zeilen und lautete wie folgt:

 

»Henry!

Der Tod meines Vaters hat mir zwar meine Freiheit zurückgegeben, aber Du mußt dennoch auf mich verzichten. Die Tochter des Banquiers Elizundo ist Deiner nicht würdig. Ich werde niemals Nicolas Starkos, einem Schurken, aber auch niemals Dir, einem ehrenhaften Manne, angehören können. Verzeih‘ mir und lebe wohl!

Hadjine Elizundo.«

Nach Empfang dieses Briefes eilte Henry d’Albaret, ohne sich Zeit zur Ueberlegung zu nehmen, nach dem bekannten Hause in der Strada Reale…

Das Haus war verschlossen, verlassen, öde, als ob Hadjine Elizundo mit ihrem treuen Xaris daraus verschwunden wäre, um niemals wiederzukehren.

Neuntes Capitel


Neuntes Capitel

Der Archipel in Flammen.

Die Insel Scio – seit jener Zeit übrigens allgemein Chio genannt – liegt im ägäischen Meere, westlich vom Golfe von Smyrna und nahe der Küste Kleinasiens. Mit Lesbos und Samos im Süden gehört sie zu den, im Osten des Archipels gelegenen Sporaden. Ihr Umfang beträgt volle vierzig Lieues. Der Berg Pelineus jetzt der Elias-Berg, der sie beherrscht, ragt bis zu einer Höhe von zweitausendfünfhundert Fuß über die Meeresfläche empor.

Von den bedeutenden Städten, welche sich auf der Insel vorfinden, wie Volysso. Pitys, Delphinium, Leuconia, Kaukasia, ist doch ihre Hauptstadt Scio die entschieden wichtigste. Hier hatte der Oberst Fabvier am 30. October 1827 ein kleines Expeditionscorps gelandet, dessen Stärke sich auf siebenhundert reguläre Truppen, zweihundert Reiter und eintausendfünfhundert Irreguläre, die von den Scioten besoldet wurden, belief, und welches zehn Haubitzen und sechs Kanonen mit sich führte.

Die Intervention der europäischen Mächte hatte auch nach der Schlacht bei Navarin die griechische Frage ihrer endgiltigen Lösung noch nicht zugeführt.

England, Frankreich, Rußland wollten dem neuen Königreiche nur die Grenzen zugestehen, welche der Aufstand selbst noch niemals überschritten hatte. Diese Beschränkung sagte aber der hellenischen Landesregierung keineswegs zu. Diese beanspruchte außer dem ganzen festländischen Griechenland auch die Inseln Kreta und Scio als nothwendige Bestandtheile ihrer Autonomie. Und so wie Miaulis Kreta als Angriffsobject und Ducas das Festland als solches wählte, landete Fabvier in Maurolimena, auf der Insel Scio, an oben genanntem Tage.

Man begreift recht wohl, daß die Hellenen den Türken diese schöne Insel, das herrlichste Juwel der Kette der Sporaden, zu entreißen wünschten. Ihr Himmel – wohl der reinste von ganz Kleinasien – verleiht ihr ein wundervolles Klima, ohne übermäßige Hitze und ohne zu strenge Kälte. Hier erfrischt fast stets eine mäßige Brise die Luft und macht die Insel zu einer der gesündesten des ganzen Archipels. In einem Lobgesang, den man Homer zuschreibt – welchen Scio übrigens als Landeskind betrachtet – nennt der Dichter sie »sehr fett.« Gegen Westen hin erzeugt sie den köstlichsten Wein, der mit den besten Gewächsen des Alterthums wetteifert, und einen Honig, der getrost mit dem des Hymettos in die Schranken treten kann. An der Ostseite reist sie Orangen und Citronen, deren vorzüglicher Ruf bis nach dem Westen Europas reicht. Nach Süden hin ist sie bedeckt mit verschiedenen Mastixarten, welche das kostbare Harz Mastix liefern, das in der Malerei, wie in der Arzneikunst so vielfache Verwendung findet. Endlich gedeihen in dieser von Gott gesegneten Gegend Feigen-, Dattel-, Mandel-, Granat- und Oelbäume, außer den schönsten Baumarten der gemäßigten Zone Europas.

Diese Insel also wollte die Nationalregierung mit dem neuen Königreich verbunden wissen, und deshalb hatte es der muthige Fabvier, trotz der vielen Kränkungen, die er von Denen erfahren, für welche er sein Blut zu opfern bereit war, unternommen, dieselbe zu erobern.

Während der letzten Monate dieses Jahres hatten die Türken übrigens nie aufgehört, auf der ganzen hellenischen Halbinsel zu morden und zu rauben, und das noch zwei Tage vorher, ehe Capo d’Istria in Nauplia landete.

Die Ankunft dieses Diplomaten sollte den inneren Streitigkeiten der Griechen ein Ende machen und die Regierungsgewalt in einer einzigen Hand vereinigen. Trotzdem aber Rußland sechs Monate später dem Sultan den Krieg erklärte und damit der Aufrichtung des neuen Königreichs zu Hilfe kam, hielt Ibrahim noch immer den mittleren Theil und die Küstenstädte des Peloponnes besetzt. Und wenn er sich acht Monate später, am 6. Juli 1828, anschickte, das Land zu verlassen, dem er soviel Unheil zugefügt, wenn im September des nämlichen Jahres auch kein Aegypter mehr auf griechischem Boden stand, so verheerten diese wilden Horden doch noch immer eine Zeit lang das unglückliche Morea.

Da nun die Türken und deren Verbündete noch verschiedene Städte der Küste in ihrer Gewalt hatten, und zwar im Peloponnes wie in Kreta, so ist es nicht zu verwundern, daß die benachbarten Meere noch vielfach von Seeräubern belästigt wurden. Wenn der Schaden, den sie den Fahrzeugen zufügten, welche den Handelsverkehr von einer Insel zur andern vermittelten, ein beträchtlicher war, so wurden die Führer der griechischen Flottillen, wie Miaulis, Canaris und Tsamados nicht müde, jene zu verfolgen. Jene Bösewichte waren jedoch ebenso zahlreich, wie schwer zu erreichen, und es konnte Niemand mit einiger Sicherheit sich auf jene Meere hinauswagen. Von Kreta bis zur Insel Metelin, von Rhodus bis Negroponte stand der ganze Archipel in Flammen.

Jetzt tummelten sich die, von dem Auswurfe aller Nationen gebildeten Banden in der Nachbarschaft der Insel umher und suchten dem Pascha zu Hilfe zu kommen, der in der Citadelle eingeschlossen war, welche Oberst Fabvier eben jetzt unter den ungünstigsten Bedingungen zu belagern anfing.

Der Leser erinnert sich, daß die Großhändler der Ionischen Inseln in ihrem Schrecken über diesen Zustand der Verhältnisse, die alle Stapelplätze der Levante gleichmäßig in Mitleidenschaft zogen, zusammengetreten waren, um eine Corvette auszurüsten, mit dem Auftrage, jene Piraten überall zu verfolgen.

Vor nun fünf Wochen hatte die »Syphanta« Korfu verlassen, um die Meere des Archipels zu säubern. Zwei oder drei Gelegenheiten, aus denen sie glücklich hervorgegangen war, wie die Aufbringung verschiedener, mit Recht als verdächtig angesehener Schiffe, konnten sie nur ermuthigen, das begonnene Werk eifrig fortzusetzen. Ihr Befehlshaber Stradena, der wiederholt in den Gewässern von Psara, Skyros, Zea, Lemnos, Paros und Santorin auftauchte, erfüllte seine Aufgabe mit ebenso viel Kühnheit als Erfolg. Es schien allein, als sollte es ihm nie gelingen, dem geradezu unnahbaren »Sacratif« zu begegnen, dessen Erscheinen sich überall durch die blutigsten Gräuelthaten kennzeichnete. Wohl hörte man sehr oft von ihm reden, aber nie und nirgends war er selbst zu sehen.

Vor höchstens vierzehn Tagen, gegen den 13. November, war auch die »Syphanta« in der Umgebung von Scio bemerkt worden. An eben jenem Tage gelang es auch noch, im Hafen der Insel gefangene Seeräuber einzuliefern, und Fabvier machte mit den Verbrechern den gebührenden kurzen Proceß und knüpfte diese Burschen auf.

Seit jener Zeit vernahm man aber nichts von der Corvette; Niemand vermochte zu sagen, in welchen Gegenden sie jetzt den Piraten des Archipels nachspürte; ja, man fing allmählich an, wegen derselben ängstlich zu werden. In diesen meist sehr beschränkten Gewässern, in welchen so viele Inseln und Eilande liegen und sich deshalb auch sehr viele Hafenplätze bieten, war es sonst sehr selten gewesen, daß die Anwesenheit dieses Schiffes nicht von da oder dort her gemeldet worden wäre.

Unter diesen Verhältnissen traf nun Henry d’Albaret in Scio ein, nachdem er Korfu acht Tage vorher verlassen hatte. Hier stieß er wieder zu seinem früheren Commandanten, um sich auf’s Neue an dem Kampfe gegen die Türken zu betheiligen.

Das Verschwinden Hadjine Elizundo’s hatte ihn auf das Schmerzlichste berührt. Das junge Mädchen wies also Nicolas Starkos als einen ihr unwürdigen Schurken ab, aber sie entzog sich auch ihm, der ihr Herz besaß, als seiner unwürdig. Welch‘ Geheimniß mochte nun dem Allen zu Grunde liegen? Wo sollte er nach demselben forschen? In ihrem früheren Leben, in ihr selbst, die so sanft, so rein erschien? Nein, sicherlich nicht! Vielleicht in dem Leben ihres Vaters? Doch welcher Zusammenhang konnte bestehen zwischen dem Banquier Elizundo und dem Capitän Starkos?

Wer hätte solche Fragen zu beantworten vermocht? Das Bankhaus stand völlig verödet. Jedenfalls hatte Xaris es gleichzeitig mit dem jungen Mädchen verlassen.

Henry d’Albaret konnte nur auf sich selbst zählen, um die Geheimnisse der Familie Elizundo zu enträthseln.

Er kam zunächst auf den Gedanken, die Stadt Korfu und dann die ganze Insel zu durchsuchen. Vielleicht hatte Hadjine an irgend einem versteckten Punkte Zuflucht gesucht und gefunden. Es gibt in der That nicht wenig auf der Insel verstreute Dörfer, wo es leicht genug sein mußte, sich sicher zu verbergen. Wer sich der Welt entziehen und von ihr vergessen sein will, dem bieten Benizze, Santa Decca, Leucimne und zwanzig andere geeignete Ortschaften dazu die beste Gelegenheit. Henry d’Albaret durchstreifte alle Straßen und Wege, forschte selbst in den geringsten Weilern nach einer Spur des jungen Mädchens…. Er fand nichts… nichts!

Da erhielt er eine Andeutung, daß Hadjine Elizundo die Insel Korfu vielleicht ganz verlassen haben könne. In dem kleinen Hafen Alipa, im Westnordwesten der Insel, theilte man ihm mit, daß eine leichte Speronare, nachdem sie kurze Zeit lang zwei Passagiere erwartet, auf deren Kosten dieselbe gemiethet war, erst unlängst in See gestochen sei.

Alles in Allem war das am Ende eine nur unbestimmte Nachricht. Eine gewisse Uebereinstimmung der Thatsachen und der Zeit flößten aber dem jungen Officier bald nur noch weitere Befürchtungen ein.

Als er nämlich nach Korfu zurückkehrte, hörte er, daß auch die Sacoleve den Hafen verlassen habe. Was hierbei in’s Gewicht fiel, war der Umstand, daß diese Abfahrt mit demselben Tage zusammenfiel, an dem auch Hadjine Elizundo verschwunden war. Sollte er einen gewissen Zusammenhang zwischen beiden Vorfällen annehmen? War das junge Mädchen, die ja sammt Xaris in eine ihr gelegte Schlinge gefallen sein konnte, vielleicht mit Gewalt entführt worden? Befand sie sich jetzt vielleicht gar in der Hand des Capitäns der »Karysta«?

Dieser Gedanke brach Henry d’Albaret fast das Herz. Doch was sollte er beginnen? An welchem Ende der Welt hätte er nach Nicolas Starkos forschen sollen? Wer war überhaupt dieser Abenteurer? Die »Karysta«, von der Niemand wußte, woher sie kam, noch wohin sie ging, konnte mit Recht als verdächtiges Schiff betrachtet werden. Sobald er sich jedoch von dem ersten Schreck etwas erholt, wies der junge Officier jeden solchen Gedanken entschieden ab. Da Hadjine Elizundo seiner unwürdig zu sein erklärte und ihn auch nicht mehr wiedersehen wollte, war es ja ganz natürlich, daß sie sich unter dem Schutze Xaris‘ freiwillig entfernt haben würde.

Nun, wenn es so lag, hoffte Henry d’Albaret auch, sie noch wiederzufinden. Vielleicht hatte ihre Vaterlandsliebe sie getrieben, an dem Kampfe theilzunehmen, in dem das Loos ihrer Heimat entschieden werden sollte.

Vielleicht hatte sie das ungeheure Vermögen, über welches sie jetzt verfügen konnte, zum Besten des Unabhängigkeitskrieges als Opfer darbringen wollen. Warum sollte sie auch einer Bobolina, Modena, einer Andronika und so vielen Anderen, für die sie eine unbegrenzte Bewunderung hegte, nicht auf den nämlichen Schauplatz nachgefolgt sein?

Jedenfalls hatte Henry d’Albaret die Ueberzeugung gewonnen, daß Hadjine Elizundo sich in und auf Korfu nicht mehr befinde, und deshalb beschloß er denn, sich dem Corps der Philhellenen wieder anzuschließen Oberst Fabvier befand sich mit seinen regulären Truppen eben auf Scio; zu diesem wollte er sich begeben. So verließ er also die Ionischen Inseln, eilte durch das nördliche Griechenland, wobei ihn der Weg an den Golfen von Patras und Lepante vorbeiführte, schiffte sich im Golf von Aegina ein, entging nur mit genauer Noth einigen Seeräubern, welche die Umgebung der Cykladen unsicher machten, und kam nach schneller Ueberfahrt in Scio an. Fabvier bereitete dem jungen Officier einen sehr herzlichen Empfang, welcher den zweifellosen Beweis lieferte, in wie hoher Achtung dieser bei ihm stand. Der tapfere Kriegsmann sah in ihm nicht nur einen verläßlichen Waffengefährten, sondern auch einen vertrauten Freund, dem er, was ihn bedrückte- und das war nicht wenig – ohne Anstand mittheilen konnte. Der Mangel an Disciplin bei den irregulären Schaaren, welche einen sehr bedeutenden Theil des Expeditionscorps bildeten, der geringe Sold, der noch dazu schlecht ausbezahlt wurde, die Verlegenheiten, welche die Scioten selbst ihm bereiteten, Alles das durchkreuzte und verlangsamte seine Operationen.

Die Belagerung der Citadelle von Scio hatte indeß ihren Anfang genommen. Henry d’Albaret traf gerade noch zur rechten Zeit ein, um an den Annäherungsarbeiten, dem Ausheben der Parallelen, theilzunehmen. Zweimal hatten die verbündeten Mächte dem Oberst Fabvier zwar bedeutet, seine Belagerungsarbeiten einzustellen; dieser trug jenen Zumuthungen aber, gestützt auf die unverholene Zustimmung der griechischen Nationalregierung, kein Gehör, sondern setzte sein Werk unbeirrt fort.

Bald erweiterte sich die Belagerung des Platzes auch noch zu einer Art Blockade desselben, freilich zu einer so unzulänglich geschlossenen, daß die Belagerten trotzdem noch immer Zufuhr an Proviant und Kriegsbedarf erhalten konnten. Vielleicht würde es Fabvier aber dennoch gelungen sein, sich der Citadelle zu bemächtigen, wenn seine Truppenmacht, welche der Hunger tagtäglich weiter schwächte, sich nicht, um zu plündern und um Nahrung zu finden, über die ganze Insel zerstreut hätte. Unter diesen Umständen wurde es einer, aus fünf Fahrzeugen bestehenden ottomanischen Flottille möglich, den Türken eine Verstärkung von zweitausend Mann zuzuführen, indem sie sich den Zugang nach dem Hafen von Scio mit Gewalt öffnete. Bald darauf erschien allerdings Miaulis mit seinem Geschwader, um dem Oberst Fabvier zu Hilfe zu kommen, doch da war es zu spät, und er mußte unverrichteter Sache umkehren.

Mit dem griechischen Admiral waren auch einige Fahrzeuge eingetroffen, welche eine gewisse Anzahl Freiwillige als Verstärkung des Expeditionscorps von Scio mitbrachten.

Ihnen hatte sich auch eine Frau angeschlossen.

Nachdem sie bis zur letzten Stunde im Peloponnes gegen die Schaaren Ibrahim’s gekämpft, wollte Andronika, die schon den Anfang des Krieges mitgemacht, auch bei der Beendigung desselben nicht fehlen. Deshalb war sie mit nach Scio gekommen, entschlossen, wenn es sein mußte, sich für diese Insel, welche die Griechen ihrem neuen Königreiche angeschlossen wissen wollten, auf dem Altar des Vaterlandes zu opfern. Ihr wäre das gleich einer Wiedervergeltung für die Unthaten erschienen, welche ihr unwürdiger Sohn, gelegentlich der Metzeleien des Jahres 1822, an der nämlichen Stelle begangen hatte.

Jener Zeit hatte der Sultan die Insel Scio mit dem schrecklichen Bannfluche: »Feuer, Stahl und Knechtschaft« belastet. Der Kapudan-Pascha Kara-Ali war mit der Durchführung dieser Drohung betraut. Er entledigte sich seines Auftrags voll und ganz. Seine blutgierigen wilden Horden setzten sich auf der Insel fest. Männliche Personen unter zwölf und weibliche über vierzig Jahre wurden ohne Erbarmen hingemordet. Der zur Sclaverei verdammte Ueberrest sollte nach den Märkten von Smyrna und der Berberei abgeführt werden. Unter der Hand von dreißigtausend Türken wurde die ganze Insel durch Feuer verheert und durch Blut überschwemmt. Dreiundzwanzigtausend Scioten waren getödtet, siebenundvierzigtausend zum Verkauf zurückgestellt worden.

Hierbei war es, wo Nicolas Starkos die Hand im Spiele gehabt hatte Nachdem seine Spießgesellen und er selbst sich zügellos an Mord und Plünderung betheiligt, wußten sie sich auch den Löwenantheil an dem schmachvollen Schacher zu sichern, der die Menschen heerdenweise der ottomanischen Habgier überlieferte. Die Schiffe dieses elenden Renegaten waren es, welche zum Transport der Tausende von Unglücklichen nach den Küsten Kleinasiens und Afrikas dienten.

Im Zusammenhange mit diesen schmählichen Operationen stand auch die Geschäftsverbindung, welche Nicolas Starkos mit Elizundo in Berührung brachte; von ihnen rührten die ungeheuren Erträgnisse her, deren größerer Theil dem Vater Hadjines zugefallen war.

Andronika wußte übrigens gar zu gut, welchen Antheil Nicolas Starkos an den Massenschlächtereien von Scio gehabt, welche Rolle er in dieser entsetzlichen Tragödie gespielt hatte. Das war auch die innere Veranlassung gewesen, sich nach den Stätten zu begeben, wo man ihr gewiß hundertmal geflucht hätte, wenn es bekannt gewesen wäre, daß sie die Mutter jenes Verruchten war. Auf dieser Insel in den mörderischen Kampf zu ziehen, ihr Herzblut zu vergießen für die Sache der Scioten, das erschien ihr wie eine Wiedervergeltung, wie die erhabenste Sühne der Verbrechen ihres Sohnes.

Von der Stunde an, wo Andronika auf Scio den Fuß an’s Land setzte, konnte es natürlich kaum ausbleiben, daß sie und Henry d’Albaret sich an einem oder dem anderen Tage begegneten. Wirklich sah sich Andronika kurze Zeit nach ihrer Ankunft, am 15. Januar, unerwartet dem jungen Officier gegenüber, der ihr auf dem Schlachtfelde von Chaidari das Leben gerettet hatte.

Da ging sie mit geöffneten Armen auf diesen zu und rief:

»Henry d’Albaret!

– Sie… Andronika… Sie! sagte der junge Officier. Sie… muß ich hier wiederfinden?

– Ja, antwortete das heldenmüthige Weib. Ist denn mein Platz nicht da, wo es gegen die frechen Unterdrücker noch zu kämpfen gilt?

– Andronika, erwiderte Henry d’Albaret, Sie können stolz sein auf Ihr Vaterland, stolz auf dessen Kinder, die es mit Ihnen vertheidigt haben! Nicht lange, und kein einziger türkischer Soldat steht mehr auf dem Boden Griechenlands.

– Ich weiß es, Henry d’Albaret, und Gott erweise mir die Gnade, nur diesen schönen Tag noch mit zu erleben!«

Im weiteren Verlaufe des Gesprächs theilte ihm Andronika nun mit, wie sie die Zeit, nachdem Beide nach der Schlacht von Chaidari einander aus dem Gesicht verloren, verbracht hatte. Sie schilderte ihre Fahrt nach Magne, ihrer engeren Heimat, die sie zum letzten Male wiederzusehen sich gesehnt hatte, um sich dann der Armee im Peloponnes anzuschließen, bis sie sich hierher nach Scio wandte.

Henry d’Albaret erzählte ihr dann seinerseits, unter welchen Verhältnissen er nach Korfu zurück und dort in Berührung mit dem Banquier Elizundo gekommen sei, und erwähnte dann seiner schon festgesetzten und dann aufgehobenen Vermählung, wie des Verschwindens Hadjines, die er eines Tages doch noch wiederzufinden hoffe.

»Ja, Henry d’Albaret, wenn Sie auch noch nicht wissen, welches Geheimniß auf dem Leben dieses jungen Mädchens lastet, so muß sie Ihrer doch jedenfalls würdig sein! Ja, Sie werden sie wiedersehen, werden so glücklich sein, wie Sie es Beide so sehr verdienen.

– Doch sagen Sie mir, Andronika, fragte Henry d’Albaret, kannten Sie nicht etwa jenen Banquier Elizundo?

– Nein, erklärte Andronika. Woher sollte ich ihn kennen, und wie kommen Sie zu dieser auffälligen Frage?

– Ich hatte mehrmals Gelegenheit, Ihres Namens vor demselben Erwähnung zu thun, antwortete der junge Officier, und dieser Name erregte allemal seine ganz besondere Aufmerksamkeit. Eines Tages erkundigte er sich bei mir sogar, ob ich nicht wüßte, was seit unserer Trennung aus Ihnen geworden sei.

– Ich kenne ihn weder von Person, Henry d’Albaret, noch ist der Name des Banquiers Elizundo jemals von mir ausgesprochen worden.

– Dann obwaltet auch hier ein Geheimniß, das ich nicht zu durchschauen vermag und das nun, da Elizundo todt ist, wohl auch niemals entschleiert werden wird.«

Henry d’Albaret versank in Schweigen. Die Erinnerung an Korfu erwachte wieder lebhafter in ihm. Er dachte unwillkürlich an Alles, was er dort und seit seinem Aufenthalt daselbst gelitten, an Alles, was er fern von Hadjine noch zu erdulden haben werde.

Dann wendete er sich wieder an Andronika.

»Wenn dieser Krieg nun zu Ende ist, was denken Sie dann zu beginnen? fragte er diese.

– Gott wird mir’s gewähren, antwortete sie mit rührender Frömmigkeit, mich aus dieser Welt abzuberufen, aus dieser Welt, in welcher gelebt zu haben ich nur Gewissensbisse empfinde.

– Gewissensbisse, Andronika?

– Ja!«

Die bedauernswerthe Mutter wollte damit ausdrücken, daß schon ihr Leben überhaupt ein Unglück gewesen sei, da sie einen solchen Sohn geboren hatte.

Sie gab jedoch diesem Gedanken nicht weiter nach, sondern fuhr fort:

»Sie freilich, Henry d’Albaret, Sie sind noch jung und Gott hat Ihnen noch lange Tage vorbehalten. Wenden Sie dieselben dazu an, Diejenige wieder zu finden, die Sie verloren, und… welche Sie herzinnig liebt.

– Ja, Andronika, ich werde sie überall suchen, aber überall auch den hassenswerthen Rivalen, der sich zwischen sie und mich gedrängt hat.

– Wer war dieser Mann? fragte Andronika.

– Ein Capitän, der Befehlshaber eines mir nicht weiter bekannten, aber verdächtig erscheinenden Schiffes, erklärte ihr Henry d’Albaret, und der übrigens Korfu gleich nach dem Verschwinden Hadjines verlassen hat.

– Und sein Name?…

– Nicolas Starkos!

– Er!…«

Noch ein Wort mehr, und ihr Geheimniß wäre verrathen gewesen. Andronika hätte sich als die Mutter jenes Starkos bekannt.

Der von Henry d’Albaret so ganz unerwartet aus gesprochene Name hatte auf sie eine wahrhaft erschütternde Wirkung. Eine so energische Natur sie sonst auch war, machte sie der Name ihres Sohnes doch vor Schreck erbleichen. Alles Unglück, welches dem jungen Officier, welches dem Manne widerfahren war, der sie mit eigener Lebensgefahr vom drohenden Tode gerettet, rührte nur her von Nicolas Starkos.

Henry d’Albaret konnte begreiflicherweise nicht unbemerkt bleiben, welche Wirkung der Name Starkos‘ auf Andronika ausübte, und es kann nicht auffallen, daß er nach der Ursache derselben weiter forschte.

»Was ist Ihnen?… Was fehlt Ihnen? rief er. Warum diese Erregung bei dem Namen des Capitäns der »Karysta«?… Reden Sie!… Kennen Sie wohl den, der ihn trägt?

– Nein, Henry d’Albaret, nein! antwortete Andronika, welche wider ihren Willen stotterte.

– Doch… Sie kennen ihn!… Andronika, ich flehe Sie an, mir zu sagen, wer dieser Mann ist… was er treibt… wo er sich augenblicklich befindet… wo ich ihn auffinden könnte!

– Ich weiß es nicht!

– Nein, Sie wissen es!… Sie wissen es, Andronika, und weigern sich nur, es mir… mir… zu verrathen. Vielleicht könnten Sie mich durch ein einziges Wort auf seine Spur, vielleicht auf die Hadjines leiten… Sie weigern sich zu sprechen!

– Henry d’Albaret, antwortete Andronika mit einer Stimme, deren Sicherheit sie nicht mehr Lügen strafen konnte, ich weiß nichts! Mir ist unbekannt, wo jener Capitän sich aufhält…. Ich kenne Nicolas Starkos nicht!«

Mit diesen Worten verließ sie den jungen Officier, der in tiefster Erregung stehen blieb.

Welche Mühe er aber nach dieser Minute auch anwandte, um Andronika noch einmal zu begegnen, nie wollte es ihm gelingen. Offenbar hatte sie Scio verlassen und sich nach dem Festlande Griechenlands zurückbegeben. Henry d’Albaret mußte jede Hoffnung aufgeben, sie wiederzufinden.

Die Operationen des Oberst Fabvier sollten übrigens bald zu Ende gehen, ohne zu einem wirklichen Erfolge geführt zu haben.

In dem Expeditionscorps nahm die Desertion der Mannschaften immer größere Verhältnisse an; trotz der Bitten ihrer Officiere liefen die Soldaten davon und gingen zu Schiff, um die Insel zu verlassen. Die Artilleristen, auf welche Fabvier am sichersten zählen zu dürfen glaubte, ließen ihre Kanonen im Stiche. Gegenüber einer so allgemeinen Entmuthigung, welche sich zuletzt auch der Besten bemächtigte, war nichts anzufangen.

Die Belagerung mußte also aufgehoben und die Rückkehr nach Syra, von wo diese unglückliche Expedition ausgegangen war, eingeleitet werden, und hier erwarteten den Oberst Fabvier für seinen heldenmüthigen Widerstand nichts als Vorwürfe, nichts als Beweise des schwärzesten Undanks.

Henry d’Albaret hatte sich vorgenommen, Scio zu gleicher Zeit mit seinem Befehlshaber zu verlassen. Nach welcher Stelle des Archipels sollte er aber seine Nachforschungen richten? Noch wußte er darüber gar nichts, als ein unvorhergesehener Zwischenfall ihm plötzlich jeden Zweifel löste.

Am Vorabend des Tages, wo er sich nach Griechenland einschiffen wollte, traf mit der Post ein Brief für ihn ein.

Der mit dem Poststempel von Korfu versehene, an den Capitän Henry d’Albaret gerichtete Brief enthielt nur die Mittheilung:

»Im Stabe der Corvette »Syphanta« ist ein Platz zu besetzen. Würde es dem Capitän Henry d’Albaret genehm sein, sich an Bord einzuschiffen und den gegen Sacratif und die Piraten des Archipels begonnenen Zug weiter fortzusetzen?

»Die »Syphanta« wird sich während der ersten Tage des Monats März in der Nähe des Caps Anapomera im Norden der Insel aufhalten und ein Boot derselben wird stets in der Bucht von Ora, am Fuße obigen Caps, bereit liegen.

»Möge der Capitän Henry d’Albaret thun, was ihm sein Patriotismus zu thun eingibt!«.

Eine Unterschrift fand sich ebensowenig, wie ihm die Handschrift bekannt war. Nichts konnte dem jungen Officier auch nur entfernt andeuten, woher dieser Brief wohl käme. Jedenfalls brachte ihm derselbe Nachricht von der Corvette, von der man schon seit einiger Zeit nichts mehr gehört hatte.

Für Henry d’Albaret bot sich damit ferner eine Gelegenheit, zu seinem eigentlichen Berufe als Seemann zurückzukehren. Endlich wurde es ihm möglich, jenen Sacratif zu verfolgen, vielleicht den Archipel von ihm zu befreien, vielleicht auch – und das übte auf seinen Entschluß natürlich keinen unbedeutenden Einfluß – in diesen Gegenden des Meeres Nicolas Starkos mit seiner Sacoleve zu begegnen. Henry d’Albaret’s Entscheidung war also sehr bald getroffen, er wollte den Vorschlag annehmen, der ihm in dem anonymen Briefe gemacht wurde, und als der Oberst Fabvier eben an Bord ging, um nach Syra zurückzusegeln, nahm er noch von diesem Abschied; dann miethete er ein leichtes Boot und begab sich nach der Nordseite der Insel.

Die Fahrt konnte nicht von langer Dauer sein, vorzüglich bei dem eben herrschenden Landwinde, der von Südwesten her wehte. Das Boot kam am Hafen von Coloquinta, zwischen den Inseln Anoffai und dem Cap Pampaca, vorüber. Von diesem Cap aus wendete es sich nach dem von Ora und folgte nun der Küste, um die gleichnamige Bucht zu erreichen.

Hier ging Henry d’Albaret am Nachmittag des 1. März an’s Land.

Am Fuße der Felsen vertaut, schaukelte ein Boot, das seiner wartete; etwas weiter draußen lag eine Corvette aufgebraßt.

»Ich bin der Capitän d’Albaret, begann der junge Officier zu dem Schieman, der das Boot befehligte.

– Will der Herr Capitän Henry d’Albaret sich an Bord begeben? fragte der Schiemann.

– Sofort.«

Das Boot stieß ab. Getrieben von seinen sechs Rudern durchflog es schnell die kleine Entfernung, die dasselbe von der Corvette trennte – höchstens eine Seemeile.

Sobald Henry d’Albaret über die Treppe an Steuerbord mittschiffs an der »Syphanta« erschienen war, ertönte ein langer schriller Pfiff; gleich darauf donnerte ein Kanonenschuß, dem noch zwei andere in kurzen Zwischenräumen folgten. Und in dem Augenblicke, wo der junge Officier zuerst den Fuß auf das Deck des Fahrzeugs setzte, präsentirte die gesammte Mannschaft die Waffen und die Farben Korfus stiegen nach dem Ende der Gaffel empor.

Dann trat der zweite Officier der Corvette vor die Front der Leute und sagte mit lauter Stimme, so daß er Allen verständlich sein mußte:

»Die Officiere und Mannschaften der »Syphanta« schätzen sich glücklich, ihren Befehlshaber Henry d’Albaret an Bord begrüßen zu dürfen!«

Viertes Capitel


Viertes Capitel

Das traurige Haus eines Reichen.

Während die »Karysta« mit einer Bestimmung, welche nur ihr Capitän kannte, nach Norden segelte, trug sich auf Korfu ein Ereigniß zu, welches, wenn es auch nur privater Natur war, doch darum nicht minder die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Hauptpersonen dieser Geschichte lenken sollte.

Bekanntlich wurden die Ionischen Inseln seit 1815, gemäß der Verträge von diesem Jahre, unter englische Schutzherrschaft gestellt, nachdem sie bis 1814 unter der Frankreichs gestanden hatten. Seit 1864 erhielten die Ionischen Inseln ihre Unabhängigkeit wieder und wurden, getheilt in Nomachien, dem Königreich Griechenland zugeschlagen.

Unter dieser Gruppe, welche Cerigo, Zante, Ithaka, Cephalonia, Leukade Naxos und Korfu umschließt, ist letztere Insel die westlichste und auch die bedeutendste. Sie ist das alte Corcyra. Eine Insel, welche einen Alkinous, den edelmüthigen Gastfreund Jason’s und der Medea, zum König hatte, welche später, nach dem trojanischen Kriege, den klugen Ulysses aufnahm, ist wohl berechtigt, in der Geschichte des Alterthums eine hervorragende Stelle einzunehmen. Nachdem um dieselbe die Franken, die Bulgaren, die Saracenen und die Neapolitaner gekämpft, wurde sie im sechzehnten Jahrhundert durch Barbarossa verwüstet, im achtzehnten durch den Grafen Schulemburg in Schutz genommen und nachdem sie gegen Ende der selbständigen Herrschaft noch von dem General Doncelot vertheidigt worden war, diente sie jetzt als Regierungssitz des englischen Ober-Commissärs.

