Fünftes Capitel
Die messenische Küste.
Nachdem die »Karysta« Vitylo verlassen, segelte sie die ganze Nacht hindurch in südwestlicher Richtung, um schräg durch den Golf von Coron zu gelangen. Nicolas Starkos hatte sich in seine Cabine verfügt, aus der er vor Anbruch des Tages nicht wieder hervorkommen sollte.
Der Wind war günstig – eine jener frischen Südost-Brisen, welche über diesen Meeren zu Ende des Sommers und zu Anfang des Frühlings, wenn sich die Dunstmassen des Mittelmeeres zur Zeit der Tag- und Nachtgleichen in Regen auflösen, vorwiegend herrschen.
Gegen Morgen wurde das Cap Gallo am untersten Ende Messeniens umschifft, und die höchsten Gipfel des Taygetos, welche dessen steile Abhänge überragen, verschwammen bald in dem Morgendufte bei Aufgang der Sonne.
Als man an der Spitze des Caps vorübergekommen, erschien Nicolas Starkos wieder auf dem Deck der Sacoleve. Sein erster Blick schweifte nach Osten. Das Land von Magne war nicht mehr sichtbar. Nach der Seite desselben hin erhoben sich jetzt die mächtigen Ausläufer des Hagios-Dimitrios-Berges, ein wenig nach rückwärts von jenem Vorgebirge.
Einen Augenblick lang streckte sich der Arm des Capitäns in der Richtung nach Magne hin aus. Niemand hätte sagen können, ob er mit dieser Bewegung eine Drohung oder ein der Heimat zugesendetes letztes Lebewohl ausdrücken wollte; der Blick freilich, mit dem er dieselbe begleitete, versprach nicht viel Gutes.
Unter dem Drucke ihrer Raa- und ihrer lateinischen Segel wendete sich die Sacoleve mit Steuerbordhalsen jetzt nach Nordwesten. Da der Wind vom Lande herwehte, boten sich ihr die günstigsten Bedingungen zu schnellem Vorwärtskommen.
Die »Karysta« ließ die Inseln Oenusses, Cabrera, Sapienza und Venetico zur Linken und steuerte geraden Weges durch die Wasserstraße, welche Sapienza vom Festlande trennt, um in Sicht von Modon zu gelangen.
Vor derselben entrollte sich nun die messenische Küste mit ihrem herrlichen Gebirgspanorama, welches deutlich einen vulkanischen Charakter zeigt. Dieses Messenien war nach endgiltiger Wiederaufrichtung des Königreichs bestimmt, eine der dreizehn Nomachien (Regierungsbezirke) zu bilden, aus denen das neue Griechenland nach dem Wiederanschlusse der Ionischen Inseln besteht. Zu jener Zeit bildete es freilich nur einen der zahlreichen Schauplätze des Kampfes, der sich je nach den Erfolgen der Heereshaufen einmal in den Händen Ibrahim’s und dann wieder in denen der Griechen befand, wie es früher der Schauplatz der drei messenischen, gegen die Spartaner geführten Kriege war, aus denen die Namen eines Aristomenes und eines Epaminondas besonders glänzend hervorleuchten.
Ohne nur ein Wort zu äußern, setzte sich Nicolas Starkos, nachdem er mit Hilfe des Compasses den Curs der Sacoleve bestimmt und den Zustand der Witterung beobachtet hatte, auf dem Hinterdeck ruhig nieder.
Inzwischen wurden auf dem Verdeck der »Karysta« zwischen der alten Mannschaft derselben und den in Vitylo neu angeworbenen Leuten mancherlei Gespräche geführt. Es waren im Ganzen einige zwanzig Mann unter einem Hochbootsmann, der sie nach den Anordnungen des Capitäns befehligte. Der zweite Officier der Sacoleve befand sich nämlich nicht an Bord.
Meist drehten sich die Gespräche natürlich um den Curs, den die »Karysta«, welche immer längs der Küsten Griechenlands hinfuhr, einschlagen werde. Die Fragen gingen dabei selbstverständlich von den Neulingen, die Antworten von den Leuten der alten Besatzung aus.
