Das Zusammentreffen

So rasten sie noch ungefähr zehn Minuten vorwärts.

Plötzlich lösten sich zwei schwarze Punkte von der Masse, traten hervor, wurden immer dicker und nahmen, je dicker sie wurden, immer mehr die Form von zwei Reitern an.

Oho! sprach d’Artagnan, man kommt uns entgegen.

Desto schlimmer für die Kommenden, versetzte Porthos.

Wer da? rief eine rauhe Stimme.

Die drei Reiter hielten nicht an und antworteten auch nicht. Man hörte nur das Geklirre von Degen, die aus der Scheide gezogen wurden, und das Knarren von Pistolenhähnen, welche die zwei schwarzen Gestalten spannten.

Zügel in die Zähne! sagte d’Artagnan.

Porthos begriff; d’Artagnan und er zogen jeder mit der linken Hand eine Pistole aus ihren Halftern und spannten ebenfalls.

Wer da? rief man zum zweiten Male. Keinen Schritt mehr, oder Ihr seid des Todes!

Bah! antwortete Porthos, beinahe erstickt durch den Staub und an seinem Zügel kauend wie sein Pferd am Gebiß. Bah! wir haben schon andere gesehen.

Bei diesen Worten versperrten die zwei Schatten den Weg, und man sah beim Mondenschein den Lauf ihrer gesenkten Pistolen glänzen.

Zurück! rief d’Artagnan, oder Ihr seid des Todes!

Zwei Pistolenschüsse antworteten auf diese Drohung.

Aber die zwei Angreifenden kamen mit einer solchen Geschwindigkeit heran, daß sie in demselben Augenblick vor ihren Gegnern waren. Es krachte ein dritter Pistolenschuß, von d’Artagnan abgefeuert, und sein Feind fiel. Porthos stieß mit solcher Heftigkeit auf den andern, daß er, obgleich sein Degen abgeglitten war, ihn mit einem Stoße zehn Schritte vom Pferde schleuderte.

Mach fertig, Mousqueton, sagte Porthos.

Und er jagte vorwärts an der Seite seines Freundes, der bereits seine Verfolgung wieder fortgesetzt hatte.

Nun? fragte Porthos.

Ich habe ihm den Kopf zerschmettert, erwiderte d’Artagnan; und Ihr?

Ich habe ihn nur niedergeworfen. Doch halt!

Man hörte einen Karabinerschuß. Es war Mousqueton, der im Vorüberreiten den Befehl seines Herrn vollstreckte.

Frisch auf! sprach d’Artagnan. Das geht gut; die erste Partie haben wir gewonnen!

Ah, ah! versetzte Porthos; hier sind neue Spieler.

Es erschienen in der Tat zwei Reiter, die sich von der Hauptgruppe getrennt hatten, um abermals den Weg zu versperren. Jetzt wartete d’Artagnan nicht einmal, bis man das Wort an ihn richtete.

Platz! rief er, Platz!

Was wollt Ihr? fragte eine Stimme.

Den Herzog! brüllten Porthos und d’Artagnan zugleich.

Ein schallendes Gelächter antwortete, endigte jedoch in einem Seufzer. D’Artagnan hatte den Lacher mit seinem Degen durchbohrt.

Zu gleicher Zeit machten zwei Knalle nur einen Schlag; es waren Porthos und sein Gegner, welche aufeinander schossen.

D’Artagnan wandte sich um und sah Porthos ganz in seiner Nähe.

Bravo, Porthos, sagte er, es scheint mir, Ihr habt ihn getötet.

Ich habe nur das Pferd getroffen, antwortete Porthos.

Was wollt Ihr, mein Lieber? Man trifft nicht mit jedem Schlag eine Fliege, und darf sich nicht beklagen, wenn einmal ein Stich verloren geht.

Was Teufels hat Euer Pferd? sagte Porthos und hielt das seinige an.

Das Pferd d’Artagnans stolperte und fiel auf die Knie, röchelte sodann und streckte sich nieder.

Es hatte die Kugel des ersten Gegners von d’Artagnan in die Brust erhalten.

D’Artagnan stieß einen Fluch aus, daß der Himmel hätte bersten sollen.

Will der gnädige Herr ein Pferd? sagte Mousqueton. – Bei Gott! ob ich eines will? rief d’Artagnan. – Hier, versetzte Mousqueton. – Wie Teufels kommst du zu zwei Handpferden? fragte d’Artagnan und schwang sich auf eines derselben. – Ihre Herren sind tot; ich dachte, sie könnten uns nützlich sein und nahm sie mit.

Während dieser Zeit hatte Porthos seine Pistolen wieder geladen.

Rasch! sprach d’Artagnan, hier sind wieder zwei. – Bei Gott, mir scheint, das geht bis morgen so fort, rief Porthos.

Wirklich rückten zwei weitere Reiter in Eile heran.

He, gnädiger Herr, sagte Mousqueton, der, den Ihr niedergeworfen habt, erhebt sich wieder.

Warum hast du es nicht gemacht, wie mit dem ersten?

Ich hatte keine Hand frei, weil ich zwei Pferde hielt.

Es wurde ein Schuß abgefeuert.

Mousqueton stieß ein Schmerzgeschrei aus.

Ah, gnädiger Herr, rief er, in den andern, gerade in den andern! Dieser Schuß ist das Seitenstück zu dem auf der Straße von Amiens.

Porthos wandte sich wie ein Löwe um und jagte auf den abgesessenen Reiter zu, der seinen Degen zu ziehen versuchte; aber ehe er aus der Scheide war, hatte ihm Porthos einen so furchtbaren Schlag mit seinem Schwertknaufe beigebracht, daß er zusammenstürzte, wie der Ochse unter der Axt des Fleischers.

Seufzend hatte sich Mousqueton von seinem Pferde herabgelassen, denn die Wunde, die er erhalten, gestattete ihm nicht mehr, auf dem Sattel zu bleiben.

Als d’Artagnan die Reiter erblickte, hielt er stille und lud seine Pistolen wieder. Überdies hatte sein neues Pferd einen Karabiner am Sattel befestigt.

Hier bin ich, sagte Porthos, warten wir, oder greifen wir an?

Greifen wir an! sprach d’Artagnan.

Angegriffen! wiederholte Porthos.

Sie stießen ihren Pferden die Sporen in den Bauch.

Die Reiter waren nur noch zwanzig Schritte von ihnen entfernt.

Im Namen des Königs! rief d’Artagnan, laßt uns vorüber.

Der König hat hier nichts zu tun, erwiderte eine düstere, vibrierende Stimme, die aus einer Wolke zu kommen schien, denn der Reiter war von oben bis unten in Staub gehüllt.

Es ist gut, wir werden sehen, ob der König nicht überall durchkommt, versetzte d’Artagnan.

Seht immerhin! rief dieselbe Stimme.

Zwei Pistolenschüsse gingen beinahe gleichzeitig los, der eine von d’Artagnan, der andere von Porthos‘ Gegner abgefeuert. Die Kugel d’Artagnans riß seinem Feinde den Hut fort, die Kugel des Gegners von Porthos drang in den Hals seines Pferdes, das einen Seufzer ausstieß und tot niederstürzte.

Zum letzten Male, wohin wollt Ihr? fragte dieselbe Stimme.

Zum Teufel! antwortete d’Artagnan.

Gut, dann seid ruhig, Ihr werdet zu ihm kommen.

D’Artagnan sah, wie sich der Lauf einer Muskete gegen ihn senkte. Er hatte nicht Zeit, in seine Halfter zu greifen, erinnerte sich jedoch eines Rates, den ihm Athos einst gegeben hatte, und ließ sein Pferd sich bäumen.

Die Kugel schlug dem Tier in den vollen Bauch. D’Artagnan fühlte, daß es unter ihm zusammenbrach, und warf sich mit wunderbarer Behendigkeit auf die Seite.

Ei, bei Gott! sprach dieselbe vibrierende, spöttische Stimme, das ist eine Pferdeschlächterei und kein Männerkampf. Heraus mit dem Schwerte, mein Herr!

Und er sprang von seinem Pferde.

Mit zwei Sprüngen war d’Artagnan seinem Feinde gegenüber, dessen Eisen er an dem seinigen fühlte. D’Artagnan hatte mit seiner gewöhnlichen Geschicklichkeit den Degen in Terz gelegt, was seine Lieblingslage war.

Während dieser Zeit hielt Porthos, hinter seinem sich im Todeskampfe wälzenden Pferde knieend, in jeder Hand eine Pistole.

Mittlerweile hatte der Kampf zwischen d’Artagnan und seinem Gegner begonnen. D’Artagnan griff seiner Gewohnheit gemäß heftig an; aber er fand diesmal einen so meisterlichen Gegner, daß er bedenklich wurde. Zweimal im Quart gefaßt, machte d’Artagnan einen Schritt rückwärts; sein Gegner rührte sich nicht. D’Artagnan kehrte zurück und legte abermals in Terz aus.

Es wurden mehrere Stöße von beiden Seiten ohne Resultate geführt. Die Funken sprangen in Garben von den Degen auf.

Endlich dachte d’Artagnan, es sei der geeignete Augenblick, seine Lieblingsfinte zu benutzen. Er leitete sie geschickt ein und stieß mit Blitzesgeschwindigkeit und mit solcher Kraft, daß er sich für unwiderstehlich hielt.

Der Stoß wurde pariert.

» Mordious!« rief er mit seinem gascognischen Accent.

Bei diesem Ausruf sprang sein Gegner zurück, neigte das entblößte Haupt und bemühte sich, durch die Finsternis das Gesicht d’Artagnans zu unterscheiden. Dieser, der eine Finte befürchtete, hielt sich in der Defensive.

Nehmt Euch in acht, sprach Porthos zu seinem Gegner, ich habe noch meine zwei Pistolen geladen.

Ein Grund mehr für Euch, zuerst zu schießen, antwortete dieser.

Porthos schoß; ein Blitz erleuchtete die Walstätte. Bei diesem Schimmer stießen die zwei andern Kämpfer jeder einen Schrei aus.

Athos! sagte d’Artagnan.

D’Artagnan! sprach Athos.

Athos hob seinen Degen in die Höhe, d’Artagnan senkte den seinen.

Aramis! rief Athos, schießt nicht!

Ah! ah! Ihr seid es, Aramis? sagte Porthos.

Und er warf seine Pistolen weg, während Aramis die seinigen in seine Halfter steckte.

Mein Sohn, sprach Athos und reichte d’Artagnan die Hand.

Athos, erwiderte d’Artagnan, die Hände ringend. Ihr verteidigt ihn also? Und ich habe geschworen, ihn tot oder lebendig zurückzubringen. Ah! ich bin entehrt!

Tötet mich! entgegnete Athos, seine Brust entblößend, wenn Eure Ehre meines Todes bedarf.

O! wehe mir! wehe mir! Es gab nur einen Menschen auf dieser Welt, der mich aufhalten konnte, und das Unglück bringt mir gerade diesen in den Weg! Ah! was werde ich dem Kardinal sagen!

Ihr werdet ihm sagen, mein Herr, antwortete eine mächtige, gebieterische Stimme, er habe gegen mich die zwei einzigen Menschen geschickt, welche die vier Gegner niederwerfen, mit dem Grafen de la Fère und dem Chevalier d’Herblay unbesiegt kämpfen und nur von fünfzig Mann zur Ergebung gebracht werden können.

Der Prinz! sprachen zu gleicher Zeit Athos und Aramis und wandten sich etwas seitwärts, um dem Prinzen Raum zu geben, während d’Artagnan und Porthos einen Schritt rückwärts machten.

Fünfzig Reiter! murmelte d’Artagnan und Porthos.

Schaut um Euch her, wenn Ihr daran zweifelt, sagte der Herzog.

D’Artagnan und Porthos schauten umher; sie waren tatsächlich von einer Truppe berittener Männer umringt.

Bei dem Lärm, den Euer Kampf, mein Herr, verursachte, sagte der Herzog, glaubte ich, Ihr wäret wenigstens zu zwanzig Mann, und ich bin mit allen, die mich umgaben, zurückgekehrt, weil ich nicht immer fliehen, sondern auch einmal das Schwert ziehen wollte; Ihr wäret Euer aber nur zwei?

Ja, Monseigneur, versetzte Athos; aber, wie Ihr gesagt habt, zwei, die so viel wert sind, als zwanzig.

Vorwärts, meine Herren, Eure Degen, sprach der Herzog.

Unsere Degen! rief d’Artagnan, den Kopf erhebend und wieder erwachend. Unsere Degen? Nie!

Nie! wiederholte Porthos.

Einige von den Reitern machten eine Bewegung.

Einen Augenblick, Monseigneur, sprach Athos, nur zwei Worte.

Und er näherte sich dem Prinzen, der sich zu ihm herabneigte, und sagte ihm leise einige Worte ins Ohr.

Wie Ihr wollt, Graf, sprach der Prinz, ich habe zu große Verbindlichkeiten gegen Euch, um Euch Eure erste Bitte abzuschlagen. Entfernt Euch, meine Herren, sagte er zu seiner Eskorte. Meine Herren, d’Artagnan und du Vallon, Ihr seid frei.

Der Befehl wurde sogleich ausgeführt, und d’Artagnan und Porthos bildeten den Mittelpunkt eines weiten Kreises.

Nun d’Herblay, sprach Athos, steigt vom Pferde und kommt.

Aramis stieg ab und näherte sich Porthos, während Athos sich d’Artagnan näherte.

Freund, sagte Athos, bedauert Ihr immer noch, unser Blut nicht vergossen zu haben?

Nein, antwortete d’Artagnan; ich bedaure, uns als Gegner zu sehen, nachdem wir stets so schön vereinigt waren. Ah, fortan wird uns nichts mehr gelingen!

O, mein Gott, nein! Das ist vorbei! versetzte Porthos.

Wohl, so tretet zu uns über! sprach Aramis.

Still, d’Herblay! sagte Athos. Man macht Männern, wie diese hier, keine solchen Vorschläge. Sind sie auf Mazarins Seite getreten, so geschah es, weil ihr Gewissen sie aus diese Seite trieb, wie uns das unsrige auf die Seite des Prinzen trieb.

So sind wir Feinde! rief Porthos. Gottes Blut! wer hätte dies je geglaubt!

D’Artagnan sprach nichts, aber er stieß einen Seufzer aus.

Athos schaute sie an und nahm ihre Hände in die seinigen.

Meine Herren, sprach er, das ist eine recht ernste Sache, und mein Herz leidet, als ob Ihr es durchstochen hättet. Ja, wir sind getrennt, das ist die große, die traurige Wahrheit. Aber Wir haben uns noch nicht den Krieg erklärt; vielleicht haben wir uns noch Bedingungen zu machen; eine letzte Unterredung ist unerläßlich.

Die drei andern stimmten bei.

Wählen wir einen Versammlungsort, fuhr Athos fort, der im Bereich von uns allen liegt, und verabreden wir einfürallemal unser künftiges gegenseitiges Verhältnis. – Place Royale, wenn es Euch zusagt, versetzte d’Artagnan. Place Royale, es sei! sprach Athos als die andern zustimmend nickten. – Und wann? – Morgen abend, wenn Ihr wollt. – Seid Ihr bis dahin zurück? – Ja. – Um welche Stunde? – Um zehn Uhr nachts, wenn es Euch genehm ist. – Ganz recht. – Davon, versetzte Athos, wird Krieg oder Friede abhängen, aber unsere Ehre, meine Freunde, ist dann wenigstens unverletzt. – Ach, murmelte d’Artagnan, unsere Soldatenehre ist verloren! –D’Artagnan, sprach Athos ernst, ich schwöre Euch, es tut mir wehe, daß Ihr daran denkt, während ich nur an eines denke, nämlich, daß wir gegeneinander die Schwerter gekreuzt haben. Ja, fuhr er, schmerzlich den Kopf schüttelnd, fort, ja, Ihr habt es gesagt, das Unglück ist über uns. Kommt, Aramis. – Und wir, Porthos? sagte d’Artagnan, kehren wir zurück und bringen wir dem Kardinal unsere Schande? – Und sagt ihm vor allem, rief eine Stimme, daß ich noch nicht zu alt zur Tätigkeit sei.

D’Artagnan erkannte die Stimme Rocheforts.

Vermag ich etwas für Euch zu tun? fragte der Prinz. – Zeugnis davon ablegen, daß wir getan haben, was wir konnten, Monseigneur. – Seid unbesorgt, es wird geschehen. Gott befohlen, meine Herren. In einiger Zeit sehen wir uns wieder, wie ich hoffe … vor Paris oder vielleicht in Paris, und dann könnt Ihr Eure Revanche nehmen.

Bei diesen Worten grüßte der Herzog mit der Hand, setzte sein Pferd wieder in Galopp und verschwand mit seiner Eskorte in der Dunkelheit.

D’Artagnan und Porthos befanden sich allein auf der Landstraße, mit einem Manne, der zwei Pferde in der Hand hielt.

Sie glaubten, es sei Mousqueton, und näherten sich ihm.

Was sehe ich! rief d’Artagnan. Du bist es Grimaud?

Grimaud! sagte Porthos.

Grimaud bedeutete den zwei Freunden durch ein Zeichen, daß sie sich nicht täuschten.

Und wem gehören die Pferde? fragte d’Artagnan.

Wer gibt sie uns? fragte Porthos.

Der Herr Graf de la Fère.

Athos, Athos! murmelte d’Artagnan, Ihr denkt an alles und seid bei Gott der wahre Edelmann.

Vortrefflich, sagte Porthos. Mir war schon bange, den Marsch zu Fuß machen zu müssen.

Und er schwang sich in den Sattel. D’Artagnan saß bereits zu Pferde.

Nun, wo gehst du hin, Grimaud? Du verläßt deinen Herrn?

Ja, antwortete Grimaud, ich begebe mich wieder zu dem Herrn Vicomte von Bragelonne bei der Armee in Flandern.

Sie machten nun schweigend einige Schritte auf der Landstraße nach Paris; aber Plötzlich hörten sie Klagen, die aus einem Graben zu kommen schienen.

Was ist das? fragte d’Artagnan. – Das ist Mousqueton, antwortete Porthos. – Jawohl, gnädiger Herr, ich bin es, rief eine klägliche Stimme, während sich ein Schatten am Rande der Straße erhob.

Porthos ritt auf seinen Intendanten zu und sagte: Solltest du gefährlich verwundet sein, mein lieber Mouston? – Nein, gnädiger Herr, ich glaube nicht: aber ich bin auf eine sehr unbequeme Weise verwundet. – Du kannst also nicht zu Pferde steigen? – Ah, was schlagt Ihr mir da vor? – Kannst du zu Fuß gehen? – Ich werde es versuchen bis zum ersten Hause. – Was ist zu tun? sprach d’Artagnan. Wir müssen doch nach Paris zurückkehren. – Ich übernehme Mousqueton, versetzte Grimaud. – Ich danke, mein guter Grimaud, sagte Porthos und schlug, einigermaßen über die erste Fürsorge für seinen lieben Intendanten beruhigt, mit d’Artagnan den Weg nach Paris ein.

Drei Stunden nachher wurden sie von einem mit Staub bedeckten Eilboten überholt; es war ein Bote des Herzogs mit einem Briefe, in dem der Prinz seinem Versprechen gemäß Mazarin von dem, was Porthos und d’Artagnan getan hatten, Mitteilung machte.

Mazarin brachte eine sehr schlimme Nacht zu, als er diesen Brief empfing, worin ihm der Prinz ankündigte, er sei frei und stehe im Begriff, einen Krieg auf Leben und Tod mit ihm zu beginnen.

Der Kardinal las ihn zwei- bis dreimal, faltete ihn dann zusammen und steckte ihn in seine Tasche.

Was mich bei der verfehlten Expedition d’Artagnans tröstet, sagte er, ist, daß er wenigstens in seiner Hast diesen Broussel niedergeritten hat. Der Gascogner ist offenbar ein kostbarer Mann und dient mir sogar bei seinen Ungeschicklichkeiten.

Der Mann nämlich, den d’Artagnan bei seinem Ausritt aus Paris niedergeworfen hatte, war niemand anders als der Rat Broussel.

Saint-Denis

Der Tag graute, als Athos aufstand und sich ankleiden ließ; an seiner außergewöhnlichen Blässe und einem ruhelosen Ausdruck in seinen Augen ließ sich leicht erkennen, daß er beinahe die ganze Nacht schlaflos zugebracht haben mußte. Gegen die Gewohnheit des sonst so festen und entschiedenen Mannes lag an diesem Morgen etwas Langsames, Unentschlossenes in seinem ganzen Wesen.

Dies kam daher, daß er sich mit den Vorbereitungen zur Abreise Raouls beschäftigte und Zeit zu gewinnen suchte. Zuerst putzte er selbst ein Schwert, das er aus einer Scheide von seinem Leder nahm, untersuchte, ob der Griff gehörig lag und ob die Klinge gut am Griffe befestigt war.

Dann warf er in ein für den jungen Mann bestimmtes Felleisen ein Säckchen voll Louisd’or, rief Olivain – so hieß der Lakai, der ihm von Blois gefolgt war – und ließ ihn den Mantelsack in seiner Gegenwart packen, wobei er genau darüber wachte, daß alle für einen ins Feld ziehenden jungen Menschen erforderlichen Gegenstände hineingelegt wurden.

Nachdem er beinahe eine Stunde auf alle diese Dinge verwendet hatte, öffnete er die Tür, die in das Zimmer des Vicomte führte, und trat sachte ein.

Die bereits strahlende Sonne drang in das Zimmer durch die breiten Fensterflügel, deren Vorhänge zu schließen Raoul, da er spät zurückgekehrt war, vergessen hatte. Den Kopf anmutig auf den Arm gelehnt, schlief er noch. Seine langen, schwarzen Haare bedeckten halb seine reizende Stirne, die feucht war von dem Schweiß, der in Perlen an den Wangen des müden Jungen herabrollte.

Athos näherte sich und schaute, den Körper vorbeugend, in schwermütiger Haltung lange den Jüngling mit dem lächelnden Munde, mit den halbgeschlossenen Augenlidern an, dessen Traum süß, dessen Schlaf leicht sein mußte, so viel Liebe und Sorgfalt verwandte sein Schutzengel auf seine stumme Bewachung. Allmählich versank Athos im Angesicht dieser so reichen, so reinen Jugend in eine zauberhafte Träumerei. Seine Jugend tauchte wieder in seinem Innern auf, mit allen ihren süßen Erinnerungen, welche mehr Wohlgerüche sind, als Gedanken. Aber dann dachte er daran, daß der ganze erste Teil seines Lebens von einer Frau zertrümmert worden war, und er überlegte sich mit Schrecken, wie verhängnisvoll die Liebe auf eine zugleich so zarte und so kräftige Organisation wirken könnte.

In diesem Augenblick erwachte Raoul; seine Augen hefteten sich auf die von Athos, und er begriff ohne Zweifel alles, was in dem Herzen dieses Mannes vorging, der sein Erwachen erwartete, wie ein Liebender auf das Erwachen der Geliebten harrt, denn sein Blick nahm nun ebenfalls den Ausdruck unendlicher Liebe an.

Ihr wart hier? sprach er ehrfurchtsvoll. – Ja, Raoul, ich war hier, erwiderte der Graf. – Und Ihr wecktet mich nicht? – Ich wollte Euch noch einige Augenblicke diesem guten Schlaf überlassen, mein Freund. Ihr müßt müde sein von dem gestrigen Tage her, der sich bis in die Nacht hinein verlängert hat. – O Herr, wie gut seid Ihr! rief Raoul.

Athos lächelte und sagte: Wie befindet Ihr Euch? – Vollkommen wohl, Herr, und völlig ausgeruht und heiter. – Ihr wachset noch, fuhr Athos mit der väterlichen Teilnahme des reifen Mannes für den Jüngling fort, und die Anstrengungen wirken doppelt in Eurem Alter. – Ah! Herr, ich bitte um Vergebung, sprach Raoul, beschämt durch so große Zuvorkommenheit, aber ich werde im Augenblick angekleidet sein.

