Achtes Capitel
Um zwanzig Millionen.
Die Folgen dieses Ereignisses hätte vorläufig Niemand zu erkennen vermocht. Als Henry d’Albaret von demselben Nachricht erhielt, glaubte er anfänglich, dasselbe könnte für ihn nur günstig sein. Mindestens war die Vermählung Hadjine Elizundo’s um einige Zeit verschoben. Obwohl das junge Mädchen jetzt noch von der Last des ersten Schmerzes niedergedrückt sein mußte, zögerte der junge Officier doch nicht, sich in dem Hause der Strada Reale vorzustellen, konnte hier jedoch weder Hadjine noch Xaris sehen. Er mußte sich eben in Geduld fassen.
»Wenn Hadjine, so dachte er, sich damit, daß sie den Capitän Starkos zu heiraten einwilligte, nur einem Wunsche ihres Vaters opferte, so braucht jetzt, wo ihr Vater nicht mehr ist, aus dieser Vermählung ja nichts zu werden.«
Dieser Gedankengang war ja ein ganz richtiger. Eine weitere Schlußfolgerung aus demselben aber ergab, daß sich eben damit die Aussichten Henry d’Albaret’s wesentlich verbesserten und die des Nicolas Starkos verschlechterten.
So kann es auch nicht Wunder nehmen, daß Skopelo am folgenden Morgen an Bord der Sacoleve seinen Capitän in ein Gespräch über diesen Gegenstand verwickelte.
Der zweite Officier der »Karysta« war es gewesen, der, als er gegen zehn Uhr Morgens an Bord zurückkehrte, die Neuigkeit von dem Ableben Elizundo’s mitgebracht hatte, eine Neuigkeit, welche in der Stadt allgemeines Aufsehen erregte.
Man hätte voraussetzen können, daß Nicolas Starkos bei den ersten Worten, welche Skopelo darüber fallen ließ, eine zornige Erregung zeigen würde. Das war jedoch nicht der Fall. Der Capitän verstand sich zu beherrschen und liebte es nicht, sich gegen unabwendbare Thatsachen mit ohnmächtigen Worten aufzulehnen.
»Ah, Elizundo ist also todt? fragte er einfach.
– Ja, er ist todt.
– Sollte er sich das Leben genommen haben? setzte Nicolas Starkos halblaut, als ob er nur mit sich selbst spräche, hinzu.
– Nein, antwortete Skopelo, der die Vermuthung des Capitäns gehört hatte, nein, gewiß nicht. Die Aerzte haben nachgewiesen, daß der Banquier Elizundo einem Schlaganfalle erlegen ist…
– Der ihn sofort todt hinstreckte?…
– Wenigstens ziemlich so. Er soll augenblicklich das Bewußtsein verloren und kaum ein Wort mehr von sich gegeben haben, bis er starb.
– Desto besser, daß es so gekommen ist, Skopelo.
– Ohne Widerrede, Capitän, vorzüglich wenn die Angelegenheit wegen Arkadia schon geordnet war….
– Vollkommen, versicherte Nicolas Starkos. Unsere Wechsel sind escomptirt und nun bist Du in der Lage, die Auslieferung des Gefangenentransportes gegen klingende Münze zu beanspruchen.
– Ei, zum Teufel, es war auch höchste Zeit! rief der zweite Officier. Doch, Capitän, wenn diese erste Sache erledigt ist, wie steht’s mit der zweiten?
– Mit der zweiten?… antwortete ruhig Nicolas Starkos. Nun die zweite wird zu Ende geführt werden, wie das vorausgeplant war. Ich sehe nicht, warum sich bezüglich derselben etwas geändert haben sollte. Hadjine Elizundo wird ihrem todten Vater eben so gehorchen, wie sie dem lebenden Vater gehorcht hätte. Die Gründe dafür sind auch noch jetzt ganz dieselben.
– Ihr habt also nicht die Absicht, Capitän, fuhr Skopelo fort, die Partie aufzugeben?
