Erstes Capitel
Ein Schiff in Sicht.
Am 28. October 1827 gegen fünf Uhr Abends bemühte sich ein kleines levantinisches Fahrzeug, noch vor Einbruch der Nacht den Hafen von Vitylo, am Eingang des Golfs von Coron, zu erreichen.
Dieser Hafen, das Oetylos Homer’s, liegt an einer der tiefen Einbuchtungen, welche aus dem Ionischen und Aegäischen Meere das Platanenblatt ausschneiden, mit dem man das südliche Griechenland so trefflich verglichen hat Dieses Blatt nimmt der alte Peloponnes, das Messene der Griechen unserer Tage, ein. Die erste dieser Ausbuchtungen bildet im Westen der Golf von Coron, der sich zwischen Messene und Laconia öffnet. Die zweite, der Golf von Marathon, der die Küste des ernsten Laconia tief einschneidet. Die dritte, der Golf von Nauplia, dessen Gewässer Laconia und Argolis scheiden.
Zu dem ersten der drei Golfe gehört der Hafen von Vitylo. An der Ostküste, im Hintergrunde einer unregelmäßigen Bai liegend, reicht er bis an die letzten Ausläufer des Taygetos heran, dessen Bergkämme das Skelet des Hinterlandes bilden. Die Sicherheit seines Ankergrundes, der bequeme Verlauf der Einfahrtsstraßen und die ihn umgebenden Höhen machen ihn zu einem der festen Zufluchtshäfen dieser von allen Winden der südlichen Meere unausgesetzt gepeitschten Küste.
Das Fahrzeug, welches bei ziemlich frischer Nordnordwestbrise sehr dicht am Winde segelte, konnte von den Hafendämmen Vitylos nicht erkannt werden, da dasselbe noch eine Entfernung von sechs bis sieben Meilen von demselben trennte. Da das Wetter aber ausgezeichnet klar war, hob sich doch der Rand seiner oberen Segel deutlich von dem leuchtenden Hintergrunde des äußersten Horizonts ab.
Was aber von unten nicht sichtbar war, konnte doch von oben, das heißt von dem Gipfel der Höhenzüge, gesehen werden, welche das Dorf umgrenzen. Vitylo ist in Gestalt eines Amphitheaters auf abschüssigen Felsen erbaut, welche die alte Akropolis von Kelapha vertheidigt. Darüber erheben sich noch einige alte, zerfallene Thürme von jüngerem Ursprung als jene merkwürdigen Ueberreste eines Tempels der Seraphis, dessen Säulen und Capitäle von ionischer Ordnung noch heute die Kirche von Vitylo zieren. Neben jenen Thürmen stehen auch noch zwei oder drei kleine, wenig besuchte Kapellen, in welchen fromme Mönche den Kirchendienst versehen.
Es ist hier von Wichtigkeit, auf die Bezeichnung »den Kirchendienst versehen« und selbst auf die Qualification eines Mönches, welche diese Geistlichen der messenischen Küste sich zulegen, zu achten Einer derselben, der soeben seine Kapelle verließ, wird sogleich dem Leser näher vor Augen treten.
Zu jener Zeit war die Religion in Griechenland noch ein eigenthümliches Gemisch von heidnischen Sagen und christlichen Glaubenssätzen. Viele Gläubige betrachteten die Gottheiten des Alterthums noch gewissermaßen als Heilige der neuen Religion. In der That, wie das Henry Belle schildert, vermengen sie die Halbgötter mit den Heiligen, die Kobolde der bezaubernden Thäler mit den Engeln des Paradieses und rufen ebenso die Sirenen und Furien an, wie sie noch Brotopfer darbringen. Diese Umstände haben gewisse merkwürdige Gebräuche eingeführt, welche Andere zum Lachen reizen, während die Geistlichkeit große Mühe hat, dieses wenig orthodoxe Chaos zu entwirren.
Während des ersten Viertels dieses Jahrhunderts – es ist einige fünfzig Jahre her und die Zeit, mit welcher unsere Erzählung beginnt – war der Clerus der griechischen Halbinsel noch unwissender, und die sorglos dahinlebenden, naiven, zutraulichen Mönche, »gute Kinder«, schienen sehr wenig geeignet, die von Natur abergläubische Bevölkerung auf rechte Wege zu leiten.
