Siebentes Capitel
Eine Ueberraschung.
Am folgenden Morgen gegen zehn Uhr ging Nicolas Starkos wieder am Molo an’s Land und begab sich sofort nach dem Hause des Banquiers. Es war nicht das erste Mal, daß er in dessen Comptoir vorsprach, und hier wartete seiner gewöhnlich der Empfang eines Kunden, dessen Geschäftsverbindungen ihm einen gewissen Vorrang sichern.
Elizundo freilich kannte ihn ja; er wußte gar Vieles aus seinem Leben. Ihm war auch nicht unbekannt, daß er der leibliche Sohn jener Patriotin war, welche er eines Tages gegen Henry d’Albaret erwähnt hatte. Sonst aber wußte Niemand und konnte Niemand wissen, wer und was der Capitän der »Karysta« eigentlich war.
Nicolas Starkos wurde offenbar schon erwartet und deshalb auch sogleich empfangen, als er sich vorstellte. Der vor achtundvierzig Stunden eingetroffene und von Arkadia datirte Brief rührte von ihm her. Man begleitete ihn also unverzüglich nach dem Bureau, wo der Banquier sich aufhielt, der die Vorsicht gebrauchte, die Thüre mit dem Schlüssel zu verschließen. Elizundo und sein Kunde standen sich jetzt also gegenüber. Niemand konnte sie stören, Niemand erlauschen, was sie unter vier Augen sprechen würden.
»Guten Tag, Elizundo, begann der Capitän der »Karysta«, der sich mit der Zwanglosigkeit eines Mannes, der sich ganz heimisch fühlt, in einen Lehnsessel niederließ. Es sind wahrlich schon sechs Monate vergangen, während ich Sie nicht gesehen habe, obwohl Sie doch öfter Nachrichten von mir erhielten. Ich konnte aber unmöglich so nahe bei Korfu vorübersegeln, ohne hier beizulegen, um das Vergnügen zu haben, Ihnen die Hand drücken zu können.
– Nun, allein um mich zu sehen, um mich Ihrer dauernden Freundschaft zu versichern, sind Sie schon nicht gekommen, Nicolas Starkos, antwortete der Banquier mit dumpfer Stimme. Was wollen Sie von mir?
– Ah, rief der Capitän, daran erkenne ich meinen alten Freund Elizundo! Nichts von zarteren Gefühlen, alles dem Geschäft! Es muß schon recht lange her sein, daß Sie Ihr Herz in dem geheimsten Fache Ihres Geldschrankes verschlossen und den Schlüssel dazu verloren haben.
– Wollen Sie mir gefälligst sagen, was Sie hierherführt und weshalb Sie vorher an mich geschrieben haben? fuhr Elizundo fort.
– Nun, Sie haben ja Recht, Elizundo! Keine nichtssagenden Redensarten. Wir wollen ernst sein! Heute haben wir sehr wichtige Dinge zu besprechen, und dazu solche, welche keinen Aufschub vertragen.
– Ihr Brief spricht mir von zwei Angelegenheiten, sagte der Banquier, die eine, welche zur Classe unserer gewöhnlichen Geschäftsbeziehungen gehört, und eine andere, welche Sie nur persönlich betrifft.
– Ganz richtig, Elizundo.
– So reden Sie, Nicolas Starkos, ich bin begierig, sie kennen zu lernen.«
Der Banquier drückte sich, wie man sieht, sehr unzweideutig aus. Er wollte seinen Besucher veranlassen, sich auf der Stelle zu erklären, ohne Ausflüchte zu gebrauchen und sich Hinterthüren offen zu lassen. Mit der Bestimmtheit seiner Fragestellung schien freilich der fast ängstliche Ton seiner Worte nicht ganz zusammen zu passen. Offenbar war es von den beiden Männern, die sich jetzt hier gegenüber standen, nicht der Banquier, der die Lage beherrschte.