– Aufgeben! rief Nicolas Starkos mit einem Tone, der seinen festen Willen, jedes etwaige Hinderniß zu besiegen, deutlich erkennen ließ. Sag‘ mir, Skopelo, glaubst Du, es werde auf der ganzen Welt einen Mann geben, der freiwillig die Hände schlösse, wenn er sie nur zu öffnen braucht, um zwanzig Millionen in dieselben fallen zu sehen?
– Zwanzig Millionen! wiederholte Skopelo, der lächelnd mit den Achseln zuckte. Nun ja, auf den Betrag von ungefähr zwanzig Millionen hatte auch ich das Vermögen unseres alten Freundes Elizundo abgeschätzt.
– Eine hübsche runde Summe und in guten und sicheren Werthpapieren, fuhr Nicolas Starkos fort, deren Umsatz in baares Geld jeden Augenblick erfolgen kann.
– Sobald Ihr der Eigenthümer derselben seid, Capitän, denn vorläufig wird dieses Geld an die schöne Hadjine zurückfallen.
– Welche wiederum mir zufällt! Keine Angst, Skopelo. Mit einem Worte bin ich im Stande, den ehrlichen Namen des Banquiers zu vernichten, und seine Tochter wird nach seinem Ableben, ebenso wie vorher, mehr Werth auf diese Ehre, als auf das Vermögen legen. Doch ich werde nichts sagen, werde nichts zu sagen haben. Den moralischen Druck, den ich auf ihren Vater ausübte, wird auch sie zu empfinden haben, und sie dürfte sich nur glücklich schätzen, jene zwanzig Millionen Nicolas Starkos als Mitgift zuzuführen; und wenn Du daran zweifeln kannst, so kennst Du eben den Capitän der »Karysta« noch immer nicht!«
Nicolas Starkos sprach mit einer so großen Siegesgewißheit, daß sein zweiter Officier, der sich sonst nicht gern Selbsttäuschungen hingab, doch dem Glauben zuneigte, der Zwischenfall des gestrigen Tages werde an dem weiteren Verlaufe der Angelegenheit nichts mehr ändern. Höchstens konnte er eine Verzögerung zur Folge haben, das wäre aber Alles.
Wie lange diese Verzögerung sie aufhalten würde, das war nun allein die Frage, welche Skopelo und Nicolas Starkos einigermaßen beunruhigte, obwohl Letzterer das nicht gern zugeben wollte. Er ermangelte nicht, am nächsten Tage den Trauerfeierlichkeiten für den reichen Banquier beizuwohnen, welche übrigens ziemlich einfach gehalten waren und nur eine kleine Anzahl Leidtragender versammelten. Hier traf er auch mit Henry d’Albaret zusammen; bei dieser Gelegenheit wurden jedoch zwischen den beiden Männern nur einige Blicke gewechselt, ohne daß es natürlich zu weiteren Auseinandersetzungen kam.
Während der fünf nächsten Tage nach dem Ableben Elizundo’s versuchte der Capitän der »Karysta« vergeblich, bis zu dem jungen Mädchen vorzudringen. Die Thür des Trauerhauses blieb für Jedermann verschlossen. Es schien, als ob das Bankhaus selbst mit dem Banquier gestorben wäre.
Henry d’Albaret war übrigens nicht glücklicher, als Nicolas Starkos. Er konnte sich mit Hadjine weder durch einen Besuch, noch durch einen Brief in Verbindung setzen, so daß er sich schon die Frage vorlegte, ob das junge Mädchen nicht unter dem Schutze des treuen Xaris, der auch nicht sichtbar wurde, Korfu gar schon verlassen haben möge.
