Vierzehntes Capitel

Sacratif.

Die aus zwölf Fahrzeugen bestehende Flottille war aus den Schlupfwinkeln bei Scarpanto am Vortage ausgelaufen. Man erkannte an ihren Bewegungen nur zu deutlich, daß sie die Corvette entweder von vorn angreifen oder diese umzingeln wollte, um ihr unter sehr ungleichen und für letztere höchst ungünstigen Bedingungen einen Kampf anzubieten. Bei dem Mangel an Wind war dieser Kampf nicht zu umgehen, und wenn Henry d’Albaret dazu auch Gelegenheit gehabt hätte, würde er denselben nicht vermieden haben. Die Flagge der »Syphanta« konnte, ohne sich zu entehren, nicht vor der Flagge der Piraten des Archipels die Flucht ergreifen.

Unter jenen Fahrzeugen befanden sich vier Briggs mit je sechzehn bis achtzehn Kanonen. Die anderen acht Segler waren von geringerem Tonnengehalt, alle aber mit leichten Geschützen ausgerüstet und bestanden aus Saïquen mit zwei Masten, aus Senalen mit gerade emporstehenden Masten, ferner aus Feluken und zum Kampf ausgerüsteten Sacoleven.

Soweit die Officiere der Corvette es beurtheilen konnten, standen ihnen hier mehr als hundert Feuerschlünde gegenüber, denen sie nur mit zweiundzwanzig Kanonen und sechs Karonaden antworten konnten.

Die zweihundertfünfzig Matrosen, welche ihre Besatzung bildeten, mußten sieben- bis achthundert Feinde zu bekämpfen haben – jedenfalls ein sehr ungleicher Kampf. Immerhin konnte die Ueberlegenheit der Artillerie der »Syphanta« zwar einige Aussicht auf Erfolg versprechen, freilich nur unter der Bedingung, sich die Anderen nicht gar zu nahe kommen zu lassen. Es kam also darauf an, die Flottille in einiger Entfernung zu halten und die einzelnen Schiffe derselben durch wohlgezielte Breitlagen nach und nach kampfunfähig zu machen. Mit einem Worte, es galt vor Allem, die Feinde nicht an Bord kommen zu lassen und einen Kampf Mann gegen Mann zu vermeiden. In letzterem Falle mußte die Uebermacht gewiß siegen, denn dieser Factor kommt auf dem Meere noch mehr in Betracht, als auf dem Lande, weil dort ein Rückzug unmöglich ist und Alles darauf hinausläuft, sich selbst in die Luft zu sprengen oder sich zu ergeben.

Eine Stunde, nachdem der Nebel sich zerstreut, war die Flottille weit näher herangekommen an die Corvette, welche noch immer so unbeweglich blieb, als läge sie mitten auf einer Rhede vor Anker.

Henry d’Albaret verfehlte natürlich nicht, jede Bewegung, jedes Manöver der Piraten zu beobachten. An Bord war Alles schnell gefechtsbereit, und Officiere und Matrosen hatten die ihnen zukommende Stellung eingenommen. Diejenigen unter den Passagieren, welche gut bei Kräften waren, hatten darum nachgesucht, in den Reihen der Mannschaft mitkämpfen zu dürfen, und deshalb Waffen erhalten. In der Batterie und auf dem Verdeck herrschte peinliches Schweigen, kaum unterbrochen von den wenigen Worten, welche der Commandant mit dem Capitän Todros austauschte.

»Wir dürfen sie nicht entern lassen, sagte er zu ihm. Zunächst wollen wir warten, bis die ersten Schiffe sich in bequemer Schußweite befinden, und dann geben wir aus unseren Steuerbordgeschützen Feuer.

– Sollen wir so schießen, um die Schiffe zum Sinken zu bringen, oder um sie zu entmasten?«

– Wir wollen sie zu versenken suchen!« antwortete Henry d’Albaret.