Und wenn diese niederen Kirchendiener nur allein unwissend gewesen wären. In gewissen Gegenden Griechenlands aber, vorzüglich in den wilden Districten von Magne, scheuten die armen Teufel, von Natur und aus Noth schon Bettler und gierig auf die paar Drachmen, welche mitleidige Reisende ihnen zuwarfen, ohne alle Beschäftigung, außer etwa der, den Gläubigen das gefälschte Bildniß eines Heiligen zum Kusse darzureichen oder eine ewige Lampe in irgend einer Grotte zu unterhalten, dazu verstimmt über den geringen Ertrag ihrer Pfründen, der Beerdigungen und der Taufen, nicht davor zurück, die Auflauerer – und was für Auflauerer – im Solde der Bewohner des Küstengebietes zu spielen.
Die Seeleute von Vitylo, welche am Hafen umher lungerten wie die Lazzaronis, welche gleich mehrere Stunden Ruhe brauchen, um sich von der Arbeit während einiger Minuten zu erholen, erhoben sich doch rasch, als sie einen ihrer Mönche, die Arme heftig bewegend, schnellen Schrittes nach dem Dorfe hinabsteigen sahen.
Es war das ein Mann von fünfzig bis fünfundfünfzig Jahren, der nicht nur dick, sondern fett war von jenem Fette, das der Müßiggang erzeugt, und dessen schlaue Physiognomie nur sehr mittelmäßiges Vertrauen einzuflößen vermochte.
»Was gibt es denn, Vater, was ist denn los?« fragte einer der Seeleute, der ihm entgegenging.
Der Vityliner sprach mit so näselndem Tone, daß man Nason hätte für einen Vorfahren der Hellenen halten können, und dazu jene maniatische Mundart, in der sich das Türkische mit dem Italienischen mischte, als rühre dasselbe aus der Zeit des Thurmbaues von Babel her.
»Haben die Soldaten Ibrahim’s etwa die Höhen des Taygetos besetzt? fragte ein anderer Seemann mit sehr sorgloser Geste, welche eben nicht viel Patriotismus verrieth.
– Wenn’s nicht gar Franzosen sind, mit denen wir es zu thun haben, erwiderte der erste Sprecher.
– Na, die sind einander werth!« bemerkte ein Dritter.
Diese Aeußerung bewies, daß der Kampf, welcher damals gerade am heftigsten wüthete, die Bewohner des untersten Peloponnes nur sehr wenig berührte, sehr verschieden von den Maniaten des Nordens, welche sich im Unabhängigkeitskriege so rühmlich hervorthaten.
Der dicke Geistliche vermochte aber weder dem Einen, noch dem Anderen Antwort zu geben.
Er war von dem Herabklettern über die steilen Abhänge noch ganz außer Athem. Seine asthmatische Brust keuchte. Er wollte sprechen, konnte es aber nicht. Einer seiner Ahnen im alten Hellas, der Soldat von Marathon, hatte doch wenigstens, noch ehe er starb, den Sieg des Miltiades verkünden können. Doch es handelte sich hier weder um Miltiades, noch um den Kampf der Athener gegen die Perser. Es waren kaum Griechen, diese verwilderten Bewohner der untersten Spitze von Magne.
»So sprich doch, Vater, sprich doch!« rief ein alter Seemann, Namens Gozzo, der sich ungeduldiger als die Anderen geberdete, als hätte er schon errathen, was der Mönch verkünden wollte.
Endlich hatte dieser sich wieder etwas beruhigt. Da streckte er die Hand nach dem Horizonte aus und rief:.
»Ein Schiff in Sicht!«
Auf diese Meldung hin sprangen die Tagediebe alle auf, klatschten in die Hände und stürmten nach einem Felsen, der den Hafen überragte. Von hier aus konnten sie das Meer in weitem Umkreise sehen.