Athos rief Olivain, und nach Verlauf von zehn Minuten war der Jüngling mit der Pünktlichkeit, die ihn Athos gelehrt hatte, zum Aufbruch bereit.

Nun besorge mein Gepäck, sagte Raoul zu dem Lakaien.

Euer Gepäck erwartet Euch, Raoul, sprach Athos; ich habe Euer Felleisen unter meinen Augen packen lassen, und es wird Euch nichts fehlen. Es muß bereits nebst dem Mantelsack des Lakaien auf den Pferden sein, wenn man die Befehle, die ich gegeben, befolgt hat.

Alles ist nach dem Willen des Herrn Grafen geschehen, sagte Olivain, und die Pferde harren unten.

Und ich schlief! rief Raoul, während Ihr, Herr, die Güte hattet, Euch mit allen diesen kleinen Sorgen zu bemühen! O! in der Tat, Ihr überhäuft mich mit Wohltaten!

Ihr liebt mich also ein wenig, wie ich hoffe? versetzte Athos mit beinahe gerührtem Tone.

O Herr! rief Raoul, der, um seine innere Erschütterung nicht durch einen Ausbruch von Zärtlichkeit kundzugeben, sich bis zum Ersticken zusammennahm. O! Gott ist mein Zeuge, daß ich Euch liebe und verehre!

Seht, ob nichts vergessen ist, sprach Athos und gab sich den Anschein, als suche er noch etwas, um seine Rührung zu verbergen.

Nein, Herr, sprach Raoul.

Der Lakai näherte sich Athos zögernd und sagte leise zu ihm: Der Herr Vicomte hat keinen Degen, denn der Herr Graf hieß mich gestern den, welchen er ablegte, wegnehmen.

Schon gut, antwortete Athos, das ist meine Sache.

Raoul schien dieses Zwiegespräch nicht zu bemerken. Er stieg hinab und schaute dabei jeden Augenblick den Grafen an, um zu sehen, ob der Augenblick des Scheidens gekommen sei. Aber Athos‘ Gesicht veränderte sich nicht im geringsten. Als Raoul die Freitreppe erreichte, erblickte er drei Pferde.

O Herr! rief er ganz strahlend, Ihr begleitet mich also?

Ich will Euch ein wenig führen, antwortete Athos.

Die Freude glänzte in Raouls Augen, und er schwang sich leicht auf sein Pferd. Athos bestieg langsam das seinige, nachdem er zuvor leise ein Wort zu dem Lakaien gesagt hatte, der, statt unmittelbar zu folgen, sich wieder in die Wohnung zurück begab. Entzückt, in der Gesellschaft des Grafen zu sein, bemerkte Raoul nichts oder stellte sich wenigstens, als bemerke er nichts.

Die Edelleute schlugen den Weg nach dem Pont neuf ein und gelangten eben an die Rue Saint-Denis, als der Lakai sie wieder einholte. Der Weg wurde stillschweigend zurückgelegt. Raoul fühlte wohl, daß der Augenblick der Trennung herannahte. Die Blicke des Grafen waren noch zärtlicher und liebevoller. Von Zeit zu Zeit entschlüpften ihm eine Betrachtung oder ein Rat, und seine Worte waren voll wohlwollender Fürsorge.

Als sie den Pont Saint-Denis hinter sich hatten und auf die Höhe des Rekollektenklosters gelangt waren, warf Athos einen Blick auf das Pferd des Vicomte und sagte: Nehmt Euch wohl in acht, Raoul, Ihr habt eine schwere Hand, ich hab‘ es Euch oft gesagt, Ihr müßt das nicht vergessen, denn das ist ein großer Fehler für einen Reiter. Seht, Euer Pferd ist bereits müde, es schäumt, während das meinige gerade aus dem Stalle zu kommen scheint. Ihr macht ihm ein hartes Maul, wenn Ihr das Gebiß so stark anzieht, und könnt es dann nicht mit der erforderlichen Behendigkeit manövrieren lassen. Das Glück eines Reiters hängt zuweilen von dem raschen Gehorsam seines Pferdes ab. Bedenkt wohl, in acht Tagen manövriert Ihr nicht mehr in einer Reitschule, sondern auf einem Schlachtfelde.

Ich habe noch etwas anderes bemerkt, fuhr er fort, Ihr haltet beim Pistolenschießen den Arm zu gestreckt; durch diese Spannung verliert der Schuß die Pünktlichkeit. Unter zwölfmal verfehlt Ihr dreimal das Ziel.

Das Ihr zwölfmal träfet, erwiderte Raoul lächelnd.

Weil ich den Arm etwas bog und so die Hand auf meinem Ellenbogen ruhen ließ. Begreift Ihr wohl, was ich damit sagen will?

Ja, Herr, ich habe seitdem, wenn ich allein schoß, Euern Rat beachtet, und meine Bemühungen waren vom günstigsten Erfolg begleitet.

Seht, versetzte Athos, das ist gerade wie beim Fechten: Ihr greift Euern Gegner zu sehr an. Ich weiß wohl, das ist ein Fehler Eures Alters, aber die Bewegung des Körpers beim Angreifen bringt stets den Degen von der Linie ab, und wenn Ihr es mit einem Manne von kaltem Blut zu tun hättet, so würde er Euch bei Eurem ersten Schritt durch einfaches Losmachen Eurer Klinge oder durch einen geraden Stoß überwinden.

Ja, Herr, wie Ihr es oft getan habt. Aber nicht jeder besitzt Eure Geschicklichkeit und Euren Mut.

Welch ein frischer Wind! sprach Athos. Doch hört, wenn Ihr ins Feuer geht, und das wird nicht ausbleiben, denn Ihr seid einem jungen General empfohlen, der das Pulver ungemein liebt, so erinnert Euch wohl: im Einzelkampfe schießt nie zuerst; wer zuerst schießt, trifft selten seinen Mann, denn er schießt mit der Furcht, einem bewaffneten Feind gegenüber entwaffnet zu bleiben. Dann wenn Euer Gegner schießt, laßt Euer Pferd sich bäumen; dieses Manöver hat mir zwei- oder dreimal das Leben gerettet.

Ich werde es anwenden, und wäre es nur aus Dankbarkeit.

Dann noch etwas Wichtiges, Raoul: wenn Ihr bei einem Angriff verwundet werdet, wenn Ihr vom Pferde fallt und es bleibt Euch noch etwas Kraft, so schleppt Euch von der Linie ab, die Euer Regiment verfolgt hat; denn es kann zurückgeführt werden, und die Pferde zertreten Euch mit den Hufen. Jedenfalls schreibt mir sogleich oder laßt mir schreiben, wenn Ihr verwundet seid; wir verstehen uns auf Wunden, fügte Athos bei.

Ich danke Euch, Herr, antwortete der junge Mensch ganz bewegt.

Ah, wir sind in Saint-Denis, murmelte Athos.

Sie gelangten wirklich zu dem Tore dieser Stadt, an dem zwei Soldaten Wache standen. Der eine sagte zum andern: Das ist ein junger Edelmann, der aussieht, als wollte er sich zum Heere begeben.

Sie zogen durch die Straßen der Stadt, die des Festtags wegen voll Menschen waren, und man gelangte vor die alte Basilika, in der die erste Messe gelesen wurde.

Steigt ab, Raoul, sprach Athos. Du, Olivain, bewache unsere Pferde und gib mir den Degen.

Athos nahm den Degen in die Hand, den ihm der Lakai reichte, und die beiden Edelleute traten in die Kirche.

Athos bot Raoul Weihwasser. Der Jüngling berührte Athos‘ Hand und bekreuzte sich.

Athos sagte ein Wort zu einem der Wächter; dieser verbeugte sich und schritt der Gruft zu.

Kommt, Raoul, sagte Athos, wir wollen diesem Manne folgen.

Der Wächter öffnete das Gitter der königlichen Gräber und blieb auf der obersten Stufe stehen, während Athos und Raoul hinabstiegen. Die Grufttreppe war in der Tiefe von einer silbernen Lampe beleuchtet, die auf der untersten Stufe brannte, und gerade über dieser Lampe ruhte, in einen weiten, mit goldenen Lilien bestreuten Mantel von veilchenblauem Sammet gehüllt, ein von eichenen Gestellen getragener Katafalk.

Der Jüngling war langsamen, feierlichen Schritts hinabgestiegen und stand mit entblößtem Haupte vor dieser sterblichen Hülle des letzten Königs.

Es herrschte einen Augenblick Stillschweigen. Dann hob Athos die Hand auf und deutete mit dem Finger auf den Sarg.

Dieses unsichere Grab, sprach er, ist das eines schwachen, aller Größe ermangelnden Menschen, dessen Regierung jedoch voll ungeheurer Ereignisse war, denn über diesem König wachte der Geist eines andern Mannes, wie die Lampe hier über diesem Sarge wacht und ihn beleuchtet. Dies war der wahre König, Raoul; der andere war nur ein Phantom, in das er seine Seele legte. Und dennoch ist die monarchische Majestät so mächtig bei uns, daß dieser Mann nicht einmal die Ehre eines Grabes zu den Füßen dessen genießt, für den er sein ganzes Leben aufgebraucht hat. Denn, vergeßt nicht, Raoul, wenn dieser Mann den König klein gemacht hat, so hat er das Königtum groß gemacht; zweierlei gibt es im Louvre: den König, der stirbt, und das Königtum, das nicht stirbt. Diese Regierung ist vorüber. Raoul, es ist mir, als erblickte ich Eure Zukunft wie durch eine Wolke; sie ist, glaube ich, besser als die unsere. Während wir einen Minister ohne König hatten, werdet Ihr einen König ohne Minister haben. Ihr könnt also dem König dienen, ihn lieben und achten. Ist dieser König aber ein Tyrann, was leicht sein könnte, so dient dem Königtum, das heißt, der unfehlbaren Sache, dem Geiste Gottes auf Erden, diesem himmlischen Funken, der den Staub so groß und so heilig macht, daß wir Edelleute, wenn auch von hoher Geburt, doch vor diesem auf der obersten Stufe der Leiter weilenden Körper so wenig sind, als dieser Körper selbst vor dem Throne Gottes.

Ich werde Gott anbeten, Herr, sprach Raoul; ich werde das Königtum ehren, dem König dienen und danach trachten, daß ich, wenn ich sterbe, für den König, für das Königtum oder für Gott sterbe. Habe ich Euch wohl begriffen?

Athos lächelte und sprach: Ihr seid eine edle Natur, hier ist Euer Degen.

Raoul setzte ein Knie auf die Erde.

Er wurde von meinem Vater, einem wackern Edelmanne, getragen; ich habe ihn ebenfalls getragen und ihm zuweilen Ehre gemacht, wenn sein Griff in meiner Hand lag und seine Scheide an meiner Seite hing.

Herr, sprach Raoul, den Degen aus den Hand des Grafen empfangend, ich habe Euch alles zu verdanken, doch dieses Schwert ist das kostbarste Geschenk, das Ihr mir gemacht habt. Ich schwöre Euch, ich werde es mit dankerfülltem Herzen tragen.

Und er näherte seine Lippen dem Griff, den er ehrfurchtsvoll küßte.

Gut, sprach Athos. Steht auf, Vicomte, und umarmen wir uns.

Raoul stand auf und warf sich mit der vollen Glut seiner Gefühle Athos in die Arme.

Gott befohlen, murmelte der Graf, der sein Herz zerschmelzen fühlte, Gott befohlen und denkt an mich.

O! ewig! ewig! rief der Jüngling. O! ich schwöre Euch, Herr, wenn mir Unglück widerfährt, ist Euer Name der letzte, den ich ausspreche, die Erinnerung an Euch mein letzter Gedanke.

Athos stieg rasch wieder die Treppe hinauf, um die heftige Bewegung seines Gemütes zu verbergen, gab dem Wächter der Gräber ein Goldstück, verbeugte sich vor dem Altar und erreichte mit großen Schritten die Kirchenpforte, vor der Olivain mit den zwei andern Pferden wartete.

Olivain, sagte er, du begleitest jetzt den Herrn Vicomte, bis Grimaud Euch eingeholt hat; ist er gekommen, so verläßt du den Herrn Vicomte. Ihr versteht, Raoul, Grimaud ist ein alter Diener, voll Mut und Klugheit; Grimaud wird Euch folgen.

Ja, Herr, sprach Raoul.

Auf, zu Pferde, daß ich Euch wegreiten sehe.

Raoul gehorchte.

Gott befohlen, Raoul, Gott befohlen, mein lieber Junge!

Gott befohlen, Herr! rief Raoul, Gott befohlen, geliebter Beschützer!

Eine Nachtrunde

Zehn Minuten nachher entfernte sich die kleine Truppe durch die Rue des Bons-Enfants. Der Anblick der Stadt bot alle Merkmale großer Aufregung; zahlreiche Gruppen durchzogen die Straßen und blieben stille stehen, um die sechs Reiter mit drohenden und spöttischen Mienen vorüberziehen zu sehen. Von Zeit zu Zeit vernahm man Lärm aus der Gegend der Hallen. Flintenschüsse knallten in der Richtung der Rue Saint-Denis, und zuweilen begann plötzlich, ohne daß man wußte warum, von der Volkslaune in Bewegung gesetzt, eine Glocke zu läuten.

D’Artagnan verfolgte seinen Weg mit der Sorglosigkeit eines Mannes, auf den dergleichen Lappalien keinen Eindruck machen. Hielt sich eine Gruppe mitten in der Straße, so spornte er sein Pferd gegen sie, ohne Achtung zu rufen, und siehe da, Rebellen oder Nichtrebellen, sie schienen zu wissen, mit wem sie es zu tun hatten, sie öffneten ihre Reihen und ließen die Patrouille durchziehen. Der Kardinal beneidete ihn um diese Ruhe, die er der Gewöhnung an Gefahren zuschrieb, aber er faßte darum nicht minder für den Offizier, unter dessen Befehle er sich für den Augenblick gestellt hatte, jene Achtung, welche selbst die Klugheit dem sorglosen Mute zugesteht.

Als man sich dem Posten der Barriere des Sergens näherte, rief die Wache: Wer da? D’Artagnan antwortete und rückte, nachdem er den Kardinal um das Losungswort gefragt hatte, vor.

Dort ist Herr von Comminges, der diesen Posten befehligt, sagte d’Artagnan zu dem Kardinal.

Der Kardinal lenkte sein Pferd auf diesen Offizier zu, der mit einem anderen berittenen Offizier plauderte. D’Artagnan blieb aus Diskretion zurück.

Bravo, Guitaut, sprach der Kardinal zu dem Reiter, ich sehe, haß Ihr trotz Eurer vierundsechzig Jahre immer noch derselbe seid, immer munter, immer rüstig; was sagtet Ihr zu diesem jungen Manne?

Monseigneur, ich sagte ihm, daß der heutige Tag sehr einem aus der Zeit der Ligue gleiche, die ich in meinen Jugendjahren gesehen habe. Wißt Ihr, daß sie schon von Barrikadenbauen reden?

Und was antwortete Euch Herr von Comminges, mein lieber Guitaut?

Monseigneur, sprach Comminges, ich antwortete, zu einer Ligue fehlt heute etwas Wesentliches, nämlich ein Herzog von Guise; überdies macht man nicht zweimal das Gleiche.

Nein, aber sie werden statt einer Ligue eine Fronde machen, sagte Guitaut.

Was ist das, eine Fronde?

Monseigneur, das ist der Name, den sie ihrer Partei geben.

Und woher kommt dieser Name?

Der Rat Bachaumont soll vor einigen Tagen im Palaste gesagt haben, alle Empörer gleichen den Burschen, welche in den Gräben von Paris mit der Schleuder spielen (französisch: fronder ) und sich zerstreuen, sobald der Polizeileutnant kommt, um sich abermals zu versammeln, wenn er vorübergegangen ist. Sie haben das Wort aufgeschnappt, und nennen sich Frondeurs; heute und gestern war alles à la Fronde, das Brot, die Hüte, die Handschuhe, die Muffe, die Fächer; doch halt, hört einmal. – Man hörte ganz deutlich singen:

Ein Frondewind
Bläst frisch und munter,
Bläst Mazarin
Den Hut herunter.

Der Unverschämte! murmelte Comminges. Soll ich diesem Kerl eine Kugel zuschicken, um ihn besser singen zu lehren?

Nein, nein, rief Mazarin. Diavolo, mein lieber Freund, Ihr würdet alles verderben; es geht im Gegenteil vortrefflich. Ich kenne Eure Franzosen vom ersten bis zum letzten, wie wenn ich sie gemacht hätte: sie singen und werden bezahlen. Komm, Guitaut, komm, wir wollen nachsehen, ob man bei Quinze-Vingts ebensogut Wache hält, als an der Barriere des Sergens.

Das ist richtig, murmelte Comminges, als er ihn wegreiten sah, wenn man ihn nur bezahlt, mehr verlangt er nicht.

Man schlug wieder den Weg in die Rue Saint Honoré ein, wobei man fortwährend Gruppen auseinander sprengte. In diesen Gruppen sprach man nur von den Edikten; man beklagte den jungen König, der auf diese Art, ohne es zu wissen, sein Volk zu Grunde richtete; man warf die ganze Schuld auf Mazarin; man sprach davon, sich an den Herzog von Orleans und an den Prinzen zu wenden; man pries Blancmesnil und Broussel.

D’Artagnan ritt mitten durch diese Gruppen so sorglos, als ob er und sein Pferd von Eisen wären; Mazarin und Guitaut plauderten ganz leise miteinander; die übrigen Musketiere, die endlich den Kardinal erkannt hatten, folgten stillschweigend.

Man kam in die Rue Saint-Thomas-du-Louvre, wo der Posten der Quinze-Vingts war, und ritt, da sich hier alles ruhig verhielt, zu dem dritten Posten an der Butte Saint Roch. Diesen befehligte der Kapitän der Garden des Königs, Villequier, der dem Kardinal heftig grollte. Er hatte sich besonders zurückgesetzt gefühlt, weil Mazarin seinerzeit die Verhaftung des Herzogs von Beaufort nicht durch ihn, obwohl er der einzig Berechtigte dazu gewesen sei, sondern durch Guitaut habe ausführen lassen.

Auf Befehl Mazarins, der sich selbst zurückhielt, ritt sein Begleiter aus Villequier zu.

Ah, Ihr seid es, Guitaut, sprach dieser mit seinem gewöhnlichen übellaunigen Tone. Was zum Teufel wollt Ihr hier?

Ich komme, um Euch zu fragen, ob es hier etwas Neues gebe?

Was zum Teufel soll es hier geben? Man ruft: Es lebe der König und nieder mit Mazarin! Das ist nichts Neues: wir sind schon seit geraumer Zeit an dieses Geschrei gewöhnt.

Und Ihr macht Chorus dazu, erwiderte Guitaut lachend.

Meiner Treu, ich fühle oft große Lust in mir, und ich finde, daß sie ganz recht haben, Guitaut. Gern gäbe ich fünf Jahre von meinem Gehalt, wenn der König fünf Jahre älter wäre.

Wirklich! Und was würde geschehen, wenn der König fünf Jahre älter wäre?

Dann käme doch der Augenblick, wo der König volljährig würde und seine Befehle selbst geben müßte, und, wahrlich, es ist doch mehr Vergnügen dabei, dem Enkel Heinrichs IV., als dem Sohne des Pietro Mazarin zu gehorchen. Für den König, Mord und Hölle, ließe ich mich mit Vergnügen töten; wenn ich aber für Mazarin getötet würde, wie dies heute Eurem Neffen beinahe widerfahren wäre, so könnte kein Paradies, so schön es auch wäre, mich je darüber trösten!

Und er wandte sich auf den Fersen um und kehrte, eine Fronde-Melodie pfeifend, in die Wachtstube zurück.

Mazarin kam ganz nachdenklich in seinen Palast zurück. Was er nach und nach von Comminges, von Guitaut und von Villequier gehört hatte, bestätigte ihn in der Ansicht, daß er im Fall ernster Ereignisse niemand für sich hätte, als die Königin, und auch die Königin hatte so oft ihre Freunde verlassen, daß ihre Unterstützung dem Minister, trotz der Vorsichtsmaßregeln, die er getroffen, sehr ungewiß und zweifelhaft erschien.

Während dieses ganzen nächtlichen Rittes hafte der Kardinal einen Mann prüfend betrachtet. Dieser Mann, welcher bei dem Drohgeschrei des Volkes ganz gleichgültig geblieben war, und dessen Gesicht sich bei den Scherzen Mazarins, sowie den Anspielungen der andern nicht im mindesten verändert hatte, dieser Mensch erschien ihm ein ganz besonderes, in der Gegenwart und in der nächsten Zukunft recht brauchbares Wesen.

Überdies war ihm der Name d’Artagnan nicht ganz unbekannt, und obgleich er erst gegen 1634 oder 1635, d. h. sieben oder acht Jahre nach den von uns in den Drei Musketieren, erzählten Ereignissen, nach Frankreich gekommen war, so schien es dem Kardinal doch, als hätte er von ihm als von einem Manne gehört, der sich als ein Muster von Mut, Gewandtheit und Ergebenheit bemerkbar gemacht hatte.

Dieser Gedanke bemächtigte sich seiner so sehr, daß er sich ungesäumt Licht zu verschaffen beschloß. Aber die Auskunft, die er über d’Artagnan zu erhalten wünschte, durfte er nicht von d’Artagnan selbst verlangen. An den wenigen Worten, die der Leutnant der Musketiere gesprochen hatte, erkannte der Kardinal seinen gascognischen Ursprung, und Italiener und Gascogner kennen einander zu gut und gleichen sich zu sehr, um gegenseitig an das zu glauben, was sie von sich sagen. Als er daher an den Garten des königlichen Schlosses gelangte, ersuchte er d’Artagnan, ihn im Schloßhofe zu erwarten, und machte Guitaut ein Zeichen, ihm in den Garten zu folgen.

Mein lieber Guitaut, sprach er sodann, sich auf den Arm des alten Kapitäns der Garden stützend, ich nahm Euch mit, um Euch zu fragen, ob Ihr unsern Musketierleutnant bemerkt habt? – Ich habe nicht mehr nötig gehabt, ihn zu bemerken, denn ich kenne ihn seit geraumer Zeit. – Was ist er für ein Mensch? – Wie denn? sprach Guitaut, über diese Frage erstaunt. Er ist ein Gascogner. – Ja, ich weiß das, aber ich wollte Euch fragen, ob er ein Mann sei, in den man Vertrauen setzen könne? – Herr von Treville hält große Stücke auf ihn, und Herr von Treville ist, wie Ihr wißt, einer der ergebensten Freunde der Königin. – Ich wünschte zu wissen, ob er ein Mann ist, der seine Proben bestanden hat? – Wenn Ihr darunter versteht, ob er ein braver Soldat sei, so kann ich Euch mit ja antworten. Bei der Belagerung von La Rochelle und bei Perpignan hat er, wie ich hörte, mehr als seine Pflicht getan. – Aber Ihr wißt, Guitaut, wir armen Minister bedürfen oft noch anderer Männer, als der Tapferen. Wir brauchen geschickte Leute. War Herr d’Artagnan zur Zeit des Kardinals nicht in eine Intrigue verwickelt, in der er sich dem Gerüchte zufolge mit großer Gewandtheit benommen hat? – Monseigneur, sagte Guitaut, der wohl einsah, daß ihn der Kardinal zum Sprechen bringen wollte, in dieser Beziehung sehe ich mich genötigt, Eurer Eminenz zu sagen, daß ich nicht mehr weiß, als was Ihr selbst durch öffentliche Gerüchte erfahren konntet. Ich meinerseits habe mich nie in Intriguen gemischt und bin immer nur ein Kriegsmann gewesen. Wendet Euch an irgend einen Intriganten der Zeit, von der Ihr sprecht, und Ihr werdet bekommen, was Ihr haben wollt, wohl verstanden, wenn Ihr bezahlt. – Ei, bei Gott, versetzte Mazarin mit einer Grimasse, die er unwillkürlich zu machen pflegte, wenn man bei ihm die Geldfrage im Sinne Guitauts berührte … man wird bezahlen … wenn man es nicht anders machen kann. – Fordert mich Monseigneur im Ernste auf, ihm einen Mann zu nennen, der in alle Kabalen dieser Zeit verwickelt war? – Per Bacco! versetzte Mazarin, der nachgerade ungeduldig wurde, wer ist dieser Mann? – Der Graf von Rochefort. – Der Graf von Rochefort? – Leider ist er seit bald vier oder fünf Jahren verschwunden, und ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist. – Ich werde es erfahren, Guitaut, sprach Mazarin. Ihr glaubt also, Rochefort … – Er war der ergebenste Anhänger des Kardinals, Monseigneur. Aber ich sage Euch zum voraus, es wird Euch viel kosten, der Kardinal war verschwenderisch gegen seine Kreatur. – Ja, ja. Guitaut, sagte Mazarin, er war ein großer Mann, aber er hatte diesen Fehler; ich danke, Guitaut, ich werde Euren Rat benutzen und zwar noch diesen Abend.