»Er spricht nicht gerade viel, der Capitän Starkos!
– So selten als möglich; aber wenn er spricht, hat’s auch Sinn und Verstand, dann gilt es, ihm zu gehorchen.
– Und wohin geht die »Karysta?«
– Niemand weiß woher, wohin sie segelt.
– Zum Teufel auch! Wir haben uns auf Treu‘ und Glauben anwerben lassen, und es kommt darauf eigentlich also gar nichts an!
– Richtig; und Ihr könnt Euch darauf verlassen, daß der Capitän uns nur dahin führt, wo eine Nothwendigkeit dafür vorliegt.
– Mit den beiden kleinen Caronaden des Vordercastells kann die »Karysta« aber doch nimmermehr wagen, auf Handelsschiffe des Archipels Jagd zu machen?
– Sie ist auch gar nicht zur Seeräuberei bestimmt. Der Capitän Starkos hat noch andere, wohl bewaffnete und zur Caperei ausgerüstete Schiffe. Die »Karysta« ist sozusagen nur seine Lustyacht. Ihr seht ja auch, welch‘ unschuldiges Aussehen sie hat, ganz geeignet, die englischen, französischen, griechischen und türkischen Kreuzer zu täuschen.
– Aber den Beuteantheil…
– Den erhalten Diejenigen, welche Beute machen, und Ihr werdet auch dazu gehören, wenn die Sacoleve ihren Zug erst beendigt hat. Ihr werdet die Hände schon nicht in den Schoß zu legen haben, und wenn dabei Gefahr ist, so entspricht dem doch auch der Lohn.
– Also ist in den Nachbarmeeren Griechenlands und der Inseln jetzt gar nichts zu thun?
– Nichts… ebensowenig im Adriatischen Meere, wenn’s dem Capitän einfiele, uns nach diesem hin zu führen. Bis auf weiteren Befehl sind wir vorläufig also höchst ehrbare Seeleute auf der ebenso ehrbaren Sacoleve, welche in voller Unschuld auf dem Ionischen Meere schaukelt. Doch das wird sich ändern!
– Und je eher es geschieht desto besser!«
Der Leser ersieht hieraus, daß die Neuangeworbenen ganz wie die älteren Mannschaften der »Karysta« nicht die Leute dazu waren, vor irgend einer Aufgabe, mochte diese sein, welche sie wollte, zurückzuschrecken. Nach Scrupeln, Gewissensbissen, ja, nur nach einfachen Bedenken brauchte man bei der ganzen seefahrenden Bevölkerung von Magne überhaupt nicht zu suchen. In der That, sie waren dessen, der sie befehligte, vollkommen würdig, und dieser wußte auch, daß er auf sie zählen konnte.
Wenn die Vityliner aber auch den Capitän Starkos kannten, so kannten sie doch nicht seinen zweiten Officier, der gleichzeitig Seeofficier und Geschäftsmann war – mit einem Worte, seinen ihm mit Leib und Seele verbundenen Helfershelfer. Es war das ein gewisser Skopelo, gebürtig aus Cerigotto, einer kleinen übelberüchtigten Insel an der südlichen Grenze des Archipels zwischen Cerigo und Kreta. Einer der Neuangeworbenen wendete sich deshalb an den Hochbootsmann.
»Und der zweite Officier? fragte er.
– Der zweite Officier ist nicht an Bord, lautete die Antwort.
– Wir werden ihn gar nicht zu sehen bekommen?
– Doch.
– Und wann?
– Wenn sein Erscheinen nothwendig ist.
– Doch wo ist er?
– Wo er sein muß!«
Mit dieser Erwiderung, welche gar nichts sagte, mußten sich die Leute zufrieden geben. Eben ertönte auch die Pfeife des Hochbootsmanns, welche alle Mann zum Nachziehen der Schoten aufrief, und damit fanden die Gespräche auf dem Vorderdeck ein plötzliches Ende.