Der Capitän der »Karysta« konnte deshalb auch ein heimliches Lächeln nicht unterdrücken, das Elizundo, der die Augen niedergeschlagen hatte, freilich nicht bemerkte.
»An welche der beiden Fragen wollen wir zuerst herantreten? fragte Nicolas Starkos.
– Zuerst an die, welche nur Ihre Person angeht! antwortete der Banquier schnell.
– Ich ziehe es vor, erst die zu berühren, welche mit mir selbst nichts zu thun hat, entgegnete der Capitän mit entschiedenem Tone.
– Meinetwegen, Nicolas Starkos, und worin besteht diese?
– Es handelt sich dabei um einen Transport von Gefangenen, die wir in Arkadia verfrachten sollen. Zweihundertsiebenunddreißig Köpfe sind es, Männer, Frauen und Kinder, die nach der Insel Scarpanto geschafft werden sollen, von wo aus ich dann die Ueberführung nach der Barbareskenküste übernommen habe. Bei den vielfachen derartigen Geschäften, die wir schon mit einander gemacht, wissen Sie aber, Elizundo, daß die Türken ihre Waare nur gegen Baargeld oder gegen Wechsel ausliefern, wenn eine gute Unterschrift verbürgt, daß dieselben pünktlich eingelöst werden. Ich komme also, Sie um Ihr Accept zu ersuchen, und rechne bestimmt darauf, daß Sie dasselbe Skopelo nicht weigern werden, wenn dieser sich mit den auf Sie gezogenen Papieren bei Ihnen einstellt. Diese Sache macht doch keine Schwierigkeit, nicht wahr?«
Der Banquier antwortete nicht, sein Schweigen durfte jedoch als Zustimmung zu dem Gesuche des Capitäns aufgefaßt werden. Er war dazu in Folge früherer ähnlicher Abschlüsse auch so gut wie verpflichtet.
»Ich glaube noch hinzufügen zu können, fuhr Nicolas Starkos nachlässig fort, daß das Geschäft kein schlechtes sein wird. Die türkischen Operationen in Griechenland nehmen jetzt eine immer schlechtere Wendung. Die Schlacht von Navarin muß für die Ottomanen unbedingt eine höchst verderbliche Wirkung haben, da die europäischen Mächte sich jetzt einzumischen beginnen. Müssen Jene aber den Kampf aufgeben, so gibt es keine Gefangenen, keine Verkäufe und keine Profite mehr. Eben deshalb müssen die letzten Sendungen, die wir noch zu ziemlich günstigen Bedingungen übernehmen, an den Küsten Afrikas entschieden hohe Preise erzielen. Wir werden also unseren Vortheil bei der Sache haben, so gut wie Sie den Ihrigen. Kann ich auf Ihre Unterschrift rechnen?
– Ich werde Ihre Wechsel gleich discontiren, antwortete Elizundo, und brauche Ihnen dann keine Unterschrift zu geben.
– Wie es Ihnen beliebt, Elizundo, erwiderte der Capitän, wir hätten uns auch mit Ihrer Unterschrift begnügt. Sie zögerten ja sonst nicht, dieselbe zu geben.
– Sonst ist nicht heute, sagte Elizundo, und heute hab‘ ich eine ganz andere Anschauung von solchen Dingen.
– Ah, wirklich! rief der Capitän. Nun, ganz wie es Ihnen Spaß macht! Doch ist’s denn wahr, daß Sie sich, wie ich gehört habe, vom Geschäfte gänzlich zurückziehen wollen?
– Ja, Nicolas Starkos! erklärte der Banquier jetzt mit sicherer Stimme, und was Sie… selbst angeht, wird das auch die letzte Operation sein, die wir zusammen ausführen… wenn Sie überhaupt darauf bestehen, daß ich mich an derselben betheilige.
– Darauf besteh‘ ich unbedingt, Elizundo,« antwortete Nicolas Starkos trockenen Tones.
Dann erhob er sich, that einige Schritte durch das Cabinet, ohne dabei seinen nichts weniger als wohlwollenden Blick von dem Banquier abzuwenden. Endlich trat er wieder dicht vor diesen hin.