Weit entfernt, seine Absichten aufzugeben, wiederholte sich der Capitän der »Karysta« mit Vorliebe, daß es sich nur um einen Aufschub der Erfüllung derselben handle. Er selbst ließ es nicht an Andeutungen fehlen, und Skopelo vorzüglich that Alles, um in der Stadt die Nachricht zu verbreiten, daß die eheliche Verbindung zwischen Nicolas Starkos und Hadjine Elizundo unzweifelhaft stattfinden werde. Es handle sich nur darum, die erste Zeit der tiefsten Trauer und vielleicht auch die endgiltige Ordnung der finanziellen Verhältnisse des Bankhauses abzuwarten.
Bezüglich des von dem Banquier hinterlassenen Vermögens wußte man, daß dasselbe ein ungeheures war. Das gewöhnliche Geschwätz der Leute und die in der Stadt umherschwirrenden Gerüchte vergrößerten dasselbe allerdings gut um den fünffachen Betrag. Man versicherte sich da gegenseitig, daß Elizundo nicht weniger als hundert Millionen hinterlasse. Das sei eine Erbin, diese junge Hadjine, und ein glücklicher Mann, dieser Nicolas Starkos, dem ihre Hand zugesagt wäre. In ganz Korfu, in seinen beiden Vorstädten bis weit hinaus in den letzten Dörfern der Insel sprach man von nichts Anderem. In Folge dessen strömten auch eine Menge Maulaffen in der Strada Reale zusammen. Da sie nichts Besseres zu thun hatten, wollten sie wenigstens das weitberühmte Haus anstarren, in welches so viel Geld geflossen wäre und in dem noch so viel davon sein mußte, da nur sehr wenig davon herausgekommen wäre.
In Wahrheit bezifferte sich das betreffende Vermögen auf eine sehr hohe Summe. Diese betrug nahe an zwanzig Millionen und bestand, wie Nicolas Starkos zu Skopelo bei ihrer neulichen Unterhaltung gesagt, zum größten Theil in sehr leicht realisirbaren Werthen und nur wenig in Grundbesitz.
Davon überzeugte sich, während der ersten Tage nach dem Tode des Banquiers, ebensowohl Hadjine Elizundo, wie auch Xaris. Dabei erhielten sie freilich auch Aufklärung über die Art und Weise, wie dieses Vermögen aufgehäuft worden war. Xaris hatte wenigstens so viel Kenntniß von den Geschäften des Banquiers, um hinreichend durchschauen zu können, welcher Art diese Geschäfte gewesen waren, als ihm die Bücher und Papiere des Verstorbenen zur Durchsicht eingehändigt wurden. Elizundo hatte offenbar die Absicht gehabt, diese später zu vernichten, wenn ihn der Tod nicht überraschte. Jetzt waren sie vorhanden und sprachen deutlich genug für sich selbst.
Hadjine und Xaris wußten nur zu gut, woher diese Millionen stammten. Sie brauchten nicht mehr von anderer Seite zu erfahren, auf welche verabscheuungswürdige Handelsgeschäfte, auf wie viel Noth und Kummer diese Millionen aufgebaut waren.
Auf die Mitwissenschaft dieser Verhältnisse begründete Nicolas Starkos also seine Macht über Elizundo. Er war sein Genosse, er konnte ihn mit einem Worte entehren! Gefiel es ihm selbst, dann zu verschwinden, so hätte Niemand vermocht, seine Spuren wieder zu finden. Und damit, daß er dem Vater die Tochter entriß, wollte er sich sein Stillschweigen abkaufen lassen.
»Der Elende!… Der Schuft! rief Xaris.
– Schweig!« antwortete Hadjine.
Er schwieg, denn er fühlte wohl, daß seine Worte weiter hinaus klingen konnten, als bis zu Nicolas Starkos. Die jetzt gespannten Verhältnisse mußten aber doch binnen Kurzem eine Lösung finden, und vorzüglich ging es Hadjine selbst an, eine solche im Interesse Aller bald herbeizuführen.
Am sechsten Tage nach dem Ableben Elizundo’s wurde Nicolas Starkos, den Xaris an der Treppe des Molos erwartet hatte, gegen sieben Uhr Abends ersucht, sofort im Bankhause zu erscheinen.