Es galt jetzt nämlich, ein wenig gegen den Wind anzuluven, um in der Entfernung einer Meile längs der messenischen Küste hinzusegeln. Gegen Mittag kam die »Karysta« in Sicht von Modon vorüber; das war jedoch ihr Bestimmungsort nicht. Sie sollte also auch nicht bei der kleinen, auf den Ruinen des alten Methone erbauten Stadt vor Anker gehen, welche auf dem Ende eines nach der Insel Sapienza gerichteten Vorgebirges liegt. Hinter einer scharfen Ecke der steilen, steinigen Uferwand verschwand auch bald der Leuchtthurm, der sich am Eingange des wenig besuchten Hafens erhebt.
Vom Bord der Sacoleve war inzwischen ein Signal gegeben worden. Ein schwarzer Wimpel mit blutrothem Halbmond darin stieg nach dem Ende der großen Raa hinaus. Vom Lande her erfolgte keine Antwort, deshalb wurde der Weg nach Norden weiter fortgesetzt.
Gegen Abend erreichte die »Karysta« den Eingang der Rhede von Navarin, eine Art Salzsee, der von einem Rahmen hoher Berge umkränzt ist. Einen Augenblick lang war die Stadt, überragt von dem Mauerwerk ihrer Citadelle, durch das Thor eines gewaltigen Felsens sichtbar. Hier befand sich das Ende des natürlichen Hafendammes, der die Wuth der Nordweststürme bricht, welche aus dem langen Schlauche des Adriatischen Meeres über das Ionische Meer dahinbrausen.
Noch vergoldete die untergehende Sonne die Gipfel der letzten Höhen im Osten; auf der geräumigen Rhede herrschte dagegen schon tiefes Dunkel.
Dieses Mal hätte die Besatzung glauben können, die »Karysta« werde in Navarin an’s Land gehen. Sie segelte geraden Weges nach der Meerenge von Megalo-Thuro im Süden der kleinen Insel Sphacteria, welche sich etwa viertausend Meter weit hin erstreckt. Hier erhoben sich schon zwei, zu Ehren edler Opfer des Krieges errichtete Gräber, das des französischen Capitäns Mallet, der 1825 den Heldentod fand, und im Grunde einer Grotte das des Grafen Santa Rosa, eines italienischen Philhellenen und früheren Ministers von Piemont, der in demselben Jahre für die nämliche Sache fiel.
Als die Sacoleve nur noch zehn Fadenlängen von der Stadt entfernt war, legte sie sich quer mit dem Klüver im Winde. Am Ende der großen Raa stieg jetzt eine rothe Laterne, wie vorher der schwarze Wimpel, empor. Auch auf dieses Signal erfolgte keine Antwort.
Die »Karysta« hatte also nichts zu thun auf dieser Rhede, welche jetzt eine sehr große Anzahl türkischer Schiffe belebte. Sie manövrirte also in der Weise, um an der weißen, ziemlich in der Mitte gelegenen Insel Kuloneski vorüberzukommen. Dann wurden auf Commando des Steuermanns die Schoten ein wenig nachgelassen und das Ruder nach Steuerbord umgelegt, wodurch das Schiff sich wieder dem Strande von Sphacteria näherte.
Auf jener Insel Kuloneski waren zu Anfang des Krieges im Jahre 1823 mehrere hundert Türken von den Griechen überrascht und gefangen genommen worden, und hier starben sie eines elenden Hungertodes, obgleich sie sich nur auf das Versprechen hin ergeben hatten, daß sie nach ottomanischem Boden übergeführt würden.
Später, als Ibrahim im Jahre 1825 Sphacteria angriff, welches Maurocordato persönlich vertheidigte, wurden hier zur Wiedervergeltung nicht weniger als achthundert Griechen erbarmungslos niedergemetzelt.
Die Sacoleve wandte sich also nach der Straße von Sikia, welche im Norden der Insel, zwischen ihrer Nordspitze und dem Vorgebirge Coryphasion, eine Breite von nur zweihundert Metern hat. Wer sich in diesen Canal wagt, muß denselben sehr genau kennen, denn er ist fast unbrauchbar für Schiffe, welche einen einigermaßen größeren Tiefgang haben.