»Herr Elizundo, begann er mit etwas spöttischem Tone, Sie müssen doch sehr reich sein, da Sie daran denken, sich ganz zur Ruhe zu setzen.«
Der Banquier gab keine Antwort.
»Nun sagen Sie mir, fuhr der Capitän fort, was wollen Sie mit all‘ den Millionen anfangen, die Sie in jene Welt doch nicht mitnehmen können? Das dürfte für die letzte Reise ein etwas schwerfälliges Gepäck sein. Wenn Sie aber einmal vom Schauplatz werden verschwunden sein, wem werden jene zufallen?«
Elizundo verharrte noch immer in Stillschweigen.
»Ihre Tochter wird sie natürlich erben, fuhr Nicolas Starkos fort, die schöne Hadjine Elizundo. Ihr gehört dereinst das ganze väterliche Vermögen. Das ist auch nicht mehr als billig. Doch was wird sie damit beginnen? So allein im Leben und mit so vielen Millionen?«
Der Banquier richtete sich nicht ohne Anstrengung auf und stieß schnell, wie Einer, der ein Geständniß macht, dessen Wucht ihn zu ersticken droht, heraus:
»Meine Tochter wird nicht allein stehen!
– Sie werden dieselbe verheiraten? antwortete der Capitän, und mit wem, wenn’s beliebt? Welcher Mann würde sich den Besitz Hadjine Elizundo’s wünschen, wenn er erfahren, woher der größte Theil des Vermögens ihres Vaters stammt? Und lassen Sie mich hinzufügen, wenn Hadjine Elizundo nur selbst das weiß, wem würde sie noch wagen, die Hand zum Bunde für das Leben zu reichen?
– Wie sollte sie das erfahren? erwiderte der Banquier. Bis jetzt weiß sie von Nichts und wer könnte es ihr sagen?
– Ich, wenn es sein muß.
– Sie?
– Ja, hören Sie mich an, Elizundo, und beachten Sie ja meine Worte, sagte der Capitän der »Karysta« mit berechnetem Nachdruck, denn ich werde auf das, was ich Ihnen jetzt sage, nicht wieder zurückkommen. Das ungeheure Vermögen, welches Sie erworben haben, verdanken Sie vor Allem mir, zum allergrößten Theil gefährlichen Geschäften, bei denen ich den Kopf auf’s Spiel setzte. Nur durch heimliche Beförderung geraubter Schiffsgüter, durch Auf- und Verkauf von Gefangenen während des Unabhängigkeitskrieges haben Sie jene Summen zusammengescharrt, die sich auf so und so viele Millionen belaufen. Wohlan, es ist gewiß nur billig, daß diese Millionen mir wieder zufallen. Ich, das wissen Sie ja, leide nicht an überzarten Vorurtheilen und werde niemals danach fragen, woher Ihr Vermögen gekommen ist. Wenn der Krieg zu Ende geht, denke auch ich mich von den Geschäften zurückzuziehen. Auch ich will im späteren Leben nicht so allein stehen, und ich erwarte, verstehen Sie mich recht, ich erwarte, daß Hadjine Elizundo die Gattin Nicolas Starkos‘ wird.«
Der Banquier sank in seinen Sessel zurück. Er fühlte nur zu gut, daß er in der Gewalt dieses Mannes, eines langjährigen verwegenen Geschäftsgenossen war. Er wußte, daß der Capitän der »Karysta« vor nichts zurückweichen werde, um sein Ziel zu erreichen, und zweifelte keinen Augenblick daran, daß dieser, wenn es sein mußte, im Stande wäre, die ganze Vergangenheit des hochangesehenen Bankhauses vor aller Welt rücksichtslos zu enthüllen.
