Die Flucht

D’Artagnan grüßte, entfernte sich und lief heim, um Porthos die Botschaft zu bringen.

Trotz der Aufregung, die immer noch in der Stadt nachzitterte, bot das Palais-Royal, als d’Artagnan gegen fünf Uhr abends dahin ging, ein sehr heiteres Schauspiel. Darüber durfte man sich nicht wundern; die Königin hatte Broussel und Blancmesnil dem Volke zurückgegeben. Sie hatte jetzt nichts mehr zu befürchten, denn das Volk hatte nichts mehr zu verlangen.

Es fand ein kleines Festmahl statt, wobei die Rückkehr des Siegers von Lens als Vorwand diente. Die Prinzen und Prinzessinnen wurden eingeladen; ihre Karossen füllten den Hof seit Mittag. Nach dem Mahle sollte Spiel bei der Königin sein.

Anna von Österreich strahlte an diesem Tag von Geist und Anmut; nie hatte man sie so heiterer Laune gesehen. Die lockende Rache glänzte in ihren Augen und umspielte ihre Lippen. Im Augenblick, wo man von der Tafel aufstand, verschwand Mazarin. D’Artagnan war bereits an seinem Posten und erwartete ihn im Vorzimmer. Der Kardinal erschien mit lachender Miene, nahm ihn bei der Hand und führte ihn in sein Kabinett.

Mein lieber Herr d’Artagnan, sagte der Minister, sich setzend, ich will Euch den größten Beweis von Vertrauen geben, den ein Minister einem Offizier geben kann.

D’Artagnan verbeugte sich und erwiderte: Ich hoffe, daß Monseigneur ihn mir ohne Hintergedanken und mit der Überzeugung gibt, daß ich desselben würdig bin. – Die Königin hat beschlossen, mit dem König eine kleine Reise nach Saint-Germain zu machen. – Ah, ah! rief d’Artagnan, das heißt, die Königin will Paris verlassen? – Ihr begreift, Weiberlaune. – Ja, ich begreife sehr gut. – Deshalb ließ sie Euch diesen Morgen kommen und beauftragte Euch, heute abend um fünf Uhr abermals zu erscheinen. Man hat auf Euch die Augen geworfen, um den König und die Königin nach Saint-Germain zu bringen. – Doppelter Schelmenstreich! sprach d’Artagnan zu sich selbst. – Ihr seht wohl, versetzte Mazarin, als er das gleichgültige Wesen d’Artagnans wahrnahm, daß das Heil des Staates in Euern Händen ruhen wird. – Ja, Monseigneur, und ich fühle die ganze Verantwortlichkeit eines solchen Auftrags. – Ihr übernehmt ihn jedoch? – Ich willige stets ein. – Haltet Ihr die Sache für möglich? – Alles ist möglich. – Glaubt Ihr, Ihr werdet auf dem Wege angegriffen werden? – Es ist wahrscheinlich. – Was werdet Ihr in diesem Falle tun? – Ich werde durchbrechen. – Und wenn Ihr nicht durchbrecht? – Dann geht es den Angreifern schlecht, dann reite ich über sie weg. – Und Ihr bringt den König und die Königin wohlbehalten nach Saint-Germain? – Ja. – Bei Eurem Leben? – Bei meinem Leben. – Ihr seid ein Held, mein Teurer! sprach Mazarin und betrachtete den Musketier voll Bewunderung. – Und ich? sagte Mazarin nach kurzem Stillschweigen, d’Artagnan fest anschauend. – Wie, Ihr, Monseigneur? – Und ich, wenn ich reisen will? – Das wird schwierig sein. – Wieso? – Ew. Eminenz kann erkannt werden. – Selbst unter dieser Verkleidung? sagte Mazarin.

Und er hob einen Mantel auf, der ein Fauteuil bedeckte, auf dem ein vollständiger perlgrauer und granatfarbiger, ganz mit Silber verbrämter Reiteranzug lag.

Wenn Ew. Eminenz sich verkleidet, wird die Sache leichter.

Mazarin gab aufatmend ein gedehntes Ah! von sich.

Aber man wird tun müssen, was Ew. Eminenz, wie sie uns einst sagte, an unserer Stelle getan hätte. – Was meint Ihr? – Man muß Nieder mit Mazarin! schreien. – Ich werde schreien. – Aber in gutem Französisch, gebt wohl auf den Akzent acht. – Ich werde mein möglichstes tun. – Es sind viele bewaffnete Leute auf den Straßen, fuhr d’Artagnan fort; seid Ihr überzeugt, daß niemand den Plan der Königin kennt? – Ich traue nicht jedermann, sagte Mazarin lebhaft; zum Beweise mag dienen, daß ich Euch zu meinem Geleitsmann ausersehen habe. – Reist Ihr nicht mit der Königin? – Nein. – Dann reist Ihr nach der Königin? – Nein, erwiderte Mazarin. – Ah! rief d’Artagnan, der zu begreifen anfing. – Ja, ich habe meine Pläne, fuhr Mazarin fort; gehe ich mit der Königin, so verdopple ich ihre schlimmen Aussichten; nach ihrer Abreise verdoppeln sich meine; weiter … ist der Hof einmal gerettet, so kann man mich vergessen; die Großen sind undankbar. – Das ist wahr, sagte d’Artagnan und warf unwillkürlich einen Blick auf den Diamanten der Königin, den Mazarin am Finger trug.

Mazarin folgte der Richtung dieses Blickes und drehte sacht den Stein des Ringes nach innen.

Ich will daher vor ihnen abreisen, und Ihr werdet also vor allen Dingen mich aus Paris bringen, nicht wahr, mein lieber Herr d’Artagnan? – Ein schwerer Auftrag, antwortete d’Artagnan wieder mit ernster Miene. – Aber, versetzte Mazarin und schaute ihn so aufmerksam an, daß ihm kein Ausdruck seiner Physiognomie entgehen konnte, aber Ihr habt in Betreff des Königs und der Königin diese Einwendungen nicht gemacht?

Der König und die Königin sind mein König und meine Königin, Monseigneur, antwortete der Musketier, mein Leben gehört ihnen, ich bin es ihnen schuldig. Sie verlangen es von mir, ich habe nichts zu sagen.

Das ist richtig, murmelte Mazarin ganz leise, aber da dein Leben nicht mir angehört, muß ich es dir abkaufen, nicht wahr?

Und er begann mit einem Seufzer den Stein des Ringes nach außen zu drehen. D’Artagnan lächelte.

Doch Ihr begreift, sprach Mazarin, wenn ich diesen Dienst von Euch verlange, so geschieht es mit der Absicht, dankbar dafür zu sein.

Ist Monseigneur erst bei der Absicht?

Nehmt, sagte Mazarin, den Ring von seinem Finger ziehend, hier ist ein Diamant, der einst Euch gehört hat; es ist billig, daß er zu Euch zurückkehre; nehmt, ich bitte.

D’Artagnan machte Mazarin nicht die Mühe, in ihn dringen zu müssen; er nahm ihn, schaute den Stein an, ob es gewiß derselbe sei, und steckte den Ring, nachdem er sich von der Reinheit des Wassers überzeugt hatte, mit einem unbeschreiblichen Vergnügen an seinen Finger.

Ich hielt große Stücke darauf, sagte Mazarin, den Diamanten mit einem letzten Blick begleitend, aber gleichviel, es macht mir Freude, ihn Euch zu geben. – Und ich, Monseigneur, versetzte d’Artagnan, ich nehme ihn, wie er mir gegeben wird. Sprechen wir nun von Euern Angelegenheiten. Ihr wollt vor allen anderen abreisen? – Ja, es ist mir viel daran gelegen. – Um welche Stunde? – Um zehn Uhr. – Und die Königin? – Um Mitternacht. – Dann ist es möglich; ich bringe Euch aus Paris, ich lasse Euch vor der Barriere und kehre zurück, um sie abzuholen. – Vortrefflich; aber wie wollt Ihr mich aus Paris bringen? – Oh! da müßt Ihr mich machen lassen. – Ich gebe Euch Vollmacht, nehmt eine Eskorte so stark, als Ihr wollt.

D’Artagnan schüttelte den Kopf.

Aber wie wollen wir dann zu Werke gehen? – Ihr müßt mich machen lassen, Monseigneur, – Hm! brummte Mazarin. – Ihr müßt mir die Leitung des ganzen Unternehmens übergeben. – Doch … – Oder einen andern damit beauftragen, sagte d’Artagnan, den Rücken drehend. – Ah! sprach Mazarin ganz leise, ich glaube, er geht mit meinem Diamanten.

Und er rief ihn zurück.

Herr d’Artagnan, mein lieber Herr d’Artagnan, sprach Mazarin mit schmeichelndem Tone. – Monseigneur? – Steht Ihr mir für alles? – Ich stehe für nichts; ich werde mein möglichstes tun. – Euer möglichstes? – Ja. – Nun wohl, ich verlasse mich auf Euch. – Das ist ein Glück, sagte d’Artagnan zu sich selbst. – Ihr werdet also um halb zehn Uhr hier sein? – Und ich finde Ew. Eminenz bereit? – Ganz gewiß. – Abgemacht also. Will mich Monseigneur nun zu der Königin führen?

Nun gut, sagte Mazarin nach einigem Zögern, d’Artagnans unerschütterlichem Willen nachgebend, ich will Euch führen, aber kein Wort von unserer Unterredung. – Was unter uns gesprochen worden ist, geht nur uns an, Monseigneur. – Ihr schwört mir, stumm zu sein? – Ich schwöre nie, Monseigneur. Ich sage ja oder nein und halte mein Wort als Edelmann. – Ich sehe, daß ich mich ganz unbedingt Euch anvertrauen muß. – Glaubt mir, das ist das beste, Monseigneur. – Kommt.

Mazarin ließ d’Artagnan in das Betzimmer der Königin eintreten und hieß ihn warten. Nach fünf Minuten erschien die Königin in großer Gala.

Ihr seid es, Herr d’Artagnan? sagte sie freundlich lächelnd; ich danke Euch, daß Ihr darauf bestanden habt, mich zu sehen. – Ich bitte Ew. Majestät um Verzeihung, erwiderte d’Artagnan, aber ich wollte ihre Befehle nur aus ihrem eigenen Munde empfangen. – Ihr wißt, um was es sich handelt? – Ja, Madame. – Ihr übernehmt den Auftrag, den ich Euch anvertraue? – Dankbar übernehme ich den Auftrag. – Gut, seid um Mitternacht hier. – Ich werde mich einfinden. – Herr d’Artagnan, ich kenne Euren uneigennützigen Charakter zu gut, um in diesem Augenblick von meiner Dankbarkeit zu sprechen, aber ich schwöre Euch, daß ich diesen zweiten Dienst nicht vergessen werde, wie ich den ersten vergessen habe. – Es steht Ew. Majestät frei, sich zu erinnern und zu vergessen, und ich weiß nicht, was sie damit sagen will, erwiderte d’Artagnan sich verbeugend. – Geht, mein Herr, sprach die Königin mit ihrem bezauberndsten Lächeln, geht und kehrt um Mitternacht zurück.

Um halb zehn Uhr trat d’Artagnan in das Vorzimmer des Kardinals; Bernouin wartete und führte ihn ein.

Er fand den Kardinal in Reitertracht. Mazarin sah sehr gut aus in dieser Kleidung, die er mit großer Leichtigkeit trug; er war nur bleich und zitterte ein wenig.

Ganz allein? fragte Mazarin. – Ja, Monseigneur. – Und der gute Herr du Vallon, werden wir uns seiner Gesellschaft nicht erfreuen? – Allerdings, Monseigneur, er wartet in seinem Wagen. – Wo? – Am Gartentor vom Palais-Royal. – Wir reisen also in seinem Wagen? – Ja, Monseigneur. – Und ohne anderes Geleite als Euch beide? – Ist das nicht genug? Einer von beiden würde hinreichen. – In der Tat, mein lieber Herr d’Artagnan, sagte Mazarin, Ihr erschreckt mich mit Eurer Kaltblütigkeit. – Ich hätte eher geglaubt, sie müßte Euch Vertrauen einflößen. – Und kann ich Bernouin mitnehmen? – Es ist kein Platz für ihn, er kann Ew. Eminenz nachfolgen. – Gut, sagte Mazarin, da ich in allem tun muß, wie Ihr es haben wollt. – Monseigneur, es ist noch Zeit zurückzutreten, und Ew. Eminenz ist vollkommen frei. – Nein, nein, gehen wir.

Beide stiegen die geheime Treppe hinab; Mazarin stützte sich dabei auf d’Artagnan, und der Musketier fühlte, wie der Arm des Kardinals zitterte.

Sie durchschritten die Höfe des Palais-Royal, wo noch einige Wagen verspäteter Gäste aufgestellt waren, erreichten den Garten und gelangten zu der kleinen Tür.

Mazarin versuchte, sie mit Hilfe eines Schlüssels, den er aus der Tasche zog, zu öffnen, aber seine Hand zitterte dergestalt, daß er das Schlüsselloch nicht finden konnte.

Gebt, sagte d’Artagnan.

Mazarin gab ihm den Schlüssel, d’Artagnan öffnete und steckte dann den Schlüssel in seine Tasche; er gedachte auf diesem Weg zurückzukehren.

Der Fußtritt war heruntergelassen, der Kutschenschlag offen; Mousqueton stand am Schlag, Porthos saß im Wagen.

Steigt ein, Monseigneur, sprach d’Artagnan.

Mazarin ließ sich das nicht zweimal sagen und sprang in den Wagen.

D’Artagnan stieg hinter ihm ein; Mousqueton schloß den Schlag wieder und schwang sich mit vielen Seufzern hinter dem Wagen auf; er hatte einige Einwendungen gegen die Reise erhoben, unter dem Vorwand, seine Wunde schmerze ihn noch, aber d’Artagnan entgegnete ihm: Bleibt, wenn Ihr wollt, mein lieber Herr Mouston, aber ich mache Euch darauf aufmerksam, daß Paris in dieser Nacht abgebrannt wird.

Darauf hatte Mousqueton nichts mehr verlangt, sondern sich vielmehr bereit erklärt, seinem Gebieter und Herrn d’Artagnan bis ans Ende der Welt zu folgen.

Der Wagen ging in einem anständigen Trab, der nicht entfernt verriet, daß er Menschen enthielt, die große Eile hatten. Der Kardinal trocknete sich die Stirn mit seinem Taschentuch ab und schaute um sich her.

Er hatte zu seiner Linken Porthos, zu seiner Rechten d’Artagnan. Jeder bewachte einen Schlag, jeder diente ihm als Wall.

Auf dem Vordersitz lagen zwei Paar Pistolen, eines vor Porthos, ein anderes vor d’Artagnan; die Freunde hatten überdies ihre Degen an der Seite.

Hundert Schritte vom Palais-Royal hielt eine Patrouille den Wagen an.

Wer da? rief der Führer.

Mazarin! antwortete d’Artagnan und brach in ein schallendes Gelächter aus. Dem Kardinal standen die Haare zu Berge. Der Spaß kam den Bürgern beim Anblick dieses ohne Bewaffnete und ohne Geleite fahrenden Wagens vortrefflich vor.

Glückliche Reise! riefen sie und ließen den Wagen vorüberziehen.

Nun, sagte d’Artagnan, was denkt Monseigneur von dieser Antwort?

Ihr seid ein Mann von Geist! rief Mazarin.

Richtig, sprach Porthos, ich begreife.

Gegen die Mitte der Rue des Petits-Champs hielt eine zweite Patrouille den Wagen an.

Wer da? rief der Anführer.

Rückt zurück, Monseigneur, sagte d’Artagnan.

Mazarin schob sich dergestalt zwischen die zwei Freunde, daß er gänzlich hinter ihnen verschwand.

Wer da? wiederholte dieselbe Stimme ungeduldig.

D’Artagnan merkte zugleich, daß man die Pferde anhielt.

Er beugte sich mit dem halben Leib zum Wagen hinaus und rief: He! Planchet.

Der Führer näherte sich; es war wirklich Planchet. D’Artagnan hatte die Stimme seines ehemaligen Lakaien wiedererkannt.

Wie, Herr, Ihr seid es? sagte Planchet.

Ei, mein Gott, ja, mein Freund. Der liebe Porthos hat einen Degenstich bekommen, und ich führe ihn nach seinem Landhaus in Saint-Cloud.

Oh! wirklich? rief Planchet.

Porthos, versetzte d’Artagnan, teurer Porthos, wenn Ihr noch sprechen könnt, so sagt ein Wort zu diesem guten Planchet. Planchet, mein Freund, sprach Porthos mit gepreßter Stimme, ich bin sehr krank, und wenn du einen Arzt findest, so mach mir das Vergnügen, ihn zu mir zu schicken.

Ah! großer Gott, rief Planchet, welch ein Unglück! Wie ist es denn geschehen?

Ich werde es dir später erzählen, sprach Mousqueton.

Porthos stieß einen Seufzer aus.

Mach uns Platz, Planchet, sagte d’Artagnan ganz leise, oder er kommt nicht mehr lebendig nach Hause: die Lunge ist verletzt, mein Freund.

Planchet wandte sich gegen seine Mannschaft um und sagte: Laßt den Wagen vorbei, es sind Freunde.

Der Wagen fuhr weiter, und Mazarin wagte wieder zu atmen.

Bricconi (Schurken)! murmelte er.

Einige Schritte, ehe man zu der Porte Saint-Honoré kam, begegnete man einer dritten Gruppe; diese bestand aus Menschen von schlimmem Aussehen, die eher Banditen, als sonst etwas glichen; es waren die Leute des Bettlers von Saint-Eustache.

Aufgepaßt, Porthos, sagte d’Artagnan.

Porthos streckte die Hand nach seinen Pistolen aus.

Was gibt es? fragte Mazarin.

Monseigneur, ich glaube, wir sind in schlechter Gesellschaft.

Ein Mann trat, eine Art Sense in der Hand haltend, an den Kutschenschlag.

Wer da? fragte dieser Mann.

Ei, Bursche, sagte d’Artagnan, erkennt Ihr den Wagen des Prinzen nicht?

Prinz oder nicht, erwiderte der andere, öffnet! Wir haben die Torwache, und niemand kommt durch, ohne daß wir wissen, wer es ist.

Was ist zu tun? fragte Porthos.

Bei Gott, nichts anders, als fortzufahren, erwiderte d’Artagnan.

Wie dies? sagte Mazarin.

Mitten durch oder drüber weg. Kutscher im Galopp!

Der Kutscher hob die Peitsche.

Keinen Schritt mehr, sprach der Mann, welcher der Führer zu sein schien, oder ich schneide Euern Pferden die Sehnen durch.

Verdammt! versetzte Porthos, das wäre schade, die Tiere kosten mich zweihundert Pistolen.

Ich bezahle sie Euch doppelt, sagte Mazarin.

Ja, aber wenn man ihnen die Sehnen durchgeschnitten hat, so schneidet man uns den Hals ab.

Es kommt einer auf meine Seite, sprach Porthos; soll ich ihn töten?

Ja, mit einem Faustschlag, wenn Ihr könnt; wir wollen erst in der äußersten Not Feuer geben.

Ich kann es, erwiderte Porthos.

Kommt und öffnet also, sagte d’Artagnan zu dem Mann mit der Sense, nahm dann eine seiner Pistolen beim Lauf und schickte sich an, mit dem Kolben dreinzuschlagen.

Der Mann näherte sich; während er sich aber näherte, legte sich d’Artagnan, um freier in seinen Bewegungen zu sein, halb aus dem Schlage heraus; seine Augen hefteten sich auf die des Bettlers, den der Schimmer einer Laterne beleuchtete.

Ohne Zweifel erkannte er den Musketier, denn er wurde sehr bleich; ohne Zweifel erkannte d’Artagnan auch ihn, denn seine Haare sträubten sich auf dem Haupte.

Herr d’Artagnan! rief er, einen Schritt zurückweichend, Herr d’Artagnan! Laßt den Wagen vorbei.

Vielleicht war d’Artagnan im Begriff, zu antworten, als ein Schlag ertönte, wie wenn eine Keule auf den Schädel eines Ochsen fällt: Porthos hatte seinen Mann tot zu Boden gestreckt.

D’Artagnan wandte sich um und sah den Unglücklichen vier Schritte vom Wagen auf der Erde liegen.

Im stärksten Galopp! rief er dem Kutscher zu. Angetrieben! Zugefahren!

Der Kutscher versetzte seinen Pferden einen mächtigen Peitschenhieb. Die edlen Tiere sprangen auf. Man hörte ein Geschrei, wie von Menschen, die niedergeworfen werden. Dann fühlte man einen doppelten Stoß; zwei Räder waren über einen biegsamen, runden Körper gegangen.

Es wurde ein Augenblick still. Der Wagen fuhr aus dem Tore.

Nach dem Cours-la-Reine, rief d’Artagnan dem Kutscher zu.

Dann wandte er sich gegen Mazarin und sagte:

Jetzt, Monseigneur, könnt Ihr fünf Pater und fünf Ave beten, um Gott für Eure Befreiung zu danken. Ihr seid gerettet, Ihr seid frei!