Nicolas Starkos aber glitt sicher, wie ihn nur der beste Lootse der Rhede geführt haben könnte, an den zerrissenen Felsen der Inselspitze vorüber und segelte um das Vorgebirge Coryphasion. Als er dann draußen im freien Wasser mehrere Geschwader ankommen sah – etwa dreißig englische, französische und russische Schiffe – ging er diesen klüglich aus dem Wege und hielt sich die Nacht über längs der messenischen Küste, glitt zwischen dem Festlande und der Insel Prodana hin, und mit anbrechendem Morgen folgte die Sacoleve, unterstützt von frischer Südostbrise, den Einbuchtungen des Küstenlandes auf den friedlichen Gewässern des Golfs von Arkadia.
Jetzt stieg die Sonne über den Gipfel des Ithome empor, von dem aus das Auge, nachdem es die Lage des alten Messene umfaßt, sich nach der einen Seite in dem Golfe von Coron und auf der anderen Seite in dem Golfe verliert, dem die Stadt Arkadia den Namen gegeben hat. Auf weite Flächen hin, welche die Brise mit den ersten Strahlen der Sonne leicht kräuselte, leuchtete das Meer in wundervollem Glanze.
Von Tagesanbruch an manövrirte Nicolas Starkos so, daß er möglichst nahe in Sicht der Stadt vorüberkam, welche in einer der, hier eine weite offene Rhede bildenden Einsenkungen der Küste lag.
Gegen zehn Uhr erschien der Obersteuermann der Sacoleve auf dem Hinterdeck derselben und nahm, als erwarte er einen Befehl, neben dem Capitän Stellung.
Jetzt zeigte sich dem Blicke die ganze ungeheure Linie der Gebirge von Arkadien im Osten. Inmitten dichter Wälder von Oliven, Mandelbäumen und Weingeländen verlorene Dörfer, glitzernde Bäche, die nach irgend einer größeren Wasserader murmelnd hinunterrauschten und da und dort zwischen Myrthen- und Olivengebüsch sichtbar wurden. Ferner auf allen Höhen, und zwar nach allen Himmelsrichtungen, auf jeder Seite derselben jene berühmten Weinstöcke von Korinth, welche keinen Zoll breit Boden frei ließen; darunter auf den ersten Hügelterrassen die rothen Häuser der Stadt, welche großen Stücken auf einem Hintergrunde von Cypressen ausgebreiteten Flaggentuchs glichen, so entrollte sich dem Beschauer das prächtige Panorama einer der malerischesten Küstenstrecken des Peloponnes.
Bei weiterer Annäherung an Arkadia, das alte Kyparissia, zur Zeit des Epaminondas der Haupthafen Messeniens, später, nach den Kreuzzügen, eines der Lehen des Franzosen Ville Hardouin, bot dasselbe freilich einen ziemlich trostlosen Anblick, der Jeden schmerzlich berühren muß, welchem noch Achtung vor großen historischen Erinnerungen innewohnt.
Vor nun zwei Jahren hatte Ibrahim nämlich die Stadt verwüstet und alle Kinder, Frauen und Greise in derselben hingemordet. Jetzt lag das auf der Stelle des alten Akropolis erbaute Schloß in Ruinen, in Ruinen auch ihre Kirche zum heiligen Georg, welche fanatische Muselmanen zerstört hatten, ebenso wie die meisten Wohnhäuser und öffentlichen Gebäude.
»Da sieht man, daß unsere Freunde, die Aegypter, hier gehaust haben! murmelte Nicolas Starkos, in dessen Herzen sich gegenüber diesem Bilde entsetzlicher Zerstörung keine Faser regte.
– Und jetzt sind die Türken Herren des Platzes, antwortete der Obersteuermann.
– Ja… für lange Zeit… und sogar, wir wollen es wenigstens hoffen, für immer, setzte der Capitän hinzu.