Ein Fremdling hätte glauben können, daß diese Bewegung nur hervorgebracht würde durch das Interesse, welches jedes von der See herkommende Fahrzeug naturgemäß Seeleuten einflößen muß, denen so etwas ja besonders angeht. Das wäre aber eine falsche Annahme gewesen oder war es vielmehr; wenn dies ein Interesse dieser Leute aufzustacheln vermochte, war das doch ein solches ganz specieller Art.
In der That ist Magne, jetzt wo wir diese Erzählung niederschreiben – nicht zur Zeit, als die darin geschilderten Vorfälle sich ereigneten – noch immer ein von Griechenland halb abgesonderter Landstrich, ein unabhängiges Königreich, geschaffen durch den Beschluß der europäischen Großmächte, welche 1829 den Vertrag von Adrianopel unterzeichneten. Die Maniaten, oder mindestens diejenigen derselben, welche auf den verlängerten Landausläufern zwischen den Golfen wohnen, sind noch halbe Barbaren geblieben, welche sich mehr um ihre persönliche Freiheit, als um die des Landes bekümmern. Diese äußerste Zunge des unteren Moreas ist von jeher auch kaum zur Botmäßigkeit zu bringen gewesen. Weder die türkischen Janitscharen, noch die griechischen Gensdarmen haben sie zu bezwingen vermocht. Streitsüchtig und rachbegierig, oft in Familienzwistigkeiten verwickelt, welche nur durch Blut ausgetragen werden können. Räuber von Geburt und doch gastfreundlich, Mörder, wenn der Raub einen Mord bedingt, nennen sich deshalb die rohen Bergvölker nicht weniger die directen Nachkommen der Spartaner; aber eingeschlossen in die Verzweigungen des Taygetos, in dem man zu Tausenden jene kleinen Befestigungen oder »Pyrgos«, welche kaum zu erklimmen sind, findet, spielen sie gar zu gern die zweifelhafte Rolle jener Wegelagerer des Mittelalters, die ihre Feudalrechte mit Dolch und Pistole übten.
Wenn die Maniaten zur Stunde auch noch halb wild sind, so mag man sich vorstellen, was dieselben vor nun fünfzig Jahren sein mochten. Ehe die Kreuzfahrten der Dampfschiffe ihren Raubzügen zur See ein Ziel setzten, traten sie während des ersten Viertels dieses Jahrhunderts als die verwegensten Seeräuber auf, welche die Handelsfahrzeuge in allen Stapelplätzen des Morgenlandes nur zu fürchten hatten.
Gerade der Hafen von Vitylo erschien durch seine Lage am Ende des Peloponnes, am Eingang zweier Meere, durch die Nähe der den Seeräubern wohlbekannten Insel Cerigotto, höchst geeignet, sich allen Uebelthätern zu öffnen, welche den Archipel und die benachbarten Gegenden des Mittelmeeres unsicher machten. Der Centralpunkt der Bewohnerschaft dieses Theils von Magne hieß speciell das Land von Kakovonni, und die Kakovonnioten, welche zu beiden Seiten der Landspitze siedelten, welche mit dem Cap Matapan ausläuft, hatten es bequem, ihre Unthaten auszuführen. Auf dem Meere überfielen sie die Schiffe; an das Land lockten sie dieselben durch falsche Signale. Ueberall plünderten und verbrannten sie dieselben. Ob deren Besatzung nun eine türkische, maltesische, ägyptische oder selbst eine griechische war, das kümmerte sie nicht; sie wurde ohne Erbarmen niedergemetzelt oder nach den Barbareskenstaaten in die Sclaverei verkauft. Gab es einmal eine Zeit lang nichts zu thun, und wurden die Küstenfahrer in der Bucht von Cerigo oder dem Cap Gallo seltener, so stiegen öffentliche Gebete auf zu dem Gott der Stürme, damit dieser sich herabließe, ein Schiff von großem Tonnengehalt und mit reicher Ladung in ihre Hand zu geben. Die Mönche schlugen es auch nicht ab, diese Gebete zum Nutzen ihrer Gläubigen zu celebriren.