Zur ablehnenden Beantwortung des Gesuchs Nicolas Starkos‘ konnte Elizundo, selbst auf die Gefahr hin, einen lauten Auftritt herbeizuführen, nur eines antworten, und nicht ohne einiges Zaudern sagte er denn:
»Meine Tochter kann Ihre Gattin nicht werden, Nicolas Starkos, weil sie das Weib eines Anderen sein wird.
– Eines Anderen! rief Nicolas Starkos. Wahrhaftig, da bin ich wohl gerade zur höchsten Zeit gekommen. Ah so, die Tochter des Banquiers Elizundo verheiratet sich…?
– Binnen fünf Tagen.
– Und mit wem?… fragte der Capitän, dessen Stimme schon zu zittern anfing.
– Mit einem französischen Officier.
– Mit einem Franzosen? Gewiß mit einem jener Philhellenen, welche Griechenland zu Hilfe geeilt sind?
– Ja.
– Und der Mann heißt?…
– Der Capitän Henry d’Albaret.
– Nun, Meister Elizundo, fuhr Nicolas Starkos fort, der sich dem Banquier weiter näherte und diesen Auge in Auge fast andonnerte, ich wiederhole Ihnen, wenn der Capitän Henry d’Albaret erst weiß, wer Sie sind, wird’s ihn nicht nach Ihrer Tochter verlangen, und wenn Ihre Tochter selbst den Ursprung des Vermögens ihres Vaters erfährt, wird sie nicht mehr daran denken können, die Gattin des Capitäns Henry d’Albaret zu werden. Wenn Sie diese beabsichtigte Verbindung nicht noch heute lösen, so wird sie morgen von selbst zerfallen, denn morgen schon werden die beiden Verlobten Alles wissen… Ja… ja, beim Teufel und meiner Seele, sie werden’s wissen!«
Der Banquier erhob sich noch einmal. Er sah den Capitän der »Karysta« scharf an und erklärte mit verzweifeltem Tone, über dessen Wahrhaftigkeit Jener nicht im Unklaren bleiben konnte:
»Zugegeben!… Aber ich nehme mir dann das Leben, Nicolas Starkos, und werde nicht länger mehr eine Schande für meine Tochter sein!
– Und doch, antwortete der Capitän, das bleiben Sie für die Zukunft eben so, wie Sie es gegenwärtig sind, und Ihr gewaltsamer Tod würde niemals im Stande sein, die Thatsache umzustoßen, daß Elizundo nur der Banquier der Seeräuber des Archipels gewesen ist!«
Elizundo sank betroffen zusammen und konnte keine Antwort finden, als der Capitän fortfuhr:
»Und deshalb wird Hadjine Elizundo nicht das Weib jenes Henry d’Albaret werden, sondern sie wird, mag sie’s nun wollen oder nicht, nur die Gattin Nicolas Starkos‘ sein!«
Noch eine halbe Stunde währte dieses Gespräch unter inständigen Bitten von der einen und unter Drohungen von der anderen Seite fort. Von Liebe war sicherlich keine Rede, wenn Nicolas Starkos auf den Besitz der Tochter Elizundo’s drang. Ihm handelte es sich nur um die Millionen, welche er ganz sein nennen wollte, und keine Vorstellung vermochte ihn von diesem Vorsatze abzubringen.
Hadjine Elizundo hatte nichts erfahren von jenem Briefe, der die baldige Ankunft des Capitäns der »Karysta« anmeldete; seit eben jenem Tage erschien ihr Vater ihr noch trauriger, noch düsterer, als gewöhnlich, als ob ihn irgend ein heimlicher Kummer ganz besonders niederdrückte, und als Nicolas Starkos sich dann in dem Bankhause einstellte, vermochte sie einer lebhafteren Unruhe erst recht nicht Herr zu werden. Sie kannte ja den Mann, den sie während der letzten Kriegsjahre wiederholt im Hause ihres Vaters gesehen.