Und da in diesem Augenblick die zwei Sprechenden zu dem Hof des Palais Royal gelangt waren, so grüßte der Kardinal Guitaut mit einem Zeichen der Hand und näherte sich einem Offizier, den er auf- und abgehen sah.

Es war d’Artagnan, der nach dem Befehl des Kardinals ihn erwartete.

Kommt, Herr d’Artagnan, sprach Mazarin mit seiner flötenweichsten Stimme, ich habe Euch einen Auftrag zu geben.

Der Kardinal ging in sein Zimmer, schrieb ein paar Zeilen auf ein Blatt, faltete es zusammen, siegelte es und sprach: Herr d’Artagnan, Ihr tragt diese Depesche in die Bastille und bringt die Person zurück, auf die sie sich bezieht. Nehmt einen Wagen und berittene Begleitung und bewacht den Gefangenen sorgfältig.

D’Artagnan nahm den Brief, legte die Hand an seinen Hut, drehte sich auf dem Absatz um, wie es nur der geschickteste Sergeant beim Vorexerzieren machen kann, ging hinaus, und einen Augenblick nachher hörte man ihn mit seinem kurzen Ton kommandieren: Vier Mann Eskorte, einen Wagen, mein Pferd!

Fünf Minuten nachher vernahm man Wagengerassel und den Hufschlag der Pferde auf dem Pflaster des Hofes.

Marie Michons Abenteuer

Ungefähr um dieselbe Stunde, wo die Fluchtpläne zwischen dem Herzog von Beaufort und Grimaud entworfen wurden, ritten zwei Männer, gefolgt von einem Bedienten, durch die Rue du Faubourg Saint-Marcel in Paris ein. Diese zwei Männer waren der Graf de la Fère und der Vicomte von Bragelonne.

Die Reisenden hielten in der Rue du Vieux-Colombier vor dem Gasthof Zum grünen Fuchs an. Athos kannte die Taverne seit geraumer Zeit. Hundertmal war er mit seinen Freunden dahingekommen; aber seit zwanzig Jahren waren, bei den Wirtsleuten anzufangen, vielfache Veränderungen in diesem Hotel vorgegangen.

Die Reisenden überließen ihre Pferde den Knechten, und da es edle Tiere waren, so befahlen sie, ihnen nur Stroh und Hafer zu geben und die Brust und die Beine mit warmem Weine zu waschen. Sie hatten zwanzig Meilen in einem Tage zurückgelegt. Nachdem sie sich, wie sich’s für echte Kavaliere ziemt, zuerst mit ihren Pferden beschäftigt hatten, verlangten sie zwei Zimmer für sich.

Ihr werdet Toilette machen, Raoul, sprach Athos, ich stelle Euch jemand vor.

Heute, Herr? fragte der Jüngling.

Der Jüngling verbeugte sich.

Nicht so ausdauernd wie Athos, der von Eisen zu sein schien, würde er vielleicht ein Bad in der Seine vorgezogen haben. Dann wäre ihm wohl ein Bett willkommener gewesen, aber der Graf de la Fère hatte gesprochen, und er dachte nur daran, ihm zu gehorchen.

Kleidet Euch sorgfältig, Raoul, sagte Athos, man soll Euch schön finden.

Ich hoffe, Herr, erwiderte der Jüngling lächelnd. Es handelt sich doch nicht um eine Heirat? Ihr kennt meine Verbindung mit Luise.

Athos lächelte ebenfalls.

Nein, seid ruhig, sprach er, obgleich ich Euch einer Dame vorstellen werde.

Einer Dame? sagte Raoul.

Ja, ich wünsche sogar, daß Ihr sie liebt.

Der junge Mensch schaute den Grafen mit einer gewissen Unruhe an; aber Athos‘ Lächeln beruhigte ihn bald wieder.

Und wie alt ist sie? fragte der Vicomte von Bragelonne.

Mein lieber Raoul, sagte Athos, vernehmet ein- für allemal, daß dies eine Frage ist, die man nie tut. Wenn Ihr auf dem Gesicht einer Frau ihr Alter lesen könnt, so ist es unnütz, sie zu fragen; könnt Ihr es nicht, so ist es indiskret.

Ist sie schön?

Vor sechzehn Jahren galt sie nicht nur für die schönste, sondern auch für die anmutigste Frau Frankreichs.

Diese Antwort beruhigte den Vicomte völlig. Athos konnte ihn nicht mit einer Frau verbinden wollen, die schon ein Jahr vor seiner Geburt für die hübscheste und anmutigste Dame Frankreichs gegolten hatte.

Er zog sich also in sein Zimmer zurück und bemühte sich, mit der Koketterie, die der Jugend so gut steht, Athos‘ Auftrag Folge zu leisten, das heißt, sich so schön als möglich zu machen. Bei dem aber, was die Natur für ihn getan hatte, war dies ein Leichtes.

Als er wieder erschien, empfing ihn Athos mit dem väterlichen Lächeln, mit dem er einst d’Artagnan empfangen hatte, das aber Raoul gegenüber eine noch tiefere Zärtlichkeit abspiegelte.

Athos warf einen Blick auf Füße, auf Hände und Haare des Jünglings, diese drei aristokratischen Kennzeichen. Seine schwarzen Haare waren gleichmäßig abgeteilt, wie man sie in jener Zeit trug, und fielen, sein Gesicht umrahmend, auf die Schultern herab. Handschuhe von grauem Damhirschleder, welche mit seinem Hute im Einklang standen, hoben eine feine, elegante Hand hervor, während seine Stiefel von derselben Farbe, wie seine Handschuhe und sein Hut, einen Fuß umspannten, der einem zehnjährigen Kinde zu gehören schien.

Gut, murmelte er; wenn sie nicht stolz auf ihn ist, so muß sie sehr anspruchsvoll sein.

Es war drei Uhr nachmittags, das heißt, die schickliche Stunde zu Besuchen. Die zwei Reisenden gingen nach der Rue de Grenelle, schlugen den Weg nach der Rue des Rosiers ein, traten in die Rue Saint-Dominique und hielten vor einem prachtvollen Hotel an, das den Jakobinern gegenüber lag und mit dem Wappen des Hauses Luynes geschmückt war.

Hier ist es, sprach Athos.

Er trat in den Palast mit dem festen, sichern Schritte, der dem Portier andeutet, daß der Eintretende das Recht hat, so zu handeln. Er stieg die Treppe hinauf, wandte sich an einen Bedienten, der in großer Livree wartete, und fragte, ob die Frau Herzogin von Chevreuse den Herrn Grafen de la Fère empfangen könne.

Einen Augenblick nachher kam der Lakai zurück und sagte, obgleich die Frau Herzogin von Chevreuse nicht die Ehre habe, den Herrn Grafen de la Fère zu kennen, so bitte sie ihn doch, eintreten zu wollen.

Athos folgte dem Bedienten, der ihn eine lange Reihe von Zimmern durchwandern ließ, und blieb endlich vor einer geschlossenen Türe stehen. Man fand sich in einem Salon. Athos machte dem Vicomte von Bragelonne ein Zeichen, da zu verweilen, wo er war.

Der Lakai öffnete und meldete den Herrn Grafen de la Fère.

Frau von Chevreuse, von der wir so oft in den Drei Musketieren gesprochen haben, ohne sie selbst unsern Lesern vorzustellen, galt immer noch für eine sehr schöne Frau. Obgleich sie zu dieser Zeit 44 bis 45 Jahre alt war, so schien sie doch kaum 38 bis 39 zu zählen. Sie besaß immer noch ihre schönen blonden Haare, ihre großen, lebhaften, verständigen Augen, welche die Intrige so oft geöffnet und die Liebe so oft geschlossen hatte, und ihren Nymphenwuchs, der sie, wenn man sie von hinten erblickte, immer wie ein junges Mädchen erscheinen ließ.

Sie war übrigens immer noch das tolle Geschöpf, das seinen Liebschaften ein solches Gepräge von Originalität verliehen hatte, daß ganz Frankreich davon erfüllt war.

Die Herzogin befand sich in einem überaus prächtigen kleinen Boudoir, dessen Fenster aus den Garten ging. Sie hielt in der Hand ein halb geöffnetes Buch, und der Arm, der das Buch hielt, ruhte auf einem Kissen. Bei der Meldung des Bedienten erhob sie sich ein wenig und reckte neugierig den Kopf vor.

Athos erschien. Er war in veilchenblauen Samt mit ähnlichen Posamenten gekleidet. Die Nesteln waren von mattem Silber, seine Mantel hatte eine goldene Stickerei, und eine einzige veilchenblaue Feder schwankte an seinem schwarzen Hut.

Er trug Stiefel von schwarzem Leder, und an seinem Gürtel hing der Degen mit dem prachtvollen Griffe, den Porthos so oft in der Rue Feron bewundert hatte. Herrliche Spitzen bildeten den zurückgeschlagenen Kragen seines Hemdes, Spitzen fielen auch an seinen Stiefeln herab.

In der ganzen Person des Mannes, den man unter einem Frau von Chevreuse völlig unbekannten Namen gemeldet hatte, kam so sehr der vollkommene Edelmann zum Ausdruck, daß sie sich halb erhob und ihm mit einem anmutigen Zeichen bedeutete, er möge sich in ihrer Nähe niedersetzen.

Athos grüßte und gehorchte. Der Lakai war im Begriff, sich zurückzuziehen, als ihn Athos durch ein Zeichen bleiben hieß.

Madame, sprach er zu der Herzogin, ich habe nie Kühnheit gehabt, mich in Eurem Hotel einzufinden, ohne Euch bekannt zu sein. Diese Kühnheit ist mir gelungen, denn Ihr hattet die Gnade, mich zu empfangen; nun wage ich es noch, Euch um eine Unterredung von einer halben Stunde zu bitten.

Ich bewillige sie Euch, mein Herr, antwortete Frau von Chevreuse mit ihrem anmutigsten Lächeln.

Doch das ist noch nicht alles, Madame; oh! ich bin ein gewaltig ehrgeiziger Mensch, ich weiß es wohl. Die Unterredung, die ich mir von Euch erbitte, ist eine Unterredung unter vier Augen, in der ich wünschen muß, nicht unterbrochen zu werden.

Ich bin für niemand zu Hause, sagte die Herzogin von Chevreuse zu dem Bedienten; geht!

Die Herzogin von Chevreuse unterbrach zuerst das Stillschweigen, das nach der Entfernung des Lakaien eingetreten war.

Nun, mein Herr, sagte sie lächelnd, seht Ihr nicht, daß ich mit Ungeduld warte? – Und ich, Madame, erwiderte Athos, schaue mit Bewunderung. – Mein Herr, sprach Frau von Chevreuse, entschuldigt mich, aber ich wünschte sogleich zu wissen, mit wem ich spreche. Ihr seid ein Mann vom Hofe, das ist unbestreitbar, und dennoch habe ich Euch nie bei Hofe gesehen. Kommt Ihr etwa aus der Bastille? – Nein, Madame, antwortete Athos lächelnd, aber vielleicht bin ich aus dem Wege, der dahin führt. – Ah, dann sagt mir geschwind, wer Ihr seid, und geht, erwiderte die Herzogin mit dem lustigen Tone, der bei ihr einen so großen Zauber ausübte; denn ich bin in dieser Beziehung bereits arg genug kompromittiert und kann mich nicht noch mehr kompromittieren. – Wer ich bin, Madame? Man hat Euch meinen Namen gesagt: der Graf de la Fère. Diesen Namen habt Ihr nie gekannt; ich führte einst einen andern, den Ihr vielleicht gewußt, aber sicherlich vergessen habt. – Nennt ihn immerhin, mein Herr. – Früher, versetzte der Graf de la Fère, nannte ich mich Athos.

Frau von Chevreuse machte große, verwunderte Augen. Offenbar hatte sich dieser Name in ihrem Gedächtnisse nicht ganz verwischt, obgleich er mit vielen alten Erinnerungen vermengt war.

Athos? sagte sie, wartet doch ein wenig …

Und sie legte ihre Hände an die Stirne.

Soll ich Euch helfen, Madame? sagte Athos lächelnd. – Ja doch, erwiderte die Herzogin, des Suchens bereits müde; Ihr tut mir einen Gefallen damit. – Dieser Athos stand in Verbindung mit drei jungen Musketieren, und diese drei Musketiere hießen d’Artagnan, Porthos und …

Und Aramis, sprach die Herzogin lebhaft. – Und Aramis, so ist es, versetzte Athos. Ihr habt also diesen Namen nicht gänzlich vergessen? – Nein, sprach sie, nein! Armer Aramis! er war ein reizender Kavalier, elegant, verschwiegen und machte artige Verse. Ich glaube, es hat eine schlimme Wendung mit ihm genommen. – Äußerst schlimm: er ist Abbé geworden. – Ah, welch ein Unglück! rief Frau von Chevreuse, nachlässig mit ihrem Fächer spielend. In der Tat, mein Herr, ich danke Euch. – Wofür, Madame? – Daß Ihr diese Erinnerung in mir zurückgerufen habt, denn sie gehört zu den angenehmsten Erinnerungen meiner Jugend. – Dann erlaubt Ihr mir also, eine zweite in Euch zurückzurufen? – Welche mit dieser in Verbindung steht? – Ja oder nein. – Meiner Treu, versetzte Frau von Chevreuse, sprecht immerhin. Bei einem Manne, wie Ihr seid, wage ich alles.

Athos verbeugte sich.

Aramis, fuhr er fort, stand in Verbindung mit einer Näherin in Tours. – Mit einer Näherin in Tours? fragte Frau von Chevreuse. – Ja, einer Verwandten von ihm, die Marie Michon hieß. – Ah, ich kenne sie! rief Frau von Chevreuse; es ist diejenige, an welche er aus dem Lager vor La Rochelle schrieb, um sie von einem Komplott in Kenntnis zu setzen, das man gegen den armen Buckingham angesponnen hatte. – Ganz richtig; wollt Ihr mir erlauben, von ihr zu sprechen?

Frau von Chevreuse schaute Athos an und sagte nach kurzem Stillschweigen: Ja, vorausgesetzt, daß Ihr mir nicht zu viel Schlimmes von ihr sagt. – Ich wäre ein Undankbarer, erwiderte Athos. – Ihr, undankbar gegen Marie Michon! rief Frau von Chevreuse, und suchte in Athos‘ Augen zu lesen. Wie könnte dies sein? Ihr habt sie nie persönlich gekannt. – Ei, Madame, wer weiß! versetzte Athos. – Oh! fahrt fort, mein Herr, fahrt fort, sagte Frau von Chevreuse lebhaft. Ihr könnt nicht glauben, wie angenehm mir diese Unterhaltung ist. – Ihr ermutigt mich, und ich fahre fort. Diese Base von Aramis, diese junge Näherin hatte trotz ihres niedrigen Standes die höchsten Bekanntschaften. Sie nannte die vornehmsten Damen des Hofes ihre Freundinnen, und die Königin, so stolz sie auch in ihrer doppelten Eigenschaft als Österreicherin und Spanierin war, nannte sie ihre Freundin.

Oh! sprach Frau von Chevreuse mit einem leisen Seufzer und einer kleinen Bewegung der Augenbrauen, die nur ihr eigentümlich war, die Dinge haben sich seit jener Zeit gewaltig verändert.

Und die Königin hatte recht, fuhr Athos fort, denn sie war ihr sehr ergeben, so ergeben, daß sie ihr als Vermittlerin bei ihrem Bruder, dem König von Spanien, diente.

Was ihr jetzt als ein großes Verbrechen angerechnet wird, versetzte die Herzogin.

So groß, fuhr Athos fort, daß der Kardinal, der wahre Kardinal, der andere, an einem schönen Morgen beschloß, die arme Marie Michon verhaften und nach dem Schlosse Loges führen zu lassen. Glücklicherweise ließ sich die Sache nicht so geheim ausführen, daß der Plan nicht ruchbar geworden wäre. Man hatte den Fall vorhergesehen: wenn Marie Michon von irgend einer Gefahr bedroht wäre, sollte ihr die Königin ein in grünen Samt gebundenes Gebetbuch zuschicken.

So ist es, mein Herr, Ihr seid gut unterrichtet.

Eines Morgens kam das Buch, überbracht von dem Prinzen von Marsillac. Es war keine Zeit zu verlieren. Glücklicherweise wußten Marie Michon und ihre Dienerin, eine gewisse Ketty, sich auf eine bewundernswürdige Weise in Männerkleidern zu bewegen. Der Prinz verschaffte ihnen solche, Marie Michon eine Kavalierstracht und Ketty einen Lakaienanzug und übergab ihnen zwei Pferde. Die Flüchtigen verließen rasch Tours und erreichten Spanien, zitternd bei dem geringsten Geräusche, auf Fußpfaden im Walde, weil sie es nicht wagten, auf der Landstraße zu reisen, und Gastfreundschaft ansprechend, wenn sie keine Herberge fanden.

In der Tat, es ist durchaus so, rief Frau von Chevreuse, in die Hände klatschend; es wäre wirklich seltsam … sie hielt inne.

Wenn ich den zwei Flüchtlingen bis ans Ende ihrer Reise folgte? sprach Athos. Nein, Madame, ich werde Ihre Augenblicke nicht so sehr mißbrauchen, und wir begleiten sie nur bis in ein kleines Dorf im Limousin zwischen Tulle und Angoulème, in ein kleines Dorf, das man Roche-l’Abeille nennt.

Frau von Chevreuse stieß einen Schrei des Erstaunens aus und betrachtete Athos mit einem Ausdruck von Verwunderung, der den ehemaligen Musketier lächeln ließ.

Geduld, Madame, fuhr Athos fort; denn was ich Euch noch zu sagen habe, ist viel seltsamer, als das bereits Gesagte.

Mein Herr, sprach Frau von Chevreuse, ich halte Euch für einen Zauberer und bin auf alles gefaßt. Aber gleichviel, fahrt nur fort.

Diesmal war die Tagereise lang und ermüdend gewesen. Es herrschte bereits eine lästige Kälte, denn es war am 11. Oktober. Das Dorf, das die beiden Flüchtenden erreicht hatten, bot weder ein Schloß noch eine Herberge. Die Bauernhöfe sahen armselig und schmutzig aus. Marie Michon war eine sehr aristokratische Person und, wie die Königin, ihre Schwester, an gute Gerüche und seine Wäsche gewöhnt. Sie beschloß also, sich Gastfreundschaft im Pfarrhause zu erbitten.

Athos machte eine Pause.

Oh, fahrt fort, sprach die Herzogin, ich sagte Euch bereits, ich sei auf alles gefaßt.

Die Reisenden klopften an die Türe. Es war spät, der Priester hatte sich bereits zu Bette gelegt, er rief ihnen zu, sie möchten eintreten. Sie traten ein, denn die Türe war nicht geschlossen. Es brannte eine Lampe in dem Zimmer, wo sich der Priester befand; Marie Michon, die den reizendsten Kavalier der Welt vorstellte, stieß die Türe auf, steckte den Kopf hinein und verlangte Gastfreundschaft.

Sehr gern, mein junger Kavalier, sprach der Priester, wenn Ihr Euch mit den Überresten meines Abendessens und der Hälfte meines Zimmers begnügen wollt.

Die Reisenden berieten sich einen Augenblick. Der Priester hörte, wie sie in ein Gelächter ausbrachen: dann erwiderte der Herr oder vielmehr die Herrin: Ich danke, Herr Pfarrer, und nehme es an.

Dann speist und macht so wenig als möglich Geräusch, versetzte der Priester, denn ich bin auch den ganzen Tag umhergelaufen, und es wäre mir nicht unangenehm, diese Nacht schlafen zu können.

Frau von Chevreuse ging augenscheinlich von Verwunderung zu Erstaunen und von Erstaunen zu Verwunderung über. Ihr Gesicht nahm, während sie Athos anschaute, einen Ausdruck an, der sich nicht wohl beschreiben läßt. Man sah, daß sie gern gesprochen hätte, und dennoch schwieg sie, um nicht ein einziges von seinen Worten zu verlieren.

Hernach? fragte sie.

Hernach, sagte Athos, ah! das ist gerade das Schwierige.

Sprecht, sprecht, sprecht! man kann mir alles sagen. Überdies geht es mich nicht an; es ist Marie Michons Geschichte.

Ah, das ist richtig, versetzte Athos … Nun, also Marie Michon verzehrte die Überreste des Abendbrotes mit ihrer Dienerin und kehrte, nachdem sie gegessen hatte, der ihr gegebenen Erlaubnis zufolge in das Zimmer zurück, wo ihr Wirt ruhte, während Ketty es sich in einem Lehnstuhl, im ersten Zimmer, das heißt in dem, wo man gespeist hatte, bequem machte.

In der Tat, mein Herr, sprach Frau von Chevreuse, wenn Ihr nicht der Teufel in Person seid, so weiß ich nicht, wie Ihr alle diese einzelnen Umstände zu kennen vermöget.

Es war eine reizende Frau, diese Marie Michon, fuhr Athos fort, eines von den tollen Geschöpfen, denen unablässig die seltsamsten Gedanken in den Kopf kommen, eines von den Wesen, die geboren sind, uns allen die Verdammnis zu bringen. Während sie nun bedachte, daß ihr Wirt ein Priester war, kam es dem koketten Ding in den Kopf, es möchte neben so vielen lustigen Erinnerungen, die sie hatte, eine sehr lustige Erinnerung für ihr Alter sein, einen Abbé in die Verdammnis gebracht zu haben.

Graf! rief die Herzogin, auf mein Ehrenwort, Ihr erschreckt mich!

Ach, versetzte Athos, der arme Abbé war kein heiliger Ambrosius, und ich wiederhole, Marie Michon war ein anbetungswürdiges Geschöpf.

Mein Herr, sprach die Herzogin und ergriff Athos bei den Händen, sagt mir sogleich, woher Ihr alle diese Umstände wißt, oder ich lasse einen Mönch aus dem Augustinerkloster kommen und Euch beschwören.

Athos brach in ein Gelächter aus.

Nichts leichter, Madame. Ein Kavalier, der mit einer wichtigen Sendung beauftragt war, kam eine Stunde vor Marie Michon in das Pfarrhaus und erbat sich Gastfreundschaft, und zwar in dem Augenblick, wo der Pfarrer, zu einem Sterbenden gerufen, nicht nur sein Haus, sondern das Dorf für die ganze Nacht verließ. Voll Vertrauen zu seinem Gaste, der übrigens ein Edelmann war, hatte der Geistliche diesem sein Haus, sein Mahl und sein Zimmer überlassen. Marie Michon hatte also vom Gast des guten Abbé und nicht vom Abbé selbst Gastfreundschaft gefordert.

Und dieser Kavalier, dieser Gast, dieser Edelmann, der vor ihr ankam?