Zu jener Zeit war dieser Ober-Commissär Sir Frederik Adam, der Gouverneur der Ionischen Inseln. In Berücksichtigung der möglichen Zufälle, welche der Kampf der Griechen gegen die Türken herbeiführen konnte, hatte er fortwährend einige Fregatten zur Verfügung, welche den Polizeidienst in den benachbarten Meeren versahen. Es bedurfte wirklich großer, stark bewaffneter Schiffe, um Ordnung zu halten in diesem Archipel, der den Griechen, den Türken, den Inhabern von Caperbriefen ebenso preisgegeben war, wie den eigentlichen Seeräubern, welche kein anderes Ziel kannten, als ganz nach Belieben Fahrzeuge jeder Nationalität zu überfallen und zu plündern.

Wir werden später in Korfu eine ziemliche Anzahl Fremder treffen und darunter vorzüglich solche, welche seit drei bis vier Jahren in Folge der wechselnden Ereignisse im Unabhängigkeitskampfe herangezogen worden waren. Hier in Korfu schifften sie sich ein, um nach dem Kampfplatz zu gelangen, und hier hielten sich auch Andere auf, welche in Folge erlittener Strapazen sich eine längere Zeit der Ruhe gönnen mußten.

Unter den Letzteren ist vorzüglich ein junger Franzose zu nennen. Voll edler Begeisterung für die Sache der Freiheit, hatte er sich schon seit drei Jahren daran thätig betheiligt und bei vielen Ereignissen, deren Schauplatz die Hellenische Halbinsel war, eine hervorragende Rolle gespielt. Henry d’Albaret, Schiffs-Lieutenant der königlichen Marine, einer der jüngsten Officiere seines Grades und jetzt auf unbegrenztem Urlaub, war von Beginn des Krieges an unter die Fahne der französischen Philhellenen eingetreten. Neunundzwanzig Jahre alt, mittelgroß, von kräftiger Constitution, die ihn befähigte, die Anstrengungen seines Berufes als Seemann zu ertragen, flößte dieser junge Officier durch seinen natürlichen Anstand, durch die Vornehmheit der Erscheinung, den offenen Blick, das wirklich männlich schöne Gesicht Jedermann im ersten Augenblick eine gewisse Theilnahme ein, welche durch längeren vertrauten Umgang nur an Wärme zunehmen konnte.

Henry d’Albaret gehörte einer reichen, ursprünglich aus Paris stammenden Familie an. Seine Mutter hatte er kaum gekannt. Sein Vater war kurz nach der Zeit, wo er mündig wurde, das heißt zwei oder drei Jahre nach seinem Abgang aus der Seemannsschule, gestorben. Herr eines ziemlich beträchtlichen Vermögens, hatte er darin noch keinen Grund gesehen, seinem Seemannsberufe zu entsagen. Im Gegentheil, er blieb seiner Laufbahn – der schönsten, die es auf Erden geben kann – getreu und war Schiffs-Lieutenant geworden, als die griechische Flagge als Feind des türkischen Halbmondes im Norden Griechenlands wie im Peloponnes entfaltet wurde.

Henry d’Albaret zauderte keine Stunde. Wie so viele andere muthige junge Leute, welche diese Bewegung unwiderstehlich mit sich fortriß, schloß er sich den Freiwilligen an, welche von französischen Officieren bis nach den Grenzmarken des östlichen Europas geführt werden sollten. Er gehörte zu den ersten Philhellenen, welche ihr Blut für die Sache der Unabhängigkeit verspritzten Vom Jahre 1822 ab befand er sich unter den ruhmvoll Unterlegenen, welche mit Maurocordato in der Schlacht von Arta besiegt wurden, und ebenso unter den Siegern bei der ersten Belagerung von Missolunghi. Er war dabei, als im folgenden Jahre Marco Botsaris überwältigt wurde. Im Laufe des Jahres 1824 nahm er mit Auszeichnung theil an den Seegefechten, durch welche die Griechen die Siege Mehemet Ali’s rächten. Nach dem Fall von Tripolitza 1825 führte er einen Theil der regulären Truppen unter dem Befehl des Obersten Fabvier. Im Juli 1826 schlug er sich bei Chaidari und rettete da das Leben Andronika Starkos‘, welche die Pferde Kiutagi’s zu zermalmen drohten – in jener schrecklichen Schlacht, welche den Philhellenen so unersetzliche Verluste kostete.

Henry d’Albaret wollte seinen Anführer indeß nicht verlassen, und schloß sich diesem schon bald darauf in Methenä wieder an.

Zu dieser Zeit wurde die Akropolis von Athen von dem Commandanten Gouras, der fünfzehnhundert Mann unter seinem Befehle hatte, vertheidigt. In diese Citadelle hatten sich auch noch fünfhundert Frauen und Kinder geflüchtet, denen es unmöglich gewesen war, zu entkommen, als die Türken sich der Stadt bemächtigten. Gouras besaß Lebensmittel für ein Jahr, ein Material von vierzehn Kanonen und drei Mörsern, sein Schießbedarf ging aber bald zu Ende.

Fabvier beschloß, die Akropolis mit neuen Vorräthen zu versehen. Er rief Freiwillige auf, ihn bei diesem mehr als kühnen Unternehmen zu unterstützen. Fünfhundertunddreißig folgten seinem Aufrufe, unter ihnen vierzig Philhellenen; unter diesen Vierzig und an ihrer Spitze Henry d’Albaret. Jeder dieser verwegenen Parteigänger nahm einen Sack Pulver mit sich, und so schifften sie sich unter der Anführung Fabvier’s in Methenä ein.

Am 13. December landete das kleine Corps fast am Fuße der Akropolis, ein Mondstrahl verrieth sie. Sofort knatterte das Feuer der Türken. Fabvier ruft: »Vorwärts!« Ohne seinen Pulversack im Stich zu lassen, der ihn doch jeden Augenblick in tausend Stücke zu zerreißen droht, durchklettert Mann für Mann den Graben, und so dringen sie durch die geöffneten Thore der Citadelle ein. Die Belagerten werfen die Türken heldenmüthig zurück. Fabvier aber ist verwundet, sein zweiter Officier ist todt und Henry d’Albaret fällt auch, von einer Kugel getroffen. Die regulären Truppen und ihre Anführer waren nun in der Citadelle eingeschlossen mit denen, welchen sie so todesmuthig Hilfe zu bringen unternommen hatten, und die sie jetzt nicht wieder von sich lassen wollten

Hier mußte der junge Officier, der an einer glücklicherweise nicht zu schweren Verletzung daniederlag, das Elend der Belagerten theilen, deren ganze Nahrung sich zuletzt auf magere Rationen Gerste beschränkte. So vergingen sechs Monate ehe die Capitulation der Akropolis, der Kiutagi zustimmte, ihm die Freiheit wiedergab. Erst am 5. Juni 1827 konnten Fabvier, seine Freiwilligen und die Belagerten die Citadelle von Athen verlassen und sich auf bereitliegende Schiffe begeben, welche sie nach Salamis beförderten.

Bei seiner noch andauernden Schwäche wollte Henry d’Albaret nicht in dieser Stadt bleiben und ging deshalb nach Korfu unter Segel. Hier erholte er sich nun seit zwei Monaten von seinen Strapazen und wartete der Stunde, wo er wieder seinen Posten in den vordersten Reihen einnehmen könnte, als der Zufall seinem Leben, das bisher nur das Leben des Soldaten gewesen war, eine neue Triebfeder einfügte.

In Korfu, fast am Ausgange der Strada Reale, lag ein altes unscheinbares Haus von halb griechischem, halb italienischem Aussehen. In diesem Hause wohnte eine Persönlichkeit, welche sich nur wenig zeigte, von der man aber desto mehr sprach. Das war der Banquier Elizundo. Ob der Mann sechzig oder siebzig Jahre zählte, hätte Niemand entscheiden können. Seit etwa zwanzig Jahren verbarg er sich in dieser düsteren Wohnung, welche er fast niemals verließ. Wenn er jedoch nicht herauskam, so statteten ihm dafür eine Menge Leute aus aller Herren Ländern – fleißige Clienten seiner Comptoirs – desto mehr Besuche ab.

Auf jeden Fall wurden in diesem Bankhause sehr umfängliche Geschäfte betrieben, und die Ehrbarkeit desselben stand bei Allen außer Zweifel. Elizundo galt übrigens für ungeheuer reich. Kein Credit auf den Ionischen Inseln bis hinüber zu seinen dalmatinischen Collegen von Zara oder Ragusa hätte sich mit dem seinigen messen können. Eine von ihm acceptirte Tratte war goldeswerth. Er vermied zweifellos auch alle unsicheren Geschäfte, und schien im Gegentheil darin eher etwas zu vorsichtig zu sein, denn er forderte stets die allerbesten Referenzen, wie die vollständigsten Garantien; seine Casse dagegen schien unerschöpflich. Merkwürdiger Weise besorgte Elizundo fast Alles ganz allein und hatte nur einen Mann in seinem Hause, von dem später die Rede sein wird und der die minder wichtigen Schriftstücke aufzusetzen hatte. Er war also gleichzeitig sein eigener Cassier, wie sein eigener Buchhalter. Es gab keinen Vertrag, der nicht von ihm abgefaßt, keinen Brief, der nicht von seiner Hand geschrieben worden wäre. Im eigentlichen Bureau des Comptoirs hatte niemals ein Commis Platz gefunden; das trug natürlich nicht wenig dazu bei, seinem Geschäftsverfahren den Stempel des Geheimnißvollen aufzudrücken.

Bezüglich des Herkommens des Banquiers sagte man wohl, er stamme aus Illyrien oder Dalmatien, doch wußte hierüber Niemand etwas Genaueres. Stumm über seine Vergangenheit und ebenso stumm über die Gegenwart, hielt er sich von der korfiotischen Gesellschaft möglichst fern. Als die Inselgruppe unter Frankreichs Botmäßigkeit gestellt worden war, verlief sein Leben schon ganz in derselben Weise wie später, wo ein englischer Gouverneur die Ionischen Inseln verwaltete. Jedenfalls war das, was man über sein Vermögen fabelte, und welches im Munde der Leute schlechtweg auf Hunderte von Millionen geschätzt wurde, nicht so buchstäblich zu nehmen; er mußte aber reich sein und war gewiß sehr reich, obgleich er in seinen Bedürfnissen und seinem Geschmack nur als höchst bescheidener Mann erschien.

Elizundo war Wittwer und zwar schon, als er sich in Korfu mit seiner damals zweijährigen Tochter niederließ. Jetzt zählte diese Tochter, welche Hadjine hieß, zweiundzwanzig Jahre und lebte, mit der Versorgung des ganzen Haushaltes betraut, mit ihm in eben jener Wohnung.

Ueberall, selbst in jenen Ländern des Orients, wo Frauenschönheit etwas so häufiges ist, würde Hadjine Elizundo als außerordentlich schön gegolten haben, und das trotz des Ernstes ihrer etwas traurigen Physiognomie. Wie hätte diese aber auch anders erscheinen können, inmitten jener Umgebung, in der ihre Kindheit verlaufen war, ohne eine Mutter, sie anzuleiten, ohne eine Gefährtin, mit der sie die ersten mädchenhaften Empfindungen hätte theilen können? Hadjine Elizundo war von mittlerer Größe, aber von höchst graziösem Wuchs. Durch den griechischen Ursprung, den sie ihrer Mutter verdankte, erinnerte sie an den Typus der schönen jungen Frauen von Lakonien, welche nach dieser Richtung alle Frauen des Peloponnes übertreffen.

Zwischen Vater und Tochter herrschte keine besondere Vertrautheit und konnte eine solche nicht herrschen. Der Banquier lebte allein, schweigend oder sehr zurückgezogen, als einer jener Menschen, welche sehr häufig den Kopf wegwenden und die Augen bedecken, als wenn ihnen das Licht wehe thäte. Im privaten Leben ebenso wenig mittheilsam wie im öffentlichen, war er stets, selbst bei allen Verhandlungen mit den Kunden des Hauses, äußerst wortkarg. Wie hätte da Hadjine Elizundo ihrem Leben hinter diesen Mauern einen Reiz abgewinnen können, wo sie innerhalb derselben kaum das Herz ihres Vaters fand!

Zum Glück existirte an ihrer Seite ein seelengutes, ergebenes, liebevolles Wesen, das nur für seine junge Herrin lebte, das mit ihr trauerte, wenn sie betrübt war, und dessen Züge sich aufhellten, wenn es sie lächeln sah. Es ging eben sein ganzes Leben in dem Hadjines auf.

Diese Schilderung könnte auf den Glauben führen, daß es sich hier um einen guten, treuen Hund handle, einen jener »Aspiranten des Menschengeschlechts«, wie Michelet gesagt hat, »dessen treuergebener Freund«, wie Lamartine ihn nennt. Nein, es war nur ein Mensch, der aber verdient hätte, ein Hund zu sein. Er hatte Hadjine gesehen, seit sie das Licht der Welt erblickte, hatte sie niemals verlassen, sie als Kind gewiegt und als junges Mädchen bedient.

Es war das ein Grieche, Namens Xaris, ein Milchbruder der Mutter Hadjines, der dem Banquier nach seiner Verheiratung nach Korfu folgte; jetzt befand er sich also schon über zwanzig Jahre in diesem Hause, in dem er eine, der eines gewöhnlichen Dieners etwas überlegene Stellung einnahm, und half selbst Elizundo, wenn es sich darum handelte, gelegentlich irgend etwas abzuschreiben oder durchzusehen.

Xaris war, wie viele Männer aus Lakonien, von ziemlich hoher Gestalt, breitschulterig und besaß ungeheure Muskelkräfte, dazu ein hübsches Gesicht, schöne Augen, eine lange, gebogene Nase, unter der sich ein prächtiger schwarzer Schnurrbart ausbreitete. Auf dem Kopfe trug er eine Mütze aus dunklem Wollstoff und um die Lenden die elegante Fustanella seines Heimatlandes.

Wenn Hadjine Elizundo ausging, entweder um Wirthschaftseinkäufe zu besorgen oder um sich nach der katholischen Spiridion-Kirche zu begeben, ebenso wenn sie nur ein wenig die erquickende Seeluft genießen wollte, welche bis zu dem alten Hause in der Strada Reale kaum eindrang, so begleitete sie der treue Xaris. Manche junge Korfioten hatten sie so auf der Esplanade oder selbst in den Straßen der Vorstadt Kastrades sehen können, die sich längs der gleichnamigen Bai hinzieht. So mancher derselben hatte bis zu ihrem Vater vorzudringen gesucht. Wer hätte sich auch nicht gefesselt fühlen sollen von der Schönheit des jungen Mädchens und vielleicht auch angelockt von den Millionen des Hauses Elizundo? Auf alle Anträge dieser Art hatte Hadjine jedoch abweisend geantwortet und der Banquier selbst niemals versucht, ihren Entschluß zu beeinflussen. Dennoch hätte der ehrliche Xaris dafür, seine junge Herrin glücklich zu wissen, alles eigene Glück hingegeben, auf das er durch seine Ergebenheit ohne Gleichen sicherlich das größte Anrecht besaß.

So sah es also aus in diesem düsteren traurigen Hause, das vereinsamt in einem Winkel der Hauptstadt des alten Corcyra lag, so war das Innere desselben beschaffen, in welches die Zufälligkeiten seines Lebens Henry d’Albaret einführen sollten.

Zuerst waren es geschäftliche Angelegenheiten, welche den Banquier und den französischen Officier in Verbindung brachten. Bei seinem Weggange von Paris hatte dieser bedeutende Wechsel auf das Haus Elizundo erworben. In Korfu wollte er dieselben einlösen lassen. Von Korfu bezog er selbst fernerhin alles Geld, dessen er als Philhellene bedurfte. Wieder holt kehrte er auch nach der Insel zurück und machte dabei gelegentlich die Bekanntschaft Hadjine Elizundo’s. Die Schönheit des jungen Mädchens hatte ihn gefangen genommen, die Erinnerung an sie begleitete ihn nach allen Schlachtfeldern Moreas und Attikas.

Nach der Uebergabe der Akropolis hatte Henry d’Albaret nichts Besseres zu thun, als sich wieder nach Korfu zu begeben. Seine Wunde war nur unzulänglich verheilt. Die unbeschreiblichen Entbehrungen während der Belagerung hatten seine Gesundheit erschüttert. Obwohl er auf Korfu nicht im Hause des Banquiers Elizundo selbst wohnte, genoß er in demselben doch jeden Tag einige Stunden gastfreundlichen Verkehrs, eine Bevorzugung, deren sich noch kein Fremder hatte rühmen können.

So verlebte Henry d’Albaret nun schon drei Monate. Nach und nach wurden seine Besuche bei Elizundo, welche zuerst nur der Ordnung von geschäftlichen Angelegenheiten galten, für ihn von mehr Interesse und wiederholten sich, wie gesagt, täglich. Hadjine gefiel dem jungen Officier ausnehmend. Ihr selbst konnte das sicherlich nicht entgehen, wenn sie ihn, ganz entzückt sie zu sehen und ihren Worten zu lauschen, neben sich sitzen sah. Ihrerseits wieder hatte sie nichts versäumt, ihm alle Sorgfalt angedeihen zu lassen, welche sein Gesundheitszustand erheischte. Henry d’Albaret mußte sich unter solcher Pflege natürlich besonders wohl fühlen. Auch Xaris machte kein Hehl daraus, wie er sich von dem freimüthigen liebenswürdigen Charakter Henry d’Albaret’s angezogen fühlte, so daß ihm der junge Mann wirklich unentbehrlich wurde.

»Du hast Recht, Hadjine, erklärte er wiederholt gegenüber dem jungen Mädchen, Griechenland ist Dein Vaterland ebenso wie das meinige, und wir dürfen nicht vergessen, daß dieser junge Officier nur deshalb zu leiden hat, weil er für unsere Heimat in den Kampf zog.

– Er liebt mich, gestand sie eines Tages Xaris offen ein. Das sprach das junge Mädchen aber mit derselben Einfachheit aus, die sie bei allen Vorkommnissen zu bewahren pflegte.

– Nun gut, Du mußt Dich von ihm lieben lassen! antwortete Xaris. Dein Vater wird nach und nach alt, Hadjine; ich werde auch nicht ewig da sein…. Wo könntest Du für dieses Leben einen sichreren Beschützer finden, als in Henry d’Albaret?«

Hadjine hatte nicht erwidert. Sie hätte zugestehen müssen, daß sie, wenn sie sich geliebt wußte, ebenso wieder liebte. Eine ganz erklärliche Zurückhaltung nöthigte sie jedoch, diese Empfindung selbst gegenüber Xaris nicht zu offenbaren.

Nachdem die Dinge aber einmal so weit gediehen waren, blieben sie auch der ganzen korfiotischen Gesellschaft nicht lange mehr verborgen. Ehe davon eigentlich die Rede war, sprachen die Leute doch von der zu erwartenden Vermählung des Henry d’Albaret mit Hadjine Elizundo wie von einer ausgemachten Sache.

Wir müssen hierbei bemerken, daß der Banquier die Aufmerksamkeiten des jungen Officiers gegen seine Tochter nicht ungern zu sehen schien. So wie Xaris gesagt hatte, fühlte er das Alter schnellen Schrittes herannahen. So verdorrt sein Herz auch sein mochte, mußte er fürchten, Hadjine im Leben allein stehen zu sehen, obwohl sie bei dem Vermögen, das ihr einst zufiel, gewiß nicht in Noth gerathen konnte. Diese Geldfrage übrigens hatte für Henry d’Albaret niemals ein besonderes Interesse gehabt. Ob die Tochter des Banquiers reich oder arm sei, das kümmerte ihn keinen Augenblick nur im mindesten. Die Liebe, welche er für das junge Mädchen empfand, nährte sich von weit erhabeneren Gefühlen als von so niedrigen Interessen. Er verehrte sie ebenso wegen ihrer Güte, wie wegen ihrer Schönheit. Das war es, was ihm für Hadjine in ihrer traurigen Umgebung eine besondere Theilnahme einflößte; aber er bewunderte sie auch wegen des Adels ihrer Ideen, wegen ihres weiten geistigen Gesichtskreises, ebenso wie wegen des muthigen Herzens, das er ihr, wenn sie je in die Lage käme, es zu beweisen, zutraute.

Um das zu begreifen, brauchte man Hadjine nur über das unterjochte Griechenland und die übermenschlichen Anstrengungen reden zu hören, welche dessen Kinder machten, um es zu befreien. Auf diesem Gebiete mußten sich die beiden jungen Leute selbstverständlich in vollständiger Uebereinstimmung begegnen.

Welche erhebenden Stunden verbrachten sie da, wenn sie von diesen Dingen in griechischer Sprache, welche Henry d’Albaret jetzt so geläufig war, wie seine eigne, unter vier Augen sprachen! Wie fühlten sie doppelt die Freude, wenn ein Erfolg auf dem Meere die Unfälle, deren Schauplatz Morea oder Attika war, auszugleichen schien! Henry d’Albaret mußte dann wohl alle Einzelheiten berichten, von den Kämpfen, an denen er selbst Theil genommen, die Namen der Landeskinder und Fremden aufzählen, welche sich in diesen blutigen Schlachten ausgezeichnet hatten, und ebenso die jener Frauen, denen es Hadjine Elizundo, wenn sie sonst frei gewesen wäre, so gern gleich gethan hätte – jene Bobolina, Modena, Zacharias, Kaïdos, ohne die todesmuthige Andronika zu vergessen, welche der junge Officier aus dem Gemetzel von Chaidari gerettet hatte.

Als Henry d’Albaret eines Tages eben den Namen dieser Frau ausgesprochen hatte, machte Elizundo, der das Gespräch mit anhörte, eine Bewegung, welche die Aufmerksamkeit seiner Tochter erweckte.

»Was hast Du, lieber Vater? fragte sie.

– Nichts,« antwortete der Banquier.

Dann wandte er sich an den jungen Officier mit dem Tone eines Mannes, der möglichst gleichgiltig erscheinen will, und fragte:

»Sie haben diese Andronika gekannt?

– Ja, Herr Elizundo.

– Wissen Sie auch, was aus ihr geworden ist?

– Nein, antwortete Henry d’Albaret, ich glaube, sie wird nach dem Kampfe von Chaidari nach Magne zurückgekehrt sein, wo ihre Heimat ist. An einem oder dem anderen Tage hoffe ich sie aber auf dem Kampfplatz in Griechenland wieder erscheinen zu sehen.

– Ja wohl, flüsterte Hadjine hinzu, da wo sie sein muß!«

Niemand fragte Elizundo, warum er diese Erkundigungen über Andronika eingezogen habe, und er würde gewiß auch nur ausweichend geantwortet haben Seiner Tochter, welche mit den Beziehungen des Banquiers wenig bekannt war, fiel es jedoch nicht wenig auf. Sollte vielleicht irgend welche Verbindung existiren zwischen ihrem Vater und jener Andronika, welche sie so sehr bewunderte?

Was den Unabhängigkeitskrieg betraf, so beobachtete Elizundo vollkommene Zurückhaltung. Welchen Theil seine guten Wünsche begleiteten, ob den der Unterdrücker oder den der Unterdrückten, das hätte man nur schwierig sagen können – wenn er überhaupt der Mann dazu war, für irgend Jemand oder irgend eine Sache Wünsche zu hegen. Sicher ist nur das Eine, daß er durch seinen Courier ebensoviele aus der Türkei wie aus Griechenland abgesandte Briefe erhielt.

Wir heben jedoch ausdrücklich hervor, daß Elizundo dem jungen Officier, obgleich dieser für die Sache der Hellenen die Waffen ergriffen, in seinem Hause einen nicht minder freundlichen Empfang zu theil werden ließ.

Henry d’Albaret konnte seinen Aufenthalt jetzt nicht mehr weiter ausdehnen. Da er sich wieder bei Kräften fühlte, war er auch entschlossen, bis zum Ende durchzuführen, was er als seine Pflicht betrachtete. Er sprach davon auch öfters gegen das junge Mädchen.

»Es ist auch in der That Ihre Pflicht! antwortete Hadjine. Wie bitteren Schmerz mir Ihre Abreise auch bereiten wird, Henry, so sehe ich doch ein, daß Sie von Ihren Waffengefährten nicht länger fern bleiben dürfen. So lange Griechenland seine Freiheit nicht voll und ganz zurückerkämpft hat, gilt es eben für dieselbe zu kämpfen!

– Ich werde abreisen, Hadjine, werde bald aufbrechen, sagte eines Tages Henry d’Albaret, doch wenn ich die Gewißheit mit mir nehmen könnte, daß Sie mich ebenso wieder lieben, wie ich Sie…

– Henry, ich habe keinen Grund, die Gefühle zu verhüllen, die Sie mir einflößen, erwiderte Hadjine. Ich bin kein Kind mehr und ich sehe mit dem gebührenden Ernste in die Zukunft. Ich habe Vertrauen zu Ihnen, fügte sie hinzu, ihm die Hand entgegenstreckend, vertrauen Sie nun auch mir! So wie Sie mich hier zurücklassen, so werden Sie mich bei Ihrer Rückkehr wieder finden!«

Henry hatte warm die Hand gedrückt, die ihm Hadjine als Beweis ihrer Empfindungen reichte.

»Ich danke Ihnen von ganzem Herzen! sagte er. Ja, wir gehören einander… schon jetzt! Und wenn unsere Trennung noch so schmerzlich ist, werd‘ ich doch die Gewißheit mitnehmen, von Ihnen geliebt zu sein!… Doch vor meiner Abreise, Hadjine, will ich noch mit Ihrem Vater sprechen!… Ich will die Ueberzeugung haben, daß er unsere Liebe billigt und daß einst von seiner Seite keine Hindernisse zu erwarten sind.

– Daran werden Sie gut thun, Henry, antwortete das junge Mädchen. Holen Sie sich das Jawort, wie Sie das meinige schon haben.«

Henry d’Albaret durfte mit der Verwirklichung dieses Vorhabens nicht lange zögern, denn er war entschlossen, bald unter den Befehl des Obersten Fabvier zurückzukehren.

Leider nahmen die Dinge für die Sache der Unabhängigkeit einen immer ungünstigeren Verlauf. Die Londoner Convention hatte noch keine merkbaren Erfolge gehabt, und man konnte wohl auf die Vermuthung kommen, daß die Mächte sich gegenüber dem Sultan nur auf gute Rathschläge, folglich nur auf eine sehr platonische Einmischung beschränken dürften.

Verblendet durch ihre Erfolge, schienen die Türken nicht im geringsten geneigt, auf ihre Forderungen zu verzichten. Obwohl jetzt zwei Geschwader, ein englisches, geführt von dem Admiral Codrington, und ein französisches, unter dem Befehl des Admirals de Rigny, im Aegäischen Meere kreuzten, und obwohl die griechische Regierung jetzt nach Aegina übergesiedelt war, um dort den Kampf in größerer Sicherheit zu leiten, lieferten die Türken doch unausgesetzt Beweise von einer Hartnäckigkeit, welche sie zu furchtbaren Gegnern machte.

Das begreift sich übrigens, wenn man bedenkt, daß der Hafen von Navarin seit dem 7. September eine Flotte von zweiundneunzig ottomanischen, ägyptischen und tunesischen Schiffen aufgenommen hatte. Diese Flotte überbrachte hierher ein ungeheures Kriegsmaterial, welches Ibrahim zu einer, von ihm vorbereiteten Expedition gegen die Hydrioten benutzen wollte.

Gerade in Hydra hatte Henry d’Albaret beschlossen, sich der Schaar der Freiwilligen wieder anzuschließen. Diese am Ende von Argolis gelegene Insel ist eine der reichsten des ganzen Archipels. Nachdem dieselbe mit Blut und mit Geld so viel gethan für die Sache der Hellenen, welche die kühnen Seeleute Tombasis, Miaulis Tsamados und Andere vertheidigten, die die türkischen Capitäne vor Allen fürchteten, sah sie sich jetzt von der schrecklichsten Wiedervergeltung bedroht.

Henry d’Albaret durfte also nicht zögern, Korfu zu verlassen, wenn er auf Hydra den Söldnern Ibrahim’s noch zuvorkommen wollte. So wurde denn seine Abreise endgiltig auf den 21. October festgesetzt.

Einige Tage vorher fand sich der junge Officier, wie verabredet, bei Elizundo ein und bat um die Hand seiner Tochter. Er verhehlte ihm nicht, daß auch Hadjine sich glücklich fühlen würde, wenn er seinem Gesuche willfahre. Uebrigens handelte es sich vorläufig nur um seine Zustimmung, da an eine Vermählung erst nach der Rückkehr Henry d’Albaret’s zu denken war. Seine Abwesenheit sollte indeß aller Voraussicht nach nicht allzulange währen.

Der Banquier kannte die Verhältnisse des jungen Officiers, den Bestand seines Vermögens, die hohe Achtung, deren seine Familie sich in Frankreich erfreute. Nach dieser Seite brauchte er von ihm also keine weiteren Erklärungen zu verlangen. Was ihn selbst anging, so war auch seine Ehrenhaftigkeit niemals angezweifelt, und nie hatte sich über sein Haus ein ungünstiges Licht verbreitet. Da ihm Henry d’Albaret über seine Vermögensverhältnisse nicht sprach, bewahrte er auch Stillschweigen über die seinigen. Den Antrag selbst betreffend, antwortete er, daß ihm derselbe angenehm sei.

Diese Verbindung werde ihn nur glücklich machen können, da sie das Glück seiner Tochter gewährleiste.

Alles das wurde sehr kühl besprochen, die Hauptsache blieb jedoch, daß es überhaupt der Fall war. Henry d’Albaret besaß nun das Wort Elizundo’s, und als Belohnung dafür erhielt der Banquier von seiner Tochter den heißesten Dank, den er jedoch mit gewohnter Zurückhaltung entgegennahm.

Alles schien sich also zur größten Befriedigung der jungen Leute zu gestalten, und, es verdient das bemerkt zu werden, auch zu der des getreuen Xaris. Dieser vortreffliche Mann weinte fast wie ein Kind und hätte am liebsten den jungen Officier an die Brust gedrückt.

Henry d’Albaret blieb indeß nur wenig Zeit noch übrig, bei Hadjine Elizundo zu verweilen. Er hatte sich auf einer levantinischen Brigg einen Platz gesichert, und diese Brigg sollte Korfu mit der Bestimmung nach Hydra am 21. d. Mts. verlassen.

Wie sich die letzten Tage gestalteten, die er in dem Hause der Strada Reale verlebte, das bedarf wohl keiner eingehenden Schilderung.

Henry d’Albaret und Hadjine verließen sich kaum eine Stunde. Plaudernd saßen sie in dem niederen Saale des Erdgeschosses der düsteren Wohnung. Der Adel ihrer Empfindungen verlieh diesen Unterhaltungen einen eigenen Reiz, der den sonst ernsten Ton derselben wohlthätig milderte. Sie sagten sich, daß die Zukunft doch ihnen gehöre, wenn ihnen die Gegenwart auch sozusagen entfliehe. Dieser Gegenwart wollten sie also muthig in’s Auge blicken. Beide erwogen ebenso die günstigen wie die ungünstigen Aussichten, aber ohne Entmuthigung, ohne Schwäche. Und wenn sie so sprachen, begeisterten sie sich nur mehr und mehr für die Sache, der Henry d’Albaret sich von Neuem zu widmen im Begriffe stand.

Eines Abends, am 20. October, sagten sie sich das zum letzten Male, wenn auch mit etwas mehr Erregung als sonst. Am folgenden Tage sollte der junge Officier wieder nach dem Kriegsschauplatze abreisen.

Plötzlich stürmte Xaris in den Saal. Er konnte nicht sprechen; er keuchte, so schnell war er gelaufen. Binnen wenigen Minuten hatten ihn seine kräftigen Beine durch die ganze Stadt, von der Citadelle bis zum Ende der Strada Reale hergetragen.

»Nun, was willst Du?… Was hast Du, Xaris? Warum diese Aufregung? fragte Hadjine.

– Ich habe… ich bringe… eine Neuigkeit!… Eine wichtige… eine große Neuigkeit!

– So sprich doch… sprich… Xaris! drängte ihn jetzt Henry d’Albaret, der nicht wußte, ob er eine freudige oder eine betrübende Nachricht hören sollte.

– Ich kann nicht!… Ich kann nicht! antwortete Xaris, der vor Erregung fast zu ersticken schien.

– Handelt sich’s denn um eine Kriegsnachricht? fragte das Mädchen, ihn an der Hand ergreifend.

– Ja… ja!

– So rede doch! wiederholte sie. Rede doch, mein wackerer Xaris!

– Was ist denn geschehen?

– Die Türken… heute geschlagen… bei Navarin!«

So vernahmen Henry d’Albaret und Hadjine die Neuigkeit von der Seeschlacht am 20. October.

Durch den Lärm beim Hereinstürmen Xaris‘ herbeigelockt, betrat eben auch der Banquier Elizundo den Saal. Als er erfuhr, um was es sich handle, preßten sich unwillkürlich seine Lippen aufeinander, seine Stirn runzelte sich, aber er gab weder ein Zeichen von Befriedigung noch von Mißvergnügen zu erkennen, während die beiden jungen Leute den überströmenden Gefühlen ihrer Herzen freien Lauf ließen.

Die Nachricht von der Schlacht bei Navarin war eben in Korfu eingetroffen. Kaum hatte sie sich in der ganzen Stadt verbreitet, so kannte man auch schon viele Einzelheiten derselben, welche durch die optischen Telegraphen von der albanesischen Küste her übermittelt worden waren.

Das englische und das französische Geschwader, dem sich auch noch ein russisches angeschlossen hatte, zusammen siebenundzwanzig Schiffe mit zwölfhundert sechsundsiebenzig Kanonen, hatten die ottomanische Flotte angegriffen, indem sie sich gewaltsam einen Weg durch den Eingang des Golfes von Navarin öffneten.