Jetzt hatte es seit mehreren Wochen nichts zu plündern gegeben. Kein Schiff war an der Küste von Magne angelaufen. Deshalb verursachte es einen wirklichen Ausbruch der Freude, als der Mönch jene von asthmatischem Keuchen unterbrochenen Worte ausgerufen hatte:
»Ein Schiff in Sicht!«
Sofort erschallten die dumpfen Schläge des Simanders, einer Art Glocke aus Holz mit eisernem Klöppel, welche in den Provinzen in Gebrauch ist, wo die Türken die Verwendung von metallenen Glocken nicht zuließen. Die klanglosen Schläge genügten jedoch, die habgierige Bevölkerung zusammenzurufen, Männer, Frauen, Kinder, herrenlose furchtbare Hunde, alle begierig zu plündern und wenn nöthig zu morden.
Inzwischen verhandelten die auf dem Felsen vereinigten Vityliner mit großer Lebhaftigkeit. Welcher Art Fahrzeug war es, das der Mönch ihnen anmeldete? Mit der nordnordwestlichen Brise, die beim Einbruch der Nacht noch auffrischte, glitt das Schiff mit Backbordhalsen schnell dahin. Es schien möglich, daß es beim Laviren das Cap Matapan ziemlich streifte. Seinem Curse nach schien es aus der Gegend von Kreta zu kommen. Schon begann sein Rumpf sich zu zeigen über dem weißen Kielwasser, das es hinter sich ließ; seine Segel alle bildeten jedoch für das Auge eine unkenntliche Masse Es war also schwierig zu sagen, welcher Classe das Fahrzeug angehören möge, was auch die verschiedensten, von einer Minute zur andern sich widersprechenden Aeußerungen veranlaßte.
»Es ist eine Schebeke, erklärte einer der Seeleute, ich sehe ihre viereckigen Segel am Fockmast!
– Nein, erwiderte ein Anderer, es ist eine Pinke! Man sieht ja den erhöhten Achter und starkgekrümmten Vordersteven!
– Schebeke oder Pinke! Wer könnte dieselben auf eine solche Entfernung unterscheiden?
– Sollte es nicht vielmehr eine Polake mit viereckigen Segeln sein, bemerkte ein anderer Seemann, der aus den halbgeschlossenen Händen sich eine Art Fernrohr gemacht hatte.
– Gott helfe uns! antwortete der alte Gozzo. Polake, Schebeke oder Pinke, jedenfalls sind’s drei Maste, und drei Maste sind allemal besser als zwei, wenn sich’s darum handelt, hier bei uns mit einer tüchtigen Ladung Wein aus Candia oder mit Stoffen aus Smyrna zu landen!«
Nach dieser weisen Bemerkung blickten Alle mit noch größerer Aufmerksamkeit hinaus.
Das Schiff näherte sich und schien allmählich zu wachsen; weil es aber so dicht am Winde fuhr, konnte man es nicht von der Seite sehen. Es wäre also schwierig gewesen, zu sagen, ob es zwei oder drei Maste führte, das heißt, ob sein Tonnengehalt ein größerer oder ein geringerer sein werde.
»O, das Unglück verfolgt uns und der Teufel hat sein Spiel! rief Gozzo, indem er noch einen Fluch hinzusetzte, mit dem er alle Sätze zu verstärken pflegte. Das Ding ist weiter nichts als eine Feluke…
– Oder gar nur eine Speronare!« rief der Mönch, nicht weniger enttäuscht als seine Zuhörer.
Daß diese beiden Bemerkungen mit nicht sehr wohlwollenden Rufen aufgenommen wurden, braucht wohl kaum versichert zu werden. Aber welcher Art das Fahrzeug auch war, so konnte man doch schon beurtheilen, daß es höchstens hundert bis hundertfünfzig Tonnen messen konnte. Freilich kam es ja nicht auf die Menge der Ladung an, wenn diese sonst eine werthvolle war. Man trifft einfache Feluken oder selbst Speronaren, welche eine Fracht an kostbaren Weinen, seinen Oelen oder theuren Geweben führen. In solchen Fällen verlohnt es sich schon der Mühe, sie zu plündern, denn sie geben oft reiche Beute für geringe Mühe. Zu verzweifeln war also noch nicht. Dazu entdeckten die älteren Leute der Bande, daß das Schiff ein gewisses elegantes Aeußere hatte, welches, langjähriger Erfahrung nach, immerhin zu seinen Gunsten sprach.