War ich, der Graf de la Fère, sprach Athos aufstehend und sich ehrfurchtsvoll vor der Herzogin von Chevreuse verbeugend.

Die Herzogin blieb einen Augenblick ganz verblüfft; dann fing sie plötzlich an, laut zu lachen.

Ah! meiner Treue, sagte sie, das ist drollig. Und diese tolle Marie Michon fand es besser, als sie erwartet hatte. Setzt Euch, lieber Graf, und fahrt in Eurer Erzählung fort.

Nun bleibt mir nur noch übrig, mich anzuklagen, Madame. Ich sagte Euch vorhin, daß ich selbst in einer dringenden Sendung reiste. Schon bei Tagesanbruch ging ich geräuschlos aus dem Zimmer und ließ meinen reizenden Lagergefährten schlafen.

Im ersten Zimmer schlief ebenfalls, den Kopf auf einen Lehnstuhl zurückgelegt, die Kammerfrau, in allem ihrer Gebieterin würdig. Ihr hübsches Gesicht fiel mir auf, ich näherte mich ihr und erkannte die kleine Ketty, die unser Freund Aramis bei ihr untergebracht hatte. So erfuhr ich, die schöne Reisende sei …

Marie Michon, fiel Frau von Chevreuse lebhaft ein.

Marie Michon, versetzte Athos. Ich verließ nun das Haus, ging in den Stall, fand mein Pferd gesattelt und meinen Bedienten bereit; wir reisten ab.

Und Ihr seid nie mehr durch dieses Dorf gekommen? fragte Frau von Chevreuse.

Ein Jahr nachher, Madame.

Nun?

Nun, ich wollte den guten Pfarrer wieder besuchen. Er war sehr bekümmert wegen eines Ereignisses, das er nicht begreifen konnte. Er hatte acht Tage vorher in einer kleinen Wiege einen reizenden Knaben von drei Monaten nebst einer wohlgespickten Börse und einem Billett erhalten, auf dem nur die einfachen Worte standen: 11. Oktober 1633.

Das war das Ende des seltsamen Abenteuers, versetzte Frau von Chevreuse.

Ja, aber er begriff nichts davon, denn er wußte nur, daß er diese Nacht bei einem Sterbenden zugebracht hatte; Marie Michon hatte das Pfarrhaus vor seiner Rückkehr wieder verlassen.

Ihr wißt, mein Herr, daß Marie Michon, als sie im Jahr 1643 wieder nach Frankreich kam, sogleich Kunde über dieses Kind einziehen ließ. Auf ihrer Flucht konnte sie es nicht behalten; aber nun, in Paris, wollte sie es bei sich erziehen lassen.

Und was sagte ihr der Abbé? fragte Athos.

Ein vornehmer Herr, den er nicht kenne, habe sich für die Zukunft des Kindes verbürgt und es mitgenommen.

Es war die Wahrheit.

Ah, dann begreife ich. Dieser Herr waret Ihr, es war sein Vater.

Stille, sprecht nicht so laut, Madame. Er ist da!

Er ist da! rief Frau von Chevreuse rasch aufstehend, er ist da, mein Sohn, der Sohn der Marie Michon ist da! Ich will ihn sogleich sehen.

Gebt wohl acht, Madame, er kennt weder seinen Vater, noch seine Mutter.

Ihr habt das Geheimnis bewahrt und bringt ihn mir hierher, weil Ihr denkt, Ihr macht mich sehr glücklich. Oh! ich danke, ich danke, mein Herr, rief Frau von Chevreuse, faßte seine Hand und suchte sie an ihre Lippen zu führen, ich danke. Ihr habt ein edles Herz.

Ich bringe ihn Euch, sagte Athos, seine Hand zurückziehend, damit Ihr ebenfalls etwas für ihn tun möget. Bis jetzt sorgte ich allein für seine Erziehung, und ich habe, glaube ich, einen vollendeten Edelmann aus ihm gemacht; aber der Augenblick ist gekommen, wo ich mich abermals genötigt sehe, das umherirrende, gefährliche Leben eines Parteigängers zu ergreifen. Schon morgen stürze ich mich in ein gefährliches Unternehmen; dann hat er niemand mehr als Euch, der ihn fördern und hüten könnte

Oh! seid ruhig, rief die Herzogin; leider habe ich nicht mehr viel Ansehen, aber was mir davon übrig geblieben ist, gehört ihm. Was sein Vermögen und seinen Titel betrifft …

Darüber beunruhigt Euch nicht, Madame. Ich habe ihn zum Erben von Bragelonne eingesetzt, wodurch er den Titel Vicomte und 10 000 Livres Renten bekommt.

Bei meiner Seele, mein Herr, sprach die Herzogin, Ihr seid ein wahrhafter Edelmann. Aber es drängt mich, unsern jungen Vicomte zu sehen; wo ist er denn?

Dort in dem Salon; ich will ihn holen, wenn Ihr wollt.

Athos machte eine Bewegung nach der Türe. Frau von Chevreuse hielt ihn zurück.

Ist er hübsch? fragte sie.

Athos lächelte und erwiderte: Er gleicht seiner Mutter.

Hierauf machte er dem jungen Menschen ein Zeichen, und dieser erschien aus der Schwelle.

Frau von Chevreuse konnte sich eines Freudenschreis nicht enthalten, als sie einen so reizenden Kavalier erblickte, der ihre stolzesten Hoffnungen übertraf.

Vicomte, nähert Euch, sagte Athos; Frau von Chevreuse erlaubt Euch, ihr die Hand zu küssen.

Der Jüngling näherte sich mit seinem anmutsvollen Lächeln und mit entblößtem Kopf, setzte ein Knie aus die Erde und küßte die Hand der Frau von Chevreuse.

Nun, Herr Graf, sprach er, sich gegen Athos umwendend, habt Ihr mir nicht, um meine Schüchternheit zu schonen, gesagt, Madame sei die Herzogin von Chevreuse, und ist es nicht vielmehr die Königin?

Nein, Vicomte, erwiderte Frau von Chevreuse, nahm ihn ebenfalls bei der Hand, hieß ihn zu sich sitzen und schaute ihn mit Augen an, die vor Vergnügen glänzten. Nein, leider bin ich nicht die Königin, denn wenn ich es wäre, so würde ich sogleich alles für Euch tun, was Ihr verdient. Aber sagt mir, so wie ich bin, fügte sie bei, indem sie sich kaum enthalten konnte, ihre Lippen auf seine so reine Stirne zu drücken, sagt mir, welche Laufbahn wünscht Ihr einzuschlagen?

Athos schaute, dabei stehend, beide mit einem Ausdruck unaussprechlichen Glückes an.

Madame, sagte der Jüngling mit seiner zugleich weichen und sonoren Stimme, es scheint mir, es gibt für einen Edelmann nur eine Laufbahn, die der Waffen. Der Herr Graf hat mich, wie ich glaube, in der Absicht erzogen, einen Soldaten aus mir zu machen, und er machte mir Hoffnung, mich in Paris jemand vorzustellen, der mich vielleicht dem Herrn Prinzen empfehlen könnte.

Ja, ich begreife, es steht einem jungen Soldaten, wie Ihr seid, gut an, unter einem jungen General zu dienen, wie er ist. Doch Geduld … persönlich bin ich durchaus nicht mit ihm befreundet, wegen der Streitigkeiten der Frau von Montbazon, meiner Schwiegermutter, mit Frau von Longueville. Aber durch den Prinzen von Marsillac … Ei, wahrhaftig, Graf, so geht es. Der Herr Prinz von Marsillac ist ein alter Freund von mir, er wird unsern jungen Freund an Frau von Longueville empfehlen, die ihm einen Brief an ihren Bruder, den Prinzen, gibt, welcher sie zu zärtlich liebt, um nicht sogleich für sie alles zu tun, was sie von ihm verlangt.

Nun wohl, das geht vortrefflich, sprach der Graf; nur nehme ich mir die Freiheit, Euch den größten Eifer anzuempfehlen. Ich habe Gründe, zu wünschen, daß der Vicomte morgen abend nicht mehr in Paris sei.

Soll man wissen, daß Ihr Euch für ihn interessiert, Herr Graf?

Es wäre vielleicht besser für seine Zukunft, wenn man gar nicht wüßte, daß er mich je gekannt hat.

O! Herr, rief der Jüngling.

Ihr wißt, Bragelonne, sprach der Graf, daß ich nie etwas ohne Grund tue.

Ja, antwortete der Jüngling, ich weiß, daß die höchste Weisheit in Euch herrscht, und werde Euch gehorchen, wie ich dies gewohnt bin.

Nun wohl, Graf, überlaßt ihn mir, sagte die Herzogin; ich will Befehl geben, daß man den Prinzen von Marsillac aufsuche, der glücklicherweise in diesem Augenblick in Paris ist, und ich gehe nicht eher von ihm, als bis die Angelegenheit zu Ende gebracht ist.

Schön, Frau Herzogin, tausend Dank. Ich habe selbst heute mehrere Gänge zu machen, und bei meiner Rückkehr, das heißt gegen sechs Uhr abends, erwarte ich ihn im Hotel.

Was macht Ihr heute abend?

Wir gehen zu dem Abbé Scarron, an den ich einen Brief habe, und bei dem ich einen von meinen Freunden finden soll.

Das ist gut, sagte die Herzogin von Chevreuse, ich werde selbst einen Augenblick dahin kommen; verlaßt also seinen Salon nicht eher, als bis Ihr mich gesehen habt.

Athos verbeugte sich vor Frau von Chevreuse und schickte sich an, wegzugehen.

Wie, Herr Graf, sagte die Herzogin lachend, verläßt man seine alten Freunde auf eine so zeremoniöse Weise?

Ah, murmelte Athos, ihr die Hand küssend, wenn ich früher gewußt hätte, daß Marie Michon ein so reizendes Geschöpf sei …

Und er entfernte sich seufzend.

Der Abbé Scarron

Es gab in der Rue des Tournelles eine Wohnung, die alle Sänftenträger und alle Lakaien von Paris kannten, und dennoch gehörte diese Wohnung weder einem vornehmen, noch einem reichen Herrn. Man speiste da nicht, man spielte nicht und man tanzte wohl auch nicht. Dennoch war es der Sammelplatz der schönen Welt, und ganz Paris begab sich dahin. Diese Wohnung war die des kleinen Scarron.

Man lachte so viel bei diesem witzigen Scarron, man gab so viele Neuigkeiten zum besten, diese Neuigkeiten waren in Märchen oder Epigramme verwandelt, daß jeder den Wunsch hatte, eine Stunde bei dem kleinen Scarron zuzubringen, zu hören, was er sagte, und was er gesagt hatte, weiterzuerzählen. Viele brannten vor Begierde, ihren Witz dort anzubringen; war er gut, so konnten sie sich auf eine freundliche Aufnahme gefaßt machen. Der kleine Abbé Scarron, dessen Abbéschaft übrigens nicht von dem Besitz einer geistlichen Pfründe oder der Zugehörigkeit zu einem geistlichen Orden herstammte, war einst einer der zierlichsten Präbendare der Stadt Mans gewesen, wo er wohnte. An einem Karnevalstage aber wollte er dieser guten Stadt, deren Seele er war, einen ganz außerordentlichen Genuß bereiten. Er ließ sich daher von seinem Bedienten mit Honig überstreichen, öffnete sodann ein Federbett, in welchem er sich umwälzte, und wurde so der groteskeste Vogel, den man sehen konnte. Dann machte er in diesem seltsamen Aufzug Besuche bei seinen Freunden und Freundinnen. Anfangs folgte man ihm mit Verwunderung, dann mit Gezisch, dann beleidigten ihn die Arbeiter auf den Straßen, dann warfen die Kinder Steine nach ihm, und endlich war er genötigt, die Flucht zu ergreifen, um den Wurfgeschossen zu entgehen. Vom Augenblick an, wo er floh, wurde er von allen Seiten verfolgt, gedrängt, beworfen. Scarron fand kein anderes Mittel, seinen Verfolgern zu entkommen, als daß er sich in den Fluß warf. Er schwamm wie ein Fisch, aber das Wasser war eisig. Scarron troff von Schweiß. Er erkältete sich, und als er das andere Ufer erreichte, war er gliederlahm.

Man versuchte ihm durch alle möglichen bekannten Mittel den Gebrauch seiner Glieder wiederzugeben; er hatte durch die Behandlung so viel auszustehen, daß er alle Ärzte fortschickte, mit der Erklärung, er wolle lieber krank sein und krank bleiben. Dann kam er nach Paris, wo sein Ruf als Mann von Geist bereits gegründet war. Hier ließ er sich einen Stuhl nach seiner eigenen Erfindung verfertigen, und als er eines Tages in diesem Stuhle der Königin Anna von Österreich einen Besuch machte, fragte ihn diese, entzückt über seinen Witz, ob er nicht irgend einen Titel wünsche?

Ja, Eure Majestät, es gibt einen, nach dem ich von ganzer Seele verlange, antwortete Scarron.

Und welcher ist dies? fragte Anna von Österreich. Der Eures Kranken, erwiderte der Abbé.

Und Scarron wurde zum Kranken der Königin mit einer Pension von 1500 Livres ernannt.

Von diesem Augenblick an führte Scarron, dem seine Zukunft keine Sorgen mehr machte, ein lustiges Leben.

Eines Tags jedoch gab ihm ein Emissär des Kardinals zu verstehen, er habe unrecht, den Herrn Koadjutor zu empfangen.

Und warum dies? fragte Scarron. Ist er nicht ein Mann von Geburt? – Allerdings. – Liebenswürdig? – Unbestreitbar. – Witzig? – Er hat leider nur zu viel Witz. – Nun wohl, versetzte Scarron, warum soll ich einen solchen Mann nicht ferner sehen? – Weil er schlecht denkt. – Wirklich? und von wem? – Vom Kardinal. – Wie! rief Scarron; ich sehe fortwährend Herrn Gilles Despréaux, und Ihr wollt, ich solle den Herrn Koadjutor nicht mehr sehen, weil er schlecht von einem andern denkt? Unmöglich!

Hiermit endigte das Gespräch, und Scarron sah aus Widerspruchsgeist Herrn von Conti nur noch öfter.

An dem Morgen aber, bei welchem wir angelangt sind, war der Verfalltag seiner vierteljährlichen Pension. Scarron schickte seiner Gewohnheit gemäß durch seinen Bedienten den Empfangschein ab, um das betreffende Geld bei der Pensionskasse einziehen zu lassen; aber man antwortete ihm: Der Staat hat kein Geld für den Herrn Abbé Scarron.

Als der Lakai Scarron diese Antwort brachte, war gerade der Herzog von Longneville bei ihm, der ihm das Doppelte der von Mazarin entzogenen Pension anbot; aber der schlaue Gliederlahme hütete sich wohl, es anzunehmen. Er machte seine Sache so gut, daß um vier Uhr nachmittags die ganze Stadt die Weigerung des Kardinals kannte. Es war gerade Donnerstag, Empfangstag bei dem Abbé. Man kam in Masse zu ihm, und in der ganzen Stadt entrüstete man sich höchlichst über diese neuste Knauserei Mazarins.

Es trifft sich gut, daß wir heute abend dahin gehen, sprach Athos zu dem Vicomte; wir machen dem armen Mann unser Kompliment.

Aber wer ist denn dieser Herr Scarron, der ganz Paris in Aufruhr bringt? fragte Raoul. Ein in Ungnade gefallener Minister?

Nein, o mein Gott, nein, Vicomte, er ist nichts als ein kleiner Edelmann von großem Geist, der wahrscheinlich bei dem Kardinal in Ungnade gefallen ist, weil er irgend eine gereimte Strophe gegen ihn geschrieben hat.

Schreiben denn Edelleute Verse? fragte Raoul naiv; ich glaubte, das verstoße gegen die Standesehre.

Ja, mein lieber Vicomte, versetzte Athos lachend, wenn man sie schlecht macht; aber wenn man sie gut macht, so adelt es noch mehr.

Herr Scarron ist also Dichter? sagte Raoul.

Ja, Vicomte. Gebt wohl acht in diesem Hause. Sprecht wenig und hört lieber zu.

Ja, Herr, antwortete Raoul.

Ihr werdet mich viel mit einem mir befreundeten Edelmann plaudern sehen: das ist der Abbé d’Herblay, von dem ich oft mit Euch sprach.

Ich erinnere mich.

Nähert Euch zuweilen, als ob Ihr mit uns sprechen wolltet, sprecht aber nicht, hört auch nicht. Es soll dies nur dazu dienen, daß uns nicht mißliebige Personen stören.

Sehr gut, ich werde Euch Punkt für Punkt gehorchen.

Athos machte noch zwei Besuche in Paris. Um sieben Uhr wandten sie sich zur Rue des Tournelles. Die Straße war beinahe versperrt durch Sänftenträger, Pferde und Bedienten. Athos bahnte sich einen Weg und trat mit Raoul ein. Die erste Person, die er beim Eintritt erblickte, war Aramis, der sich neben einem weiten, mit einem Tapetenhimmel bedeckten Rollstuhl aufhielt, unter dem sich, in eine Brokatdecke gehüllt, ein ziemlich junges, ziemlich fröhliches Gesicht bewegte, das jedoch zuweilen erbleichte, ohne daß seine Augen aufhörten, einen lebhaften, witzigen oder anmutigen Ausdruck zu zeigen. Das war der Abbé Scarron, beständig lachend, spottend, komplimentierend, leidend und sich mit einem kleinen Stäbchen kratzend.

Sobald Aramis Athos erblickte, ging er auf ihn zu, nahm ihn bei der Hand und stellte ihn Herrn Scarron vor, der dem neuen Gast ebensoviel Freude als Achtung bezeigte und ihm ein sehr geistreiches Kompliment über den Vicomte machte. Raoul war verblüfft von der geistvollen Art des Mannes, er verbeugte sich jedoch mit viel Anmut. Athos empfing sodann die Komplimente von mehreren adligen Herren, denen Aramis ihn vorstellte. Bald aber verlor sich das bei seinem Eintritt entstandene kleine Geräusch wieder, das Gespräch wurde allgemein und erlitt erst wieder eine Unterbrechung, als Fräulein Paulet eintrat, eine vielgerühmte Schönheit, die zu besuchen Heinrich IV. eben im Begriff war, als er ermordet wurde, und der man wegen ihrer machtvollen Stellung in der Gesellschaft den Beinamen »die Löwin« gegeben hatte.

In diesem Augenblick öffnete sich die Türe, und der Lakai kündigte den Herrn Koadjutor an.

Bei diesem Namen wandten sich alle um, denn es war ein Name, der sehr berühmt zu werden anfing. Athos machte es wie die andern. Er kannte den Abbé von Conti nur dem Namen nach.

Er sah einen kleinen, schwarzen, schlecht gewachsenen Mann eintreten, dessen Hände zu allem ungeschickt waren, außer den Degen zu führen und die Pistole zu gebrauchen. Der Ankömmling ging anfangs gerade auf den Tisch zu, den er beinahe umgeworfen hätte. Scarron wandte sich nach ihm um und kam ihm in seinem Stuhle entgegen. Fräulein Paulet begrüßte ihn von ihrem Platz aus mit der Hand.

Nun, sprach der Koadjutor, der Scarron erst erblickte, als er dicht vor ihm stand, Ihr seid also in Ungnade, Abbé?

Dies war eine Phrase, die man an diesem Abend wohl hundertmal ausgesprochen hatte, und die Scarron hundertmal zu einer geistreichen Erwiderung veranlaßt hatte. Er antwortete beim hundert und ersten Male:

Der Herr Kardinal hat die Güte gehabt, an mich zu denken. – Aber wie wollt ihr uns noch fernerhin empfangen? fuhr der Koadjutor fort. Wenn Eure Renten sinken, so werde ich genötigt sein, Euch zum Kanonikus von Notre-Dame zu ernennen. – O! nun, versetzte Scarron, ich würde Euch zu sehr kompromittieren. – Dann habt Ihr Quellen, die wir nicht kennen. – Ich entlehne von der Königin. – Aber Ihre Majestät hat selbst nichts, sprach Aramis. Lebt sie nicht unter der Verwaltung der Gemeinheit?

Der Koadjutor wandte sich um und lächelte Aramis zu, indem er ihm zugleich mit der Fingerspitze ein Freundschaftszeichen machte.

Verzeiht, mein lieber Abbe, sagte er zu ihm, Ihr seid im Rückstand, und ich muß Euch ein Geschenk machen.

Womit? fragte Aramis.

Mit einer Hutschnur.

Jedermann wandte sich nach dem Koadjutor um, der aus seiner Tasche eine seidene Schnur von sonderbarer Form zog.

Das ist eine Schleuder (fronde) sagte Scarron.

Ganz richtig erwiderte der Koadjutor, man macht gegenwärtig alles à la fronde. Fräulein Paulet, ich habe für Euch einen Fächer à la fronde. Ich überlasse Euch meinen Handschuhhändler, d’Herblay, er macht Handschuhe à la fronde; und Euch, Scarron, meinen Bäcker mit unbeschränktem Kredit, er macht vortreffliche Brote à la fronde.

Aramis nahm das Band und knüpfte es um seinen Hut.

In diesem Augenblick öffnete sich die Türe, und der Lakai rief mit lauter Stimme: Die Frau Herzogin von Chevreuse.

Beim Namen der Frau von Chevreuse erhoben sich alle Anwesenden. Scarron wandte rasch seinen Stuhl der Türe zu. Athos machte Aramis ein Zeichen, und dieser stellte sich in eine Fenstervertiefung. Während sie von allen Seiten achtungsvoll begrüßt wurde, schien sie etwas zu suchen. Endlich bemerkte sie Raoul, und ihre Augen funkelten; sie erblickte Athos und wurde nachdenklich; sie sah Aramis in seiner Fenstervertiefung und machte hinter ihrem Fächer eine kaum wahrnehmbare Bewegung des Erstaunens.

Ei, sagt, sprach sie, als wollte sie die Gedanken vertreiben, die sich ihrer unwillkürlich bemeisterten, wie geht es dem armen Voiture? Wißt Ihr es vielleicht, Scarron?

Wie, Herr Voiture ist krank? fragte einer der Umstehenden; wie ist das gekommen?

Er hat bei leidenschaftlichem Spiel vierhundert Taler verloren und hat sich dann, als er sich aufgeregt in die kalte Nachtluft begab, auf den Tod erkältet.

Steht es so schlimm mit dem lieben Voiture? fragte Aramis, halb hinter seinem Fenstervorhang verborgen.

Ach! antwortete ein Herr Menage, der in diesem Kreise eine große Rolle spielte, es steht sehr schlimm, der große Mann wird uns wahrscheinlich verlassen.

Ah bah! sprach Fräulein Paulet mit einer gewissen Bitterkeit; er sterben? Das hat keine Not! Er ist umgeben von Sultaninnen, wie ein Türke. Frau von Saintot ist herbeigelaufen und gibt ihm Fleischbrühe, die Renaudot wärmt ihm seine Tücher, und alle Welt, unsere Freundin, die Marquise von Rambouillet, nicht ausgenommen, schickt ihm Tisanen.

Ihr liebt ihn nicht, meine liebe Parthenie, sagte Scarron lachend.

O! welche Ungerechtigkeit, mein lieber Kranker! Ich hasse ihn so wenig, daß ich mit Vergnügen Messen für die Ruhe seiner Seele lesen ließe.

Nicht umsonst nennt man Euch die Löwin, meine Liebe, sagte Frau von Chevreuse, Ihr beißt scharf.

In dieser Weise mußte der kranke Dichter noch lange den Stoff für zahlreiche mehr oder minder witzige Bemerkungen liefern.

Raoul war dem Gespräch mit Spannung gefolgt, jetzt wurde aber seine ganze Aufmerksamkeit durch eine junge Person, die in Scarrons Nähe stand, gefesselt; sie war reizend, aber schwächlich und traurig, von hübschen schwarzen Haaren umrahmt, mit blauen, sammetartigen Augen.