Mazarin antwortete nur durch eine Art von Gestöhn; er konnte kaum an ein solches Wunder glauben. Fünf Minuten nachher hielt der Wagen an: er war bei dem Cours-la-Reine angelangt.

Ist Monseigneur mit seiner Eskorte zufrieden? fragte der Musketier.

Entzückt, mein Herr, antwortete Mazarin, und er wagte es endlich, den Kopf ein wenig aus dem Schlage zu legen; nur tut ebensoviel für die Königin.

Das wird weniger schwierig sein, sagte d’Artagnan zu Boden springend. Herr du Vallon, ich empfehle Euch Seine Eminenz.

Seid unbesorgt! sprach Porthos, die Hand ausstreckend.

D’Artagnan nahm Porthos‘ Hand und schüttelte sie.

Adieu! rief Porthos.

Was habt Ihr denn? – Ich glaube, ich habe mir das Faustgelenk verstaucht, erwiderte Porthos. – Den Teufel, Ihr schlagt auch wie verrückt drauf. – Ich mußte wohl, mein Mann wollte eine Pistole auf mich abdrücken; aber Ihr, wie habt Ihr Euch des Eurigen erledigt? – Oh! der meinige, sagte d’Artagnan, das war kein Mensch. – Was war es denn? – Ein Gespenst. – Und … – Ich habe es beschworen.

D’Artagnan nahm ohne weitere Erklärung die Pistolen, die auf dem Vordersitz lagen, steckte sie in seinen Gürtel, hüllte sich in seinen Mantel und wandte sich, da er nicht durch dieselbe Barriere zurückkehren wollte, durch die er herausgekommen war, nach der Porte Richelieu.

Der Wagen des Koadjutors

Statt durch die Porte Saint-Honoré zurückzukehren, machte d’Artagnan, der Zeit hatte, einen Umweg und kehrte durch die Porte Richelieu zurück. Man erkannte ihn, und als man an seinem Federhut und an seinem galonierten Mantel wahrnahm, daß er Offizier der Musketiere war, umgab man ihn und forderte ihn auf: Nieder mit Mazarin! zu rufen. Die erste Bewegung beunruhigte ihn anfangs; als er aber hörte, was man von ihm forderte, rief er das Verlangte so willig und laut, daß auch die Schwierigsten sich zufrieden gaben.

Er folgte der Rue de Richelieu und sann über die Art und Weise nach, wie er nun die Königin ebenfalls wegbringen sollte, da erblickte er auf einmal vor einem vornehmen Hause eine Equipage, und es erleuchtete ihn plötzlich ein Gedanke.

Ah! bei Gott! sagte er, das wäre dem Kriegsgebrauche gemäß.

Er näherte sich dem Wagen und schaute das Wappen an den Schlägen und die Livree des Kutschers an, der auf dem Bocke faß.

Diese Prüfung wurde ihm um so leichter, als der Kutscher fest schlief.

Das ist der Wagen des Koadjutors, sprach er; bei Gott, ich fange an zu glauben, daß die Vorsehung für uns ist.

Er stieg sacht in den Wagen, zog an der seidenen Schnur, die mit dem kleinen Finger des Kutschers in Verbindung stand, und sagte: Ins Palais-Royal!

Plötzlich erweckt, wandte sich der Kutscher nach dem bezeichneten Punkt, ohne zu vermuten, daß der Befehl von einem andern, als von seinem Herrn herrührte. Der Portier war im Begriff, die Gitter zu schließen; als er aber die prächtige Equipage erblickte, zweifelte er nicht daran, daß es ein Besuch von Bedeutung sein müsse, und ließ den Wagen durchfahren, der unter dem Säulengang anhielt.

Erst hier bemerkte der Kutscher, daß die Lakaien nicht hinter dem Wagen waren.

Er glaubte, der Koadjutor habe sie verschickt, sprang, ohne die Zügel aus der Hand zu lassen, vom Bock herab und öffnete.

D’Artagnan sprang ebenfalls heraus, und im Augenblick, wo der Kutscher, voll Schreck über die fremde Erscheinung, einen Schritt rückwärts machte, faßte er ihn mit der linken Hand beim Kragen und setzte ihm mit der rechten die Pistole vor die Brust.

Sprichst du ein einziges Wort, sagte d’Artagnan, so bist du des Todes.

Der Kutscher sah am Gesichtsausdrucke des Sprechenden, daß er in eine Falle gegangen war, und sperrte Mund und Augen ungeheuer auf.

Zwei Musketiere gingen im Hofe auf und ab; d’Artagnan rief sie bei ihren Namen.

Herr von Bellière, sagte er zu dem einen, habt die Güte, diesem braven Mann die Zügel abzunehmen, sich auf den Bock der Kutsche zu setzen, sie vor die geheime Treppe zu führen und mich dort zu erwarten; es betrifft eine wichtige Angelegenheit und gehört zum Dienste des Königs.

Der Musketier wußte, daß sein Leutnant unfähig war, einen schlechten Spaß in Beziehung auf den Dienst zu machen, und gehorchte, ohne ein Wort zu sagen, obgleich ihm der Befehl sonderbar vorkam.

Dann wandte sich d’Artagnan gegen den zweiten Musketier und sagte: Herr du Verger, helft mir diesen Menschen in Gewahrsam bringen.

Hierauf führte er den armen Kutscher in ein Zimmer mit vergitterten Fenstern und festem Schlosse, hieß den Musketier bei dem Gefangenen wachen und ihm beim ersten Versuche zu schreien oder zu fliehen den Degen durch den Leib stoßen. Dann nahm er dem Kutscher seinen Hut und Mantel ab, die er Bernouin übergab, und ließ sich von diesem zur Königin führen und bei ihr melden.

Die Königin hatte alles zur Flucht vorbereitet, der König war früh zu Bette gebracht worden, alle Hofdamen hatten sich nach dem Abendessen entfernt.

Als Bernouin an das Schlafzimmer der Königin klopfte, öffnete sie selbst.

Ihr seid es, Bernouin? sagte sie. Ist Herr d’Artagnan da?

Ja, Madame, in Eurem Betzimmer; er wartet, bis Ew. Majestät bereit ist.

Ich bin’s. Sagt Laporte, er solle den König wecken und ankleiden, dann geht zu dem Marschall von Villeroy und setzt ihn in meinem Namen in Kenntnis.

Bernouin verbeugte sich und ging. Die Königin trat in ihr Betzimmer, das eine einfache Lampe von venetianischem Glase beleuchtete. Sie erblickte d’Artagnan, der auf sie wartete.

Ihr seid es? sagte sie zu ihm. – Ja, Madame. – Ihr seid bereit? – Ich bin es. – Und der Kardinal? – Ist ohne Unfall hinausgekommen; er erwartet Ew. Majestät in Cours-la-Reine. – Aber in welchem Wagen fahren wir? – Ich habe alles besorgt, ein Wagen harrt unten auf Ew. Majestät. – Gehen wir zum König!

D’Artagnan verbeugte sich und folgte der Königin. Als sie in das Schlafzimmer eintrat, während d’Artagnan auf der Schwelle blieb, entschlüpfte der junge König den Händen Laportes und lief auf sie zu.

Die Königin machte d’Artagnan ein Zeichen, näherzukommen.

Mein Sohn, sprach die Königin und deutete auf den Musketier, der ruhig, aufrecht, mit entblößtem Haupte in ihrer Nähe stand, dies ist Herr d’Artagnan, ein so braver Mann, wie einer jener alten, tapfern Ritter, deren Geschichte Ihr Euch so gern von meinen Frauen erzählen laßt. Erinnert Euch seines Namens und schaut ihn wohl an, um sein Gesicht nicht aus dem Gedächtnis zu verlieren, denn er wird uns heute abend einen wichtigen Dienst leisten.

Der junge König schaute den Offizier mit seinem großen, stolzen Auge an und wiederholte: Herr d’Artagnan?

So ist es, mein Sohn.

Der junge König hob langsam seine kleine Hand auf und reichte sie dem Musketier; dieser setzte ein Knie auf die Erde und küßte sie.

Herr d’Artagnan, wiederholte Ludwig, es ist gut, Madame.

In diesem Augenblick hörte man, wie ein Geräusch näher kam.

Was ist das? sagte die Königin.

Oh, oh! antwortete d’Artagnan, zu gleicher Zeit sein feines Ohr und seinen scharfen Blick anstrengend, es ist der Lärm des Volkes, das sich empört.

Wir müssen fliehen, sagte die Königin.

Ew. Majestät hat mir die Leitung dieser Angelegenheit übertragen: wir müssen bleiben und erfahren, was man will.

Herr d’Artagnan!

Ich stehe für alles.

Nichts teilt sich rascher mit, als das Vertrauen. Die Königin, die selbst voll Mut und Kraft war, wußte diese beiden Tugenden bei andern sogleich zu erkennen.

Handelt, sagte sie, ich verlasse mich auf Euch.

Will mir Ew. Majestät erlauben, bei dieser ganzen Angelegenheit Befehle in Ihrem Namen zu geben?

Befehlt, mein Herr.

Was will denn dieses Volk wieder? fragte der König.

Wir werden es erfahren, Sire, antwortete d’Artagnan.

Und er verließ rasch das Zimmer.

Der Tumult wurde immer größer und schien gleichsam das ganze Palais-Royal einzuhüllen. Man hörte vom Zimmer aus Geschrei, dessen Sinn man nicht verstehen konnte; offenbar fand ein Aufruhr statt.

Der halbangekleidete König, die Königin und Laporte blieben horchend und wartend da, wo sie sich befanden.

Nun? fragte Anna von Österreich, als sie d’Artagnan wieder erscheinen sah, was gibt es?

Madame, es hat sich das Gerücht verbreitet, die Königin habe das Palais-Royal verlassen und den König mitgenommen; das Volk verlangt jetzt den Beweis vom Gegenteil, oder droht das Palais-Royal zu zerstören.

Ah! das ist zu stark, und ich will ihnen beweisen, daß ich nicht abgereist bin.

D’Artagnan sah am Gesichtsausdruck der Königin, daß sie irgend einen heftigen Befehl geben wollte. Er näherte sich ihr und sagte ganz leise: Hat Ew. Majestät immer noch Vertrauen zu mir?

Diese Stimme ließ sie erbeben.

Ja, mein Herr, alles Vertrauen, erwiderte sie.

Wird Ew. Majestät die Gnade haben, meinem Rat zu folgen?

Sprecht.

Ew. Majestät wolle Herrn von Comminges wegschicken und ihm befehlen, sich und seine dreihundert Leute in der Wachtstube und in den Ställen eingeschlossen zu halten.

Comminges schaute d’Artagnan mit dem neidischen Blick an, mit dem jeder Höfling ein neues Glück auftauchen sieht.

Ihr habt gehört, Comminges? sprach die Königin.

D’Artagnan ging auf ihn zu; er hatte mit seiner gewöhnlichen Scharfsicht diesen unruhigen Blick erkannt.

Herr von Comminges, sagte er zu ihm, vergebt mir; wir sind zwei alte Diener der Königin, nicht wahr? Es ist heute an mir, ihr nützlich zu sein.

Comminges verbeugte sich und ging.

Wohl, sprach d’Artagnan zu sich selbst, jetzt habe ich einen Feind mehr.

Und nun, sprach die Königin, sich an d’Artagnan wendend, was ist zu tun? Denn Ihr hört, der Lärm hört nicht auf, sondern wird immer ärger.

Madame, antwortete d’Artagnan, das Volk will den König sehen, es muß ihn sehen.

Wie, es muß! Auf dem Balkon?

Nein, Madame, hier, in seinem Bett, schlafend.

Oh! Ew. Majestät, Herr d’Artagnan hat vollkommen recht! rief Laporte.

Die Königin dachte einen Augenblick nach und lächelte dann, wie eine Frau, der die Hinterlist nicht fremd ist.

Es sei, murmelte sie.

Herr Laporte, sagte d’Artagnan, geht durch das Gitter des Palais-Royal, kündigt dem Volk an, es solle zufriedengestellt werden, es werde den König nicht nur sehen, sondern auch in seinem Bette sehen. Fügt bei, der König schlafe, und die Königin bitte, man möge sich still verhalten, um den König nicht aufzuwecken.

Aber sie dürfen doch nicht alle heraufkommen, sondern bloß eine Deputation von zwei, drei bis vier Personen?

Alle, Madame.

Bedenkt doch, sie werden uns bis zum Tage aufhalten.

In einer Viertelstunde sind wir mit ihnen fertig. Ich stehe für alles, Madame. Glaubt mir, ich kenne das Volk: es ist ein großes Kind, dem man schmeicheln muß. Vor dem entschlummerten König wird es stumm, sanft und schüchtern sein, wie ein Lamm.

Geht, Laporte, sagte die Königin.

Der junge König näherte sich seiner Mutter.

Warum tut man, was diese Leute verlangen? fragte er.

Es muß sein, sprach Anna von Österreich.

Aber wenn man mir sagt: es muß sein! so bin ich nicht mehr König.

Sire, sprach d’Artagnan, erlaubt mir Eure Majestät eine Frage?

Ludwig XIV. wandte sich um, ganz erstaunt, daß man es wagte, das Wort an ihn zu richten. Die Königin drückte dem König die Hand.

Ja, mein Herr, erwiderte der junge König.

Erinnert sich Ew. Majestät, wenn sie im Park von Fontainebleau oder in den Höfen des Palastes von Versailles spielte, plötzlich wahrgenommen zu haben, wie sich der Himmel bedeckte und der Donner zu rollen begann?

Allerdings.

Nun wohl, dieses Rollen des Donners sagte zu Ew. Majestät, so große Lust sie auch hatte, fortzuspielen: Kehrt um, Sire, es muß sein!

Das ist wahr, mein Herr, aber man sagte mir auch, das Getöse des Donners sei die Stimme Gottes.

Wohl, Sire, versetzte d’Artagnan, hört auf das Getöse des Volkes, und Ihr werdet finden, daß es große Ähnlichkeit mit dem des Donners hat.

In diesem Augenblick machte sich ein furchtbarer Lärm, durch den Nachtwind herbeigetragen, hörbar.

Plötzlich trat eine Stille ein.

Sire, sprach d’Artagnan, man hat soeben dem Volke gesagt, Ihr schlaft, und Ihr seht, daß Ihr immer noch König seid.

Die Königin schaute den seltsamen Mann an, den sein glänzender Mut den Bravsten, sein feiner, listiger Geist allen gleichstellte.

Laporte kehrte zurück.

Nun, Laporte? fragte die Königin.

Madame, antwortete er, die Prophezeiung des Herrn d’Artagnan ist in Erfüllung gegangen. Sie haben sich wie durch einen Zauber beruhigt. Man öffnete ihnen die Pforten, und in fünf Minuten werden sie hier sein.

Laporte, sagte die Königin, wenn wir einen Eurer Söhne an die Stelle des Königs legten? Wir könnten während dieser Zeit abreisen.

Wenn es Euere Majestät befiehlt, versetzte Laporte, so sind meine Söhne wie ich zu den Diensten der Königin.

Nein, sprach d’Artagnan; denn würde einer Seine Majestät kennen und den Betrug wahrnehmen, so wäre alles verloren.

Ihr habt recht, mein Herr, immer recht, sprach Anna von Österreich, bringt den König zu Bette.

Laporte legte den König ganz angekleidet, wie er war, in sein Bett; dann bedeckte er ihn bis an die Schultern mit dem Tuch.

Die Königin beugte sich über ihn herab und küßte ihn auf die Stirne.

Stellt Euch, als ob Ihr schliefet, sprach sie.

Ja, aber es soll mich keiner von diesen Menschen berühren.

Sire, ich bin da, versetzte d’Artagnan, und ich stehe Euch dafür, daß der erste, der diese Keckheit hätte, es mit dem Leben bezahlen müßte.

Was soll nun geschehen? fragte die Königin, denn ich höre sie.

Herr Laporte, geht ihnen entgegen und empfehlt ihnen abermals Stillschweigen. Madame, wartet dort an der Tür. Ich stehe zu den Häupten des Königs, bereit, für ihn zu sterben.

Laporte ging ab, die Königin stellte sich an die Tür, d’Artagnan schlüpfte hinter den Bettvorhang.

Man hörte sodann den dumpfen Tritt einer großen Menschenmenge. Die Königin hob selbst den Türvorhang auf und legte einen Finger auf ihren Mund.

Als diese Menschen die Königin sahen, blieben sie in ehrfurchtsvoller Haltung stehen.

Tretet ein, meine Herren, tretet ein, sagte die Königin.

Die Leute, die an der Spitze standen, stammelten und versuchten zurückzuweichen.

Tretet ein, meine Herren, da es die Königin gestattet, sagte Laporte.

Da wagte es einer, der wohl kühner war, als die andern, die Schwelle zu überschreiten, und ging auf der Fußspitze vor.

Alle andern ahmten ihm nach, und das Zimmer füllte sich in der größten Stille, als ob alle diese Menschen die demütigsten, ergebensten Höflinge gewesen wären. Außerhalb der Tür erblickte man die Köpfe derer, die nicht mehr eintreten konnten und sich daher auf den Fußspitzen erhoben.

D’Artagnan sah alles durch eine Öffnung, die er im Vorhang gemacht hatte. In dem Menschen, der zuerst eintrat, erkannte er Planchet.

Mein Herr, sagte die Königin, welche begriff, daß er der Anführer der ganzen Schar war, Ihr habt den König zu sehen gewünscht, und ich wollte ihn Euch selbst zeigen. Nähert Euch, schaut ihn an und sagt mir, ob wir aussehen, wie Menschen, die fliehen wollen!

Nein, gewiß nicht, antwortete Planchet, etwas verblüfft über die unerwartete Ehre, die ihm zuteil wurde.

Ihr werdet also meinen guten und getreuen Parisern sagen, versetzte Anna mit einem Lächeln, in dessen Ausdruck d’Artagnan sich nicht täuschte, Ihr habt den König schlafend in seinem Bette gesehen und die Königin im Begriff, sich ebenfalls niederzulegen.

Ich werde es sagen, Madame, und meine Begleiter werden dasselbe tun. Aber…

Aber was? fragte Anna von Österreich.

Eure Majestät verzeihe mir, ist es aber auch wirklich der König, der in diesem Bette liegt?

Anna von Österreich bebte und erwiderte: Ist einer unter Euch, der den König kennt, so nähere er sich und sage, ob dies wirklich Seine Majestät ist.

Ein Mann in einem Mantel, mit dem er sich das Gesicht verbarg, trat näher, beugte sich über das Bett und schaute.

Einen Augenblick glaubte d’Artagnan, der Mann habe eine schlimme Absicht, und legte die Hand an seinen Degen. Aber bei der Bewegung, die der Mann mit dem Mantel im Bücken machte, gewahrte er einen Teil seines Gesichts und erkannte den Koadjutor.

Es ist allerdings der König, sprach dieser Mann, sich erhebend, Gott segne Seine Majestät!

Ja, sagte der Führer halblaut, Gott segne Seine Majestät!

Und alle diese Menschen, die wütend herbeigekommen waren, segneten, vom Zorn zum Mitleid übergehend, ebenfalls das königliche Kind.

Nun laßt uns der Königin danken, meine Freunde, und abgehen, sprach Planchet.

Alle verbeugten sich und zogen allmählich und geräuschlos, wie sie gekommen, wieder ab. Planchet, der zuerst eingetreten war, ging zuletzt weg.

Die Königin atmete auf; d’Artagnan wischte sich seine feuchte Stirn ab; der König glitt von seinem Bett herab und sagte: Gehen wir nun!

In diesem Augenblick erschien Laporte wieder.

Nun, sagte die Königin.

Madame, antwortete der Kammerdiener, ich bin ihnen bis an die Gitter gefolgt. Sie teilten allen ihren Kameraden mit, sie haben den König gesehen, und die Königin habe mit ihnen gesprochen, so daß sie sich ganz stolz und triumphierend entfernten.

Oh, die Elenden! murmelte die Königin, sie sollen ihre Frechheit teuer bezahlen! Mein Herr, fuhr sie, zu d’Artagnan gewendet, fort, Ihr habt mir diesen Abend die besten Ratschläge gegeben, die mir in meinem ganzen Leben erteilt worden sind. Fahrt fort, was haben wir nunmehr zu tun?

Herr Laporte, sprach d’Artagnan, kleidet Seine Majestät vollends an.

Wir können also abreisen? fragte die Königin.

Wann Ew. Majestät will. Sie mag nur die geheime Treppe hinabsteigen und wird mich an der Tür finden.

Geht, mein Herr, sprach die Königin, ich folge Euch.

D’Artagnan ging hinab, der Wagen war an seinem Posten, der Musketier saß auf dem Bock.

D’Artagnan nahm das Päckchen, das Bernouin getragen hatte, und nahm den Mantel des Kutschers des Herrn von Gondy um seine Schultern und setzte den Hut auf.