Nicolas Starkos hatte ihr schon von jeher einen Widerwillen eingeflößt, von dem sie sich kaum Rechenschaft zu geben vermochte. Er sandte ihr Blicke zu, welche ihr tiefes Mißfallen erregten, obwohl er niemals andere als gleichgiltige Worte zu ihr gesprochen hatte, wie es jeder andere Kunde des Bankhauses wohl auch hätte thun können. Das junge Mädchen hatte jedoch deutlich genug beobachtet, daß ihr Vater nach einem solchen Besuche des Capitäns der »Karysta« stets und auch eine Zeit lang später auffallend niedergedrückt und fast erschreckt schien. Daher rührte ihre ausgesprochene Antipathie gegen Nicolas Starkos, welche vorläufig immerhin noch nichts rechtfertigte.
Hadjine Elizundo hatte gegen Henry d’Albaret noch niemals von diesem Manne gesprochen. Was ihn mit dem Bankhause verknüpfte, konnten ja nur Angelegenheiten geschäftlicher Natur sein. Von den Geschäften Elizundo’s, deren Natur ihr übrigens völlig unbekannt war, hatte sie niemals bei ihren Unterhaltungen etwas erwähnt. Der junge Officier wußte also auch nichts von den Beziehungen, welche zwischen dem Banquier und Nicolas Starkos obwalteten, so wenig wie von denen zwischen diesem Capitän und der muthigen Frau, der er bei dem Gefechte von Chaidari das Leben gerettet und die er nur unter dem Namen Andronika kannte.
Doch, so wie Hadjine, hatte auch Xaris Gelegenheit gehabt, Nicolas Starkos im Comptoir der Strada Reale zu sehen und zu empfangen. Er empfand auch selbst ganz den nämlichen Widerwillen gegen ihn, wie das junge Mädchen; entsprechend seiner kraftstrotzenden, entschlossenen Natur äußerten sich diese Gefühle bei ihm nur in anderer Weise. Wenn Hadjine jede Gelegenheit floh, mit dem ihr verhaßten Manne zusammenzutreffen, so sachte Xaris diese im Gegentheil auf mit dem Wunsche, ihm gelegentlich »die Rippen zu brechen«, wie er gerne sagte.
»Ich habe dazu nicht das Recht, dachte er, doch das dürfte sich noch finden!«
Aus dem Allen ergibt sich, daß der neueste Besuch des Capitäns der »Karysta« bei dem Banquier Elizundo weder von Xaris noch von dem jungen Mädchen mit Wohlgefallen gesehen wurde; im Gegentheil. Für Beide war es eine gewisse Erleichterung, als Nicolas Starkos nach längerer Unterredung mit dem Herrn des Hauses, von der nichts zu erfahren gewesen war, wie der fortging und den Weg nach dem Hafen einschlug.
Noch eine ganze Stunde lang blieb Elizundo in seinem Cabinet eingeschlossen. Man hörte nicht einmal, daß er darin ein Wort sprach.
Seine bestimmten Befehle lauteten aber dahin, daß weder seine Tochter noch Xaris eintreten sollten, ohne ausdrücklich verlangt zu werden. Da der Besuch dies mal besonders lange gedauert hatte, wuchs natürlich deren Angst in demselben Verhältnisse mit der verflossenen Zeit.
Plötzlich ertönte die Klingel Elizundo’s, wie von einem furchtsamen Anschlage, der von unsicherer Hand herrührte. Xaris folgte dem Rufe, öffnete die, von innen jetzt nicht mehr verschlossene Thür und befand sich nun gegenüber dem Banquier.
Elizundo saß noch immer halb vernichtet und mit dem Aussehen eines Mannes, der einen heftigen Kampf gegen sich bestanden, in seinem Armstuhle. Er erhob den Kopf und sah Xaris an, als habe er Mühe, diesen zu erkennen; dann strich er mit der Hand über die Stirn.
»Hadjine?« sagte er mit fast tonloser Stimme.
Xaris nickte zum Zeichen, daß er ihn verstehe, und verschwand. Gleich darauf trat das junge Mädchen zu ihrem Vater herein. Ohne weitere Vorrede, aber mit tief gesenkten Augen und mit einer vor Erregung zitternden Stimme, begann dieser sofort zu ihr:
»Hadjine, es muß sein… Du mußt auf die geplante Vermählung mit dem Capitän Henry d’Albaret verzichten.