Das war gewiß der sicherste Weg, sich jener Piraten zu erwehren, welche vorzüglich zu fürchten sind, wenn sie das Deck eines Schiffes erklettern können, und gerade jenen Sacratif unschädlich zu machen, der unverschämt genug war, sogar seine schwarze Flagge zu hissen. Wenn er das that, geschah es unzweifelhaft in der Hoffnung, daß kein Mann von der Corvette überleben werde, um sich rühmen zu können, er habe ihn von Angesicht zu Angesicht gesehen.

Mittags gegen ein Uhr befand sich die Flottille nur noch etwa eine Seemeile vor dem Winde und näherte sich mit Hilfe von Rudern immer mehr. Die mit den Vordersteven nach Nordwesten liegende »Syphanta« konnte sich nur mit Mühe in dieser Richtung erhalten. Die Piraten kamen in geordneter Schlachtlinie auf sie zu – zwei Briggs in der Mitte der Front und je eine an beiden Seiten.

Sie manövrirten in der Weise, um die Corvette von vorn nach hinten zu umgehen und sie damit in einen Kreis einzuschließen, dessen Radius sich dann immer mehr verkürzen sollte. Ihre Absicht ging offenbar dahin, dieselbe erst unter ein verheerendes convergirendes Feuer zu nehmen und dann das Verdeck derselben zu erstürmen. Henry d’Albaret hatte das für ihn so gefährliche Manöver recht wohl durchschaut, konnte es aber leider nicht verhindern, da er zu völliger Unbeweglichkeit verdammt war. Vielleicht gelang es ihm jedoch, diese Linie durch Kanonen zu durchbrechen, ehe er noch von allen Seiten umzingelt war. Schon fragten sich die Officiere verwundert, warum ihr Commandant mit der sicheren und ruhigen Stimme, die man an ihm kannte, nicht Befehl gab, das Feuer zu eröffnen.

Nein. Henry d’Albaret wollte keinen Schuß verschwenden und nur dann seine Geschütze sprechen lassen, wenn er der Erreichung seines Zieles gewiß war.

So verflossen noch zehn Minuten. Alle warteten, die Stückrichter, das Auge am Visir ihrer Kanonen, die Officiere in der Batterie, bereit, die Befehle des Commandanten auszuführen, und die Matrosen auf dem Deck, welche ungeduldige Blicke über die Schanzkleidung warfen. Jetzt, wo die geringe Entfernung dem Feinde die Aussicht gab, mit Erfolg zu schießen, mußte man die ersten Kugeln vielleicht gar von seiner Seite erwarten.

Henry d’Albaret schwieg noch immer. Er beobachtete die Linie, welche sich an beiden Enden schon zu krümmen begann. Die Briggs im Centrum – die eine derselben war diejenige, welche die schwarze Flagge Sacratif’s gehißt hatte – befanden sich jetzt kaum eine Seemeile entfernt.

Doch wenn der Befehlshaber der »Syphanta« sich nicht beeilte, das Feuer zu eröffnen, so schien auch der Anführer der Flottille keine große Eile zu haben, dies zu thun. Vielleicht gedachte er gar die Corvette anzusegeln, um dann nur einige Hundert seiner verwegenen Leute zum Sturme zu führen.

Endlich glaubte Henry d’Albaret aber doch, nicht mehr länger zaudern zu dürfen. Ein schwacher Windhauch, der bis zur Corvette reichte, gestattete ihm, um ein Viertel anzuluven. Nachdem er seine Stellung soweit geändert, um den beiden Briggs die Breitseite zuzuwenden, rief er:

»Achtung auf Deck und in der Batterie!«

An Bord entstand ein leichtes Geräusch, dem jedoch sehr bald wieder vollständige Stille folgte.

»Nach der Schwimmlinie zielen!« befahl Henry d’Albaret.

Der Befehl wurde durch die Officiere wiederholt, und die Stückrichter visirten sorgfältig nach dem Rumpfe der beiden Briggs, während die Karonaden auf dem Verdeck die Maste auf’s Korn nahmen.

