Viertes Capitel

Das traurige Haus eines Reichen.

Während die »Karysta« mit einer Bestimmung, welche nur ihr Capitän kannte, nach Norden segelte, trug sich auf Korfu ein Ereigniß zu, welches, wenn es auch nur privater Natur war, doch darum nicht minder die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Hauptpersonen dieser Geschichte lenken sollte.

Bekanntlich wurden die Ionischen Inseln seit 1815, gemäß der Verträge von diesem Jahre, unter englische Schutzherrschaft gestellt, nachdem sie bis 1814 unter der Frankreichs gestanden hatten. Seit 1864 erhielten die Ionischen Inseln ihre Unabhängigkeit wieder und wurden, getheilt in Nomachien, dem Königreich Griechenland zugeschlagen.

Unter dieser Gruppe, welche Cerigo, Zante, Ithaka, Cephalonia, Leukade Naxos und Korfu umschließt, ist letztere Insel die westlichste und auch die bedeutendste. Sie ist das alte Corcyra. Eine Insel, welche einen Alkinous, den edelmüthigen Gastfreund Jason’s und der Medea, zum König hatte, welche später, nach dem trojanischen Kriege, den klugen Ulysses aufnahm, ist wohl berechtigt, in der Geschichte des Alterthums eine hervorragende Stelle einzunehmen. Nachdem um dieselbe die Franken, die Bulgaren, die Saracenen und die Neapolitaner gekämpft, wurde sie im sechzehnten Jahrhundert durch Barbarossa verwüstet, im achtzehnten durch den Grafen Schulemburg in Schutz genommen und nachdem sie gegen Ende der selbständigen Herrschaft noch von dem General Doncelot vertheidigt worden war, diente sie jetzt als Regierungssitz des englischen Ober-Commissärs.

Zu jener Zeit war dieser Ober-Commissär Sir Frederik Adam, der Gouverneur der Ionischen Inseln. In Berücksichtigung der möglichen Zufälle, welche der Kampf der Griechen gegen die Türken herbeiführen konnte, hatte er fortwährend einige Fregatten zur Verfügung, welche den Polizeidienst in den benachbarten Meeren versahen. Es bedurfte wirklich großer, stark bewaffneter Schiffe, um Ordnung zu halten in diesem Archipel, der den Griechen, den Türken, den Inhabern von Caperbriefen ebenso preisgegeben war, wie den eigentlichen Seeräubern, welche kein anderes Ziel kannten, als ganz nach Belieben Fahrzeuge jeder Nationalität zu überfallen und zu plündern.

Wir werden später in Korfu eine ziemliche Anzahl Fremder treffen und darunter vorzüglich solche, welche seit drei bis vier Jahren in Folge der wechselnden Ereignisse im Unabhängigkeitskampfe herangezogen worden waren. Hier in Korfu schifften sie sich ein, um nach dem Kampfplatz zu gelangen, und hier hielten sich auch Andere auf, welche in Folge erlittener Strapazen sich eine längere Zeit der Ruhe gönnen mußten.

Unter den Letzteren ist vorzüglich ein junger Franzose zu nennen. Voll edler Begeisterung für die Sache der Freiheit, hatte er sich schon seit drei Jahren daran thätig betheiligt und bei vielen Ereignissen, deren Schauplatz die Hellenische Halbinsel war, eine hervorragende Rolle gespielt. Henry d’Albaret, Schiffs-Lieutenant der königlichen Marine, einer der jüngsten Officiere seines Grades und jetzt auf unbegrenztem Urlaub, war von Beginn des Krieges an unter die Fahne der französischen Philhellenen eingetreten. Neunundzwanzig Jahre alt, mittelgroß, von kräftiger Constitution, die ihn befähigte, die Anstrengungen seines Berufes als Seemann zu ertragen, flößte dieser junge Officier durch seinen natürlichen Anstand, durch die Vornehmheit der Erscheinung, den offenen Blick, das wirklich männlich schöne Gesicht Jedermann im ersten Augenblick eine gewisse Theilnahme ein, welche durch längeren vertrauten Umgang nur an Wärme zunehmen konnte.

Henry d’Albaret gehörte einer reichen, ursprünglich aus Paris stammenden Familie an. Seine Mutter hatte er kaum gekannt. Sein Vater war kurz nach der Zeit, wo er mündig wurde, das heißt zwei oder drei Jahre nach seinem Abgang aus der Seemannsschule, gestorben. Herr eines ziemlich beträchtlichen Vermögens, hatte er darin noch keinen Grund gesehen, seinem Seemannsberufe zu entsagen. Im Gegentheil, er blieb seiner Laufbahn – der schönsten, die es auf Erden geben kann – getreu und war Schiffs-Lieutenant geworden, als die griechische Flagge als Feind des türkischen Halbmondes im Norden Griechenlands wie im Peloponnes entfaltet wurde.