Raoul gelobte sich, den Salon nicht zu verlassen, ohne das hübsche junge Mädchen mit den Sammetaugen gesprochen zu haben, das ihn infolge eines seltsamen Gedankenspiels, obschon keine Ähnlichkeit vorhanden war, an seine arme kleine Louise erinnerte, die er leidend im Schlosse la Balliere zurückgelassen und inmitten dieser Gesellschaft einen Augenblick vergessen hatte.

Während dieser Scene näherte sich Aramis dem Koadjutor, der ihm mit lachender Miene ein paar Worte ins Ohr sagte. Aramis konnte sich trotz seiner Selbstbeherrschung einer leichten Bewegung nicht enthalten.

Lacht doch, sagte Herr von Retz, man beobachtet uns. Und er verließ ihn, um mit Frau von Chevreuse zu plaudern, die einen großen Kreis um sich versammelt hatte.

Aramis stellte sich, als lache er, um die Aufmerksamkeit einiger neugieriger Zuhörer abzulenken, und da er bemerkte, daß Athos sich in die Vertiefung des Fensters zurückgezogen hatte, so warf er rechts und links ein paar Worte hin und ging dann wieder zu ihm, auf eine Art, wie wenn dies ohne irgend eine Absicht geschähe.

Sobald sie wieder beisammen waren, knüpften sie ein offenbar sehr inhaltreiches Gespräch an. Raoul näherte sich ihnen, wie ihm Athos aufgetragen hatte.

Der Herr Abbé gibt mir ein Ringelgedicht von Voiture zum besten, sagte Athos mit lauter Stimme, und ich finde es ganz unvergleichlich.

Raoul blieb einige Augenblicke in ihrer Nähe und gesellte sich dann zu der Gruppe der Frau von Chevreuse.

Ich meinesteils, sagte der Koadjutor, möchte mir die Freiheit nehmen, nicht ganz der Meinung des Herrn von Scudery zu sein; ich finde im Gegenteil, daß Herr von Voiture ein Dichter ist; aber ein reiner Dichter. Die politischen Gedanken fehlen ihm ganz und gar. – Also? fragte Athos. – Morgen, erwiderte Aramis hastig. – Um wieviel Uhr? – Um sechs Uhr. – Wo? – In Saint-Mandè. – Wer hat es Euch gesagt? – Der Graf von Rochefort.

Es näherte sich jemand.

Und die philosophischen Ideen? Sie fehlen diesem armen Voiture ebenfalls. Ich schließe mich der Ansicht des Herrn Koadjutors an: ein reiner Dichter.

Raoul erfuhr inzwischen von Scarron, daß das reizvolle Mädchen mit den blauen Augen ein Fräulein d’Aubigné sei und aus Martinique stamme, weshalb er sie nur die Indianerin nannte.

Ruft doch den Herrn Grafen de la Fère, sagte Frau von Chevreuse zu dem Koadjutor, ich muß ihn sprechen.

Und ich, erwiderte der Koadjutor, muß mir den Anschein geben, als spreche ich nicht mit ihm. Ich liebe und bewundere ihn, denn ich kenne seine früheren Abenteuer, wenigstens zum Teil; aber ich kann ihn nicht wohl vor übermorgen begrüßen.

Und warum übermorgen? fragte Frau von Chevreuse.

Ihr sollt es morgen abend erfahren, antwortete der Koadjutor lachend.

In der Tat, mein lieber Conti, sagte die Herzogin, Ihr sprecht wie die Apokalypse. Herr d’Herblay, fügte sie, sich nach Aramis umwendend, bei: wollt Ihr wohl heute abend noch einmal mein Diener sein? …

Wie, Herzogin, sagte Aramis, heute abend? Morgen, immer, befehlt!

Wohl, so holt mir den Grafen de la Fère, ich will mit ihm sprechen.

Aramis näherte sich Athos und kehrte mit ihm zurück.

Mein Herr Graf, sagte die Herzogin, Athos einen Brief zustellend, hier ist das, was ich Euch versprochen habe. Unser Schützling wird eine vortreffliche Aufnahme finden.

Madame, sprach Athos, er ist sehr glücklich, daß er Euch etwas zu verdanken hat.

Ihr habt ihn in dieser Beziehung nicht zu beneiden; denn ich verdanke Euch seine Bekanntschaft, versetzte die boshafte Frau mit einem Lächeln, das Athos und Aramis an Marie Michon erinnerte.

Und bei diesen Worten stand sie auf und befahl ihren Wagen. Fräulein Paulet war bereits weggegangen, Fräulein von Scudery ging eben weg.

Vicomte, sagte Athos, sich an Raoul wendend, folgt der Frau Herzogin von Chevreuse, bittet sie um die Gnade, beim Hinabsteigen Eure Hand zu nehmen, und bedankt Euch bei ihr.

Die schöne Indianerin näherte sich Scarron, um sich von ihm zu verabschieden.

Ihr geht schon? sagte er.

Ich bin eine von den Letzten, wie Ihr seht. Wenn Ihr Nachricht von Herrn Voiture bekommt und dieselbe erfreulich ist, so habt die Güte, mir sie morgen zukommen zu lassen.

O, nun kann er sterben! rief Scarron.

Wieso? sagte das Mädchen mit den Sammetaugen.

Ganz gewiß; seine Lobrede ist gemacht.

Und man trennte sich lachend. Das junge Mädchen wandte sich, um den armen Lahmen teilnehmend anzuschauen. Der arme Lahme folgte ihr voll Liebe in den Augen.

Allmählich lichteten sich die Gruppen. Scarron stellte sich, als bemerkte er nicht, daß einige von seinen Gästen geheimnisvoll miteinander gesprochen hatten, daß Briefe für mehrere gekommen waren und daß seine Abendgesellschaft überhaupt einen geheimen Zweck gehabt zu haben schien, der sich weit von der Literatur entfernte, über die man so viel Worte gemacht hatte. Aber was lag Scarron daran? Man konnte jetzt in seinem Hause nach Gefallen schmähen und intrigieren, seit diesem Morgen war er, wie er gesagt hatte, nicht mehr der Kranke der Königin.

Raoul begleitete wirklich die Herzogin bis zu ihrem Wagen, wo sie Platz nahm, indem sie ihm ihre Hand zu küssen gab. Dann aber ergriff sie ihn in einer jener tollen Launen, die sie so anbetungswürdig und besonders so gefährlich machten, plötzlich beim Kopf, küßte ihn auf die Stirne und sprach: Vicomte, möchten Euch meine Wünsche und dieser Kuß Glück bringen.

Hierauf stieß sie ihn wieder zurück und befahl ihrem Kutscher, nach dem Hotel Luynes zu fahren. Der Wagen entfernte sich. Frau von Chevreuse machte dem jungen Manne ein letztes Zeichen durch den Schlag, und Raoul stieg ganz verblüfft wieder die Treppe hinauf.

Athos begriff, was vorgegangen war.

Kommt, Vicomte, sagte er, es ist Zeit zum Rückzüge. Ihr reist morgen zur Armee des Prinzen ab; schlaft Eure letzte bürgerliche Nacht gut.

Ich werde also Soldat, sagte der Jüngling. O Herr, Dank! Aus vollem Herzen Dank!

Adieu, Graf, sprach der Abbe d’Herblay; ich kehre in mein Kloster zurück.

Adieu, Abbé, sagte der Koadjutor; ich predige morgen und habe mich heute abend noch über zwanzig Texte zu besinnen.

Adieu, meine Herren, rief der Graf, ich werde vierundzwanzig Stunden hintereinander schlafen, denn ich sinke vor Müdigkeit beinahe um.

Die drei Männer begrüßten sich und gingen weg, nachdem sie einen letzten Blick gewechselt hatten.

Scarron sah ihnen verstohlen durch die Türvorhänge seines Salons nach.

Keiner von ihnen tut, was er sagte, murmelte er mit seinem affenartigen Lächeln; aber sie mögen es so halten, die braven Leute! Wer weiß, ob sie nicht arbeiten, daß ich meine Pension zurückbekomme? Sie können die Arme bewegen, das ist viel! Ach! ich habe nur die Zunge, aber ich werde zu beweisen suchen, daß dies auch etwas ist. Holla! Champenois; es hat elf Uhr geschlagen; rolle mich nach meinen, Bette. In der Tat, Fräulein d’Aubigné ist sehr reizend!

Hierauf verschwand der arme Lahme in seinem Schlafzimmer, dessen Türe sich hinter ihm schloß, und die Lichter erloschen allmählich im Salon der Rue des Tournelles.

Athos‘ Diplomatie

D’Artagnan war kein Langschläfer. Kaum hatte die Morgenröte seine Vorhänge vergoldet, als er aus dem Bette sprang und seine Fenster öffnete: es kam ihm vor, als sähe er durch den Laden einen Menschen im Hof umhergehen, der es vermeide, Lärm zu machen. Gemäß seiner Gewohnheit, nichts, was in seinen Bereich kam, vorübergehen zu lassen, ohne sich zu versichern, was es sei, beobachtete d’Artagnan aufmerksam, aber geräuschlos und erkannte das dunkelrote Wams und die braunen Haare Raouls.

Der junge Mensch, denn er war es wirklich, öffnete die Stalltüre, zog das braunrote Pferd heraus, das er am Tag vorher geritten hatte, sattelte und zäumte es mit ebensoviel Geschicklichkeit als Geschwindigkeit, ließ das Tier sodann durch den geraden Gang des Gemüsegartens gehen, stieß eine kleine Seitentüre auf, die nach einem Fußpfad führte, zog sein Pferd hinaus, verschloß die Türe wieder, und d’Artagnan sah ihn nun wie einen Pfeil, sich bückend unter den herabhängenden und blütenbedeckten Zweigen der Akazien und Ahornbäume, hinschießen.

D’Artagnan hatte am Tage zuvor bemerkt, daß dieser Pfad nach Blois führen mußte.

Ei, ei, sagte der Gascogner, das ist ein Spitzbube, der bereits seine eigenen Wege geht und mir Athos‘ Haß gegen das schöne Geschlecht nicht zu teilen scheint. Er zieht nicht auf die Jagd, denn er hat weder Gewehr noch Hunde. Er vollzieht keinen Auftrag, denn er verbirgt sich. Vor wem verbirgt er sich? … Vor mir oder vor seinem Vater? Denn ich bin überzeugt, der Graf ist sein Vater. Bei Gott, was das betrifft, so werde ich es erfahren, denn ich spreche ohne alle Umstände mit Athos.

Der Tag nahm zu. Alles Geräusch, das d’Artagnan in der Nacht nach und nach hatte erlöschen hören, erwachte wieder. D’Artagnan blieb am Fenster, um niemand zu erwecken; als er aber die Türen und die Läden des Schlosses sich öffnen gehört hatte, gab er seinen Haaren einen letzten Strich, seinem Schnurrbart eine letzte Biegung, bürstete aus Gewohnheit die Aufschläge seines Hutes mit dem Ärmel seines Wamses und ging hinab. Kaum war er die letzte Stufe der Freitreppe hinabgestiegen, als er Athos gegen den Boden gebückt und in der Stellung eines Mannes, der einen Taler im Sande sucht, erblickte.

Ei, guten Morgen, lieber Wirt, sagte d’Artagnan.

Guten Morgen, lieber Freund; war die Nacht gut?

Vortrefflich, Athos, wie Euer Bett, wie Euer Abendbrot gestern, das mich zum Schlafe führen mußte, wie Euer Empfang bei meiner Ankunft. Aber was betrachtet Ihr so aufmerksam? Solltet Ihr etwa Liebhaber von Tulpen geworden sein?

Ihr müßt deshalb meiner nicht spotten. Auf dem Lande verändert sich der Geschmack, und man gelangt am Ende ganz unvermerkt dazu, die schönen Dinge zu lieben, welche der Blick Gottes aus dem Erdboden hervorkommen läßt, und die man in den Städten verachtet. Ich betrachte ganz einfach einige Iris, welche ich bei diesem Beete gepflanzt hatte, und die mir diesen Morgen niedergetreten worden sind. Diese Gärtner sind doch die ungeschicktesten Leute von der Welt. Nachdem sie das Pferd zum Trinken geführt, ließen sie es ohne Zweifel in die Beete treten.

D’Artagnan lächelte.

Ah, sagte er, Ihr glaubt?

Und er erzählte, was er gesehen hatte, und schaute dabei forschend seinem Wirte ins Gesicht.

Ah, ich errate jetzt alles, sagte Athos mit einer leichten Bewegung der Schultern. Der arme Junge ist nach Blois geritten. – Was dort tun? – Ei, mein Gott, um sich nach der kleinen La Vallière zu erkundigen. Ihr wißt, das Kind, das sich den Fuß verstaucht hat. – Ihr meint? versetzte d’Artagnan ungläubig. – Ich meine nicht nur, sondern ich weiß es gewiß. Habt Ihr nicht bemerkt, daß Raoul verliebt ist? – Gut! In wen? In dieses siebenjährige Kind? – Mein Lieber, in Raouls Alter ist das Herz so voll, daß man es auf irgend etwas, sei es Traum oder Wirklichkeit, ausströmen lassen muß. Nun, seine Liebe gehört halb dem einen, halb der andern an. – Ihr scherzt! Dieses kleine Mädchen … – Habt Ihr es nicht angeschaut? Es ist das niedlichste kleine Geschöpf der Welt. Silberblonde Haare und blaue Augen, bereits herausfordernd und schmachtend zugleich. – Aber was sagt Ihr zu dieser Liebe? – Ich sage nichts, ich lache und spotte über Raoul; aber diese ersten Bedürfnisse des Herzens sind so gebieterisch, dieses Aufkeimen der verliebten Schwermut ist so süß und so bitter, daß es zuweilen alle Kennzeichen der Leidenschaft zu haben scheint. Ich erinnere mich, daß ich mich in Raouls Alter in eine griechische Statue verliebte, die der gute König Heinrich IV. meinem Vater geschenkt hatte, und daß ich vor Schmerz verrückt zu werden glaubte, als man mir sagte, die Geschichte von Pygmalion sei nur eine Fabel. – Das ist Folge des Müßiggangs. Ihr beschäftigt Raoul nicht genug, und er sucht sich seinerseits zu beschäftigen. – Nichts anderes. Auch gedenke ich ihn von hier zu entfernen. – Und Ihr tut wohl daran. – Allerdings, aber es wird ihm das Herz brechen, und er wird so viel leiden, wie bei einer wahren Liebe. Seit drei bis vier Jahren und gleichsam selbst noch ein Kind, hat er sich daran gewöhnt, das kleine Idol, das er eines Tags anbeten würde, wenn er hier bliebe, zu schmücken und zu bewundern. Diese Kinder träumen jeden Tag miteinander und plaudern über tausend ernsthafte Dinge, als ob sie ein zwanzigjähriges Liebespaar wären. Lange Zeit hat diese Geschichte den Eltern La Vallière Spaß gemacht. Aber ich glaube, sie fangen an, die Stirne zu runzeln. – Kinderei, Raoul bedarf der Zerstreuung. Entfernt ihn rasch von hier, oder Ihr macht nie einen Mann aus ihm. – Ich glaube, sprach Athos, ich werde ihn nach Paris schicken. – Ah! rief d’Artagnan.

Und er dachte, der Augenblick zur Eröffnung der Feindseligkeiten sei gekommen.

Wenn Ihr wollt, sprach er, so können wir diesem jungen Menschen ein Schicksal machen. – Ah! rief Athos ebenfalls. – Ich will Euch sogar über etwas um Rat fragen, was mir im Kopf herumgeht. – Tut es. – Glaubt Ihr, die Zeit sei gekommen, um Dienst zu nehmen? – Aber Ihr seid ja noch im Dienste, d’Artagnan. – Verstehen wir uns recht, tätigen Dienst. Hat das ehemalige Leben nichts Verlockendes mehr für Euch und wenn Euch wirklich Vorteile erwarten, würdet Ihr nicht gern in meiner und unseres Freundes Porthos Gesellschaft die Unternehmungen unserer Jugend wieder ausnehmen? – Macht Ihr mir einen Vorschlag? sagte Athos. – Frei und offenherzig. – Wieder ins Feld zu ziehen? – Ja. – Von wem und gegen wen? fragte Athos plötzlich und heftete sein so klares und so wohlwollendes Auge auf den Gascogner. Hört mich wohl, d’Artagnan. Es gibt nur eine Person, oder vielmehr eine Sache, der ein Mann wie ich nützlich sein kann: die Sache des Königs. – Das ist es gerade, sprach der Musketier. – Aber verständigen wir uns, versetzte Athos ernst. Wenn Ihr unter der Sache des Königs die des Herrn von Mazarin versteht, so hören wir auf, uns zu begreifen. – Ich sage das nicht gerade, antwortete der Gascogner verlegen. – Hört, d’Artagnan, sprach Athos, spielen wir nicht weiter. Euer Zögern, Eure Umwege sagen mir, von welcher Seite Ihr kommt. Diese Sache wagt man allerdings nicht laut zu gestehen, und wenn man für dieselbe wirbt, so tut man es mit gesenktem Ohr und mit verlegnem Ton. – Ah, mein lieber Athos! rief d’Artagnan. – Ei, Ihr wißt wohl, versetzte Athos, daß ich nicht von Euch spreche, der Ihr die Perle der braven und kühnen Männer seid. Ich spreche von dem schmutzigen, intriganten Italiener, von dem Pedanten, der eine Krone auf sein Haupt zu setzen versucht, die er unter einem Kopfkissen gestohlen hat, von dem Schurken, der seine Partei die Partei des Königs nennt und die Prinzen von Geblüt in das Gefängnis zu stecken trachtet, da er es nicht wagt, sie zu töten, wie es unser Kardinal machte, der große Kardinal; ein Wucherer, der seine Goldtaler abwägt und die beschnittenen behält, weil er, obschon ein Betrüger, sie am nächsten Tag beim Spiel zu verlieren fürchtet; ein Schuft, der, wie man versichert, die Königin mißhandelt, was ihr übrigens recht geschähe, und der in drei Monaten einen Bürgerkrieg anfangen wird, um seine Pensionen zu behalten. Das ist der Herr, den Ihr mir vorschlagt, d’Artagnan? Großen Dank! – Gott vergebe mir, Ihr seid lebhafter, als früher, sprach d’Artagnan, und die Jahre haben Euer Blut erhitzt, statt es abzukühlen. Wer sagt Euch, daß dies mein Herr ist, und daß ich Euch denselben aufdringen will?

Teufel! hatte der Gascogner zu sich gesagt, einem so schlecht gestimmten Manne wollen wir unsere Geheimnisse nicht anvertrauen.

Gut, sagte dagegen Athos bei sich, d’Artagnan ist Mazarin.

Von diesem Augenblick an beobachtete er ihn mit außerordentlicher Klugheit.

D’Artagnan seinerseits spielte verschlossener, als je.

Was ist dann eigentlich Euer Wunsch? sprach Athos laut. – Ich wollte Euren Rat hören und dann erst handeln, denn ohne einander sind wir immer unvollständig. – Allerdings. Wie ist’s mit Porthos; habt Ihr ihn bestimmt, Glück zu suchen? Er besitzt doch Vermögen? – Ganz gewiß. Doch der Mensch ist einmal so, er wünscht immer etwas anderes. – Und was wünscht Porthos? – Den Baronstitel! – Ah, das ist wahr; ich hatte es vergessen, sprach Athos lachend.

Es ist wahr? dachte d’Artagnan, und woher hat er es erfahren? Sollte er mit Aramis im Briefwechsel stehen? Ah, wenn ich das wüßte, so wüßte ich alles.

Hier endigte die Unterredung, denn gerade in diesem Augenblick erschien Raoul. Athos wollte ihn ohne Bitterkeit tadeln, aber der junge Mensch sah so betrübt aus, daß er nicht den Mut hatte und sich unterbrach, um ihn zu fragen, was ihm sei.

Sollte es bei unserer jungen Nachbarin schlimmer gehen? sprach d’Artagnan.

Ach! Herr, versetzte Raoul, vom Schmerz fast erstickt, ihr Fall ist sehr ernster Art, und der Arzt befürchtet, sie werde, wenn auch ohne sichtbare Verunstaltung, ihr ganzes Leben lang hinken.

Ah, das wäre furchtbar! sprach Athos.

D’Artagnan hatte einen Scherz auf den Lippen; als er aber sah, welchen Anteil Athos an dem Unglück nahm, hielt er ihn zurück.

O, Herr, was mich am meisten hierbei in Verzweiflung bringt, versetzte Raoul, ist der Umstand, daß ich die Ursache dieses Unglücks bin.

Wie, du, Raoul? fragte Athos.

Allerdings: ist sie nicht, um zu mir zu laufen, von dem Holzstoß herabgesprungen?

Es bleibt Euch kein anderes Mittel, mein lieber Raoul, als sie zur Sühne zu heiraten, sagte d’Artagnan.

Mein Herr, entgegnete Raoul, Ihr scherzt mit einem wahren Kummer; das ist nicht recht!

Und Raoul, der der Einsamkeit bedurfte, um nach Herzenslust weinen zu können, ging in sein Zimmer, das er erst zur Frühstücksstunde wieder verließ.

Das gute Einverständnis der zwei Freunde hatte durch das Scharmützel am Morgen nicht im mindesten gelitten; sie frühstückten mit dem besten Appetit und schauten von Zeit zu Zeit den armen Raoul an, der, mit feuchten Augen und schwerem Herzen, die Speisen kaum berührte.

Gegen Ende des Frühstücks kamen zwei Briefe, die Athos mit der größten Aufmerksamkeit las, ohne sich eines wiederholten Bebens enthalten zu können. D’Artagnan, der ihn über den Tisch hinüber diese Briefe lesen sah und ein äußerst scharfes Gesicht besaß, glaubte ganz deutlich Aramis‘ kleine Handschrift zu erkennen. Beim andern Brief nahm er eine lange, schwankende Frauenhand wahr.

Kommt, sagte d’Artagnan zu Raoul, als er sah, daß Athos allein zu bleiben wünschte, entweder um die Briefe zu beantworten oder um darüber nachzudenken; kommt, wir wollen im Fechtsaale einen Gang miteinander tun, das wird Euch zerstreuen.

Der junge Mensch schaute Athos an, der seinen Blick mit einem Zeichen der Beistimmung beantwortete.

D’Artagnan und Raoul gingen in einen Saal, in welchem Rappiere, Handschuhe, Bruststücke und ähnliche zum Fechten gehörige Gegenstände hingen.

Nun? fragte Athos, als er nach einer Viertelstunde im Saale erschien.

Er hat bereits Euere Hand, mein lieber Athos, antwortete d’Artagnan, und wenn er auch Euer kaltes Blut bekommt, so habe ich Euch nur mein Kompliment zu machen.

Der junge Mensch war etwas beschämt. Für die paar Male, die er d’Artagnan am Arm oder am Schenkel berührt hatte, hatte ihn dieser zwanzigmal auf den vollen Leib getroffen.

In diesem Augenblick trat Charlot ein und überbrachte einen sehr eiligen Brief für d’Artagnan, den ein Bote soeben abgegeben hatte.

Nun war die Reihe an Athos, aus einem Winkel des Auges zu beobachten.

D’Artagnan las den Brief ohne eine sichtbare Bewegung und sagte, nachdem er ihn gelesen hatte, mit leichtem Kopfschütteln:

Seht, mein lieber Freund, was der Dienst ist, und Ihr habt meiner Treu recht, nicht wieder eintreten zu wollen: Herr von Treville ist krank geworden, die Kompagnie kann mich nicht entbehren, und mein Urlaub geht somit verloren. – Ihr kehrt nach Paris zurück? sprach Athos lebhaft. – Ei, mein Gott! ja, erwiderte d’Artagnan; aber kommt Ihr nicht auch selbst dahin?

Athos errötete ein wenig und antwortete:

Wenn ich dahin käme, würde ich mich sehr glücklich schätzen. Euch zu sehen.