»Feuer!« commandirte Henry d’Albaret.

Alle Geschütze an Steuerbord krachten. Vom Verdeck und aus der Batterie der Corvette schleuderten elf Kanonen und drei Karonaden ihre verderblichen Geschosse und darunter auch mehrere sogenannte Kettenkugeln, welche besonders dazu geeignet sind, auf kurze Entfernung ein Schiff seiner Maste und Raaen zu berauben.

Als der nach rückwärts ziehende Pulverdampf den Horizont wieder überblicken ließ, konnte man die Wirkung des Geschützfeuers auf die beiden Fahrzeuge genau übersehen. Sie war zwar keine vollständige, aber jedenfalls auch nicht unbedeutend.

Eine der beiden Briggs, welche das Centrum der feindlichen Linie einnahmen, zeigte oberhalb der Schwimmlinie ziemlich umfängliche Zerstörungen. Einige Strickleitern waren zerrissen, der wenige Fuß über Deck zerschmetterte Fockmast war nach vorn zu gefallen und hatte dabei einzelne, zum Großmast gehörige Theile zerbrochen. Damit kam die Brigg in die Nothlage, diese Havarien wenigstens nothdürftig auszubessern, konnte aber noch immer auf die Corvette heransegeln. Die der letzteren drohende Gefahr, umzingelt zu werden, schien durch diese Einleitung des Kampfes also nicht abgewendet zu sein.

In der That waren die beiden anderen, am äußersten rechten und linken Flügel befindlichen Briggs nun bis zur Höhe der »Syphanta« herangekommen. Von dieser Stellung aus hielten sie nun directer auf diese zu, begannen dieses Manöver aber nicht, ohne jene der Länge nach zu bestreichen.

Zwei Kugeln hatten dabei eine besonders verderbliche Wirkung. Der Besanmast der Corvette wurde in der Höhe der Mastbacken zerschmettert und stürzte prasselnd, wenigstens theilweise herunter, glücklicherweise, ohne die Takelage des Großmastes besonders in Unordnung zu bringen Gleichzeitig wurden einige Reservetheile und ein größeres Boot des Schiffes zerstört. Am beklagenswerthesten war es aber, daß auch ein Officier und zwei Matrosen dabei einen sofortigen Tod fanden, während drei oder vier andere Leute schwer verwundet wurden. Letztere schaffte man sofort unter Deck in Schutz.

Henry d’Albaret gab den Befehl, das Oberdeck eiligst frei zu machen. Verschiedenes Tauwerk, Segel, Trümmer von Raaen und was sonst daselbst lag, war binnen wenigen Minuten entfernt. Der Platz wurde wieder frei und gangbar. Es war jetzt auch kein Augenblick zu verlieren. Das Artilleriegefecht begann eben mit neuer Heftigkeit. Die zwischen zwei Feuer genommene Corvette sah sich genöthigt, gleichzeitig von Back- und Steuerbord zu feuern.

In diesem Moment krachte eine neue Breitenlage von der »Syphanta«, diesmal aber so gut gezielt, daß zwei Fahrzeuge der Flottille – eine der Senalen und eine Saïque – welche dicht unter der Schwimmlinie getroffen und durchbrochen waren, so viel Wasser schluckten, daß sie in kurzer Zeit versanken. Die Besatzung derselben fand kaum Zeit, sich in die Boote zu stürzen, um die beiden Briggs im Centrum zu erreichen, wo dieselbe sofort aufgenommen wurde.

»Hurrah! Hurrah!«

So schallte der Ruf der Matrosen auf der Corvette nach diesen zwei Schüssen, welche den Geschützführern derselben alle Ehre machten.

»Zwei wären versenkt! sagte der Capitän Todros.