Henry d’Albaret zauderte keine Stunde. Wie so viele andere muthige junge Leute, welche diese Bewegung unwiderstehlich mit sich fortriß, schloß er sich den Freiwilligen an, welche von französischen Officieren bis nach den Grenzmarken des östlichen Europas geführt werden sollten. Er gehörte zu den ersten Philhellenen, welche ihr Blut für die Sache der Unabhängigkeit verspritzten Vom Jahre 1822 ab befand er sich unter den ruhmvoll Unterlegenen, welche mit Maurocordato in der Schlacht von Arta besiegt wurden, und ebenso unter den Siegern bei der ersten Belagerung von Missolunghi. Er war dabei, als im folgenden Jahre Marco Botsaris überwältigt wurde. Im Laufe des Jahres 1824 nahm er mit Auszeichnung theil an den Seegefechten, durch welche die Griechen die Siege Mehemet Ali’s rächten. Nach dem Fall von Tripolitza 1825 führte er einen Theil der regulären Truppen unter dem Befehl des Obersten Fabvier. Im Juli 1826 schlug er sich bei Chaidari und rettete da das Leben Andronika Starkos‘, welche die Pferde Kiutagi’s zu zermalmen drohten – in jener schrecklichen Schlacht, welche den Philhellenen so unersetzliche Verluste kostete.

Henry d’Albaret wollte seinen Anführer indeß nicht verlassen, und schloß sich diesem schon bald darauf in Methenä wieder an.

Zu dieser Zeit wurde die Akropolis von Athen von dem Commandanten Gouras, der fünfzehnhundert Mann unter seinem Befehle hatte, vertheidigt. In diese Citadelle hatten sich auch noch fünfhundert Frauen und Kinder geflüchtet, denen es unmöglich gewesen war, zu entkommen, als die Türken sich der Stadt bemächtigten. Gouras besaß Lebensmittel für ein Jahr, ein Material von vierzehn Kanonen und drei Mörsern, sein Schießbedarf ging aber bald zu Ende.

Fabvier beschloß, die Akropolis mit neuen Vorräthen zu versehen. Er rief Freiwillige auf, ihn bei diesem mehr als kühnen Unternehmen zu unterstützen. Fünfhundertunddreißig folgten seinem Aufrufe, unter ihnen vierzig Philhellenen; unter diesen Vierzig und an ihrer Spitze Henry d’Albaret. Jeder dieser verwegenen Parteigänger nahm einen Sack Pulver mit sich, und so schifften sie sich unter der Anführung Fabvier’s in Methenä ein.

Am 13. December landete das kleine Corps fast am Fuße der Akropolis, ein Mondstrahl verrieth sie. Sofort knatterte das Feuer der Türken. Fabvier ruft: »Vorwärts!« Ohne seinen Pulversack im Stich zu lassen, der ihn doch jeden Augenblick in tausend Stücke zu zerreißen droht, durchklettert Mann für Mann den Graben, und so dringen sie durch die geöffneten Thore der Citadelle ein. Die Belagerten werfen die Türken heldenmüthig zurück. Fabvier aber ist verwundet, sein zweiter Officier ist todt und Henry d’Albaret fällt auch, von einer Kugel getroffen. Die regulären Truppen und ihre Anführer waren nun in der Citadelle eingeschlossen mit denen, welchen sie so todesmuthig Hilfe zu bringen unternommen hatten, und die sie jetzt nicht wieder von sich lassen wollten

Hier mußte der junge Officier, der an einer glücklicherweise nicht zu schweren Verletzung daniederlag, das Elend der Belagerten theilen, deren ganze Nahrung sich zuletzt auf magere Rationen Gerste beschränkte. So vergingen sechs Monate ehe die Capitulation der Akropolis, der Kiutagi zustimmte, ihm die Freiheit wiedergab. Erst am 5. Juni 1827 konnten Fabvier, seine Freiwilligen und die Belagerten die Citadelle von Athen verlassen und sich auf bereitliegende Schiffe begeben, welche sie nach Salamis beförderten.

Bei seiner noch andauernden Schwäche wollte Henry d’Albaret nicht in dieser Stadt bleiben und ging deshalb nach Korfu unter Segel. Hier erholte er sich nun seit zwei Monaten von seinen Strapazen und wartete der Stunde, wo er wieder seinen Posten in den vordersten Reihen einnehmen könnte, als der Zufall seinem Leben, das bisher nur das Leben des Soldaten gewesen war, eine neue Triebfeder einfügte.

In Korfu, fast am Ausgange der Strada Reale, lag ein altes unscheinbares Haus von halb griechischem, halb italienischem Aussehen. In diesem Hause wohnte eine Persönlichkeit, welche sich nur wenig zeigte, von der man aber desto mehr sprach. Das war der Banquier Elizundo. Ob der Mann sechzig oder siebzig Jahre zählte, hätte Niemand entscheiden können. Seit etwa zwanzig Jahren verbarg er sich in dieser düsteren Wohnung, welche er fast niemals verließ. Wenn er jedoch nicht herauskam, so statteten ihm dafür eine Menge Leute aus aller Herren Ländern – fleißige Clienten seiner Comptoirs – desto mehr Besuche ab.