Mein Herr, sprach d’Artagnan, Ihr gebt Eurem Gefährten, der den Kutscher bewacht, wieder die Freiheit. Ihr steigt sodann zu Pferde, reitet nach der Rue Tiquetonne ins Gasthaus zur Rehziege, nehmt dort mein Pferd und das von Herrn du Vallon, sattelt und zäumt sie kriegsmäßig, verlaßt dann Paris, die Pferde an der Hand führend, und begebt Euch nach Cours-la-Reine. Findet Ihr in Cours-la-Reine niemand mehr, so reitet Ihr bis nach Saint-Germain. Dienst des Königs.

Der Musketier legte die Hand an seinen Hut und entfernte sich, um die Befehle zu erfüllen, die er erhalten hatte.

D’Artagnan stieg auf den Bock. Er hatte ein paar Pistolen in seinem Gürtel, eine Muskete unter seinen Füßen, seinen bloßen Degen hinter sich.

Die Königin erschien. Ihr folgten der König und der Herzog von Anjou, sein Bruder.

Der Wagen des Koadjutors! rief sie, einen Schritt zurückweichend.

Ja, Madame, sprach d’Artagnan, aber steigt mutig ein, ich führe ihn.

Die Königin stieß einen Schrei des Erstaunens aus und stieg in den Wagen. Der König und Monsieur stiegen hinter ihr ein und setzten sich an ihre Seite.

Kommt, Laporte, sagte die Königin.

Wie, Madame? rief der Kammerdiener, in demselben Wagen mit Eurer Majestät?

Es handelt sich heute nicht um die Etikette, sondern um das Heil des Königs. Steigt ein, Laporte!

Laporte gehorchte.

Schließt die Schirmleder, sagte d’Artagnan.

Wird das nicht Mißtrauen einflößen? versetzte die Königin.

Ew. Majestät mag unbesorgt sein, erwiderte d’Artagnan, ich bin auf eine Antwort gefaßt.

Man schloß die Leder und entfernte sich im Galopp durch die Rue de Richelieu. Als man an das Tor gelangte, rückte der Anführer des Postens an der Spitze von etwa zwölf Mann, mit einer Laterne in der Hand, vor.

D’Artagnan bedeutete ihm durch ein Zeichen, er möge sich nähern.

Erkennt Ihr den Wagen? sagte er zu dem Sergeanten.

Nein, antwortete dieser.

Schaut das Wappen an!

Der Sergeant hielt seine Laterne an den Schlag.

Es ist das Wappen des Koadjutors, antwortete er.

Stille, er steht in Gunst bei Frau von Guemenée.

Der Sergeant lachte.

Öffnet das Tor, sagte er, ich weiß, wer es ist.

Dann näherte er sich dem herabgelassenen Schirmleder und sprach: Viel Vergnügen, Monseigneur.

Vorlauter Gesell! rief d’Artagnan, Ihr macht, daß man mich fortjagt.

Die Barriere ächzte auf ihren Angeln, und d’Artagnan peitschte, als er den Weg offen sah, kräftig auf die Pferde los, die sich in starkem Trab von der Stadt entfernten.

Fünf Minuten nachher hatte man den Wagen des Kardinals eingeholt.

Mousqueton! rief d’Artagnan, hebt die Schirmleder vom Wagen Seiner Majestät auf.

Er ist es! sagte Porthos.

Als Kutscher! rief Mazarin.

Und mit dem Wagen des Koadjutors! sagte die Königin.

Corpo di Duo! Herr d’Artagnan, sprach Mazarin, Ihr seid nicht mit Gold zu bezahlen!

Eine neue Prüfung

Mazarin wollte sogleich nach Saint-Germain abreisen, aber die Königin erklärte, daß sie die Personen, die sie nach Coursla-Reine beschieden, erwarten wolle. Nur bot sie dem Kardinal den Platz von Laporte an; der Kardinal nahm ihn an und ging von einem Wagen in den andern.

Nicht ohne Grund hatte sich das Gerücht verbreitet, der König solle in der Nacht Paris verlassen; zehn bis zwölf Personen waren seit sechs Uhr abends ins Geheimnis eingeweiht worden, und so verschwiegen sie auch gewesen, so hatten sie doch die Befehle zu ihrer Abreise nicht geben können, ohne daß die Sache ruchbar wurde. Überdies hatte jede dieser Personen zwei bis drei andere, für die sie sich interessierte, und da man nicht daran zweifelte, daß die Königin Paris mit furchtbaren Racheplänen verlasse, so hatte jeder seine Freunde oder Verwandten in Kenntnis gesetzt, so daß das Gerücht von dieser Abreise wie ein Lauffeuer die Stadt durcheilte.

Der erste Wagen, der nach dem der Königin ankam, war der Wagen des Prinzen; er enthielt Herrn von Condé, die Prinzessin und die Prinzessin-Witwe. Beide waren in der Nacht geweckt worden und wußten nicht, um was es sich handelte.

Der zweite enthielt den Herzog von Orleans, die Frau Herzogin, Grande-Mademoiselle und den Abbé de la Rivière, den unzertrennlichen Günstling und vertrauten Rat des Prinzen.

Der dritte enthielt Herrn von Longueville und den Prinzen von Conti, Bruder und Schwager des Prinzen. Sie stiegen aus, näherten sich der Karosse des Königs und der Königin und brachten den Majestäten ihre Huldigungen dar.

Die Königin senkte ihren Bück in die Tiefe des Wagens, dessen Schlag offen geblieben war, und sah, daß niemand mehr darin saß.

Aber wo ist denn Frau von Longueville? fragte sie.

In der Tat, wo ist denn meine Schwester? sagte der Herr Prinz.

Frau von Longueville ist leidend, Madame, antwortete der Herzog; sie hat mich beauftragt, sie bei Ew. Majestät zu entschuldigen.

Anna warf einen raschen Blick auf Mazarin, der mit einem unmerklichen Zeichen des Kopfes antwortete.

Was sagt Ihr dazu? fragte die Königin.

Ich sage, daß sie eine Geisel für die Pariser ist, erwiderte der Kardinal.

Warum ist sie nicht gekommen? fragte der Prinz seinen Bruder ganz leise.

Still, antwortete dieser, sie hat ohne Zweifel ihre Gründe.

Sie stürzt uns ins Verderben, murmelte der Prinz.

Sie rettet uns, sagte Conti.

Die Wagen kamen in Menge an. Die zwei Musketiere trafen ebenfalls, d’Artagnans und Porthos‘ Pferde an der Hand führend, ein. D’Artagnan und Porthos schwangen sich in den Sattel. Porthos‘ Kutscher nahm d’Artagnans Platz auf dem königlichen Bocke ein. Mousqueton ersetzte den Kutscher; er fuhr aus ihm bekannten Ursachen stehend, einem antiken Automedon ähnlich.

Obgleich in ihren Gedanken mit tausend Einzelheiten beschäftigt, suchte doch die Königin d’Artagnan mit den Augen, aber der Gascogner hatte sich mit seiner gewöhnlichen Klugheit wieder unter der Menge verloren.

Wir wollen die Vorhut bilden, sagte er zu Porthos, und uns gute Quartiere in Saint-Germain verschaffen, denn niemand wird an uns denken. Ich fühle mich sehr müde. – Ich ebenfalls, versetzte Porthos, ich sinke vor Schlaf um. Wer sollte glauben, daß wir nicht einmal den geringsten Kampf gehabt haben? Die Pariser sind doch wahre Dummköpfe. – Sind nicht wir vielmehr sehr gewandte Leute? versetzte d’Artagnan. – Vielleicht. – Und wie geht es mit Eurem Faustgelenk? – Besser; aber glaubt Ihr, daß wir sie diesmal bekommen? – Was? – Ihr Euern Grad und ich meinen Titel? – Meiner Treu, ja, ich wollte darauf wetten. Wenn sie sich übrigens nicht erinnern, so werde ich sie daran mahnen lassen. – Man hört die Stimme der Königin, sagte Porthos; ich glaube, sie will zu Pferde steigen. – Ah! sie wollte wohl, aber… – Was aber? – Aber der Kardinal will nicht. Meine Herren, fuhr d’Artagnan, sich an die zwei Musketiere wendend, fort, begleitet die Karosse des Königs und verlaßt die Kutschenschläge nicht. Wir lassen die Wohnungen in Bereitschaft setzen.

Und d’Artagnan ritt, von Porthos begleitet, gegen Saint-Germain.

Vorwärts, meine Herren, rief die Königin.

Der königliche Wagen begab sich auf den Weg, gefolgt von allen andern Karossen und von mehr als fünfzig Reitern.

Kaum hatte d’Artagnan unter Aufbietung aller seiner List ein einziges Bett für sich und Porthos errungen, als sich ein Offizier in dem Quartier meldete und nach d’Artagnan fragte.

Seid Ihr Herr d’Artagnan? sprach der Offizier. – Ja, mein Herr; was wollt Ihr? – Ich soll Euch holen. – In wessen Auftrag? – Im Auftrag Sr. Eminenz. – Sagt Monseigneur, ich wolle schlafen und rate ihm als Freund, dasselbe zu tun. – Se. Eminenz hat sich noch nicht niedergelegt und wird sich nicht niederlegen. Sie verlangt sogleich nach Euch. – Die Pest ersticke Mazarin, der nicht zu rechter Zeit zu schlafen weiß, murmelte d’Artagnan. Was will er von mir? Etwa mich zum Kapitän machen? Dann verzeihe ich ihm.

Und der Musketier stand brummend auf, nahm seinen Degen, seinen Hut, seine Pistolen, seinen Mantel und folgte sodann dem Offizier, während Porthos nunmehr der glückliche alleinige Besitzer des Bettes war.

Herr d’Artagnan, sprach der Kardinal, als er den Mann erblickte, den er zu so ungelegener Zeit hatte holen lassen, ich habe nicht vergessen, mit welchem Eifer Ihr mir dientet, und ich will Euch einen Beweis hiervon geben.

Schön! dachte d’Artagnan, das kündigt sich gut an.

Mazarin betrachtete den Musketier und sah, wie sich sein Gesicht erheiterte.

Herr d’Artagnan, sagte er, habt Ihr große Lust, Kapitän zu werden? – Ja, Monseigneur. – Und Euer Freund wünscht immer noch Baron zu sein? – In diesem Augenblick träumt er, er sei es, Monseigneur. – Dann nehmt diesen Brief und bringt ihn nach England, sprach Mazarin und zog aus einem Portefeuille den Brief, den er bereits d’Artagnan gezeigt hatte.

D’Artagnan schaute den Umschlag an; es war keine Adresse darauf.

Dürfte ich nicht erfahren, wem ich ihn zustellen soll?

Wenn Ihr in London ankommt, erfahrt Ihr es. Erst in London erbrecht Ihr den doppelten Umschlag.

Und meine Instruktionen?

Bestehen darin, daß Ihr in jeder Beziehung dem Manne zu gehorchen habt, an den dieser Brief gerichtet ist.

D’Artagnan wollte neue Fragen machen, als Mazarin beifügte:

Ihr reist nach Boulogne, wo Ihr im Wappen von England einen jungen Edelmann Namens Mordaunt findet.

Ja, Monseigneur. Und was soll ich mit diesem Edelmann machen?

Ihm folgen, wohin er Euch führen wird.

Auf d’Artagnans ungeschminkte Forderung verstand sich Mazarin endlich dazu, ihm als Reisekosten für ihn und Porthos zwölfhundert Taler zu geben.

Filz! murmelte d’Artagnan. Aber bei unserer Rückkehr, fügte er laut bei, können wir wenigstens, Herr Porthos auf seine Baronie und ich auf meinen Grad zählen, nicht wahr?

Bei meiner Treue!

Ein anderer Schwur wäre mir lieber, sagte d’Artagnan leise zu sich selbst und laut: Noch ein Wort, Monseigneur. Wenn man sich da schlägt, wohin ich gehe, soll ich mich schlagen?

Ihr werdet alles tun, was Euch die Person befiehlt, an die ich Euch adressiere.

Es ist gut, Monseigneur, sagte d’Artagnan, die Hand ausstreckend, um den Sack in Empfang zu nehmen; ich bezeuge Euch meine Achtung.

D’Artagnan steckte langsam den Sack in seine weite Tasche, wandte sich gegen den Offizier um und sprach zu diesem:

Mein Herr, wollt die Güte haben, Herrn du Vallon ebenfalls im Auftrag Sr. Eminenz zu wecken und ihm zu sagen, ich erwarte ihn in den Ställen.

D’Artagnan hatte sich unmittelbar in die Ställe begeben. Der Tag graute bereits. Er erkannte sein Pferd und das von Porthos. Beide waren an die Raufe gebunden, aber diese war leer. Er gab ihnen voll Mitleid etwas Stroh, das er in der Ecke bemerkte und auf dem Mousqueton schlafend lag. Er weckte diesen, der schnell das Pferd seines Herrn sattelte und das seinige bestieg.

Mittlerweile erschien Porthos mit einem sehr verdrießlichen Gesicht und war im höchsten Grad erstaunt, als er d’Artagnan in sein Schicksal ergeben fand.

Oho! sagte er, wir haben also, was wir wünschen, Ihr Euern Grad und ich meine Baronie!

Wir holen die Patente, sagte d’Artagnan, und bei unserer Rückkehr wird sie Meister Mazarin unterzeichnen.

Und wohin gehen wir? fragte Porthos.

Zuerst nach Paris, erwiderte d’Artagnan, ich will dort einige Angelegenheiten in Ordnung bringen.

Also nach Paris, versetzte Porthos.

Und beide schlugen den Weg nach Paris ein, das sie in höchster Aufregung und Wut über die Entweichung der Königin, des Königs und Mazarins fanden. Ohne Schwierigkeit gelangten sie zum Gasthaus zur Rehziege. Die schöne Madeleine lief d’Artagnan entgegen.

Meine liebe Madame Turquaine, sagte d’Artagnan, wenn Ihr Geld habt, vergrabt es rasch; wenn Ihr Juwelen habt, verbergt sie geschwind; wenn Ihr Schuldner habt, laßt sie bezahlen; wenn Ihr Gläubiger habt, bezahlt sie nicht. – Warum dies? fragte Madeleine. – Weil Paris in Asche gelegt wird, gerade wie Babylon, wovon Ihr ohne Zweifel gehört habt. – Und Ihr verlaßt mich in einem solchen Augenblick? – Sogleich, sagte d’Artagnan. – Und wohin geht Ihr? – Ah, wenn Ihr mir das sagen könnt, erweist Ihr mir einen großen Dienst. – Ach, mein Gott! mein Gott! – Habt Ihr Briefe für mich? fragte d’Artagnan und deutete seiner Wirtin mit einem Zeichen an, daß sie sich die Wehklagen ersparen solle, insofern dieselben überflüssig seien. – Soeben ist einer angekommen.

Und sie gab d’Artagnan den Brief.

Von Athos! rief d’Artagnan, die feste, große Handschrift des Freundes erkennend.

Ah! sprach Porthos, wir wollen doch sehen, was er sagt.

D’Artagnan öffnete den Brief und las:

Lieber d’Artagnan, lieber du Vallon, meine guten Freunde, vielleicht erhaltet Ihr zum letztenmal Nachricht von mir. Aramis und ich, wir sind sehr unglücklich. Aber Gott, unser Mut und die Erinnerung an unsere Freundschaft halten uns noch aufrecht. Denkt an Raoul. Ich empfehle Euch die Papiere, die in Blois liegen, und wenn ihr in dritthalb Monaten keine Nachricht von uns erhalten habt, nehmt Kenntnis davon. Umarmt den Vicomte von ganzem Herzen für Euern ergebenen Freund

Athos.

Ich glaube bei Gott wohl, daß ich ihn umarmen werde, sagte d’Artagnan. Überdies ist er auf unserm Weg, und wenn er das Unglück hat, unsern armen Athos zu verlieren, so wird er von diesem Tage an mein Sohn. – Und ich mache ihn zu meinem Universalerben, sprach Porthos. – Laßt doch sehen, was Athos noch sagt. – Trefft Ihr auf Euern Wegen einen Herrn Mordaunt, so mißtraut ihm; ich kann Euch in meinem Briefe nicht mehr sagen. – Herr Mordaunt! sagte d’Artagnan sehr erstaunt. – Es ist gut, sprach Porthos, man wird sich seiner erinnern. Aber seht, es ist noch eine Nachschrift von Aramis dabei. – In der Tat, versetzte d’Artagnan, und er las:

Wir verschweigen unsern Aufenthaltsort, teure Freunde, weil wir Eure brüderliche Ergebenheit kennen und wissen, daß Ihr kommen würdet, um mit uns zu sterben.

Sacrebleu! unterbrach Porthos den Lesenden mit einem Ausdruck, der Mousqueton in die andere Ecke des Zimmers jagte. Sind sie denn in Todesgefahr?

D’Artagnan fuhr fort:

Athos vermacht Euch Raoul, und ich vermache Euch eine Rache. Wenn Ihr so glücklich seid, einen gewissen Mordaunt unter die Hand zu bekommen, so sagt Porthos, er solle ihn in eine Ecke führen und ihm den Hals umdrehen. Ich wage es nicht, Euch in einem Brief mehr zu sagen.

Aramis.

Wenn es sonst nichts ist, sprach Porthos, das läßt sich leicht machen. – Im Gegenteil, erwiderte d’Artagnan mit düsterer Miene, das ist unmöglich. – Warum? – Gerade diesen Herrn Mordaunt suchen wir in Boulogne auf, und mit ihm gehen wir nach England. – Wenn wir nun, statt Herrn Mordaunt aufzusuchen, unsere Freunde aufsuchten? rief Porthos mit einer Gebärde, die einer Armee hätte Angst einjagen können. – Ich habe wohl daran gedacht, sagte d’Artagnan; aber der Brief hat weder Datum noch Stempel. – Das ist richtig, sprach Porthos.

Und er fing an wie ein Verrückter im Zimmer umherzugehen, machte allerhand Gebärden und zog alle Augenblicke seinen Degen zum dritten Teil aus der Scheide.

D’Artagnan blieb ganz bestürzt auf derselben Stelle, und der tiefste Kummer war auf seinem Antlitz ausgeprägt.

Vorwärts, sprach er dann, das führt zu nichts. Wir wollen abreisen und Raoul umarmen, wie wir gesagt haben; vielleicht hat er Nachricht von Athos.

Man stieg zu Pferde und entfernte sich. Als die Freunde in die Rue Saint-Denis gelangten, fanden sie einen großen Volksauflauf. Herr von Beaufort war soeben aus Vendome angelangt und wurde von dem Koadjutor den freudigen Parisern gezeigt. Mit Herrn von Beaufort hielten sie sich für unüberwindlich.

Die zwei Freunde ritten durch eine kleine Gasse, um dem Prinzen nicht zu begegnen, und ritten durch die Barriere Saint-Denis.

Da sie ihren Weg so schnell, als ihnen möglich war, zurücklegten, so gelangten sie zu guter Zeit ins Lager, wo sie Raoul in trüber Stimmung fanden. Er war mißmutig, weil der Marschall von Grammont und der Herzog von Guiche nach Paris zurückgekehrt waren, und traurig, weil er keine Nachricht von Athos hatte. Die Freunde trösteten ihn so gut sie konnten, und sagten ihm, da sie ihm die Wahrheit nicht sagen konnten, und d’Artagnan im Augenblick nichts anderes einfiel, der Graf sei mit dem Abbé d’Herblay nach Konstantinopel gegangen.

D’Artagnan gab Raoul noch fünfzig Pistolen, legte seinem Diener Olivain nachdrücklich seine Fürsorgepflichten für seinen Herrn ans Herz und schlug, nachdem er und Porthos den jungen Mann herzlich und kräftig umarmt hatten, den Weg nach Boulogne ein, wo sie gegen Abend auf Pferden, die mit Schweiß und weißem Schaum bedeckt waren, ankamen.

Zehn Schritte von dem Ort, wo sie Halt machten, ehe sie in die Stadt einritten, stand ein schwarz gekleideter junger Mann, der jemand zu erwarten schien und seit er sie erblickt hatte, die Augen unablässig auf sie geheftet hielt.

D’Artagnan näherte sich ihm und sagte, als er sah, daß er das Auge nicht von ihm abwandte: He, Freund, ich hab’s nicht gern, wenn man mich mißt.

Mein Herr, sprach der junge Mann, ohne auf d’Artagnans Bemerkung zu antworten, kommt Ihr von Paris?

D’Artagnan dachte, es sei ein Neugieriger, der Nachrichten von der Hauptstadt zu haben wünsche, und erwiderte mit sanfterem Tone:

Ja, mein Herr. – Sollt Ihr nicht im Wappen von England wohnen? – Ja, mein Herr. – Seid Ihr nicht mit einer Sendung von Seiner Eminenz, dem Herrn Kardinal von Mazarin, beauftragt? – Ja, mein Herr. – Dann habt Ihr mit mir zu tun, sprach der junge Mann; ich bin Herr Mordaunt.

Ah! sagte d’Artagnan ganz leise, der, vor dem uns Athos warnt.

Ah! murmelte Porthos, der, den uns Aramis zu erdrosseln rät.

Beide schauten den jungen Mann aufmerksam an. Dieser täuschte sich im Ausdruck ihres Blickes.

Solltet Ihr an meinem Wort zweifeln? sagte er; ich bin in diesem Fall bereit Euch jeden Beweis zu liefern.