»Ja wohl, antwortete Henry d’Albaret, die Schurken aber, welche sich darauf befanden, haben an Bord der beiden Briggs gelangen können, und ich fürchte immer einen Enterungsversuch, bei dem sie den Vortheil der Uebermacht haben würden.«

Eine Viertelstunde lang währte so die Kanonade von beiden Seiten fort. Die Piratenschiffe verschwanden ebenso wie die Corvette von Zeit in den weißen Wolken des Pulverdampfs und man mußte immer warten, bis diese sich verzogen hatten, ehe der Schaden zu erkennen war, den die kämpfenden Parteien sich gegenseitig zugefügt hatten. Leider erwies sich dieser Schaden an Bord der »Syphanta« nur gar zu fühlbar. Mehrere Mann von der Besatzung waren getödtet, noch mehrere, oft recht ernstlich, verwundet worden. Mitten in die Brust getroffen sank ein französischer Officier gerade in dem Augenblick zusammen, wo ihm der Commandant weitere Befehle ertheilte.

Die Todten und die Verwundeten wurden unter Deck geschafft. Schon konnten der Schiffsarzt und seine Gehilfen kaum mehr fertig werden mit dem Anlegen von Verbänden und der Ausführung von Operationen, welche der Zustand Derjenigen nöthig machte, die entweder unmittelbar von feindlichen Geschossen getroffen oder von den auf dem Verdeck oder in der Batterie plötzlich herumfliegenden Holzstücken verletzt worden waren. Wenn es auch zum Kleingewehrfeuer zwischen den Schiffen, die sich immer in halber Kanonenschußweite hielten, noch nicht gekommen war, wenn der Schiffsarzt also weder Kugeln oder Kartätschenstücke auszuziehen hatte, so zeigten sich die Verwundungen doch nicht minder schwer, dagegen oft eher noch zerstörender.

Bei dieser Gelegenheit ließen es sich auch die, im unteren Schiffsraume untergebrachten Frauen nicht nehmen, schwerer Samariterpflicht zu genügen. Hadjine Elizundo ging ihnen dabei mit leuchtendem Beispiele voran; aber auch alle Uebrigen bemühten sich, die Verwundeten nach besten Kräften zu pflegen und sie zu trösten und zu erquicken.

Dabei verließ auch die bejahrte Gefangene von Scarpanto ihr dunkles Versteck. Der Anblick des Blutes konnte sie nicht erschrecken, denn die wechselnden Ereignisse ihres Lebens hatten sie ja schon nach manchem Schlachtfelde geführt Beim Scheine der Lampen des beschränkten Raumes neigte sie sich über das Kopfende der Lagerstätten, auf denen die Verwundeten ruhten, lieh die helfende Hand bei den schmerzlichsten Operationen, und wenn eine neue Breitenlage die Corvette bis in alle Spanten erschütterte, verrieth nicht die leiseste Bewegung ihrer Augen, daß die entsetzlichen Detonationen sie erschreckten.

Indessen kam die Stunde heran, wo die Besatzung der »Syphanta« gezwungen sein sollte, gegen die Seeräuber mit blanker Waffe zu kämpfen. Die Linie derselben hatte sich geschlossen; der feuerspeiende Kreis verengerte sich allmählich, die Corvette wurde zum Zielpunkte aller dieser convergirenden Geschütze.

Sie vertheidigte sich jedoch muthig und machte der Flagge alle Ehre, die noch immer an ihrer Mastspitze wehte. Ihre Artillerie richtete an Bord der Flottille die ärgsten Verheerungen an. Zwei andere Fahrzeuge, eine Saîque und eine Feluke, wurden noch zerstört. Das eine versank, das von glühenden Kugeln durchlöcherte andere Fahrzeug verschwand bald in einem lodernden Flammenmeere.

Trotzdem war eine Erstürmung nicht zu umgehen. Die »Syphanta« hätte, um eine solche zu vermeiden, die feindliche Linie, welche sie rings umgab, durchbrechen müssen. Aus Mangel an Wind konnte sie das aber nicht, während die Seeräuberschiffe, von den großen Galeerenrudern getrieben, immer näher herankamen und den Kreis um sie enger schlossen.