Auf jeden Fall wurden in diesem Bankhause sehr umfängliche Geschäfte betrieben, und die Ehrbarkeit desselben stand bei Allen außer Zweifel. Elizundo galt übrigens für ungeheuer reich. Kein Credit auf den Ionischen Inseln bis hinüber zu seinen dalmatinischen Collegen von Zara oder Ragusa hätte sich mit dem seinigen messen können. Eine von ihm acceptirte Tratte war goldeswerth. Er vermied zweifellos auch alle unsicheren Geschäfte, und schien im Gegentheil darin eher etwas zu vorsichtig zu sein, denn er forderte stets die allerbesten Referenzen, wie die vollständigsten Garantien; seine Casse dagegen schien unerschöpflich. Merkwürdiger Weise besorgte Elizundo fast Alles ganz allein und hatte nur einen Mann in seinem Hause, von dem später die Rede sein wird und der die minder wichtigen Schriftstücke aufzusetzen hatte. Er war also gleichzeitig sein eigener Cassier, wie sein eigener Buchhalter. Es gab keinen Vertrag, der nicht von ihm abgefaßt, keinen Brief, der nicht von seiner Hand geschrieben worden wäre. Im eigentlichen Bureau des Comptoirs hatte niemals ein Commis Platz gefunden; das trug natürlich nicht wenig dazu bei, seinem Geschäftsverfahren den Stempel des Geheimnißvollen aufzudrücken.

Bezüglich des Herkommens des Banquiers sagte man wohl, er stamme aus Illyrien oder Dalmatien, doch wußte hierüber Niemand etwas Genaueres. Stumm über seine Vergangenheit und ebenso stumm über die Gegenwart, hielt er sich von der korfiotischen Gesellschaft möglichst fern. Als die Inselgruppe unter Frankreichs Botmäßigkeit gestellt worden war, verlief sein Leben schon ganz in derselben Weise wie später, wo ein englischer Gouverneur die Ionischen Inseln verwaltete. Jedenfalls war das, was man über sein Vermögen fabelte, und welches im Munde der Leute schlechtweg auf Hunderte von Millionen geschätzt wurde, nicht so buchstäblich zu nehmen; er mußte aber reich sein und war gewiß sehr reich, obgleich er in seinen Bedürfnissen und seinem Geschmack nur als höchst bescheidener Mann erschien.

Elizundo war Wittwer und zwar schon, als er sich in Korfu mit seiner damals zweijährigen Tochter niederließ. Jetzt zählte diese Tochter, welche Hadjine hieß, zweiundzwanzig Jahre und lebte, mit der Versorgung des ganzen Haushaltes betraut, mit ihm in eben jener Wohnung.

Ueberall, selbst in jenen Ländern des Orients, wo Frauenschönheit etwas so häufiges ist, würde Hadjine Elizundo als außerordentlich schön gegolten haben, und das trotz des Ernstes ihrer etwas traurigen Physiognomie. Wie hätte diese aber auch anders erscheinen können, inmitten jener Umgebung, in der ihre Kindheit verlaufen war, ohne eine Mutter, sie anzuleiten, ohne eine Gefährtin, mit der sie die ersten mädchenhaften Empfindungen hätte theilen können? Hadjine Elizundo war von mittlerer Größe, aber von höchst graziösem Wuchs. Durch den griechischen Ursprung, den sie ihrer Mutter verdankte, erinnerte sie an den Typus der schönen jungen Frauen von Lakonien, welche nach dieser Richtung alle Frauen des Peloponnes übertreffen.

Zwischen Vater und Tochter herrschte keine besondere Vertrautheit und konnte eine solche nicht herrschen. Der Banquier lebte allein, schweigend oder sehr zurückgezogen, als einer jener Menschen, welche sehr häufig den Kopf wegwenden und die Augen bedecken, als wenn ihnen das Licht wehe thäte. Im privaten Leben ebenso wenig mittheilsam wie im öffentlichen, war er stets, selbst bei allen Verhandlungen mit den Kunden des Hauses, äußerst wortkarg. Wie hätte da Hadjine Elizundo ihrem Leben hinter diesen Mauern einen Reiz abgewinnen können, wo sie innerhalb derselben kaum das Herz ihres Vaters fand!

Zum Glück existirte an ihrer Seite ein seelengutes, ergebenes, liebevolles Wesen, das nur für seine junge Herrin lebte, das mit ihr trauerte, wenn sie betrübt war, und dessen Züge sich aufhellten, wenn es sie lächeln sah. Es ging eben sein ganzes Leben in dem Hadjines auf.

Diese Schilderung könnte auf den Glauben führen, daß es sich hier um einen guten, treuen Hund handle, einen jener »Aspiranten des Menschengeschlechts«, wie Michelet gesagt hat, »dessen treuergebener Freund«, wie Lamartine ihn nennt. Nein, es war nur ein Mensch, der aber verdient hätte, ein Hund zu sein. Er hatte Hadjine gesehen, seit sie das Licht der Welt erblickte, hatte sie niemals verlassen, sie als Kind gewiegt und als junges Mädchen bedient.

Es war das ein Grieche, Namens Xaris, ein Milchbruder der Mutter Hadjines, der dem Banquier nach seiner Verheiratung nach Korfu folgte; jetzt befand er sich also schon über zwanzig Jahre in diesem Hause, in dem er eine, der eines gewöhnlichen Dieners etwas überlegene Stellung einnahm, und half selbst Elizundo, wenn es sich darum handelte, gelegentlich irgend etwas abzuschreiben oder durchzusehen.

Xaris war, wie viele Männer aus Lakonien, von ziemlich hoher Gestalt, breitschulterig und besaß ungeheure Muskelkräfte, dazu ein hübsches Gesicht, schöne Augen, eine lange, gebogene Nase, unter der sich ein prächtiger schwarzer Schnurrbart ausbreitete. Auf dem Kopfe trug er eine Mütze aus dunklem Wollstoff und um die Lenden die elegante Fustanella seines Heimatlandes.