Obwohl die Türken in der Uebermacht waren, denn sie hatten sechzig Schiffe jeder Größe, ausgerüstet mit neunzehnhundertvierundneunzig Kanonen zur Hand, mußten sie doch gründlich unterliegen. Mehrere Schiffe derselben wurden in den Grund geschossen, andere sprangen mit einer großen Anzahl von Officieren und Mannschaften in die Luft. Ibrahim konnte von der Seemacht des Sultans also nicht erwarten, ihn bei seinem Zuge gegen Hydra zu unterstützen.

Hiermit hatte sich eine höchst entscheidende Thatsache vollzogen; von diesem Zeitpunkte an nahm die Sache Griechenlands eine neue, bessere Wendung.

Wenn die drei Mächte auch im Voraus darüber einig waren, ihren Sieg nicht bis zu einer völligen Vernichtung der Pforte auszunützen, so schien es doch ausgemacht, daß sie dem Wunsche zustimmten, das Land der Hellenen der ottomanischen Gewalt zu entreißen, und ebenso gewiß, daß sie nach kürzerer oder längerer Zeit die volle Selbständigkeit des neuen Königreichs anerkennen würden.

Derlei Anschauungen herrschten auch im Hause des Banquiers Elizundo. Hadjine, Henry d’Albaret und Xaris hatten vor Freude in die Hände geklatscht, und ihr Jubel fand ein Echo in der ganzen Stadt. Die Unabhängigkeit war es, was der eherne Mund der Kanonen vor Navarin verkündet hatte.

Durch diesen Seesieg der alliirten Mächte wurden die Absichten des jungen Officiers zunächst tiefgreifend beeinflußt. Die türkische Seemacht war durch jene so gut wie aus der Welt geschafft. Ibrahim mußte in Folge dessen darauf verzichten, den gegen Hydra geplanten Feldzug auszuführen. In der That war von einem solchen auch nicht weiter die Rede.

Das zog denn folgerichtig eine Aenderung der Projecte Henry d’Albaret’s, wie er diese vor dem 20. October aufgestellt hatte, nach sich. Zunächst erschien es nicht mehr nothwendig zu den Freiwilligen zu stoßen, welche den Hydrioten schon zu Hilfe geeilt waren. Er beschloß demnach, in Korfu zunächst die Ereignisse abzuwarten, welche sich als natürliche Folgen der Schlacht von Navarin ergeben würden.

Auf jeden Fall konnte das Schicksal Griechenlands jetzt nicht mehr zweifelhaft sein. Europa würde seine Vernichtung nicht zugeben. Binnen kurzem mußte der Halbmond auf der ganzen Hellenischen Halbinsel der Fahne der Unabhängigkeit Platz gemacht haben. Und selbst Ibrahim, der sich jetzt schon darauf beschränkt sah, das Centrum und die Küstenstädte des Peloponnes unter seiner Gewalt zu halten, würde sich endlich gezwungen sehen, dieselben zu verlassen.

Henry d’Albaret wußte zunächst nicht, nach welchem Punkte der Halbinsel er sich wenden sollte. Zwar bereitete sich der Oberst Fabvier gewiß vor, von Mitylená aufzubrechen, um die Türken auf der Insel Scio zu bekämpfen; seine Vorbereitungen aber waren noch nicht vollendet und nahmen gewiß noch einige Zeit in Anspruch. Unter diesen Verhältnissen wäre also eine übereilte Abreise mindestens zwecklos gewesen. In dieser Weise beurtheilte der junge Officier die Sachlage, und Hadjine stimmte mit ihm darin völlig überein. Damit fiel auch jeder Grund weg, die Vermählung weiter aufzuschieben, vorzüglich da Elizundo selbst gegen die Beschleunigung derselben nichts einzuwenden hatte. In Folge dessen wurde dieselbe nach zehn Tagen, das heißt gegen Ende des Monats October, in Aussicht genommen.

Wir brauchen wohl nicht dabei zu verweilen, welche Empfindung die Annäherung ihrer Vereinigung in den Herzen der beiden Verlobten erweckte. Nun war von keinem Aufbruche zu diesem Kriege, in dem Henry d’Albaret doch das Leben hätte einbüßen können, mehr die Rede; nichts mehr von jenem schmerzlichen Harren, während dessen Hadjine Tage und Stunden gezählt hätte. Wenn überhaupt möglich, war Xaris der Allerglücklichste im ganzen Hause. Selbst wenn es sich um seine eigene Heirat gehandelt hätte, würde er seine Freude nicht ausdrucksvoller haben zu erkennen geben können. Trotz seiner gewohnten Zugeknöpftheit zeigte selbst der Banquier eine vollständige Befriedigung – die Zukunft seiner Tochter war ja gesichert.

Man kam dahin überein, daß Alles möglichst geheim gehalten werden sollte, da es doch zwecklos schien, die ganze Stadt zu der bevorstehenden Ceremonie einzuladen. Weder Hadjine noch Henry d’Albaret gehörten zu den Leuten, die für ihr Glück möglichst viele Zeugen brauchen. Immerhin verlangte die Hochzeit doch einige Vorbereitungen, und diese wurden sofort eifrig in Angriff genommen.

Jetzt war es der 23. October; es fehlten also nur noch sieben Tage bis zur Feier der Vermählung, und es schien nicht so, als ob noch irgend ein Hinderniß zu erwarten, irgend eine Verzögerung zu fürchten wäre. Und doch sollte sich noch etwas ereignen, was Hadjine und Henry d’Albaret lebhaft beunruhigt haben müßte, wenn sie davon Kenntniß gehabt hätten.

An genanntem Tage fand Elizundo unter seinen Postsendungen einen Brief, dessen Inhalt ihn wie ein Donnerschlag traf. Er zitterte, zerriß und verbrannte denselben – was bei einem Manne, der sich sonst so sehr zu beherrschen vermochte, wie der Banquier, auf eine sehr tiefe Erregung hindeutete.

Ein Lauscher hätte ihn können die Worte murmeln hören:

»Warum konnte dieser Brief nicht acht Tage später eintreffen! Verwünscht die Hand, die ihn geschrieben hat!«

Fünftes Capitel


Fünftes Capitel

Die messenische Küste.

Nachdem die »Karysta« Vitylo verlassen, segelte sie die ganze Nacht hindurch in südwestlicher Richtung, um schräg durch den Golf von Coron zu gelangen. Nicolas Starkos hatte sich in seine Cabine verfügt, aus der er vor Anbruch des Tages nicht wieder hervorkommen sollte.

Der Wind war günstig – eine jener frischen Südost-Brisen, welche über diesen Meeren zu Ende des Sommers und zu Anfang des Frühlings, wenn sich die Dunstmassen des Mittelmeeres zur Zeit der Tag- und Nachtgleichen in Regen auflösen, vorwiegend herrschen.

Gegen Morgen wurde das Cap Gallo am untersten Ende Messeniens umschifft, und die höchsten Gipfel des Taygetos, welche dessen steile Abhänge überragen, verschwammen bald in dem Morgendufte bei Aufgang der Sonne.

Als man an der Spitze des Caps vorübergekommen, erschien Nicolas Starkos wieder auf dem Deck der Sacoleve. Sein erster Blick schweifte nach Osten. Das Land von Magne war nicht mehr sichtbar. Nach der Seite desselben hin erhoben sich jetzt die mächtigen Ausläufer des Hagios-Dimitrios-Berges, ein wenig nach rückwärts von jenem Vorgebirge.

Einen Augenblick lang streckte sich der Arm des Capitäns in der Richtung nach Magne hin aus. Niemand hätte sagen können, ob er mit dieser Bewegung eine Drohung oder ein der Heimat zugesendetes letztes Lebewohl ausdrücken wollte; der Blick freilich, mit dem er dieselbe begleitete, versprach nicht viel Gutes.

Unter dem Drucke ihrer Raa- und ihrer lateinischen Segel wendete sich die Sacoleve mit Steuerbordhalsen jetzt nach Nordwesten. Da der Wind vom Lande herwehte, boten sich ihr die günstigsten Bedingungen zu schnellem Vorwärtskommen.

Die »Karysta« ließ die Inseln Oenusses, Cabrera, Sapienza und Venetico zur Linken und steuerte geraden Weges durch die Wasserstraße, welche Sapienza vom Festlande trennt, um in Sicht von Modon zu gelangen.

Vor derselben entrollte sich nun die messenische Küste mit ihrem herrlichen Gebirgspanorama, welches deutlich einen vulkanischen Charakter zeigt. Dieses Messenien war nach endgiltiger Wiederaufrichtung des Königreichs bestimmt, eine der dreizehn Nomachien (Regierungsbezirke) zu bilden, aus denen das neue Griechenland nach dem Wiederanschlusse der Ionischen Inseln besteht. Zu jener Zeit bildete es freilich nur einen der zahlreichen Schauplätze des Kampfes, der sich je nach den Erfolgen der Heereshaufen einmal in den Händen Ibrahim’s und dann wieder in denen der Griechen befand, wie es früher der Schauplatz der drei messenischen, gegen die Spartaner geführten Kriege war, aus denen die Namen eines Aristomenes und eines Epaminondas besonders glänzend hervorleuchten.

Ohne nur ein Wort zu äußern, setzte sich Nicolas Starkos, nachdem er mit Hilfe des Compasses den Curs der Sacoleve bestimmt und den Zustand der Witterung beobachtet hatte, auf dem Hinterdeck ruhig nieder.

Inzwischen wurden auf dem Verdeck der »Karysta« zwischen der alten Mannschaft derselben und den in Vitylo neu angeworbenen Leuten mancherlei Gespräche geführt. Es waren im Ganzen einige zwanzig Mann unter einem Hochbootsmann, der sie nach den Anordnungen des Capitäns befehligte. Der zweite Officier der Sacoleve befand sich nämlich nicht an Bord.

Meist drehten sich die Gespräche natürlich um den Curs, den die »Karysta«, welche immer längs der Küsten Griechenlands hinfuhr, einschlagen werde. Die Fragen gingen dabei selbstverständlich von den Neulingen, die Antworten von den Leuten der alten Besatzung aus.

»Er spricht nicht gerade viel, der Capitän Starkos!

– So selten als möglich; aber wenn er spricht, hat’s auch Sinn und Verstand, dann gilt es, ihm zu gehorchen.

– Und wohin geht die »Karysta?«

– Niemand weiß woher, wohin sie segelt.

– Zum Teufel auch! Wir haben uns auf Treu‘ und Glauben anwerben lassen, und es kommt darauf eigentlich also gar nichts an!

– Richtig; und Ihr könnt Euch darauf verlassen, daß der Capitän uns nur dahin führt, wo eine Nothwendigkeit dafür vorliegt.

– Mit den beiden kleinen Caronaden des Vordercastells kann die »Karysta« aber doch nimmermehr wagen, auf Handelsschiffe des Archipels Jagd zu machen?

– Sie ist auch gar nicht zur Seeräuberei bestimmt. Der Capitän Starkos hat noch andere, wohl bewaffnete und zur Caperei ausgerüstete Schiffe. Die »Karysta« ist sozusagen nur seine Lustyacht. Ihr seht ja auch, welch‘ unschuldiges Aussehen sie hat, ganz geeignet, die englischen, französischen, griechischen und türkischen Kreuzer zu täuschen.

– Aber den Beuteantheil…

– Den erhalten Diejenigen, welche Beute machen, und Ihr werdet auch dazu gehören, wenn die Sacoleve ihren Zug erst beendigt hat. Ihr werdet die Hände schon nicht in den Schoß zu legen haben, und wenn dabei Gefahr ist, so entspricht dem doch auch der Lohn.

– Also ist in den Nachbarmeeren Griechenlands und der Inseln jetzt gar nichts zu thun?

– Nichts… ebensowenig im Adriatischen Meere, wenn’s dem Capitän einfiele, uns nach diesem hin zu führen. Bis auf weiteren Befehl sind wir vorläufig also höchst ehrbare Seeleute auf der ebenso ehrbaren Sacoleve, welche in voller Unschuld auf dem Ionischen Meere schaukelt. Doch das wird sich ändern!

– Und je eher es geschieht desto besser!«

Der Leser ersieht hieraus, daß die Neuangeworbenen ganz wie die älteren Mannschaften der »Karysta« nicht die Leute dazu waren, vor irgend einer Aufgabe, mochte diese sein, welche sie wollte, zurückzuschrecken. Nach Scrupeln, Gewissensbissen, ja, nur nach einfachen Bedenken brauchte man bei der ganzen seefahrenden Bevölkerung von Magne überhaupt nicht zu suchen. In der That, sie waren dessen, der sie befehligte, vollkommen würdig, und dieser wußte auch, daß er auf sie zählen konnte.

Wenn die Vityliner aber auch den Capitän Starkos kannten, so kannten sie doch nicht seinen zweiten Officier, der gleichzeitig Seeofficier und Geschäftsmann war – mit einem Worte, seinen ihm mit Leib und Seele verbundenen Helfershelfer. Es war das ein gewisser Skopelo, gebürtig aus Cerigotto, einer kleinen übelberüchtigten Insel an der südlichen Grenze des Archipels zwischen Cerigo und Kreta. Einer der Neuangeworbenen wendete sich deshalb an den Hochbootsmann.

»Und der zweite Officier? fragte er.

– Der zweite Officier ist nicht an Bord, lautete die Antwort.

– Wir werden ihn gar nicht zu sehen bekommen?

– Doch.

– Und wann?

– Wenn sein Erscheinen nothwendig ist.

– Doch wo ist er?

– Wo er sein muß!«

Mit dieser Erwiderung, welche gar nichts sagte, mußten sich die Leute zufrieden geben. Eben ertönte auch die Pfeife des Hochbootsmanns, welche alle Mann zum Nachziehen der Schoten aufrief, und damit fanden die Gespräche auf dem Vorderdeck ein plötzliches Ende.

Es galt jetzt nämlich, ein wenig gegen den Wind anzuluven, um in der Entfernung einer Meile längs der messenischen Küste hinzusegeln. Gegen Mittag kam die »Karysta« in Sicht von Modon vorüber; das war jedoch ihr Bestimmungsort nicht. Sie sollte also auch nicht bei der kleinen, auf den Ruinen des alten Methone erbauten Stadt vor Anker gehen, welche auf dem Ende eines nach der Insel Sapienza gerichteten Vorgebirges liegt. Hinter einer scharfen Ecke der steilen, steinigen Uferwand verschwand auch bald der Leuchtthurm, der sich am Eingange des wenig besuchten Hafens erhebt.

Vom Bord der Sacoleve war inzwischen ein Signal gegeben worden. Ein schwarzer Wimpel mit blutrothem Halbmond darin stieg nach dem Ende der großen Raa hinaus. Vom Lande her erfolgte keine Antwort, deshalb wurde der Weg nach Norden weiter fortgesetzt.

Gegen Abend erreichte die »Karysta« den Eingang der Rhede von Navarin, eine Art Salzsee, der von einem Rahmen hoher Berge umkränzt ist. Einen Augenblick lang war die Stadt, überragt von dem Mauerwerk ihrer Citadelle, durch das Thor eines gewaltigen Felsens sichtbar. Hier befand sich das Ende des natürlichen Hafendammes, der die Wuth der Nordweststürme bricht, welche aus dem langen Schlauche des Adriatischen Meeres über das Ionische Meer dahinbrausen.

Noch vergoldete die untergehende Sonne die Gipfel der letzten Höhen im Osten; auf der geräumigen Rhede herrschte dagegen schon tiefes Dunkel.

Dieses Mal hätte die Besatzung glauben können, die »Karysta« werde in Navarin an’s Land gehen. Sie segelte geraden Weges nach der Meerenge von Megalo-Thuro im Süden der kleinen Insel Sphacteria, welche sich etwa viertausend Meter weit hin erstreckt. Hier erhoben sich schon zwei, zu Ehren edler Opfer des Krieges errichtete Gräber, das des französischen Capitäns Mallet, der 1825 den Heldentod fand, und im Grunde einer Grotte das des Grafen Santa Rosa, eines italienischen Philhellenen und früheren Ministers von Piemont, der in demselben Jahre für die nämliche Sache fiel.

Als die Sacoleve nur noch zehn Fadenlängen von der Stadt entfernt war, legte sie sich quer mit dem Klüver im Winde. Am Ende der großen Raa stieg jetzt eine rothe Laterne, wie vorher der schwarze Wimpel, empor. Auch auf dieses Signal erfolgte keine Antwort.

Die »Karysta« hatte also nichts zu thun auf dieser Rhede, welche jetzt eine sehr große Anzahl türkischer Schiffe belebte. Sie manövrirte also in der Weise, um an der weißen, ziemlich in der Mitte gelegenen Insel Kuloneski vorüberzukommen. Dann wurden auf Commando des Steuermanns die Schoten ein wenig nachgelassen und das Ruder nach Steuerbord umgelegt, wodurch das Schiff sich wieder dem Strande von Sphacteria näherte.

Auf jener Insel Kuloneski waren zu Anfang des Krieges im Jahre 1823 mehrere hundert Türken von den Griechen überrascht und gefangen genommen worden, und hier starben sie eines elenden Hungertodes, obgleich sie sich nur auf das Versprechen hin ergeben hatten, daß sie nach ottomanischem Boden übergeführt würden.

Später, als Ibrahim im Jahre 1825 Sphacteria angriff, welches Maurocordato persönlich vertheidigte, wurden hier zur Wiedervergeltung nicht weniger als achthundert Griechen erbarmungslos niedergemetzelt.

Die Sacoleve wandte sich also nach der Straße von Sikia, welche im Norden der Insel, zwischen ihrer Nordspitze und dem Vorgebirge Coryphasion, eine Breite von nur zweihundert Metern hat. Wer sich in diesen Canal wagt, muß denselben sehr genau kennen, denn er ist fast unbrauchbar für Schiffe, welche einen einigermaßen größeren Tiefgang haben.

Nicolas Starkos aber glitt sicher, wie ihn nur der beste Lootse der Rhede geführt haben könnte, an den zerrissenen Felsen der Inselspitze vorüber und segelte um das Vorgebirge Coryphasion. Als er dann draußen im freien Wasser mehrere Geschwader ankommen sah – etwa dreißig englische, französische und russische Schiffe – ging er diesen klüglich aus dem Wege und hielt sich die Nacht über längs der messenischen Küste, glitt zwischen dem Festlande und der Insel Prodana hin, und mit anbrechendem Morgen folgte die Sacoleve, unterstützt von frischer Südostbrise, den Einbuchtungen des Küstenlandes auf den friedlichen Gewässern des Golfs von Arkadia.

Jetzt stieg die Sonne über den Gipfel des Ithome empor, von dem aus das Auge, nachdem es die Lage des alten Messene umfaßt, sich nach der einen Seite in dem Golfe von Coron und auf der anderen Seite in dem Golfe verliert, dem die Stadt Arkadia den Namen gegeben hat. Auf weite Flächen hin, welche die Brise mit den ersten Strahlen der Sonne leicht kräuselte, leuchtete das Meer in wundervollem Glanze.

Von Tagesanbruch an manövrirte Nicolas Starkos so, daß er möglichst nahe in Sicht der Stadt vorüberkam, welche in einer der, hier eine weite offene Rhede bildenden Einsenkungen der Küste lag.

Gegen zehn Uhr erschien der Obersteuermann der Sacoleve auf dem Hinterdeck derselben und nahm, als erwarte er einen Befehl, neben dem Capitän Stellung.

Jetzt zeigte sich dem Blicke die ganze ungeheure Linie der Gebirge von Arkadien im Osten. Inmitten dichter Wälder von Oliven, Mandelbäumen und Weingeländen verlorene Dörfer, glitzernde Bäche, die nach irgend einer größeren Wasserader murmelnd hinunterrauschten und da und dort zwischen Myrthen- und Olivengebüsch sichtbar wurden. Ferner auf allen Höhen, und zwar nach allen Himmelsrichtungen, auf jeder Seite derselben jene berühmten Weinstöcke von Korinth, welche keinen Zoll breit Boden frei ließen; darunter auf den ersten Hügelterrassen die rothen Häuser der Stadt, welche großen Stücken auf einem Hintergrunde von Cypressen ausgebreiteten Flaggentuchs glichen, so entrollte sich dem Beschauer das prächtige Panorama einer der malerischesten Küstenstrecken des Peloponnes.

Bei weiterer Annäherung an Arkadia, das alte Kyparissia, zur Zeit des Epaminondas der Haupthafen Messeniens, später, nach den Kreuzzügen, eines der Lehen des Franzosen Ville Hardouin, bot dasselbe freilich einen ziemlich trostlosen Anblick, der Jeden schmerzlich berühren muß, welchem noch Achtung vor großen historischen Erinnerungen innewohnt.

Vor nun zwei Jahren hatte Ibrahim nämlich die Stadt verwüstet und alle Kinder, Frauen und Greise in derselben hingemordet. Jetzt lag das auf der Stelle des alten Akropolis erbaute Schloß in Ruinen, in Ruinen auch ihre Kirche zum heiligen Georg, welche fanatische Muselmanen zerstört hatten, ebenso wie die meisten Wohnhäuser und öffentlichen Gebäude.

»Da sieht man, daß unsere Freunde, die Aegypter, hier gehaust haben! murmelte Nicolas Starkos, in dessen Herzen sich gegenüber diesem Bilde entsetzlicher Zerstörung keine Faser regte.

– Und jetzt sind die Türken Herren des Platzes, antwortete der Obersteuermann.

– Ja… für lange Zeit… und sogar, wir wollen es wenigstens hoffen, für immer, setzte der Capitän hinzu.

– Soll die »Karysta« hier anlegen oder segeln wir vorüber?«

Nicolas Starkos betrachtete aufmerksam den Hafen, von dem er nur wenige Kabellängen entfernt war. Dann richteten sich seine Blicke auf die, eine Meile weiter rückwärts, auf einem Ausläufer des Psykhro-Berges liegende Stadt selbst. Er schien unentschlossen, was er thun solle, und zweifelte also, ob er am Molo von Arkadia vor Anker gehen oder wieder in die offene See hinauslaufen solle.

Der Obersteuermann wartete noch immer auf die Beantwortung seiner an den Capitän gerichteten Frage.

»Gebt das Signal!« befahl endlich Nicolas Starkos.

Der rothe Wimpel mit dem silbernen Halbmond wurde wieder am Ende der Großraa gehißt und flatterte bald in der Luft.

Wenige Minuten später stieg ein ganz ähnlicher Wimpel auf der Spitze eines am Eingange des Hafens errichteten Mastes empor.

»An’s Land gehen!« rief der Capitän.

Das Steuer wurde umgelegt und die Sacoleve wendete nach dem Hafen zu. Nachdem dessen engerer Eingang passirt war, lief das Schiff rasch weiter. Dann erst wurden die Focksegel gereeft, nachher das Großsegel, und die »Karysta« glitt ruhig und langsam durch die Fahrstraße hin, ja, sie wäre schon ohne Beihilfe eines Segels bis in die Mitte des Canals gelangt. Hier ließ sie den Anker sinken, und die Matrosen beschäftigten sich mit den verschiedenen Manövern, welche eine Landung mit sich führt. Sobald das Fahrzeug stand, wurde auch schon ein Boot herabgelassen, in dem der Capitän sich einschiffte. Getrieben von vier Rudern, stieß dasselbe bald an eine kleine, aus dem steinernen Hafendamme ausgesparte Treppe. Dort wartete schon ein Mann, der den Capitän willkommen hieß, mit den Worten:

»Skopelo harrt der Befehle Nicolas Starkos‘!«

Eine vertrauliche Handbewegung bildete die einzige Antwort des Capitäns. Er ging voraus und stieg den Hügelabhang empor, um die ersten Häuser der Stadt zu erreichen. Nachdem er die von der letzten Belagerung herrührenden Ruinen inmitten der von türkischen und arabischen Soldaten vollgestopften Gassen durchschritten, blieb er vor einem ziemlich wohlerhaltenen Gasthofe, dessen Schild einen Minervakopf zeigte, einen Augenblick stehen und trat dann, gefolgt von seinem Begleiter, daselbst ein.

Eine Minute später hatten sich der Capitän Starkos und Skopelo in einem Zimmer niedergelassen und vor ihnen stand eine Flasche Raki, das ist ein starker, aus Goldwurz gezogener Branntwein. Aus hellem, wohlriechendem Tabak von Missolunghi wurden Cigarretten gerollt, angezündet und geraucht, dann erst begann ein Gespräch zwischen beiden Männern, deren Einer sichtlich den ergebenen Diener des Anderen zu spielen schien.

Skopelo hatte eine gemeine, vorsichtige, aber jedenfalls verschmitzte Physiognomie. Er zählte jetzt fünfzig Jahre, erschien aber auf den ersten Blick unbedingt noch älter. Sein Gesicht glich etwa dem eines Pfandleihers, zeigte kleine, falsche aber lebhafte Augen, eine gebogene Nase, die Hände hakenartig gekrümmte Finger; dazu hatte er sehr große Füße, auf welche man hätte anwenden können, was man von den Füßen der Albanesen sagt: »Wenn die große Zehe in Macedonien ist, steht die Ferse noch in Böotien«. Das runde Gesicht zeigte keinen Schnurrbart, sondern nur einen fast grauen Ziegenbart am Kinn. Der stark entwickelte Kopf war auf der Schädelwölbung schon kahl, der Körper mager und die Gestalt nur von mittlerer Größe.

Dieser Typus eines arabischen Juden, doch eines solchen von christlicher Herkunft, trug sehr einfache Kleidung, nämlich Weste und Jacke nach Art der levantinischen Matrosen, die sich unter einem weiteren Ueberrock verbargen.

Skopelo war ganz der geeignete Geschäftsmann, wie ihn die Piraten des Archipels zur Wahrnehmung ihrer Interessen brauchten; er erwies sich höchst geschickt, jede Art Beute zu verwerthen, ebenso wie bezüglich des Verkaufs der nach den türkischen Märkten gelieferten Gefangenen, welche nach den Barbareskenstaaten übergeführt wurden.

Welcher Art das Gespräch zwischen Nicolas Starkos und Skopelo war, um welche Gegenstände sich dasselbe handelte, die Anschauungsweise, welche Beide bezüglich der letzten Kriegsereignisse an den Tag legten, wie der Vortheil, den sie daraus zu ziehen gedachten, alles das könnte man wohl leicht genug errathen.

»Wie steht’s in Griechenland? fragte der Capitän.

– Etwa ebenso wie zur Zeit als Sie es verließen, antwortete Skopelo. Die »Karysta« kreuzt ja wohl nun länger als einen Monat an den Küsten von Tripolis, und wahrscheinlich haben Sie seit Ihrer Abfahrt nur sehr wenig neuere Nachrichten erhalten.

– In der That gar keine.

– So muß ich Ihnen zunächst mittheilen, Capitän, daß die türkischen Schiffe bereit liegen, Ibrahim und seine Heeresmacht nach Hydra zu befördern.

– Ja, erwiderte Nicolas Starkos. Ich habe dieselben gestern Abend beim Passiren der Rhede von Navarin selbst gesehen.

– Und Sie sind, seit Ihrer Abfahrt von Tripolis, in keinem Hafen angelaufen? fragte Skopelo.

– Doch… ein einziges Mal. Ich habe mich einige Stunden in Vitylo aufgehalten… um meine Mannschaft zu ergänzen. Seitdem ich aber die Küste von Magne verließ, erhielt ich vor dem Eintreffen hier in Arkadien nirgends Antwort auf mein Signal.

– Der Beweis, daß kein Grund dazu vorgelegen hat, erwiderte Skopelo.

– Sage mir, fuhr Nicolas Starkos fort, was machen jetzt wohl Miaulis und Canaris?

– Sie haben sich darauf beschränkt, Capitän, gelegentlich Handstreiche auszuführen, welche ihnen nur vorübergehende Erfolge, nie einen entscheidenden Sieg sichern können. Seitdem dieselben auf türkische Schiffe Jagd machen, haben die Piraten im ganzen Archipel leichtes Spiel.

– Und spricht man noch immer von…?

– Von Sacratif? antwortete Skopelo mit etwas gedämpfter Stimme. Ja… überall… und immer, Nicolas Starkos, und es wird nur von ihm abhängen, noch etwas mehr von sich reden zu machen

– Das wird geschehen!«

Nicolas Starkos hatte sich, als er sein Glas geleert, das Skopelo wieder gefüllt hatte, erhoben. Er ging etwas unstät hin und her, blieb dann mit gekreuzten Armen vor dem Fenster stehen und horchte auf den urwüchsigen Gesang türkischer Soldaten, der von der Ferne her ertönte.

Endlich setzte er sich Skopelo gegenüber wieder an den Tisch und wechselte ohne jeden Uebergang das Thema ihres Gesprächs.

»Ich habe aus Deinem Signal entnommen, daß Du hier eine Ladung Gefangener hast? fragte er.

– Ja, Nicolas Starkos, und zwar so viele, um ein Schiff von vierhundert Tonnen damit zu füllen. Es sind Alle, die von dem Gemetzel nach der Niederlage bei Cremmydi übrig geblieben sind. Herrgott, die Türken haben ihrer diesmal fast etwas zu viele nieder gemacht; wenn man sie hätte gewähren lassen, wäre nicht ein einziger Gefangener übrig geblieben.

– Es sind Männer und Frauen?…

– Ja, auch Kinder… Alles durcheinander.

– Wo stecken sie?

– In der Citadelle von Arkadia.

– Du hast sie wohl sehr theuer bezahlt?

– Hm, der Pascha zeigt sich eben nicht sehr entgegenkommend, antwortete Skopelo. Er meint, der Unabhängigkeitskampf nähere sich dem Ende… leider! Ohne Krieg keine Schlacht, ohne Schlacht keine Razzias, wie man da unten in der Barbarei sagt, und ohne Razzias keine menschliche oder andere Handelswaare mehr. Wenn die Gefangenen aber selten werden, steigen sie natürlich im Preise, Capitän! Ich weiß aus guter Quelle, daß es auf den Märkten Afrikas jetzt an Sclaven mangelt, und wir werden diese hier für vortheilhafte Preise verkaufen.

– Mag sein, antwortete Nicolas Starkos. Ist Alles in Ordnung und kannst Du Dich an Bord der »Karysta« einschiffen?

– Alles ist fertig und es hält mich nichts mehr hier zurück.

– Gut, Skopelo. Binnen acht bis höchstens zehn Tagen wird das Schiff, welches in Scarpanto segelklar liegt, diese Ladung einnehmen. Man wird sie doch, ohne Schwierigkeiten zu erheben, ausliefern?

– Ohne jede Schwierigkeit, das ist abgemacht, versicherte Skopelo, aber selbstverständlich nur gegen Zahlung. Ihr werdet Euch also vorher mit dem Banquier Elizundo in’s Einvernehmen setzen müssen, daß er unsere Wechsel acceptirt. Seine Unterschrift ist gut, und Papiere von ihm wird der Pascha ebenso anstandslos annehmen, als wär‘ es klingende Münze.

– Ich werde Elizundo brieflich benachrichtigen, daß ich baldigst in Korfu eintreffe, um diese Angelegenheit mit ihm zu ordnen…

– Diese Angelegenheit… und eine andere nicht minder wichtige, Nicolas Starkos! fiel Skopelo ein.

– Vielleicht!… antwortete der Capitän.

– Wahrhaftig, das wäre nicht mehr als gerecht! Elizundo ist reich… außerordentlich reich, sagt man… Wer anders hat ihn denn so reich gemacht, als der Handel mit uns… als wir… und das auf die Gefahr hin, am Ende einer Großmastraa aufgeknüpft zu werden, wenn der Bootsmannsmaat in die Pfeife bläst? Ja, bei den jetzigen Zeitläuften war’s ein gutes Ding, Banquier der Seeräuber des Archipels zu sein! Nein, ich bleibe dabei, Nicolas Starkos, es wäre nicht mehr als gerecht.

– Was wäre nicht mehr als gerecht? entgegnete der Capitän, der seinem zweiten Officier jetzt gerade in’s Gesicht sah.

– O, wißt Ihr’s denn nicht? antwortete Skopelo. Gesteht nur zu, Capitän, daß Ihr mich nur fragt, um von mir, was Euch so lebhaft interessirt, zum hundertsten Male wiederholen zu hören.

– Vielleicht!

– Die Tochter des Banquiers Elizundo…

– Was recht ist, wird eben geschehen!« schnitt ihm Nicolas Starkos, sich erhebend, das Wort ab.

Er verließ darauf, gefolgt von Skopelo, das Gasthaus zur »Minerva«, und kehrte am Hafen nach der Stelle zurück, wo sein Boot ihn erwartete.

»Steig‘ ein, sagte er zu Skopelo, die Angelegenheiten mit Elizundo werden wir sofort nach unserem Eintreffen in Korfu in Ordnung bringen. Wenn das geschehen ist, kehrst Du gleich nach Arkadia zurück, um Dir die Ladung ausliefern zu lassen.

– An Bord!« antwortete Skopelo.

Kaum eine Stunde später verließ die »Karysta« schon den Golf. Vor Ende des Tages aber konnte Nicolas Starkos ein entferntes Grollen hören, das ihm das Echo von Süden her zutrug. Es waren die Kanonen der vereinigten Geschwader, deren Donner eben die Rhede von Navarin erschütterte.

Sechstes Capitel


Sechstes Capitel

Auf die Piraten des Archipels.

Die von der Sacoleve eingehaltene nordnordwestliche Richtung gestattete ihr, das malerische Gewirr der Ionischen Inseln zu verfolgen, von denen man nie die eine aus dem Gesicht verliert, ohne die nächste schon vor Augen zu haben.

Zum Glück für sie verrieth die »Karysta« mit ihrem Aussehen eines ehrbaren levantinischen Fahrzeugs, das halb einer Lustyacht und halb einem Handelsschiffe glich, nichts von ihrer wahren Natur; sonst wär’s wohl nicht zu wagen gewesen, daß ihr Capitän sich bis unter die Kanonen britischer Forts und kühn zwischen die Fregatten des Vereinigten Königreichs begab.