Die Brigg mit der schwarzen Flagge befand sich nur noch in Pistolenschußweite, als sie noch eine volle Breitseite abgab. Eine Vollkugel schlug auf die Eisenverstärkung des Hinterstevens und machte das Steuerruder unbrauchbar.

Henry d’Albaret bereitete sich nun vor, die etwa anstürmenden Piraten zu empfangen und ließ die Seile der Schlagnetze und die Landungstaue emporziehen. Jetzt begann das Flintenfeuer von beiden Seiten zu knattern. Steinböller und Stutzbüchsen, Flinten und Pistolen schleuderten einen Hagel von Kugeln auf das Verdeck der »Syphanta«. Viele von der Mannschaft sanken noch, meist tödtlich getroffen, zu Boden. Zwanzigmal war Henry d’Albaret nahe daran, getödtet zu werden, aber immer unbeweglich und ohne Erregung ertheilte er von seinem Posten aus alle Befehle mit derselben Kaltblütigkeit, als hätte er bei einer Schiffsparade nur eine Ehrensalve zu commandiren.

Durch einzelne Lücken in den Rauchwolken konnten sich jetzt die feindlichen Mannschaften Aug‘ in Auge sehen. Man vernahm die wüthenden Fluchworte der Banditen. An Bord der Brigg mit der schwarzen Flagge suchte Henry d’Albaret vergeblich Sacratif herauszufinden, dessen Name allein genügte, den ganzen Archipel in Schrecken zu setzen.

Da legten sich jene Brigg und eine jener, welche die Kreislinie geschlossen hatten, ein wenig rückwärts unterstützt von den andern Fahrzeugen, an Backbord und Steuerbord längs der Seiten der Corvette an, deren Barkhölzer unter dem Drucke derselben knirschten.

Gleichzeitig klammerten sich die Enterhaken an die Schanzkleidung an und verbanden die drei Fahrzeuge mit einander. Die Kanonen derselben mußten nun schweigen, doch da die Stückpforten der »Syphanta« eben so viele, den Piraten offenstehende Breschen bildeten, blieb die Bedienung der Geschütze auf ihrem Posten, um jene mit Aexten, Pistolen und Lanzen zu vertheidigen. So lautete der Befehl des Commandanten, ein Befehl, der noch nach der Batterie hinunter ertheilt wurde, als die beiden Briggs sich an den Seiten anlegten.

Plötzlich erschallte von allen Seiten ein wildes Geschrei von solcher Heftigkeit, daß es einen Augenblick das Krachen der Gewehre übertönte.

»Zum Sturm! Zum Sturm!«

Der Kampf Mann gegen Mann wurde nun ein furchtbarer. Weder das Feuer der Stutzbüchsen, Steinböller und Gewehre, noch die hitzigsten Axtschläge oder die Spitzen der Lanzen vermochten die wüthenden, vor Erregung blinden und blutgierigen Gesellen abzuhalten, die Corvette zu erklimmen. Von den Mastkörben der Briggs aus überschütteten sie das Verdeck der »Syphanta« mit einem Hagel von Wurfgranaten, die dasselbe völlig unhaltbar machte, obgleich die Mastwächter der letzteren in derselben Weise tapfer antworteten. Henry d’Albaret sah sich von allen Seiten angegriffen. Die Schanzkleidung seines Schiffes wurde, obwohl sie die der Briggs nicht wenig überragte, im Sturme genommen. Die Seeräuber kletterten wohl auch von Raa zu Raa über, durchlöcherten die Schlagnetze und ließen sich von diesen aus auf das Verdeck nieder. Was hatte es zu bedeuten, daß einige von ihnen getödet wurden, ehe sie dasselbe erreichten! Ihre Zahl war eine zu große, als daß dadurch das drohende Verderben hätte abgewendet werden können.

Die jetzt auf weniger als zweihundert kampffähige Männer zusammengeschmolzene Besatzung der Corvette hatte sich gegen mehr als sechshundert Feinde zu vertheidigen.