Es wäre zu weit gegangen, wenn wir sagten, daß ihm diese Einladung in besonders freundlichem Tone übermittelt wurde, Xaris stieß die wenigen Worte im Gegentheil in einer Weise hervor, welche nichts Gutes versprach, als er auf den Capitän der »Karysta« zutrat. Letzterer war aber nicht der Mann dazu, sich um solche Kleinigkeiten zu kümmern, und folgte Xaris nach dem Comptoir, wo er ohne Zögern eingelassen wurde.
Als die Nachbarn Nicolas Starkos in das bis jetzt streng geschlossen gehaltene Haus eintreten sahen, unterlag es für sie keinem weiteren Zweifel, daß Jenem die günstigsten Aussichten lachten.
Nicolas Starkos fand Hadjine in dem Cabinet ihres Vaters. Sie saß daselbst vor einem Schreibtische, auf dem eine Menge Papiere, Documente und Bücher umherlagen. Der Capitän erkannte, daß das junge Mädchen schon jetzt in die Geschäftsthätigkeit des Hauses Einsicht erlangt haben möge, und er täuschte sich damit auch nicht. Es fragte sich nur, ob sie auch schon die Beziehungen kannte, welche der Banquier mit den Seeräubern des Archipels unterhalten hatte
Beim Eintritt des Capitäns erhob sich Hadjine – was es ihr ersparte, diesen zum Niedersetzen aufzufordern – und machte Xaris ein Zeichen, sie allein zu lassen. Sie trug tiefe Trauerkleidung. Ihre ernsten Züge, wie ihre von Nachtwachen angegriffenen Augen, verriethen in der ganzen Erscheinung zwar eine gewisse Hinfälligkeit, aber noch lange keine geistige Ermattung. Bei dem jetzigen Gespräche, das für alle in Frage kommenden Personen von so weitreichenden Folgen werden sollte, verließ sie ihre Ruhe nicht einen einzigen Augenblick.
»Hier bin ich, Hadjine Elizundo, begann der Capitän, und stehe zu Ihrem Befehl. Weshalb haben Sie mich rufen lassen?
– Aus zwei Gründen, Nicolas Starkos, antwortete das junge Mädchen, welche gerade auf ihr Ziel losgehen wollte. Zunächst wollte ich Ihnen sagen, daß die geplante Verbindung, zu der mich mein Vater, wie Sie recht wohl wissen, nur zwang, fortan als aufgehoben zu betrachten ist.
– Und ich, erwiderte Nicolas Starkos sehr kalt, begnüge mich, dem entgegen zu halten, daß Hadjine Elizundo, wenn sie in dieser Weise spricht, wohl die Folgen nicht bedacht hat, welche ihre Worte haben könnten.
– Das hab‘ ich wohl bedacht, entgegnete das junge Mädchen, und Sie werden erst recht begreifen, daß mein Beschluß unwiderruflich ist, wenn ich Ihnen sage, daß mir schon Alles bezüglich der Art der Geschäfte bekannt ist, welche das Haus Elizundo mit Ihnen und Ihresgleichen gemacht hat, Nicolas Starkos!«
Natürlich hörte der Capitän der »Karysta« diese kurze und bestimmte Antwort nicht ohne Mißbehagen. Wohl hatte er schon vorausgesetzt, daß Hadjine Elizundo versuchen würde, ihm in aller Form den Abschied zu geben, aber er hatte auch gehofft, ihren Widerstand zu brechen, wenn er ihr mittheilte, was ihr Vater gewesen und welche Beziehungen er zu ihm selbst unterhalten hatte. Und jetzt wußte sie schon Alles! Damit zerbrach eine Waffe, vielleicht die allerbeste, ihm unter der Hand. Immerhin fühlte er sich noch nicht ganz entwaffnet, sondern fuhr in etwas ironischem Tone fort:
»Sie kennen also die Geschäfte des Hauses Elizundo, und trotzdem verharren Sie bei Ihrer Weigerung?