Nein, mein Herr, antwortete d’Artagnan, wir sind zu Eurer Verfügung.

Wohl, meine Herren, sprach Mordaunt, wir werden ungesäumt abreisen. Es ist heute der letzte Tag der Frist, die der Herr Kardinal von mir gefordert hatte. Mein Schiff ist bereit, und wenn Ihr nicht gekommen wäret, so würde ich ohne Euch abgegangen sein, denn der General Oliver Cromwell muß meine Rückkehr mit Ungeduld erwarten.

Ah, ah, sagte d’Artagnan, wir sind also an den General Oliver Cromwell abgesandt?

Habt Ihr keinen Brief für ihn? fragte der junge Mann.

Ich habe einen Brief, dessen doppelten Umschlag ich erst in London erbrechen sollte. Da Ihr mir aber sagt, an wen er adressiert ist, so halte ich es für unnötig, bis dort zu warten.

D’Artagnan zerriß den Umschlag des Briefes, auf dem in der Tat stand:

»An Herrn Oliver Cromwell, General der Truppen der englischen Nation.«

Ah! murmelte d’Artagnan, ein sonderbarer Auftrag. Vorwärts, meine Herren, sprach Mordaunt ungeduldig, gehen wir. – Oh, oh! rief Porthos, ohne Abendessen? Kann Herr Cromwell nicht ein wenig warten? – Ja, aber ich … versetzte Mordaunt. – Nun, Ihr? … sagte Porthos. – Ich habe Eile. – Oh, wenn es Euretwegen geschehen soll! rief Porthos, das geht mich nichts an, und ich werde mit Eurer Erlaubnis oder ohne sie zu Nacht speisen.

Der schwankende Blick des jungen Mannes entflammte sich und schien bereit, einen Blitz zu schleudern, aber er bezähmte sich.

Mein Herr, sprach d’Artagnan, man muß hungrige Reisende entschuldigen. Überdies wird Euch unser Abendbrot nicht lang aufhalten, wir reiten rasch bis zu dem Gasthaus. Geht zu Fuß nach dem Hafen, wir essen einen Bissen und sind beinahe zu gleicher Zeit mit Euch dort. – Wie es Euch gefällt, meine Herren, wenn wir nur reisen, versetzte Mordaunt. – Das ist ein Glück, murmelte Porthos. – Der Name des Schiffes? fragte d’Artagnan. – Der Standard. – Gut, in einer halben Stunde sind wir an Bord.

Und beide gaben ihren Pferden die Sporen und eilten nach dem Gasthof zum »Wappen von England«.

Was sagt Ihr zu diesem jungen Menschen? fragte d’Artagnan während des scharfen Rittes.

Ich sage, daß er mir nicht im geringsten behagt, erwiderte Porthos, und daß ich das größte Gelüste in mir spürte, Aramis‘ Rat zu befolgen. – Davor hütet Euch wohl, mein lieber Porthos: dieser Mensch ist ein Abgesandter des Generals Cromwell, und ich glaube, wir würden uns einen erbärmlichen Empfang bereiten, wenn wir dem General meldeten, wir hätten seinem Vertrauten den Hals umgedreht. – Gleichviel, versetzte Porthos, ich habe immer wahrgenommen, daß Aramis ein Mann von gutem Rat ist. – Hört, sprach d’Artagnan, wenn unsere Botschaft beendigt ist … – Hernach? – Wenn er uns nach Frankreich zurückführt … – Nun? – Nun, wir werden sehen.

Die Freunde gelangten hierauf in den Gasthof, wo sie mit großem Appetit zu Nacht speisten, und begaben sich dann ungesäumt nach dem Hafen.

Eine Brigg war bereit, unter Segel zu gehen, und auf dem Verdeck dieser Brigg erkannten sie Mordaunt, der ungeduldig auf und ab ging.

Es ist unglaublich, sprach d’Artagnan, während die Barke sie an Bord des Standard führte, es ist erstaunlich, wie sehr dieser junge Mann jemand gleicht, den ich gekannt habe, doch vermag ich nicht zu sagen, wem.

Sie gelangten zu der Treppe und waren einen Augenblick nachher eingeschifft.

Der Schotte, treulos gegen Eid und Ehr‘, Gibt König Karl um einen Pfennig her

Und nun müssen unsere Leser den Standard ruhig, nicht nach London, wohin d’Artagnan und Porthos zu gehen glaubten, sondern nach Durham schwimmen lassen, wohin Briefe, die Mordaunt während seines Aufenthaltes in Boulogne erhielt, diesen beschieden hatten; und uns gefälligst in das royalistische Lager an der Tyne, unfern der Stadt Newcastle, folgen.

Hier, zwischen zwei Flüssen, an der Grenze von Schottland, aber auf englischem Boden, breiten sich die Zelte eines kleinen Heeres aus. Es ist Mitternacht. Männer, die man an ihren nackten Beinen, an ihren kurzen Röcken, an ihren buntscheckigen Plaids und an der Feder, die ihre Mütze ziert, als Hochländer erkennt, halten nachlässig Wache. Der Mond beleuchtet, durch dicke Wolken gleitend, bei jedem Zwischenraum, den er auf seinem Wege findet, die Musketen der Schildwachen und hebt kräftig die Mauern, Dächer und Türme der Stadt hervor, die Karl I. den Truppen des Parlaments übergeben hat.

An einem Ende dieses Lagers, bei einem ungeheuren Zelt, das voll von Offizieren ist, die unter dem Vorsitz des alten Grafen von Lewen, ihres Anführers, beratschlagen, schläft ein Mann in Reitertracht auf dem Rasen, die rechte Hand an sein Schwert gelegt.

Fünfzig Schritte davon plaudert ein anderer, ebenfalls in Reitertracht, mit einer schottischen Wache, und obgleich Ausländer, scheint er doch der englischen Sprache mächtig genug, um die Antworten zu verstehen, die ihm der andere in der Mundart der Grafschaft Perth gibt.

Als es in der Stadt Newcastle nachts ein Uhr schlug, erwachte der Schläfer, und nachdem er sich ganz wie ein Mensch gebärdet hatte, der die Augen nach tiefem Schlaf öffnet, schaute er aufmerksam um sich her, stand, da er sich allein sah, auf, machte einen Umweg und ging an dem Reiter vorbei, der mit der Schildwache plauderte. Dieser hatte ohne Zweifel keine Frage mehr zu stellen, denn nach einem Augenblick nahm er Abschied von der Wache und schlug, wie absichtslos, denselben Weg ein, den wir den ersten Reiter gehen sahen.

Im Schatten eines an der Straße aufgeschlagenen Zeltes erwartete ihn der andere.

Nun, mein lieber Freund? sagte er im reinsten Französisch.

Mein Freund, es ist keine Zeit zu verlieren, man muß den König benachrichtigen.

Was geht denn vor?

Jetzt fehlt die Zeit, es Euch zu sagen. Überdies werdet Ihr es sogleich hören. Hier kann das geringste Wort alles verderben. Wir wollen Mylord Winter aufsuchen.

Und beide wanderten nach dem entgegengesetzten Ende des Lagers. Da aber das Lager nicht mehr als eine Oberfläche von fünfhundert Quadratschuh bedeckte, so waren sie bald bei dem Zelte dessen, den sie suchten, angelangt.

Schläft Euer Herr, Tomby? fragte einer der zwei Reiter den Diener, der in einer als Vorzimmer benützten ersten Abteilung des Zeltes lag, auf englisch.

Nein, Herr Graf, antwortete der Lakai, ich glaube nicht, es müßte denn erst seit ganz kurzer Zeit der Fall sein, denn er ist, nachdem er den König verlassen, mehr als zwei Stunden lang umhergegangen, und das Geräusch seiner Tritte hat erst vor zehn Minuten aufgehört; übrigens könnt Ihr selbst sehen, fügte er, den Vorhang aufhebend, bei.

Winter saß vor einer fensterartigen Öffnung, welche die Nachtluft eindringen ließ, und folgte mit schwermütigen Blicken dem, wie gesagt, unter schweren, schwarzen Wolken sich verlierenden Monde.

Die zwei Freunde näherten sich dem Lord, der, den Kopf auf seine Hand gestützt, den Himmel anschaute; er hörte sie nicht kommen und verharrte in derselben Haltung bis zu dem Augenblick, wo er fühlte, daß eine Hand auf seine Schulter gelegt wurde.

Dann wandte er sich um, erkannte Athos und Aramis und reichte ihnen die Hand.

Habt ihr bemerkt, sagte er zu ihnen, wie der Mond diesen Abend blutfarbig ist? – Nein, erwiderte Athos, er kam mir wie gewöhnlich vor. – Schaut ihn an, versetzte Lord Winter. – Ich gestehe Euch, antwortete Aramis, es geht mir wie dem Grafen de la Fère, ich sehe nichts Besonderes daran. – Graf, sprach Athos, in einer so mißlichen Lage, wie die unsere ist, muß man die Erde betrachten und nicht den Himmel. Habt Ihr unsere Schotten beobachtet und seid Ihr derselben sicher? – Die Schotten? fragte Lord Winter; welche Schotten? – Die unseren, bei Gott! die, denen sich der König anvertraut hat. Die Schotten des Grafen von Lewen. – Nein, erwiderte Winter und fügte dann bei: Sagt mir, ihr seht also nicht, wie ich, die rötliche Farbe, welche den Himmel bedeckt? – Ganz und gar nicht, antworteten Athos und Aramis zugleich. – Sagt mir, fuhr der Lord, stets mit demselben Gedanken beschäftigt, fort, erzählt man sich nicht in Frankreich, daß Heinrich IV. am Vorabend seiner Ermordung, als er mit Herrn von Bassompierre Schach spielte, Blutflecken auf dem Schachbrett sah? – Ja, sprach Athos, der Marschall hat es mir oftmals selbst erzählt. – So ist es, murmelte Winter, und am andern Tag wurde Heinrich IV. ermordet. – Aber in welchem Zusammenhang steht die Vision Heinrichs IV. mit uns, Graf? fragte Aramis. – In keinem, meine Herren, und ich bin in der Tat ein Tor, daß ich Euch mit solchen Dingen unterhalte, während Eure Erscheinung in meinem Zelte zu dieser Stunde mir ankündigt, daß Ihr irgend eine wichtige Neuigkeit zu überbringen habt. – Ja, Mylord, versetzte Athos, ich wünschte den König zu sprechen. – Den König? Er schläft. – Ich habe ihm Dinge von großem Belang mitzuteilen. – Läßt sich die Sache nicht auf morgen verschieben? – Er muß es sogleich erfahren, und vielleicht ist es bereits zu spät. – Gehen wir hinein, meine Herren.

Lord Winters Zelt war neben dem königlichen; eine Art von Korridor führte von dem einen in das andere. Dieser Korridor wurde nicht von einem Soldaten, sondern von einem vertrauten Diener Karls I. bewacht.

Diese Herren gehören zu mir, sprach der Lord.

Der Lakai verbeugte sich und ließ sie vorübergehen.

Auf einem Feldbett liegend, ein schwarzes Wams auf dem Leib, seine langen Stiefel an den Beinen, den Gürtel gelöst, den Hut neben sich, war König Karl infolge eines unwiderstehlichen Bedürfnisses eingeschlafen. Die drei Männer schritten vorwärts, und Athos, der vorausging, betrachtete einen Augenblick stillschweigend das edle, so bleiche Antlitz, umrahmt von langen schwarzen Haaren, die der Schweiß eines unruhigen Schlummers an seine Schläfe klebte, und marmorartig durchzogen von dicken blauen Adern, die von den Tränen aus seinen müden Augen aufgeschwollen schienen.

Athos stieß einen Seufzer aus, und dieser Seufzer erweckte den König; so leicht war sein Schlaf.

Er schlug die Augen auf.

Ah! sagte er, sich auf den Ellenbogen erhebend, Ihr seid es, Graf de la Fère? – Ja, Sire, antwortete Athos. – Ihr wacht, während ich schlafe, und Ihr bringt mir irgend eine Nachricht? – Ach! Sire, erwiderte Athos, Ew. Majestät hat richtig erraten. – Dann ist die Nachricht schlecht, sprach der König mit schwermütigem Lächeln. – Ja, Sire. – Gleichviel, der Bote ist willkommen, und Ihr könnt nicht bei mir erscheinen, ohne mir stets Vergnügen zu machen, ein Mann wie Ihr, dessen Ergebenheit weder Vaterland noch Unglück kennt, und der mir von Henriette geschickt worden ist … was auch die Nachricht sein mag, die Ihr mir überbringt, sprecht unumwunden. – Sire, Cromwell ist in dieser Nacht in Newcastle eingetroffen. – Ah, rief der König, um mich zu bekämpfen? – Nein, um Euch zu kaufen. – Was sagt Ihr? – Ich sage, Sire, daß man dem schottischen Heer viermalhunderttausend Pfund Sterling schuldet. – An rückständigem Solde, ja, ich weiß es. Seit beinahe einem Jahre schlagen sich meine braven und getreuen Schotten für die Ehre.

Athos lächelte.

Wohl, Sire, obgleich die Ehre etwas Schönes ist, so sind sie doch müde geworden, sich dafür zu schlagen, und haben Euch heute nacht für zweimalhunderttausend Pfund Sterling verkauft, das heißt für die Hälfte dessen, was man ihnen schuldig war. – Unmöglich! rief der König; die Schotten verkaufen ihren König nicht um zweimalhunderttausend Pfund Sterling! – Die Juden haben ihren Gott um dreißig Silberlinge verkauft. – Und wer ist der Judas, der diesen schändlichen Handel abgeschlossen hat? – Der Graf von Lewen. – Wißt Ihr es gewiß? – Ich habe es mit meinen eigenen Ohren gehört.

Der König stieß einen tiefen Seufzer aus, als ob sein Herz brechen wollte, und ließ sein Haupt in seine Hände fallen.

Ah! die Schotten! rief er, die Schotten, die ich meine Getreuen nannte! die Schotten, denen ich mich anvertraute, während ich nach Oxford fliehen konnte! Die Schotten, meine Landsleute! Die Schotten, meine Brüder! Seid Ihr Eurer Sache auch gewiß, mein Herr? – Hinter dem Zelt des Grafen von Lewen, dessen Leinwand ich aufhob, scheinbar im Schlafe liegend, habe ich alles gesehen, alles gehört. – Und wann soll dieser abscheuliche Handel vollzogen werden? – Heute, diesen Morgen. Es ist daher, wie Ew. Majestät sieht, keine Zeit zu verlieren. – Um was zu tun, da Ihr sagt, ich sei verkauft? – Um über den Tyne zu setzen, um Schottland zu erreichen, um zu Lord Montrose zu gelangen, der Euch nicht verkaufen wird. – Und was soll ich in Schottland tun? Einen Parteigängerkrieg anfangen? Ein solcher Krieg ist eines Königs unwürdig. – Das Beispiel von Robert Bruce spricht Euch frei, Sire. – Nein! nein! ich kämpfe schon zu lange; haben sie mich verkauft, so mögen sie mich ausliefern, und die ewige Schmach ihres Verrates falle auf sie zurück. – Sire, sprach Athos, vielleicht soll ein König so handeln, nicht aber ein Gatte und Vater. Ich bin im Namen Eurer Gemahlin und Eurer Tochter gekommen, und im Namen Eurer Gemahlin und Eurer Tochter, sowie der zwei anderen Kinder, welche Ihr noch in London habt, sage ich Euch: Rettet Euer Leben, Sire, Gott will es.

Der König stand auf, zog seinen Gürtel fest, schnallte seinen Degen um und trocknete mit einem Taschentuch seine von Schweiß befeuchtete Stirne ab.

Nun, sagte er, was ist zu tun? – Sire, habt Ihr beim ganzen Heere ein Regiment, auf das Ihr Euch verlassen könnt? – Winter, baut Ihr auf die Treue des Eurigen? fragte der König. – Sire, es sind nur Menschen, und die Menschen sind sehr schwach oder sehr bösartig geworden. Ich glaube an ihre Treue, aber ich stehe nicht dafür; ich würde ihnen mein Leben anvertrauen, aber ich zögere, ihnen das Leben Ew. Majestät anzuvertrauen. – Wohl! sprach Athos, in Ermangelung eines Regiments sind drei ergebene Männer da, und das genügt; Ew. Majestät steige zu Pferde, begebe sich in unsere Mitte, wir setzen über den Tyne, erreichen Schottland und sind gerettet. – Ist das auch Eure Meinung, Winter? fragte der König. – Ja, Sire. – Und die Eurige, Herr d’Herblay? – Ja, Sire. – Es geschehe also, wie Ihr wollt, gebt Befehl, Winter.

Der Lord entfernte sich; der König kleidete sich mittlerweile vollends an. Die ersten Strahlen des Tages begannen, durch die Öffnungen des Zeltes zu dringen, als Lord Winter zurückkehrte.

Alles ist bereit, meldete er. – Und wir? fragte Athos. – Grimaud und Blaisois harren Euer mit den gesattelten Pferden. – Dann wollen wir keinen Augenblick verlieren, sprach Athos. – Laßt uns gehen, versetzte der König. – Sire, sagte Aramis, benachrichtigt Ew. Majestät Ihre Freunde nicht? – Meine Freunde! erwiderte Karl I. mit traurigem Kopfschütteln, ich habe noch Euch drei … einen Freund von zwanzig Jahren, der mich nie vergessen hat, zwei Freunde von acht Tagen, die ich nie vergessen werde. Kommt, meine Herren, kommt.

Der König verließ das Zelt und fand sein Pferd schon bereit. Es war ein isabellfarbiges Roß, das er seit drei Jahren ritt und ungemein liebte.

Das Tier wieherte vor Vergnügen, als es ihn sah.

Ah! sprach der König, ich war ungerecht: hier ist, wenn auch nicht ein Freund, doch ein Wesen, das mich liebt. Du wirst mir treu sein, nicht wahr, Arthus?

Und als hätte das Pferd diese Worte verstanden, näherte es seine dampfenden Nüstern dem Gesicht des Königs, hob seine Lippen auf und zeigte voll Freude seine weißen Zähne.

Ja, ja, sprach der König, das schöne Tier mit der Hand streichelnd, ja, es ist gut, Arthus, ich bin zufrieden mit dir.

Und mit der Behendigkeit, die den König zu einem der besten Reiter Europas machte, schwang sich Karl in den Sattel und sagte, sich gegen Athos, Aramis und den Grafen von Winter umdrehend: Nun, meine Herren, ich erwarte euch.

Aber Athos blieb unbeweglich, seine Hand und seine Augen nach einer schwarzen Linie gerichtet, die dem Tyneflusse folgte und sich doppelt so lang als das Lager ausstreckte.

Was für eine Linie ist dies? sprach Athos, der im letzten nächtlichen Dunkel, das mit den ersten Strahlen des Tages kämpfte, nicht gut zu unterscheiden vermochte. Was bedeutet diese Linie? Ich habe sie gestern nicht gesehen. – Ohne Zweifel ist es der Nebel, der vom Flusse aufsteigt, erwiderte der König. – Sire, es ist etwas Wesenhafteres, als ein Dunst. – In der Tat, es gleicht einer rötlichen Barriere, versetzte Winter. – Es ist der Feind, der von Newcastle auszieht und uns umschließt, rief Athos. – Der Feind! sprach der König. – Ja, der Feind. Es ist zu spät. Schaut! Seht ihr nicht dort unter jenem Sonnenstrahl von der Stadt her die eisernen Rippen glänzen?

So nannte man die Kürassiere, die Cromwell zu seinen Leibwachen gewählt hatte.

Ah! sprach der König, wir werden erfahren, ob es wahr ist, daß mich die Schotten verraten.

Was wollt Ihr tun, Sire? rief Athos.

Ihnen Befehl zum Angriff geben und diese elenden Rebellen mit ihnen niederreiten.

Und der König gab seinem Pferd die Sporen und jagte auf das Zelt des Grafen von Lewen zu.

Folgen wir ihm, sprach Athos.

Vorwärts! rief Aramis.

Sollte der König verwundet sein? fragte der Graf Winter. Ich sehe Blutflecken auf dem Boden. Und er sprengte den Freunden nach. Athos hielt ihn zurück.

Sammelt Euer Regiment, sagte er; ich sehe, daß wir desselben sogleich bedürfen werden.

Der Lord wandte sein Pferd um, und die zwei Freunde setzten ihren Weg fort. In zwei Sekunden hatte der König das Zelt des Grafen von Lewen, des Obergenerals der schottischen Armee, erreicht. Er sprang zu Boden und trat ein.

Der General befand sich mitten unter den vornehmsten Häuptlingen.

Der König! riefen sie aufstehend und sich anschauend.

Karl stand wirklich vor ihnen, den Hut auf dem Kopf, die Stirne gefaltet und mit der Reitpeitsche an seine Stiefel klopfend.

Ja, sprach er, der König, der Rechenschaft von Euch über das fordert, was vorgeht.

Was geht denn vor, Sire? fragte der Graf von Lewen.