– Soll die »Karysta« hier anlegen oder segeln wir vorüber?«
Nicolas Starkos betrachtete aufmerksam den Hafen, von dem er nur wenige Kabellängen entfernt war. Dann richteten sich seine Blicke auf die, eine Meile weiter rückwärts, auf einem Ausläufer des Psykhro-Berges liegende Stadt selbst. Er schien unentschlossen, was er thun solle, und zweifelte also, ob er am Molo von Arkadia vor Anker gehen oder wieder in die offene See hinauslaufen solle.
Der Obersteuermann wartete noch immer auf die Beantwortung seiner an den Capitän gerichteten Frage.
»Gebt das Signal!« befahl endlich Nicolas Starkos.
Der rothe Wimpel mit dem silbernen Halbmond wurde wieder am Ende der Großraa gehißt und flatterte bald in der Luft.
Wenige Minuten später stieg ein ganz ähnlicher Wimpel auf der Spitze eines am Eingange des Hafens errichteten Mastes empor.
»An’s Land gehen!« rief der Capitän.
Das Steuer wurde umgelegt und die Sacoleve wendete nach dem Hafen zu. Nachdem dessen engerer Eingang passirt war, lief das Schiff rasch weiter. Dann erst wurden die Focksegel gereeft, nachher das Großsegel, und die »Karysta« glitt ruhig und langsam durch die Fahrstraße hin, ja, sie wäre schon ohne Beihilfe eines Segels bis in die Mitte des Canals gelangt. Hier ließ sie den Anker sinken, und die Matrosen beschäftigten sich mit den verschiedenen Manövern, welche eine Landung mit sich führt. Sobald das Fahrzeug stand, wurde auch schon ein Boot herabgelassen, in dem der Capitän sich einschiffte. Getrieben von vier Rudern, stieß dasselbe bald an eine kleine, aus dem steinernen Hafendamme ausgesparte Treppe. Dort wartete schon ein Mann, der den Capitän willkommen hieß, mit den Worten:
»Skopelo harrt der Befehle Nicolas Starkos‘!«
Eine vertrauliche Handbewegung bildete die einzige Antwort des Capitäns. Er ging voraus und stieg den Hügelabhang empor, um die ersten Häuser der Stadt zu erreichen. Nachdem er die von der letzten Belagerung herrührenden Ruinen inmitten der von türkischen und arabischen Soldaten vollgestopften Gassen durchschritten, blieb er vor einem ziemlich wohlerhaltenen Gasthofe, dessen Schild einen Minervakopf zeigte, einen Augenblick stehen und trat dann, gefolgt von seinem Begleiter, daselbst ein.
Eine Minute später hatten sich der Capitän Starkos und Skopelo in einem Zimmer niedergelassen und vor ihnen stand eine Flasche Raki, das ist ein starker, aus Goldwurz gezogener Branntwein. Aus hellem, wohlriechendem Tabak von Missolunghi wurden Cigarretten gerollt, angezündet und geraucht, dann erst begann ein Gespräch zwischen beiden Männern, deren Einer sichtlich den ergebenen Diener des Anderen zu spielen schien.
Skopelo hatte eine gemeine, vorsichtige, aber jedenfalls verschmitzte Physiognomie. Er zählte jetzt fünfzig Jahre, erschien aber auf den ersten Blick unbedingt noch älter. Sein Gesicht glich etwa dem eines Pfandleihers, zeigte kleine, falsche aber lebhafte Augen, eine gebogene Nase, die Hände hakenartig gekrümmte Finger; dazu hatte er sehr große Füße, auf welche man hätte anwenden können, was man von den Füßen der Albanesen sagt: »Wenn die große Zehe in Macedonien ist, steht die Ferse noch in Böotien«. Das runde Gesicht zeigte keinen Schnurrbart, sondern nur einen fast grauen Ziegenbart am Kinn. Der stark entwickelte Kopf war auf der Schädelwölbung schon kahl, der Körper mager und die Gestalt nur von mittlerer Größe.
Dieser Typus eines arabischen Juden, doch eines solchen von christlicher Herkunft, trug sehr einfache Kleidung, nämlich Weste und Jacke nach Art der levantinischen Matrosen, die sich unter einem weiteren Ueberrock verbargen.