Nur fünfzehn Seemeilen etwa trennen Arkadien von der Insel Zante, der Blume der Levante, wie sie die Italiener poetisch nennen. Vom Hintergrunde des Golfs, den die »Karysta« eben durchfurchte, gewahrte man sogar die grünen Gipfel des Berges Scopos, an dessen Seiten sich dichte Wälder von Oliven und Orangen hinziehen, welche an Stelle der von Homer und Virgil befangenen prächtigen Waldungen getreten sind.

Der Wind stand günstig; eine mäßige Brise wehte vom Lande her aus Südosten. Mit verstärktem Segelwerk am Großmast und am Besan durchschnitt die Sacoleve hurtig das Gewässer von Zante, das jetzt fast so still lag, wie die Fläche eines Binnensees.

Gegen Abend kam sie in Sicht der Hauptstadt vorüber, welche den Namen der Insel trägt. Es ist das eine hübsche, italienische Stadt, welche auf dem Besitzthum Zakyntha’s, eines Sohnes des Trojaners Dardanus, aufblühte. Vom Bord der »Karysta« konnte man jetzt nur die Leuchtfeuer der Stadt sehen welche sich etwa eine halbe Meile lang am Rande einer kreisförmigen Bucht hinzieht.

Diese in verschiedenen Höhenlagen angebrachten Feuer, welche von dem Hafendamme an bis zum Dachfirst des Schlosses von venetianischem Ursprung hinausreichten, machten den Eindruck eines ungeheuren Sternbildes, dessen Hauptlichtpunkte die Stelle der Renaissance-Paläste der großen Straße und die der Domkirche St. Denis von Zakyntha bezeichneten.

Mit der Bevölkerung, welche durch vielfache Berührung mit Venetianern, Franzosen und Russen erheblich verändert ist, konnte Nicolas Starkos nicht jene Handelsbeziehungen haben, die ihn mit den Türken im Peloponnes verknüpften. Hier hatte er also auch kein Signal für die Hafenwächter zu geben und brauchte nicht erst zu landen an dieser Insel, welche die Heimat von zwei berühmten Dichtern ist, die des Italieners Hugo Foscolo, etwa gegen Ende des 18. Jahrhunderts, und des Salomos, einer der Zierden des neuen Griechenlands.

Die »Karysta« durchsegelte also den schmalen Meeresarm, der Zante von Achaïa und Elis scheidet. Wohl so manches Ohr an Bord fühlte sich verletzt durch die Gesänge, welche in Form von Barcarolen vom Lido herüberschallten. Doch man mußte sich wohl oder übel beruhigen. Die Sacoleve glitt inmitten dieser italienischen Lieder hin, und am folgenden Morgen befand sie sich gegenüber dem Hafen von Patras, bei dem tiefen Landeinschnitte, welcher den Golf von Lepante bis zum Isthmus von Korinth fortsetzt.

Nicolas Starkos stand jetzt auf dem Vordertheil der »Karysta.« Sein Blick überflog die Küste von Akarnanien längs der nördlichen Begrenzung des Golfs. An diese Oertlichkeiten knüpften sich große und unvergeßliche Erinnerungen, welche das Herz eines Kindes Griechenlands hätten erregen müssen, wenn dieser verlorene Sohn seiner Heimat dieselbe nicht schon seit langem verleugnet und verrathen hätte.

»Missolunghi! rief da Skopelo, die Hand in der Richtung nach Nordosten ausstreckend. Verwünschtes Volk da! Leute, die sich eher in die Luft sprengen lassen, als daß sie sich ergeben!«

Hier wäre zwei Jahre vorher allerdings für Aufkäufer von Gefangenen und Verkäufer von Sclaven nichts zu machen gewesen. Nach zehnmonatlichem Kampfe hatten die Bewohner von Missolunghi, welche von Strapazen erschöpft und von Hunger fast getödtet waren, statt sich auf eine Capitulation mit Ibrahim einzulassen, Stadt und Festung entschlossen in die Luft gesprengt. Männer, Frauen und Kinder, Alles fiel der Explosion zum Opfer, von der nicht einmal die Sieger selbst verschont blieben.

Im letztvergangenen Jahre wiederum war am nämlichen Platze, wo Marco Botsaris seine letzte Ruhestätte fand, ein Held aus dem Unabhängigkeitskriege entmuthigt und verzweifelnd gestorben, der Lord Byron, dessen Ueberreste nachher in Westminster beigesetzt wurden. Nur sein Herz ist zurückgeblieben auf dem Boden Griechenlands, das er so sehr liebte und das nach seinem Ableben die Freiheit errang.

Nicolas Starkos beantwortete obige Bemerkung Skopelo’s nur durch eine unwillkürliche Bewegung. Bald entfernte sich die Sacoleve aus dem Golfe von Patras und hielt auf Kephalonia zu.

Bei dem eben herrschenden Winde bedurfte es nur weniger Stunden, um die Entfernung, welche Kephalonia von der Insel Zante trennt, zu durchmessen.

Die »Karysta« hatte übrigens keine Veranlassung, Argostoli, die Hauptstadt, anzulaufen, deren wenn auch ziemlich seichter Hafen doch einer der besten für Fahrzeuge von mittlerem Tonnengehalte ist. Sie steuerte vielmehr kühn in die recht beschränkten Canäle, welche deren Ostküste begrenzen, und gegen halb sieben Uhr Abends erreichte sie Thiaki, das alte Ithaka.

Diese Insel von acht Meilen Länge bei einundeinerhalben Meile Breite, welche ganz besonders felsig ist und einen wildromantischen Anblick bietet, dabei viel Baumöl und Wein erzeugt, zählt etwa tausend Einwohner. Ohne in späterer Zeit von geschichtlicher Bedeutung zu sein, trägt sie doch aus dem Alterthum her einen weit berühmten Namen als Vaterland des Ulysses und der Penelope, an welche man Erinnerungen noch heute vielfach findet, so auf dem Gipfel des Anogi, in den Tiefen der Höhle des Berges Sanct Stephan, wie am Fuß des Rabenfelsens, von dem die poetischen Wellen der Quelle Arethusa’s ausgingen.

Bei der einbrechenden Nacht war das Land des Sohnes des Laertes gegen fünfzehn Meilen jenseits des Vorgebirges von Kephalonia im Schatten verschwunden. Während der Nacht bog die »Karysta« etwas mehr in’s offene Meer ab, um die enge Straße zu vermeiden, welche die Nordspitze Ithakas von der Südspitze Santa Mauras trennt, und segelte etwa zwei Meilen vom Ufer an der Nordseite dieser Insel vorbei.

Bei dem hellen Mondlicht hätte man wenigstens deutlich eine weißliche Uferwand erkennen können, welche die Wasserfläche um hundertachtzig Fuß überragt, den »Sprung von Leukate«, den Sappho und Artemisia berühmt machten. Von dieser Insel, welche auch den Namen Leukate führt, war beim Aufgang der Sonne nur noch ein schwacher Streifen am Horizonte zu sehen, und die Sacoleve steuerte, der albanischen Küste folgend, jetzt mit vollen Segeln auf die Insel Korfu zu.

Noch waren etwa zwanzig Meilen im Laufe des Tages zurückzulegen, wenn Nicolas Starkos vor Einbruch der Nacht in den Gewässern der Hauptstadt dieser Insel eintreffen wollte.

Die schnelle »Karysta« brauchte zu diesem Wege nicht lange Zeit, führte jetzt auch so viel Segel, daß ihr flacher Bord fast die Wasserfläche streifte. Die Brise hatte bemerkbar aufgefrischt. Der Steuermann mußte also alle Aufmerksamkeit darauf wenden, bei dem ungeheuren Drucke der vielen Segel einen Unfall zu vermeiden. Zum Glück waren die Masten solid, die Takelage fast neu und in vortrefflichem Zustande. So wurde denn kein Reef eingezogen, kein Stück Leinwand entfernt.

Die Sacoleve stürmte vorwärts, als handle es sich um einen internationalen »Match«, um den Preis der größten Schnelligkeit eines Schiffes.

So kam man in Sicht der kleinen Insel Paxo vorüber. Schon traten im Norden die ersten Höhenzüge von Korfu zu Tage. Zur Linken verlief die albanische Küste mit den vielen Zacken und Einschnitten der Akrokeraunischen Bergzüge. Auf den überhaupt ziemlich belebten Gewässern des Ionischen Meeres erschienen auch mehrere Kriegsschiffe mit englischer oder türkischer Flagge. Die »Karysta« bemühte sich nicht im Mindesten, denselben aus dem Wege zu gehen. Hätte ein Signal sie zum Beilegen aufgefordert, so würde sie ohne Zögern gehorcht haben, da sie weder Ladung noch Papiere an Bord führte, welche den eigentlichen Charakter des Schiffes hätten verrathen können.

Um vier Uhr Nachmittags wendete sich die Sacoleve ein wenig in den Wind, um in die, das Festland von der Insel Korfu scheidende Meerenge einzulaufen. Die Schoten wurden eingezogen, der Steuermann wendete um ein Quart und umsegelte so das Cap Bianco am südlichen Ende der Insel.

Dieser südliche Theil des Canals ist mit mehr Reizen geschmückt als der nördliche Theil. Schon hierdurch bildet er einen glücklichen Gegensatz zu der fast uncultivirten, halb wilden Küste Albaniens. Einige Meilen weiterhin erweitert sich die Wasserstraße durch das Zurückweichen der korfiotischen Küste. Die Sacoleve konnte also schneller in schräger Richtung darüber hinfahren. Diese tiefen und sich oft wiederholenden Einbuchtungen sind es, welche der Insel einen Umfang von fünfundsechzig Lieues geben, obwohl sie in ihrer größten Länge deren nur zwanzig und in der größten Breite nur sechs mißt.

Gegen fünf Uhr passirte die »Karysta« nahe dem Eilande des Ulysses die Oeffnung, welche den See Kalikiopulo, den alten hyllaïschen Hafen, mit dem Meere in Verbindung setzt. Dann folgte sie den Linien dieser reizenden »Cannone«, welche mit Aloes und Agaven bepflanzt und immer von Wagen und Reitern belebt ist, die eine Meile südlich von der Stadt gleichzeitig mit der erquickenden Seeluft das herrliche Panorama genießen, dessen Horizont an der anderen Seite des Canals die albanische Küste abschließt.

So glitt sie an der Bai von Kardakio und den dieselbe beherrschenden Ruinen vorüber, weiter vor dem Sommerpalaste der Lordcommissäre, ließ die Bai von Kastrades, auf der die gleichnamige Vorstadt liegt, zur Linken, ebenso die Strada Marina, welche weniger eine Straße, als eine Promenade ist, und kam so zuletzt an dem Gefängniß, dem alten Fort Salvator, und den ersten Häusern der korfiotischen Hauptstadt vorbei. Dann umschiffte die »Karysta« das Cap Sidero, welches die Citadelle trägt, eine kleine Militärstadt von hinreichender Größe, um die Residenz des Commandanten, die Wohnungen für seine Officiere, ein Krankenhaus und eine griechische Kirche zu umschließen, aus der die Engländer ein protestantisches Gotteshaus gemacht haben

Endlich umsegelte der Capitän Starkos, sich nach Westen wendend, die Landspitze San Nicolo, und nachdem er an dem Ufer vorübergekommen, hinter welchem sich die Gebäude des nördlichen Theils der Stadt erheben, ging er eine halbe Kabellänge vom Molo vor Anker.

Das Boot wurde niedergelassen, Nicolas Starkos und Skopelo nahmen darin Platz – nicht ohne daß der Capitän in seinen Gürtel eines jener kurzklingigen, aber breiten Messer gesteckt, welche in den Provinzen Messeniens gewöhnlich getragen werden. Beide landeten beim Sanitätsamte und legten ihre Papiere vor, die sich in vollkommener Ordnung befanden.

Sie waren damit frei, überall hin nach Belieben zu gehen, und verabredeten nur noch, sich um elf Uhr zu treffen und an Bord zurückzukehren.

Skopelo, der alles Nöthige für die »Karysta« zu besorgen hatte, begab sich nach dem mehr handeltreibenden Theile der Stadt, welcher sehr eng gewundene Gassen mit italienischen Namen, Handelsläden unter Bogengängen und überhaupt das ganze bunte Gewühl eines neapolitanischen Stadtviertels aufweist.

Nicolas Starkos wollte den Abend benützen, um Neuigkeiten zu erlauschen. Er wandte sich also nach der Esplanade, dem eleganten Theil der korfiotischen Stadt.

Diese Esplanade – ursprünglich ein Exercierplatz – die an den Seiten mit schönen Bäumen umsäumt ist, liegt zwischen der eigentlichen Stadt und der Citadelle, von der sie ein breiter Wallgraben trennt. Fremdlinge und Einheimische lustwandelten hier, als würde eben ein Fest begangen, in großer Menge hin und her. Stafetten eilten nach dem an der Nordseite des Platzes vom General Maitland erbauten Palaste und kamen daraus wieder durch das Sanct Georgen- oder Sanct Michaelsthor, welche seine in weißen Steinen errichtete Façade flankiren. Zwischen dem Palaste des Gouverneurs und der Citadelle, deren Zugbrücke gegenüber dem Standbilde des Marschalls Schulemburg jetzt niedergelassen war, wurden fast unausgesetzt Nachrichten und Meldungen ausgetauscht.

Nicolas Starkos mischte sich unter die Menschenmenge. Er erkannte sehr bald, daß dieselbe unter dem Einflusse einer außergewöhnlichen Erregung stand. Da er nicht der Mann dazu war, Fragen zu stellen, begnügte er sich mit dem Zuhören. Vorzüglich fiel ihm dabei auf, daß ein gewisser Name – der Name Sacratif – unter allen plaudernden Gruppen mit sehr wenig schmeichelhaften Zuthaten sehr oft wiederholt wurde.

Dieser Name schien auch seine Neugier einigermaßen zu reizen; nachdem er jedoch leicht mit den Achseln gezuckt, ging er die Esplanade weiter hinab bis zur Terrasse, welche dieselbe am Meeresstrande abschließt.

Dort hatte eine Anzahl Neugieriger in der Umgebung eines kleinen kreisrunden Tempels Platz genommen, der erst unlängst zum Andenken an Sir Thomas Maitland erbaut worden war. Einige Jahre später wurde in der Nähe ein Obelisk zu Ehren eines seiner Nachfolger, des Sir Howard Douglas, errichtet, um als Pendant zu dem vor dem Regierungspalaste schon früher aufgestellten Denkmale des dermaligen Lord-Obercommissärs Frederik Adam zu dienen. Wahrscheinlich würden die Straßen und Plätze Korfus, wenn die englische Schutzherrschaft nicht durch die Zurückgabe der Ionischen Inseln an das Königreich Griechenland ein Ende gefunden hätte, mit den Statuen seiner Statthalter allmählich vollgepfropft worden sein. Obgleich die Korfioten aber kaum daran dachten, diese mit ehernen und marmornen Standbildern getriebene Verschwendung zu tadeln, so mochte doch so Mancher von ihnen die Verwaltungsfehler der englischen Statthalter unter der früheren Regierungsweise lebhaft beklagen.

Wenn hierüber auch die abweichendsten Meinungen herrschten, wenn es unter siebzigtausend Bewohnern, welche das alte Korcyra zählte, und unter den zwanzigtausend Einwohnern seiner Hauptstadt orthodoxe Christen, griechische Christen und in großer Anzahl auch Juden gab, welche jener Zeit ein besonderes Stadtviertel, eine Art Ghetto bevölkerten, wenn unter diesen städtischen Vertretern so mannigfaltiger Rassen sehr verschiedene, durch wechselnde Lebensinteressen bedingte Ansichten zutage traten, so schien eben heute doch jede Meinungsverschiedenheit gewissermaßen verschmolzen zu sein in einem Alle beherrschenden Gedanken, in der Verwünschung des Namens, der immer wieder auf Aller Lippen schwebte:

»Sacratif! Sacratif! Tod und Verderben über Sacratif!«

Ob die Aufundabgehenden nun englischer, italienischer oder griechischer Zunge waren, ob die Aussprache dieses verabscheuten Namens wie immer wechselte, so blieben die Verwünschungen, womit man ihn überhäufte, doch immer der Ausdruck derselben Empfindung, des Abscheus und des Schreckens.

Nicolas Starkos hörte immer zu, sagte aber nichts. Von der Höhe der Terrasse aus konnten seine Augen bequem einen großen Theil des Canals von Korfu überfliegen der gleich einem Binnensee bis zu den, von der untergehenden Sonne vergoldeten Bergeshäuptern Albaniens geschlossen schien.

Bei einer Wendung nach der Seite des Hafens bemerkte der Capitän der »Karysta«, daß daselbst ein besonders reges Leben herrschte. Zahlreiche Boote ruderten nach den Kriegsschiffen zu. Zwischen diesen Schiffen und dem auf dem höchsten Punkte der Citadelle errichteten Flaggenmaste wurden fleißig Signale gewechselt, während die Festungswerke mit ihren Batterien und Casematten hinter einer Wand riesiger Cacteen fast verschwanden.

Offenbar – ein Seemann konnte darüber ja nicht im Unklaren bleiben – bereiteten sich ein oder mehrere Schiffe vor, von Korfu auszulaufen. Wenn das der Fall war, so verdiente die korfiotische Bevölkerung das Zeugniß, daß sie daran sehr lebhaften Antheil nahm.

Schon war indessen die Sonne hinter den hohen Bergen der Insel verschwunden, und bei der in jenen Breiten nur kurze Zeit dauernden Dämmerung mußte es bald völlig dunkel werden.

Nicolas Starkos hielt es also für gerathen, die Terrasse zu verlassen. Er begab sich deshalb nach der Esplanade zurück, wo noch eine Menge Zuschauer verblieben, welche die Empfindung der Neugier daselbst zurückhielt. Dann wendete er sich gelassenen Schrittes nach dem Bogengange der Häuserreihe, welche sich an der Westseite des Exercierplatzes hinzieht.

Hier fehlte es nicht an hell erleuchteten Cafés und auch nicht an ganzen Reihen auf dem Fußstege aufgestellter und schon von vielen Consumenten eingenommener Stühle. Doch fand man bald heraus, daß diese mehr »conversirten« als »consumirten«, wenn man letzteres, noch zu moderne Wort überhaupt auf die Korfioten vor fünfzig Jahren anwenden kann.

Nicolas Starkos setzte sich an einen kleinen Tisch in der wohlerwogenen Absicht, kein Wort von den Gesprächen zu verlieren, die an den Nachbartischen geführt wurden.

»Wahrhaftig, äußerte ein Rheder von der Strada Marina, es gibt jetzt keine Sicherheit mehr für den friedlichen Handel, und man kann kaum noch wagen, eine werthvollere Ladung nach den Stapelplätzen der Levante abzusenden

– Und sehr bald, fügte sein Gegenüber – ein langer Engländer, der wie ihr Parlamentspräsident immer auf einem Baumwollballen zu sitzen schien – hinzu, wird man nicht einen Mann mehr finden, der bereit wäre, an Bord der Schiffe des Archipels Dienste zu nehmen.

– O, dieser Sacratif!… Dieser Sacratif! erscholl es aus verschiedenen Gruppen mit wirklichem Abscheu.

– Ein Name, der ganz dazu geschaffen ist, Einem die Kehle zu verrenken, dachte der Inhaber des Cafés, und der doch eine Erquickung sehr wünschenswerth machen muß.

– Um wieviel Uhr soll die Abfahrt der »Syphanta« stattfinden? fragte der Kaufmann.

– Um acht Uhr, belehrte ihn der Korfiot. Freilich, setzte er mit einem, nicht gar so viel Zutrauen verrathenden Tone hinzu, mit dem Abfahren ist es nicht gethan, es gilt auch seinen Zweck zu erfüllen.

– Das wird geschehen! rief ein anderer Korfiot dazwischen. Niemand soll sagen können, ein Seeräuber habe sie in Schach halten können, wie die Marine Englands…

– Und die Marine Griechenlands, die Marine Frankreichs und die Marine Italiens! bemerkte phlegmatisch ein englischer Officier, der bei dieser Gelegenheit wenigstens auch den übrigen in Frage kommenden Staaten etwas anhängen wollte.

– Doch, fuhr der Kaufmann sich erhebend fort, die Zeit verstreicht, und wenn wir dem Auslaufen der »Syphanta« beiwohnen wollen, müssen wir uns nun wohl nach der Esplanade begeben.

– Nein, entgegnete der Andere, es eilt noch nicht. Uebrigens wird die Abfahrt der »Syphanta« durch einen Kanonenschuß verkündigt werden.«

Die Herren setzten also ihr Gespräch, eigentlich nur ihre Verwünschungen des Uebelthäters Sacratif, noch weiter fort.

Jetzt hielt Nicolas Starkos den Augenblick für günstig, sich ebenfalls einzumischen, und er fragte, ohne daß Jemand an seiner Aussprache in ihm hätte einen Griechen aus den südlichsten Provinzen erkennen können, indem er sich an seine Tischnachbarn wendete:

»Darf ich mir erlauben, meine Herren, an Sie die Frage zu richten, welche Bewandtniß es mit dieser »Syphanta« hat, die heute in Aller Munde ist?

– Es ist das eine Corvette, mein Herr, eine Corvette, welche von einer Gesellschaft englischer, französischer und korsiotischer Großhändler angekauft, mit einer aus diesen verschiedenen Nationalitäten gewählten Bemannung versehen wurde, und welche unter dem Befehle des tapferen Capitäns Stradena zum Auslaufen fertig liegt. Vielleicht gelingt ihr, was die Kriegsschiffe Englands und Frankreichs nicht durchzuführen vermochten.

– Ah, es ist ein bewaffnetes Schiff, welches absegelt. Und nach welchen Meeren, wenn ich bitten darf?

– Nach denen, wo ihm die Möglichkeit geboten ist, den berüchtigten Sacratif zu treffen, einzufangen und aufzubaumeln.

– Da muß ich Sie weiter bitten, fuhr Nicolas Starkos fort, mir auch zu sagen, wer und was jener berüchtigte Sacratif ist?

– Sie fragen, wer jener Sacratif ist!« rief verblüfft der Korfiot, den der Engländer noch unterstützte, indem er seine Antwort mit einem »Aoh!« der Verwunderung illustrirte.

Thatsächlich mußte allerdings ein Mann, der nicht wußte, wer Sacratif war, und das noch obendrein mitten in der Stadt Korfu, wo jener Name in Aller Munde war, als eine Wundererscheinung betrachtet werden.

Der Capitän bemerkte auch sofort die Wirkung, welche seine Unkenntniß hervorbrachte, und beeilte sich also, eine Erklärung hinzuzufügen.

»Ich bin hier gänzlich fremd, meine Herren, sagte er, und eben erst eingetroffen von Zara, das heißt von einem entlegenen Punkte des Adriatischen Meeres, so daß ich mich bezüglich der Ereignisse auf den Ionischen Inseln nicht auf dem Laufenden befinde.

– Sagen Sie lieber bezüglich der Vorgänge im ganzen Archipel, rief der Korfiot, denn in der That ist es der ganze Archipel, den Sacratif zum Schauplatz seiner schändlichen Seeräubereien erwählt hat.

– Ah, sagte Nicolas Starkos, es handelt sich um einen Seeräuber…

– Um einen Piraten, einen Seeräuber frechster Art! erklärte der lange Engländer. Ja, Sacratif verdient diese Bezeichnungen und alle, welche noch erfunden werden könnten, solche Uebelthäter zu brandmarken!«

Der Engländer rang einen Augenblick keuchend nach Athem.

»Was mich erstaunen macht, mein Herr, fuhr er dann fort, ist, daß man noch einem Europäer begegnen kann, der nicht schon weiß, was jener Sacratif ist.

– Verzeihen Sie, erwiderte Nicolas Starkos, dieser Name selbst ist mir nicht ganz unbekannt geblieben, das dürfen Sie glauben; ich wußte aber nicht, daß er es war, der die Stadt in fieberhafte Bewegung setzte. Ist Korfu etwa von einem Ueberfalle dieses Piraten bedroht?

– Das sollte er einmal wagen! rief der Kaufmann. Er wird niemals so unbesonnen sein, einen Fuß auf unsere Insel zu setzen!

– Ah… wirklich? antwortete der Capitän der »Karysta«.

– Gewiß, mein Herr, und wenn er’s thäte, wär‘ ihm der Galgen sicher. Ja, auf allen Punkten der Insel würden die Galgen wie Pilze aus der Erde aufschießen, um ihn beim Vorüberkommen aufzuschnappen.

– Woher dann aber die allgemeine Aufregung? fragte Nicolas Starkos. Ich bin erst seit kaum einer Stunde hier angelangt und kann die sich kundgebende Erregung nicht begreifen…

– Der Grund derselben, mein Herr, unterbrach ihn der Engländer, ist folgender: Zwei Kauffahrteischiffe, der »Tree Brothers« und der »Carnatic«, sind vor etwa einem Monat von Sacratif abgefangen und die Ueberlebenden der beiden Besatzungen Mann für Mann auf den Märkten von Tripolis verkauft worden.

O, erwiderte Nicolas Starkos, das ist eine schlimme Geschichte, die der Sacratif schwer zu büßen haben dürfte.

– Auf diese Veranlassung traten nun hier verschiedene Großhändler zusammen, um eine Kriegscorvette auszurüsten – einen vortrefflichen Segler – welche eine auserlesene Besatzung führt und von einem unerschrockenen Seemanne, dem Capitän Stradena, befehligt wird, der auf jenen Sacratif Jagd machen soll. Diesmal ist zu hoffen, daß der Pirat, welcher den ganzen Handel des Archipels lahm legt, seinem Schicksale nicht entgeht.

– Das möchte ihm wohl nur schwer gelingen, stimmte Nicolas Starkos bei.

– Und, erläuterte der englische Großhändler, wenn Sie heute die Stadt in Bewegung sehen, wenn fast die ganze Bevölkerung nach der Esplanade zusammengeströmt ist, so geschah das, um dem Ankerlichten der »Syphanta« beizuwohnen, der ein vieltausendstimmiges Hurrah nachtönen wird, wenn sie den Canal von Korfu hinabsegelt.«

Nicolas Starkos wußte nun offenbar Alles, was er zu wissen wünschte. Er bedankte sich für die erhaltene Aufklärung; dann stand er auf, um sich von Neuem unter die Menge zu mischen, welche auf der Esplanade hin und her wogte.

Was jene Engländer und Korfioten ihm mitgetheilt hatten, war in keiner Weise übertrieben, im Gegentheil nur allzu wahr. Seit einigen Jahren schon verübte Sacratif bei seinen Plündereien die scheußlichsten Gewaltthätigkeiten. Eine große Anzahl von Handelsfahrzeugen aller Nationen war schon von diesem ebenso verwegenen, wie blutgierigen Seeräuber überfallen worden. Niemand hätte sagen können, woher er kam, welchem Lande er entstamme oder ob er sich von den, an den Küsten der Barbarei hausenden Seeräubern nur zeitweise getrennt hatte. Alles das wußte Keiner, und Keiner hatte es vorher gewußt. Niemand hatte ihn gesehen, nicht ein Einziger war heimgekehrt von Denen, die je unter das Feuer seiner Kanonen geriethen, da Alle entweder hingemordet oder als Sclaven verkauft wurden. Selbst die Schiffe, die er benützte, hätte Niemand bezeichnen können. Er ging unausgesetzt von dem einen auf ein anderes. Seine Angriffe erfolgten einmal mit einer schnell segelnden levantinischen Brigg, dann wieder mit einer jener flüchtigen Corvetten, welche kein anderes Schiff einholen konnte, stets aber unter schwarzer Flagge. Erkannte er sich bei gelegentlicher Begegnung unbedingt als den schwächeren Theil, so verschwand er im Handumdrehen, wie man zu sagen pflegt. Und in welcher weltvergessenen Bucht des Archipels hätte man ihn dann aufsuchen sollen? Gerade er kannte die geheimsten und für jedes andere Schiff gefahrdrohendsten Wasserstraßen dieser Küsten, deren Hydrographie jener Zeit noch sehr viel zu wünschen übrig ließ.

Wenn der Räuber Sacratif ein guter Seemann war, so zeichnete er sich nicht minder bei jedem Ueberfalle aus. Immer unterstützt von Mannschaften, welche vor nichts zurückschreckten, vergaß er niemals, ihnen des »Teufels Antheil« zukommen zu lassen, das heißt ihnen einige Stunden zum Morden und Plündern freizugeben. So folgten ihm denn die Leute, wohin er sie auch führen mochte, und vollzogen seine Befehle, welcher Art diese auch waren. Alle wären für ihn in den Tod gegangen. Die Bedrohung mit der fürchterlichsten Strafe hätte sie nicht dazu gebracht, ihren Führer zu verrathen, der eine wirkliche Zaubermacht über sie ausübte.

Wenn solche Leute ein Schiff überfielen, konnte es natürlich kaum widerstehen, vorzüglich ein einfaches Handelsfahrzeug, dem es an hinreichenden Vertheidigungsmitteln fehlte.

Wäre Sacratif, trotz seiner Aufmerksamkeit und Schlauheit, einmal von einem Kriegsschiff überrascht worden, so hätte er sich gewiß lieber in die Luft gesprengt, als gefangen gegeben. Man erzählte von ihm sogar, er habe einmal bei ähnlicher Gelegenheit als ihm die Geschosse ausgegangen waren, seine Kanonen mit den abgeschnittenen Köpfen der Gefallenen geladen, welche auf seinem Deck umherlagen.

Das war der Mann, den zu verfolgen die »Syphanta« ausgeschickt wurde, das der schreckliche Seeräuber, dessen verfluchter Name in der korfiotischen Hauptstadt so allgemeine Aufregung hervorgerufen hatte.

Da krachte ein Schuß. Eine weiße Rauchwolke, durchzuckt von einem hellen Blitze, erhob sich von einem der Wälle der Festung. Es war das Signal zur Abfahrt. Die »Syphanta« lichtete die Anker und setzte sich den Canal von Korfu hinab in Bewegung, um sich nach den mehr südlich gelegenen Gewässern des Ionischen Meeres zu begeben.

Die ganze Menschenmenge drängte nach dem Rande der Esplanade, nach der Terrasse des Standbildes Sir Maitland’s hin.

Nicolas Starkos, den vielleicht eine gebieterischere Empfindung als die der bloßen Neugier mit fortriß, befand sich bald unter der ersten Reihe der Zuschauer.

Beim hellen Lichte des Mondes wurde die Corvette mit ihren Positionsfeuern allmählich mehr und mehr sichtbar. Sie segelte scharf bei dem Winde, um bequem am Cap Bianco vorüberzukommen, welches sich im Süden der Insel vorschiebt. Von der Citadelle krachte ein zweiter Kanonenschuß, gleich darauf ein dritter, und diesen antworteten drei Schüsse, welche die Stückpforten der »Syphanta« erhellten. Den Donner der Geschütze übertönten fast noch die tausendstimmigen Hurrahs, deren letzte noch bis zur Corvette drangen, als diese schon die Bai von Kardakio übersegelte.

Dann wurde Alles still. Die Menschenmenge, welche sich in den verschiedenen Straßen der Vorstadt Kastrades zerstreute, räumte das Feld für die wenigen Wanderer, welche aus geschäftlichen Interessen oder nur zum Vergnügen noch auf der Esplanade zurückblieben.

Noch eine Stunde lang verweilte Nicolas Starkos in Gedanken versunken auf dem jetzt fast verlassenen, weiten Exercierplatze. In seinem Hirn und in seinem Herzen war es deshalb aber nicht ruhig geworden. Seine Augen leuchteten auf von jenem Feuer, das die Lider kaum zu verbergen vermochten. Wie durch eine unwillkürliche Bewegung starrte sein Blick in der Richtung der Corvette hinaus, welche eben hinter den letzten, undeutlich erkennbaren Landmassen der Insel verschwand.

Erst als die Thurmuhr der Sanct Spiridion-Kirche elf schlug, dachte Nicolas Starkos an die Verabredung, Skopelo in der Nähe des Gesundheitsamtes wieder zu treffen. Er durchschritt also die Straßen des Stadtviertels, welche nach dem Neuen Fort führen, und gelangte in kurzer Zeit nach dem Quai.

Hier wartete Skopelo schon auf ihn.

Der Capitän der Sacoleve trat auf diesen zu und sagte:

»Die Corvette »Syphanta« ist eben ausgelaufen.

– Ah, erwiderte Skopelo.

– Ja… um Sacratif zu verfolgen!

– Diese oder eine beliebige Andere, das ist ja gleichgiltig!« antwortete einfach Skopelo, während er nach der Gig hinwies, die sich am Fuße der Landungstreppe, auf den letzten Wellen der Brandung schaukelte.

Einige Minuten später erreichte das leichte Boot die »Karysta« und Nicolas Starkos sprang an Bord mit den Worten:

»Morgen also bei Elizundo!«

Siebentes Capitel


Siebentes Capitel

Eine Ueberraschung.

Am folgenden Morgen gegen zehn Uhr ging Nicolas Starkos wieder am Molo an’s Land und begab sich sofort nach dem Hause des Banquiers. Es war nicht das erste Mal, daß er in dessen Comptoir vorsprach, und hier wartete seiner gewöhnlich der Empfang eines Kunden, dessen Geschäftsverbindungen ihm einen gewissen Vorrang sichern.

Elizundo freilich kannte ihn ja; er wußte gar Vieles aus seinem Leben. Ihm war auch nicht unbekannt, daß er der leibliche Sohn jener Patriotin war, welche er eines Tages gegen Henry d’Albaret erwähnt hatte. Sonst aber wußte Niemand und konnte Niemand wissen, wer und was der Capitän der »Karysta« eigentlich war.

Nicolas Starkos wurde offenbar schon erwartet und deshalb auch sogleich empfangen, als er sich vorstellte. Der vor achtundvierzig Stunden eingetroffene und von Arkadia datirte Brief rührte von ihm her. Man begleitete ihn also unverzüglich nach dem Bureau, wo der Banquier sich aufhielt, der die Vorsicht gebrauchte, die Thüre mit dem Schlüssel zu verschließen. Elizundo und sein Kunde standen sich jetzt also gegenüber. Niemand konnte sie stören, Niemand erlauschen, was sie unter vier Augen sprechen würden.