Meine Herren, sprach der König, der sich vom Zorn fortreißen ließ, der General Cromwell ist diese Nacht in Newcastle angekommen; ihr wußtet es und habt mich nicht davon benachrichtigt; der Feind zieht aus der Stadt und versperrt uns den Übergang über den Tyne; eure Wachen mußten diese Bewegung sehen, und man hat mich nicht davon in Kenntnis gesetzt; ihr habt mich durch einen schändlichen Vertrag um zweimalhunderttausend Pfund Sterling an das Parlament verkauft, aber dieser Vertrag wenigstens ist mir bekannt. Das geht vor, meine Herren, antwortet und rechtfertigt euch, denn ich klage euch an.

Sire, stammelte der Graf von Lewen, Sire, Ew. Majestät wird durch einen falschen Bericht getäuscht worden sein.

Ich habe mit meinen eigenen Augen das feindliche Heer zwischen mir und Schottland sich ausbreiten sehen, versetzte Karl, und ich kann fast sagen, ich habe mit meinen eigenen Ohren gehört, wie die Bedingungen des Vertrags beraten wurden.

Die schottischen Häuptlinge schauten sich ebenfalls, die Stirne faltend, an.

Sire, murmelte der Graf von Lewen, gebeugt unter dem Gewicht der Schande, Sire, wir sind bereit, Euch jeden Beweis zu geben.

Ich verlange nur einen einzigen, sprach der König. Stellt das Heer in Schlachtordnung auf, und wir marschieren dem Feinde entgegen.

Das kann nicht sein, Sire, erwiderte der Graf.

Wie! es kann nicht sein! Und warum kann es nicht sein? rief Karl I.

Ew. Majestät weiß wohl, daß Waffenstillstand zwischen uns und dem englischen Heere stattfindet, antwortete der Graf.

Wenn Waffenstillstand stattfindet, so hat ihn das englische Heer dadurch gebrochen, daß es die Stadt gegen die Übereinkunft verließ; ich aber sage euch, ihr müßt euch mit mir durch dieses Heer schlagen und nach Schottland zurückkehren, und wenn ihr es nicht tut, nun so wählt zwischen den zwei Namen, die den Menschen der Verachtung und dem Fluche seiner Mitmenschen überantworten: entweder seid ihr Feiglinge, oder ihr seid Verräter.

Die Augen der Schotten flammten, aber sie gingen, wie dies so oft bei solchen Gelegenheiten geschieht, von der äußersten Scham zur äußersten Frechheit über, und zwei Clan-Häuptlinge schritten von zwei Seiten auf den König zu.

Nun wohl, ja, sagten sie, wir haben versprochen, Schottland und England von dem Manne zu befreien, der seit fünfundzwanzig Jahren das Blut und das Gold Schottlands und Englands trinkt. Wir haben es versprochen und halten unser Versprechen. König Karl Stuart, Ihr seid unser Gefangener.

Und beiden streckten zu gleicher Zeit die Hand aus, um den König zu ergreifen, aber ehe die Spitzen ihrer Finger seine Person berührten, stürzten beide, der eine tot, der andere ohnmächtig, nieder.

Athos hatte den einen mit dem Kolben seiner Pistole zu Boden geschlagen, Aramis hatte dem andern seinen Degen durch den Leib gerannt.

Als sodann der Graf von Lewen und die andern Häuptlinge, erschrocken vor dieser unerwarteten Hilfe zurückwichen, die dem Fürsten, den sie bereits für ihren Gefangenen hielten, vom Himmel zuzufallen schien, zogen Athos und Aramis den König aus dem meineidigen Kreise, in den er sich so unklugerweise gewagt hatte; dann sprangen alle drei auf die Pferde, welche die Lakaien bereithielten, und ritten im Galopp nach dem königlichen Zelte zurück.

Im Vorüberreiten gewahrten sie den Grafen Winter, der an der Spitze seines Regiments herbeieilte. Der König gab ihm ein Zeichen, sie zu begleiten.

Der Rächer

Alle vier traten in das Zelt; es war noch kein Plan gefaßt, und doch mußte man zu irgend einem Entschlusse kommen.

Der König sank in einen Lehnstuhl und rief: Ich bin verloren!

Nein, Sire, entgegnete Athos, Ihr seid nur verraten.

Der König stieß einen tiefen Seufzer aus.

Verraten, verraten durch die Schotten, in deren Mitte ich geboren bin, die ich immer den Engländern vorzog! Oh, die Elenden!

Sire, sprach Athos, es ist jetzt keine Zeit zu Klagen und Anschuldigungen, sondern der Augenblick, wo Ihr zeigen müßt, daß Ihr König und Edelmann seid. Erhebt Euch, Sire! denn Ihr habt wenigstens hier drei Männer, die Euch nicht verraten werden … Ihr könnt ruhig sein. Ach! wenn wir nur fünf wären, murmelte Athos, an d’Artagnan und Porthos denkend.

Was sagt Ihr? fragte Karl aufstehend.

Ich sage, Sire, daß es nur ein Mittel gibt. Mylord Winter bürgt für sein Regiment, wenigstens so ziemlich, wir wollen’s nicht zu genau nehmen; er stellt sich an die Spitze seiner Leute, wir stellen uns an die Seite Eurer Majestät, wir schlagen uns durch Cromwells Armee durch und erreichen Schottland.

Es gäbe noch ein Mittel, versetzte Aramis; einer von uns müßte die Kleidung und das Pferd des Königs nehmen. Während man diesen mit aller Hitze verfolgte, würde der König vielleicht durchkommen!

Der Rat ist gut, sagte Athos, und wenn Seine Majestät einem von uns diese Ehre erweisen wollte, so würden wir sehr dankbar dafür sein.

Was haltet Ihr von diesem Rate, Mylord Winter? sprach der König und schaute dabei voll Bewunderung die zwei Männer an, die kein anderes Verlangen hatten, als die Gefahren, die ihn bedrohten, auf ihr eigenes Haupt abzuziehen.

Ich denke, Sire, sprach Athos eindringlich, daß, wenn es ein Mittel gibt, Ew. Majestät zu retten, Herr d’Herblay dasselbe vorgeschlagen hat. Ich bitte also Ew. Majestät untertänig, sogleich Ihre Wahl zu treffen, denn wir haben keine Zeit zu verlieren.

Aber willige ich ein, so kommt der, welcher meinen Platz einnehmen will, entweder um sein Leben, oder wenigstens um seine Freiheit.

Aber ihm wird die Ehre zu teil, seinen König gerettet zu haben! rief Winter.

Der König schaute seinen alten Freund mit Tränen in den Augen an, machte das Band des Heiligen-Geist-Ordens, das er seinen zwei französischen Begleitern zu Ehren trug, los und schlang es um den Hals Winters, der knieend dieses Zeichen des Vertrauens und der Freundschaft seines Fürsten empfing.

Es ist nicht mehr als billig, sagte Athos, er dient ihm länger als wir.

Der König hörte diese Worte, wandte sich voll Rührung um und sprach: Meine Herren, wartet einen Augenblick, ich habe jedem von euch ebenfalls ein Band zu geben.

Dann ging er an einen Schrank, worin seine eigenen Orden eingeschlossen waren, und nahm zwei Insignien des Hosenbandordens heraus.

Diese Orden können nicht für uns sein, sprach Athos.

Warum nicht, mein Herr? versetzte Karl.

Diese Orden sind für Könige, und wir sind nur einfache Edelleute.

Laßt alle Throne der Erde an euern Augen vorüberziehen, sagte der König, und findet mir erhabenere Herzen, als die euren. Nein, nein, ihr laßt euch nicht Gerechtigkeit widerfahren, meine Herren, aber ich bin da, um dies zu tun. Auf die Knie, Graf.

Athos kniete nieder; der König schlang ihm das Band, wie es die Regel vorschrieb, von der Linken zur Rechten um, hob sein Schwert und sprach statt der herkömmlichen Formel (Ich mache Euch zum Ritter, seid tapfer, treu und redlich):

Ihr seid tapfer, treu und redlich, ich mache Euch zum Ritter, mein Herr Graf.

Dann sich an Aramis wendend, sprach er: Jetzt Ihr, Herr Chevalier.

Und dieselbe Zeremonie wurde mit denselben Worten wiederholt, während Winter, von Dienern unterstützt, seinen Panzer losmachte, um eher für den König gehalten zu werden.

Als Karl auch Aramis geschmückt hatte, umarmte er die beiden französischen Ritter.

Sire, sagte Lord Winter, der, ganz von dem Bewußtsein seines großen Opfers erfüllt, seine ganze Kraft und seinen ganzen Mut wiedergewonnen hatte, Sire, wir sind bereit.

Der König schaute die drei Edelleute an und sprach: Ich muß also fliehen?

Durch ein Heer fliehen, nennt man auf der ganzen Welt angreifen, erwiderte Athos.

Ich werde also mit dem Schwerte in der Hand sterben, rief Karl. Herr Graf, Herr Chevalier, wenn ich je König werde …

Sire, Ihr habt uns bereits mehr geehrt, als es einfachen Edelleuten gebührte; die Dankbarkeit ist also auf unserer Seite. Aber verlieren wir keine Zeit mehr, wir haben bereits zu viel verloren.

Der König reichte allen dreien zum letztenmal die Hand, vertauschte seinen Hut mit dem von Winter und ging hinaus.

Das Regiment Winters war auf einer Plattform aufgestellt, die das Lager beherrschte; der König wandte sich, gefolgt von diesen drei Freunden, nach dieser Plattform.

Das schottische Lager schien endlich erwacht zu sein; die Leute hatten ihre Zelte verlassen und standen in Reih‘ und Glied wie zu einer Schlacht.

Seht ihr, sprach der König, vielleicht bereuen sie es und sind bereit, zu marschieren.

Wenn sie bereuen, versetzte Athos, so werden sie uns folgen.

Wohl, was tun wir? fragte der König.

Wir wollen das feindliche Heer beobachten, erwiderte Athos.

Die Augen der kleinen Gruppe hefteten sich sogleich auf die Linie, die man bei Tagesanbruch für Nebel gehalten hatte, und die nun die ersten Sonnenstrahlen als ein in Schlachtordnung aufgestelltes Heer bezeichneten. Die Luft war rein und durchsichtig, wie gewöhnlich in dieser Morgenstunde. Man unterschied ganz genau die Regimenter, die Standarten, sowie die Farbe der Uniformen und Pferde.

Dann sah man auf einem niedrigen Hügel, etwas vor der feindlichen Front, einen kleinen, gedrungenen, schwerfälligen Mann erscheinen, der von einigen Offizieren umgeben war. Er richtete ein Augenglas nach der Gruppe um den König.

Kennt Ew. Majestät diesen Mann persönlich? fragte Aramis.

Karl erwiderte lächelnd:

Dieser Mann ist Cromwell. – Dann zieht Euern Hut herab, Sire, damit er Euch nicht erkennt. – Ah! sprach Athos, wir haben viel Zeit verloren. – Nun also den Befehl, erwiderte der König, und wir ziehen ab. – Gebt Ihr ihn, Sire? fragte Athos. – Nein, ich ernenne Euch zu meinem Generalleutnant, sprach der König. – Hört also, Mylord Winter, sagte Athos; entfernt Euch, Sire, ich bitte Euch; was wir sprechen wollen, geht Eure Majestät nichts an.

Der König machte lächelnd drei Schritte rückwärts.

Folgendes ist mein Vorschlag, fuhr Athos fort: Wir teilen Euer Regiment in zwei Schwadronen. Ihr stellt Euch an die Spitze der ersten, Seine Majestät und wir stellen uns an die Spitze der zweiten. Hindert uns nichts, so greifen wir alle zusammen an, um die feindliche Linie zu durchbrechen und uns in den Tyne zu werfen. Stoßen wir aber auf ein Hindernis, so laßt Ihr und Eure Leute Euch bis auf den letzten Mann töten, wir und der König setzen unsern Weg fort. Sind wir einmal am Ufer angelangt, so ist das weitere unsere Sache, und wären sie drei Glieder hoch aufgestellt, wenn nur Eure Leute ihre Schuldigkeit tun.

Zu Pferde, rief Lord Winter.

Zu Pferde, sprach Athos, alles ist bedacht und entschieden.

Vorwärts, meine Herren, sagte der König, vorwärts. Wählen wir das alte Kriegsgeschrei der Franzosen: Montjoie und Saint-Denis! Englands Kriegsgeschrei wird gegenwärtig von zu vielen Verrätern wiederholt.

Man schwang sich in den Sattel, der König nahm das Pferd Winters, Winter das des Königs; Winter stellte sich ins erste Glied der ersten Schwadron, und der König, mit Athos zu seiner Rechten und Aramis zu seiner Linken, in das erste Glied der zweiten.

Die ganze schottische Armee betrachtete diese Vorkehrungen mit der Unbeweglichkeit und dem Stillschweigen der Scham.

Man sah, wie einige Häuptlinge aus den Gliedern hervortraten und ihre Schwerter zerbrachen.

Das tröstet mich, sagte der König, ich sehe, daß nicht alle Verräter sind.

In diesem Augenblick ertönte Lord Winters Stimme.

Vorwärts! rief er.

Die erste Schwadron fing an, sich in Bewegung zu setzen, die zweite folgte ihr und stieg die Plattform hinab. Ein der Zahl nach gleich starkes Regiment Kürassiere entwickelte sich hinter dem Hügel und ritt im schnellsten Galopp entgegen.

Der König zeigte Athos und Aramis, was vorging.

Sire, sprach Athos, für diesen Fall ist vorgesehen, und wenn Lord Winters Leute ihre Schuldigkeit tun, so rettet uns dieses Ereignis, statt uns zu verderben.

In diesem Augenblick hörte man Lord Winter, den Lärm der galoppierenden und wiehernden Pferde beherrschend, mit kräftiger Stimme rufen:

Säbel in die Hand!

Alle Säbel fuhren aus den Scheiden und leuchteten wie Blitze.

Auf! meine Herren, rief der König ebenfalls, berauscht durch das Getöse und den Anblick; auf, meine Herren, den Säbel in die Hand!

Aber diesem Befehl, wobei der König das Beispiel gab, gehorchten nur Athos und Aramis.

Wir sind verraten, sagte der König ganz leise.

Wir wollen noch warten, versetzte Athos, vielleicht haben sie die Stimme Ew. Majestät nicht erkannt und harren noch des Befehls ihres Schwadron-Chefs.

Haben sie nicht den ihres Obersten gehört? Aber seht! seht! rief der König, sein Pferd so gewaltig herumreißend, daß es sich auf seinen Fußsehnen bog, und zugleich das von Athos am Zaume fassend.

Ha, Feiglinge! ha, Elende! ha, Verräter! rief Lord Winter, dessen Stimme man deutlich hörte, während seine Leute Reih‘ und Glied verließen und sich in der Ebene zerstreuten.

Kaum fünfzehn Mann waren um ihn gruppiert und erwarteten den Angriff der Kürassiere Cromwells.

Laßt uns mit ihnen sterben, sprach der König.

Laßt uns sterben, wiederholten Athos und Aramis.

Herbei, ihr treuen Herzen! rief Lord Winter.

Seine Stimme drang bis zu den zwei Freunden, die im Galopp hinzueilten.

Keine Gnade, rief auf französisch eine Stimme, die Lord Winter antwortete und alle drei erbeben ließ.

Lord Winter wurde bei dem Klang dieser Stimme bleich und wie versteinert.

Es war die Stimme eines Reiters, der auf einem prachtvollen Rappen an der Spitze eines Regiments angriff, dem er in seinem Eifer zehn Schritte voraneilte.

Er ist es! murmelte Lord Winter mit starren Augen und ließ den Säbel an seiner Seite hinabsinken.

Der König! der König! riefen mehrere Stimmen, getäuscht durch das blaue Band und das isabellfarbige Pferd des Lords, fangt ihn lebendig!

Nein, es ist nicht der König! rief der Reiter, laßt euch nicht täuschen. Nicht wahr, Mylord Winter, Ihr seid nicht der König? Nicht wahr, Ihr seid mein Oheim?

Und in demselben Augenblick richtete Mordaunt den Lauf einer Pistole gegen Winter. Der Schuß ging los, die Kugel durchbohrte die Brust des alten Edelmanns, der auf seinem Sattel aufsprang und Athos in die Arme sank. Er murmelte nur noch: Der Rächer!

Erinnere dich meiner Mutter! brüllte Mordaunt, während er, vom wütenden Galopp seines Pferdes fortgerissen, vorüberjagte.

Elender! schrie Aramis und drückte eine Pistole auf ihn ab, als er ganz nahe an ihm vorüberritt, aber das Zündkraut allein fing Feuer, und der Schuß ging nicht los.

In diesem Augenblick fiel das ganze Regiment über die zwei Männer her, die standgehalten hatten, und die Franzosen wurden umzingelt. Nachdem sich Athos überzeugt hatte, daß Lord Winter tot war, ließ er den Leichnam los, zog seinen Degen und rief: Auf, Aramis, für die Ehre Frankreichs!

Und die zwei Engländer, die sich zunächst bei den zwei Edelleuten befanden, stürzten tödlich getroffen von den Pferden.

In demselben Augenblick erscholl ein furchtbares Hurra, und dreißig Klingen funkelten über ihren Häuptern.

Plötzlich stürzt ein Mann mitten aus den englischen Reihen hervor, die er niederwirft, springt auf Athos zu, umschlingt ihn mit seinen nervigen Armen, entreißt ihm sein Schwert und flüstert ihm ins Ohr:

Still! ergebt Euch. Wenn Ihr Euch mir ergebt, habt Ihr Euch nicht ergeben.

Zu gleicher Zeit hat ein Riese Aramis‘ Handgelenk ergriffen, der sich vergebens dem furchtbaren Druck zu entziehen sucht.

Ergebt Euch! spricht er, ihn fest anschauend.

Aramis hebt den Kopf empor; Athos wendet sich um.

D’Art … ruft Athos, dem der Gascogner mit der Hand den Mund verschließt.

Ich ergebe mich, sagte Aramis, Porthos sein Schwert reichend.

Feuer! Feuer! rief Mordaunt, zu der Gruppe zurückkehrend, bei der die zwei Freunde waren.

Und warum Feuer? fragte der Oberst, alles hat sich ergeben.

Es ist der Sohn Myladys, sprach Athos zu d’Artagnan. – Ich habe ihn erkannt. – Es ist der Mönch, sagte Porthos zu Aramis. – Ich weiß es.

Zu gleicher Zeit fingen die Glieder an, sich zu öffnen. D’Artagnan hielt Athos‘ Pferd, Porthos Aramis‘ am Zügel. Jeder suchte seinen Gefangenen vom Schlachtfeld fortzuziehen.

Durch diese Bewegung wurde die Stelle sichtbar, wohin der Leichnam Winters gefallen war. Mit dem Instinkt des Hasses hatte Mordaunt den Toten wiedergefunden und betrachtete ihn, über sein Pferd herabgebeugt, mit einem entsetzlichen Lächeln.

Athos legte, bei all seiner Ruhe, die Hand an seine Halfter, in denen sich seine Pistolen noch befanden.

Was macht Ihr? sprach d’Artagnan.

Laßt mich diesen Menschen töten.

Keine Gebärde, die vermuten lassen könnte, Ihr kennt ihn, oder wir sind alle vier verloren.

Dann sich gegen den jungen Mann umwendend, rief er:

Gute Beute, gute Beute! Freund Mordaunt. Herr du Vallon und ich, wir haben jeder unsern Mann, Ritter vom Hosenbandorden, nichts Geringeres.

Aber mir scheint, es sind Franzosen! rief Mordaunt und schaute Athos und Aramis mit blutgierigen Augen an.

Meiner Treu, ich weiß es nicht. Seid Ihr ein Franzose, mein Herr? fragte er Athos.

Ich bin es, antwortete dieser mit ernstem Ton.

Wohl, mein lieber Herr, Ihr seid nun der Gefangene eines Landsmannes.

Aber der König? sprach Athos ängstlich, der König?

Ei, wir haben den König.

Ja, sagte Aramis, durch einen schändlichen Verrat.

Porthos preßte das Handgelenke seines Freundes gewaltig zusammen und sagte lächelnd zu ihm:

Ei, mein Herr, man führt den Krieg ebensowohl durch Geschicklichkeit, als durch Kraft, seht Ihr.

Man sah jetzt die Schwadron, die den Rückzug Karls beschützen sollte, den König, der allein zu Fuße in einem großen freien Raume ging, umgeben und dem englischen Regiment entgegenreiten. Der Fürst war scheinbar ruhig, aber man sah wohl, welche Anstrengung es ihn kostete, ruhig zu scheinen; der Schweiß lief ihm über das Gesicht, er trocknete Stirn und Lippen mit einem Tuch ab, das jedesmal mit Blut befleckt von seinem Munde wegkam.

Da ist Nebukadnezar, rief einer der Kürassiere Cromwells, ein alter Puritaner, dessen Augen sich beim Anblick des Mannes entflammten, den er den Tyrannen nannte.

Was sagt Ihr, Nebukadnezar? sprach Mordaunt mit einem furchtbaren Lächeln. Nein, es ist König Karl I., der gute König Karl, der seinen Untertanen die Haut abzieht, um sie zu gerben.