Wenn Hadjine Elizundo ausging, entweder um Wirthschaftseinkäufe zu besorgen oder um sich nach der katholischen Spiridion-Kirche zu begeben, ebenso wenn sie nur ein wenig die erquickende Seeluft genießen wollte, welche bis zu dem alten Hause in der Strada Reale kaum eindrang, so begleitete sie der treue Xaris. Manche junge Korfioten hatten sie so auf der Esplanade oder selbst in den Straßen der Vorstadt Kastrades sehen können, die sich längs der gleichnamigen Bai hinzieht. So mancher derselben hatte bis zu ihrem Vater vorzudringen gesucht. Wer hätte sich auch nicht gefesselt fühlen sollen von der Schönheit des jungen Mädchens und vielleicht auch angelockt von den Millionen des Hauses Elizundo? Auf alle Anträge dieser Art hatte Hadjine jedoch abweisend geantwortet und der Banquier selbst niemals versucht, ihren Entschluß zu beeinflussen. Dennoch hätte der ehrliche Xaris dafür, seine junge Herrin glücklich zu wissen, alles eigene Glück hingegeben, auf das er durch seine Ergebenheit ohne Gleichen sicherlich das größte Anrecht besaß.

So sah es also aus in diesem düsteren traurigen Hause, das vereinsamt in einem Winkel der Hauptstadt des alten Corcyra lag, so war das Innere desselben beschaffen, in welches die Zufälligkeiten seines Lebens Henry d’Albaret einführen sollten.

Zuerst waren es geschäftliche Angelegenheiten, welche den Banquier und den französischen Officier in Verbindung brachten. Bei seinem Weggange von Paris hatte dieser bedeutende Wechsel auf das Haus Elizundo erworben. In Korfu wollte er dieselben einlösen lassen. Von Korfu bezog er selbst fernerhin alles Geld, dessen er als Philhellene bedurfte. Wieder holt kehrte er auch nach der Insel zurück und machte dabei gelegentlich die Bekanntschaft Hadjine Elizundo’s. Die Schönheit des jungen Mädchens hatte ihn gefangen genommen, die Erinnerung an sie begleitete ihn nach allen Schlachtfeldern Moreas und Attikas.

Nach der Uebergabe der Akropolis hatte Henry d’Albaret nichts Besseres zu thun, als sich wieder nach Korfu zu begeben. Seine Wunde war nur unzulänglich verheilt. Die unbeschreiblichen Entbehrungen während der Belagerung hatten seine Gesundheit erschüttert. Obwohl er auf Korfu nicht im Hause des Banquiers Elizundo selbst wohnte, genoß er in demselben doch jeden Tag einige Stunden gastfreundlichen Verkehrs, eine Bevorzugung, deren sich noch kein Fremder hatte rühmen können.

So verlebte Henry d’Albaret nun schon drei Monate. Nach und nach wurden seine Besuche bei Elizundo, welche zuerst nur der Ordnung von geschäftlichen Angelegenheiten galten, für ihn von mehr Interesse und wiederholten sich, wie gesagt, täglich. Hadjine gefiel dem jungen Officier ausnehmend. Ihr selbst konnte das sicherlich nicht entgehen, wenn sie ihn, ganz entzückt sie zu sehen und ihren Worten zu lauschen, neben sich sitzen sah. Ihrerseits wieder hatte sie nichts versäumt, ihm alle Sorgfalt angedeihen zu lassen, welche sein Gesundheitszustand erheischte. Henry d’Albaret mußte sich unter solcher Pflege natürlich besonders wohl fühlen. Auch Xaris machte kein Hehl daraus, wie er sich von dem freimüthigen liebenswürdigen Charakter Henry d’Albaret’s angezogen fühlte, so daß ihm der junge Mann wirklich unentbehrlich wurde.

»Du hast Recht, Hadjine, erklärte er wiederholt gegenüber dem jungen Mädchen, Griechenland ist Dein Vaterland ebenso wie das meinige, und wir dürfen nicht vergessen, daß dieser junge Officier nur deshalb zu leiden hat, weil er für unsere Heimat in den Kampf zog.

– Er liebt mich, gestand sie eines Tages Xaris offen ein. Das sprach das junge Mädchen aber mit derselben Einfachheit aus, die sie bei allen Vorkommnissen zu bewahren pflegte.

– Nun gut, Du mußt Dich von ihm lieben lassen! antwortete Xaris. Dein Vater wird nach und nach alt, Hadjine; ich werde auch nicht ewig da sein…. Wo könntest Du für dieses Leben einen sichreren Beschützer finden, als in Henry d’Albaret?«

Hadjine hatte nicht erwidert. Sie hätte zugestehen müssen, daß sie, wenn sie sich geliebt wußte, ebenso wieder liebte. Eine ganz erklärliche Zurückhaltung nöthigte sie jedoch, diese Empfindung selbst gegenüber Xaris nicht zu offenbaren.

Nachdem die Dinge aber einmal so weit gediehen waren, blieben sie auch der ganzen korfiotischen Gesellschaft nicht lange mehr verborgen. Ehe davon eigentlich die Rede war, sprachen die Leute doch von der zu erwartenden Vermählung des Henry d’Albaret mit Hadjine Elizundo wie von einer ausgemachten Sache.