»Guten Tag, Elizundo, begann der Capitän der »Karysta«, der sich mit der Zwanglosigkeit eines Mannes, der sich ganz heimisch fühlt, in einen Lehnsessel niederließ. Es sind wahrlich schon sechs Monate vergangen, während ich Sie nicht gesehen habe, obwohl Sie doch öfter Nachrichten von mir erhielten. Ich konnte aber unmöglich so nahe bei Korfu vorübersegeln, ohne hier beizulegen, um das Vergnügen zu haben, Ihnen die Hand drücken zu können.

– Nun, allein um mich zu sehen, um mich Ihrer dauernden Freundschaft zu versichern, sind Sie schon nicht gekommen, Nicolas Starkos, antwortete der Banquier mit dumpfer Stimme. Was wollen Sie von mir?

– Ah, rief der Capitän, daran erkenne ich meinen alten Freund Elizundo! Nichts von zarteren Gefühlen, alles dem Geschäft! Es muß schon recht lange her sein, daß Sie Ihr Herz in dem geheimsten Fache Ihres Geldschrankes verschlossen und den Schlüssel dazu verloren haben.

– Wollen Sie mir gefälligst sagen, was Sie hierherführt und weshalb Sie vorher an mich geschrieben haben? fuhr Elizundo fort.

– Nun, Sie haben ja Recht, Elizundo! Keine nichtssagenden Redensarten. Wir wollen ernst sein! Heute haben wir sehr wichtige Dinge zu besprechen, und dazu solche, welche keinen Aufschub vertragen.

– Ihr Brief spricht mir von zwei Angelegenheiten, sagte der Banquier, die eine, welche zur Classe unserer gewöhnlichen Geschäftsbeziehungen gehört, und eine andere, welche Sie nur persönlich betrifft.

– Ganz richtig, Elizundo.

– So reden Sie, Nicolas Starkos, ich bin begierig, sie kennen zu lernen.«

Der Banquier drückte sich, wie man sieht, sehr unzweideutig aus. Er wollte seinen Besucher veranlassen, sich auf der Stelle zu erklären, ohne Ausflüchte zu gebrauchen und sich Hinterthüren offen zu lassen. Mit der Bestimmtheit seiner Fragestellung schien freilich der fast ängstliche Ton seiner Worte nicht ganz zusammen zu passen. Offenbar war es von den beiden Männern, die sich jetzt hier gegenüber standen, nicht der Banquier, der die Lage beherrschte.

Der Capitän der »Karysta« konnte deshalb auch ein heimliches Lächeln nicht unterdrücken, das Elizundo, der die Augen niedergeschlagen hatte, freilich nicht bemerkte.

»An welche der beiden Fragen wollen wir zuerst herantreten? fragte Nicolas Starkos.

– Zuerst an die, welche nur Ihre Person angeht! antwortete der Banquier schnell.

– Ich ziehe es vor, erst die zu berühren, welche mit mir selbst nichts zu thun hat, entgegnete der Capitän mit entschiedenem Tone.

– Meinetwegen, Nicolas Starkos, und worin besteht diese?

– Es handelt sich dabei um einen Transport von Gefangenen, die wir in Arkadia verfrachten sollen. Zweihundertsiebenunddreißig Köpfe sind es, Männer, Frauen und Kinder, die nach der Insel Scarpanto geschafft werden sollen, von wo aus ich dann die Ueberführung nach der Barbareskenküste übernommen habe. Bei den vielfachen derartigen Geschäften, die wir schon mit einander gemacht, wissen Sie aber, Elizundo, daß die Türken ihre Waare nur gegen Baargeld oder gegen Wechsel ausliefern, wenn eine gute Unterschrift verbürgt, daß dieselben pünktlich eingelöst werden. Ich komme also, Sie um Ihr Accept zu ersuchen, und rechne bestimmt darauf, daß Sie dasselbe Skopelo nicht weigern werden, wenn dieser sich mit den auf Sie gezogenen Papieren bei Ihnen einstellt. Diese Sache macht doch keine Schwierigkeit, nicht wahr?«

Der Banquier antwortete nicht, sein Schweigen durfte jedoch als Zustimmung zu dem Gesuche des Capitäns aufgefaßt werden. Er war dazu in Folge früherer ähnlicher Abschlüsse auch so gut wie verpflichtet.

»Ich glaube noch hinzufügen zu können, fuhr Nicolas Starkos nachlässig fort, daß das Geschäft kein schlechtes sein wird. Die türkischen Operationen in Griechenland nehmen jetzt eine immer schlechtere Wendung. Die Schlacht von Navarin muß für die Ottomanen unbedingt eine höchst verderbliche Wirkung haben, da die europäischen Mächte sich jetzt einzumischen beginnen. Müssen Jene aber den Kampf aufgeben, so gibt es keine Gefangenen, keine Verkäufe und keine Profite mehr. Eben deshalb müssen die letzten Sendungen, die wir noch zu ziemlich günstigen Bedingungen übernehmen, an den Küsten Afrikas entschieden hohe Preise erzielen. Wir werden also unseren Vortheil bei der Sache haben, so gut wie Sie den Ihrigen. Kann ich auf Ihre Unterschrift rechnen?

– Ich werde Ihre Wechsel gleich discontiren, antwortete Elizundo, und brauche Ihnen dann keine Unterschrift zu geben.

– Wie es Ihnen beliebt, Elizundo, erwiderte der Capitän, wir hätten uns auch mit Ihrer Unterschrift begnügt. Sie zögerten ja sonst nicht, dieselbe zu geben.

– Sonst ist nicht heute, sagte Elizundo, und heute hab‘ ich eine ganz andere Anschauung von solchen Dingen.

– Ah, wirklich! rief der Capitän. Nun, ganz wie es Ihnen Spaß macht! Doch ist’s denn wahr, daß Sie sich, wie ich gehört habe, vom Geschäfte gänzlich zurückziehen wollen?

– Ja, Nicolas Starkos! erklärte der Banquier jetzt mit sicherer Stimme, und was Sie… selbst angeht, wird das auch die letzte Operation sein, die wir zusammen ausführen… wenn Sie überhaupt darauf bestehen, daß ich mich an derselben betheilige.

– Darauf besteh‘ ich unbedingt, Elizundo,« antwortete Nicolas Starkos trockenen Tones.

Dann erhob er sich, that einige Schritte durch das Cabinet, ohne dabei seinen nichts weniger als wohlwollenden Blick von dem Banquier abzuwenden. Endlich trat er wieder dicht vor diesen hin.

»Herr Elizundo, begann er mit etwas spöttischem Tone, Sie müssen doch sehr reich sein, da Sie daran denken, sich ganz zur Ruhe zu setzen.«

Der Banquier gab keine Antwort.

»Nun sagen Sie mir, fuhr der Capitän fort, was wollen Sie mit all‘ den Millionen anfangen, die Sie in jene Welt doch nicht mitnehmen können? Das dürfte für die letzte Reise ein etwas schwerfälliges Gepäck sein. Wenn Sie aber einmal vom Schauplatz werden verschwunden sein, wem werden jene zufallen?«

Elizundo verharrte noch immer in Stillschweigen.

»Ihre Tochter wird sie natürlich erben, fuhr Nicolas Starkos fort, die schöne Hadjine Elizundo. Ihr gehört dereinst das ganze väterliche Vermögen. Das ist auch nicht mehr als billig. Doch was wird sie damit beginnen? So allein im Leben und mit so vielen Millionen?«

Der Banquier richtete sich nicht ohne Anstrengung auf und stieß schnell, wie Einer, der ein Geständniß macht, dessen Wucht ihn zu ersticken droht, heraus:

»Meine Tochter wird nicht allein stehen!

– Sie werden dieselbe verheiraten? antwortete der Capitän, und mit wem, wenn’s beliebt? Welcher Mann würde sich den Besitz Hadjine Elizundo’s wünschen, wenn er erfahren, woher der größte Theil des Vermögens ihres Vaters stammt? Und lassen Sie mich hinzufügen, wenn Hadjine Elizundo nur selbst das weiß, wem würde sie noch wagen, die Hand zum Bunde für das Leben zu reichen?

– Wie sollte sie das erfahren? erwiderte der Banquier. Bis jetzt weiß sie von Nichts und wer könnte es ihr sagen?

– Ich, wenn es sein muß.

– Sie?

– Ja, hören Sie mich an, Elizundo, und beachten Sie ja meine Worte, sagte der Capitän der »Karysta« mit berechnetem Nachdruck, denn ich werde auf das, was ich Ihnen jetzt sage, nicht wieder zurückkommen. Das ungeheure Vermögen, welches Sie erworben haben, verdanken Sie vor Allem mir, zum allergrößten Theil gefährlichen Geschäften, bei denen ich den Kopf auf’s Spiel setzte. Nur durch heimliche Beförderung geraubter Schiffsgüter, durch Auf- und Verkauf von Gefangenen während des Unabhängigkeitskrieges haben Sie jene Summen zusammengescharrt, die sich auf so und so viele Millionen belaufen. Wohlan, es ist gewiß nur billig, daß diese Millionen mir wieder zufallen. Ich, das wissen Sie ja, leide nicht an überzarten Vorurtheilen und werde niemals danach fragen, woher Ihr Vermögen gekommen ist. Wenn der Krieg zu Ende geht, denke auch ich mich von den Geschäften zurückzuziehen. Auch ich will im späteren Leben nicht so allein stehen, und ich erwarte, verstehen Sie mich recht, ich erwarte, daß Hadjine Elizundo die Gattin Nicolas Starkos‘ wird.«

Der Banquier sank in seinen Sessel zurück. Er fühlte nur zu gut, daß er in der Gewalt dieses Mannes, eines langjährigen verwegenen Geschäftsgenossen war. Er wußte, daß der Capitän der »Karysta« vor nichts zurückweichen werde, um sein Ziel zu erreichen, und zweifelte keinen Augenblick daran, daß dieser, wenn es sein mußte, im Stande wäre, die ganze Vergangenheit des hochangesehenen Bankhauses vor aller Welt rücksichtslos zu enthüllen.

Zur ablehnenden Beantwortung des Gesuchs Nicolas Starkos‘ konnte Elizundo, selbst auf die Gefahr hin, einen lauten Auftritt herbeizuführen, nur eines antworten, und nicht ohne einiges Zaudern sagte er denn:

»Meine Tochter kann Ihre Gattin nicht werden, Nicolas Starkos, weil sie das Weib eines Anderen sein wird.

– Eines Anderen! rief Nicolas Starkos. Wahrhaftig, da bin ich wohl gerade zur höchsten Zeit gekommen. Ah so, die Tochter des Banquiers Elizundo verheiratet sich…?

– Binnen fünf Tagen.

– Und mit wem?… fragte der Capitän, dessen Stimme schon zu zittern anfing.

– Mit einem französischen Officier.

– Mit einem Franzosen? Gewiß mit einem jener Philhellenen, welche Griechenland zu Hilfe geeilt sind?

– Ja.

– Und der Mann heißt?…

– Der Capitän Henry d’Albaret.

– Nun, Meister Elizundo, fuhr Nicolas Starkos fort, der sich dem Banquier weiter näherte und diesen Auge in Auge fast andonnerte, ich wiederhole Ihnen, wenn der Capitän Henry d’Albaret erst weiß, wer Sie sind, wird’s ihn nicht nach Ihrer Tochter verlangen, und wenn Ihre Tochter selbst den Ursprung des Vermögens ihres Vaters erfährt, wird sie nicht mehr daran denken können, die Gattin des Capitäns Henry d’Albaret zu werden. Wenn Sie diese beabsichtigte Verbindung nicht noch heute lösen, so wird sie morgen von selbst zerfallen, denn morgen schon werden die beiden Verlobten Alles wissen… Ja… ja, beim Teufel und meiner Seele, sie werden’s wissen!«

Der Banquier erhob sich noch einmal. Er sah den Capitän der »Karysta« scharf an und erklärte mit verzweifeltem Tone, über dessen Wahrhaftigkeit Jener nicht im Unklaren bleiben konnte:

»Zugegeben!… Aber ich nehme mir dann das Leben, Nicolas Starkos, und werde nicht länger mehr eine Schande für meine Tochter sein!

– Und doch, antwortete der Capitän, das bleiben Sie für die Zukunft eben so, wie Sie es gegenwärtig sind, und Ihr gewaltsamer Tod würde niemals im Stande sein, die Thatsache umzustoßen, daß Elizundo nur der Banquier der Seeräuber des Archipels gewesen ist!«

Elizundo sank betroffen zusammen und konnte keine Antwort finden, als der Capitän fortfuhr:

»Und deshalb wird Hadjine Elizundo nicht das Weib jenes Henry d’Albaret werden, sondern sie wird, mag sie’s nun wollen oder nicht, nur die Gattin Nicolas Starkos‘ sein!«

Noch eine halbe Stunde währte dieses Gespräch unter inständigen Bitten von der einen und unter Drohungen von der anderen Seite fort. Von Liebe war sicherlich keine Rede, wenn Nicolas Starkos auf den Besitz der Tochter Elizundo’s drang. Ihm handelte es sich nur um die Millionen, welche er ganz sein nennen wollte, und keine Vorstellung vermochte ihn von diesem Vorsatze abzubringen.

Hadjine Elizundo hatte nichts erfahren von jenem Briefe, der die baldige Ankunft des Capitäns der »Karysta« anmeldete; seit eben jenem Tage erschien ihr Vater ihr noch trauriger, noch düsterer, als gewöhnlich, als ob ihn irgend ein heimlicher Kummer ganz besonders niederdrückte, und als Nicolas Starkos sich dann in dem Bankhause einstellte, vermochte sie einer lebhafteren Unruhe erst recht nicht Herr zu werden. Sie kannte ja den Mann, den sie während der letzten Kriegsjahre wiederholt im Hause ihres Vaters gesehen.

Nicolas Starkos hatte ihr schon von jeher einen Widerwillen eingeflößt, von dem sie sich kaum Rechenschaft zu geben vermochte. Er sandte ihr Blicke zu, welche ihr tiefes Mißfallen erregten, obwohl er niemals andere als gleichgiltige Worte zu ihr gesprochen hatte, wie es jeder andere Kunde des Bankhauses wohl auch hätte thun können. Das junge Mädchen hatte jedoch deutlich genug beobachtet, daß ihr Vater nach einem solchen Besuche des Capitäns der »Karysta« stets und auch eine Zeit lang später auffallend niedergedrückt und fast erschreckt schien. Daher rührte ihre ausgesprochene Antipathie gegen Nicolas Starkos, welche vorläufig immerhin noch nichts rechtfertigte.

Hadjine Elizundo hatte gegen Henry d’Albaret noch niemals von diesem Manne gesprochen. Was ihn mit dem Bankhause verknüpfte, konnten ja nur Angelegenheiten geschäftlicher Natur sein. Von den Geschäften Elizundo’s, deren Natur ihr übrigens völlig unbekannt war, hatte sie niemals bei ihren Unterhaltungen etwas erwähnt. Der junge Officier wußte also auch nichts von den Beziehungen, welche zwischen dem Banquier und Nicolas Starkos obwalteten, so wenig wie von denen zwischen diesem Capitän und der muthigen Frau, der er bei dem Gefechte von Chaidari das Leben gerettet und die er nur unter dem Namen Andronika kannte.

Doch, so wie Hadjine, hatte auch Xaris Gelegenheit gehabt, Nicolas Starkos im Comptoir der Strada Reale zu sehen und zu empfangen. Er empfand auch selbst ganz den nämlichen Widerwillen gegen ihn, wie das junge Mädchen; entsprechend seiner kraftstrotzenden, entschlossenen Natur äußerten sich diese Gefühle bei ihm nur in anderer Weise. Wenn Hadjine jede Gelegenheit floh, mit dem ihr verhaßten Manne zusammenzutreffen, so sachte Xaris diese im Gegentheil auf mit dem Wunsche, ihm gelegentlich »die Rippen zu brechen«, wie er gerne sagte.

»Ich habe dazu nicht das Recht, dachte er, doch das dürfte sich noch finden!«

Aus dem Allen ergibt sich, daß der neueste Besuch des Capitäns der »Karysta« bei dem Banquier Elizundo weder von Xaris noch von dem jungen Mädchen mit Wohlgefallen gesehen wurde; im Gegentheil. Für Beide war es eine gewisse Erleichterung, als Nicolas Starkos nach längerer Unterredung mit dem Herrn des Hauses, von der nichts zu erfahren gewesen war, wie der fortging und den Weg nach dem Hafen einschlug.

Noch eine ganze Stunde lang blieb Elizundo in seinem Cabinet eingeschlossen. Man hörte nicht einmal, daß er darin ein Wort sprach.

Seine bestimmten Befehle lauteten aber dahin, daß weder seine Tochter noch Xaris eintreten sollten, ohne ausdrücklich verlangt zu werden. Da der Besuch dies mal besonders lange gedauert hatte, wuchs natürlich deren Angst in demselben Verhältnisse mit der verflossenen Zeit.

Plötzlich ertönte die Klingel Elizundo’s, wie von einem furchtsamen Anschlage, der von unsicherer Hand herrührte. Xaris folgte dem Rufe, öffnete die, von innen jetzt nicht mehr verschlossene Thür und befand sich nun gegenüber dem Banquier.

Elizundo saß noch immer halb vernichtet und mit dem Aussehen eines Mannes, der einen heftigen Kampf gegen sich bestanden, in seinem Armstuhle. Er erhob den Kopf und sah Xaris an, als habe er Mühe, diesen zu erkennen; dann strich er mit der Hand über die Stirn.

»Hadjine?« sagte er mit fast tonloser Stimme.

Xaris nickte zum Zeichen, daß er ihn verstehe, und verschwand. Gleich darauf trat das junge Mädchen zu ihrem Vater herein. Ohne weitere Vorrede, aber mit tief gesenkten Augen und mit einer vor Erregung zitternden Stimme, begann dieser sofort zu ihr:

»Hadjine, es muß sein… Du mußt auf die geplante Vermählung mit dem Capitän Henry d’Albaret verzichten.

– Was sagst Du, Vater?… rief das junge Mädchen, die dieser unerwartete Schlag tief in’s Herz traf.

– Es muß sein, Hadjine! wiederholte Elizundo.

– Doch willst Du mir sagen, liebster Vater, weshalb Du Dein ihm und mir gegebenes Wort zurücknimmst? fragte das junge Mädchen. Du weißt, ich habe nicht die Gewohnheit, Deine Wünsche zu discutiren, und auch heute liegt mir das gewiß fern, welcher Art dieselben auch sein mögen. Doch willst Du mir nicht wenigstens mittheilen, aus welchem Grunde ich darauf verzichten muß, Henry d’Albaret zu heiraten?

– Weil es sein muß, Hadjine… weil Du die Gattin eines Anderen werden mußt!« murmelte Elizundo.

Seine Tochter verstand ihn, so leise er auch sprach.

»Eines Anderen! rief sie, von diesem zweiten Schlage nicht minder getroffen, wie von dem ersten. Und dieser Andere?…

– Ist der Capitän Starkos!

– Diesen Mann! Diesen Mann!«

Unwillkürlich entrangen sich diese Worte den Lippen Hadjines, die sich am Tische anhalten mußte, um nicht zu Boden zu sinken.

Dann empörte sich noch einmal ihr ganzes Wesen gegen diesen Beschluß und sie rief:

»Lieber Vater, dem Befehle, den Du mir, vielleicht gegen Deinen Willen, ertheiltest, liegt eine Ursache zu Grunde, die ich mir nicht zu erklären vermag. Hier ist ein Geheimniß im Spiel, das Du mir zu offenbaren zögerst.

– Frage mich nichts, erwiderte Elizundo, nichts!

– Nichts, lieber Vater?… Es sei denn! Wenn ich aber, um Dir zu gehorchen, auch darauf verzichte, die Gattin Henry d’Albaret’s zu werden, so kann ich doch, und kostete es mein Leben, Nicolas Starkos nicht heiraten!… Das kannst Du doch nicht wollen!

– Es muß sein, Hadjine! wiederholte Elizundo.

– Mein ganzes Lebensglück steht dabei auf dem Spiele! rief das junge Mädchen.

– Und auf meiner Seite die Ehre.

– Die Ehre Elizundo’s könnte von einem Anderen als ihm selbst abhängen? fragte Hadjine.

– Ja… von einem Anderen!… Und dieser Andere ist Nicolas Starkos!«

Mit diesen Worten erhob sich der Banquier, seine Augen glänzten gespensterhaft und das Gesicht war verzogen, als hätte ihn ein Schlaganfall getroffen.

Gegenüber diesem Anblick fand Hadjine alle ihre Entschlossenheit wieder, und diese gehörte gewiß dazu, wenn sie, sich zurückziehend, zu ihrem Vater sagte:

– Gut, mein Vater,… ich werde gehorchen!«

Die Blüthe ihres Lebens war damit geknickt, aber sie hatte begriffen, daß die Beziehungen des Banquiers mit dem Capitän der »Karysta« ein furchtbares Geheimniß bergen mußten. Sie hatte sich überzeugt, daß er sich in der Gewalt dieses hassenswerthen Mannes befand. Sie beugte, sie opferte sich! Die Ehre ihres Vaters verlangte dieses Opfer! Xaris fing das junge Mädchen fast ohnmächtig mit den Armen auf. Er brachte sie nach ihrem Zimmer. Da erfuhr er von ihr, was geschehen war, welchem Verzichte sie zugestimmt hatte. Die nächste Folge davon war, daß sein Haß gegen Nicolas Starkos sich nur verdoppelte.

Eine Stunde später erschien wie gewöhnlich Henry d’Albaret in dem Banquierhause. Eine der dienenden Frauen bedeutete ihn, daß Hadjine Elizundo nicht zu sprechen sei. Er verlangte den Banquier zu sehen… Der Banquier konnte ihn nicht empfangen. Er wünschte nur Xaris zu sprechen!… Xaris war nicht im Comptoir.

Auf’s Höchste beunruhigt kehrte Henry d’Albaret nach dem Hôtel zurück. Solche Antworten hatte er noch niemals vernommen. Er beschloß, im Laufe des Abends noch einmal vorzusprechen, und wartete bis dahin in unsäglicher Angst. Um neun Uhr übergab man ihm in seinem Hôtel einen Brief. Ein Blick auf die Adresse lehrte ihm, daß dieselbe von der Hand Elizundo’s herrührte. Der Brief enthielt nur folgende wenige Zeilen:

 

»Herr Henry d’Albaret wird gebeten, das Project einer Verbindung zwischen ihm und der Tochter des Banquiers Elizundo als aufgelöst zu betrachten. Aus Gründen, welche mit seiner Person nicht im Entferntesten zu thun haben, kann diese Verheiratung nicht stattfinden, und Herr Henry d’Albaret wird den Unterzeichneten sehr verbinden, wenn er seine Besuche in dem Bankhause fortan einstellt.

Elizundo.«

Anfänglich verstand der junge Officier gar nicht, was er eben gelesen hatte. Dann durchlas er den Brief noch einmal. Er fühlte sich wie niedergeschmettert. Was war denn bei Elizundo geschehen? Woher diese Abweisung? Am gestrigen Tage noch hatte er das Haus verlassen, während in demselben alle Vorbereitungen zu seiner Vermählung betrieben wurden. Der Banquier hatte sich ihm gegenüber ganz so benommen, wie je vorher. Und was das junge Mädchen selbst anging, hatte nicht das Geringste darauf hingewiesen, daß ihre Gefühle für ihn sich irgendwie geändert hätten.

»Doch, der Brief ist ja auch gar nicht von Hadjine geschrieben. Seine Unterschrift lautet Elizundo!… Nein, Hadjine hat nicht gewußt und weiß auch jetzt noch nicht, was ihr Vater mir geschrieben hat. Er hat seine Absichten ohne ihr Mitwissen geändert. Warum?… Ich habe ihm doch keine Ursache gegeben… o, ich werde das Hinderniß, daß sich zwischen mich und Hadjine drängt, schon zu erfahren wissen!«

Da er in dem Hause des Banquiers jetzt nicht selbst empfangen werden konnte, so schrieb er an diesen, da er, wie er sich ausdrückte, ein gutes Recht darauf habe, die Gründe kennen zu lernen, welche eine Vermählung unmöglich machten, die schon in nächster Zeit hatte stattfinden sollen.

Sein Brief blieb ohne Antwort. Er schrieb einen anderen, zwei andere: dasselbe Schweigen.

Jetzt wendete er sich unmittelbar an Hadjine. Er bat sie bei ihrer Liebe, ihm wenigstens zu antworten, und wenn sie auch nur sagte, daß sie sich niemals wieder sehen könnten. Keine Antwort.

Wahrscheinlich war sein Brief gar nicht in die Hände des jungen Mädchens gekommen. Henry d’Albaret mußte das wenigstens glauben. Er kannte ja ihren Charakter viel zu gut, um sicher zu sein, daß sie ihm eine Erklärung gegeben haben würde.

In seiner Verzweiflung suchte nun der junge Officier Xaris zu treffen. Er kam von der Strada Reale gar nicht mehr weg. Ganze Stunden wandelte er in der Nähe des Bankhauses umher. Vergeblich. Vielleicht den Befehlen des Banquiers, vielleicht auch den Bitten Hadjines gehorchend, ging Xaris überhaupt nicht mehr aus.

So verstrichen unter vergeblichen Bemühungen die Tage des 24. und 25. Octobers. Mit seiner Angst und Sorge ohnegleichen glaubte Henry d’Albaret schon die äußerste Grenze seiner Leiden erreicht zu haben. Er sollte sich täuschen.

Im Laufe des 26. nämlich verbreitete sich plötzlich eine Nachricht, die ihn mit noch schrecklicherem Schlage treffen mußte.

Nicht allein seine Vermählung mit Hadjine Elizundo war aufgehoben – ein Bruch, den übrigens die ganze Stadt schon kannte – sondern Hadjine Elizundo sollte jetzt auch einem Anderen die Hand reichen.

Henry d’Albaret fühlte sich vernichtet, als er diese Neuigkeit hörte. Ein Anderer als er sollte der Gatte Hadjines werden!

»Ich muß wissen, wer das ist! rief er. Mag es sein, wer’s will, ich muß es erfahren!… Ich werde mich bis zu ihm drängen!… Ich setze ihn zur Rede und er muß mir wohl oder übel antworten!«

Der junge Officier sollte nicht lange zu warten haben, bis er hörte, wer sein Rival sei. Er sah ihn bald genug in das Bankhaus eintreten, folgte ihm, als er wieder herauskam, beobachtete ihn auf dem Wege bis zum Hafen, wo sein Boot diesen am Molo erwartete. Von hier sah er ihn auf der, eine halbe Kabellänge vom Ufer verankerten Sacoleve verschwinden.

Nicolas Starkos war es, der Capitän der »Karysta«.

Das geschah am 27. October. Aus weiteren Nachrichten, welche Henry d’Albaret erhielt, ging hervor, daß die Vermählung Nicolas Starkos‘ mit Hadjine Elizundo ganz nahe bevorstehe, denn alle Vorbereitungen dazu wurden mit einer gewissen Hast betrieben. Die religiöse Feierlichkeit sollte am dreißigsten desselben Monats in der Kirche des heiligen Spiridion stattfinden, das heißt an demselben Tage, der vorher für die Vermählung Henry d’Albaret’s in’s Auge gefaßt war. Er freilich sollte dabei nicht als Bräutigam sein! Diese Stelle nahm jener Capitän ein, von dem man nicht wußte, woher er gekommen, und von dem keiner wußte, wohin er gehe.

Die Beute einer Wuth, welche er nicht mehr zu bemeistern vermochte, war Henry d’Albaret fest entschlossen, Nicolas Starkos aufzusuchen, und müßte er ihm bis an die Stufen des Altars folgen.

Er wollte ihn zum Zweikampfe fordern. Wenn er ihn nicht tödtete, so würde vielleicht doch er getödtet werden, und wäre damit aus dieser fast unerträglichen Lage befreit gewesen.

Vergeblich sagte er sich, daß diese Vermählung, wenn sie zu Stande käme, jedenfalls die Zustimmung Elizundo’s haben müsse. Vergeblich wiederholte er sich, daß der, welcher über Hadjines Hand verfügte, ja der Vater der Geliebten war.

»Ja, aber es geschieht gegen ihren Willen!… Sie unterliegt einem äußeren Drucke, der sie diesem Menschen überliefert… Sie opfert sich!«

Im Laufe des 28. Octobers versuchte Henry d’Albaret den Nicolas Starkos zu treffen. Er lauerte ihm auf, wo er an’s Land ging, er stand unbeirrt am Eingange nach dem Comptoir. Alles vergeblich! Und binnen zwei Tagen sollte nun diese verruchte Vermählung stattfinden – zwei Tage, während welcher der junge Officier Alles wagte, entweder bis zu dem jungen Mädchen vorzudringen, oder doch Nicolas Starkos zu erlangen.

Da trat am 29. gegen sechs Uhr Abends ein höchst unerwartetes Ereigniß ein, welches die Sachlage mit einem Schlage änderte.

Im Laufe des Nachmittags verbreitete sich das Gerücht, daß der Banquier von einem Gehirnschlage getroffen worden sei.

Und wirklich, zwei Stunden später war Elizundo eine Leiche.

Vierzehntes Capitel


Vierzehntes Capitel

Sacratif.

Die aus zwölf Fahrzeugen bestehende Flottille war aus den Schlupfwinkeln bei Scarpanto am Vortage ausgelaufen. Man erkannte an ihren Bewegungen nur zu deutlich, daß sie die Corvette entweder von vorn angreifen oder diese umzingeln wollte, um ihr unter sehr ungleichen und für letztere höchst ungünstigen Bedingungen einen Kampf anzubieten. Bei dem Mangel an Wind war dieser Kampf nicht zu umgehen, und wenn Henry d’Albaret dazu auch Gelegenheit gehabt hätte, würde er denselben nicht vermieden haben. Die Flagge der »Syphanta« konnte, ohne sich zu entehren, nicht vor der Flagge der Piraten des Archipels die Flucht ergreifen.

Unter jenen Fahrzeugen befanden sich vier Briggs mit je sechzehn bis achtzehn Kanonen. Die anderen acht Segler waren von geringerem Tonnengehalt, alle aber mit leichten Geschützen ausgerüstet und bestanden aus Saïquen mit zwei Masten, aus Senalen mit gerade emporstehenden Masten, ferner aus Feluken und zum Kampf ausgerüsteten Sacoleven.

Soweit die Officiere der Corvette es beurtheilen konnten, standen ihnen hier mehr als hundert Feuerschlünde gegenüber, denen sie nur mit zweiundzwanzig Kanonen und sechs Karonaden antworten konnten.

Die zweihundertfünfzig Matrosen, welche ihre Besatzung bildeten, mußten sieben- bis achthundert Feinde zu bekämpfen haben – jedenfalls ein sehr ungleicher Kampf. Immerhin konnte die Ueberlegenheit der Artillerie der »Syphanta« zwar einige Aussicht auf Erfolg versprechen, freilich nur unter der Bedingung, sich die Anderen nicht gar zu nahe kommen zu lassen. Es kam also darauf an, die Flottille in einiger Entfernung zu halten und die einzelnen Schiffe derselben durch wohlgezielte Breitlagen nach und nach kampfunfähig zu machen. Mit einem Worte, es galt vor Allem, die Feinde nicht an Bord kommen zu lassen und einen Kampf Mann gegen Mann zu vermeiden. In letzterem Falle mußte die Uebermacht gewiß siegen, denn dieser Factor kommt auf dem Meere noch mehr in Betracht, als auf dem Lande, weil dort ein Rückzug unmöglich ist und Alles darauf hinausläuft, sich selbst in die Luft zu sprengen oder sich zu ergeben.

Eine Stunde, nachdem der Nebel sich zerstreut, war die Flottille weit näher herangekommen an die Corvette, welche noch immer so unbeweglich blieb, als läge sie mitten auf einer Rhede vor Anker.

Henry d’Albaret verfehlte natürlich nicht, jede Bewegung, jedes Manöver der Piraten zu beobachten. An Bord war Alles schnell gefechtsbereit, und Officiere und Matrosen hatten die ihnen zukommende Stellung eingenommen. Diejenigen unter den Passagieren, welche gut bei Kräften waren, hatten darum nachgesucht, in den Reihen der Mannschaft mitkämpfen zu dürfen, und deshalb Waffen erhalten. In der Batterie und auf dem Verdeck herrschte peinliches Schweigen, kaum unterbrochen von den wenigen Worten, welche der Commandant mit dem Capitän Todros austauschte.

»Wir dürfen sie nicht entern lassen, sagte er zu ihm. Zunächst wollen wir warten, bis die ersten Schiffe sich in bequemer Schußweite befinden, und dann geben wir aus unseren Steuerbordgeschützen Feuer.

– Sollen wir so schießen, um die Schiffe zum Sinken zu bringen, oder um sie zu entmasten?«

– Wir wollen sie zu versenken suchen!« antwortete Henry d’Albaret.

Das war gewiß der sicherste Weg, sich jener Piraten zu erwehren, welche vorzüglich zu fürchten sind, wenn sie das Deck eines Schiffes erklettern können, und gerade jenen Sacratif unschädlich zu machen, der unverschämt genug war, sogar seine schwarze Flagge zu hissen. Wenn er das that, geschah es unzweifelhaft in der Hoffnung, daß kein Mann von der Corvette überleben werde, um sich rühmen zu können, er habe ihn von Angesicht zu Angesicht gesehen.

Mittags gegen ein Uhr befand sich die Flottille nur noch etwa eine Seemeile vor dem Winde und näherte sich mit Hilfe von Rudern immer mehr. Die mit den Vordersteven nach Nordwesten liegende »Syphanta« konnte sich nur mit Mühe in dieser Richtung erhalten. Die Piraten kamen in geordneter Schlachtlinie auf sie zu – zwei Briggs in der Mitte der Front und je eine an beiden Seiten.