Karl schlug die Augen gegen den Frechen auf, der so sprach; er erkannte ihn nicht, aber die ruhige und religiöse Majestät seines Gesichtes bewirkte, daß Mordaunt seine Blicke senkte.

Guten Morgen, meine Herren, sagte der König zu den beiden Edelleuten, die er in d’Artagnans und Porthos‘ Händen sah. Der Tag war unglücklich, doch das ist, Gott sei Dank, nicht eure Schuld. Wo ist mein alter Winter?

Die zwei Edelleute wandten die Köpfe ab und schwiegen.

Suche, wo Strafford ist, sprach Mordaunt mit seiner scharfen Stimme.

Karl bebte, der Teufel hatte gut getroffen; Strafford war sein ewiger Gewissensbiß, der Schatten seiner Tage, das Gespenst seiner Nächte.

Der König schaute um sich und erblickte einen Leichnam zu seinen Füßen; es war Lord Winter.

Karl stieß keinen Schrei aus, vergoß keine Träne; aber eine Leichenblässe breitete sich über sein Gesicht; er setzte ein Knie auf die Erde, hob Winters Kopf in die Höhe, küßte ihn auf die Stirn, nahm das Band des Heiligen-Geist-Ordens, das er ihm um den Hals geschlungen hatte, und legte es auf seine Brust.

Lord Winter ist also getötet? fragte d’Artagnan, seine Augen auf den Leichnam heftend.

Ja, sprach Athos, und zwar von seinem Neffen.

Er ist der erste von uns, der dahingeht, murmelte d’Artagnan; er war ein braver Mann, er ruhe im Frieden.

Karl Stuart, sprach jetzt der Oberst des englischen Regiments, auf den König zureitend, der die Insignien des Königtums wieder angetan hatte; Ihr ergebt Euch als Gefangener?

Oberst Thomlison, sprach Karl, der König ergibt sich nicht; nur der Mensch weicht der Gewalt.

Euern Degen.

Der König zog seinen Degen und zerbrach ihn auf dem Knie.

In diesem Augenblick lief ein Pferd, von Schaum bedeckt, mit flammenden Augen und weit aufgerissenen Nüstern herbei und blieb, als es seinen Herrn erkannte, vor Freude wiehernd, stehen: es war Arthus.

Der König lächelte, liebkoste es mit der Hand, schwang sich leicht in den Sattel und rief: Vorwärts, meine Herren, führt mich, wohin Ihr wollt.

Dann sich rasch umwendend:

Halt, es kam mir vor, als bewege sich Lord Winter; lebt er noch, so verlaßt, bei allem, was euch heilig ist, diesen edlen Mann nicht.

Oh! seid unbesorgt, erwiderte Mordaunt, die Kugel hat ihm das Herz durchbohrt.

Flüstert kein Wort mehr, macht keine Gebärde, sehet weder mich, noch Porthos an, sagte d’Artagnan zu Athos und Aramis, denn Mylady ist nicht tot … ihre Seele lebt in dem Körper dieses Teufels! …

Und die Abteilung rückte, ihren königlichen Gefangenen mit sich führend, auf die Stadt zu, aber auf halbem Weg brachte ein Adjutant des Generals Cromwell dem Obersten Thomlison den Befehl, den König nach Holdenby-Castle zu führen.

Zu gleicher Zeit gingen Eilboten in allen Richtungen ab, um England und ganz Europa zu verkündigen, daß König Karl Stuart der Gefangene des Generals Oliver Cromwell geworden sei.

Der Bettler von St. Eustache

Es war von d’Artagnan wohl berechnet, daß er sich nicht unmittelbar ins Palais-Royal begab. Er ließ Comminges Zeit, vor ihm dahinzugehen und dem Kardinal die großen Dienste zu melden, die er, d’Artagnan, und sein Freund diesen Morgen der Partei der Königin geleistet hatten.

Beide wurden auf die schmeichelhafteste Weise von Mazarin empfangen, der ihnen viele Komplimente machte und erklärte, sie seien beide ihren Zielen um die Hälfte nähergerückt.

Unserem d’Artagnan wäre Geld lieber gewesen, denn er wußte, daß Mazarin leicht versprach und sehr schwer hielt. Die Versprechungen des Kardinals galten ihm so viel wie taube Nüsse, doch stellte er sich Porthos zu Liebe, den er nicht entmutigen wollte, als wäre er sehr zufrieden.

Während die zwei Freunde bei dem Kardinal waren, ließ die Königin diesen rufen. Mazarin dachte, seine Verteidiger würden sich zu verdoppeltem Eifer angespornt fühlen, wenn er ihnen die Danksagungen der Königin selbst verschaffte. Er bedeutete ihnen durch ein Zeichen, ihm zu folgen.

Die Königin Anna von Österreich war von zahlreichen fröhlich lärmenden Höflingen umgeben, denn nachdem man einen Sieg über den Spanier davongetragen hatte, war man nun auch siegreich aus einem Kampfe mit dem Volk hervorgegangen. Broussel war ohne Widerstand aus Paris geführt worden und mußte in diesem Augenblick im Gefängnis von Saint-Germain sein, und Blancmesnil, den man ebenfalls und ohne Schwierigkeit verhaftet hatte, war im Schlosse von Vincennes eingekerkert.

Comminges war bei der Königin, die ihn alles ausführlich berichten ließ, als er an der Tür hinter dem eintretenden Kardinal d’Artagnan und Porthos erblickte.

Ei, Madame, sagte er, auf d’Artagnan zuschreitend, hier ist einer, der Euch das besser als ich erzählen kann, denn er ist mein Retter. Ohne ihn hinge ich jetzt ohne Zweifel in den Netzen von Saint-Cloud, denn sie waren nahe daran, mich in den Fluß zu werfen. Sprecht, d’Artagnan, sprecht!

Seit d’Artagnan Leutnant bei den Musketieren war, hatte er sich wohl hundertmal in demselben Gemach mit der Königin befunden, aber nie hatte diese mit ihm gesprochen.

Wie, Herr, nachdem Ihr mir einen solchen Dienst geleistet habt, schweigt Ihr? sprach Anna von Österreich.

Madame, antwortete d’Artagnan, ich habe nichts zu sagen, außer daß mein Leben dem Dienste Eurer Majestät gehört, und daß ich nur an dem Tage glücklich sein werde, wo ich es für sie verliere.

Ich weiß das, mein Herr, ich weiß das, versetzte die Königin, und zwar seit geraumer Zeit. Ich bin auch entzückt, daß ich Euch dieses öffentliche Zeichen meiner Achtung und Dankbarkeit geben kann.

Erlaubt, Madame, daß ich einen Teil auf meinen Freund, einen ehemaligen Musketier aus der Kompanie Treville, übertrage, sprach d’Artagnan mit einem besondern Nachdruck auf die letzten Worte, denn dieser Mann hat Wunder getan, fügte er bei.

Der Name dieses Herrn?

Bei den Musketieren, antwortete d’Artagnan, nannte er sich Porthos (die Königin bebte); aber sein wahrer Name ist Chevalier du Vallon.

De Bracieux de Pierrefonds, fügte Porthos bei.

Diese Namen sind zu zahlreich, als daß ich sie alle im Gedächtnis behalten könnte, und ich will nur den ersten behalten, sprach die Königin huldreich.

Porthos verbeugte sich.

D’Artagnan machte zwei Schritte rückwärts.

In diesem Augenblick meldete man den Koadjutor. Er kam, um zu sehen, was ihm der Hof biete, und falls dies seinem Ehrgeiz genüge, seinen Frieden mit Mazarin zu machen. Aber die hochmütige Königin konnte sich in dem Moment der Siegesfreude nicht enthalten, den Koadjutor ihren Triumph fühlen zu lassen. Auf ihr stummes Zeichen fiel der ganze Hof mit Spott und Gelächter über den Prälaten her, so daß er schwer gekränkt davonging, und als er über die Schwelle des Palastes schritt, murmelte:

O undankbarer Hof! Treuloser Hof! Ich werde dich morgen lachen lehren, aber aus einer andern Tonart!

Während man jedoch am Hof von Freude übersprudelte, um die Heiterkeit der Königin zu steigern, verlor Mazarin, ein verständiger Mann, den schon die Furcht vorsichtig machte, seine Zeit nicht mit eitlen und gefährlichen Späßen. Er entfernte sich nach dem Koadjutor, schloß sein Gold ein und ließ durch vertraute Arbeiter Verstecke in den Wänden anbringen.

Als der Koadjutor in seine Wohnung zurückkehrte, fand er dort, seiner wartend, Louvières, den Sohn Broussels, noch ganz erschöpft und blutbespritzt vom Kampfe gegen die Garden.

Der Koadjutor ging auf ihn zu und reichte ihm die Hand. Der junge Mann schaute ihn an, als wollte er im Grunde seines Herzens, lesen.

Mein lieber Herr Louvières, sagte der Koadjutor, glaubt mir, ich nehme innigen Anteil an dem Unglück, das Euch widerfahren ist.

Ist es wahr und sprecht Ihr im Ernst? fragte Louvières.

Aus dem Grunde meines Herzens, sagte der Koadjutor.

Dann ist die Zeit der Worte vorüber, Monseigneur, und die Stunde des Handelns hat geschlagen. Wenn Ihr wollt, Monseigneur, ist mein Vater in drei Tagen aus dem Gefängnis, und in sechs Monaten seid Ihr Kardinal.

Der Koadjutor zitterte.

Wir wollen frei sprechen und ein offenes Spiel spielen, sagte Louvières. Man spendet nicht aus eitel christlicher Liebe für dreißigtausend Livres Almosen, wie Ihr seit sechs Monaten getan habt, das wäre gar zu schön. Ihr seid ehrgeizig, denn Ihr seid ein Mann von Genie und fühlt Euern Wert. Ich hasse den Hof und habe in diesem Augenblick nur einen einzigen Wunsch: die Rache. Gebt uns die Geistlichkeit und das Volk, worüber Ihr verfügt; ich gebe Euch die Bürgerschaft und das Parlament. Mit diesen vier Elementen gehört Paris in acht Tagen uns, und glaubt mir, Herr Koadjutor, der Hof gibt aus Furcht, was er aus Wohlwollen nie geben würde.

Der Koadjutor schaute Louvières ebenfalls mit seinem durchdringenden Auge an und versetzte: Aber, Herr Louvières, wißt Ihr, daß Ihr mir nichts anderes als den Bürgerkrieg vorschlagt? – Ihr bereitet ihn seit so geraumer Zeit vor, Monseigneur, daß er Euch willkommen sein muß. – Gleichviel, sprach der Koadjutor, Ihr begreift, daß die Sache Überlegung fordert. – Wieviel Stunden verlangt Ihr zum Überlegen? – Zwölf, mein Herr, ist das zu viel? – Es ist Mittag, um Mitternacht bin ich bei Euch. – Falls ich noch nicht zu Hause wäre, so wartet auf mich. – Gut, um Mitternacht, Monseigneur. – Um Mitternacht, mein lieber Herr Louvières.

Nach zwei Stunden hatte der Herr von Retz (der Nebenname des eigentlich Jean Gondy heißenden Koadjutors) dreißig Pfarrer aus den bevölkertsten und unruhigsten Kirchspielen von Paris um sich versammelt.

Retz erzählte ihnen die Beleidigung, die ihm im Palais Royal widerfahren war. Die Geistlichen fragten ihn, was zu tun sei.

Das ist ganz einfach, antwortete der Koadjutor. Ihr leitet die Gewissen, untergrabt das elende Vorurteil der Furcht und Achtung vor dem König, lehrt Eure Beichtkinder, die Königin sei eine Tyrannin, und wiederholt so lange und so kräftig, bis es jeder weiß, alles Unglück in Frankreich rühre von Mazarin, ihrem Liebhaber und Verderber, her. Beginnt das Werk heute, auf der Stelle, und in drei Tagen erwarte ich von Euch das gewünschte Resultat. Hat übrigens einer von Euch mir einen guten Rat zu geben, so bleibe er hier, und ich werde ihn mit Vergnügen anhören.

Drei Pfarrer blieben, der von Saint-Mery, der von Saint-Sulpice und der von Saint-Eustache.

Die andern entfernten sich.

Ihr glaubt mich also wirksamer unterstützen zu können als Eure Amtsgenossen? fragte der Koadjutor. – Wir hoffen es, erwiderten die Pfarrer. – Laßt hören, Herr Pfarrer von Saint-Mery. Fangt an. – Monseigneur, ich habe in meinem Quartiere einen Menschen, der Euch von größtem Nutzen sein könnte. – Wer ist das? – Ein Kaufmann, der den mächtigsten Einfluß auf die kleinen Handelsleute in seinem Quartier ausübt. – Wie heißt er? – Es ist ein gewisser Planchet. Er hat vor ungefähr sechs Wochen ganz allein einen Aufruhr erregt. Infolge dieses Aufruhrs aber ist er, da man ihn suchte, um ihn zu hängen, verschwunden. – Werdet Ihr ihn wiederfinden? – Ich hoffe es, denn ich glaube nicht, daß er verhaftet worden ist, und da ich Beichtiger seiner Frau bin, werde ich es wohl erfahren, wenn sie weiß, wo er ist. – Gut, mein lieber Herr Pfarrer. Sucht mir diesen Mann und bringt ihn hierher, wenn Ihr ihn findet. – Um welche Stunde, Monseigneur? – Um sechs Uhr. Wollt Ihr? – Wir werden um sechs Uhr bei Euch sein, Monseigneur. – Geht, mein lieber Pfarrer, geht, und Gott stehe Euch bei.

Der Pfarrer entfernte sich.

Und Ihr, mein Herr? sagte Retz, sich zu dem Pfarrer von Saint-Sulpice umwendend. – Ich, Monseigneur, erwiderte dieser, ich kenne einen Mann, der einem bei dem Volk sehr beliebten Prinzen große Dienste geleistet hat. Er würde einen vortrefflichen Volksführer geben, und ich kann ihn zu Eurer Verfügung stellen. – Wie heißt dieser Mann? – Der Graf von Rochefort. – Ich kenne ihn. Bringt ihn mir um acht Uhr, Herr Pfarrer, und Gott segne Euch, wie ich Euch segne.

Der Pfarrer verbeugte sich und ging ab.

Nun ist die Reihe an Euch, mein Herr, sagte der Koadjutor und wandte sich zu dem letzten Besucher um. Habt Ihr mir auch etwas anzubieten, wie die zwei Herren, die uns verlassen? – Etwas Besseres, Monseigneur. – Teufel! gebt wohl acht, daß Ihr da nicht eine furchtbare Verbindlichkeit übernehmt: der eine hat mir einen Kaufmann angeboten, der andere bietet mir einen Grafen an, Ihr wollt mir also einen Prinzen anbieten? – Ich biete Euch einen Bettler, Monseigneur. – Ah, ah, sprach Retz nachdenkend, Ihr habt recht, Herr Pfarrer, ein Mensch, der diese ganze Legion von armen Teufeln, die in den Sackgassen von Paris zusammengedrängt sind, zum Aufruhr brächte und sie so laut, daß es ganz Frankreich hören müßte, schreien ließe, Mazarin habe sie an den Bettelstab gebracht … – Ich habe gerade Euern Mann! – Bravo! und wer ist dieser Mann? – Ein einfacher Bettler, wie ich Euch sagte, Monseigneur, ein Mensch, der seit ungefähr sechs Jahren auf den Stufen der Saint-Eustache-Kirche Almosen fordert und Weihwasser reicht. – Und Ihr sagt, er übe einen großen Einfluß auf seinesgleichen aus? – Weiß Monseigneur, daß die Bettlerei eine organisierte Körperschaft, eine Art Verbrüderung der Besitzlosen gegen die Besitzenden ist, ein Bund, zu dem jeder seinen Teil beiträgt, und der unter einem Haupte steht? – Ja, ich habe davon gehört. – Der Mensch, den ich Euch biete, ist General-Syndikus; er nennt sich Maillard. – Meint Ihr, wir werden ihn zu dieser Stunde auf seinem Posten treffen? – Ganz gewiß. – Wir wollen Euern Bettler aufsuchen, Herr Pfarrer, und wenn er ist, wie Ihr sagt, so habt Ihr allerdings den wahren Schatz gefunden.

Retz legte eine Reitertracht an, setzte einen breitkrempigen Hut mit einer roten Feder auf den Kopf, gürtete ein langes Schwert um, schnallte die Sporen an seine Stiefel, hüllte sich in einen weiten Mantel und folgte dem Pfarrer.

Als sie in die Rue des Prouvaires gelangten, streckte der Pfarrer die Hand nach dem Vorhof der Kirche aus und sagte: Seht, dort ist er auf seinem Posten.

Gondy schaute in der angegebenen Richtung und erblickte einen Bettler, der, mit dem Rücken an ein Gesimse gelehnt, auf einem Stuhle saß; er hatte einen kleinen Eimer in seiner Nähe und hielt einen Sprengwedel in der Hand.

Hat er ein Privilegium, sich hier aufzuhalten? fragte Gondy. – Nein, Monseigneur, antwortete der Pfarrer; er hat seinem Vorgänger diesen Platz als Weihwassergeber abgekauft. – Abgekauft? – Ja, solche Plätze werden verkauft; ich glaube, daß dieser für den seinigen hundert Pistolen bezahlt hat. – Der Bursche ist also reich? – Manche von diesen Leuten hinterlassen bei ihrem Tode zwanzig-, fünfundzwanzig-, dreißigtausend Livres und noch mehr. – Hm! versetzte Gondy lachend, ich glaubte nicht, daß ich meine Almosen so gut anbrächte.

Man näherte sich indessen dem Vorhof; im Augenblick, wo der Pfarrer und der Koadjutor den Fuß auf die erste Stufe der Kirche setzten, erhob sich der Bettler und überreichte seinen Sprengwedel.

Es war ein Mensch von sechs- bis achtundsechzig Jahren, klein, ziemlich dick, mit grauen Haaren und falben Augen. Auf seinem Gesicht stand der Kampf zweier entgegengesetzten Prinzipe zu lesen … eine schlechte Natur, gezähmt durch den Willen, vielleicht auch durch die Reue.

Als er den Mann erblickte, der den Pfarrer begleitete, bebte er leicht und schaute ihn mit erstaunter Miene an.

Maillard, sagte der Pfarrer, dieser Herr und ich sind gekommen, um einen Augenblick mit Euch zu sprechen.

Mit mir? sagte der Bettler, das ist eine große Ehre für einen armen Weihwassergeber.

Im Tone des Bettlers lag ein Ausdruck von Ironie, den er nicht zu beherrschen wußte, und worüber der Koadjutor sich wunderte.

Nach einigen Worten fragte ihn Retz, ob er geneigt wäre, seine Macht in den bestehenden Wirren geltend zu machen, und Maillard erklärte sich bereit, wenn ihm Vergebung seiner früheren Sünden gewährt werde. Diese wurde ihm in Aussicht gestellt.

Haltet Ihr die Gewalt, die Ihr über Eure Genossen ausübt, für so groß, als mir der Herr Pfarrer soeben gesagt hat? fuhr der Koadjutor fort.

Ich glaube, daß sie eine gewisse Achtung vor mir haben, erwiderte der Bettler stolz, und daß sie nicht nur alles tun werden, was ich ihnen befehle, sondern auch, daß sie mir überallhin folgen, wohin ich gehe.

Könnt Ihr mir für fünfhundert entschlossene Männer, tüchtige gutgesinnte Tagediebe, kräftige Kehlen, stehen, die im stande sind, mit ihrem Geschrei: Nieder mit Mazarin, die Mauern des Palais-Royal umzustürzen, wie einst die von Jericho einstürzten?

Ich glaube, daß ich mit noch schwierigeren und wichtigeren Dingen beauftragt werden kann.

Ah! ah! Ihr würdet es also übernehmen, in einer Nacht ein Dutzend Barrikaden zu bauen?

Ich übernehme es, fünfzig zu bauen und sie, wenn der Tag kommt, zu verteidigen.

Bei Gott, sagte Retz, Ihr sprecht mit einer Sicherheit, die mir Freude macht, und da der Herr Pfarrer für Euch bürgt …

Ich verbürge mich, versetzte der Pfarrer.

Dieser Sack enthält fünfhundertundfünfzig Pistolen in Gold; trefft also Euere Anstalten und sagt mir, wo ich Euch heute abend um zehn Uhr finden kann.

Es müßte eine hohe Stelle sein, von wo aus man ein Signal geben könnte, das in allen Quartieren von Paris gesehen würde.

Soll ich Euch ein Wort an den Vikar von Saint-Jacques-la-Boucherie mitgeben? Er wird Euch in ein Zimmer des Turmes führen, sagte der Pfarrer.

Vortrefflich, erwiderte der Bettler.

Diesen Abend also um zehn Uhr, sprach der Koadjutor; bin ich mit Euch zufrieden, so könnt Ihr über einen zweiten Sack von fünfhundert Pistolen verfügen.

Die Augen des Bettlers glänzten vor Gier, aber er drängte diese Bewegung zurück und antwortete: Diesen Abend, mein Herr; es wird alles bereit sein.