– Was sagst Du, Vater?… rief das junge Mädchen, die dieser unerwartete Schlag tief in’s Herz traf.
– Es muß sein, Hadjine! wiederholte Elizundo.
– Doch willst Du mir sagen, liebster Vater, weshalb Du Dein ihm und mir gegebenes Wort zurücknimmst? fragte das junge Mädchen. Du weißt, ich habe nicht die Gewohnheit, Deine Wünsche zu discutiren, und auch heute liegt mir das gewiß fern, welcher Art dieselben auch sein mögen. Doch willst Du mir nicht wenigstens mittheilen, aus welchem Grunde ich darauf verzichten muß, Henry d’Albaret zu heiraten?
– Weil es sein muß, Hadjine… weil Du die Gattin eines Anderen werden mußt!« murmelte Elizundo.
Seine Tochter verstand ihn, so leise er auch sprach.
»Eines Anderen! rief sie, von diesem zweiten Schlage nicht minder getroffen, wie von dem ersten. Und dieser Andere?…
– Ist der Capitän Starkos!
– Diesen Mann! Diesen Mann!«
Unwillkürlich entrangen sich diese Worte den Lippen Hadjines, die sich am Tische anhalten mußte, um nicht zu Boden zu sinken.
Dann empörte sich noch einmal ihr ganzes Wesen gegen diesen Beschluß und sie rief:
»Lieber Vater, dem Befehle, den Du mir, vielleicht gegen Deinen Willen, ertheiltest, liegt eine Ursache zu Grunde, die ich mir nicht zu erklären vermag. Hier ist ein Geheimniß im Spiel, das Du mir zu offenbaren zögerst.
– Frage mich nichts, erwiderte Elizundo, nichts!
– Nichts, lieber Vater?… Es sei denn! Wenn ich aber, um Dir zu gehorchen, auch darauf verzichte, die Gattin Henry d’Albaret’s zu werden, so kann ich doch, und kostete es mein Leben, Nicolas Starkos nicht heiraten!… Das kannst Du doch nicht wollen!
– Es muß sein, Hadjine! wiederholte Elizundo.
– Mein ganzes Lebensglück steht dabei auf dem Spiele! rief das junge Mädchen.
– Und auf meiner Seite die Ehre.
– Die Ehre Elizundo’s könnte von einem Anderen als ihm selbst abhängen? fragte Hadjine.
– Ja… von einem Anderen!… Und dieser Andere ist Nicolas Starkos!«
Mit diesen Worten erhob sich der Banquier, seine Augen glänzten gespensterhaft und das Gesicht war verzogen, als hätte ihn ein Schlaganfall getroffen.
Gegenüber diesem Anblick fand Hadjine alle ihre Entschlossenheit wieder, und diese gehörte gewiß dazu, wenn sie, sich zurückziehend, zu ihrem Vater sagte:
– Gut, mein Vater,… ich werde gehorchen!«
Die Blüthe ihres Lebens war damit geknickt, aber sie hatte begriffen, daß die Beziehungen des Banquiers mit dem Capitän der »Karysta« ein furchtbares Geheimniß bergen mußten. Sie hatte sich überzeugt, daß er sich in der Gewalt dieses hassenswerthen Mannes befand. Sie beugte, sie opferte sich! Die Ehre ihres Vaters verlangte dieses Opfer! Xaris fing das junge Mädchen fast ohnmächtig mit den Armen auf. Er brachte sie nach ihrem Zimmer. Da erfuhr er von ihr, was geschehen war, welchem Verzichte sie zugestimmt hatte. Die nächste Folge davon war, daß sein Haß gegen Nicolas Starkos sich nur verdoppelte.