Sie manövrirten in der Weise, um die Corvette von vorn nach hinten zu umgehen und sie damit in einen Kreis einzuschließen, dessen Radius sich dann immer mehr verkürzen sollte. Ihre Absicht ging offenbar dahin, dieselbe erst unter ein verheerendes convergirendes Feuer zu nehmen und dann das Verdeck derselben zu erstürmen. Henry d’Albaret hatte das für ihn so gefährliche Manöver recht wohl durchschaut, konnte es aber leider nicht verhindern, da er zu völliger Unbeweglichkeit verdammt war. Vielleicht gelang es ihm jedoch, diese Linie durch Kanonen zu durchbrechen, ehe er noch von allen Seiten umzingelt war. Schon fragten sich die Officiere verwundert, warum ihr Commandant mit der sicheren und ruhigen Stimme, die man an ihm kannte, nicht Befehl gab, das Feuer zu eröffnen.

Nein. Henry d’Albaret wollte keinen Schuß verschwenden und nur dann seine Geschütze sprechen lassen, wenn er der Erreichung seines Zieles gewiß war.

So verflossen noch zehn Minuten. Alle warteten, die Stückrichter, das Auge am Visir ihrer Kanonen, die Officiere in der Batterie, bereit, die Befehle des Commandanten auszuführen, und die Matrosen auf dem Deck, welche ungeduldige Blicke über die Schanzkleidung warfen. Jetzt, wo die geringe Entfernung dem Feinde die Aussicht gab, mit Erfolg zu schießen, mußte man die ersten Kugeln vielleicht gar von seiner Seite erwarten.

Henry d’Albaret schwieg noch immer. Er beobachtete die Linie, welche sich an beiden Enden schon zu krümmen begann. Die Briggs im Centrum – die eine derselben war diejenige, welche die schwarze Flagge Sacratif’s gehißt hatte – befanden sich jetzt kaum eine Seemeile entfernt.

Doch wenn der Befehlshaber der »Syphanta« sich nicht beeilte, das Feuer zu eröffnen, so schien auch der Anführer der Flottille keine große Eile zu haben, dies zu thun. Vielleicht gedachte er gar die Corvette anzusegeln, um dann nur einige Hundert seiner verwegenen Leute zum Sturme zu führen.

Endlich glaubte Henry d’Albaret aber doch, nicht mehr länger zaudern zu dürfen. Ein schwacher Windhauch, der bis zur Corvette reichte, gestattete ihm, um ein Viertel anzuluven. Nachdem er seine Stellung soweit geändert, um den beiden Briggs die Breitseite zuzuwenden, rief er:

»Achtung auf Deck und in der Batterie!«

An Bord entstand ein leichtes Geräusch, dem jedoch sehr bald wieder vollständige Stille folgte.

»Nach der Schwimmlinie zielen!« befahl Henry d’Albaret.

Der Befehl wurde durch die Officiere wiederholt, und die Stückrichter visirten sorgfältig nach dem Rumpfe der beiden Briggs, während die Karonaden auf dem Verdeck die Maste auf’s Korn nahmen.

»Feuer!« commandirte Henry d’Albaret.

Alle Geschütze an Steuerbord krachten. Vom Verdeck und aus der Batterie der Corvette schleuderten elf Kanonen und drei Karonaden ihre verderblichen Geschosse und darunter auch mehrere sogenannte Kettenkugeln, welche besonders dazu geeignet sind, auf kurze Entfernung ein Schiff seiner Maste und Raaen zu berauben.

Als der nach rückwärts ziehende Pulverdampf den Horizont wieder überblicken ließ, konnte man die Wirkung des Geschützfeuers auf die beiden Fahrzeuge genau übersehen. Sie war zwar keine vollständige, aber jedenfalls auch nicht unbedeutend.

Eine der beiden Briggs, welche das Centrum der feindlichen Linie einnahmen, zeigte oberhalb der Schwimmlinie ziemlich umfängliche Zerstörungen. Einige Strickleitern waren zerrissen, der wenige Fuß über Deck zerschmetterte Fockmast war nach vorn zu gefallen und hatte dabei einzelne, zum Großmast gehörige Theile zerbrochen. Damit kam die Brigg in die Nothlage, diese Havarien wenigstens nothdürftig auszubessern, konnte aber noch immer auf die Corvette heransegeln. Die der letzteren drohende Gefahr, umzingelt zu werden, schien durch diese Einleitung des Kampfes also nicht abgewendet zu sein.

In der That waren die beiden anderen, am äußersten rechten und linken Flügel befindlichen Briggs nun bis zur Höhe der »Syphanta« herangekommen. Von dieser Stellung aus hielten sie nun directer auf diese zu, begannen dieses Manöver aber nicht, ohne jene der Länge nach zu bestreichen.

Zwei Kugeln hatten dabei eine besonders verderbliche Wirkung. Der Besanmast der Corvette wurde in der Höhe der Mastbacken zerschmettert und stürzte prasselnd, wenigstens theilweise herunter, glücklicherweise, ohne die Takelage des Großmastes besonders in Unordnung zu bringen Gleichzeitig wurden einige Reservetheile und ein größeres Boot des Schiffes zerstört. Am beklagenswerthesten war es aber, daß auch ein Officier und zwei Matrosen dabei einen sofortigen Tod fanden, während drei oder vier andere Leute schwer verwundet wurden. Letztere schaffte man sofort unter Deck in Schutz.

Henry d’Albaret gab den Befehl, das Oberdeck eiligst frei zu machen. Verschiedenes Tauwerk, Segel, Trümmer von Raaen und was sonst daselbst lag, war binnen wenigen Minuten entfernt. Der Platz wurde wieder frei und gangbar. Es war jetzt auch kein Augenblick zu verlieren. Das Artilleriegefecht begann eben mit neuer Heftigkeit. Die zwischen zwei Feuer genommene Corvette sah sich genöthigt, gleichzeitig von Back- und Steuerbord zu feuern.

In diesem Moment krachte eine neue Breitenlage von der »Syphanta«, diesmal aber so gut gezielt, daß zwei Fahrzeuge der Flottille – eine der Senalen und eine Saïque – welche dicht unter der Schwimmlinie getroffen und durchbrochen waren, so viel Wasser schluckten, daß sie in kurzer Zeit versanken. Die Besatzung derselben fand kaum Zeit, sich in die Boote zu stürzen, um die beiden Briggs im Centrum zu erreichen, wo dieselbe sofort aufgenommen wurde.

»Hurrah! Hurrah!«

So schallte der Ruf der Matrosen auf der Corvette nach diesen zwei Schüssen, welche den Geschützführern derselben alle Ehre machten.

»Zwei wären versenkt! sagte der Capitän Todros.

»Ja wohl, antwortete Henry d’Albaret, die Schurken aber, welche sich darauf befanden, haben an Bord der beiden Briggs gelangen können, und ich fürchte immer einen Enterungsversuch, bei dem sie den Vortheil der Uebermacht haben würden.«

Eine Viertelstunde lang währte so die Kanonade von beiden Seiten fort. Die Piratenschiffe verschwanden ebenso wie die Corvette von Zeit in den weißen Wolken des Pulverdampfs und man mußte immer warten, bis diese sich verzogen hatten, ehe der Schaden zu erkennen war, den die kämpfenden Parteien sich gegenseitig zugefügt hatten. Leider erwies sich dieser Schaden an Bord der »Syphanta« nur gar zu fühlbar. Mehrere Mann von der Besatzung waren getödtet, noch mehrere, oft recht ernstlich, verwundet worden. Mitten in die Brust getroffen sank ein französischer Officier gerade in dem Augenblick zusammen, wo ihm der Commandant weitere Befehle ertheilte.

Die Todten und die Verwundeten wurden unter Deck geschafft. Schon konnten der Schiffsarzt und seine Gehilfen kaum mehr fertig werden mit dem Anlegen von Verbänden und der Ausführung von Operationen, welche der Zustand Derjenigen nöthig machte, die entweder unmittelbar von feindlichen Geschossen getroffen oder von den auf dem Verdeck oder in der Batterie plötzlich herumfliegenden Holzstücken verletzt worden waren. Wenn es auch zum Kleingewehrfeuer zwischen den Schiffen, die sich immer in halber Kanonenschußweite hielten, noch nicht gekommen war, wenn der Schiffsarzt also weder Kugeln oder Kartätschenstücke auszuziehen hatte, so zeigten sich die Verwundungen doch nicht minder schwer, dagegen oft eher noch zerstörender.

Bei dieser Gelegenheit ließen es sich auch die, im unteren Schiffsraume untergebrachten Frauen nicht nehmen, schwerer Samariterpflicht zu genügen. Hadjine Elizundo ging ihnen dabei mit leuchtendem Beispiele voran; aber auch alle Uebrigen bemühten sich, die Verwundeten nach besten Kräften zu pflegen und sie zu trösten und zu erquicken.

Dabei verließ auch die bejahrte Gefangene von Scarpanto ihr dunkles Versteck. Der Anblick des Blutes konnte sie nicht erschrecken, denn die wechselnden Ereignisse ihres Lebens hatten sie ja schon nach manchem Schlachtfelde geführt Beim Scheine der Lampen des beschränkten Raumes neigte sie sich über das Kopfende der Lagerstätten, auf denen die Verwundeten ruhten, lieh die helfende Hand bei den schmerzlichsten Operationen, und wenn eine neue Breitenlage die Corvette bis in alle Spanten erschütterte, verrieth nicht die leiseste Bewegung ihrer Augen, daß die entsetzlichen Detonationen sie erschreckten.

Indessen kam die Stunde heran, wo die Besatzung der »Syphanta« gezwungen sein sollte, gegen die Seeräuber mit blanker Waffe zu kämpfen. Die Linie derselben hatte sich geschlossen; der feuerspeiende Kreis verengerte sich allmählich, die Corvette wurde zum Zielpunkte aller dieser convergirenden Geschütze.

Sie vertheidigte sich jedoch muthig und machte der Flagge alle Ehre, die noch immer an ihrer Mastspitze wehte. Ihre Artillerie richtete an Bord der Flottille die ärgsten Verheerungen an. Zwei andere Fahrzeuge, eine Saîque und eine Feluke, wurden noch zerstört. Das eine versank, das von glühenden Kugeln durchlöcherte andere Fahrzeug verschwand bald in einem lodernden Flammenmeere.

Trotzdem war eine Erstürmung nicht zu umgehen. Die »Syphanta« hätte, um eine solche zu vermeiden, die feindliche Linie, welche sie rings umgab, durchbrechen müssen. Aus Mangel an Wind konnte sie das aber nicht, während die Seeräuberschiffe, von den großen Galeerenrudern getrieben, immer näher herankamen und den Kreis um sie enger schlossen.

Die Brigg mit der schwarzen Flagge befand sich nur noch in Pistolenschußweite, als sie noch eine volle Breitseite abgab. Eine Vollkugel schlug auf die Eisenverstärkung des Hinterstevens und machte das Steuerruder unbrauchbar.

Henry d’Albaret bereitete sich nun vor, die etwa anstürmenden Piraten zu empfangen und ließ die Seile der Schlagnetze und die Landungstaue emporziehen. Jetzt begann das Flintenfeuer von beiden Seiten zu knattern. Steinböller und Stutzbüchsen, Flinten und Pistolen schleuderten einen Hagel von Kugeln auf das Verdeck der »Syphanta«. Viele von der Mannschaft sanken noch, meist tödtlich getroffen, zu Boden. Zwanzigmal war Henry d’Albaret nahe daran, getödtet zu werden, aber immer unbeweglich und ohne Erregung ertheilte er von seinem Posten aus alle Befehle mit derselben Kaltblütigkeit, als hätte er bei einer Schiffsparade nur eine Ehrensalve zu commandiren.

Durch einzelne Lücken in den Rauchwolken konnten sich jetzt die feindlichen Mannschaften Aug‘ in Auge sehen. Man vernahm die wüthenden Fluchworte der Banditen. An Bord der Brigg mit der schwarzen Flagge suchte Henry d’Albaret vergeblich Sacratif herauszufinden, dessen Name allein genügte, den ganzen Archipel in Schrecken zu setzen.

Da legten sich jene Brigg und eine jener, welche die Kreislinie geschlossen hatten, ein wenig rückwärts unterstützt von den andern Fahrzeugen, an Backbord und Steuerbord längs der Seiten der Corvette an, deren Barkhölzer unter dem Drucke derselben knirschten.

Gleichzeitig klammerten sich die Enterhaken an die Schanzkleidung an und verbanden die drei Fahrzeuge mit einander. Die Kanonen derselben mußten nun schweigen, doch da die Stückpforten der »Syphanta« eben so viele, den Piraten offenstehende Breschen bildeten, blieb die Bedienung der Geschütze auf ihrem Posten, um jene mit Aexten, Pistolen und Lanzen zu vertheidigen. So lautete der Befehl des Commandanten, ein Befehl, der noch nach der Batterie hinunter ertheilt wurde, als die beiden Briggs sich an den Seiten anlegten.

Plötzlich erschallte von allen Seiten ein wildes Geschrei von solcher Heftigkeit, daß es einen Augenblick das Krachen der Gewehre übertönte.

»Zum Sturm! Zum Sturm!«

Der Kampf Mann gegen Mann wurde nun ein furchtbarer. Weder das Feuer der Stutzbüchsen, Steinböller und Gewehre, noch die hitzigsten Axtschläge oder die Spitzen der Lanzen vermochten die wüthenden, vor Erregung blinden und blutgierigen Gesellen abzuhalten, die Corvette zu erklimmen. Von den Mastkörben der Briggs aus überschütteten sie das Verdeck der »Syphanta« mit einem Hagel von Wurfgranaten, die dasselbe völlig unhaltbar machte, obgleich die Mastwächter der letzteren in derselben Weise tapfer antworteten. Henry d’Albaret sah sich von allen Seiten angegriffen. Die Schanzkleidung seines Schiffes wurde, obwohl sie die der Briggs nicht wenig überragte, im Sturme genommen. Die Seeräuber kletterten wohl auch von Raa zu Raa über, durchlöcherten die Schlagnetze und ließen sich von diesen aus auf das Verdeck nieder. Was hatte es zu bedeuten, daß einige von ihnen getödet wurden, ehe sie dasselbe erreichten! Ihre Zahl war eine zu große, als daß dadurch das drohende Verderben hätte abgewendet werden können.

Die jetzt auf weniger als zweihundert kampffähige Männer zusammengeschmolzene Besatzung der Corvette hatte sich gegen mehr als sechshundert Feinde zu vertheidigen.

In der That dienten die beiden Briggs noch fort während als Uebergang neuer Streiter, welche die Boote der Flottille heranbrachten. Es war eine Menge, gegen welche ein erfolgreicher Widerstand zur Unmöglichkeit wurde. Bald floß das Blut geradezu in Strömen über das Verdeck der »Syphanta«.

Die schon fast in Todeszuckungen liegenden Verwundeten erhoben sich noch einmal mit den letzten Kräften, um einen Pistolenschuß abzugeben oder einem Feinde den Dolch in den Leib zu stoßen. Mitten unter dichten Rauchwolken herrschte die entsetzlichste Verwirrung; aber die Flagge Korfus sank gewiß nicht herab, so lange noch ein Mann zu ihrer Vertheidigung übrig blieb.

Unter dem schrecklichsten Handgemenge kämpfte Xaris gleich einem Löwen. Er hatte das erhöhte Hinterdeck nicht verlassen. Zwanzigmal hatte seine Axt, deren Schaft seine kräftige Faust umspannte, durch einen wuchtigen Hieb auf den Kopf eines Seeräubers Henry d’Albaret das Leben gerettet.

Dieser aber blieb inmitten des Tumults und obgleich gegen die Ueberzahl der Andringenden nichts auszurichten war, doch immer Herr seiner selbst. Woran dachte er wohl?… Sich zu ergeben?… Nein, ein französischer Officier ergibt sich Seeräubern nicht! Doch was sollte er zuletzt thun? Sollte er das Beispiel des heldenmüthigen Bisson nachahmen, der sich unter ganz ähnlichen Verhältnissen zehn Monate vorher in die Luft sprengte, um den Türken nicht in die Hände zu fallen? Durste er hoffen, mit der Corvette auch die an ihre Seiten geketteten beiden Briggs zu vernichten? Damit weihte er dem gewissen Tode aber auch die Verwundeten von der »Syphanta«, die Nicolas Starkos vorher entrissenen Gefangenen, alle die Frauen, die Kinder!… Damit opferte er selbst Hadjine!… Und wie hätten Die, welche die Explosion verschonte, wenn Sacratif ihnen überhaupt das Leben schenkte, dann der drohenden Sclaverei entgehen können?

»In Acht nehmen, Herr Commandant!« rief eben Xaris, der sich schützend vor ihn drängte.

Eine Secunde später und Henry d’Albaret wäre zu Tode getroffen gewesen; Xaris packte aber mit beiden Fäusten den Piraten, der eben zum Schlage nach jenem ausholte und stürzte ihn in’s Meer. Noch dreimal versuchten Andere bis zu Henry d’Albaret vorzudringen, aber dreimal streckte Xaris dieselben zu seinen Füßen nieder.

Inzwischen war das Verdeck der Corvette von Feinden förmlich überschwemmt worden. Kaum hörte man dann und wann noch das Krachen eines Schusses. Ueberall schlug man sich mit blanker Waffe, und das Geschrei der Kämpfenden übertönte das Knallen des Pulvers.

Die Piraten, jetzt schon Herren des ganzen Vordertheils, hatten allmählich den Raum bis zum Fuße des Großmastes erobert. Nach und nach drängten sie die Besatzung bis nach dem erhöhten Hinterdeck zurück. Sie waren zum mindesten zehn gegen Einen. Wie wäre da ein siegreicher Widerstand möglich gewesen? Wenn der Commandant d’Albaret jetzt seine Corvette hätte in die Luft sprengen wollen, hätte er ein solches Vorhaben kaum noch ausführen können. Die Angreifer hielten schon die Luken und die Eingänge in ihrer Gewalt, durch welche man nach dem Inneren des Schiffes gelangte.

Sie hatten sich in der Batterie wie im Zwischendeck verbreitet, wo nun der Kampf mit derselben Wuth weitertobte, und es war gar nicht daran zu denken, an die Pulverkammern zu gelangen.

Ueberall besaßen auch die Seeräuber durch ihre Zahl das Uebergewicht. Nur eine aus ihren getödteten oder verwundeten Kameraden bestehende Schranke trennte sie noch von dem Hinterdeck der »Syphanta«. Gedrängt durch die Nachfolgenden, erkletterten die ersten Reihen diese Schranke aus menschlichen Leibern und bereiteten sich, mit den Füßen in Blut watend, zum Sturme auf das Hinterdeck.

Hier hielten sich etwa fünfzig Mann von der Besatzung, nebst fünf bis sechs Officieren und dem Capitän Todros, dicht aneinander geschlossen Sie umringten ihren Commandanten, Alle fest entschlossen, ihn bis zum Tode zu vertheidigen.

Auf diesem beschränkten Raum wurde der Kampf nun ein verzweifelter. Die Flagge, welche mit dem Besanmast vom Top heruntergestürzt war, wurde an der Fahnenstange des Achters wieder aufgezogen.

Hier war der letzte Punkt, den zu vertheidigen die Ehre noch den letzten Mann verpflichtete.

Was vermochte der kleine Haufen trotz aller Todesverachtung aber auszurichten gegen die fünf- bis sechshundert Seeräuber, welche das Vorderdeck, die Brücke und die Marsen inne hatten, von denen ein wirklicher Granatenhagel herniederprasselte? Die Besatzungen der Flottille strömten noch immer den ersten Angreifern zu Hilfe. Die Zahl der Raubgesellen blieb dadurch immer die nämliche, während jede Minute die Reihen der Vertheidiger des Hinterdecks lichtete.

Dieses Hinterdeck glich jedoch einer Festung, von der wiederholte Sturmangriffe schon siegreich abgewendet worden waren, so daß Niemand hätte sagen können, wie viel Blut schon um derselben willen vergossen worden war. Endlich wurde das Oberdeck doch eingenommen. Die Leute von der »Syphanta« mußten vor der sich heraufwälzenden Lawine bis zum Backbord zurückweichen. Dort umringten sie die Flaggenstange und bildeten mit ihren Körpern einen Wall um dieselbe. Die Pistole in der einen, den Dolch in der andern Hand, stand Henry d’Albaret mitten unter ihnen und gab die letzten Schüsse ab oder badete die blitzende Klinge im Blute eines Feindes.

Nein, der Commandant der Corvette ergab sich nicht! Er wurde nur durch die Uebermacht erdrückt. Da wollte er wenigstens den Tod suchen… vergeblich! Es schien fast, als ob Diejenigen, welche auf ihn eindrangen, den geheimen Befehl hätten, sich seiner lebend zu bemächtigen – ein Befehl, dessen Ausführung zwanzig der Tollkühnsten unter der Axt des wüthenden Xaris das Leben kostete.

Endlich wurde Henry d’Albaret mit den wenigen Officieren, welche noch nicht gefallen waren, gefangen genommen. Xaris und die Matrosen sahen sich zur thatlosen Ohnmacht verurtheilt. Die Flagge der »Syphanta« wehte nicht mehr am Fahnenstocke.

Gleichzeitig ertönten von allen Seiten wilde Schreie, Verwünschungen und laute Hurrahs. Es waren die Sieger, welche dieses Geheul ausstießen, um ihren Führer herzurufen.

»Sacratif!… Sacratif!« erscholl es aus der wüthenden Menge.

Da erschien dieser Führer über der Schanzkleidung der Corvette. Die rohen Gesellen wichen auseinander, um ihm Platz zu lassen. Er ging langsamen Schrittes auf das Hinterdeck zu und trat dabei, ohne sich besonders darum zu kümmern, auf die Leichen seiner eigenen Leute. Nachdem er dann die von Blut schlüpfrige Treppe zu dem Oberdeck erstiegen, schritt er auf Henry d’Albaret zu.

Der Commandant der »Syphanta« erblickte endlich Denjenigen, den der Schwarm der Seeräuber mit dem Namen Sacratif begrüßt hatte.

Es war Nicolas Starkos.

Zweites Capitel


Zweites Capitel

Auge in Auge.

Zehn Minuten später verließ ein leichtes Boot, eine Gig, die Sacoleve und führte nach dem Fuße des Molos ohne jede Begleitung und ohne Waffen den Mann, vor dem die Vityliner so schnell den Rückzug angetreten hatten.

Es war der Capitän der »Karysta« – so nannte sich das kleine Fahrzeug, welches eben im Hafen vor Anker gegangen war.

Unter der dicken Seemannsmütze zeigte dieser nur mittelgroße Mann eine hohe stolze Stirn und in den grausamen Augen einen höchst entschlossenen Blick. Ueber seine Oberlippe lief der Klephte-Schnurrbart wagrecht nicht in Spitzen, sondern in starken Haarbüscheln aus. Seine Brust war breit, seine Glieder muskulös. In Locken fielen ihm die schwarzen Haare auf die Schultern. Wenn er fünfunddreißig Jahre überschritten hatte, konnte das nur um wenige Monate sein. Aber sein durch Sonne und Wind gebräunter Teint, die Härte seiner Züge und eine Falte auf der Stirn, die wie eine Furche vertieft erschien, in der kein guter Samen keimen konnte, ließ ihn entschieden älter erscheinen, als er in der That war.

Was die Kleidung angeht, die er eben trug, so bestand diese weder aus der Weste, noch dem Brustlatz oder der Fustanella des Palikaren. Der Kaftan, die Kapuze von brauner Farbe, welche wenig hervortretend gestickt war, die grünlichen Beinkleider mit den weiten Falten, welche sich in hohe Stiefeln verloren, erinnerten weit eher an die Tracht eines Seemannes aus den Barbaresken-Staaten.

Dennoch war Nicolas Starkos wirklich von Geburt ein Grieche und ein Eingeborner des Hafens von Vitylo. Hier hatte er seine ersten Jugendjahre verbracht. Als Kind und als Jüngling hatte er zwischen diesen Felsgebilden den Anblick des Meeres lieben gelernt. Auf diesen Gewässern war er, eine Beute des Windes und der Strömungen, so viel umhergefahren. Hier gab es keine Einbuchtungen, deren Wassertiefe und Landungsplätze er nicht gekannt hätte; kein Riff, keinen Grund, keinen Unterwasserfelsen, dessen Lage ihm verborgen geblieben wäre; keine Windung des Canals, welche er selbst ohne Lootsen und ohne Compaß nicht hätte in Sicherheit befahren können. Das erklärt denn auch leicht, warum er trotz der falschen Signale seiner Landsleute die Sacoleve immer hatte mit ruhiger Hand leiten können. Daneben wußte er, wie wenig den Vitylinern Vertrauen zu schenken war. Er hatte sie schon gar zu oft in Thätigkeit gesehen. Und im Grunde mißbilligte er vielleicht nicht einmal ihre räuberischen Gewohnheiten, wenigstens sobald er persönlich gesichert war, nicht davon zu leiden.

Doch wenn Nicolas Starkos seine Leute kannte, so war er nicht minder bei ihnen bekannt. Nach dem Tode seines Vaters, der unter den Tausenden von Opfern fiel, welche die Grausamkeit der Türken hinschlachtete, lechzte seine von Rache erfüllte Mutter nur nach der Stunde, wo sie sich bei der ersten Erhebung gegen das türkische Joch auflehnen konnte. Er selbst hatte Magne mit achtzehn Jahren verlassen, um zur See zu gehen, wobei er vorzüglich im Archipel umherfuhr, und sich dabei nicht allein zum vortrefflichen Seemanne, sondern auch in dem Handwerk des Räubers ausbildete.

Niemand hätte wohl zu sagen vermocht, an Bord wie vieler Schiffe er seitdem gedient, welche Flibustier- oder Seeräuberführer ihn unter ihrem Befehl gehabt, unter welcher Flagge er zuerst gekämpft, wie viel Blut seine Hand schon vergossen, Blut der Feinde Griechenlands ebenso wie solches seiner Vertheidiger – dasselbe, welches auch in seinen Adern rollte. Wiederholt hatte man ihn schon in verschiedenen Häfen des Busens von Coron gesehen. Manche seiner Landsleute hätten wohl verschiedene Großthaten von ihm berichten können, wenn er sich mit ihnen verbündet hatte, Handelsschiffe zu überfallen und zu vernichten, um die reiche Beute mit ihnen zu theilen. Dennoch umgab den Namen Nicolas Starkos‘ ein gewisses Geheimniß. Jedenfalls war er aber in den Provinzen von Magne so bekannt, daß sich Alle vor seinem Namen verneigten.

Damit erklärte sich auch der Empfang, den dieser Mann bei den Bewohnern von Vitylo fand, ebenso der Umstand, daß schon seine Anwesenheit genügte, alle auf die geplante Plünderung verzichten zu lassen, sobald sie nur erkannt hatten, wer die Sacoleve befehligte.

Sobald der Capitän der »Karysta« ein wenig hinter dem Quai den Hafen betreten hatte, bildeten die zu seinem Empfange herbeigelaufenen Männer und Frauen ehrerbietig eine Kette, um ihn hindurch zu lassen. Als er an’s Land stieg, wurde kein Ausruf laut. Es schien als ob Nicolas Starkos hier einen hinreichenden Einfluß ausübte, um Anderen schon durch sein Erscheinen Ruhe zu gebieten. Die Leute warteten, bis er sprechen würde, und wenn das – wie wahrscheinlich – nicht der Fall war, hätte sich gewiß Niemand erlaubt, ein Wort an ihn zu richten.

Nachdem Nicolas Starkos seinen Matrosen der Gig befohlen, an Bord zurückzukehren, begab er sich nach dem Winkel, den der Quai im Hintergrunde des Hafens bildete. Kaum hatte er aber zwanzig Schritte in dieser Richtung gethan, als er plötzlich stehen blieb. Dann wandte er sich an den alten Seemann, der ihm nachfolgte, als erwarte er von ihm noch irgend welche Befehle.

»Gozzo, begann er, ich werde noch zehn kräftige Burschen brauchen, um meine Besatzung zu vervollständigen.

– Du wirst sie haben, Nicolas Starkos,« antwortete Gozzo.

Hätte der Capitän der »Karysta« Hundert zur Auswahl unter der seefahrenden Bevölkerung des Ortes verlangt, so würde er diese auch gefunden haben. Und diese hundert Mann würden, ohne zu forschen, wohin sie geführt würden, wozu sie bestimmt seien, für wessen Rechnung sie fahren oder kämpfen sollten, ihrem Landsmanne gefolgt sein, bereit, sein Los zu theilen, da sie recht gut wußten, daß ihnen auf die eine oder die andere Weise daraus zuletzt Vortheil entspringen müsse.

»Jene zehn Mann, fuhr der Capitän der »Karysta« fort, müssen binnen einer Stunde an Bord sein.

– Sie werden da sein,« versicherte Gozzo.

Nicolas Starkos deutete ihm durch eine Handbewegung an, daß er seine Begleitung nicht weiter wünsche, ging längs des Quais, der sich an den Molo anschloß, weiter und verschwand in einer der engen, am Hafen mündenden Straßen.

Der alte Gozzo kehrte, seinem Willen gehorchend, zu den Gefährten zurück und ging sofort daran, die zehn Burschen auszuwählen, welche die Mannschaft der Sacoleve zu vermehren bestimmt waren.

Inzwischen klomm Nicolas Starkos immer höher den Abhang des steilen Ufers empor, auf dem der Flecken Vitylo erbaut ist. Hier oben hörte man weiter nichts, als das Gebell der wilden Hunde, welche den Reisenden oft nicht weniger gefährlich sind, als die Schakals und Wölfe, Hunde mit gewaltigem Gebiß und dem breiten Gesicht der Dogge, die vor keinem Stocke zurückweichen. Mit langsamem Schlage der langen Flügel flatterten noch einige Seemöven umher, welche ihre Schlupfwinkel am Strande aufsuchten. Bald hatte Nicolas Starkos die letzten Häuser von Vitylo hinter sich gelassen. Er schlug jetzt den beschwerlichen Fußpfad ein, der um die Akropolis von Kerapha herumführt. Nachher kam er an den Ruinen einer Befestigung vorüber, welche hier zu jener Zeit von Ville-Hardouin angelegt worden war, als die Kreuzfahrer verschiedene Punkte des Peloponnes besetzt hielten, und dann umschritt er noch den Fuß einiger alter Thürme, die sich noch jetzt hier auf dem Felsenufer erheben. Bei diesen blieb er stehen und wendete sich zu einem Rückblick um.

Am Horizonte, jenseits des Cap Gallo, neigte sich der zunehmende Mond seinem Untergange im Ionischen Meere zu. Da und dort flammten einige Sterne durch die zerrissenen Wolken, welche der frische Abendwind über den Himmel jagte. Wenn dieser ein mal nachließ, herrschte Todtenstille rings um die Citadelle. Zwei oder drei kaum sichtbare kleine Fahrzeuge durchfurchten das Wasser im Golfe, näherten sich Coron oder wendeten sich Kalamata zu. Ohne die Laternen, welche an ihrer Mastspitze leuchteten, hätte man dieselben vielleicht kaum erkennen können. An anderen Punkten der Küste brannten sieben bis acht Feuer, welche sich im Meere zitternd wiederspiegelten. Waren dies Lichter von Fischerfahrzeugen oder solche in Wohnungen am Strande? Das hätte man schwerlich unterscheiden können.

Nicolas Starkos ließ den schon an die Dunkelheit gewohnten Blick über die ungeheure Fläche schweifen. Das Auge des Seemanns hat oft eine unbegreifliche Schärfe und gestattet ihm da noch etwas zu unterscheiden, wo Andere gar nichts sehen würden. Im jetzigen Augenblick schien es aber nicht, als ob die Außenwelt den Capitän der »Karysta«, der ja in seinem Leben so Vieles gesehen hatte, besonders interessiren könnte. Er saugte die Luft der Heimat, gleichsam den Athem des Landes, fast unbewußt ein. So stand er unbeweglich, nachsinnend mit gekreuzten Armen da und hielt auch den Kopf, von dem jetzt die Kapuze zurückgeschlagen war, still, als wär‘ er aus Stein gemeißelt.

So verging etwa eine Viertelstunde. Immer hatte Nicolas Starkos den Westhimmel beobachtet, den ein ferner Meereshorizont begrenzte. Dann that er einige Schritte weiter das Felsenufer hinaus. Es war nicht Zufall, daß er so zögerte. Ihn erfüllte ein geheimer Gedanke, und wer ihn gesehen, hätte vielleicht gesagt, daß er noch zu erkennen vermeide, was er hier auf der Anhöhe hinter Vitylo eigentlich aufzusuchen gekommen war.

*

Es gibt kaum einen öderen Anblick, als diese Küste vom Cap Matapan bis zum äußersten Hintergrunde des Golfs. Hier wuchsen weder Orangen-, noch Citronenbäume, weder wilde Rosen, noch Lorbeer, kein Jasmin von Argolis, keine Feigen, keine Erd- oder Maulbeerbäume, nichts was gewissen Gegenden von Griechenland den Anblick einer so üppigen, reichen Landschaft verleiht. Hier erhob sich keine grüne Eiche, keine Platane, kein Granatbaum, der sich vom dunkleren Hintergrunde der Cypressen und Cedern abhob. Ueberall nur Felsen, welche jede Erschütterung dieser vulkanischen Gebiete leicht in das Wasser des Golfes stürzen konnte. Ueberall herrschte auf diesem wilden Boden von Magne eine trostlose Dürre, so daß dieser nicht einmal seine dünn gesäete Bevölkerung zu ernähren vermochte. Kaum standen hier einzelne verkümmerte Pinien, welche halb abgestorben aussahen, weil man ihnen das Harz geraubt, und deren Saft versiegt war, wie die tiefen Risse der Stammrinde zeigten. Da und dort ein magerer Cactus mit scharfen Stacheln, dessen Blätter mehr kleinen, halb geschorenen Igeln glichen. Nirgends endlich fand sich, weder an den verkrüppelten Sträuchern, noch auf dem Boden, der mehr aus Kieselsteinen als aus nahrhafter Erde bestand, etwas, um die Ziegen zu ernähren, welche doch mit dem ärmlichsten Futter vorlieb zu nehmen pflegen.