Wir müssen hierbei bemerken, daß der Banquier die Aufmerksamkeiten des jungen Officiers gegen seine Tochter nicht ungern zu sehen schien. So wie Xaris gesagt hatte, fühlte er das Alter schnellen Schrittes herannahen. So verdorrt sein Herz auch sein mochte, mußte er fürchten, Hadjine im Leben allein stehen zu sehen, obwohl sie bei dem Vermögen, das ihr einst zufiel, gewiß nicht in Noth gerathen konnte. Diese Geldfrage übrigens hatte für Henry d’Albaret niemals ein besonderes Interesse gehabt. Ob die Tochter des Banquiers reich oder arm sei, das kümmerte ihn keinen Augenblick nur im mindesten. Die Liebe, welche er für das junge Mädchen empfand, nährte sich von weit erhabeneren Gefühlen als von so niedrigen Interessen. Er verehrte sie ebenso wegen ihrer Güte, wie wegen ihrer Schönheit. Das war es, was ihm für Hadjine in ihrer traurigen Umgebung eine besondere Theilnahme einflößte; aber er bewunderte sie auch wegen des Adels ihrer Ideen, wegen ihres weiten geistigen Gesichtskreises, ebenso wie wegen des muthigen Herzens, das er ihr, wenn sie je in die Lage käme, es zu beweisen, zutraute.

Um das zu begreifen, brauchte man Hadjine nur über das unterjochte Griechenland und die übermenschlichen Anstrengungen reden zu hören, welche dessen Kinder machten, um es zu befreien. Auf diesem Gebiete mußten sich die beiden jungen Leute selbstverständlich in vollständiger Uebereinstimmung begegnen.

Welche erhebenden Stunden verbrachten sie da, wenn sie von diesen Dingen in griechischer Sprache, welche Henry d’Albaret jetzt so geläufig war, wie seine eigne, unter vier Augen sprachen! Wie fühlten sie doppelt die Freude, wenn ein Erfolg auf dem Meere die Unfälle, deren Schauplatz Morea oder Attika war, auszugleichen schien! Henry d’Albaret mußte dann wohl alle Einzelheiten berichten, von den Kämpfen, an denen er selbst Theil genommen, die Namen der Landeskinder und Fremden aufzählen, welche sich in diesen blutigen Schlachten ausgezeichnet hatten, und ebenso die jener Frauen, denen es Hadjine Elizundo, wenn sie sonst frei gewesen wäre, so gern gleich gethan hätte – jene Bobolina, Modena, Zacharias, Kaïdos, ohne die todesmuthige Andronika zu vergessen, welche der junge Officier aus dem Gemetzel von Chaidari gerettet hatte.

Als Henry d’Albaret eines Tages eben den Namen dieser Frau ausgesprochen hatte, machte Elizundo, der das Gespräch mit anhörte, eine Bewegung, welche die Aufmerksamkeit seiner Tochter erweckte.

»Was hast Du, lieber Vater? fragte sie.

– Nichts,« antwortete der Banquier.

Dann wandte er sich an den jungen Officier mit dem Tone eines Mannes, der möglichst gleichgiltig erscheinen will, und fragte:

»Sie haben diese Andronika gekannt?

– Ja, Herr Elizundo.

– Wissen Sie auch, was aus ihr geworden ist?

– Nein, antwortete Henry d’Albaret, ich glaube, sie wird nach dem Kampfe von Chaidari nach Magne zurückgekehrt sein, wo ihre Heimat ist. An einem oder dem anderen Tage hoffe ich sie aber auf dem Kampfplatz in Griechenland wieder erscheinen zu sehen.

– Ja wohl, flüsterte Hadjine hinzu, da wo sie sein muß!«

Niemand fragte Elizundo, warum er diese Erkundigungen über Andronika eingezogen habe, und er würde gewiß auch nur ausweichend geantwortet haben Seiner Tochter, welche mit den Beziehungen des Banquiers wenig bekannt war, fiel es jedoch nicht wenig auf. Sollte vielleicht irgend welche Verbindung existiren zwischen ihrem Vater und jener Andronika, welche sie so sehr bewunderte?

Was den Unabhängigkeitskrieg betraf, so beobachtete Elizundo vollkommene Zurückhaltung. Welchen Theil seine guten Wünsche begleiteten, ob den der Unterdrücker oder den der Unterdrückten, das hätte man nur schwierig sagen können – wenn er überhaupt der Mann dazu war, für irgend Jemand oder irgend eine Sache Wünsche zu hegen. Sicher ist nur das Eine, daß er durch seinen Courier ebensoviele aus der Türkei wie aus Griechenland abgesandte Briefe erhielt.

Wir heben jedoch ausdrücklich hervor, daß Elizundo dem jungen Officier, obgleich dieser für die Sache der Hellenen die Waffen ergriffen, in seinem Hause einen nicht minder freundlichen Empfang zu theil werden ließ.

Henry d’Albaret konnte seinen Aufenthalt jetzt nicht mehr weiter ausdehnen. Da er sich wieder bei Kräften fühlte, war er auch entschlossen, bis zum Ende durchzuführen, was er als seine Pflicht betrachtete. Er sprach davon auch öfters gegen das junge Mädchen.

»Es ist auch in der That Ihre Pflicht! antwortete Hadjine. Wie bitteren Schmerz mir Ihre Abreise auch bereiten wird, Henry, so sehe ich doch ein, daß Sie von Ihren Waffengefährten nicht länger fern bleiben dürfen. So lange Griechenland seine Freiheit nicht voll und ganz zurückerkämpft hat, gilt es eben für dieselbe zu kämpfen!