Holla! Planchet! rief d’Artagnan aus der Tür, wir reisen in zehn Minuten; gib den Pferden Hafer. Dann sich gegen Athos umwendend:

Es ist mir, als fesselte mich etwas hier, und es tut mir in der Tat unendlich leid. Euch verlassen zu müssen, ohne den guten schweigsamen Grimaud gesehen zu haben.

Grimaud? versetzte Athos. Ach! es ist wahr, ich wunderte mich, daß Ihr Euch nicht nach ihm erkundigtet. Ich habe ihn einem meiner Freunde geliehen.

Der seine Zeichen versteht? sagte d’Artagnan.

Ich hoffe es.

Die zwei Freunde umarmten sich herzlich. D’Artagnan drückte Raoul die Hand, nahm Athos das Versprechen ab, ihn zu besuchen, wenn er nach Paris käme, und ihm zu schreiben, wenn er nicht käme. Planchet, pünktlich wie immer, saß bereits im Sattel.

Kommt Ihr nicht mit mir? sprach d’Artagnan lachend zu Raoul; ich reite durch Blois.

Raoul wandte sich gegen Athos um, der ihn durch ein unmerkliches Zeichen zurückhielt.

Mein Herr, antwortete der Jüngling, ich bleibe bei dem Herrn Grafen.

In diesem Falle lebt alle beide wohl, sprach d’Artagnan und drückte ihnen zum letztenmal die Hand, und Gott beschütze Euch, wie wir zu sagen pflegten, wenn wir uns zur Zeit des seligen Kardinals trennten.

Athos machte ihm ein Zeichen mit der Hand, Raoul eine Verbeugung, und d’Artagnan entfernte sich mit Planchet.

Der Graf folgte ihnen mit den Augen, die Hand auf die Schulter des jungen Menschen gestützt, dessen Höhe beinahe der seinigen gleichkam, aber sobald sie hinter der Mauer verschwunden waren, sagte Athos: Raoul, wir reisen heute abend nach Paris.

Wie! rief der Jüngling erbleichend.

Du kannst Frau von Saint-Remy in deinem und meinem Namen Lebewohl sagen. Ich erwarte dich hier um sieben Uhr.

Der Jüngling verbeugte sich mit einem von Schmerz und Dankbarkeit gemischten Ausdruck und ging weg, um sein Pferd zu satteln.

D’Artagnan war kaum aus der Sehweite, als er den Brief aus der Tasche zog, um ihn noch einmal zu lesen:

Kommt auf der Stelle nach Paris zurück.

J. M.

Der Brief ist trocken, murmelte d’Artagnan, und wenn nicht eine Nachschrift dabei wäre, hätte ich ihn vielleicht nicht verstanden, aber zum Glück findet sich eine Nachschrift.

Und er las die herrliche Nachschrift, die ihn die Trockenheit des Briefes vergessen ließ.

N. S. Geht zu dem Schatzmeister des Königs in Blois; nennt ihm Euern Namen und zeigt ihm diesen Brief; Ihr werdet zweihundert Pistolen erhalten.

Diese Prosa liebe ich, sprach d’Artagnan, und der Kardinal schreibt besser, als ich glaubte. Vorwärts, Planchet, wir wollen dem Schatzmeister des Königs einen Besuch machen, und dann die Sporen eingesetzt! Nach Paris!

Und beide ritten in starkem Trab die Straße entlang.

Herr von Beaufort

Was hatte sich inzwischen in Paris ereignet und d’Artagnans Rückkehr dorthin notwendig gemacht?

Als Mazarin seiner Gewohnheit gemäß eines Abends, als alle Welt sich entfernt hatte, zu der Königin ging und am Saale der Wachen vorüberkam, dessen eine Türe nach dem Vorzimmer ging, hörte er drinnen laut sprechen; er wollte wissen, worüber die Soldaten sich unterhielten, näherte sich, ebenfalls seiner Gewohnheit gemäß, mit Wolfstritten, stieß die Türe etwas auf und steckte durch die Öffnung den Kopf hinein.

Es war ein Streit unter den Wachen über die Erfüllung einer Vorhersagung Coysels, über deren Inhalt der neugierige Kardinal erst Auskunft erhielt, als einer sagte:

Ei, mein Gott, glaubt Ihr, die Menschen können ihrem Geschicke entgehen? Wenn es da oben geschrieben steht, daß Herr von Beaufort sich flüchten soll, so wird er sich flüchten, und alle Vorsichtsmaßregeln des Kardinals können es nicht verhindern.

Mazarin bebte. Er war Italiener, das heißt, abergläubisch. Rasch trat er mitten unter die Wachen, die bei seinem Anblick ihr Gespräch abbrachen.

Was sagtet Ihr, meine Herren? sprach er mit seinem schmeichelnden Lächeln. Ich glaubte zu hören, Herr von Beaufort sei entwichen.

O! nein, Monseigneur, sprach ein Soldat, für den Augenblick ist noch keine Gefahr. Man sagt nur, er werde entweichen.

Und wer sagt dies?

Wiederholt Eure Geschichte, Saint-Laurent, sagte der Gefragte, sich zu dem früheren Erzähler wendend.

Monseigneur, sprach dieser, ich erzählte nur diesen Herren, was ich von der Weissagung eines gewissen Coysel gehört habe, der behauptet, so gut auch Herr von Beaufort bewacht sei, so werde er doch vor Pfingsten entkommen.

Und dieser Coysel ist ein Träumer? ein Narr? versetzte der Kardinal, beständig lächelnd.

Nein, antwortete der Mann. Er weissagte viele Dinge, die geschehen sind, z. B., die Königin werde einen Sohn gebären, Coligny in einem Duell mit dem Herzog von Guise getötet, der Koadjutor zum Kardinal ernannt werden. Die Königin gebar nicht nur einen ersten Sohn, sondern auch zwei Jahre später einen zweiten, und Herr von Coligny wurde getötet.

Ja, sagte Mazarin, aber der Herr Koadjutor ist noch nicht Kardinal.

Nein, Monseigneur, aber er wird es werden.

Mazarin machte eine Grimasse, welche sagen wollte: er hat das Barett noch nicht. Dann fügte er bei:

Es ist also Eure Meinung, mein Freund, Herr von Beaufort werde sich flüchten?

Ich glaube dies so fest, Monseigneur, sprach der Soldat, daß ich, wenn Ew. Eminenz mir zu dieser Stunde die Stelle des Herrn von Chavigny, das heißt, die Gouverneursstelle vom Schloß Vincennens anböte, dieselbe nicht annehmen würde. Ja, am Tage nach Pfingsten wäre es etwas anderes.

Es gibt nichts Überzeugenderes, als eine feste Überzeugung. Mazarin entfernte sich also ganz in Gedanken versunken.

Statt seinen Weg nach dem Zimmer der Königin fortzusetzen, kehrte er wirklich nach seinem Zimmer zurück, rief Bernouin und gab Befehl, man solle ihm am andern Morgen bei Tagesanbruch den Gefreiten holen, den er Herrn von Beaufort beigegeben habe, und ihn wecken, sobald er kommen würde.

Der Soldat hatte die schmerzlichste Wunde des Kardinals mit dem Finger berührt. Seit den fünf Jahren, die Herr von Beaufort im Gefängnisse saß, verging kein Tag, an dem Mazarin nicht dachte, Herr von Beaufort werde früher oder später entkommen. Man konnte einen Enkel Heinrichs IV. nicht sein ganzes Leben lang gefangen halten, besonders wenn dieser Enkel Heinrichs IV. kaum dreißig Jahre alt war. Und welchen Haß mußte er nicht in seiner Gefangenschaft gegen den angehäuft haben, dem er sie zu danken hatte, … der ihn, den reichen, tapfern, berühmten Prinzen, den Liebling der Damen und den Schrecken der Männer, festgenommen hatte, um von seinem Leben die schönsten Jahre abzuschneiden, denn im Gefängnis leben ist kein Dasein. Mittlerweile verdoppelte Mazarin seine Wachsamkeit gegen Herrn von Beaufort, nur glich er dem Geizigen in der Fabel, der neben seinem Schatze nicht schlafen konnte. Oft erwachte er plötzlich in der Nacht bei dem Traum, man habe ihm Herrn von Beaufort gestohlen. Dann erkundigte er sich nach ihm, und bei jeder Erkundigung, die er einzog, mußte er zu seinem Schmerz erfahren, der Gefangene spiele, trinke, singe und befinde sich ganz vortrefflich. Aber mitten im Spielen, Trinken und Singen unterbreche er sich immer wieder, um zu schwören, Mazarin solle ihm das Vergnügen, das er ihn in Vincennes zu genießen nötige, teuer bezahlen.

Als man ihn am nächsten Morgen um 7 Uhr weckte, fuhr er erschreckt auf und fragte, ob Herr von Beaufort ausgebrochen sei. Nein, antwortete ihm Bernouin, aber sein Wächter La Ramée aus Vincennes, den Ihr herbefohlen habt, ist da.

Der Offizier trat auf Mazarins Wink ein. Es war ein großer, dicker, pausbäckiger Mann von gutem Aussehen. Er hatte eine zuversichtliche Miene, die Mazarin beunruhigte.

Dieser Bursche sieht aus wie ein Dummkopf, murmelte er.

La Ramée blieb aufrecht und still an der Türe stehen.

Nähert Euch, mein Herr, sagte Mazarin. Wißt Ihr, was man hier sagt?

Nein, Monseigneur.

Nun wohl, man sagt, Herr von Beaufort werde aus Vincennes entweichen, wenn er es nicht bereits getan hat.

Das Gesicht des Offiziers drückte das tiefste Erstaunen aus. Er öffnete zugleich seine kleinen Augen und seinen großen Mund, um den Scherz besser zu kosten, den Se. Eminenz an ihn zu richten beliebte. Da er bei einer solchen Voraussetzung den Ernst nicht länger behaupten konnte, so brach er in ein so mächtiges Gelächter aus, daß seine dicken Glieder wie von einem heftigen Fieber bei dieser Heiterkeit geschüttelt wurden.

Mazarin war entzückt über diesen nicht sehr respektvollen Ausbruch; aber er behielt dessenungeachtet seine ernste Miene bei. Als La Ramée genug gelacht und sich die Augen abgetrocknet hatte, dachte er, es sei Zeit zu sprechen, um die Unschicklichkeit seines Lachens zu entschuldigen.

Entweichen, sprach er, entweichen? Ew. Eminenz weiß also nicht, wo Herr von Beaufort ist? – Allerdings, mein Herr, ich weiß, daß er im Kerker von Vincennes ist. – Ja, Monseigneur, in einem Zimmer, dessen Mauern sieben Fuß tief sind, mit Fenstern mit gekreuzten Gittern, an denen jede Stange armsdick ist. – Mein Herr, sagte Mazarin, mit Geduld dringt man durch alle Mauern, und mit einer Uhrfeile durchsägt man eine eiserne Stange. – Aber Monseigneur weiß nicht, daß er acht Wachen bei sich hat, vier in seinem Vorzimmer und vier in seinem Zimmer, und daß diese Wachen ihn nie verlassen. – Aber er verläßt sein Zimmer, treibt das Kolbenspiel oder das Ballspiel. – Monseigneur, solche Unterhaltungen sind den Gefangenen gestattet; wenn jedoch Seine Eminenz will, so wird man ihm dieselben entziehen. – Nein, nein. Ich frage nur, mit wem er spielt? – Monseigneur, er spielt mit dem Offizier von der Wache, oder mit mir, oder auch mit den andern Gefangenen. – Aber nähert er sich beim Spiele nicht den Mauern? – Monseigneur, Ew. Eminenz kennt die Mauern nicht? Die Mauern sind sechzig Fuß hoch, und ich bezweifle, daß Herr von Beaufort so lebensmüde ist, daß er es wagen würde, von oben herabzuspringen und den Hals zu brechen. – Hm, sagte der Kardinal, der nun ruhiger zu werden anfing, Ihr meint also, mein lieber La Ramée … – Wenn Herr von Beaufort nicht Mittel findet, sich in ein Vögelchen zu verwandeln, so stehe ich für ihn. – Nehmt Euch in acht, Ihr behauptet zu viel, versetzte Mazarin. Herr von Beaufort sagte zu den Wachen, welche ihn nach Vincennes führten, er habe oft an den Fall einer Einkerkerung gedacht und habe für diesen Fall vierzigerlei Arten gefunden, aus dem Gefängnis zu entkommen. – Monseigneur, wenn unter den vierzig Arten eine einzige gute wäre, antwortete La Ramée, glaubt mir, so wäre er längst heraus. – Aber, wenn sich Herr von Chavigny entfernt? – Wenn er sich entfernt, bin ich da. – Aber wenn Ihr Euch selbst entfernt? – O, wenn ich mich selbst entferne, so ist an meiner Stelle ein kluger Bursche da, der Gefreiter Seiner Majestät zu werden trachtet und gute Wache hält, dafür stehe ich. Seit ich ihn vor drei Wochen in meinen Dienst genommen habe, kann ich ihm nur zum Vorwurf machen, daß er zu hart gegen den Prinzen ist. – Und wer ist dieser Cerberus? fragte der Kardinal. – Ein gewisser Grimaud, Monseigneur. – Was machte er, ehe er zu Euch nach Vincennes kam? – Er war in der Provinz, wie mir der sagte, der mir ihn empfohlen hat. Er hat sich dort wegen eines bösen Streites irgend eine schlimme Geschichte zugezogen, und es wäre ihm vielleicht erwünscht, sich Straflosigkeit unter der Uniform des Königs zu erwerben. – Und wer hat ihn Euch empfohlen? – Der Intendant des Herrn Herzogs von Grammont. – Man kann also Eurer Meinung nach auf ihn vertrauen? – Wie auf mich selbst, Monseigneur. – Er ist kein Schwätzer? – Jesus Christus, Monseigneur, ich glaubte lange, er sei stumm. Er spricht und antwortet nur durch Zeichen. Es scheint, sein früherer Herr hat ihn so abgerichtet. – Nun wohl, sagt ihm, mein lieber La Ramée, versetzte der Kardinal, wenn er gut und getreulich Wache halte, so werde man die Augen über seinen Streichen in der Provinz schließen, ihm eine Uniform aus den Rücken legen, um ihm Achtung zu verschaffen, und in die Taschen dieser Uniform einige Pistolen stecken, daß er auf die Gesundheit des Königs trinken könne.

Mazarin ging sehr weit in Versprechungen. Er war das gerade Gegenteil des von La Ramée gerühmten guten Grimaud, der wenig sprach und viel handelte.

Nach vielen weiteren Fragen entließ der Kardinal, einigermaßen beruhigt, den Offizier, kleidete sich an und eilte zur Königin, um ihr, die nicht minder abergläubisch war, haarklein den Bericht La Ramées zu wiederholen.

Ach! sagte die Königin, als er zu Ende war, daß wir nicht bei dem Prinzen einen Grimaud haben!

Geduld, sprach Mazarin mit seinem italienischen Lächeln; das wird vielleicht eines Tages kommen, aber mittlerweile …

Nun mittlerweile?

Werde ich immerhin meine Vorsichtsmaßregeln nehmen.

Und daraufhin hatte er d’Artagnan geschrieben, er möge seine Rückkehr beschleunigen.

Der Herzog von Beaufort im Kerker

Der Gefangene, der dem Herrn Kardinal so bange machte, und dessen geweissagte Entweichung die Ruhe des ganzen Hofes störten, hatte schwerlich eine Ahnung von der Angst, die man seinetwegen im Palais Royal empfand. Er sah sich so bewundernswürdig bewacht, daß er die Fruchtlosigkeit seiner Versuche erkannte; seine ganze Rache bestand darin, daß er zahllose Verwünschungen und Schmähworte gegen Mazarin ausstieß.

Der Herzog war der Enkel Heinrichs IV. und Gabrieles d’Estrées, ebensogut, ebenso brav und besonders ebensosehr Gascogner, wie sein Großvater, aber bedeutend weniger in den Wissenschaften bewandert. Nachdem er eine Zeitlang nach dem Tode König Ludwigs XIII. der Erste am Hofe gewesen war, mußte er eines Tages seinen Platz an Mazarin abtreten und wurde der Zweite. Und am folgenden Tag, da er so wahnsinnig war, seinen Ärger über diese Herabsetzung laut zu äußern, ließ ihn die Königin verhaften, durch Guitaut nach Vincennes führen und dort fünf Jahre in einem nichts weniger als königlichen Turmzimmer festhalten. In dieser langen Zeit befestigte sich in seinem stolzen Herzen der Trotz gegen den verachteten Kardinal nur noch mehr.

Nachdem er sich vergeblich in Epigrammen an Mazarin zu rächen versucht hatte, griff er zur Malerei, und da ihm seine ziemlich mittelmäßigen Talente in dieser Kunst nicht gestatteten, eine große Ähnlichkeit zu erreichen, so schrieb er, um keinen Zweifel über das Original des Porträts zu lassen, darunter: » Ritratto dell' illustrissimo Facchino Mazarini.« Bildnis des erlauchten Lumpenhundes Mazarini. Als Herr von Chavigny dies erfuhr, machte er dem Herzog einen Besuch und bat ihn, sich einen andern Zeitvertreib zu wählen oder wenigstens Porträte ohne Kommentar zu malen. Am andern Tag war das Zimmer voll von Bildern mit Erklärungen. Herr von Beaufort glich, wie alle Gefangenen, den Kindern, die das am liebsten tun, was man ihnen verbietet.

Herrn von Chavigny wurde von dieser Profilsammlung – an Bildnisse en face wagte sich des Herzogs junge Kunst noch nicht – Mitteilung gemacht, worauf er, als Herr von Beaufort draußen Ball spielte, alle Zeichnungen abwaschen und das Zimmer übermalen ließ.

Herr von Beaufort dankte Herrn von Chavigny, teilte diesmal seine Wände in Felder und widmete jedes einem Zuge aus dem Leben des berühmten Kardinals von Mazarin.

Das erste Feld sollte den hochwürdigsten Schurken Mazarin darstellen, wie er eine Tracht Prügel von dem Kardinal Bentivoglio empfing, dessen Bedienter er gewesen war.

Das zweite den hochwürdigsten Schurken Mazarini, wie er die Rolle des Ignaz von Loyola in der Tragödie dieses Namens spielte.

Das dritte den hochwürdigsten Schurken Mazarini, wie er das Portefeuille des ersten Ministers Herrn von Chavigny stahl, der es bereits in den Händen zu haben glaubte.

Das vierte endlich den hochwürdigsten Schurken Mazarini, wie er La Porte, dem Kammerdiener Ludwigs XIV., Leintücher verweigert und behauptet, es sei für einen König von Frankreich hinreichend, alle Vierteljahre die Leintücher zu wechseln.

Es waren dies großartige Entwürfe, die offenbar den Umfang des Talents des Gefangenen überstiegen, und so begnügte er sich, die Rahmen zu zeichnen und die Inschriften hineinzusetzen.

Aber diese Rahmen und die Inschriften genügten, um die Empfindlichkeit des Herrn von Chavigny zu erregen, der ihm, als er eines Tages im Gefängnisgarten spazieren ging, sein Feuer, mit dem Feuer seine Kohle, mit der Kohle seine Asche wegnahm, so daß er nicht das geringste mehr fand, woraus er einen Zeichenstift hätte machen können.

Herr von Beaufort fluchte, tobte, heulte und sagte, man wolle ihn vor Kälte und Feuchtigkeit sterben lassen, worauf Herr von Chavigny antwortete, er habe nur sein Wort zu geben, daß er auf das Zeichnen Verzicht leiste. Herr von Beaufort gab sein Wort nicht und blieb die übrige Zeit des Winters ohne Feuer.

Herr von Beaufort kaufte nun einem seiner Wächter einen Hund, namens Pistache, ab; da es den Gefangenen nicht verboten war, Hunde zu besitzen, so gab Herr von Chavigny Erlaubnis, daß das vierfüßige Tier seinen Herrn wechsle. Herr von Beaufort blieb oft stundenlang mit seinem Hunde eingeschlossen. Als Pistache hinreichend abgerichtet war, lud sein Herr eines Tages Herrn von Chavigny und die Offiziere von Vincennes zu einer großen Vorstellung ein, die er in seinem Zimmer gab. Die Eingeladenen erschienen, das Zimmer war mit so vielen Kerzen beleuchtet, als Herr von Beaufort sich hatte verschaffen können. Die Übungen begannen.

Der Gefangene hatte mit einem von der Mauer abgelösten Stück Gips mitten durch das Zimmer eine lange Linie gezogen, die einen Strick darstellte. Pistache setzte sich auf den ersten Befehl seines Herrn auf diese Linie, stellte sich sodann auf seine Hinterpfoten und fing an, einen Kleiderausklopfstock zwischen seinen Vorderpfoten haltend, der Linie mit allen Windungen zu folgen, die ein Seiltänzer macht. Nachdem er die Länge der Linie zwei- oder dreimal vor- und rückwärts durchlaufen hatte, gab er den Stock Herrn von Beaufort zurück und machte dieselben Bewegungen ohne Balancierstange.

Das gescheite Tier wurde mit Beifallsbezeigungen überhäuft.

Hierauf zeigte Herr von Chavigny Pistache seine Uhr. Es war halb sieben Uhr.

Pistache hob und senkte die Pfote sechsmal, und bei dem siebenten Mal blieb dieselbe in der Luft. Man konnte unmöglich deutlicher sein. Eine Sonnenuhr hätte nicht besser geantwortet.

Dann handelte es sich darum, zu erkennen, wer der beste Kerkermeister aller Gefängnisse von Frankreich sei.

Der Hund machte dreimal die Runde und legte sich auf die ehrfurchtvollste Weise Herrn Chavigny zu Füßen.

Herr von Chavigny stellte sich, als fände er den Scherz vortrefflich, und lachte aus vollem Halse. Als er genug gelacht hatte, biß er sich auf die Lippen und fing an die Stirne zu runzeln.

Endlich legte Herr von Beaufort Pistache die so schwer zu lösende Frage vor, wer der größte Dieb in der Welt sei?

Pistache machte die Runde im Zimmer, hielt aber vor niemand stille, sondern ging an die Türe und fing an zu kratzen und zu winseln.

Seht, meine Herren, sprach der Prinz, da dieses interessante Tier hier nicht findet, was es will, so beabsichtigt es außen zu suchen. Aber seid unbesorgt, seine Antwort soll Euch deshalb nicht entzogen sein. Pistache, mein Freund, fuhr Her Herzog fort, kommt hierher. Der Hund gehorchte. Ist der größte Dieb der bekannten Welt, sprach der Prinz, der Herr Sekretär des Königs, Le Camus, der mit zwanzig Livres nach Paris gekommen ist und jetzt sechs Millionen besitzt?

Der Hund schüttelte den Kopf zum Zeichen der Verneinung.

Ist es, fuhr der Prinz fort, Herr d’Emery, der seinem Sohne, Herrn Thoré, bei seiner Verheiratung 300,000 Livres Renten und einen Palast gegeben hat, neben dem die Tuilerien eine Baracke und der Louvre ein Rattennest sind?

Der Hund schüttelte abermals den Kopf.

Der ist es auch nicht, sprach der Prinz. Nun, wir wollen suchen. Sollte es zufällig der hochwürdigste Facchino Mazarini di Piscina sein?

Pistache machte die eifrigsten Zeichen der Bejahung, indem er den Kopf acht- bis neunmal hob und senkte.

Meine Herren, Ihr seht, sprach Herr von Beaufort zu den Anwesenden, die diesmal nicht zu lachen wagten, der hochwürdigste Facchino Mazarino di Piscina ist der größte Dieb der bekannten Welt. Pistache behauptet es wenigstens. Gehen wir zu einer andern Übung über.