Nachdem er zwanzig Schritte vorwärts gethan, blieb Nicolas Starkos von Neuem stehen. Dann wandte er sich nach Nordosten, dahin, wo der entfernte Gipfel des Taygetos seine Umrisse von dem minder dunklen Grunde des Himmels abhob. Ein oder zwei Sterne, welche um diese Zeit aufgingen, schienen am Rande des Horizontes, wie zwei leuchtende Punkte, auf demselben zu lagern.

Nicolas Starkos war regungslos stehen geblieben. Er erblickte jetzt ein kleines, niedriges, aus Holz erbautes Haus, das etwa fünfzig Schritte von ihm in einer Ausbuchtung des Felsgebirges verborgen lag.

Es war eine bescheidene Wohnstätte, vereinzelt über dem Flecken liegend, zu der man nur auf steilem Fußwege gelangte und welche wenige halb entlaubte Bäume, sowie eine Dornenhecke umgaben. Diese Wohnung erschien auf den ersten Blick als schon lange verödet. Die Hecke war in schlechtem Zustande, hier buschig verwachsen, dort wieder durchbrochen, und bildete so einen sehr unzureichenden Schutz; Hunde und Schakals, welche zuweilen diese Gegend durchstreiften, hatten wiederholt diesen verlassenen Winkel des maniatischen Bodens verwüstet. Grobe Kräuter und Buschwerk waren das Einzige, was die Natur hier da und dort verstreut hatte, nachdem die Hand des Menschen sich nicht mehr zur Pflege des Ortes regte.

Warum war derselbe aber so verlassen? Nun, der Besitzer dieses Fleckchens hatte schon vor langen Jahren die Augen geschlossen. Seine Witwe, Andronika Starkos, verließ später das Land, um sich jenen todesmuthigen Frauen anzuschließen, welche sich im griechischen Unabhängigkeitskriege so rühmlich hervorthaten. Daher kam es auch, daß der Sohn, seitdem er das Haus verlassen, niemals wieder den Fuß über die väterliche Schwelle gesetzt hatte.

Hier war Nicolas Starkos geboren und hier verliefen die ersten Jahre seiner Kindheit. Sein Vater hatte sich nach langem ehrenvollen Leben als Seemann nach dieser Freistatt zurückgezogen, vermied aber gern jede Berührung mit der Einwohnerschaft von Vitylo, deren wilde Sitten ihm ein Greuel waren. Etwas gebildeter und mit mehr Verständniß für die Annehmlichkeiten des Lebens, hatte er sich mit Weib und Kind hier eine freundliche Existenz gegründet. So lebte er in diesem Schlupfwinkel ruhig und unbeachtet, bis er eines Tages, von aufflammendem Zorn übermannt, sich der Bedrückung seitens der türkischen Behörden widersetzte und seinen Widerstand mit dem Leben bezahlen mußte. Den türkischen Agenten konnte eben Niemand entgehen, nicht einmal im entferntesten Winkel der Halbinsel.

Als der Vater nicht mehr da war, seinen Sohn zu leiten, wurde es der Mutter völlig unmöglich, ihn zu zügeln. Nicolas Starkos entwich aus dem Hause, um zur See zu gehen, und stellte seine ihm angebornen guten Anlagen zum Seemann der Seeräuberei und den Schurken, welche sie betrieben, zur Verfügung.

Seit zehn Jahren hatte nun der Sohn das Haus verlassen; vor sechs Jahren war ihm seine Mutter nachgefolgt. In der Umgegend behauptete man jedoch, daß Andronika zuweilen hier anwesend sei. Man hatte sie wenigstens zu bemerken geglaubt, wenn auch nur in langen Zwischenräumen und auf kurze Zeit, während sie dabei auch vermieden hatte, mit Jemand aus dem Orte zusammenzutreffen.

Nicolas Starkos hatte, obgleich er im Verlauf seiner Fahrten schon ein oder zwei Mal nach Magne zurückgekehrt war, doch niemals Sehnsucht empfunden, die bescheidene Wohnung auf dem Felsen aufzusuchen. Nie sachte er von seiner Mutter zu erfahren, ob sie noch dann und wann nach dem verlassenen Heim zurückkehre. Während der furchtbaren Kämpfe, welche zu jener Zeit Griechenland zerfleischten, hatte er aber gewiß den Namen Andronika gehört – einen Namen, der ihn hätte mit Gewissensbissen erfüllen müssen, wenn sein Gewissen nicht eben schon verhärtet oder ganz abgetödtet gewesen wäre.

Als Nicolas Starkos aber heute in den Hafen von Vitylo angelaufen war, geschah das nicht allein mit der Absicht, die Besatzung der Sacoleve durch zehn Mann zu verstärken. Ein Wunsch – mehr als ein Wunsch – ein unwiderstehliches Verlangen, von dem er sich selbst kaum Rechnung gab, hatte ihn hierher getrieben.

Er fühlte das Bedürfniß, noch einmal, wahrscheinlich zum letzten Male, das Vaterhaus wiederzusehen, noch einmal den Boden mit dem Fuße zu berühren, auf dem er die ersten Schritte, noch einmal die Luft jener Mauern zu athmen, zwischen denen er den ersten Athemzug gethan und wo er die ersten kindlichen Worte gelallt hatte. Deshalb allein klomm er hier den steilen Pfad empor, deshalb befand er sich zu dieser Stunde hier vor der Barriere der kleinen Umzäunung.

Hier überfiel ihn ein merkwürdiges Zögern. Es gibt ja kein so verhärtetes Herz, das nicht lauter klopfte, wenn in ihm liebe Bilder der Vergangenheit erwachen. Keiner wird geboren, der an die Stelle seiner Geburt, an die, wo ihn die Mutter gewiegt, nicht eine dauernde Anhänglichkeit empfände. Die Nerven keines Geschöpfs können so für jedes Gefühl erlahmen, daß sie nicht zitterten, wenn eine solche Erinnerung sie erregen.

Ganz ebenso ging es Nicolas Starkos, als er vor der Schwelle des verlassenen Hauses stand, das so düster, so schweigend, so todtenstill im Inneren und im Aeußeren vor ihm lag.

»Hinein!… Ja!… Hinein!…«

Das waren die ersten Worte, welche Nicolas Starkos wieder sprach Eigentlich murmelte er sie nur vor sich hin, als fürchte er, gehört zu werden und irgend eine Erscheinung aus vergangener Zeit wachzurufen.

In die Umzäunung zu gelangen, war ja ganz leicht, da die Thür zerfallen und Theile davon auf dem Boden umherlagen. Er hatte nur die Thür zu öffnen, einen Riegel zurückzuschieben.

Nicolas Starkos trat ein. Er blieb vor dem Hause stehen, dessen vom Regen halb verfaulte Läden nur noch schwach in den verrosteten, zerfressenen Angeln hingen.

Da ließ eine Nachteule einen heiseren Schrei ertönen und flog schwerfällig aus dem Mastixbusche auf, der sich vor der Schwelle der Hausthür ausbreitete.

Noch immer zauderte Nicolas Starkos, obwohl er entschlossen war, die Wohnung in allen Theilen zu sehen; es bedrückte ihn jedoch ein unbehagliches Gefühl über das, was in ihm vorging, als er jetzt doch etwas wie Gewissensbisse verspürte. Er fühlte sich bewegt, doch auch fast gereizt. Es erschien ihm, als ob das väterliche Dach vor ihm verschwinden könne, wie ein Protest gegen ihn, wie ein letzter Fluch der ihn traf.

Bevor er sich in das Haus selbst begab, wollte er um dasselbe ganz herum gehen. Die Nacht war finster. Niemand sah ihn und »er sah und erkannte sich fast selbst nicht«. Bei hellem Tage hätte er sich wohl kaum hierher gewagt. In tiefer Nacht fühlte er sich muthiger, dem Ansturm seiner Erinnerungen zu trotzen.

So ging er denn schleichenden Schrittes, gleich einem Verbrecher, der sich die Oertlichkeit ansieht, an welcher er einen schwarzen Plan zur Ausführung bringen will, längs der Außenwand hin, um die Ecken, welche zum Theil durch Moose verhüllt waren, betastete mit der Hand die losen Steine, um sich zu überzeugen, ob in dieser Leiche von Haus doch vielleicht noch etwas Leben wohne, und lauschte dann, ob dessen Herz noch schlage. Auf der Rückseite sah Alles noch düsterer aus. Die schrägen Strahlen des schon untergehenden Mondes konnten nicht hierher dringen.

Langsam hatte Nicolas Starkos seine Runde gemacht. Die finstere Wohnung bewahrte eine Art beunruhigendes Schweigen. Man hätte glauben können, sie läge unter dem Banne eines Zauberers. Jetzt kehrte er nach der Westseite derselben zurück und näherte sich der Thür, um diese aufzustoßen, wenn sie nur durch einen Drücker geschlossen war, oder sie mit Gewalt zu öffnen, wenn ein altes Schloß an derselben sie noch fester zuhielt.

Da drang ihm aber das Blut zu den Augen. Er sah »roth«, wie man sagt, aber feuerroth. Das Haus, welches er noch einmal besuchen wollte, wagte er jetzt nicht mehr zu betreten. Es war ihm, als müsse sein Vater oder seine Mutter mit ausgestreckten Armen auf der Schwelle erscheinen und ihm fluchen, ihm, dem verlornen Sohn, ihm, dem schlechten Bürger, dem Verräther an seiner Familie, an seinem Vaterlande.

Jetzt öffnete sich wirklich langsam die Thür. Ein Weib erschien auf der Schwelle Sie trug maniatische Kleidung, einen baumwollenen Rock mit schmaler rother Kante, ein Leibchen von dunklerer Farbe, das um die Taille zugeschnürt war, und auf dem Kopfe eine große bräunliche Haube, umwunden mit einem Seidentuche in griechischen Nationalfarben.

Diese Frau hatte ein sehr energisches Gesicht mit großen schwarzen Augen von fast wilder Lebhaftigkeit, gebräunten Teint, gleich den Fischerfrauen der Küste, dazu war sie groß von Gestalt und hielt sich, obwohl sie schon über sechzig Jahre zählte, stolz aufrecht. Andronika Starkos war es. Mutter und Sohn, welche seit so langer Zeit körperlich und geistig getrennt gelebt hatten, standen sich jetzt Auge in Auge gegenüber.

Nicolas Starkos hatte doch kaum erwartet, hier seiner Mutter zu begegnen. Die Erscheinung derselben flößte ihm einen merkwürdigen Schrecken ein.

Andronika streckte einen Arm gegen ihren Sohn aus, untersagte ihm das Betreten des Hauses und rief mit einer Stimme, welche die Worte selbst noch grausamer erscheinen ließ: »Niemals wird Nicolas Starkos wieder den Fuß in das Haus seines Vaters setzen!… Niemals!«

Erschüttert durch diese Anrede, wich der Sohn ein wenig zurück. Die, welche ihn unter dem Herzen getragen, trieb ihn jetzt von sich, wie man einen Verräther verjagt. Noch einmal wagte er einen Schritt vorwärts. Eine Handbewegung – eine Drohung und Verwünschung zugleich – hemmte seinen Fuß.

Nicolas Starkos wandte sich nach rückwärts, verließ die Umzäunung, eilte nach dem steilen Wege, der zum Strande hinabführte, und floh, was ihn die Füße tragen konnten, als ob eine unsichtbare Hand sich ihm auf die Schulter gelegt hätte, die ihn weiter trieb.

Regungslos auf der Schwelle ihres Hauses stehen bleibend, hatte Andronika ihn im Dunkel der Nacht verschwinden sehen.

Zehn Minuten später war Nicolas Starkos seiner soweit wieder Herr geworden, daß ihm Niemand die vorhergegangene Erregung anmerkte; so erreichte er den Hafen, pfiff Gozzo herbei und sprang in das leichte Boot. Die von Gozzo ausgewählten zehn Männer befanden sich schon an Bord der Sacoleve.

Ohne ein Wort zu sprechen, bestieg Nicolas Starkos das Verdeck der »Karysta« und bedeutete seinen Leuten durch ein Zeichen, augenblicklich die Anker zu lichten. Sein Befehl war schnell ausgeführt, da ja nur die zum Hissen bereit liegenden Segel aufgespannt zu werden brauchten. Der sich jetzt erhebende Landwind erleichterte die Ausfahrt aus dem Hafen.

Fünf Minuten später glitt die »Karysta« sicher und still durch die enge Wasserstraße, ohne daß von den Leuten an Bord, noch von den Bewohnern Vitylos ein Laut hörbar geworden wäre.

Die Sacoleve hatte indeß noch kaum eine Meile zurückgelegt, als ein röthlicher Flammenschein den Kamm des Felsenstrandes erleuchtete.

Es war die Wohnung der Andronika Starkos, welche bis auf den Grund niederbrannte. Die Hand der Mutter hatte dieses Feuer selbst angelegt. Sie wollte nichts von der Stelle übrig lassen, an der einst ihr Sohn geboren worden war.

Noch drei Meilen weit hin konnte der Capitän die Augen nicht abwenden von dem Feuer, das auf dem Boden von Magne emporloderte, und er verfolgte es im Dunklen, bis der letzte Schein desselben erlosch.

Andronika hatte gesagt:

»Niemals wird Nicolas Starkos den Fuß wieder in das Haus seines Vaters setzen!… Niemals!«

Drittes Capitel


Drittes Capitel

Griechen gegen Türken.

In vorhistorischer Zeit, als die feste Erdrinde sich nach und nach unter der Einwirkung innerer neptunischer und vulkanischer Kräfte dauernd gestaltete, verdankte Griechenland sein Entstehen einer Umwälzung, welche diesen Theil des Erdbodens über das Niveau des Meeres erhob, während diese im Archipel gleichzeitig einen Theil des früheren Festlandes verschlang, dessen oberste Spitzen jetzt nur noch in Form von Inseln emporragen. Griechenland liegt thatsächlich in der vulkanischen Linie, welche sich von Cyprien bis Toscana hinzieht. Seit der Zeit, wo diese Geschichte spielt, ist die Insel Santorin dem unterirdischen, Feuer zum Opfer gefallen. Vostitsa im Jahre 1861, Theben in demselben Jahre, wurden gleichmäßig durch starke Erderschütterungen verwüstet.

Es scheint, als ob die Griechen von ihrem unbeständigen Boden jene Neigung zu physischer und moralischer Erregbarkeit angenommen hätten, welche sie zuweilen zu den heldenmüthigsten Aufopferungen befähigt. Ebenso wahr ist es, daß sie, Dank ihren natürlichen Eigenschaften, einem unbezähmbaren Muthe wie lebhafter Vaterlands- und Freiheitsliebe, es dahin gebracht hatten, die seit Jahrhunderten durch das Joch der ottomanischen Herrschaft bedrohten Provinzen zu einem einheitlichen Staate zu gestalten.

Pelasgisch in den entlegensten Zeiten, das heißt bevölkert von asiatischen Stämmen, hellenisch vom sechzehnten bis zum vierzehnten Jahrhundert vor Christus, das heißt seit dem Auftreten der Hellenen, von denen ein besonderer Stamm, die Graikoi, ihm zu jener fast mythologischen Zeit der Argonauten, der Herakliden und des trojanischen Krieges den Namen geben sollte; dann völlig griechisch seit Lykurg mit Miltiades, Themistokles, Aristides, Leonidas, Aeschylos, Sophokles, Aristophanes, Herodot, Thucydides, Pythagoras, Sokrates, Plato, Aristot, Hyppokrates, Phidias, Perikles, Alcibiades, Pelopidas, Epaminondas, Demosthenes; später macedonisch mit Philipp und Alexander, wurde Griechenland schließlich eine römische Provinz unter dem Namen Achaia, hundertsechsundvierzig Jahre vor Christus, und blieb es während eines Zeitraumes von vierhundert Jahren.

Von da ab nach einander erobert von den Westgothen, den Vandalen, Ostgothen, Bulgaren, Slaven, Arabern, Normannen und Sicilianern; zeitweilig in der Gewalt der Kreuzfahrer zu Anfang des dreizehnten Jahrhunderts und getheilt in eine Menge Einzelreiche im fünfzehnten Jahrhundert fiel das, in alter wie in neuer Zeit so hart geprüfte Land zu allerletzt in die Hände der Türken und kam also unter ottomanische Herrschaft.

Fast zwei Jahrhunderte lang konnte man jedes politische Leben in Griechenland fast als gänzlich abgestorben betrachten.

Die Willkürherrschaft der ottomanischen Beamten, welche hier die Zügel der Regierung führten, überschritt alle Grenzen. Die Griechen waren nicht etwa annectirt, nicht durch Eroberung erworben, nicht einmal Besiegte, sie galten nur als Sclaven, die unter dem Stocke des Paschas mit dem Iman oder Priester an der Rechten und dem Djellah oder Henker an der Linken gehalten wurden.

*

Alles Leben war aber doch nicht aus dem geknechteten Lande entwichen. Noch einmal sollte es sich unter quälendem Schmerze auf’s Neue regen. Die Montenegriner von Epirus (im Jahre 1766), die Maniaten (im Jahre 1769), die Sulioten von Albanien empörten sich endlich und forderten ihre Unabhängigkeit; im Jahre 1804 wurden freilich alle diese Aufstandsversuche durch Ali de Tebelen, den Pascha von Janina, grausam unterdrückt.

Jetzt war es hohe Zeit für die europäischen Mächte, ein Wort mit hinein zu sprechen, wenn sie nicht die völlige Vernichtung Griechenlands wollten. Auf die eigenen Kräfte beschränkt, konnte es eben nur sterben beim Versuche, seine Freiheit zu erkämpfen.

Da rief Ali de Tebelen, der sich 1821 selbst gegen den Sultan Mahmud empörte, die Griechen unter Zusicherung ihrer Freiheit zu Hilfe. Sie erhoben sich in Masse. Von allen Seiten Europas eilten die Philhellenen zu ihrer Hilfe herbei. Da warfen sich Italiener, Polen und Deutsche, vorzüglich aber Franzosen, den Unterdrückern opferfreudig entgegen. Die Namen Guys‘ de Sainte Helene, Gaillard’s, Chauvassaigne’s, der Capitäne Baleste und Jourdain, des Obersten Fabvier, des Reiterführers Regnaud de Saint Jean d’Angély, des Generals Maison, denen noch die von drei Engländern, Lord Cochrane, Lord Byron und Colonel Hastings, anzuschließen wären, haben in dem Lande, für welches sie kämpften und in den Tod gingen, ein unverlöschliches Andenken hinterlassen. Den Namen dieser Männer, welche sich durch ihren Opfermuth für die Sache der Unterdrückten so auszeichneten, daß sie sich zu den heldenmüthigsten Thaten aufrafften, sollte Griechenland selbst manche Namen aus seinen hervorragendsten Familien zur Seite stellen: drei Hydrioten, Tombasis, Tsamados und Miaulis, ferner Colocotroni. Marco Botsaris, Maurocordato, Mauromichalis, Constantin Canaris, Negris, Constantin und Demetrius Ypsilanti, Ulysse und manche Andere. Von Anbeginn gestaltete sich die Erhebung bis auf’s Messer, Zahn um Zahn Auge um Auge, was immer die furchtbarsten Repressalien von der einen wie von der anderen Seite zur Folge hatte.

Im Jahre 1821 erhoben sich die Sulioten und Magne. In Patras erhob der Bischof Germanos, das Kreuz in der Hand, den ersten Schlachtruf. Morea, die Moldau und der Archipel schaaren sich unter der Standarte der Unabhängigkeit. Auf dem Meere siegreich, gelingt es den Griechen sich Tripolitzas zu bemächtigen. Diesen ersten Erfolg der Griechen beantworteten die Türken mit der Niedermetzlung derjenigen ihrer Landsleute, welche sich in Constantinopel befanden.

1822 wird Ali de Tebelen, während der Belagerung seiner Festung Janina, meuchlings bei einer Conferenz ermordet, die ihm der türkische General Kurschid bewilligt hatte. Kurze Zeit darauf werden Maurocordato und die Philhellenen in der Schlacht bei Arta vernichtet; sie erringen aber wieder Vortheile bei der ersten Belagerung Missolunghis, welche die Armee Omer Vriones nicht ohne beträchtliche Verluste aufgeben muß.

Von 1823 ab mischen sich die fremden Mächte etwas energischer ein. Sie bieten dem Sultan ihre Vermittelung an. Der Sultan weist diese zurück und schifft, um seiner Weigerung Nachdruck zu geben, zehntausend asiatische Soldaten auf Euböa aus. Dann überträgt er das Obercommando der türkischen Armee seinem Vasall Mehemet Ali, dem Pascha von Aegypten. In den Kämpfen dieses Jahres fiel auch Marco Botsaris, der Patriot, von dem man sagen konnte: Er lebte wie Aristides und starb wie Leonidas.

1824, zur Zeit der schlimmsten Unglücksfälle der Sache der Freiheit, war Lord Byron am 24. Januar in Missolunghi gelandet und fiel schon zu Ostern vor Lepante, ohne seinen schönen Traum haben in Erfüllung gehen zu sehen. Die Ipsarioten wurden von den Türken niedergemacht, und die Stadt Kandia auf Kreta ergab sich den Truppen Mehemet Ali’s. Nur einzelne Erfolge zur See konnten die Griechen über so viel Unglücksschläge trösten.

Im Jahre 1825 landete Ibrahim Pascha, der Sohn Mehemet Ali’s, in Modon auf Morea mit elftausend Mann. Er bringt Navarin in seine Gewalt und schlägt Colocotroni in Tripolitza. Zu dieser Zeit übergab die hellenische Regierung ein Corps regulärer Truppen zur Führung zwei Franzosen, Fabvier und Regnaud de Saint Jean d’Angély. Ehe diese Truppen aber irgend in Bereitschaft waren, um einigermaßen Widerstand zu leisten, verwüstete Ibrahim Messenia und Magne. Wenn er seine Operationen unterbrach, geschah es nur, um an der zweiten Belagerung von Missolunghi theilzunehmen, welches der General Kiutagi nicht zu überwinden vermochte, obgleich der Sultan zu ihm gesagt hatte: »Entweder Missolunghi oder Deinen Kopf!«

Am 5. Januar 1825 kam Ibrahim, nachdem er Pyrgos eingeäschert, vor Missolunghi an. Im Laufe von drei Tagen, vom 25. bis 28., warf er achttausend Bomben und Kugeln in die Stadt, ohne, trotz wiederholtem Sturm, in dieselbe eindringen zu können und obwohl er nur zweitausendfünfhundert durch Entbehrungen schon entkräftete Streiter gegen sich hatte. Doch sollte er sein Ziel erreichen, vorzüglich als Miaulis mit seinem Geschwader, das den Belagerten Hilfe brachte, zurückgeschlagen worden war. Am 23. April fiel Missolunghi, nach einer Belagerung, welche neunzehnhundert von seinen Vertheidigern das Leben kostete, in die Gewalt Ibrahim’s, und seine Soldaten metzelten Männer, Frauen und Kinder, fast Alles, was von den neuntausend Bewohnern der Stadt noch lebte, erbarmungslos nieder. Im nämlichen Jahre erschienen die von Kiutagi geführten Türken, nachdem sie Phokis und Böotien verwüstet, am 10. Juli vor Theben, drangen in Attika ein, berannten Athen und belagerten die von fünfzehnhundert Griechen vertheidigte Akropolis. Zur Unterstützung dieser Citadelle, dem Schlüssel Griechenlands, sandte die neue Regierung Caraïskakis, einen der Helden von Missolunghi, und den Obersten Fabvier mit seinem Corps von Regulären. Die Schlacht, welche diese bei Chaïdari lieferten, ging verloren und Kiutagi konnte die Belagerung der Akropolis fortsetzen. Inzwischen drang aber Caraïskakis durch die Felsschluchten des Parnassus, schlug die Türken bei Arachova am 5. December und errichtete auf dem Schlachtfelde ein Siegeszeichen von dreihundert abgeschnittenen Köpfen. Das nördliche Griechenland war damit fast gänzlich frei geworden.

Leider war, begünstigt durch diese Kämpfe, der Archipel den Einfällen der frechsten Seeräuber preisgegeben, welche je auf diesen Gewässern gehaust hatten. Von diesen nannte man als einen der blutigsten und kühnsten den Piraten Sacratif, dessen Name allein hinreichte, in allen Häfen der Levante Schrecken zu erregen.

Sieben Monate nach der Zeit, mit der diese Erzählung anfängt, waren die Türken jedoch genöthigt gewesen, sich nach einigen der festen Plätze des westlichen Griechenlands zurückzuziehen. Im Februar 1827 hatten die Griechen ihre Unabhängigkeit vom Golf von Ambracia bis zu den Grenzen von Attika zurückerobert. Die türkische Fahne wehte nur noch in Missolunghi, Voitsa und Naupaktes. Unter dem Einflusse des Lord Cochrane verzichteten die Griechen des Nordens und die des Peloponnes auf ihre inneren Streitigkeiten und versammelten am 31. März die Vertreter der ganzen Nation zur Berathung in Trezene, wobei die oberste Gewalt einer einzigen Hand, und zwar der eines Fremden anvertraut wurde, einem russischen Staatsmanne griechischer Abstammung, Capo d’Istria, geboren in Korfu.

Athen befand sich aber in den Händen der Türken. Seine Citadelle hatte sich am 5. Juni ergeben, womit das nördliche Griechenland in die Zwangslage versetzt wurde, sich wieder vollständig zu unterwerfen, doch unterzeichneten England, Rußland, Oesterreich und Frankreich am 6. Juli eine Uebereinkunft, nach der sie, unter Anerkennung der Suzeränität der Pforte, doch auch eine griechische Nation anerkannten. In einem geheimen Artikel verpflichteten sich die Signatarmächte überdies, vereint gegen den Sultan vorzugehen, wenn derselbe sich einem friedlichen Vergleich widersetzen sollte.

Das sind die hauptsächlichsten Vorkommnisse dieses blutigen Krieges, welche der freundliche Leser seinem Gedächtnisse einprägen möge, da sie mit dem Folgenden in genauestem Zusammenhange stehen.

Die einzelnen Thatsachen, welche noch inniger die schon bekannten Personen und diejenigen, welche in dieser dramatischen Schilderung ferner auftreten, angingen, waren aber folgende:

Unter den ersten Personen ist zunächst Andronika anzuführen, die Wittwe des Patrioten Starkos.

Jener Kampf für die Unabhängigkeit des Landes hatte nicht nur Männer, sondern auch Frauen zu Helden gemacht, deren Namen glorreich mit den Ereignissen jener Zeit verflochten sind.

Hier erscheint auch der Name einer Bobolina, geboren auf einer kleinen Insel am Eingang des Golfs von Nauplia. Im Jahre 1812 wurde deren Gatte gefangen genommen, nach Constantinopel geschleppt und auf Befehl des Sultans gepfählt. Da ertönte der erste Weckruf zum Aufstande. Auf eigene Kosten rüstete Bobolina 1821 drei Schiffe aus und, wie es H. Belle nach dem Berichte eines alten Klephten wiedererzählt, nachdem sie ihre Flagge aufgezogen, auf welcher sich die von spartanischen Frauen herrührenden Worte »Entweder darüber oder darunter« befanden, segelte sie bis zur Küste Kleinasiens und kaperte und verbrannte die türkischen Schiffe mit der Unerschrockenheit eines Tsamados oder eines Canaris. Nachdem sie darauf das Eigenthum an ihren Schiffen freigebig an die neue Regierung abgetreten, wohnte sie der Belagerung von Tripolitza bei, richtete um Nauplia eine Blokade von vierzehnmonatlicher Dauer ein und zwang endlich die Citadelle zur Uebergabe. Und diese Frau, deren Leben mehr einer Legende ähnelt, mußte um einer Familienangelegenheit willen unter dem Dolche des eigenen Bruders verbluten.

Noch eine andere hervorragende Gestalt verdient mit dieser kühnen Hydriotin in gleichen Rang gestellt zu werden. Immer brachten dieselben Ursachen dieselben Wirkungen hervor.

Auf einen Befehl des Sultans wird in Constantinopel der Vater der Modena Mavroeinis erdrosselt, einer Frau, deren Schönheit ihrer vornehmen Geburt gleichkam Modena stürzt sich daraufhin sofort mit in die Empörung, ruft den Aufstand der Bewohner von Mykone hervor, rüstet Fahrzeuge aus, auf welche sie sich selbst begibt, organisirt Guerillabanden, welche sie anführt, hält die Armee Selim Paschas in den engen Schluchten des Pelion auf und zeichnet sich vortheilhaft aus bis zum Ende des Krieges, indem sie die Türken in den Engpässen der Berge von Phthiotis fortwährend beunruhigt.

Noch ist Kaïdos zu nennen, welche die Mauern von Vilia durch Sprengung vernichtete und sich beim Kloster der heiligen Jungfrau mit unüberwindlichem Muthe schlug Moskos, ihre Mutter, die an ihres Gatten Seite kämpfte und die Türken mit herabgeschleuderten Felsstücken zermalmte; Despo, welche, um nicht den Muselmanen in die Hände zu fallen, sich mit ihren Töchtern, Schwiegertöchtern und Enkeln in die Luft sprengte. Ferner die Suliotenfrauen, nebst denen, welche die in Salamis neu errichtete Regierung beschirmten, indem sie dieser die von ihnen befehligte Flottille zuführten; Constance Zacharias, die, nachdem sie in den Ebenen von Lakonien das Zeichen zum Aufstand gegeben, sich an der Spitze von fünfhundert Bauern auf Leondari warf; ferner viele Andere, deren edles Blut in diesem Kriege nicht geschont wurde, in dessen Verlaufe man erkennen konnte, wessen die Nachkommen der alten Hellenen fähig waren.

Ebenso hatte auch Starkos‘ Wittwe gehandelt. Unter dem Namen Andronika – den, welchen ihr entarteter Sohn hatte, wollte sie nicht führen – ließ sie sich in der Bewegung ebenso durch unwiderstehlichen Drang nach Rache, wie aus Liebe zur Unabhängigkeit hinreißen. Wie Bobolina, die Wittwe eines Mannes, der hingerichtet worden war, weil er sein Land zu vertheidigen suchte; wie Modena, wie Zacharias, trat sie, wenn es ihr auch nicht gleich jenen gestattet war, Schiffe auszurüsten und Truppen zu unterhalten, doch unverzagt mit ihrer Person in die erschütternden Ereignisse dieser Revolution ein.

Im Jahre 1821 schloß Andronika sich den Maniaten an, welche der zum Tode verurtheilte und nach den Ionischen Inseln entflohene Colocotroni zu sich rief, als er am 18. Januar des genannten Jahres in Scardamula landete. Sie nahm an der ersten geordneten Schlacht in Thessalien theil, als Colocotroni die Bewohner von Phameri und die von Caritene angriff, welche sich an den Ufern der Rhuphia mit den Türken verbündet hatten. Ebenso wohnte sie am 17. Mai der Schlacht von Baltetsio bei, welche die Flucht der Armee Mustafa Begs herbeiführte. Ganz besonders zeichnete sie sich aber aus bei der Belagerung von Tripolitza, wo die Spartaner die Türken als »feige Perser«, und die Türken die Griechen als die »schwachen Hafen Laconiens« bekämpften. Dieses Mal aber behielten die Hasen die Oberhand.

Am 5. October mußte die Hauptstadt des Peloponnes, welche die türkische Flotte nicht zu entsetzen vermochte, capituliren und wurde trotz Vertrags drei Tage lang mit Feuer und Schwert verwüstet, was innerhalb und außerhalb derselben zehntausend Ottomanen jedes Alters und Geschlechts das Leben kostete.

Im folgenden Jahre, am 24. März, sah Andronika während eines Seegefechts, dem sie unter dem Befehl des Admirals Miaulis beiwohnte, die türkischen Schiffe nach fünfstündigem Kampfe entfliehen und eine Zuflucht im Hafen von Zante suchen. Auf einem dieser Schiffe aber hatte sie ihren Sohn erkannt, der das türkische Geschwader durch den Golf von Patras lootste. Niedergeschmettert von dieser Schmach, stürzte sie sich an diesem Tage in das heiße Getümmel, um den Tod zu suchen… Der Tod wollte ihr Opfer nicht.

Nicolas Starkos sollte diesen verbrecherischen Weg noch weiter verfolgen. Einige Wochen später schloß er sich Kara Ali an, der die Stadt Scio auf der gleichnamigen Insel bombardirte. Ebenso war er betheiligt bei dem furchtbaren Gemetzel, in dem dreiundzwanzigtausend Christen umkamen, ohne die siebenundvierzigtausend zu zählen, welche auf den Märkten von Smyrna als Sclaven verkauft wurden. Und eines der Schiffe, welche diese Unglücklichen nach der Barbareskenküste überführte, wurde wiederum von dem Sohne Andronikas befehligt – ein Grieche, der die eigenen Brüder verkaufte!

In der folgenden Zeit, wo die Hellenen den vereinigten Truppen der Türkei und Aegyptens Widerstand leisten mußten, unterließ Andronika keinen Augenblick, es jenen heroischen Frauen gleich zu thun, deren Namen wir oben erwähnten.

Das war vorzüglich für Morea ein höchst trauriger Zeitraum. Ibrahim führte hierher seine wilden Araber, welche die Ottomanen noch an Grausamkeit übertrafen. Andronika befand sich unter den viertausend Kämpfern, welche Colocotroni, der zum Obercommandanten der Heeresmacht im Peloponnes ernannt worden war, um sich zu sammeln vermocht hatte.