Schon begann die Sonne hinter dem Horizonte im Westen des ionischen Meeres zu verschwinden; die Octoberdämmerung mußte jedoch noch eine Stunde lang hinreichendes Licht verbreiten, um das Schiff vor Einbruch völliger Dunkelheit zu erkennen Nachdem dasselbe das Cap Matapan umsegelt, wendete es sich um zwei Viertel, um besser in den Golf einlaufen zu können, und zeigte sich damit den Beobachtern in bequemer Stellung. Gleich nachdem dies geschehen, entfuhr auch schon den Lippen des alten Gozzo das Wort »Sacoleve«!
»Eine Sacoleve!« wiederholten seine Genossen, welche ihrem Unmuthe durch rohe Flüche Luft machten.
Ueber den Gegenstand wurde indessen nicht weiter gesprochen, weil Zweifel über denselben nicht obwalten konnten. Das Fahrzeug, welches dem Golfe von Coron zusteuerte, war sicherlich eine Sacoleve. Uebrigens thaten die Leute aus Vitylo sehr unrecht, gleich über Unglück zu schreien. Es ist gar nicht selten, daß man gerade auf diesen Sacoleven sehr kostbare Ladungen antrifft.
Man bezeichnet mit diesem Namen übrigens ein levantinisches Fahrzeug von mittlerem Tonnengehalt, dessen Verdeck einen gedrückten Bogen bildet, indem es sich nach hinten zu ein wenig erhebt. Auf seinen schlanken Masten trägt es mannigfaches Segelwerk. Der stark nach vorn geneigte, in der Mitte stehende Großmast hat gewöhnlich ein lateinisches Segel, ein Noth-, ein Mars- und ein Topsegel. Zwei Klüversegel vorn, zwei sehr spitzige an den beiden Hintermasten vervollständigen seine Takelage, die ihm einen auffallenden Anblick verleiht. Die lebhaften Farben des Rumpfes, die Ausbiegung des Vorderstevens, die Verschiedenheit der Maste, die phantastische Gestalt seiner Segel selbst stempeln es zu einem der merkwürdigsten Muster jener schlanken Fahrzeuge, welche man zu Hunderten in den engen Wasserstraßen des Archipels manövriren sieht. Es gewährte einen wirklich schönen Anblick, das leichte Fahrzeug sich bäumen und mit der Welle wieder aufrichten zu sehen, wenn es sich mit weißem Schaum bekränzte oder mühelos fast hüpfte, gleich einem ungeheuren Vogel, dessen Flügel das Meer streiften und dessen Gefieder in den letzten Strahlen der Abendsonne schimmerte.
Obwohl die Brise auffrischte und der Himmel sich allmählich mit »Wasserhosen« bedeckte – ein Name, den die Levantiner gewissen Wolken ihres Himmels zulegen – verminderte die Sacoleve ihre Segelfläche doch nicht im mindesten. Sie hatte sogar das Topsegel beibehalten, welches ein minder kühner Seemann gewiß schon hätte reefen lassen.
Offenbar lag es in der Absicht des Capitäns, an’s Land zu gehen und nicht etwa die Nacht auf dem schon ziemlich bewegten Meere, welches noch mehr aufgeregt zu werden drohte, zuzubringen.
Wenn die Seeleute von Vitylo nun nicht mehr in Zweifel sein konnten, daß die Sacoleve in einen Hafen einlief, so fragten sie sich doch, ob sie gerade in ihrem Hafen anlegen würde.
»Ah, rief Einer von ihnen, man möchte sagen, daß sie sich immer nur am Winde zu halten, aber nicht einzulaufen suchte.
– Da soll sie der Teufel in’s Schlepptau nehmen! versetzte ein Anderer. Sollte sie wirklich nur laviren und wieder auf die hohe See gehen?