– Ich werde abreisen, Hadjine, werde bald aufbrechen, sagte eines Tages Henry d’Albaret, doch wenn ich die Gewißheit mit mir nehmen könnte, daß Sie mich ebenso wieder lieben, wie ich Sie…

– Henry, ich habe keinen Grund, die Gefühle zu verhüllen, die Sie mir einflößen, erwiderte Hadjine. Ich bin kein Kind mehr und ich sehe mit dem gebührenden Ernste in die Zukunft. Ich habe Vertrauen zu Ihnen, fügte sie hinzu, ihm die Hand entgegenstreckend, vertrauen Sie nun auch mir! So wie Sie mich hier zurücklassen, so werden Sie mich bei Ihrer Rückkehr wieder finden!«

Henry hatte warm die Hand gedrückt, die ihm Hadjine als Beweis ihrer Empfindungen reichte.

»Ich danke Ihnen von ganzem Herzen! sagte er. Ja, wir gehören einander… schon jetzt! Und wenn unsere Trennung noch so schmerzlich ist, werd‘ ich doch die Gewißheit mitnehmen, von Ihnen geliebt zu sein!… Doch vor meiner Abreise, Hadjine, will ich noch mit Ihrem Vater sprechen!… Ich will die Ueberzeugung haben, daß er unsere Liebe billigt und daß einst von seiner Seite keine Hindernisse zu erwarten sind.

– Daran werden Sie gut thun, Henry, antwortete das junge Mädchen. Holen Sie sich das Jawort, wie Sie das meinige schon haben.«

Henry d’Albaret durfte mit der Verwirklichung dieses Vorhabens nicht lange zögern, denn er war entschlossen, bald unter den Befehl des Obersten Fabvier zurückzukehren.

Leider nahmen die Dinge für die Sache der Unabhängigkeit einen immer ungünstigeren Verlauf. Die Londoner Convention hatte noch keine merkbaren Erfolge gehabt, und man konnte wohl auf die Vermuthung kommen, daß die Mächte sich gegenüber dem Sultan nur auf gute Rathschläge, folglich nur auf eine sehr platonische Einmischung beschränken dürften.

Verblendet durch ihre Erfolge, schienen die Türken nicht im geringsten geneigt, auf ihre Forderungen zu verzichten. Obwohl jetzt zwei Geschwader, ein englisches, geführt von dem Admiral Codrington, und ein französisches, unter dem Befehl des Admirals de Rigny, im Aegäischen Meere kreuzten, und obwohl die griechische Regierung jetzt nach Aegina übergesiedelt war, um dort den Kampf in größerer Sicherheit zu leiten, lieferten die Türken doch unausgesetzt Beweise von einer Hartnäckigkeit, welche sie zu furchtbaren Gegnern machte.

Das begreift sich übrigens, wenn man bedenkt, daß der Hafen von Navarin seit dem 7. September eine Flotte von zweiundneunzig ottomanischen, ägyptischen und tunesischen Schiffen aufgenommen hatte. Diese Flotte überbrachte hierher ein ungeheures Kriegsmaterial, welches Ibrahim zu einer, von ihm vorbereiteten Expedition gegen die Hydrioten benutzen wollte.

Gerade in Hydra hatte Henry d’Albaret beschlossen, sich der Schaar der Freiwilligen wieder anzuschließen. Diese am Ende von Argolis gelegene Insel ist eine der reichsten des ganzen Archipels. Nachdem dieselbe mit Blut und mit Geld so viel gethan für die Sache der Hellenen, welche die kühnen Seeleute Tombasis, Miaulis Tsamados und Andere vertheidigten, die die türkischen Capitäne vor Allen fürchteten, sah sie sich jetzt von der schrecklichsten Wiedervergeltung bedroht.

Henry d’Albaret durfte also nicht zögern, Korfu zu verlassen, wenn er auf Hydra den Söldnern Ibrahim’s noch zuvorkommen wollte. So wurde denn seine Abreise endgiltig auf den 21. October festgesetzt.

Einige Tage vorher fand sich der junge Officier, wie verabredet, bei Elizundo ein und bat um die Hand seiner Tochter. Er verhehlte ihm nicht, daß auch Hadjine sich glücklich fühlen würde, wenn er seinem Gesuche willfahre. Uebrigens handelte es sich vorläufig nur um seine Zustimmung, da an eine Vermählung erst nach der Rückkehr Henry d’Albaret’s zu denken war. Seine Abwesenheit sollte indeß aller Voraussicht nach nicht allzulange währen.

Der Banquier kannte die Verhältnisse des jungen Officiers, den Bestand seines Vermögens, die hohe Achtung, deren seine Familie sich in Frankreich erfreute. Nach dieser Seite brauchte er von ihm also keine weiteren Erklärungen zu verlangen. Was ihn selbst anging, so war auch seine Ehrenhaftigkeit niemals angezweifelt, und nie hatte sich über sein Haus ein ungünstiges Licht verbreitet. Da ihm Henry d’Albaret über seine Vermögensverhältnisse nicht sprach, bewahrte er auch Stillschweigen über die seinigen. Den Antrag selbst betreffend, antwortete er, daß ihm derselbe angenehm sei.

Diese Verbindung werde ihn nur glücklich machen können, da sie das Glück seiner Tochter gewährleiste.