Der Turm Saint-Jacques-la-Boucherie

Um drei Viertel auf sechs Uhr hatte Herr von Retz alle seine Gänge gemacht und war in den erzbischöflichen Palast zurückgekehrt.

Um sechs Uhr meldete man den Pfarrer von Saint-Mery, der auf des Koadjutors Wink mit Planchet eintrat.

Monseigneur, sagte der Pfarrer von Saint-Mery, hier ist die Person, von der ich mit Euch zu sprechen die Ehre gehabt habe.

Planchet grüßte mit der Miene eines Menschen, der sich in guten Kreisen bewegt hat.

Nach verschiedenen Fragen, auf die Planchet mit seinem gewöhnlichen Witz antwortete und durch die der Prälat erfuhr, daß der alte Musketierdiener es gewesen war, der Rochefort befreit hatte, sagte der Koadjutor:

Ihr seid ein gescheiter Bursche, mein Freund; kann man auf Euch zählen? – Ich glaubte, der Herr Pfarrer habe sich für mich verbürgt? – Allerdings, aber ich wünschte, diese Versicherung aus Euerem eigenen Munde zu vernehmen. – Ihr könnt auf mich zählen, Monseigneur, vorausgesetzt, daß es sich um einen allgemeinen Aufruhr handelt. – Gerade darum handelt es sich. Wieviel Mann glaubt Ihr diese Nacht zusammenbringen zu können? – Zweihundert Musketen und fünfhundert Hellebarden. – Wäret Ihr geneigt, dem Grafen von Rochefort zu gehorchen? – Ich würde ihm bis in die Hölle folgen, und das will nicht wenig sagen, denn ich halte ihn für fähig, sich dahin zu versteigen. – Bravo! – An welchem Zeichen wird man morgen die Freunde von den Feinden unterscheiden können? – Jeder Frondeur mag einen Strohknoten an seinem Hut befestigen. – Gut; gebt Ihr uns nur die Parole! – Braucht Ihr Geld? – Geld kann nie schaden, Monseigneur; hat man keins, so wird man sich so durchhelfen; hat man’s, so werden die Dinge nur rascher und besser gehen.

Retz ging an eine Kasse und zog einen Sack hervor.

Hier sind fünfhundert Pistolen, sprach er, und geht die Angelegenheit gut, so zählt morgen auf dieselbe Summe.– Ich werde getreulich über dieses Geld Rechenschaft ablegen, sagte Planchet und nahm den Sack unter den Arm. – Es ist gut, ich empfehle Euch den Kardinal. – Seid unbesorgt, er ist in guten Händen.

Kaum waren der Pfarrer und Planchet fort, so meldete man den Pfarrer von Saint-Sulpice.

Sobald das Kabinett sich öffnete, stürzte ein Mann herein; es war der Graf von Rochefort.

Ihr seid’s, mein lieber Graf? sagte der Prälat, ihm die Hand reichend. – Ihr seid also endlich entschlossen? versetzte Rochefort. – Ich bin es immer gewesen, erwiderte Gondy. – Sprechen wir nicht weiter davon, Ihr sagt es, und ich glaube Euch. Wir geben Mazarin einen Ball? – Ich hoffe es. – Wann soll der Tanz beginnen? – Die Einladungen sind für diese Nacht erlassen, sprach der Koadjutor, aber die Geiger werden erst morgen früh zu spielen anfangen. – Ihr könnt auf mich und auf fünfzig Mann zählen, die mir der Chevalier d’Humières versprochen hat, falls ich ihrer bedürfen sollte. – Auf fünfzig Soldaten? – Er wirbt Rekruten an und leiht sie mir; ist das Fest vorüber und es fehlen einige davon, so werde ich sie ersetzen. – Gut, mein lieber Rochefort, aber das ist noch nicht alles. – Was gibt es sonst noch? fragte Rochefort lächelnd. – Was habt Ihr mit Herrn von Beaufort gemacht? – Er ist in der Provinz Vendome, wo er wartet, bis ich ihm schreibe, daß er zurückkommen solle. – Schreibt ihm, es ist Zeit. – Ihr seid also Eurer Sache gewiß? – Ja, aber er muß eilen, denn kaum wird das Volk zur Empörung gebracht sein, so haben wir zehn Prinzen für einen, die sich an die Spitze stellen wollen; zögert er, so findet er den Platz besetzt. – Kann ich ihm den Rat in Euerem Auftrag geben? – Allerdings. – Darf ich ihm sagen, er könne auf Euch zählen? – Gewiß. – Und Ihr werdet ihm jede Gewalt überlassen? … – Für den Krieg, ja; was die Politik betrifft … – Ihr wißt, daß das nicht seine Stärke ist. – Er wird mich nach Belieben um einen Kardinalshut unterhandeln lassen. – Ist Euch hieran gelegen? – Da man mich zwingt, einen Hut von einer Form zu tragen, die mir nicht gefällt, so verlange ich wenigstens, daß dieser Hut rot sei. – Wir wollen nicht über Geschmack und Farben streiten, versetzte Rochefort lachend; ich stehe für seine Einwilligung. – Und Ihr schreibt ihm noch diesen Abend? – Ich tue etwas Besseres, ich schicke ihm einen Boten. – In wieviel Tagen kann er hier sein? – In fünf. – Er mag kommen und wird vieles anders finden. – Ich wünsche es. – Ich bürge Euch dafür. – Also? – Sammelt Eure fünfzig Mann und haltet Euch bereit. – Wozu? – Gibt es ein Vereinigungszeichen? – Ein Strohknoten am Hut. – Schön. Gott befohlen, Monseigneur. – Adieu, mein lieber Rochefort. – Ah! Herr Mazarin, sagte Rochefort, den Pfarrer, der bei dem ganzen Gespräch kein Wort hatte anbringen können, mit sich fortziehend, Ihr werdet sehen, ob ich zu einem Mann der Tat zu alt bin.

Es war halb zehn Uhr; der Koadjutor bedurfte einer halben Stunde, um sich von dem erzbischöflichen Palaste nach dem Turme Saint-Jacques-la-Boucherie zu begeben. Dort bemerkte er ein Licht an einem der höchsten Fenster des Turmes.

Gut, sagte er, unser Bettler ist an seinem Posten.

Er klopfte, man öffnete ihm. Der Vikar selbst harrte seiner und führte ihn voranleuchtend den Turm hinan; oben angelangt, zeigte er ihm eine kleine Tür, stellte das Licht in eine Ecke der Mauer, damit es der Koadjutor beim Weggehen finden könnte, und stieg wieder hinab.

Der Koadjutor klopfte, obgleich der Schlüssel in der Tür steckte.

Herein, rief eine Stimme, in der der Koadjutor die des Bettlers erkannte.

Der Herr von Retz trat ein. Es war wirklich der Weihwassergeber von Saint-Eustache, der, auf einem ärmlichen Bette liegend, wartete und, als er den Koadjutor eintreten sah, aufstand.

Es schlug zehn Uhr.

Nun, fragte Gondy, hast du mir Wort gehalten? – Nicht ganz. – Wieso? – Ihr habt fünfhundert Mann von mir gefordert, nicht wahr? – Ja. – Nun, ich werde zweitausend für Euch haben. – Du prahlst nicht? – Wollt Ihr einen Beweis? – Ja.

Es waren drei Lichter angezündet, jedes derselben brannte vor einem Fenster; das eine von diesen Fenstern ging nach der Altstadt, das andere nach dem Palais-Royal, das dritte nach der Rue-Saint-Denis.

Der Bettler ging schweigend zu jedem dieser Lichter und blies eines nach dem andern aus.

Der Koadjutor befand sich in der Finsternis; das Zimmer wurde nur durch einen unsicheren Strahl des Mondes beleuchtet, der durch schwarze Wolken hinzog, deren Enden er mit Silber befranste.

Was hast du gemacht? sagte der Koadjutor. – Ich habe das Zeichen gegeben. – Welches? – Das zum Barrikadenbau. – Ah! ah! – Wenn Ihr von hier weggeht, werdet Ihr meine Leute bei der Arbeit sehen. Nehmt Euch in acht, daß Ihr Euch nicht an einer Kette stoßt oder in ein Loch fallt und ein Bein brecht. – Gut. Hier ist deine Summe, dieselbe, die du bereits empfangen hast. Bedenke jetzt nur, daß du ein Anführer bist und betrink dich nicht. – Ich habe seit zwanzig Jahren nur Wasser getrunken.

Der Mann nahm den Sack aus den Händen des Koadjutors, der bald hörte, wie der Bettler mit seinen Fingern im Golde wühlte.

Ah! ah! sagte der Koadjutor, du bist geizig, mein Freund.

Der Bettler warf den Sack zurück und stieß einen Seufzer aus.

Werde ich denn immer derselbe sein? sagte er; wird es mir denn nie gelingen, den alten Menschen abzustreifen? O Elend, o Eitelkeit!

Du nimmst es doch?

Ja, aber ich gelobe vor Euch, daß ich alles, was mir davon übrig bleibt, zu frommen Werken verwenden werde.

Sein Gesicht war bleich und zusammengezogen, wie das eines Menschen, der einen schweren innern Kampf ausgestanden hat.

Seltsamer Mensch! murmelte der Prälat.

Und er nahm seinen Hut, um zu gehen; aber als er sich umwandte, sah er den Bettler zwischen der Tür und ihm selbst. Sein erster Gedanke war, dieser Mensch wolle ihm ein Leid zufügen. Bald sah er aber, daß er im Gegenteil die Hände faltete und auf die Knie fiel.

Monseigneur, sagte der Bettler, ehe Ihr mich verlaßt, gebt mir Euern Segen, ich bitte Euch.

Monseigneur! Mein Freund, du hältst mich für einen andern.

Nein, Monseigneur, ich halte Euch für den, der Ihr seid, für den Herrn Koadjutor; ich habe Euch mit dem ersten Blick erkannt.

Retz lächelte und erwiderte: Und du willst meinen Segen?

Ja, ich bedarf desselben.

Der Bettler sprach diese Worte mit einem Tone so großer Demut, so tiefer Reue, daß Herr von Retz seine Hand über ihn ausstreckte und ihm seinen Segen mit aller Salbung gab, deren er fähig war.

Nun besteht Gemeinschaft unter uns, sagte der Koadjutor, ich habe dich gesegnet, und du bist mir geheiligt, wie ich es meinerseits für dich bin. Sprich, hast du ein Verbrechen begangen, das die menschliche Gerechtigkeit verfolgt und wobei ich dich beschützen kann?

Der Bettler schüttelte den Kopf.

Das Verbrechen, das ich begangen habe, Monseigneur, ist nicht Sache der menschlichen Gerechtigkeit, und Ihr könnt mich nur dadurch befreien, daß Ihr mich oft segnet, wie Ihr es soeben getan habt. – Sei offenherzig, versetzte der Koadjutor, du hast nicht dein ganzes Leben lang das Gewerbe getrieben, das du gegenwärtig treibst. – Nein, Monseigneur, ich treibe es erst seit zehn Jahren. – Wo warst du vorher? – In der Bastille. – Und ehe du in die Bastille kamst? – Ich werde es Euch an dem Tage sagen, Monseigneur, wo Ihr mich Beichte hören wollt. – Es ist gut. Erinnere dich, daß ich zu jeder Stunde des Tages oder der Nacht, wo du dich bei mir einfindest, bereit bin, dir die Absolution zu geben. – Ich danke, sagte der Bettler mit dumpfem Tone, aber ich bin noch nicht bereit, sie zu empfangen. – Wohl denn. Gott befohlen. – Gott befohlen, sprach der Bettler, die Tür öffnend und sich vor dem Prälaten verbeugend.

Der Koadjutor nahm das Licht, stieg die Treppe hinab und verließ den Turm, in tiefe Gedanken versunken.

Der Aufstand

Es war ungefähr elf Uhr nachts, als der Herr von Retz wieder seiner Wohnung zuschritt. Aber er hatte keine hundert Schritte gemacht, als er überrascht eine seltsame Veränderung wahrnahm.

Die ganze Stadt schien von gespenstischen Wesen erfüllt; man sah schweigsame Schatten, hier die Pflastersteine aufreißen, dort Karren ziehen und umwerfen, dort wieder Gräben aushöhlen, die ganze Schwadronen verschlingen konnten. Alle diese so tätigen, rastlos hin und her laufenden Personen waren Bettler, Agenten des Weihwassergebers aus dem Vorhof der Saint-Eustache-Kirche, die Barrikaden für den andern Tag bereiteten.

Gondy betrachtete diese Männer der Finsternis, diese nächtlichen Arbeiter mit einem gewissen Schrecken; er fragte sich, ob er diese unreinen Geschöpfe, nachdem er sie aus ihren Schlupfwinkeln hervorgerufen, wieder würde dahinbringen können.

Er erreichte die Rue Saint-Honors und folgte dieser, nach der Rue de la Ferronnerie zuschreitend. Hier änderte sich die Gestalt der Dinge. Kaufleute liefen von Bude zu Bude; die Türen schienen geschlossen wie die Läden, aber sie waren nur angelehnt, so daß sie sich leicht öffneten und wieder zugemacht wurden, sobald die Menschen aus- und einschlüpfen wollten, die zu fürchten schienen, man könnte sehen, was sie trugen. Diese Leute waren die Ladeninhaber, die Waffen besaßen und denen, die keine hatten, solche liehen.

Ein Mensch ging gebeugt unter der Last von Schwertern, Büchsen, Musketen, Massen aller Art von Tür zu Tür und gab diese je nach Bedarf ab. Beim Schimmer einer Laterne erkannte der Koadjutor Planchet.

Der Koadjutor erreichte durch die Rue de la Monnaie den Quai; hier standen unbewegliche Gruppen von Männern in schwarzen oder grauen Mänteln, je nachdem sie der hohen oder der niedern Bürgerschaft angehörten, während einzelne von einer Gruppe zur andern gingen. Alle diese schwarzen oder grauen Mäntel deckten hinten einen Degen, vorn eine Büchse oder Muskete.

Als der Koadjutor auf den Pont-Neuf kam, fand er diese Brücke bewacht. Ein Mann näherte sich ihm.

Wer seid Ihr? fragte dieser Mann, ich erkenne Euch nicht als einen der Unsern.

Dann kennt Ihr Eure Freunde nicht, mein lieber Herr Louvières, sprach der Koadjutor, den Hut lüpfend.

Louvières erkannte ihn und verbeugte sich.

Gondy setzte seine Runde fort und ging bis zur Tour de Nesle hinab. Hier sah er eine lange Reihe von Menschen, die an den Mauern hinschlüpften. Man hätte glauben sollen, es sei eine Prozession von Gespenstern, denn sie hatten sich insgesamt in weiße Mäntel gehüllt. An eine gewisse Stelle gelangt, schienen alle diese Leute hintereinander zu verschwinden, als ob die Erde unter ihren Füßen gewichen wäre. Gondy lehnte sich in eine Ecke und sah sie von dem ersten bis zum vorletzten verschwinden. Aber ehe der letzte verschwand, sah er sich um, ohne Zweifel, um sich zu versichern, daß er und seine Genossen nicht bespäht würden, und erblickte Gondy trotz der Dunkelheit. Er ging gerade auf ihn zu und setzte ihm die Pistole auf die Brust.

Holla! Herr von Rochefort, sagte Gondy lachend, keinen Scherz mit Feuergewehren.

Rochefort erkannte die Stimme und erwiderte: Ah! Ihr seid es, Monseigneur.

Ich selbst. Aber was für Menschen führt Ihr da in die Eingeweide der Erde?

Meine fünfzig Rekruten vom Chevalier d’Humières; sie sind dazu bestimmt, bei den Chevaulegers einzutreten, und haben als Equipierung nichts erhalten, als ihre weißen Mäntel.

Und Ihr geht?

Zu einem meiner Freunde, einem Bildhauer; nur steigen wir durch die Falltür hinab, durch welche er seine Marmorblöcke hinunterläßt.

Sehr gut, sagte Gondy und drückte Rochefort die Hand; dieser stieg nun auch hinab und schloß die Falltür hinter sich.

Der Koadjutor ging wieder nach Hause. Es war ein Uhr morgens. Er öffnete das Fenster und neigte sich hinaus, um zu horchen.

Die ganze Stadt war von einem seltsamen, unerhörten, ungewöhnlichen Geräusch erfüllt; man fühlte, daß in allen diesen finstern Straßen etwas Ungewöhnliches, Furchtbares vorging. Von Zeit zu Zeit hörte man ein dumpfes Tosen, wie wenn ein Gewitter sich zusammenzieht oder die steigende Flut heranwogt; man hätte glauben sollen, es sei eines jener geheimnisvollen, unterirdischen Geräusche, wie sie dem Erdbeben vorhergehen.

Das Werk der Empörung dauerte so die ganze Nacht fort. Als Paris am andern Morgen erwachte, schien es bei seinem eigenen Anblick zu beben. Alles hatte das Aussehen einer belagerten Stadt. Bewaffnete Männer standen mit drohenden Augen und geschulterten Musketen bei den Barrikaden. Überall war man Zeuge von Patrouillen, Verhaftungen, sogar Exekutionen. Man packte die Federhüte und die goldenen Degen, um sie: Es lebe Broussel! Nieder mit Mazarin! schreien zu lassen, und wer sich gegen die Ceremonie sträubte, wurde ausgezischt, angespuckt und sogar geschlagen. Man tötete noch nicht, aber man fühlte, daß es bald dazu kommen würde.

Man hatte die Barrikaden bis in die Nähe des Palais-Royal fortgeführt. Von der Rue des Bons-Enfants bis zur Rue de la Ferronnerie, von der Rue Saint-Thomas du Louvre bis zum Pont-Neuf, von der Rue Richelieu bis zu der Porte Saint-Honors waren zehntausend bewaffnete Menschen, von denen die vordersten mit lautem Geschrei die unempfindlichen Schildwachen des Garderegiments herausforderten, die rings um das Palais-Royal aufgestellt waren, dessen Gitter man hinter ihnen wieder verschlossen hatte, eine Vorsichtsmaßregel, die ihre Lage sehr gefährlich machte. Mitten durch alles das schwärmten Banden von hundert, von hundertundfünfzig, von zweihundert abgemagerten, bleichen, zerlumpten Menschen, die eine Art von Standarten trugen, auf denen die Worte: »Seht das Elend des Volkes« geschrieben standen. Wohin diese Leute kamen, da vernahm man wütendes Geschrei, und es gab solcher Banden so viele, daß man überall schrie.

Man denke sich das Erstaunen Annas von Österreich und Mazarins, als man ihnen früh meldete, die am Abend zuvor noch so ruhige Stadt erhebe sich in fieberhafter Bewegung; weder die eine noch der andere wollte an die Berichte glauben, und beide sagten, sie würden sich in dieser Hinsicht nur auf ihre eigenen Ohren und Augen verlassen. Man öffnete ihnen ein Fenster: sie sahen, sie hörten und wurden überzeugt.

Mazarin zuckte die Achseln und gab sich den Anschein, als verachte er diesen Pöbel; aber er erbleichte sichtbar und lief zitternd in sein Kabinett, schloß sein Gold und seine Juwelen in seine Koffer und steckte seine schönsten Diamanten an die Finger. Wütend und von keinem fremden Willen beeinflußt, schickte die Königin nach dem Marschall de la Meilleraye, befahl ihm, so viel Mannschaft zu nehmen, als er wolle, und nachzusehen, was dieser Spaß zu bedeuten habe.

Der Marschall war gewöhnlich sehr verwegen und fürchtete sich vor nichts, denn er hegte gegen den Pöbel die gewöhnliche Verachtung des Militärs. Er nahm hundertundfünfzig Mann und wollte über den Pont de Louvre hinausreiten, aber hier traf er Rochefort mit seinen fünfzig Chevaulegers und wenigstens fünfzehnhundert Personen. Eine solche Barriere zu durchbrechen war nicht möglich. Der Marschall versuchte es nicht einmal und kehrte auf den Quai zurück.

Aber auf dem Pont-Neuf fand er Louvières und seine Bürger. Diesmal versuchte der Marschall einen Angriff, wurde aber mit Musketenschüssen empfangen, während die Steine hageldicht aus den Fenstern flogen. Er verlor dabei drei Mann. Er zog sich nach dem Quartier der Hallen zurück; hier aber fand er Planchet und seine Hellebardiere. Die Hellebarden wurden ihm drohend entgegengestreckt; er wollte über alle diese Graumäntel wegreiten, doch die Graumäntel hielten stand, und der Marschall wich, vier von seinen Garden auf dem Platz zurücklassend, nach der Rue Saint-Honoré zurück.

Er drang nun in diese Straße; hier aber stieß er auf die Barrikaden des Bettlers von Saint-Eustache. Sie waren nicht nur von bewaffneten Männern, sondern auch von Weibern und Kindern bewacht. Friquet, Besitzer eines Degens und einer Pistole – beides Geschenke von Louvières – hatte eine Bande von Bürschchen seines Gelichters organisiert und machte einen furchtbaren Lärm.