– Steuert sie überhaupt auf Coron zu?
– Oder vielleicht auf Kalamata?«
Beide Voraussetzungen hatten etwa gleichviel für sich. Coron ist ein von Handelsfahrzeugen der Levante stark besuchter Hafen der maniatischen Küste, wo ein bedeutender Ausfuhrhandel von Oel aus dem südlichen Griechenland stattfindet. Dasselbe gilt für Kalamata am Grunde des Golfes, dessen Bazare mit Manufacturwaaren, Stoffen oder Geschirren gefüllt sind, welche von Westeuropa hier eingeführt werden. Es war also möglich, daß die Sacoleve nach einem dieser zwei Häfen bestimmt war, ein Umstand, der die raub- und plünderungslüsternen Vityliner sehr enttäuschte.
Während sie so mit ziemlich interessirter Aufmerksamkeit beobachtet wurde, glitt die Sacoleve rasch vorwärts. Bald befand sie sich auf der Höhe von Vitylo. Jetzt mußte ihr Schicksal sich entscheiden. Wenn sie noch weiter auf den Hintergrund des Golfes zuhielt, mußten Gozzo und seine Spießgesellen jede Hoffnung, sich ihrer zu bemächtigen, aufgeben. Selbst wenn sie sich in ihre schnellsten Boote warfen, hatten sie keine Aussicht jene einzuholen, um so viel war sie ihnen durch das ungeheure Segelwerk, welches sie trug, an Geschwindigkeit überlegen.
»Sie kommt hierher!«
Diese drei Worte rief der alte Steuermann, dessen Arm mit niedergebogener Hand sich gleich einem Enterhaken nach dem kleinen Schiffe zu ausstreckte.
Gozzo täuschte sich nicht. Das Steuerruder wurde in den Wind gelegt und die Sacoleve richtete sich jetzt auf Vitylo. Gleichzeitig wurden das Topsegel und ein Focksegel eingezogen und andere Segel wenigstens halb gereeft. Auf diese Weise von einem Theil des auf ihr lastenden Winddrucks befreit, gehorchte sie nun leichter der Hand des Steuermanns.
Jetzt dunkelte es allmählich mehr. Die Sacoleve hatte gerade nur noch Zeit, in die Einfahrt von Vitylo einzulaufen. Hier liegen unter dem Wasser Felsen verstreut, welche wegen der Gefahr, daran vollständig zu scheitern, sorgsam vermieden werden müssen. Trotzdem stieg keine Lootsenflagge am Großmast des kleinen Fahrzeugs auf. Der Capitän mußte also mit dem ziemlich gefährlichen Fahrwasser selbst genügend vertraut sein, weil er sich, ohne Beistand zu verlangen, in dasselbe wagte. Vielleicht mißtraute er auch – und zwar ganz mit Recht – dem beliebten Verfahren der Vityliner, welche wohl nicht davor zurückgeschreckt wären, ihn irgendwo hier auf den Grund laufen zu lassen, wo schon so sehr viel Fahrzeuge auf diese Weise verloren gegangen waren.
Bisher erhellte übrigens noch kein Leuchtthurm die Küste dieses Theiles von Magne. Ein einfaches Hafenlicht diente dazu, den Eingang in den engen Canal zu bezeichnen.
Inzwischen näherte sich die Sacoleve. Bald befand sie sich nur noch eine halbe Meile von Vitylo. Sie mußte gleich landen. Man merkte, daß eine erfahrene Hand sie führte.
Auch das war nicht dazu angethan, die Ungläubigen zu befriedigen; sie hatten ja weit mehr Interesse daran, das Fahrzeug auf irgend einem Felsen stranden zu sehen; dann hatten sie die Brandung gewissermaßen zum Bundesgenossen. Diese begann die Arbeit, welche sie nur zu vollenden hatten. Erst der Schiffbruch, dann die Plünderung, das war ihr gewöhnliches Verfahren. Das ersparte ihnen ja meist einen Kampf mit bewaffneter Hand, einen unmittelbaren Angriff, dem doch allemal Einige von ihnen zum Opfer fallen konnten.