– Ich verharre dabei, Nicolas Starkos, und werde stets dabei verharren, weil ich das für unabweisliche Pflicht halte!
– So muß ich wohl annehmen, antwortete Nicolas Starkos, daß der Capitän Henry d’Albaret…
– Lassen Sie den Namen Henry d’Albaret’s hier vollkommen aus dem Spiele!« unterbrach ihn lebhaft Hadjine.
Dann wieder mehr Herrin ihrer selbst, setzte sie, um jede Herausforderung, welche sie hätte auf’s Neue reizen können, zu vermeiden, ruhig hinzu:
»Sie wissen sicherlich, Nicolas Starkos, daß der Capitän d’Albaret niemals zustimmen würde, sich mit der Tochter des Banquiers Elizundo zu verbinden.
– Schwierig dürfte das werden!
– Aber ehrenhaft bliebe seine Weigerung!
– Und warum?
– Weil ein Mann wie er nicht eine Erbin heiratet, deren Vater der Banquier von Seeräubern gewesen ist. Nein, ein Mann von Ehre kann ein in dieser Weise erworbenes Vermögen nicht annehmen.
– Es scheint mir aber, wendete Nicolas Starkos ein, daß wir hier von Dingen reden welche mit dem Gegenstand, um den es sich handelt, nicht das Geringste zu thun haben.
– Dieser Gegenstand ist abgethan!
– Erlauben Sie mir zu bemerken, daß es der Capitän Starkos, nicht der Capitän d’Albaret war, dem Hadjine Elizundo die Hand reichen sollte. Der Tod ihres Vaters kann ihre Anschauungen hierüber ebenso wenig geändert haben, wie die meinigen.
– Ich gehorchte meinem Vater, antwortete Hadjine, ich gehorchte ihm, sogar ohne die Gründe zu wissen, die ihn zwangen, mich zum Opfer zu bringen. Jetzt weiß ich, daß ich durch meinem Gehorsam ihm die Ehre seines Namens gerettet hätte.
– Nun also, wenn Sie das wissen… fiel Nicolas Starkos ein.
– Ich weiß, unterbrach ihn sofort wieder Hadjine, ich weiß, daß Sie es waren, sein Mitschuldiger, der ihn zu jenen verbrecherischen Geschäften veranlaßte, daß Sie jene Millionen dem vorher ehrenhaft dastehenden Bankhause zuführten. Ich weiß, daß Sie ihn bedrohten, seine Schande der Oeffentlichkeit preiszugeben, wenn er Ihnen seine Tochter nicht überlassen wollte. Wahrhaftig, Nicolas Starkos, haben Sie jemals glauben können, daß meine Zustimmung, Sie zu heiraten, einen anderen Grund als den Gehorsam gegen meinen Vater haben könnte?
– Zugegeben, Hadjine Elizundo; ich habe Ihnen also nichts mitzutheilen. Wenn Sie aber auf die Ehre Ihres Vaters während dessen Lebzeiten einen hohen Werth legten, so können Sie auch nach seinem Ableben nicht anders handeln, und für den Fall, daß Sie darauf bestehen, Ihre Zusage mir gegenüber zurückzunehmen…
– So werden Sie Alles sagen, Nicolas Starkos! rief das junge Mädchen mit einem solchen Ausdruck von Widerwillen und Verachtung, daß sogar dem auf Alles gefaßten Mann ein Schimmer von Schamröthe über die Stirn flog.
– Ja… Alles! versetzte er.
– Sie werden es nicht thun, Nicolas Starkos!
– Und warum?
– Weil Sie sich damit selbst anklagten!