Alles das wurde sehr kühl besprochen, die Hauptsache blieb jedoch, daß es überhaupt der Fall war. Henry d’Albaret besaß nun das Wort Elizundo’s, und als Belohnung dafür erhielt der Banquier von seiner Tochter den heißesten Dank, den er jedoch mit gewohnter Zurückhaltung entgegennahm.

Alles schien sich also zur größten Befriedigung der jungen Leute zu gestalten, und, es verdient das bemerkt zu werden, auch zu der des getreuen Xaris. Dieser vortreffliche Mann weinte fast wie ein Kind und hätte am liebsten den jungen Officier an die Brust gedrückt.

Henry d’Albaret blieb indeß nur wenig Zeit noch übrig, bei Hadjine Elizundo zu verweilen. Er hatte sich auf einer levantinischen Brigg einen Platz gesichert, und diese Brigg sollte Korfu mit der Bestimmung nach Hydra am 21. d. Mts. verlassen.

Wie sich die letzten Tage gestalteten, die er in dem Hause der Strada Reale verlebte, das bedarf wohl keiner eingehenden Schilderung.

Henry d’Albaret und Hadjine verließen sich kaum eine Stunde. Plaudernd saßen sie in dem niederen Saale des Erdgeschosses der düsteren Wohnung. Der Adel ihrer Empfindungen verlieh diesen Unterhaltungen einen eigenen Reiz, der den sonst ernsten Ton derselben wohlthätig milderte. Sie sagten sich, daß die Zukunft doch ihnen gehöre, wenn ihnen die Gegenwart auch sozusagen entfliehe. Dieser Gegenwart wollten sie also muthig in’s Auge blicken. Beide erwogen ebenso die günstigen wie die ungünstigen Aussichten, aber ohne Entmuthigung, ohne Schwäche. Und wenn sie so sprachen, begeisterten sie sich nur mehr und mehr für die Sache, der Henry d’Albaret sich von Neuem zu widmen im Begriffe stand.

Eines Abends, am 20. October, sagten sie sich das zum letzten Male, wenn auch mit etwas mehr Erregung als sonst. Am folgenden Tage sollte der junge Officier wieder nach dem Kriegsschauplatze abreisen.

Plötzlich stürmte Xaris in den Saal. Er konnte nicht sprechen; er keuchte, so schnell war er gelaufen. Binnen wenigen Minuten hatten ihn seine kräftigen Beine durch die ganze Stadt, von der Citadelle bis zum Ende der Strada Reale hergetragen.

»Nun, was willst Du?… Was hast Du, Xaris? Warum diese Aufregung? fragte Hadjine.

– Ich habe… ich bringe… eine Neuigkeit!… Eine wichtige… eine große Neuigkeit!

– So sprich doch… sprich… Xaris! drängte ihn jetzt Henry d’Albaret, der nicht wußte, ob er eine freudige oder eine betrübende Nachricht hören sollte.

– Ich kann nicht!… Ich kann nicht! antwortete Xaris, der vor Erregung fast zu ersticken schien.

– Handelt sich’s denn um eine Kriegsnachricht? fragte das Mädchen, ihn an der Hand ergreifend.

– Ja… ja!

– So rede doch! wiederholte sie. Rede doch, mein wackerer Xaris!

– Was ist denn geschehen?

– Die Türken… heute geschlagen… bei Navarin!«

So vernahmen Henry d’Albaret und Hadjine die Neuigkeit von der Seeschlacht am 20. October.

Durch den Lärm beim Hereinstürmen Xaris‘ herbeigelockt, betrat eben auch der Banquier Elizundo den Saal. Als er erfuhr, um was es sich handle, preßten sich unwillkürlich seine Lippen aufeinander, seine Stirn runzelte sich, aber er gab weder ein Zeichen von Befriedigung noch von Mißvergnügen zu erkennen, während die beiden jungen Leute den überströmenden Gefühlen ihrer Herzen freien Lauf ließen.

Die Nachricht von der Schlacht bei Navarin war eben in Korfu eingetroffen. Kaum hatte sie sich in der ganzen Stadt verbreitet, so kannte man auch schon viele Einzelheiten derselben, welche durch die optischen Telegraphen von der albanesischen Küste her übermittelt worden waren.

Das englische und das französische Geschwader, dem sich auch noch ein russisches angeschlossen hatte, zusammen siebenundzwanzig Schiffe mit zwölfhundert sechsundsiebenzig Kanonen, hatten die ottomanische Flotte angegriffen, indem sie sich gewaltsam einen Weg durch den Eingang des Golfes von Navarin öffneten.

Obwohl die Türken in der Uebermacht waren, denn sie hatten sechzig Schiffe jeder Größe, ausgerüstet mit neunzehnhundertvierundneunzig Kanonen zur Hand, mußten sie doch gründlich unterliegen. Mehrere Schiffe derselben wurden in den Grund geschossen, andere sprangen mit einer großen Anzahl von Officieren und Mannschaften in die Luft. Ibrahim konnte von der Seemacht des Sultans also nicht erwarten, ihn bei seinem Zuge gegen Hydra zu unterstützen.

Hiermit hatte sich eine höchst entscheidende Thatsache vollzogen; von diesem Zeitpunkte an nahm die Sache Griechenlands eine neue, bessere Wendung.