Es gab in der That oft genug von einer muthigen Mannschaft vertheidigte Fahrzeuge, welche sich nicht ungestraft überfallen ließen.
Die Genossen Gozzo’s verließen also ihren Beobachtungsposten und gingen nach dem Hafen hinunter, um alle verbrecherischen Vorbereitungen zu treffen, welche bei den Strandräubern, ob diese die Meere des Abend- oder des Morgenlandes unsicher machen, so ziemlich die gleichen sind.
Es erschien ja so leicht, die Sacoleve in der engen Fahrstraße des Canals stranden zu lassen, wenn man ihr falsche Weisungen ertheilte, was die zunehmende Dunkelheit noch begünstigte, die, ohne gerade schon vollkommen zu sein, doch die Führung eines Schiffes einigermaßen erschwerte
»An’s Hafenlicht!« befahl Gozzo, dem seine Gefährten ohne Zögern zu gehorchen pflegten.
Alle verstanden den alten Seemann. Schon zwei Minuten später erlosch dieses Licht – eine einfache, am Ende des Hafendammes an einem dort stehenden Pfahl befestigte Laterne – urplötzlich.
Im nämlichen Augenblicke wurde es durch ein anderes Licht ersetzt, das zuerst zwar dieselbe Stelle einnahm; doch wenn das erste auf dem Molo feststehende dem Schiffer immer die gleiche Richtung anwies, mußte diesen das bewegliche andere aus der Fahrstraße verlocken und der Gefahr, auf einen Unterwasserfelsen aufzulaufen, aussetzen.
Das falsche Licht bestand aus einer Laterne, deren Schein sich von dem des Hafenlichtes nicht unterschied. Diese Laterne hatte man aber an den Hörnern einer Ziege befestigt, welche langsam am Rande der Klippe hingetrieben wurde. Sie veränderte ihren Ort also mit dem Thiere und mußte in Folge dessen auch die Sacoleve zu falschem Manövriren verleiten.
Es war nicht zum ersten Male, daß die Leute in Vitylo auf diese Weise verfuhren. Nein, gewiß nicht! Und es war leider auch nur selten, daß ihnen ihre schändlichen Absichten mißlangen.
Die Sacoleve lief nun in die Einfahrt ein. Nachdem auch das große Marssegel eingezogen war, trug sie nur noch die lateinischen Segel am hintersten Maste; doch mußten auch diese genügen, um bis zu dem Anlegepfosten zu gelangen.
Zum größten Erstaunen der dasselbe beobachtenden Seeleute bewegte sich das Schiff durch die Windungen des Canals mit unglaublicher Sicherheit weiter. Um das von der Ziege getragene bewegliche Licht schien sich darauf kein Mensch zu kümmern. Selbst am hellen Tage hätte es nicht sicherer manövriren können.
Sein Capitän mußte also unbedingt die Umgebungen von Vitylo schon wiederholt durchsegelt haben, um so bekannt zu sein, daß er selbst in finstrer Nacht wagen konnte, hier an’s Land zu steuern.
Schon konnte man jetzt den kühnen Seemann wahrnehmen. Seine Gestalt hob sich noch ziemlich deutlich aus dem Schatten auf dem Vordertheil der Sacoleve ab. Er stand da, in die weiten Falten seiner Aba, einer Art wollenen Mantels, gehüllt, dessen Capuze seinen Kopf bedeckte. Dieser Capitän zeigte in der That kaum eine Aehnlichkeit mit jenen bescheidenen Küstenfahrern, welche während einer schwierigen Fahrt meist einen Rosenkranz mit großen Kugeln, wie sie in den Meeren des Archipels gebräuchlich sind, hin und her gleiten lassen. Nein, dieser hier begnügte sich, mit tiefer und ruhiger Stimme dem auf dem Hintertheil des Decks befindlichen Steuermann nur seine Anweisungen zu ertheilen.