Eine Stunde später erschien wie gewöhnlich Henry d’Albaret in dem Banquierhause. Eine der dienenden Frauen bedeutete ihn, daß Hadjine Elizundo nicht zu sprechen sei. Er verlangte den Banquier zu sehen… Der Banquier konnte ihn nicht empfangen. Er wünschte nur Xaris zu sprechen!… Xaris war nicht im Comptoir.
Auf’s Höchste beunruhigt kehrte Henry d’Albaret nach dem Hôtel zurück. Solche Antworten hatte er noch niemals vernommen. Er beschloß, im Laufe des Abends noch einmal vorzusprechen, und wartete bis dahin in unsäglicher Angst. Um neun Uhr übergab man ihm in seinem Hôtel einen Brief. Ein Blick auf die Adresse lehrte ihm, daß dieselbe von der Hand Elizundo’s herrührte. Der Brief enthielt nur folgende wenige Zeilen:
»Herr Henry d’Albaret wird gebeten, das Project einer Verbindung zwischen ihm und der Tochter des Banquiers Elizundo als aufgelöst zu betrachten. Aus Gründen, welche mit seiner Person nicht im Entferntesten zu thun haben, kann diese Verheiratung nicht stattfinden, und Herr Henry d’Albaret wird den Unterzeichneten sehr verbinden, wenn er seine Besuche in dem Bankhause fortan einstellt.
Elizundo.«
Anfänglich verstand der junge Officier gar nicht, was er eben gelesen hatte. Dann durchlas er den Brief noch einmal. Er fühlte sich wie niedergeschmettert. Was war denn bei Elizundo geschehen? Woher diese Abweisung? Am gestrigen Tage noch hatte er das Haus verlassen, während in demselben alle Vorbereitungen zu seiner Vermählung betrieben wurden. Der Banquier hatte sich ihm gegenüber ganz so benommen, wie je vorher. Und was das junge Mädchen selbst anging, hatte nicht das Geringste darauf hingewiesen, daß ihre Gefühle für ihn sich irgendwie geändert hätten.
»Doch, der Brief ist ja auch gar nicht von Hadjine geschrieben. Seine Unterschrift lautet Elizundo!… Nein, Hadjine hat nicht gewußt und weiß auch jetzt noch nicht, was ihr Vater mir geschrieben hat. Er hat seine Absichten ohne ihr Mitwissen geändert. Warum?… Ich habe ihm doch keine Ursache gegeben… o, ich werde das Hinderniß, daß sich zwischen mich und Hadjine drängt, schon zu erfahren wissen!«
Da er in dem Hause des Banquiers jetzt nicht selbst empfangen werden konnte, so schrieb er an diesen, da er, wie er sich ausdrückte, ein gutes Recht darauf habe, die Gründe kennen zu lernen, welche eine Vermählung unmöglich machten, die schon in nächster Zeit hatte stattfinden sollen.
Sein Brief blieb ohne Antwort. Er schrieb einen anderen, zwei andere: dasselbe Schweigen.
Jetzt wendete er sich unmittelbar an Hadjine. Er bat sie bei ihrer Liebe, ihm wenigstens zu antworten, und wenn sie auch nur sagte, daß sie sich niemals wieder sehen könnten. Keine Antwort.
Wahrscheinlich war sein Brief gar nicht in die Hände des jungen Mädchens gekommen. Henry d’Albaret mußte das wenigstens glauben. Er kannte ja ihren Charakter viel zu gut, um sicher zu sein, daß sie ihm eine Erklärung gegeben haben würde.
In seiner Verzweiflung suchte nun der junge Officier Xaris zu treffen. Er kam von der Strada Reale gar nicht mehr weg. Ganze Stunden wandelte er in der Nähe des Bankhauses umher. Vergeblich. Vielleicht den Befehlen des Banquiers, vielleicht auch den Bitten Hadjines gehorchend, ging Xaris überhaupt nicht mehr aus.
So verstrichen unter vergeblichen Bemühungen die Tage des 24. und 25. Octobers. Mit seiner Angst und Sorge ohnegleichen glaubte Henry d’Albaret schon die äußerste Grenze seiner Leiden erreicht zu haben. Er sollte sich täuschen.