Meine Herren, fuhr Herr von Beaufort fort, indem er das Stillschweigen seiner Gäste benutzte und das Programm der dritten Abteilung der Abendunterhaltung verkündigte, Ihr wißt, daß der Herzog von Guise alle Hunde von Paris für Fräulein de Pons, die er für die Schönste der Schönen erklärte, springen lehrte. Nun, meine Herren, das war nichts; denn diese Tiere gehorchten mechanisch und sprangen für jeden. Pistache wird Euch, sowie dem Herrn Gouverneur zeigen, daß er hoch über seinen Genossen steht. Herr von Chavigny, habt die Güte, mir Euern Stock zu leihen.

Herr von Chavigny reichte Herrn von Beaufort seinen Stock.

Herr von Beaufort hielt ihn wagrecht einen Fuß hoch.

Pistache, mein Freund, sagte er, mache mir das Vergnügen und springe für Frau von Montbazon.

Jedermann lachte. Man wußte, daß der Herzog von Beaufort im Augenblick seiner Verhaftung der erklärte Liebhaber der Frau von Montbazon gewesen war.

Pistache, mein Freund, fuhr Beaufort fort, springe für die Königin, und er hob den Stock sechs Zoll höher.

Der Hund sprang ehrfurchtsvoll über den Stock.

Pistache, mein Freund, sagte der Herzog und erhöhte den Stock abermals um sechs Zoll, springe für den König.

Der Hund nahm einen Ansatz und sprang trotz der Höhe leicht hinüber.

Und nun, aufgemerkt, sagte der Herzog und erniedrigte den Stock beinahe bis zum Boden. Pistache, mein Freund, springe für den hochwürdigsten Facchino Mazarini di Piscina.

Der Hund wandte dem Stock den Rücken zu.

Nun, was ist das? sagte Herr von Beaufort, indem er einen Halbkreis vom Schweif zum Kopfe des Tieres beschrieb und ihm abermals den Stock vorhielt. Spring doch, Pistache!

Aber Pistache machte abermals eine halbe Wendung und bot dem Stock den Rücken.

Herr von Beaufort wiederholte seine Bewegung und seine Worte. Doch diesmal war die Geduld des Tieres zu Ende. Er warf sich wütend auf den Stock, riß ihn dem Prinzen aus den Händen und zerbrach ihn zwischen seinen Zähnen.

Herr von Beaufort nahm ihm die zwei Stücke aus der Schnauze, überreichte sie Herrn von Chavigny unter tausend Entschuldigungen und sagte, die Abendunterhaltung sei nun geschlossen; wenn er aber in drei Monaten einer zweiten Vorstellung beiwohnen wolle, so würde Pistache neue Stücke gelernt haben.

Drei Tage nachher war Pistache vergiftet – niemals erfuhr man, von wem.

Herr von Beaufort ließ ihm ein Grabmal mit folgender Inschrift errichten: Hier ruht Pistache, einer der gescheitesten Hunde, welche je gelebt haben.

Herr von Chavigny, der ziemlich rachsüchtiger Natur war, fing jetzt an, Herrn von Beaufort seine Kränkungen zurückzugeben. Er nahm ihm die ihm bis jetzt gelassenen eisernen Messer und die silbernen Gabeln und ließ ihm dafür silberne Messer und hölzerne Gabeln geben. Herr von Beaufort beklagte sich, aber Herr von Chavigny ließ ihm antworten: er sei benachrichtigt worden, der Kardinal habe zu Frau von Vendome gesagt, ihr Sohn müsse sein ganzes Leben im Kerker von Vincennes bleiben, und er habe befürchtet, bei dieser unglücklichen Kunde könnte sein Gefangener sich zu einem Selbstmordsversuch verleiten lassen. Vierzehn Tage nachher fand Herr von Beaufort zwei Reihen Bäume, so dick wie ein kleiner Finger, an den Weg gepflanzt, der zum Ballspielplatz führte. Er fragte, was dies zu bedeuten habe, und man antwortete ihm, es sei, um ihm eines Tages Schatten zu geben. Eines Morgens endlich suchte ihn der Gärtner auf und meldete ihm, wie wenn er etwas Angenehmes zu berichten hätte, man lege Spargelbeete für ihn an. Es ist bekannt, daß diese Pflanzungen erst in vier bis fünf Jahren genießbares Gemüse liefern. Diese Höflichkeit versetzte Herrn von Beaufort in Wut.

Herr von Beaufort dachte nun zu einem seiner vierzig Mittel zu greifen und versuchte es zuerst mit dem einfachsten, nämlich La Ramée zu bestechen. Aber La Ramée, der seine Stelle um 1500 Taler gekauft hatte, hielt große Stücke auf sein Amt. Statt auf die Absicht des Gefangenen einzugehen, eilte er stehenden Fußes zu Herrn von Chavigny und machte ihm Meldung. Sogleich stellte Herr von Chavigny acht Mann in das Zimmer des Prinzen, verdoppelte die Wachen und verdreifachte die Posten. Von diesem Augenblick an ging der Prinz nur noch wie ein Theaterkönig einher, nämlich mit vier Mann vor sich und vier Mann hinter sich, die nicht zu rechnen, die in einem Hinterglied marschierten.

Herr von Beaufort lachte anfangs über diese Strenge, die ihm eine Zerstreuung bereitete. Er wiederholte so oft als möglich: Das belustigt mich, das ergötzt mich! Dann fügte er bei: Wenn ich mich übrigens Euern Ehrenbezeigungen entziehen wollte, so hätte ich noch neununddreißig andere Mittel.

Aber diese Zerstreuung wurde am Ende eine Langweile. Aus Prahlerei hielt es Herr von Beaufort sechs Monate aus. Als er aber nach Ablauf von sechs Monaten sah, daß die acht Mann sich setzten, wenn er sich setzte, aufstanden, wenn er aufstand, stehen blieben, wenn er stehen blieb, so fing er an, die Stirne zu runzeln und die Tage zu zählen.

Diese neue Verfolgung führte einen verdoppelten Haß gegen Mazarin herbei. Der Prinz fluchte vom Morgen bis zum Abend und sprach nur vom Zerhacken und Einmachen Mazarinischer Ohren. Es war schaudererregend. Der Kardinal, der alles erfuhr, was in Vincennes vorging, drückte unwillkürlich sein Barett bis zum Halse hinab.

Eines Tages versammelte Herr von Beaufort die Wächter und hielt, obwohl seine Unfähigkeit, sich fließend auszudrücken, sprichwörtlich war, folgende Rede, die er allerdings einstudiert hatte:

Meine Herren, werdet Ihr es dulden, daß ein Enkel des guten Heinrich IV. mit Beleidigungen und Schmach überhäuft wird? Ventre-saint-gris! wie mein Großvater sagte, ich habe in Paris beinahe geherrscht, wißt Ihr! Die Königin schmeichelte mir damals und nannte mich den rechtschaffensten Mann des Reiches. Meine Herren Bürger, bringt mich jetzt hinaus: ich gehe geradeswegs nach dem Louvre. Ich drehe Mazarin den Hals um. Ihr werdet meine Leibwache, ich mache Euch alle zu Offizieren, und zwar mit guten Pensionen. Ventre-saint-gris! vorwärts, marsch!

Aber so pathetisch auch die Beredsamkeit des Enkels von Heinrich IV. war, so rührte sie doch diese Steinherzen nicht; nicht einer bewegte sich von der Stelle. Als Herr von Beaufort dies sah, sagte er zu ihnen, sie seien insgesamt Lumpenkerle, und machte sie sich dadurch zu grausamen Feinden.

Wenn ihn zuweilen Herr von Chavigny besuchte, was er regelmäßig zwei- bis dreimal in der Woche tat, so benutzte der Herzog diese Gelegenheit, ihm zu drohen.

Was werdet Ihr tun, mein Herr, sprach er zu ihm, wenn Ihr eines Tages ein Heer bis unter die Zähne bewaffneter Pariser erscheinen seht, um mich zu befreien?

Monseigneur, antwortete Herr von Chavigny, indem er sich tief vor dem Prinzen verbeugte, ich habe auf meinen Wällen zwanzig Feldstücke und in meinen Kasematten dreißigtausend Schüsse: ich werde sie nach Kräften mit meinen Kanonen bearbeiten.

Ja, aber wenn Ihr Eure dreißigtausend Schüsse abgefeuert habt, so werden sie den Turm nehmen, und wenn sie den Turm genommen haben, so bin ich genötigt, Euch von ihnen hängen zu lassen, was mir allerdings sehr leid tun wird.

Und der Prinz verbeugte sich ebenfalls mit der größten Höflichkeit vor Herrn von Chavigny.

Ich aber, Monseigneur, versetzte Herr von Chavigny, wäre, sobald der erste die Schwelle meiner Schloßpforten betreten oder den Fuß auf meinen Wall setzen würde, zu meinem größten Bedauern genötigt, Euch mit eigener Hand zu töten, da Ihr mir ganz besonders anvertraut seid und ich Euch tot oder lebendig zurückgeben muß.

Und er verbeugte sich abermals vor Sr. Hoheit.

Ja, fuhr der Herzog fort; da aber diese braven Leute sicherlich nicht hierherkommen würden, ohne vorher Herrn Giulio Mazarini gehenkt zu haben, so würdet Ihr Euch wohl hüten, Hand an mich zu legen, und ließet mich wohl leben, um nicht auf Befehl der Pariser von vier Pferden zerrissen zu werden, was noch viel unangenehmer ist, als das Hängen.

Diese süßsauren Scherze gingen so zehn Minuten, eine Viertelstunde, zwanzig Minuten höchstens fort und endigten stets auf folgende Weise.

Herr von Chavigny wandte sich nach der Türe um und rief:

Holla, La Ramée!

La Ramée trat ein.

La Ramée! fuhr Herr von Chavigny fort, ich empfehle Euch Herrn von Beaufort ganz besonders. Behandelt ihn mit aller seinem Namen und Range schuldigen Rücksicht und verliert ihn zu diesem Zwecke nicht einen Augenblick aus dem Gesicht.

Dann entfernte er sich, Herrn von Beaufort mit einer ironischen Höflichkeit grüßend, die diesen so zornig machte, daß er blau wurde.

La Ramée war also der unvermeidliche Tischgenosse des Prinzen, sein ewiger Wächter, der Schatten seines Leibes geworden. Man muß aber dabei gestehen, die Gesellschaft La Ramées, eines heitern Lebemannes, eines angenehmen Kumpans, eines trinkfesten Mannes, eines großen Ballspielers, kurz eines Burschen, der im Grund seines Herzens ein guter Kerl war und für Herrn von Beaufort keinen andern Fehler hatte, als daß er sich nicht bestechen ließ, war für den Prinzen mehr eine Zerstreuung, als eine Pein.

Mit dem Offizier stand es aber ganz anders. La Ramée war verheiratet und ein sehr zärtlicher Gatte und Vater. Er fand daher seine unaufhörliche Fesselung an den Gefangenen außerordentlich lästig und schließlich unerträglich und ergriff mit erklärlichem Eifer das Anerbieten seines Freundes, des Intendanten des Marschalls von Grammont, ihm einen Gehilfen zu verschaffen. Herr von Chavigny erklärte sich mit dem Plan einverstanden, wenn sich eine passende und zuverlässige Person finde, und als solche wurde eben der unsern Lesern aus den Drei Musketieren wohlbekannte Diener von Athos, der schweigend beredte Grimaud empfohlen.

Grimaud tritt sein Amt an

Grimaud fand sich also im Turme von Vincennes ein. Herr von Chavigny glaubte, ein unfehlbares Auge zu haben. Er prüfte also aufmerksam den Bewerber und kam zu dem Schluß, daß die nahe zusammenlaufenden Augenbrauen, die dünnen Lippen, die hakenförmige Nase und die hervorstehenden Backenknochen vollkommen genügende Anzeichen der Befähigung zum Wächteramt seien.

Er richtete nur zwölf Worte an ihn, Grimaud antwortete vier.

Das ist ein ausgezeichneter Bursche, und so habe ich ihn auch sogleich beurteilt, sprach Herr von Chavigny. Geht zu Herrn La Ramée und sagt ihm, Ihr entsprechet mir in jeder Beziehung.

Grimaud besaß gerade die Eigenschaften, welche einen Offizier veranlassen können, ihn zum Unteroffizier zu haben. Nach tausend Fragen, die je nur zum Viertel Antwort erhielten, rieb sich La Ramée, bezaubert durch diese Mäßigkeit in Worten, die Hände und nahm Grimaud an.

Der Befehl? fragte Grimaud.

Folgendes: den Gefangenen nie allein lassen, ihm jedes stechende oder schneidende Instrument nehmen, ihn verhindern, den Leuten außen Zeichen zu machen oder zu lange mit seinen Wächtern zu sprechen.

Dies ist alles? fragte Grimaud.

Für den Augenblick ja, antwortete La Ramée. Neu eintretende Umstände führen neue Befehle herbei.

Gut, antwortete Grimaud.

Und er trat bei dem Herzog von Beaufort ein. Der Herzog war eben im Begriff, seinen Bart zu kämmen, den er, wie auch seine Haupthaare, wachsen ließ, um Mazarin mit der Schaustellung seines Elends und seines schlechten Aussehens zu ängstigen. Da er aber einige Tage vorher von der Höhe seines Turmes herab die schöne Frau von Montbazon, deren Andenken ihm immer noch teuer war, in einem Wagen zu sehen geglaubt hatte, so wollte er für sie nicht das sein, was er für Mazarin war, und verlangte einen bleiernen Kamm, der ihm auch bewilligt wurde.

Grimaud sah bei seinem Eintritt den Kamm, den der Prinz soeben auf den Tisch gelegt hatte, und nahm ihn mit einer Verbeugung weg.

Der Herzog schaute die seltsame Person staunend an, die den Kamm in ihre Tasche steckte.

Holla, he! was ist das? rief der Herzog. Wer ist dieser Bursche?

Grimaud antwortete nicht, sondern verbeugte sich zum zweiten Male.

Bist du stumm? rief der Herzog.

Grimaud machte ein verneinendes Zeichen.

Was bist du denn? Antwort! Ich befehle es dir, sagte der Herzog.

Wächter, antwortete Grimaud.

Wächter! rief der Herzog, gut, es fehlte mir nur noch dieses Galgengesicht zu meiner Sammlung. Holla! La Ramée! Herbei!

La Ramée erschien. Zum Unglück für den Prinzen wollte er sich, im Vertrauen auf Grimaud, eben nach Paris begeben. Er befand sich bereits im Hofe und kam ärgerlich zurück.

Was gibt es, mein Prinz? fragte er. – Wer ist dieser Halunke, der meinen Kamm nimmt und ihn in seine Tasche steckt? fragte Herr von Beaufort. – Einer von Euern Wächtern, Monseigneur, ein sehr wackerer Bursche, den Ihr sicherlich schätzen werdet, wie Herr von Chavigny und ich. – Warum nimmt er mir meinen Kamm? – In der Tat, sagte La Ramée, warum nehmt Ihr Monseigneurs Kamm?

Grimaud zog den Kamm aus seiner Tasche, strich mit dem Finger darüber, betrachtete und zeigte den dicken Zahn und sprach nur das einzige Wort:

Stechend! – Das ist wahr, sagte La Ramée. – Was sagt dieses Vieh? fragte der Herzog. – Es sei von dem König jedes stechende Instrument für Monseigneur verboten. – Ei, seid Ihr verrückt, La Ramée? Ihr selbst habt mir diesen Kamm gegeben. – Und ich hatte großes Unrecht, Monseigneur, denn ich setzte mich dadurch in Widerspruch mit dem Befehl.

Der Herzog schaute Grimaud, der den Kamm La Ramée übergeben hatte, wütend an.

Ich sehe voraus, daß mir dieser Bursche ungeheuer mißfallen wird, murmelte der Prinz.

Grimaud aber wollte nicht schon am ersten Tage unmittelbar mit dem Gefangenen brechen. Er entfernte sich also, um vier Wachen Platz zu machen, die, vom Frühstück zurückkommend, ihren Dienst wieder bei dem Prinzen versehen konnten.

Der Prinz dachte seinerseits an einen neuen Spaß, der ihn ganz in Anspruch nahm. Er hatte für sein Frühstück am nächsten Tage Krebse verlangt und gedachte am heutigen einen kleinen Galgen zu verfertigen, an dem er den schönsten mitten im Zimmer hängen wollte. Die rote Farbe, die ihm das Sieden geben mußte, konnte keinen Zweifel über die Anspielung übrig lassen, und so hatte er das Vergnügen, den Kardinal in effigie zu hängen, bis er einmal in Person gehenkt würde, ohne daß man ihm zum Vorwurf machen konnte, etwas anderes als einen Krebs gehenkt zu haben.

Der Tag verstrich unter den Vorbereitungen zur Hinrichtung. Der Prinz ging wie gewöhnlich spazieren, brach einige kleine Zweige ab, die dazu bestimmt waren, eine Rolle bei der Hinrichtung zu spielen, und fand nach langem Suchen ein Stück zerbrochenes Glas, was ihm das größte Vergnügen machte. In sein Zimmer zurückgekehrt, faserte er sein Sacktuch aus.

Nichts hiervon entging dem beobachtenden Auge Grimauds.

Am andern Morgen war der Galgen bereit; um ihn mitten in seinem Zimmer aufschlagen zu können, schabte Herr von Beaufort ein Ende mit seinem zerbrochenen Glase ab.

La Ramée schaute seinem Treiben mit der Neugierde eines Vaters zu, der seine Kinder mit einem neuen Spielzeug spielen sieht.

Grimaud trat ein, als der Prinz soeben sein Stück Glas niedergelegt hatte, obgleich das Zuspitzen des Galgenfußes noch nicht vollendet war; er hatte sich unterbrochen, um den Faden an das entgegengesetzte Ende des Galgens zu binden.

Als er hiermit fertig war und mit dem Glase fortfahren wollte, bemerkte er, daß dieses verschwunden war.

Wer hat mir mein Glas genommen? fragte der Prinz, die Stirne runzelnd.

Grimaud machte ein Zeichen, daß er es sei.

Wie? Du abermals! Warum hast du es mir genommen?

Ja, fragte La Ramée, warum habt Ihr Seiner Hoheit das Stück Glas genommen?

Grimaud, der das Glasstück in der Hand hielt, fuhr mit dem Finger darüber und sagte: Schneidend.

Das ist richtig, Monseigneur, sprach La Ramée. Teufel, was für einen kostbaren Gehilfen haben wir da bekommen!

Herr Grimaud, rief der Prinz, in Eurem eigenen Interesse beschwöre ich Euch, seid darauf bedacht, nie in den Bereich meiner Hand zu kommen.

Grimaud machte eine Verbeugung und zog sich ans Ende des Zimmers zurück.

Still, still, Monseigneur, sagte La Ramée, gebt mir Euren Galgen, ich will ihn mit meinem Messer zuspitzen. – Ihr? sagte der Herzog lachend. – Ja, ich; war das nicht Euer Wunsch? – Allerdings. – Schön, das wird nur noch drolliger werden, sprach der Herzog. Hier, mein lieber La Ramée.

La Ramée spitzte den Fuß des Galgens auf das niedlichste zu.

Gut, sagte der Herzog; macht mir nun ein kleines Loch in den Boden, während ich den armen Sünder hole.

La Ramée kniete mit einem Fuße nieder und höhlte den Boden aus. Während dieser Zeit hing der Prinz seinen Krebs an den Faden. Dann pflanzte er den Galgen mitten im Zimmer aus und brach in ein lautes Gelächter aus. La Ramée lachte auch aus vollem Herzen, ohne recht zu wissen, warum er lachte, und die Wachen machten Chorus.

Grimaud allein lachte nicht. Er näherte sich La Ramée, deutete auf den Krebs, der sich am Ende des Fadens drehte, und sagte: Kardinal.

Gehenkt von Sr. Hoheit, dem Herzog von Beaufort, versetzte der Prinz, immer stärker lachend, und von Meister Jacques Chrysostomo La Ramée, Gefreitem des Königs.

La Ramée stieß einen Schrei des Schreckens aus und stürzte nach dem Galgen, den er aus der Erde riß und in kleine Stücke zerbrach, die er zum Fenster hinauswarf. Er hatte so gänzlich den Kopf verloren, daß er auch den Krebs hinauswerfen wollte, als Grimaud ihm denselben aus den Händen nahm und sagte: Gut zum Essen. Und er steckte den Krebs in seine Tasche.

Aber die Geschichte von dem Krebs machte zur größten Verzweiflung La Ramées bald im Innern des Gefängnisses die Runde und durch Herrn von Chavigny, der in der Tiefe seines Herzens den Kardinal verabscheute, auch außerhalb.

Mittlerweile hatte der Herzog unter seinen Wachen einen Mann von ziemlich gutem Aussehen bemerkt, den er um so freundlicher behandelte, als ihm Grimaud jeden Augenblick mehr mißfiel. Eines Morgens, als er diesen Mann beiseite genommen hatte und mit ihm einige Zeit allein sprach, trat Grimaud ein, betrachtete, was vorging, näherte sich ehrfurchtsvoll der Wache und dem Prinzen und nahm die Wache beim Arme.

Was wollt Ihr? fragte der Prinz mit hartem Tone.

Grimaud führte die Wache einige Schritte weg, deutete auf die Türe und sagte: Geht. Die Wache gehorchte.

Ihr seid mir ganz unerträglich! rief der Prinz. Grimaud verbeugte sich ehrfurchtsvoll.

Ich breche Euch die Knochen entzwei, schrie der Prinz in Verzweiflung. Grimaud verbeugte sich und wich zurück.

Herr Spion, fuhr der Herzog fort, ich erdroßle Euch mit meinen Händen. Grimaud verbeugte sich abermals und wich immer mehr zurück.

Und zwar, versetzte der Prinz, der es für das beste hielt, sogleich ein Ende zu machen, sofort, in diesem Augenblick.

Und er streckte seine krampfhaft geballten Hände gegen Grimaud aus, der nun die Wache hinausstieß und die Türe hinter ihr schloß. In diesem Augenblick fühlte er, wie die Hände des Prinzen sich auf seine eisernen Schultern herabsenkten. Aber statt zu rufen oder sich zu verteidigen, beschränkte er sich darauf, langsam seinen Zeigefinger in die Höhe seiner Lippen zu führen und mit dem freundlichsten Lächeln leise das Wort: Stille! zu sagen.

Ein Lächeln, eine Gebärde und ein Wort von Grimaud war etwas so Seltenes, daß Seine Hoheit plötzlich, voll Staunen inne hielt.

Grimaud benutzte diesen Augenblick, um aus dem Futter seines Wamses ein zierliches Briefchen mit aristokratischem Siegel hervorzuziehen, dem sein langer Aufenthalt in Grimauds Kleidern seinen früheren Wohlgeruch nicht hatte benehmen können, und reichte es dem Herzog, ohne ein Wort zu sprechen.

Immer mehr erstaunt, ließ der Herzog Grimaud los, nahm den Brief und rief, die Handschrift erkennend: Von Frau von Montbazon! Grimaud machte ein bejahendes Zeichen mit dem Kopfe.

Der Herzog zerriß rasch den Umschlag, fuhr mit der Hand über die Augen und las:

Mein lieber Herzog!

Ihr könnt Euch vollkommen dem braven Burschen anvertrauen, der Euch dieses Billett zustellt, denn er ist der Bediente eines Edelmannes, der zu uns gehört und für ihn als einen durch zwanzigjährige Treue erprobten Mann bürgt. Er hat sich dazu verstanden, in den Dienst Eures Gefreiten zu treten und sich mit Euch in Vincennes einzuschließen, um Eure Flucht, die wir planen, vorzubereiten und zu unterstützen.

Der Augenblick der Befreiung ist nahe; faßt Geduld und Mut und bedenkt, daß trotz Zeit und Abwesenheit alle Eure Freunde die Gefühle bewahrt haben, die sie für Euch hegten.

Euere stets und immer wohlgeneigte
Marie von Montbazon.