In der That dienten die beiden Briggs noch fort während als Uebergang neuer Streiter, welche die Boote der Flottille heranbrachten. Es war eine Menge, gegen welche ein erfolgreicher Widerstand zur Unmöglichkeit wurde. Bald floß das Blut geradezu in Strömen über das Verdeck der »Syphanta«.

Die schon fast in Todeszuckungen liegenden Verwundeten erhoben sich noch einmal mit den letzten Kräften, um einen Pistolenschuß abzugeben oder einem Feinde den Dolch in den Leib zu stoßen. Mitten unter dichten Rauchwolken herrschte die entsetzlichste Verwirrung; aber die Flagge Korfus sank gewiß nicht herab, so lange noch ein Mann zu ihrer Vertheidigung übrig blieb.

Unter dem schrecklichsten Handgemenge kämpfte Xaris gleich einem Löwen. Er hatte das erhöhte Hinterdeck nicht verlassen. Zwanzigmal hatte seine Axt, deren Schaft seine kräftige Faust umspannte, durch einen wuchtigen Hieb auf den Kopf eines Seeräubers Henry d’Albaret das Leben gerettet.

Dieser aber blieb inmitten des Tumults und obgleich gegen die Ueberzahl der Andringenden nichts auszurichten war, doch immer Herr seiner selbst. Woran dachte er wohl?… Sich zu ergeben?… Nein, ein französischer Officier ergibt sich Seeräubern nicht! Doch was sollte er zuletzt thun? Sollte er das Beispiel des heldenmüthigen Bisson nachahmen, der sich unter ganz ähnlichen Verhältnissen zehn Monate vorher in die Luft sprengte, um den Türken nicht in die Hände zu fallen? Durste er hoffen, mit der Corvette auch die an ihre Seiten geketteten beiden Briggs zu vernichten? Damit weihte er dem gewissen Tode aber auch die Verwundeten von der »Syphanta«, die Nicolas Starkos vorher entrissenen Gefangenen, alle die Frauen, die Kinder!… Damit opferte er selbst Hadjine!… Und wie hätten Die, welche die Explosion verschonte, wenn Sacratif ihnen überhaupt das Leben schenkte, dann der drohenden Sclaverei entgehen können?

»In Acht nehmen, Herr Commandant!« rief eben Xaris, der sich schützend vor ihn drängte.

Eine Secunde später und Henry d’Albaret wäre zu Tode getroffen gewesen; Xaris packte aber mit beiden Fäusten den Piraten, der eben zum Schlage nach jenem ausholte und stürzte ihn in’s Meer. Noch dreimal versuchten Andere bis zu Henry d’Albaret vorzudringen, aber dreimal streckte Xaris dieselben zu seinen Füßen nieder.

Inzwischen war das Verdeck der Corvette von Feinden förmlich überschwemmt worden. Kaum hörte man dann und wann noch das Krachen eines Schusses. Ueberall schlug man sich mit blanker Waffe, und das Geschrei der Kämpfenden übertönte das Knallen des Pulvers.

Die Piraten, jetzt schon Herren des ganzen Vordertheils, hatten allmählich den Raum bis zum Fuße des Großmastes erobert. Nach und nach drängten sie die Besatzung bis nach dem erhöhten Hinterdeck zurück. Sie waren zum mindesten zehn gegen Einen. Wie wäre da ein siegreicher Widerstand möglich gewesen? Wenn der Commandant d’Albaret jetzt seine Corvette hätte in die Luft sprengen wollen, hätte er ein solches Vorhaben kaum noch ausführen können. Die Angreifer hielten schon die Luken und die Eingänge in ihrer Gewalt, durch welche man nach dem Inneren des Schiffes gelangte.

Sie hatten sich in der Batterie wie im Zwischendeck verbreitet, wo nun der Kampf mit derselben Wuth weitertobte, und es war gar nicht daran zu denken, an die Pulverkammern zu gelangen.