Nachdem Ibrahim aber an der messenischen Küste gelandet, hatte dieser sich zuerst damit beschäftigt, Coron und Patras zu befreien; dann nahm er Navarin mit Gewalt, dessen Citadelle ihm eine sichere Basis für seine Operationen darbot, während der Hafen seiner Flotte als vortrefflicher Schutz diente. Darauf brannte er Argos nieder und bemächtigte sich Tripolitzas, wodurch es ihm möglich wurde, den ganzen Winter hindurch seine Raubzüge in den Nachbarprovinzen auszuführen. Vor allen hatte Messenien selbst davon zu leiden. Auch Andronika mußte wiederholt bis tief nach Magne hinein flüchten, um nicht den Arabern in die Hände zu fallen. Deshalb kam es ihr aber nicht in den Sinn, zu rasten. Kann man Ruhe finden auf einem bedrückten Lande?

Ebenso begegnete man ihr wieder in den Feldzügen 1825, und 1826, bei den Kämpfen in den Engpässen von Verga, nach welchen Ibrahim auf Polyaravos zurückweichen mußte, von wo ihn die Maniaten des Nordens noch weiter vertrieben.

Später schloß sie sich den regulären Truppen des Obersten Fabvier bei der Schlacht von Chaidari, im Monat Juli 1826 an. Hier wurde sie schwer verwundet und verdankte es nur dem Muthe eines jungen Franzosen, der unter der Fahne der Philhellenen kämpfte, daß sie den unbarmherzigen Soldaten Kiutagi’s mit genauer Noth entging.

Mehrere Monate lang schwebte Andronikas Leben in Gefahr. Ihre starke Constitution rettete sie jedoch; trotzdem verging das Jahr 1826, ehe sie wieder so weit zu Kräften kam, um persönlich an dem Kampfe theilzunehmen. Eben unter diesen Umständen kehrte sie im October 1827 in die Provinzen von Magne einmal zurück. Sie wollte ihr Haus in Vitylo wiedersehen. Ein merkwürdiger Zufall führte am nämlichen Tage auch ihren Sohn dahin. Der Leser kennt das Resultat der Begegnung zwischen Andronika und Nicolas Starkos und weiß, daß sie ihm von der Schwelle des Vaterhauses nur noch einen letzten Fluch nachschleuderte.

Jetzt, wo sie nichts mehr hatte, was sie an den Boden der Heimat fesselte, eilte Andronika wieder fort, um so lange mit zu kämpfen, bis Griechenland seine volle Unabhängigkeit errungen haben würde.

So lagen die Dinge, als die Wittwe Starkos‘ am 10. October 1827 wieder von Magne auszog, um sich den Griechen des Peloponnes anzuschließen, welche den Schaaren Ibrahim’s jeden Fuß breit ihres Landes abzwangen.

Erstes Capitel


Erstes Capitel

Ein Schiff in Sicht.

Am 28. October 1827 gegen fünf Uhr Abends bemühte sich ein kleines levantinisches Fahrzeug, noch vor Einbruch der Nacht den Hafen von Vitylo, am Eingang des Golfs von Coron, zu erreichen.

Dieser Hafen, das Oetylos Homer’s, liegt an einer der tiefen Einbuchtungen, welche aus dem Ionischen und Aegäischen Meere das Platanenblatt ausschneiden, mit dem man das südliche Griechenland so trefflich verglichen hat Dieses Blatt nimmt der alte Peloponnes, das Messene der Griechen unserer Tage, ein. Die erste dieser Ausbuchtungen bildet im Westen der Golf von Coron, der sich zwischen Messene und Laconia öffnet. Die zweite, der Golf von Marathon, der die Küste des ernsten Laconia tief einschneidet. Die dritte, der Golf von Nauplia, dessen Gewässer Laconia und Argolis scheiden.

Zu dem ersten der drei Golfe gehört der Hafen von Vitylo. An der Ostküste, im Hintergrunde einer unregelmäßigen Bai liegend, reicht er bis an die letzten Ausläufer des Taygetos heran, dessen Bergkämme das Skelet des Hinterlandes bilden. Die Sicherheit seines Ankergrundes, der bequeme Verlauf der Einfahrtsstraßen und die ihn umgebenden Höhen machen ihn zu einem der festen Zufluchtshäfen dieser von allen Winden der südlichen Meere unausgesetzt gepeitschten Küste.

Das Fahrzeug, welches bei ziemlich frischer Nordnordwestbrise sehr dicht am Winde segelte, konnte von den Hafendämmen Vitylos nicht erkannt werden, da dasselbe noch eine Entfernung von sechs bis sieben Meilen von demselben trennte. Da das Wetter aber ausgezeichnet klar war, hob sich doch der Rand seiner oberen Segel deutlich von dem leuchtenden Hintergrunde des äußersten Horizonts ab.

Was aber von unten nicht sichtbar war, konnte doch von oben, das heißt von dem Gipfel der Höhenzüge, gesehen werden, welche das Dorf umgrenzen. Vitylo ist in Gestalt eines Amphitheaters auf abschüssigen Felsen erbaut, welche die alte Akropolis von Kelapha vertheidigt. Darüber erheben sich noch einige alte, zerfallene Thürme von jüngerem Ursprung als jene merkwürdigen Ueberreste eines Tempels der Seraphis, dessen Säulen und Capitäle von ionischer Ordnung noch heute die Kirche von Vitylo zieren. Neben jenen Thürmen stehen auch noch zwei oder drei kleine, wenig besuchte Kapellen, in welchen fromme Mönche den Kirchendienst versehen.

Es ist hier von Wichtigkeit, auf die Bezeichnung »den Kirchendienst versehen« und selbst auf die Qualification eines Mönches, welche diese Geistlichen der messenischen Küste sich zulegen, zu achten Einer derselben, der soeben seine Kapelle verließ, wird sogleich dem Leser näher vor Augen treten.

Zu jener Zeit war die Religion in Griechenland noch ein eigenthümliches Gemisch von heidnischen Sagen und christlichen Glaubenssätzen. Viele Gläubige betrachteten die Gottheiten des Alterthums noch gewissermaßen als Heilige der neuen Religion. In der That, wie das Henry Belle schildert, vermengen sie die Halbgötter mit den Heiligen, die Kobolde der bezaubernden Thäler mit den Engeln des Paradieses und rufen ebenso die Sirenen und Furien an, wie sie noch Brotopfer darbringen. Diese Umstände haben gewisse merkwürdige Gebräuche eingeführt, welche Andere zum Lachen reizen, während die Geistlichkeit große Mühe hat, dieses wenig orthodoxe Chaos zu entwirren.

Während des ersten Viertels dieses Jahrhunderts – es ist einige fünfzig Jahre her und die Zeit, mit welcher unsere Erzählung beginnt – war der Clerus der griechischen Halbinsel noch unwissender, und die sorglos dahinlebenden, naiven, zutraulichen Mönche, »gute Kinder«, schienen sehr wenig geeignet, die von Natur abergläubische Bevölkerung auf rechte Wege zu leiten.

Und wenn diese niederen Kirchendiener nur allein unwissend gewesen wären. In gewissen Gegenden Griechenlands aber, vorzüglich in den wilden Districten von Magne, scheuten die armen Teufel, von Natur und aus Noth schon Bettler und gierig auf die paar Drachmen, welche mitleidige Reisende ihnen zuwarfen, ohne alle Beschäftigung, außer etwa der, den Gläubigen das gefälschte Bildniß eines Heiligen zum Kusse darzureichen oder eine ewige Lampe in irgend einer Grotte zu unterhalten, dazu verstimmt über den geringen Ertrag ihrer Pfründen, der Beerdigungen und der Taufen, nicht davor zurück, die Auflauerer – und was für Auflauerer – im Solde der Bewohner des Küstengebietes zu spielen.

Die Seeleute von Vitylo, welche am Hafen umher lungerten wie die Lazzaronis, welche gleich mehrere Stunden Ruhe brauchen, um sich von der Arbeit während einiger Minuten zu erholen, erhoben sich doch rasch, als sie einen ihrer Mönche, die Arme heftig bewegend, schnellen Schrittes nach dem Dorfe hinabsteigen sahen.

Es war das ein Mann von fünfzig bis fünfundfünfzig Jahren, der nicht nur dick, sondern fett war von jenem Fette, das der Müßiggang erzeugt, und dessen schlaue Physiognomie nur sehr mittelmäßiges Vertrauen einzuflößen vermochte.

»Was gibt es denn, Vater, was ist denn los?« fragte einer der Seeleute, der ihm entgegenging.

Der Vityliner sprach mit so näselndem Tone, daß man Nason hätte für einen Vorfahren der Hellenen halten können, und dazu jene maniatische Mundart, in der sich das Türkische mit dem Italienischen mischte, als rühre dasselbe aus der Zeit des Thurmbaues von Babel her.

»Haben die Soldaten Ibrahim’s etwa die Höhen des Taygetos besetzt? fragte ein anderer Seemann mit sehr sorgloser Geste, welche eben nicht viel Patriotismus verrieth.

– Wenn’s nicht gar Franzosen sind, mit denen wir es zu thun haben, erwiderte der erste Sprecher.

– Na, die sind einander werth!« bemerkte ein Dritter.

Diese Aeußerung bewies, daß der Kampf, welcher damals gerade am heftigsten wüthete, die Bewohner des untersten Peloponnes nur sehr wenig berührte, sehr verschieden von den Maniaten des Nordens, welche sich im Unabhängigkeitskriege so rühmlich hervorthaten.

Der dicke Geistliche vermochte aber weder dem Einen, noch dem Anderen Antwort zu geben.

Er war von dem Herabklettern über die steilen Abhänge noch ganz außer Athem. Seine asthmatische Brust keuchte. Er wollte sprechen, konnte es aber nicht. Einer seiner Ahnen im alten Hellas, der Soldat von Marathon, hatte doch wenigstens, noch ehe er starb, den Sieg des Miltiades verkünden können. Doch es handelte sich hier weder um Miltiades, noch um den Kampf der Athener gegen die Perser. Es waren kaum Griechen, diese verwilderten Bewohner der untersten Spitze von Magne.

»So sprich doch, Vater, sprich doch!« rief ein alter Seemann, Namens Gozzo, der sich ungeduldiger als die Anderen geberdete, als hätte er schon errathen, was der Mönch verkünden wollte.

Endlich hatte dieser sich wieder etwas beruhigt. Da streckte er die Hand nach dem Horizonte aus und rief:.

»Ein Schiff in Sicht!«

Auf diese Meldung hin sprangen die Tagediebe alle auf, klatschten in die Hände und stürmten nach einem Felsen, der den Hafen überragte. Von hier aus konnten sie das Meer in weitem Umkreise sehen.

Ein Fremdling hätte glauben können, daß diese Bewegung nur hervorgebracht würde durch das Interesse, welches jedes von der See herkommende Fahrzeug naturgemäß Seeleuten einflößen muß, denen so etwas ja besonders angeht. Das wäre aber eine falsche Annahme gewesen oder war es vielmehr; wenn dies ein Interesse dieser Leute aufzustacheln vermochte, war das doch ein solches ganz specieller Art.

In der That ist Magne, jetzt wo wir diese Erzählung niederschreiben – nicht zur Zeit, als die darin geschilderten Vorfälle sich ereigneten – noch immer ein von Griechenland halb abgesonderter Landstrich, ein unabhängiges Königreich, geschaffen durch den Beschluß der europäischen Großmächte, welche 1829 den Vertrag von Adrianopel unterzeichneten. Die Maniaten, oder mindestens diejenigen derselben, welche auf den verlängerten Landausläufern zwischen den Golfen wohnen, sind noch halbe Barbaren geblieben, welche sich mehr um ihre persönliche Freiheit, als um die des Landes bekümmern. Diese äußerste Zunge des unteren Moreas ist von jeher auch kaum zur Botmäßigkeit zu bringen gewesen. Weder die türkischen Janitscharen, noch die griechischen Gensdarmen haben sie zu bezwingen vermocht. Streitsüchtig und rachbegierig, oft in Familienzwistigkeiten verwickelt, welche nur durch Blut ausgetragen werden können. Räuber von Geburt und doch gastfreundlich, Mörder, wenn der Raub einen Mord bedingt, nennen sich deshalb die rohen Bergvölker nicht weniger die directen Nachkommen der Spartaner; aber eingeschlossen in die Verzweigungen des Taygetos, in dem man zu Tausenden jene kleinen Befestigungen oder »Pyrgos«, welche kaum zu erklimmen sind, findet, spielen sie gar zu gern die zweifelhafte Rolle jener Wegelagerer des Mittelalters, die ihre Feudalrechte mit Dolch und Pistole übten.

Wenn die Maniaten zur Stunde auch noch halb wild sind, so mag man sich vorstellen, was dieselben vor nun fünfzig Jahren sein mochten. Ehe die Kreuzfahrten der Dampfschiffe ihren Raubzügen zur See ein Ziel setzten, traten sie während des ersten Viertels dieses Jahrhunderts als die verwegensten Seeräuber auf, welche die Handelsfahrzeuge in allen Stapelplätzen des Morgenlandes nur zu fürchten hatten.

Gerade der Hafen von Vitylo erschien durch seine Lage am Ende des Peloponnes, am Eingang zweier Meere, durch die Nähe der den Seeräubern wohlbekannten Insel Cerigotto, höchst geeignet, sich allen Uebelthätern zu öffnen, welche den Archipel und die benachbarten Gegenden des Mittelmeeres unsicher machten. Der Centralpunkt der Bewohnerschaft dieses Theils von Magne hieß speciell das Land von Kakovonni, und die Kakovonnioten, welche zu beiden Seiten der Landspitze siedelten, welche mit dem Cap Matapan ausläuft, hatten es bequem, ihre Unthaten auszuführen. Auf dem Meere überfielen sie die Schiffe; an das Land lockten sie dieselben durch falsche Signale. Ueberall plünderten und verbrannten sie dieselben. Ob deren Besatzung nun eine türkische, maltesische, ägyptische oder selbst eine griechische war, das kümmerte sie nicht; sie wurde ohne Erbarmen niedergemetzelt oder nach den Barbareskenstaaten in die Sclaverei verkauft. Gab es einmal eine Zeit lang nichts zu thun, und wurden die Küstenfahrer in der Bucht von Cerigo oder dem Cap Gallo seltener, so stiegen öffentliche Gebete auf zu dem Gott der Stürme, damit dieser sich herabließe, ein Schiff von großem Tonnengehalt und mit reicher Ladung in ihre Hand zu geben. Die Mönche schlugen es auch nicht ab, diese Gebete zum Nutzen ihrer Gläubigen zu celebriren.

Jetzt hatte es seit mehreren Wochen nichts zu plündern gegeben. Kein Schiff war an der Küste von Magne angelaufen. Deshalb verursachte es einen wirklichen Ausbruch der Freude, als der Mönch jene von asthmatischem Keuchen unterbrochenen Worte ausgerufen hatte:

»Ein Schiff in Sicht!«

Sofort erschallten die dumpfen Schläge des Simanders, einer Art Glocke aus Holz mit eisernem Klöppel, welche in den Provinzen in Gebrauch ist, wo die Türken die Verwendung von metallenen Glocken nicht zuließen. Die klanglosen Schläge genügten jedoch, die habgierige Bevölkerung zusammenzurufen, Männer, Frauen, Kinder, herrenlose furchtbare Hunde, alle begierig zu plündern und wenn nöthig zu morden.

Inzwischen verhandelten die auf dem Felsen vereinigten Vityliner mit großer Lebhaftigkeit. Welcher Art Fahrzeug war es, das der Mönch ihnen anmeldete? Mit der nordnordwestlichen Brise, die beim Einbruch der Nacht noch auffrischte, glitt das Schiff mit Backbordhalsen schnell dahin. Es schien möglich, daß es beim Laviren das Cap Matapan ziemlich streifte. Seinem Curse nach schien es aus der Gegend von Kreta zu kommen. Schon begann sein Rumpf sich zu zeigen über dem weißen Kielwasser, das es hinter sich ließ; seine Segel alle bildeten jedoch für das Auge eine unkenntliche Masse Es war also schwierig zu sagen, welcher Classe das Fahrzeug angehören möge, was auch die verschiedensten, von einer Minute zur andern sich widersprechenden Aeußerungen veranlaßte.

»Es ist eine Schebeke, erklärte einer der Seeleute, ich sehe ihre viereckigen Segel am Fockmast!

– Nein, erwiderte ein Anderer, es ist eine Pinke! Man sieht ja den erhöhten Achter und starkgekrümmten Vordersteven!

– Schebeke oder Pinke! Wer könnte dieselben auf eine solche Entfernung unterscheiden?

– Sollte es nicht vielmehr eine Polake mit viereckigen Segeln sein, bemerkte ein anderer Seemann, der aus den halbgeschlossenen Händen sich eine Art Fernrohr gemacht hatte.

– Gott helfe uns! antwortete der alte Gozzo. Polake, Schebeke oder Pinke, jedenfalls sind’s drei Maste, und drei Maste sind allemal besser als zwei, wenn sich’s darum handelt, hier bei uns mit einer tüchtigen Ladung Wein aus Candia oder mit Stoffen aus Smyrna zu landen!«

Nach dieser weisen Bemerkung blickten Alle mit noch größerer Aufmerksamkeit hinaus.

Das Schiff näherte sich und schien allmählich zu wachsen; weil es aber so dicht am Winde fuhr, konnte man es nicht von der Seite sehen. Es wäre also schwierig gewesen, zu sagen, ob es zwei oder drei Maste führte, das heißt, ob sein Tonnengehalt ein größerer oder ein geringerer sein werde.

»O, das Unglück verfolgt uns und der Teufel hat sein Spiel! rief Gozzo, indem er noch einen Fluch hinzusetzte, mit dem er alle Sätze zu verstärken pflegte. Das Ding ist weiter nichts als eine Feluke…

– Oder gar nur eine Speronare!« rief der Mönch, nicht weniger enttäuscht als seine Zuhörer.

Daß diese beiden Bemerkungen mit nicht sehr wohlwollenden Rufen aufgenommen wurden, braucht wohl kaum versichert zu werden. Aber welcher Art das Fahrzeug auch war, so konnte man doch schon beurtheilen, daß es höchstens hundert bis hundertfünfzig Tonnen messen konnte. Freilich kam es ja nicht auf die Menge der Ladung an, wenn diese sonst eine werthvolle war. Man trifft einfache Feluken oder selbst Speronaren, welche eine Fracht an kostbaren Weinen, seinen Oelen oder theuren Geweben führen. In solchen Fällen verlohnt es sich schon der Mühe, sie zu plündern, denn sie geben oft reiche Beute für geringe Mühe. Zu verzweifeln war also noch nicht. Dazu entdeckten die älteren Leute der Bande, daß das Schiff ein gewisses elegantes Aeußere hatte, welches, langjähriger Erfahrung nach, immerhin zu seinen Gunsten sprach.

Schon begann die Sonne hinter dem Horizonte im Westen des ionischen Meeres zu verschwinden; die Octoberdämmerung mußte jedoch noch eine Stunde lang hinreichendes Licht verbreiten, um das Schiff vor Einbruch völliger Dunkelheit zu erkennen Nachdem dasselbe das Cap Matapan umsegelt, wendete es sich um zwei Viertel, um besser in den Golf einlaufen zu können, und zeigte sich damit den Beobachtern in bequemer Stellung. Gleich nachdem dies geschehen, entfuhr auch schon den Lippen des alten Gozzo das Wort »Sacoleve«!

»Eine Sacoleve!« wiederholten seine Genossen, welche ihrem Unmuthe durch rohe Flüche Luft machten.

Ueber den Gegenstand wurde indessen nicht weiter gesprochen, weil Zweifel über denselben nicht obwalten konnten. Das Fahrzeug, welches dem Golfe von Coron zusteuerte, war sicherlich eine Sacoleve. Uebrigens thaten die Leute aus Vitylo sehr unrecht, gleich über Unglück zu schreien. Es ist gar nicht selten, daß man gerade auf diesen Sacoleven sehr kostbare Ladungen antrifft.

Man bezeichnet mit diesem Namen übrigens ein levantinisches Fahrzeug von mittlerem Tonnengehalt, dessen Verdeck einen gedrückten Bogen bildet, indem es sich nach hinten zu ein wenig erhebt. Auf seinen schlanken Masten trägt es mannigfaches Segelwerk. Der stark nach vorn geneigte, in der Mitte stehende Großmast hat gewöhnlich ein lateinisches Segel, ein Noth-, ein Mars- und ein Topsegel. Zwei Klüversegel vorn, zwei sehr spitzige an den beiden Hintermasten vervollständigen seine Takelage, die ihm einen auffallenden Anblick verleiht. Die lebhaften Farben des Rumpfes, die Ausbiegung des Vorderstevens, die Verschiedenheit der Maste, die phantastische Gestalt seiner Segel selbst stempeln es zu einem der merkwürdigsten Muster jener schlanken Fahrzeuge, welche man zu Hunderten in den engen Wasserstraßen des Archipels manövriren sieht. Es gewährte einen wirklich schönen Anblick, das leichte Fahrzeug sich bäumen und mit der Welle wieder aufrichten zu sehen, wenn es sich mit weißem Schaum bekränzte oder mühelos fast hüpfte, gleich einem ungeheuren Vogel, dessen Flügel das Meer streiften und dessen Gefieder in den letzten Strahlen der Abendsonne schimmerte.

Obwohl die Brise auffrischte und der Himmel sich allmählich mit »Wasserhosen« bedeckte – ein Name, den die Levantiner gewissen Wolken ihres Himmels zulegen – verminderte die Sacoleve ihre Segelfläche doch nicht im mindesten. Sie hatte sogar das Topsegel beibehalten, welches ein minder kühner Seemann gewiß schon hätte reefen lassen.

Offenbar lag es in der Absicht des Capitäns, an’s Land zu gehen und nicht etwa die Nacht auf dem schon ziemlich bewegten Meere, welches noch mehr aufgeregt zu werden drohte, zuzubringen.

Wenn die Seeleute von Vitylo nun nicht mehr in Zweifel sein konnten, daß die Sacoleve in einen Hafen einlief, so fragten sie sich doch, ob sie gerade in ihrem Hafen anlegen würde.

»Ah, rief Einer von ihnen, man möchte sagen, daß sie sich immer nur am Winde zu halten, aber nicht einzulaufen suchte.

– Da soll sie der Teufel in’s Schlepptau nehmen! versetzte ein Anderer. Sollte sie wirklich nur laviren und wieder auf die hohe See gehen?

– Steuert sie überhaupt auf Coron zu?

– Oder vielleicht auf Kalamata?«

Beide Voraussetzungen hatten etwa gleichviel für sich. Coron ist ein von Handelsfahrzeugen der Levante stark besuchter Hafen der maniatischen Küste, wo ein bedeutender Ausfuhrhandel von Oel aus dem südlichen Griechenland stattfindet. Dasselbe gilt für Kalamata am Grunde des Golfes, dessen Bazare mit Manufacturwaaren, Stoffen oder Geschirren gefüllt sind, welche von Westeuropa hier eingeführt werden. Es war also möglich, daß die Sacoleve nach einem dieser zwei Häfen bestimmt war, ein Umstand, der die raub- und plünderungslüsternen Vityliner sehr enttäuschte.

Während sie so mit ziemlich interessirter Aufmerksamkeit beobachtet wurde, glitt die Sacoleve rasch vorwärts. Bald befand sie sich auf der Höhe von Vitylo. Jetzt mußte ihr Schicksal sich entscheiden. Wenn sie noch weiter auf den Hintergrund des Golfes zuhielt, mußten Gozzo und seine Spießgesellen jede Hoffnung, sich ihrer zu bemächtigen, aufgeben. Selbst wenn sie sich in ihre schnellsten Boote warfen, hatten sie keine Aussicht jene einzuholen, um so viel war sie ihnen durch das ungeheure Segelwerk, welches sie trug, an Geschwindigkeit überlegen.

»Sie kommt hierher!«

Diese drei Worte rief der alte Steuermann, dessen Arm mit niedergebogener Hand sich gleich einem Enterhaken nach dem kleinen Schiffe zu ausstreckte.

Gozzo täuschte sich nicht. Das Steuerruder wurde in den Wind gelegt und die Sacoleve richtete sich jetzt auf Vitylo. Gleichzeitig wurden das Topsegel und ein Focksegel eingezogen und andere Segel wenigstens halb gereeft. Auf diese Weise von einem Theil des auf ihr lastenden Winddrucks befreit, gehorchte sie nun leichter der Hand des Steuermanns.

Jetzt dunkelte es allmählich mehr. Die Sacoleve hatte gerade nur noch Zeit, in die Einfahrt von Vitylo einzulaufen. Hier liegen unter dem Wasser Felsen verstreut, welche wegen der Gefahr, daran vollständig zu scheitern, sorgsam vermieden werden müssen. Trotzdem stieg keine Lootsenflagge am Großmast des kleinen Fahrzeugs auf. Der Capitän mußte also mit dem ziemlich gefährlichen Fahrwasser selbst genügend vertraut sein, weil er sich, ohne Beistand zu verlangen, in dasselbe wagte. Vielleicht mißtraute er auch – und zwar ganz mit Recht – dem beliebten Verfahren der Vityliner, welche wohl nicht davor zurückgeschreckt wären, ihn irgendwo hier auf den Grund laufen zu lassen, wo schon so sehr viel Fahrzeuge auf diese Weise verloren gegangen waren.

Bisher erhellte übrigens noch kein Leuchtthurm die Küste dieses Theiles von Magne. Ein einfaches Hafenlicht diente dazu, den Eingang in den engen Canal zu bezeichnen.

Inzwischen näherte sich die Sacoleve. Bald befand sie sich nur noch eine halbe Meile von Vitylo. Sie mußte gleich landen. Man merkte, daß eine erfahrene Hand sie führte.

Auch das war nicht dazu angethan, die Ungläubigen zu befriedigen; sie hatten ja weit mehr Interesse daran, das Fahrzeug auf irgend einem Felsen stranden zu sehen; dann hatten sie die Brandung gewissermaßen zum Bundesgenossen. Diese begann die Arbeit, welche sie nur zu vollenden hatten. Erst der Schiffbruch, dann die Plünderung, das war ihr gewöhnliches Verfahren. Das ersparte ihnen ja meist einen Kampf mit bewaffneter Hand, einen unmittelbaren Angriff, dem doch allemal Einige von ihnen zum Opfer fallen konnten.

Es gab in der That oft genug von einer muthigen Mannschaft vertheidigte Fahrzeuge, welche sich nicht ungestraft überfallen ließen.

Die Genossen Gozzo’s verließen also ihren Beobachtungsposten und gingen nach dem Hafen hinunter, um alle verbrecherischen Vorbereitungen zu treffen, welche bei den Strandräubern, ob diese die Meere des Abend- oder des Morgenlandes unsicher machen, so ziemlich die gleichen sind.

Es erschien ja so leicht, die Sacoleve in der engen Fahrstraße des Canals stranden zu lassen, wenn man ihr falsche Weisungen ertheilte, was die zunehmende Dunkelheit noch begünstigte, die, ohne gerade schon vollkommen zu sein, doch die Führung eines Schiffes einigermaßen erschwerte

»An’s Hafenlicht!« befahl Gozzo, dem seine Gefährten ohne Zögern zu gehorchen pflegten.

Alle verstanden den alten Seemann. Schon zwei Minuten später erlosch dieses Licht – eine einfache, am Ende des Hafendammes an einem dort stehenden Pfahl befestigte Laterne – urplötzlich.

Im nämlichen Augenblicke wurde es durch ein anderes Licht ersetzt, das zuerst zwar dieselbe Stelle einnahm; doch wenn das erste auf dem Molo feststehende dem Schiffer immer die gleiche Richtung anwies, mußte diesen das bewegliche andere aus der Fahrstraße verlocken und der Gefahr, auf einen Unterwasserfelsen aufzulaufen, aussetzen.

Das falsche Licht bestand aus einer Laterne, deren Schein sich von dem des Hafenlichtes nicht unterschied. Diese Laterne hatte man aber an den Hörnern einer Ziege befestigt, welche langsam am Rande der Klippe hingetrieben wurde. Sie veränderte ihren Ort also mit dem Thiere und mußte in Folge dessen auch die Sacoleve zu falschem Manövriren verleiten.

Es war nicht zum ersten Male, daß die Leute in Vitylo auf diese Weise verfuhren. Nein, gewiß nicht! Und es war leider auch nur selten, daß ihnen ihre schändlichen Absichten mißlangen.

Die Sacoleve lief nun in die Einfahrt ein. Nachdem auch das große Marssegel eingezogen war, trug sie nur noch die lateinischen Segel am hintersten Maste; doch mußten auch diese genügen, um bis zu dem Anlegepfosten zu gelangen.

Zum größten Erstaunen der dasselbe beobachtenden Seeleute bewegte sich das Schiff durch die Windungen des Canals mit unglaublicher Sicherheit weiter. Um das von der Ziege getragene bewegliche Licht schien sich darauf kein Mensch zu kümmern. Selbst am hellen Tage hätte es nicht sicherer manövriren können.

Sein Capitän mußte also unbedingt die Umgebungen von Vitylo schon wiederholt durchsegelt haben, um so bekannt zu sein, daß er selbst in finstrer Nacht wagen konnte, hier an’s Land zu steuern.

Schon konnte man jetzt den kühnen Seemann wahrnehmen. Seine Gestalt hob sich noch ziemlich deutlich aus dem Schatten auf dem Vordertheil der Sacoleve ab. Er stand da, in die weiten Falten seiner Aba, einer Art wollenen Mantels, gehüllt, dessen Capuze seinen Kopf bedeckte. Dieser Capitän zeigte in der That kaum eine Aehnlichkeit mit jenen bescheidenen Küstenfahrern, welche während einer schwierigen Fahrt meist einen Rosenkranz mit großen Kugeln, wie sie in den Meeren des Archipels gebräuchlich sind, hin und her gleiten lassen. Nein, dieser hier begnügte sich, mit tiefer und ruhiger Stimme dem auf dem Hintertheil des Decks befindlichen Steuermann nur seine Anweisungen zu ertheilen.

Da erlosch plötzlich die Laterne am felsigen Strande. Doch auch das störte die Sacoleve nicht, welche unbeirrt ihren Weg fortsetzte. Einen Augenblick hätte man vielleicht glauben können, daß sie bei einer Wendung einen gefährlichen Felsen anlaufen könne, der ziemlich bis zur Wasserfläche, eine Kabellänge vom eigentlichen Hafen, hinausragte und den in der Dunkelheit unmöglich Jemand sehen konnte. Eine leichte Wendung des Steuers genügte aber, die Richtung des Schiffes zu ändern, das zwar ganz nahe an diesem Risse vorüberstreifte, dasselbe aber nicht im Geringsten berührte.

Dieselbe Gewandtheit entwickelte der Steuermann, als es nothwendig wurde, eine zweite Untiefe zu passiren, welche nur eine ganz beschränkte Fahrstraße im Canal übrig ließ – eine Untiefe, auf der schon manches Schiff festgefahren war, ob dessen Lootse nun ein Complice der Vityliner war oder nicht.

Letztere hatten nun keine Aussicht mehr, auf einen Schiffbruch zu rechnen, der ihnen die Sacoleve fast wehrlos überliefert hätte. Binnen wenigen Minuten mußte diese im Hafen verankert liegen. Um sich ihrer zu bemächtigen, galt es nun Gewalt zu gebrauchen.

Das wurde denn auch nach einer kurzen Verhandlung unter den Schurken von diesen beschlossen und sollte bei der eben herrschenden und einem solchen Unternehmen besonders günstigen Dunkelheit sofort in’s Werk gesetzt werden.

»In die Boote!« rief der alte Gozzo, dessen Befehl ohne Widerspruch Geltung hatte, vorzüglich wenn es sich um eine Plünderung handelte.

Etwa dreißig kräftige Männer, von denen die Einen mit Pistolen bewaffnet waren, die Anderen Dolche oder Aexte schwangen, warfen sich in die am Quai befestigten Boote und ruderten, offenbar an Zahl der Besatzung der Sacoleve überlegen, auf diese zu.

Da ertönte an Bord der letzteren ein kurzes Commando. Die Sacoleve, welche jetzt über den Canal herausgekommen war, befand sich inmitten des Hafens. Ihre Hißtaue wurden gelöst, der Anker rasselte in den Grund, und sie lag, nach einem kurzen Stoße in Folge der Anspannung der Ankerkette, unbeweglich.

Die Boote befanden sich nur noch wenige Faden von derselben entfernt. Ohne besonderes Mißtrauen zu zeigen, hatte sich doch die ganze Besatzung, wohl bekannt mit dem üblen Rufe der Bewohner von Vitylo, ausreichend bewaffnet, um gegebenen Falles zur Vertheidigung bereit zu sein.

Vorläufig geschah aber nichts. Der Capitän der Sacoleve war, nachdem das Schiff fest lag, mehrmals auf dem Deck hin und zurück gegangen, während seine Leute, ohne sich besonders um die Annäherung jener Boote zu bekümmern, ruhig fortfuhren, die Segel in Ordnung zu bringen und das Verdeck frei zu machen.

Indeß hätte man doch beobachten können, daß sie diese Segel nicht einbanden, sondern sie so weit frei ließen, um sofort wieder auslaufen zu können.

Das erste Boot legte neben dem Backbord der Sacoleve an. Die anderen drängten sogleich nach. Und da die Seitenwände des Fahrzeugs nur niedrig waren, brauchten die Angreifer, welche jetzt ein wüthendes Geschrei ausstießen, sich nur in die Höhe zu schwingen, um sich auf dessen Verdeck zu befinden.

Die Verwegensten derselben eilten nach dem Hintertheile. Einer derselben ergriff eine brennende Stocklaterne und hielt sie dem Capitän vor das Gesicht.

Da ließ dieser durch eine schnelle Handbewegung die Kapuze herabsinken, so daß sein Gesicht in vollem Lichte erschien.

»Eh, sagte er, die Leute von Vitylo erkennen nicht einmal ihren Landsmann Nicolas Starkos?«

Bei diesen Worten kreuzte der Capitän gelassen die Arme. Kurze Zeit darauf stießen die Boote eiligst wieder ab und zogen sich nach dem Hintergrunde des Hafens zurück.