Der Herzog blieb einen Augenblick wie betäubt. Was er seit fünf Jahren suchte, ohne es zu finden, einen Diener, einen Beistand, einen Freund, das fiel ihm plötzlich vom Himmel zu und zwar in einem Augenblick, wo er es am wenigsten erwartete. Er schaute Grimaud erstaunt an, nahm dann den Brief wieder vor und las ihn noch einmal von Anfang bis zu Ende.

Oh! teure Marie, murmelte er dann, sie ist es also gewesen, die ich im Hintergrunde ihres Wagens wahrgenommen habe. Wie, sie denkt noch an mich nach einer Trennung von fünf Jahren! Bei Gott, das ist eine himmlische Beständigkeit.

Dann fügte er, sich gegen Grimaud umwendend, bei:

Und du, mein braver Junge, du willst uns also helfen? – Grimaud machte ein bejahendes Zeichen. – Du bist nur deshalb hierhergekommen? – Grimaud wiederholte sein Zeichen. – Und ich wollte dich erdrosseln! rief der Herzog. – Grimaud lächelte. – Doch halt, sprach der Herzog und suchte in seinen Taschen. – Warte, fuhr er dann, seinen fruchtlosen Versuch erneuernd, fort, man soll nicht sagen, eine solche Aufopferung für einen Enkel Heinrichs IV. bleibe unbelohnt.

Als Grimaud die Enttäuschung und den Ärger des Herzogs bemerkte, zog er aus seiner Tasche eine Börse voll Gold, überreichte sie ihm und sagte: Das ist es, was Ihr sucht.

Der Herzog öffnete die Börse und wollte sie in Grimauds Hände leeren, Grimaud aber schüttelte den Kopf und sprach zurückweichend: Ich danke, Monseigneur, ich bin bezahlt.

Der Herzog fiel aus einem Erstaunen ins andere. Er reichte ihm die Hand; Grimaud näherte sich und küßte sie ehrfurchtsvoll. Athos‘ vornehme Manieren waren eine Schule für Grimaud gewesen.

Und nun, fragte der Herzog, was werden wir tun?

Es ist elf Uhr, versetzte Grimaud. Um zwei Uhr verlange Monseigneur eine Partie Ball mit La Ramée zu spielen und schleudere zwei bis drei Bälle über den Wall.

Wohl, und dann?

Dann … wird sich Monseigneur der Mauer nähern und einem Manne, der im Graben arbeitet, zurufen, er solle sie ihm zurückwerfen.

Ich begreife, sagte der Herzog.

Grimauds Gesicht schien eine lebhafte Befriedigung auszudrücken; bei dem geringen Gebrauch, den er von der Gewohnheit der Sprache machte, wurde ihm das Reden schwer, doch bat er noch den Herzog, ihn weiter so verächtlich zu behandeln wie zuvor.

Da klopfte man an die Türe.

Der Herzog steckte den Brief und die Börse in die Tasche und warf sich auf sein Bett. Man wußte, daß dies seine Zuflucht in seinen großen Augenblicken des Ärgers und der Langweile war. Grimaud öffnete; es war La Ramée, der vom Kardinal zurückkehrte, wo die von uns erzählte Scene vorgefallen war.

La Ramée warf einen forschenden Blick um sich her, und als er immer noch dieselben Symptome des Widerwillens zwischen dem Gefangenen und seinem Wächter wahrnahm, lächelte er voll innerer Zufriedenheit und sagte zu Grimaud:

Gut, mein Freund, gut; man hat geeigneten Orts von Euch gesprochen, und ich hoffe, Ihr sollt bald eine Neuigkeit erfahren, die Euch nicht unangenehm sein wird.

Grimaud grüßte mit einer Miene, die er freundlich zu machen suchte, und entfernte sich.

Nun, Monseigneur, sprach La Ramée mit seinem plumpen Lachen, Ihr schmollt immer noch mit diesem armen Burschen?

Ah! Ihr seid es, La Ramse, sagte der Herzog; meiner Treu, es war Zeit, daß Ihr kamet. Ich hatte mich auf mein Bett geworfen und die Nase der Wand zugedreht, um der Versuchung nicht nachzugeben, mein Wort zu halten und diesen Schurken Grimaud zu erdrosseln. – Ich zweifle, erwiderte La Ramée, daß der mundfaule Bursche Eurer Hoheit etwas Unangenehmes gesagt hat. – Bei Gott, ich glaube wohl; ein Stummer aus dem Orient. Ich schwöre Euch, es war Zeit, daß Ihr zurückkamet, La Ramée, und es drängte mich. Euch wiederzusehen. – Monseigneur ist zu gütig, versetzte La Ramée, von dem Komplimente geschmeichelt. – Ja, fuhr der Herzog fort, in der Tat, ich fühle mich heute von einer Ungeschicklichkeit, die Euch Vergnügen gewähren wird. – Wir machen also eine Partie Ball? sagte La Ramée mechanisch; nur bitte ich Eure Hoheit um Vergebung, ich bedarf einer halben Stunde Frist. – Und warum dies? – Weil Monseigneur Mazarin, von dem ich komme, obgleich nicht von so hoher Geburt, doch viel stolzer ist, als Ihr, und mich zum Frühstück einzuladen vergessen hat. – Nun wohl, so will ich Dir ein Frühstück hierher bringen lassen. – Nein, Monseigneur, ich muß Euch sagen, daß der Pastetenbäcker, der dem Schlosse gegenüber wohnte, und den man den Vater Marteau nannte … – Nun? – Vor acht Tagen sein Besitztum an einen Pastetenbäcker von Paris verkauft hat, dem die Ärzte, wie es scheint, die Landluft anrieten. – Was geht das mich an? – Wartet doch, Monseigneur. Dieser verdammte Pastetenbäcker hat vor seiner Bude eine Masse von Dingen, die einem den Mund wässerig machen. – Leckermaul! – Ei, mein Gott, Monseigneur, versetzte La Ramée, man ist doch kein Leckermaul, wenn man gern gut ißt. Es liegt in der Natur des Menschen, daß er in Pasteten, wie in allen andern Dingen möglichst Vollkommenes sucht. Dieser Spitzbube von einem Pastetenbäcker, Monseigneur, kam nun, als er mich vor seiner Bude still stehen sah, dummdreist auf mich zu und sagte mir: Herr La Ramée, ich muß die Kundschaft der Gefangenen bekommen. Ich habe dieses Etablissement von meinem Vorgänger gekauft, weil er mir die Versicherung gab, er liefere für das Schloß, und auf meine Ehre, Herr von Chavigny hat seit den acht Tagen, die ich hier bin, noch kein Törtchen bei mir holen lassen. – Dies ist ohne Zweifel der Fall, antwortete ich ihm, weil Herr von Chavigny befürchtet. Euer Gebäck sei nicht gut. – Nicht gut, mein Gebäck! Nun wohl, Herr La Ramée, Ihr sollt selbst Richter sein, und zwar auf der Stelle! – Ich kann nicht, antwortete ich, denn ich muß sogleich ins Schloß zurückkehren. – Nun wohl, sagte er, so macht Eure Geschäfte ab, da Ihr Eile zu haben scheint, und kommt in einer halben Stunde wieder. – In einer halben Stunde? – Ja. Habt Ihr gefrühstückt? – Meiner Treu, nein! – Seht, hier ist eine Pastete, die Euch mit einer Flasche Burgunder erwartet. – Und Ihr begreift, Monseigneur, da ich noch ganz nüchtern bin, so möchte ich mit Erlaubnis Ew. Hoheit …

Und La Ramée verbeugte sich.

Geh also, Vieh, sprach der Herzog, aber merke dir wohl, ich gebe dir nur eine halbe Stunde. – Darf ich dem Nachfolger von Vater Marteau Eure Kundschaft versprechen? – Ja, vorausgesetzt, daß er mir keine giftigen Schwämme in seine Pasteten tut.

La Ramse entfernte sich in größter Eile.

Die Pasteten des Pariser Bäckers

Eine halbe Stunde nachher kehrte La Ramée munter und vergnügt zurück, wie ein Mensch, der gut gegessen und besonders gut getrunken hat. Er hatte vortreffliche Pasteten und köstlichen Wein gefunden.

Das Wetter war schön und gestattete die beabsichtigte Partie, bei der es dem Herzog, da sie das sogenannte Langballspiel betrieben, leicht fallen mußte, das zu tun, was ihm Grimaud empfohlen hatte, das heißt, die Bälle in den Graben zu schleudern.

Solange es indessen nicht zwei Uhr geschlagen hatte, war der Herzog nicht zu ungeschickt, denn zwei Uhr war die bestimmte Stunde. Er verlor jedoch die bis dahin eingegangenen Partien, wodurch er ein Recht erhielt, zornig zu werden und Fehler auf Fehler zu machen.

Als es zwei Uhr schlug, fingen die Bälle an, den Weg nach dem Graben zu nehmen und zwar zur großen Freude La Ramées, der bei jedem Hinaus, das der Prinz machte, fünfzehn Punkte gewann.

Die Hinaus nahmen so zu, daß es bald an Bällen fehlte. La Ramée schlug nun vor, jemand hinabzuschicken, um sie aus dem Graben zu holen. Aber der Herzog bemerkte, das wäre verlorene Zeit, näherte sich dem Walle, der an dieser Stelle wenigstens fünfzig Fuß hoch war, und erblickte einen Mann, der in einem der tausend Gärtchen jenseit des Grabens arbeitete.

He, Freund! rief der Herzog.

Der Mann schaute empor, und der Prinz war im Begriff, einen Schrei des Erstaunens auszustoßen. Dieser Mann, dieser Bauer, dieser Gärtner war Rochefort, den der Prinz in der Bastille vermutete.

Nun, was gibt es da oben? fragte der Mann.

Habt die Gefälligkeit, unsere Bälle zurückzuwerfen, rief der Herzog.

Der Gärtner machte ein Zeichen mit dem Kopf und begann die Bälle zurückzuwerfen, die La Ramée und die Wachen aufhoben. Einer fiel vor die Füße des Herzogs, und da dieser offenbar für ihn bestimmt war, so steckte er ihn in seine Tasche. Dann machte er dem Gärtner ein Zeichen des Dankes und kehrte zu seiner Partie zurück. Er erklärte aber, er schäme sich so großer Ungeschicklichkeit und wolle nicht weiter spielen.

La Ramée war entzückt, einen Prinzen von Geblüt völlig geschlagen zu haben.

Der Prinz kehrte in sein Zimmer zurück und legte sich nieder. Das tat er beinahe den ganzen Tag, seitdem man ihm seine Bücher genommen hatte.

La Ramée nahm die Kleider des Prinzen, unter dem Vorwand, sie seien mit Staub bedeckt und er müsse sie ausbürsten lassen, in Wirklichkeit aber, um sicher zu sein, daß sich der Prinz nicht von der Stelle bewegte. Er war ein vorsichtiger Mann, dieser La Ramée.

Glücklicherweise hatte der Prinz Zeit gehabt, den Ball unter seinem Kopfpfühl zu verbergen.

Sobald die Türe geschlossen war, zerriß der Herzog den Umschlag des Balles mit seinen Zähnen, denn man ließ ihm kein schneidendes Instrument; zum Essen hatte er nur Messer mit silbernen Klingen, die nicht schnitten. In dem Umschlag steckte ein Brief, der folgende Zeilen enthielt:

»Monseigneur, Eure Freunde wachen, und die Stunde Eurer Befreiung naht. Verlangt übermorgen eine Pastete zu essen von dem neuen Pastetenbäcker, der den Laden des früheren gekauft hat und niemand anders ist, als Noirmont, Euer Hausmeister. Öffnet die Pastete erst, wenn Ihr allein seid. Ich hoffe, Ihr werdet mit ihrem Inhalt zufrieden sein.

Ew. Hoheit stets ergebener Diener,
in der Bastille wie anderswo,

Graf von Rochefort.«

Der Herzog von Beaufort verbrannte den Brief, wie er dies zu seinem großen Bedauern mit dem Billet der Frau von Montbazon getan hatte. Kaum daß er es getan hatte, so trat der wachsame La Ramée ein und fragte: Bedarf Monseigneur etwas?

Mit großer Kunst wußte der Herzog das sich zwischen ihm und Ramée entspinnende Zwiegespräch so zu lenken, daß sein Wächter selbst die Fragen stellte, die er hören wollte. So lud er La Ramée, von dem wir wissen, daß er ein Feinschmecker war, für den übernächsten Tag, den Pfingsttag, zu einem leckeren Mahle unter vier Augen ein, ohne daß sein Partner seine Absicht merken konnte.

Das Anerbieten war verführerisch, aber La Ramée war ein alter Pfiffikus, der alle Fallen kannte, die ein Gefangener stellen kann. Herr von Beaufort hatte, wie er sagte, vierzig Mittel vorbereitet, um aus dem Gefängnis zu entfliehen. Verbarg dieser Schmaus nicht etwa doch eine List? Er dachte einen Augenblick nach.

Nun, fragte der Herzog, geht es? – Ja, Monseigneur, unter einer Bedingung. – Unter welcher? – Daß uns Grimaud bei Tafel serviert.

Nichts konnte dem Prinzen angenehmer sein. Er hatte sich jedoch so weit in der Gewalt, daß er seinem Gesicht einen starken Anflug übler Laune gab.

Zum Teufel mit Eurem Grimaud! rief er, er wird mir den ganzen Schmaus verderben. – Ich befehle ihm, sich hinter Eurer Hoheit zu halten, und da er kein Wort spricht, so wird ihn Eure Hoheit weder sehen noch hören und mit etwas gutem Willen sich einbilden, er sei hundert Meilen entfernt. – Mein Lieber, entgegnete der Herzog, wißt Ihr, was ich am klarsten in allem dem sehe? Daß Ihr mir mißtraut. – Monseigneur, es ist übermorgen Pfingsten. – Was geht mich Pfingsten an? Ist Euch bange, der heilige Geist könnte in der Gestalt einer feurigen Zunge herabsteigen, um mir die Türe meines Kerkers zu öffnen? – Nein, Monseigneur, aber Ihr wißt, was der Magier prophezeit hat. – Und was hat er prophezeit? – Der Pfingsttag werde nicht vorübergehen, ohne daß Eure Hoheit sich außerhalb Vincennes befinde. – Du glaubst also an Magier, Dummkopf? – Ich? sagte La Ramée, ich kümmere mich nicht so viel darum, und er schnalzte mit den Fingern, aber Monsignor Giulio kümmert sich darum; als Italiener ist er abergläubisch.

Der Herzog zuckte die Achseln.

Nun wohl, es sei, sagte er mit vortrefflich gespielter Nachgiebigkeit, ich nehme Grimaud an, denn sonst würde die Sache nie zu stande kommen; aber ich will niemand außer Grimaud. Ihr besorgt alles und bestellt ein Abendbrot, wie Ihr es für gut findet; das einzige Gericht, das ich bezeichne, ist eine von den Pasteten, von denen Ihr gesprochen habt. Ihr bestellt sie für mich, damit der Nachfolger von Vater Marteau sich selbst übertrifft, und Ihr versprecht ihm meine Kundschaft für die ganze Zeit, die ich im Kerker bleibe.

Monseigneur, sagte La Ramée, ich will das Abendessen bestellen. – Und Ihr glaubt, Ihr werdet etwas aus Eurem Zögling machen können? – Ich hoffe es, antwortete La Ramée.

An der Tür blieb er stehen und fragte: Wen befiehlt Monseigneur hierherzuschicken? – Wen Ihr wollt, nur Grimaud nicht. – Den Offizier der Wache also. Mit seinem Schachspiel? – Ja.

La Ramée entfernte sich.

Fünf Minuten nachher trat der Offizier der Wache ein, und der Herzog schien sich ganz in die seltsamen Kombinationen des Schachspiels zu vertiefen.

Es ist ein eigentümliches Ding um den Geist! Welche Wirkungen bringen darin manchmal ein Zeichen, ein Wort, eine Hoffnung hervor! Der Herzog war seit fünf Jahren im Gefängnis, und ein Blick rückwärts ließ ihm diese fünf Jahre minder lang erscheinen, als die achtundvierzig Stunden, die ihn noch von der zu seiner Entweichung bestimmten Stunde trennten. Alle Hoffnung und alle Zweifel stürmten zugleich auf ihn ein. Kein Wunder, daß es beim Schach ging wie beim Ballspiel: der Herzog machte Fehler über Fehler, und der Offizier der Wache schlug ihn am Abend, wie La Ramée am Morgen.

Aber seine fortwährenden Niederlagen hatten einen Vorteil; es waren drei Stunden gewonnen, dann sollte die Nacht kommen und mit der Nacht der Schlaf.

So dachte der Herzog wenigstens, aber der Schlaf ist eine sehr launenhafte Gottheit, und als sie sich ihm endlich hingab, wurde sein Schlummer durch die unruhigsten Träume gestört.

Als am nächsten Morgen La Ramée eintrat, fand er ihn so bleich und abgemattet, daß er ihn fragte, ob er krank sei.

In der Tat, sprach eine der Wachen, die im Zimmer gelegen hatte und wegen eines Zahnwehs infolge der Feuchtigkeit nicht hatte schlafen können, Monseigneur hat eine sehr unruhige Nacht gehabt und zwei- oder dreimal im Traum um Hilfe gerufen.

Was fehlt denn Monseigneur? fragte La Ramée.

Du bist es, Dummkopf, sagte der Herzog, der mir mit seinem albernen Entweichungsgeschwätz gestern den Kopf verwirrt hat; du bist schuld, daß mir träumte, ich fliehe und breche auf der Flucht den Hals.

La Ramée brach in ein Gelächter aus.

Ihr seht, Monseigneur, sprach La Ramée, das ist eine Stimme vom Himmel; ich hoffe auch, Monseigneur wird nie die Unklugheit begehen, die Eure Hoheit geträumt hat. – Und Ihr habt recht, mein lieber La Ramée, erwiderte der Herzog, den Schweiß abtrocknend, der noch über seine Stirne lief, obgleich er völlig wach war, ich will nur noch an Essen und Trinken denken. – St! flüsterte La Ramée.

Und er entfernte die Wachen eine nach der andern unter irgend einem Vorwand.

Nun? fragte der Herzog, als sie allein waren. – Euer Mahl ist bestellt, antwortete La Ramée. – Und worin wird es bestehen? laßt hören, mein Herr Obersthofmeister. – Monseigneur hat versprochen, sich auf mich zu verlassen. – Es wird eine Pastete dabei sein? – Ich glaube wohl, so dick wie ein Turm. – Von dem Nachfolger des Vaters Marteau? – Wie befohlen. – Und du hast gesagt, sie sei für mich? – Ich habe es ihm gesagt. – Und was antwortete er? – Er wolle tun, was in seinen Kräften stehe, um Eure Hoheit zufriedenzustellen. – Vortrefflich! rief der Herzog, sich die Hände reibend. – Teufel! Monseigneur, sprach La Ramée, wie Ihr Euch Plötzlich auf ein leckeres Mahl freut; seit fünf Jahren habe ich Euch nie so vergnügt gesehen, wie in diesem Augenblick.

Der Herzog sah, daß er sich nicht genug bemeistert hatte; aber da Grimaud gehorcht und begriffen hatte, daß La Ramée von seinen Gedanken abgebracht werden müsse, trat er in diesem Augenblick ein und bedeutete La Ramée durch ein Zeichen, er habe ihm etwas zu sagen.

La Ramée näherte sich Grimaud, der ganz leise mit ihm sprach.

Der Herzog gewann mittlerweile seine Ruhe wieder und sagte:

Ich habe diesem Menschen bereits verboten, sich ohne meine Erlaubnis hier zu zeigen. – Monseigneur, erwiderte La Ramée, man muß ihm vergeben, denn ich habe ihn bestellt. – Warum habt Ihr ihn bestellt?… weil Ihr wißt, daß er mir mißfällt? – Monseigneur erinnert sich, was verabredet worden ist, erwiderte La Ramée, und daß er uns bei dem bekannten Abendessen bedienen muß. Monseigneur hat das Abendessen vergessen. – Nein. Aber ich hatte Herrn Grimaud vergessen. – Monseigneur weiß, daß es ohne ihn kein Abendessen gibt. – Nun, so macht, wie Ihr wollt. – Tretet näher, mein Lieber, sprach La Ramée, und hört, was ich Euch sage.

Grimaud näherte sich mit seinem griesgrämigsten Gesicht. La Ramée fuhr fort: Monseigneur erweist mir die Ehre, mich auf morgen zum Abendessen unter vier Augen einzuladen.

Grimaud machte ein Zeichen, durch das er sagen wollte, er wisse nicht, was ihn das angehe.

Doch, doch, erwiderte La Ramée, die Sache geht Euch allerdings an, denn Ihr sollt die Ehre haben, uns zu servieren, abgesehen davon, daß, so guten Appetit und so großen Durst wir auch haben werden, immer noch etwas auf dem Grunde der Schüsseln und auf dem Boden der Flaschen zurückbleiben wird, und dieses Etwas ist für Euch.

Grimaud verbeugte sich zum Danke.

Und nun, Monseigneur, sprach La Ramée, bitte ich Eure Hoheit um Entschuldigung. Es scheint, Herr von Chavigny entfernt sich auf einige Tage, und er läßt mir sagen, er habe vor seiner Abreise noch einige Befehle zu geben.

Geht, sagte der Herzog zu La Ramée, und kommt bald zurück.

Will Monseigneur Revanche für die Ballpartie von gestern haben?

Grimaud machte ein unmerkliches Zeichen von oben nach unten.

Ja, sagte der Herzog, aber nehmt Euch in acht, mein lieber La Ramée, die Tage folgen sich, aber sie gleichen sich nicht.

La Ramée entfernte sich, Grimaud folgte ihm mit den Augen, ohne daß sein übriger Körper nur um eine Linie von seiner Richtung abging; als er die Türe wieder geschlossen sah, zog er rasch einen Bleistift und ein Blatt Papier aus seiner Tasche und sagte: Schreibt; Monseigneur.

Und was soll ich schreiben?

Grimaud machte ein Zeichen mit dem Finger und diktierte:

Alles ist für morgen abend bereit; habt acht von sieben bis neun Uhr, bringt zwei Reitpferde mit, wir steigen durch das erste Fenster der Galerie hinab.

Der Herzog unterzeichnete.

Hat Monseigneur den Ball verloren? fragte Grimaud. – Welchen Ball? – Den, der den Brief enthielt. – Nein, ich dachte, er könnte uns nützlich sein. Hier ist er.

Und der Herzog zog den Ball unter dem Kopfpfühl hervor und reichte ihn Grimaud.

Grimaud lächelte so angenehm, als es ihm nur immer möglich war.

Nun? fragte der Herzog. – Ich nähe das Papier in den Ball, und wenn Ihr spielt, werft Ihr ihn in den Graben. – Aber vielleicht geht er verloren? – Seid unbesorgt, es ist einer da, der ihn aufhebt. – Ein Gärtner? – Grimaud machte ein bejahendes Zeichen. – Der von gestern?– Grimaud wiederholte sein Zeichen.

Der Graf von Rochefort also?

Grimaud machte zum drittenmal ein bejahendes Zeichen.

Aber sage mir doch etwas über die Art und Weise, wie wir fliehen sollen, sprach der Herzog. – Es ist mir vor dem Augenblick der Ausführung verboten. – Wer sind die, welche mich auf der andern Seite des Grabens erwarten werden? – Ich weiß es nicht, Monseigneur. – Aber teile mir doch wenigstens mit, was die Pastete enthalten wird, wenn du nicht willst, daß ich verrückt werden soll. – Monseigneur, sie wird zwei Dolche, einen Strick mit Knoten und eine Maulbirne (einen Knebel mit Sprungfeder) enthalten. – Gut, ich begreife. – Monseigneur sieht, daß für alles gesorgt ist. – Wir nehmen für uns die Dolche und den Strick, sagte der Herzog. – Und lassen La Ramée die Birne essen, versetzte Grimaud. – Mein lieber Grimaud, sprach der Herzog, du sprichst nicht oft, aber man muß dir Gerechtigkeit widerfahren lassen, wenn du sprichst, sprichst du goldene Worte.