Ueberall besaßen auch die Seeräuber durch ihre Zahl das Uebergewicht. Nur eine aus ihren getödteten oder verwundeten Kameraden bestehende Schranke trennte sie noch von dem Hinterdeck der »Syphanta«. Gedrängt durch die Nachfolgenden, erkletterten die ersten Reihen diese Schranke aus menschlichen Leibern und bereiteten sich, mit den Füßen in Blut watend, zum Sturme auf das Hinterdeck.

Hier hielten sich etwa fünfzig Mann von der Besatzung, nebst fünf bis sechs Officieren und dem Capitän Todros, dicht aneinander geschlossen Sie umringten ihren Commandanten, Alle fest entschlossen, ihn bis zum Tode zu vertheidigen.

Auf diesem beschränkten Raum wurde der Kampf nun ein verzweifelter. Die Flagge, welche mit dem Besanmast vom Top heruntergestürzt war, wurde an der Fahnenstange des Achters wieder aufgezogen.

Hier war der letzte Punkt, den zu vertheidigen die Ehre noch den letzten Mann verpflichtete.

Was vermochte der kleine Haufen trotz aller Todesverachtung aber auszurichten gegen die fünf- bis sechshundert Seeräuber, welche das Vorderdeck, die Brücke und die Marsen inne hatten, von denen ein wirklicher Granatenhagel herniederprasselte? Die Besatzungen der Flottille strömten noch immer den ersten Angreifern zu Hilfe. Die Zahl der Raubgesellen blieb dadurch immer die nämliche, während jede Minute die Reihen der Vertheidiger des Hinterdecks lichtete.

Dieses Hinterdeck glich jedoch einer Festung, von der wiederholte Sturmangriffe schon siegreich abgewendet worden waren, so daß Niemand hätte sagen können, wie viel Blut schon um derselben willen vergossen worden war. Endlich wurde das Oberdeck doch eingenommen. Die Leute von der »Syphanta« mußten vor der sich heraufwälzenden Lawine bis zum Backbord zurückweichen. Dort umringten sie die Flaggenstange und bildeten mit ihren Körpern einen Wall um dieselbe. Die Pistole in der einen, den Dolch in der andern Hand, stand Henry d’Albaret mitten unter ihnen und gab die letzten Schüsse ab oder badete die blitzende Klinge im Blute eines Feindes.

Nein, der Commandant der Corvette ergab sich nicht! Er wurde nur durch die Uebermacht erdrückt. Da wollte er wenigstens den Tod suchen… vergeblich! Es schien fast, als ob Diejenigen, welche auf ihn eindrangen, den geheimen Befehl hätten, sich seiner lebend zu bemächtigen – ein Befehl, dessen Ausführung zwanzig der Tollkühnsten unter der Axt des wüthenden Xaris das Leben kostete.

Endlich wurde Henry d’Albaret mit den wenigen Officieren, welche noch nicht gefallen waren, gefangen genommen. Xaris und die Matrosen sahen sich zur thatlosen Ohnmacht verurtheilt. Die Flagge der »Syphanta« wehte nicht mehr am Fahnenstocke.

Gleichzeitig ertönten von allen Seiten wilde Schreie, Verwünschungen und laute Hurrahs. Es waren die Sieger, welche dieses Geheul ausstießen, um ihren Führer herzurufen.

»Sacratif!… Sacratif!« erscholl es aus der wüthenden Menge.

Da erschien dieser Führer über der Schanzkleidung der Corvette. Die rohen Gesellen wichen auseinander, um ihm Platz zu lassen. Er ging langsamen Schrittes auf das Hinterdeck zu und trat dabei, ohne sich besonders darum zu kümmern, auf die Leichen seiner eigenen Leute. Nachdem er dann die von Blut schlüpfrige Treppe zu dem Oberdeck erstiegen, schritt er auf Henry d’Albaret zu.

Der Commandant der »Syphanta« erblickte endlich Denjenigen, den der Schwarm der Seeräuber mit dem Namen Sacratif begrüßt hatte.

Es war Nicolas Starkos.