– Mich anklagen, Hadjine Elizundo! Glauben Sie etwa, jene Geschäfte wären jemals unter meinem Namen abgeschlossen worden? Bilden Sie sich etwa ein, Nicolas Starkos fahre selbst im Archipel umher und handle mit den Kriegsgefangenen? Nein! Wenn ich rede, werde ich mich deshalb nicht bloßstellen, und wenn Sie mich dazu zwingen, werd‘ ich eben reden!«
Das junge Mädchen blickte dem Capitän gerade in’s Gesicht. Ihre Augen, welchen die ganze Kühnheit des guten Gewissens innewohnte, senkten sich vor den seinigen, so erschreckend diese auch d’reinschauen mochten, nicht zur Erde.
»Nicolas Starkos, fuhr sie fort, ich könnte Sie mit einem Worte entwaffnen, denn es ist weder Theilnahme noch Liebe, welche Sie auf diese Verbindung bestehen heißt. Ihnen ist es nur darum zu thun, in den Besitz meines väterlichen Vermögens zu kommen! Ja, ich könnte Ihnen sagen: Sie verlangen weiter nichts als jene Millionen!… Nun gut, hier sind sie! Nehmen Sie dieselben und ziehen Sie Ihres Weges, damit ich Sie niemals wieder sehe! Ich werde das aber nicht sagen, Nicolas Starkos!… Die Millionen, welche ich erbe, werden Ihr Eigenthum nicht werden!… Ich will sie behalten, um davon einen Gebrauch zu machen, wie es mir beliebt!… Nein, Sie erhalten dieselben nicht! Und nun verlassen Sie dieses Zimmer! Verlassen dieses Haus!… Gehen Sie!«
Mit ausgestrecktem Arme und hoch erhobenem Kopfe schien Hadjine Elizundo jetzt den Capitän ebenso zu verfluchen, wie Andronika ihm wenige Wochen vorher auf der Schwelle ihres Hauses geflucht hatte.
Wenn Nicolas Starkos aber an jenem Tage vor der erzürnten Mutter zurückgewichen war, trat er jetzt dagegen voller Entschlossenheit auf das junge Mädchen zu.
»Hadjine Elizundo, sagte er mit grollender Stimme, ja, ich muß jene Millionen haben! Auf eine oder die andere Weise muß ich sie haben… Und sie werden mein werden!
– Nein, eher vernichte ich sie, eher werfe ich sie in das Wasser des Golfs! antwortete Hadjine.
– Ich werde sie haben, sag‘ ich Ihnen, weil ich sie will!«
Nicolas Starkos hatte das junge Mädchen am Arme gefaßt. Der Zorn übermannte ihn, so daß er seiner nicht mehr Herr war. Sein Blick trübte sich. Er wäre im Stande gewesen, sie zu ermorden.
Hadjine Elizundo durchschaute das Alles im Augenblick. Sterben! Was kümmerte sie das jetzt! Der Tod hätte sie nicht erschreckt. Das energische junge Mädchen hatte aber ganz andere Pläne entworfen… Sie hatte sich verurtheilt zu leben.
»Xaris!« rief sie.
Die Thür ging auf, Xaris erschien.
»Xaris, bring‘ diesen Mann hinaus!«
Nicolas Starkos hatte nicht mehr die Zeit sich umzudrehen, als er sich schon von ein paar Eisenarmen gepackt fühlte, so daß ihm der Athem ausging. Er wollte sprechen, schreien – konnte es aber eben so wenig, als es ihm gelang, sich aus den schrecklichen Fesseln zu befreien. Halb erstickt, dem Tode nahe, so daß er nicht einmal mehr erröthen konnte, sah er sich an der Thür des Hauses abgesetzt.
Hier rief ihm Xaris nur noch die Worte zu:
»Ich tödtete Euch nicht, weil sie mir nicht befohlen hat, Euch zu tödten. Wenn sie mir das sagt, wird es geschehen!«
Damit schloß er hinter ihm die Thür.