Im Laufe des 26. nämlich verbreitete sich plötzlich eine Nachricht, die ihn mit noch schrecklicherem Schlage treffen mußte.
Nicht allein seine Vermählung mit Hadjine Elizundo war aufgehoben – ein Bruch, den übrigens die ganze Stadt schon kannte – sondern Hadjine Elizundo sollte jetzt auch einem Anderen die Hand reichen.
Henry d’Albaret fühlte sich vernichtet, als er diese Neuigkeit hörte. Ein Anderer als er sollte der Gatte Hadjines werden!
»Ich muß wissen, wer das ist! rief er. Mag es sein, wer’s will, ich muß es erfahren!… Ich werde mich bis zu ihm drängen!… Ich setze ihn zur Rede und er muß mir wohl oder übel antworten!«
Der junge Officier sollte nicht lange zu warten haben, bis er hörte, wer sein Rival sei. Er sah ihn bald genug in das Bankhaus eintreten, folgte ihm, als er wieder herauskam, beobachtete ihn auf dem Wege bis zum Hafen, wo sein Boot diesen am Molo erwartete. Von hier sah er ihn auf der, eine halbe Kabellänge vom Ufer verankerten Sacoleve verschwinden.
Nicolas Starkos war es, der Capitän der »Karysta«.
Das geschah am 27. October. Aus weiteren Nachrichten, welche Henry d’Albaret erhielt, ging hervor, daß die Vermählung Nicolas Starkos‘ mit Hadjine Elizundo ganz nahe bevorstehe, denn alle Vorbereitungen dazu wurden mit einer gewissen Hast betrieben. Die religiöse Feierlichkeit sollte am dreißigsten desselben Monats in der Kirche des heiligen Spiridion stattfinden, das heißt an demselben Tage, der vorher für die Vermählung Henry d’Albaret’s in’s Auge gefaßt war. Er freilich sollte dabei nicht als Bräutigam sein! Diese Stelle nahm jener Capitän ein, von dem man nicht wußte, woher er gekommen, und von dem keiner wußte, wohin er gehe.
Die Beute einer Wuth, welche er nicht mehr zu bemeistern vermochte, war Henry d’Albaret fest entschlossen, Nicolas Starkos aufzusuchen, und müßte er ihm bis an die Stufen des Altars folgen.
Er wollte ihn zum Zweikampfe fordern. Wenn er ihn nicht tödtete, so würde vielleicht doch er getödtet werden, und wäre damit aus dieser fast unerträglichen Lage befreit gewesen.
Vergeblich sagte er sich, daß diese Vermählung, wenn sie zu Stande käme, jedenfalls die Zustimmung Elizundo’s haben müsse. Vergeblich wiederholte er sich, daß der, welcher über Hadjines Hand verfügte, ja der Vater der Geliebten war.
»Ja, aber es geschieht gegen ihren Willen!… Sie unterliegt einem äußeren Drucke, der sie diesem Menschen überliefert… Sie opfert sich!«
Im Laufe des 28. Octobers versuchte Henry d’Albaret den Nicolas Starkos zu treffen. Er lauerte ihm auf, wo er an’s Land ging, er stand unbeirrt am Eingange nach dem Comptoir. Alles vergeblich! Und binnen zwei Tagen sollte nun diese verruchte Vermählung stattfinden – zwei Tage, während welcher der junge Officier Alles wagte, entweder bis zu dem jungen Mädchen vorzudringen, oder doch Nicolas Starkos zu erlangen.
Da trat am 29. gegen sechs Uhr Abends ein höchst unerwartetes Ereigniß ein, welches die Sachlage mit einem Schlage änderte.
Im Laufe des Nachmittags verbreitete sich das Gerücht, daß der Banquier von einem Gehirnschlage getroffen worden sei.
Und wirklich, zwei Stunden später war Elizundo eine Leiche.