Skopelo war ganz der geeignete Geschäftsmann, wie ihn die Piraten des Archipels zur Wahrnehmung ihrer Interessen brauchten; er erwies sich höchst geschickt, jede Art Beute zu verwerthen, ebenso wie bezüglich des Verkaufs der nach den türkischen Märkten gelieferten Gefangenen, welche nach den Barbareskenstaaten übergeführt wurden.
Welcher Art das Gespräch zwischen Nicolas Starkos und Skopelo war, um welche Gegenstände sich dasselbe handelte, die Anschauungsweise, welche Beide bezüglich der letzten Kriegsereignisse an den Tag legten, wie der Vortheil, den sie daraus zu ziehen gedachten, alles das könnte man wohl leicht genug errathen.
»Wie steht’s in Griechenland? fragte der Capitän.
– Etwa ebenso wie zur Zeit als Sie es verließen, antwortete Skopelo. Die »Karysta« kreuzt ja wohl nun länger als einen Monat an den Küsten von Tripolis, und wahrscheinlich haben Sie seit Ihrer Abfahrt nur sehr wenig neuere Nachrichten erhalten.
– In der That gar keine.
– So muß ich Ihnen zunächst mittheilen, Capitän, daß die türkischen Schiffe bereit liegen, Ibrahim und seine Heeresmacht nach Hydra zu befördern.
– Ja, erwiderte Nicolas Starkos. Ich habe dieselben gestern Abend beim Passiren der Rhede von Navarin selbst gesehen.
– Und Sie sind, seit Ihrer Abfahrt von Tripolis, in keinem Hafen angelaufen? fragte Skopelo.
– Doch… ein einziges Mal. Ich habe mich einige Stunden in Vitylo aufgehalten… um meine Mannschaft zu ergänzen. Seitdem ich aber die Küste von Magne verließ, erhielt ich vor dem Eintreffen hier in Arkadien nirgends Antwort auf mein Signal.
– Der Beweis, daß kein Grund dazu vorgelegen hat, erwiderte Skopelo.
– Sage mir, fuhr Nicolas Starkos fort, was machen jetzt wohl Miaulis und Canaris?
– Sie haben sich darauf beschränkt, Capitän, gelegentlich Handstreiche auszuführen, welche ihnen nur vorübergehende Erfolge, nie einen entscheidenden Sieg sichern können. Seitdem dieselben auf türkische Schiffe Jagd machen, haben die Piraten im ganzen Archipel leichtes Spiel.
– Und spricht man noch immer von…?
– Von Sacratif? antwortete Skopelo mit etwas gedämpfter Stimme. Ja… überall… und immer, Nicolas Starkos, und es wird nur von ihm abhängen, noch etwas mehr von sich reden zu machen
– Das wird geschehen!«
Nicolas Starkos hatte sich, als er sein Glas geleert, das Skopelo wieder gefüllt hatte, erhoben. Er ging etwas unstät hin und her, blieb dann mit gekreuzten Armen vor dem Fenster stehen und horchte auf den urwüchsigen Gesang türkischer Soldaten, der von der Ferne her ertönte.
Endlich setzte er sich Skopelo gegenüber wieder an den Tisch und wechselte ohne jeden Uebergang das Thema ihres Gesprächs.
»Ich habe aus Deinem Signal entnommen, daß Du hier eine Ladung Gefangener hast? fragte er.
– Ja, Nicolas Starkos, und zwar so viele, um ein Schiff von vierhundert Tonnen damit zu füllen. Es sind Alle, die von dem Gemetzel nach der Niederlage bei Cremmydi übrig geblieben sind. Herrgott, die Türken haben ihrer diesmal fast etwas zu viele nieder gemacht; wenn man sie hätte gewähren lassen, wäre nicht ein einziger Gefangener übrig geblieben.
– Es sind Männer und Frauen?…
– Ja, auch Kinder… Alles durcheinander.
– Wo stecken sie?
– In der Citadelle von Arkadia.