Da erlosch plötzlich die Laterne am felsigen Strande. Doch auch das störte die Sacoleve nicht, welche unbeirrt ihren Weg fortsetzte. Einen Augenblick hätte man vielleicht glauben können, daß sie bei einer Wendung einen gefährlichen Felsen anlaufen könne, der ziemlich bis zur Wasserfläche, eine Kabellänge vom eigentlichen Hafen, hinausragte und den in der Dunkelheit unmöglich Jemand sehen konnte. Eine leichte Wendung des Steuers genügte aber, die Richtung des Schiffes zu ändern, das zwar ganz nahe an diesem Risse vorüberstreifte, dasselbe aber nicht im Geringsten berührte.
Dieselbe Gewandtheit entwickelte der Steuermann, als es nothwendig wurde, eine zweite Untiefe zu passiren, welche nur eine ganz beschränkte Fahrstraße im Canal übrig ließ – eine Untiefe, auf der schon manches Schiff festgefahren war, ob dessen Lootse nun ein Complice der Vityliner war oder nicht.
Letztere hatten nun keine Aussicht mehr, auf einen Schiffbruch zu rechnen, der ihnen die Sacoleve fast wehrlos überliefert hätte. Binnen wenigen Minuten mußte diese im Hafen verankert liegen. Um sich ihrer zu bemächtigen, galt es nun Gewalt zu gebrauchen.
Das wurde denn auch nach einer kurzen Verhandlung unter den Schurken von diesen beschlossen und sollte bei der eben herrschenden und einem solchen Unternehmen besonders günstigen Dunkelheit sofort in’s Werk gesetzt werden.
»In die Boote!« rief der alte Gozzo, dessen Befehl ohne Widerspruch Geltung hatte, vorzüglich wenn es sich um eine Plünderung handelte.
Etwa dreißig kräftige Männer, von denen die Einen mit Pistolen bewaffnet waren, die Anderen Dolche oder Aexte schwangen, warfen sich in die am Quai befestigten Boote und ruderten, offenbar an Zahl der Besatzung der Sacoleve überlegen, auf diese zu.
Da ertönte an Bord der letzteren ein kurzes Commando. Die Sacoleve, welche jetzt über den Canal herausgekommen war, befand sich inmitten des Hafens. Ihre Hißtaue wurden gelöst, der Anker rasselte in den Grund, und sie lag, nach einem kurzen Stoße in Folge der Anspannung der Ankerkette, unbeweglich.
Die Boote befanden sich nur noch wenige Faden von derselben entfernt. Ohne besonderes Mißtrauen zu zeigen, hatte sich doch die ganze Besatzung, wohl bekannt mit dem üblen Rufe der Bewohner von Vitylo, ausreichend bewaffnet, um gegebenen Falles zur Vertheidigung bereit zu sein.
Vorläufig geschah aber nichts. Der Capitän der Sacoleve war, nachdem das Schiff fest lag, mehrmals auf dem Deck hin und zurück gegangen, während seine Leute, ohne sich besonders um die Annäherung jener Boote zu bekümmern, ruhig fortfuhren, die Segel in Ordnung zu bringen und das Verdeck frei zu machen.
Indeß hätte man doch beobachten können, daß sie diese Segel nicht einbanden, sondern sie so weit frei ließen, um sofort wieder auslaufen zu können.
Das erste Boot legte neben dem Backbord der Sacoleve an. Die anderen drängten sogleich nach. Und da die Seitenwände des Fahrzeugs nur niedrig waren, brauchten die Angreifer, welche jetzt ein wüthendes Geschrei ausstießen, sich nur in die Höhe zu schwingen, um sich auf dessen Verdeck zu befinden.
Die Verwegensten derselben eilten nach dem Hintertheile. Einer derselben ergriff eine brennende Stocklaterne und hielt sie dem Capitän vor das Gesicht.
Da ließ dieser durch eine schnelle Handbewegung die Kapuze herabsinken, so daß sein Gesicht in vollem Lichte erschien.
»Eh, sagte er, die Leute von Vitylo erkennen nicht einmal ihren Landsmann Nicolas Starkos?«
Bei diesen Worten kreuzte der Capitän gelassen die Arme. Kurze Zeit darauf stießen die Boote eiligst wieder ab und zogen sich nach dem Hintergrunde des Hafens zurück.