Wenn die drei Mächte auch im Voraus darüber einig waren, ihren Sieg nicht bis zu einer völligen Vernichtung der Pforte auszunützen, so schien es doch ausgemacht, daß sie dem Wunsche zustimmten, das Land der Hellenen der ottomanischen Gewalt zu entreißen, und ebenso gewiß, daß sie nach kürzerer oder längerer Zeit die volle Selbständigkeit des neuen Königreichs anerkennen würden.

Derlei Anschauungen herrschten auch im Hause des Banquiers Elizundo. Hadjine, Henry d’Albaret und Xaris hatten vor Freude in die Hände geklatscht, und ihr Jubel fand ein Echo in der ganzen Stadt. Die Unabhängigkeit war es, was der eherne Mund der Kanonen vor Navarin verkündet hatte.

Durch diesen Seesieg der alliirten Mächte wurden die Absichten des jungen Officiers zunächst tiefgreifend beeinflußt. Die türkische Seemacht war durch jene so gut wie aus der Welt geschafft. Ibrahim mußte in Folge dessen darauf verzichten, den gegen Hydra geplanten Feldzug auszuführen. In der That war von einem solchen auch nicht weiter die Rede.

Das zog denn folgerichtig eine Aenderung der Projecte Henry d’Albaret’s, wie er diese vor dem 20. October aufgestellt hatte, nach sich. Zunächst erschien es nicht mehr nothwendig zu den Freiwilligen zu stoßen, welche den Hydrioten schon zu Hilfe geeilt waren. Er beschloß demnach, in Korfu zunächst die Ereignisse abzuwarten, welche sich als natürliche Folgen der Schlacht von Navarin ergeben würden.

Auf jeden Fall konnte das Schicksal Griechenlands jetzt nicht mehr zweifelhaft sein. Europa würde seine Vernichtung nicht zugeben. Binnen kurzem mußte der Halbmond auf der ganzen Hellenischen Halbinsel der Fahne der Unabhängigkeit Platz gemacht haben. Und selbst Ibrahim, der sich jetzt schon darauf beschränkt sah, das Centrum und die Küstenstädte des Peloponnes unter seiner Gewalt zu halten, würde sich endlich gezwungen sehen, dieselben zu verlassen.

Henry d’Albaret wußte zunächst nicht, nach welchem Punkte der Halbinsel er sich wenden sollte. Zwar bereitete sich der Oberst Fabvier gewiß vor, von Mitylená aufzubrechen, um die Türken auf der Insel Scio zu bekämpfen; seine Vorbereitungen aber waren noch nicht vollendet und nahmen gewiß noch einige Zeit in Anspruch. Unter diesen Verhältnissen wäre also eine übereilte Abreise mindestens zwecklos gewesen. In dieser Weise beurtheilte der junge Officier die Sachlage, und Hadjine stimmte mit ihm darin völlig überein. Damit fiel auch jeder Grund weg, die Vermählung weiter aufzuschieben, vorzüglich da Elizundo selbst gegen die Beschleunigung derselben nichts einzuwenden hatte. In Folge dessen wurde dieselbe nach zehn Tagen, das heißt gegen Ende des Monats October, in Aussicht genommen.

Wir brauchen wohl nicht dabei zu verweilen, welche Empfindung die Annäherung ihrer Vereinigung in den Herzen der beiden Verlobten erweckte. Nun war von keinem Aufbruche zu diesem Kriege, in dem Henry d’Albaret doch das Leben hätte einbüßen können, mehr die Rede; nichts mehr von jenem schmerzlichen Harren, während dessen Hadjine Tage und Stunden gezählt hätte. Wenn überhaupt möglich, war Xaris der Allerglücklichste im ganzen Hause. Selbst wenn es sich um seine eigene Heirat gehandelt hätte, würde er seine Freude nicht ausdrucksvoller haben zu erkennen geben können. Trotz seiner gewohnten Zugeknöpftheit zeigte selbst der Banquier eine vollständige Befriedigung – die Zukunft seiner Tochter war ja gesichert.

Man kam dahin überein, daß Alles möglichst geheim gehalten werden sollte, da es doch zwecklos schien, die ganze Stadt zu der bevorstehenden Ceremonie einzuladen. Weder Hadjine noch Henry d’Albaret gehörten zu den Leuten, die für ihr Glück möglichst viele Zeugen brauchen. Immerhin verlangte die Hochzeit doch einige Vorbereitungen, und diese wurden sofort eifrig in Angriff genommen.

Jetzt war es der 23. October; es fehlten also nur noch sieben Tage bis zur Feier der Vermählung, und es schien nicht so, als ob noch irgend ein Hinderniß zu erwarten, irgend eine Verzögerung zu fürchten wäre. Und doch sollte sich noch etwas ereignen, was Hadjine und Henry d’Albaret lebhaft beunruhigt haben müßte, wenn sie davon Kenntniß gehabt hätten.

An genanntem Tage fand Elizundo unter seinen Postsendungen einen Brief, dessen Inhalt ihn wie ein Donnerschlag traf. Er zitterte, zerriß und verbrannte denselben – was bei einem Manne, der sich sonst so sehr zu beherrschen vermochte, wie der Banquier, auf eine sehr tiefe Erregung hindeutete.

Ein Lauscher hätte ihn können die Worte murmeln hören:

»Warum konnte dieser Brief nicht acht Tage später eintreffen! Verwünscht die Hand, die ihn geschrieben hat!«