– Du hast sie wohl sehr theuer bezahlt?
– Hm, der Pascha zeigt sich eben nicht sehr entgegenkommend, antwortete Skopelo. Er meint, der Unabhängigkeitskampf nähere sich dem Ende… leider! Ohne Krieg keine Schlacht, ohne Schlacht keine Razzias, wie man da unten in der Barbarei sagt, und ohne Razzias keine menschliche oder andere Handelswaare mehr. Wenn die Gefangenen aber selten werden, steigen sie natürlich im Preise, Capitän! Ich weiß aus guter Quelle, daß es auf den Märkten Afrikas jetzt an Sclaven mangelt, und wir werden diese hier für vortheilhafte Preise verkaufen.
– Mag sein, antwortete Nicolas Starkos. Ist Alles in Ordnung und kannst Du Dich an Bord der »Karysta« einschiffen?
– Alles ist fertig und es hält mich nichts mehr hier zurück.
– Gut, Skopelo. Binnen acht bis höchstens zehn Tagen wird das Schiff, welches in Scarpanto segelklar liegt, diese Ladung einnehmen. Man wird sie doch, ohne Schwierigkeiten zu erheben, ausliefern?
– Ohne jede Schwierigkeit, das ist abgemacht, versicherte Skopelo, aber selbstverständlich nur gegen Zahlung. Ihr werdet Euch also vorher mit dem Banquier Elizundo in’s Einvernehmen setzen müssen, daß er unsere Wechsel acceptirt. Seine Unterschrift ist gut, und Papiere von ihm wird der Pascha ebenso anstandslos annehmen, als wär‘ es klingende Münze.
– Ich werde Elizundo brieflich benachrichtigen, daß ich baldigst in Korfu eintreffe, um diese Angelegenheit mit ihm zu ordnen…
– Diese Angelegenheit… und eine andere nicht minder wichtige, Nicolas Starkos! fiel Skopelo ein.
– Vielleicht!… antwortete der Capitän.
– Wahrhaftig, das wäre nicht mehr als gerecht! Elizundo ist reich… außerordentlich reich, sagt man… Wer anders hat ihn denn so reich gemacht, als der Handel mit uns… als wir… und das auf die Gefahr hin, am Ende einer Großmastraa aufgeknüpft zu werden, wenn der Bootsmannsmaat in die Pfeife bläst? Ja, bei den jetzigen Zeitläuften war’s ein gutes Ding, Banquier der Seeräuber des Archipels zu sein! Nein, ich bleibe dabei, Nicolas Starkos, es wäre nicht mehr als gerecht.
– Was wäre nicht mehr als gerecht? entgegnete der Capitän, der seinem zweiten Officier jetzt gerade in’s Gesicht sah.
– O, wißt Ihr’s denn nicht? antwortete Skopelo. Gesteht nur zu, Capitän, daß Ihr mich nur fragt, um von mir, was Euch so lebhaft interessirt, zum hundertsten Male wiederholen zu hören.
– Vielleicht!
– Die Tochter des Banquiers Elizundo…
– Was recht ist, wird eben geschehen!« schnitt ihm Nicolas Starkos, sich erhebend, das Wort ab.
Er verließ darauf, gefolgt von Skopelo, das Gasthaus zur »Minerva«, und kehrte am Hafen nach der Stelle zurück, wo sein Boot ihn erwartete.
»Steig‘ ein, sagte er zu Skopelo, die Angelegenheiten mit Elizundo werden wir sofort nach unserem Eintreffen in Korfu in Ordnung bringen. Wenn das geschehen ist, kehrst Du gleich nach Arkadia zurück, um Dir die Ladung ausliefern zu lassen.
– An Bord!« antwortete Skopelo.
Kaum eine Stunde später verließ die »Karysta« schon den Golf. Vor Ende des Tages aber konnte Nicolas Starkos ein entferntes Grollen hören, das ihm das Echo von Süden her zutrug. Es waren die Kanonen der vereinigten Geschwader, deren Donner eben die Rhede von Navarin erschütterte.