Zu dieser Stunde war die Straße schon ziemlich menschenleer. Niemand hatte mit angesehen, was eben hier vorging, das heißt, daß Nicolas Starkos mit Gewalt aus dem Hause des Banquiers Elizundo entfernt worden war. Man hatte ihn aber eintreten sehen; das genügte. Als Henry d’Albaret in Folge dessen später erfuhr, daß sein Rival da empfangen worden war, mußte er wie alle Welt denken, daß der Capitän der »Karysta« zu dem jungen Mädchen nach wie vor in dem Verhältniß eines Verlobten stehe.
Welcher Schlag war das für ihn! Nicolas Starkos in dem Hause aufgenommen, von dem ihn ein unerbittlicher Befehl fern hielt. Er war zuerst wirklich versucht, Hadjine zu fluchen, und wem wäre das an seiner Stelle anders ergangen? Aber er beherrschte sich noch, seine Liebe trug den Sieg davon über den Zorn, und obwohl der äußere Schein gegen das junge Mädchen sprach, sagte er sich doch:
»Nein, nein!… Das ist unmöglich!… Mit diesem Manne!… Das kann nicht sein!… Das ist nicht wahr!«
Trotz seiner gegen Hadjine Elizundo ausgestoßenen Drohungen, hielt es Nicolas Starkos nach einiger Ueberlegung doch für angezeigt, noch zu schweigen. Noch wollte er von dem Geheimniß, welches auf dem Leben des Banquiers lastete, nichts offenbaren. Das sicherte ihm wenigstens volle Handelsfreiheit, und wenn die Umstände es erheischten, würde es dazu später ja immer noch Zeit sein.
Er verhehlte nämlich dem zweiten Officier nichts von dem, was sich seit seinem Besuche bei Hadjine Elizundo zugetragen hatte. Skopelo stimmte ihm bei, jetzt noch zu schweigen und sich zurückzuhalten, wohl aber darauf zu achten, ob die Dinge nicht selbst eine ihren Absichten günstigere Wendung annähmen. Am meisten beunruhigte ihn freilich, daß die Erbin sein Schweigen nicht durch Abtretung der Erbschaft zu erkaufen willens schien. Warum? Das begriff er vorläufig wenigstens nicht.
Während der folgenden Tage und bis zum 12. November verließ Nicolas Starkos sein Schiff auch nicht auf eine Stunde. Er grübelte und erwog die verschiedensten Mittel, welche ihn zu seinem Ziele führen könnten. Uebrigens rechnete er nicht wenig auf einen glücklichen Zufall, der ihm schon so oft während seiner verbrecherischen Laufbahn zu Hilfe gekommen war. Dieses Mal rechnete er falsch.
Henry d’Albaret hielt sich andererseits vollkommen zurückgezogen. Er hatte es nicht für geboten erachtet, seine Versuche, das junge Mädchen zu sehen, noch zu wiederholen; aber er verzweifelte deshalb auch noch nicht.
Am 12. des Abends wurde ihm ein Brief in sein Hôtel gebracht. Eine Ahnung sagte ihm, daß derselbe von Hadjine Elizundo komme. Er erbrach ihn, sah nach der Unterschrift; richtig, er hatte sich nicht geirrt.
Der Brief enthielt nur wenige, von der Hand des jungen Mädchens geschriebene Zeilen und lautete wie folgt:
»Henry!
Der Tod meines Vaters hat mir zwar meine Freiheit zurückgegeben, aber Du mußt dennoch auf mich verzichten. Die Tochter des Banquiers Elizundo ist Deiner nicht würdig. Ich werde niemals Nicolas Starkos, einem Schurken, aber auch niemals Dir, einem ehrenhaften Manne, angehören können. Verzeih‘ mir und lebe wohl!
Hadjine Elizundo.«
Nach Empfang dieses Briefes eilte Henry d’Albaret, ohne sich Zeit zur Ueberlegung zu nehmen, nach dem bekannten Hause in der Strada Reale…
Das Haus war verschlossen, verlassen, öde, als ob Hadjine Elizundo mit ihrem treuen Xaris daraus verschwunden wäre, um niemals wiederzukehren.