Der Marschall hielt diesen Punkt für schlechter bewacht, als die anderen, und wollte ihn mit Gewalt nehmen. Er ließ zwanzig Mann absitzen, um die Barrikade zu durchbrechen und zu öffnen. Die zwanzig Mann gingen, während er und der Rest seiner Truppe die Angreifenden zu Pferde beschützen sollten, auf das Hindernis los, aber nun begann hinter den Kothaufen hervor, zwischen den Rädern der Karren durch, von den Steinen herab ein furchtbares Schießen, und beim Gekrache dieses Kleingewehrfeuers erschienen die Hellebardiere Planchets an der Ecke des Kirchhofs des Innocents und die Bürger des Herrn von Louvières an der Ecke der Rue de la Monnaye.

Der Marschall de la Meilleraye wurde zwischen drei Feuer genommen.

Der Marschall de la Meilleraye war tapfer und beschloß, auf dem Platze zu sterben. Er gab Schuß für Schuß zurück, und Schmerzgeheul begann unter der Menge zu ertönen. Besser geübt, schossen die Garden richtiger; aber die Bürger waren viel zahlreicher und schmetterten sie unter einem wahren Bleihagel nieder. Seine Leute fielen um ihn her, nicht anders als in offener Feldschlacht. Fontrailles, seinem Adjutanten, wurde der Arm zerschmettert; sein Pferd bekam eine Kugel in den Hals, und er hatte große Mühe, es zu bemeistern, denn der Schmerz machte es beinahe wütend. Endlich trat der äußerste Augenblick ein, wo der Bravste den Schauer in seinen Adern und den Schweiß auf seiner Stirne fühlt, als plötzlich von der Rue de l’Arbre-Sec her die Menge unter dem Geschrei: Es lebe der Koadjutor! sich öffnete, und Gondy im bischöflichen Gewande erschien, ganz gelassen mitten durch das Gewehrfeuer wandelnd und rechts und links so ruhig seinen Segen spendend, als ob er die Fronleichnams-Prozession führe.

Alles fiel auf die Knie.

Der Marschall erkannte ihn, ritt auf ihn zu und sagte: Helft mir ums Himmels willen von hier weg, oder ich muß samt allen meinen Leuten die Haut hier lassen.

Es war ein solches Getöse, daß man das Rollen des Donners nicht gehört hätte. Gondy hob die Hände empor und forderte Stille. Man schwieg.

Meine Kinder, sprach er, hier ist der Marschall de la Meilleraye, in dessen Absichten Ihr Euch getäuscht habt; er macht sich verbindlich, bei seiner Rückkehr in den Louvre in Eurem Namen die Königin um die Freilassung unseres Broussel zu bitten. Macht Ihr Euch hierzu anheischig, Marschall? fügte Gondy, sich an la Meilleraye wendend, bei.

Bei Gott! rief dieser, ich mache mich allerdings hierzu anheischig. Ich glaubte nicht, so wohlfeilen Kaufes loszukommen.

Er gibt Euch sein adeliges Ehrenwort, sprach Gondy.

Der Marschall hob als Zeichen der Beipflichtung die Hand auf.

Es lebe der Koadjutor! rief die Menge. Einige Stimmen fügten sogar bei: Es lebe der Marschall! Alle aber wiederholten im Chor: Nieder mit Mazarin!

Die Menge wich auf beiden Seiten zurück; der Weg der Rue Saint-Honoré war der kürzeste. Man öffnete die Barrikaden, der Marschall und der Rest seiner Truppen zogen sich zurück, Friquet und seine Banditen voran, wobei die einen Trommeln, die andern Trompeten nachahmten.

Es war beinahe ein Triumphzug; nur schlossen sich die Barrikaden hinter dem Marschall wieder; der Marschall kaute an seinen Fingern.

Während dieser Zeit befand sich Mazarin, wie gesagt, in seinem Kabinett und brachte seine kleinen Angelegenheiten in Ordnung. Er hatte nach d’Artagnan geschickt, hoffte aber nicht, ihn mitten unter diesem Tumult zu sehen; d’Artagnan hatte keinen Dienst. Nach Verlauf von zehn Minuten erschien jedoch der Leutnant, mit seinem unzertrennlichen Porthos auf der Schwelle.

Ah! herein, herein, Herr d’Artagnan, rief der Kardinal, und seid nebst Eurem Freunde willkommen. Aber was geht denn in dem verdammten Paris vor?

Was vorgeht, Monseigneur? nichts Gutes, erwiderte d’Artagnan den Kopf schüttelnd; die Stadt ist in vollem Aufruhr, und soeben, als ich mit Herrn du Vallon hier, der Euer ergebener Diener ist, durch die Rue Montorgueil kam, wollte man uns trotz meiner Uniform und vielleicht gerade wegen meiner Uniform zwingen: Es lebe Broussel! zu rufen. Darf ich wohl sagen, was wir noch mehr rufen sollten?

Sprecht, sprecht.

Nieder mit Mazarin! Meiner Treu, das Wort ist heraus!

Mazarin lächelte, wurde aber sehr bleich und versetzte:

Und Ihr habt gerufen?

Wahrhaftig, nein, sprach d’Artagnan, ich war nicht bei Stimme, und Herr du Vallon ist heiser und hat ebensowenig gerufen. Dann, Monseigneur …

Was dann?

Schaut meinen Hut und meinen Mantel an.

Und d’Artagnan zeigte vier Löcher von Kugeln an seinem Mantel und zwei an seinem Hut. Ein Hellebardenstoß hatte Porthos‘ Rock an der Seite aufgeschlitzt, ein Pistolenschuß hatte seine Feder weggerissen.

Teufel! sagte der Kardinal nachdenkend und die zwei Freunde mit naiver Bewunderung anschauend, ich hätte gerufen. In diesem Augenblick kam der Lärm näher. Mazarin trocknete sich die Stirn ab und schaute umher. Er hatte große Lust, an das Fenster zu treten, aber er wagte es nicht.

Seht nach, was vorgeht, Herr d’Artagnan, sagte er.

D’Artagnan trat mit seiner gewöhnlichen Sorglosigkeit an das Fenster.

Oh! oh! rief er, was ist das? Der Marschall de la Meilleraye kommt ohne Hut zurück, Fontrailles trägt seinen Arm in der Binde, verwundete Garden, Pferde ganz mit Blut überzogen … Doch was machen die Schildwachen? Sie schlagen an, sie wollen schießen.

Sie haben Befehl erhalten, auf das Volk zu schießen, rief Mazarin, wenn es sich dem Palais-Royal nähern würde.

Wenn sie Feuer geben, ist alles verloren, sprach d’Artagnan.

Wir haben die Gitter.

Die Gitter! sie halten fünf Minuten; die Gitter! sie werden ausgerissen, umgedreht, zermalmt. Schießt nicht, Mord und Tod! rief d’Artagnan, das Fenster öffnend.

Trotz dieses Befehls, der mitten im Tumult nicht gehört werden konnte, erschollen drei oder vier Musketenschüsse, worauf ein furchtbares Feuer folgte: man hörte die Kugeln an der Fassade des Palais-Royal rasseln; eine flog unter d’Artagnans Arm durch und zerschmetterte einen Spiegel, in dem sich Porthos wohlgefällig betrachtete.

O weh! rief der Kardinal, ein venetianischer Spiegel.

Oh! Monseigneur; sprach d’Artagnan, ruhig das Fenster wieder schließend, weint noch nicht, es lohnt sich nicht, denn in einer Stunde wird wahrscheinlich nicht ein einziger von allen Euren Spiegeln mehr übrig sein.

Aber wozu ratet Ihr denn? sagte der Kardinal zitternd.

Zum Henker! ihnen Broussel herauszugeben. Was wollt Ihr mit einem Parlamentsrat machen? Er taugt zu nichts.

Und Ihr, Herr du Vallon, was ist Euere Meinung! Was würdet Ihr tun?

Ich würde Broussel herausgeben, erwiderte Porthos.

Kommt, kommt, meine Herren! rief Mazarin; ich will mit der Königin von der Sache sprechen.

Die Meuterei wird zur Empörung

Mazarin fand die Königin außer sich vor Unmut und Entrüstung über den offenen Aufruhr der Pariser. Soeben teilte ihr der Kanzler Seguier mit, wie er mit genauer Not dem Pöbel entgangen sei. Man habe seinen Wagen zerschlagen, und als er sich in sein Palais geflüchtet, auch dieses gestürmt; nur wie durch ein Wunder sei er durch eine Tapetentüre entkommen. Als er geendet, fragte sie ihn um Rat in dieser schwierigen Lage.

Madame, sprach der Kanzler zögernd, es wird nichts helfen, wir müssen Broussel freilassen.

Die schon vorher sehr bleiche Königin wurde zusehends noch bleicher, ihr Gesicht zog sich krampfhaft zusammen, und sie rief: Broussel freilassen … nie!

In diesem Augenblick hörte man Tritte im Vorsaal, und der Marschall de la Meilleraye erschien unangemeldet auf der Türschwelle.

Ah! Ihr seid hier, Marschall, rief Anna von Österreich hocherfreut. Ihr habt hoffentlich diese ganze Kanaille zur Vernunft gebracht?

Madame, antwortete der Marschall, ich verlor drei Mann auf dem Pont-Neuf, vier in den Hallen, sechs an der Ecke der Rue de l’Arbre-Sec und zwei vor dem Tore Eures Palastes, im ganzen fünfzehn. Ich bringe zehn bis zwölf Verwundete zurück. Mein Hut ist, von einer Kugel fortgerissen, ich weiß nicht wo geblieben, und ohne Zweifel würde ich mit meinem Hut geblieben sein, wäre nicht der Koadjutor gekommen und hätte mich aus der Klemme gezogen.

In der Tat, sprach die Königin, es hätte mich gewundert, wenn dieser krummbeinige Dachshund nicht bei der ganzen Geschichte die Hand im Spiel gehabt hätte.

Madame, versetzte la Meilleraye lachend, sagt in meiner Gegenwart nicht zu viel Schlimmes von ihm, denn der Dienst, den er mir geleistet hat, ist noch ganz warm.

Gut, erwiderte die Königin, seid dankbar gegen ihn, solange und soviel Ihr wollt, aber das legt mir keine Verbindlichkeit auf. Ihr seid gesund und wohlbehalten hier, mehr verlange ich nicht; seid willkommen, ich freue mich Eurer Rückkehr.

Wohl, Madame, aber ich bin unter einer Bedingung zurückgekehrt – ich habe Euch die Willensmeinung des Volkes zu überbringen.

Willensmeinung! sprach Anna von Österreich, die Stirn faltend. Oh! oh! Herr Marschall, Ihr müßt Euch in einer sehr großen Gefahr befunden haben, daß Ihr eine solche Botschaft übernahmt. Diese Worte wurden mit einer Ironie ausgesprochen, die dem Marschall nicht entging.

Um Vergebung, Madame, sagte der Marschall, ich bin kein Advokat, sondern ein Krieger, und verstehe mich folglich nur schlecht auf die Auswahl der rechten Worte; ich hätte den Wunsch und nicht die Willensmeinung des Volkes sagen sollen. Was die Antwort betrifft, mit der Ihr mich beehrtet, so glaube ich, Ihr wolltet damit sagen, ich habe Furcht gehabt.

Die Königin lächelte.

Nun wohl, Madame, ich habe Furcht gehabt; es ist das drittemal, daß mir dies begegnet, und dennoch bin ich bei zwölf ordentlichen Schlachten und ich weiß nicht bei wie vielen Gefechten und Scharmützeln gewesen; ja, ich habe Angst gehabt, und ich will lieber Eurer Majestät gegenüberstehen, so bedrohlich auch ihr Lächeln sein mag, als diesen höllischen Teufeln, die mich bis hierher begleitet haben.

Bravo! sagte d’Artagnan ganz leise zu Porthos, gut geantwortet.

Nun! sprach die Königin, sich in die Lippen beißend, während die Höflinge einander voll Verwunderung anschauten, was ist der Wunsch meines Volkes?

Daß man ihm Broussel zurückgebe, Madame, antwortete der Marschall.

Nie, rief die Königin, nie!

Ew. Majestät hat zu gebieten, sprach la Meilleraye sich verbeugend und ging einen Schritt rückwärts. – Wohin geht Ihr, Marschall? sagte die Königin. – Ich werde die Antwort Ew. Majestät denen überbringen, die darauf warten. – Bleibt, Marschall, ich will nicht das Ansehen haben, als unterhandle ich mit Rebellen. – Madame, ich habe mein Wort gegeben. – Das heißt? – Daß ich geneigt bin, hinabzugehen, wenn Ihr mich nicht verhaften laßt!

Annas Augen schleuderten Blitze.

Oh! das kann geschehen, mein Herr, sprach sie; ich habe Größere verhaften lassen, als Ihr seid. Guitaut.

Mazarin stürzte vor und sprach: Madame, dürfte ich Euch auch einen Rat geben … – Vielleicht ebenfalls, Broussel freizulassen? In diesem Fall könnt Ihr Euch die Mühe ersparen. – Nein, obgleich dieser Rat vielleicht so gut ist, wie jeder andere. – Was also sonst? – Den Koadjutor rufen zu lassen. – Den Koadjutor! rief die Königin, diesen abscheulichen Händelstifter! Er hat die ganze Meuterei angezettelt. – Ein Grund mehr, sprach Mazarin; hat er sie geschaffen, so kann er ihr auch wieder ein Ende machen.

Seht, Madame, sprach Comminges, der an einem Fenster stand, durch das er hinausschaute, seht, die Gelegenheit ist günstig, denn hier ist er und erteilt seinen Segen auf dem Platz des Palais-Royal.

Die Königin lief an das Fenster.

Es ist wahr, sagte sie, hier ist er, der Meister Heuchler!

Ich sehe, daß alle Welt vor ihm niederkniet, sprach Mazarin, obgleich er nur Koadjutor ist, während man mich, wenn ich an seiner Stelle wäre, in Stücke zerreißen würde. Madame, ich bestehe also auf meinem Wunsch (Mazarin legte einen besonderen Nachdruck auf dieses Wort), daß Ew. Majestät den Koadjutor empfange.

Die Königin blieb einen Augenblick in Gedanken versunken. Dann erhob sie ihr Haupt wieder und sprach: Herr Marschall, sucht den Koadjutor und bringt ihn her.

Und was soll ich dem Volke sagen? fragte der Marschall.

Es soll Geduld haben, ich habe auch Geduld.

In der Stimme der stolzen Spanierin lag ein so gebieterischer Ausdruck, daß der Marschall keine Bemerkung mehr machte, sondern sich verbeugte und abging.

Sodann ging Anna von Österreich auf Comminges zu und sprach ganz leise mit ihm. Mazarin schaute unruhig nach der Seite, wo d’Artagnan und Porthos standen. Die andern Anwesenden wechselten leise einzelne Worte.

Jetzt öffnete sich die Tür wieder, und der Marschall erschien mit dem Koadjutor.

Hier ist Herr von Gondy, Madame, sagte der Marschall, er beeilt sich, den Befehlen Ew. Majestät Folge zu leisten.

Die Königin ging ihm vier Schritte entgegen und blieb kalt, ernst, unbeweglich, die Unterlippe verächtlich vorgeschoben, stehen.

Gondy verbeugte sich ehrfurchtsvoll.

Nun, mein Herr, sprach die Königin, was sagt Ihr zu dieser Meuterei? – Daß es keine Meuterei mehr ist, Madame, antwortete der Koadjutor, sondern eine Empörung. – Empörung ist es von seiten derer, die glauben, mein Volk könne sich empören! rief Anna, unfähig, sich vor dem Koadjutor zu verstellen, den sie mit Recht als den Anstifter des ganzen Aufruhrs betrachtete. Empörung nennen die, welche sie wünschen, die Bewegung, die sie selbst gemacht haben; aber nur Geduld, die königliche Machtvollkommenheit wird bald ein Ende mit der Komödie machen. – Madame, antwortete der Koadjutor kalt, hat mich Ew. Majestät zur Ehre Ihrer Gegenwart zugelassen, um mir dies zu sagen? – Nein, mein lieber Koadjutor, versetzte Mazarin, sondern um Euch in der ärgerlichen Lage der Dinge, in der wir uns befinden, um einen Rat zu bitten. – Ist es wahr, sprach der Koadjutor mit erheucheltem Staunen, daß mich Ew. Majestät hat rufen lassen, um mich um Rat zu fragen? – Ja, sagte die Königin, man hat es gewollt.

Der Koadjutor verbeugte sich.

Ihre Majestät wünscht also…

Daß Ihr sagt, was Ihr an ihrer Stelle tun würdet, beeilte sich Mazarin zu antworten.

Der Koadjutor schaute die Königin an, diese machte ein bestätigendes Zeichen.

An der Stelle Ihrer Majestät, erwiderte Gondy kalt, würde ich nicht zögern, sondern Broussel sogleich herausgeben.

Und wenn ich ihn nicht herausgebe, rief die Königin, was glaubt Ihr, daß dann geschieht?

Ich glaube, daß dann morgen in Paris kein Stein mehr auf dem andern sein wird, sagte der Marschall.

Ich frage nicht Euch, sprach die Königin trocken und ohne sich umzuwenden, sondern Herrn von Gondy.

Wenn Ew. Majestät mich fragt, antwortete der Koadjutor mit derselben Ruhe, so sage ich ihr, daß ich aufs entschiedenste der Meinung des Herrn Marschalls bin.

Die Röte stieg der Königin ins Gesicht, ihre schönen blauen Augen schienen aus ihrem Kopf treten zu wollen; ihre karminroten Lippen, von allen Dichtern jener Zeit mit Granatblüten verglichen, erbleichten und zitterten vor Wut; sie erschreckte sogar Mazarin, der doch an die häuslichen Wutausbrüche dieser freudlosen Ehe gewöhnt war.

Broussel herausgeben! rief sie endlich mit einem schrecklichen Lächeln; ein schöner Rat, bei meiner Treu! Man sieht wohl, daß er von einem Priester herkommt!

Gondy blieb unbewegt. Die Beleidigungen schienen an diesem Tag ebenso an ihm abzugleiten, wie die Spottreden am vorhergehenden; aber der Haß und die Rache häuften sich still und Tropfen um Tropfen in seinem Herzen auf. Er schaute kalt die Königin an und sagte vollkommen ruhig: Madame, wenn Ew. Majestät den Rat nicht gutheißt, den ich ihr gegeben, so kommt es ohne Zweifel davon her, daß sie Besseres zu befolgen hat; ich kenne zu sehr die Weisheit der Königin und ihrer Räte, um annehmen zu können, man werde die Unruhe fortdauern lassen, die eine Staatsumwälzung herbeiführen kann. – Eurer Meinung nach, versetzte schnaubend die Spanierin und biß sich in die Lippen, kann, was gestern eine Meuterei war und heute eine Empörung ist, morgen eine Staatsumwälzung werden. – Ja, Madame, sprach der Koadjutor ernst. – Wenn man Euch hört, mein Herr, sind die Völker gänzlich zügellos geworden. – Das Jahr ist schlecht für die Könige, sprach Gondy, den Kopf schüttelnd; schaut nach England hinüber, Madame. – Ja, aber glücklicherweise haben wir in Frankreich keinen Oliver Cromwell, antwortete die Königin. – Wer weiß, versetzte Gondy; diese Leute gleichen dem Blitz, man lernt sie erst kennen, wenn sie schlagen.

Alle Anwesenden bebten, und es herrschte einen Augenblick tiefes Stillschweigen.

Während dieser Zeit hatte die Königin ihre beiden Hände auf die Brust gelegt; man sah, daß sie die heftigen Schläge ihres Herzens zurückdrängen wollte.

Eure Majestät, fuhr der Koadjutor unbarmherzig fort, wird also die Maßregeln ergreifen, die ihr angenehm sind. Aber ich sehe zum voraus, daß sie furchtbar sein und die Meuterer noch mehr aufbringen werden.

Nun wohl, mein Herr Koadjutor, Ihr, der Ihr so viel Macht über sie habt und unser Freund seid, sagte die Königin spöttisch, Ihr werdet sie dann wohl zur Ruhe bringen, indem Ihr ihnen Euern Segen spendet.

Das wird vielleicht zu spät sein, entgegnete Gondy eisig, und am Ende verliere ich selbst jeden Einfluß, während Eure Majestät, wenn sie ihnen Broussel zurückgibt, dem Aufruhr die Wurzel abschneidet und das Recht erhält, jedes Wiederbeginnen einer Empörung aufs strengste zu bestrafen.

Dieses Recht habe ich also nicht? rief die Königin.

Wenn Ihr es habt, so gebraucht es, antwortete Gondy.

Die Königin entließ mit einem Zeichen den ganzen Hof, Mazarin ausgenommen. Gondy verbeugte sich und wollte sich wie die andern entfernen.

Bleibt, mein Herr, sprach die Königin.

Gut, sagte Gondy zu sich selbst, sie wird nachgeben.

Die Königin schaute den Weggehenden nach. Als der letzte die Tür geschlossen hatte, wandte sie sich um. Man sah, daß sie sich auf unerhörte Weise anstrengte, ihren Zorn zu bewältigen; sie fächerte sich, sie roch an Räucherpfännchen, sie ging hin und her. Mazarin blieb auf dem Stuhl, auf den er sich gesetzt hatte, und schien nachzudenken. Gondy, der unruhig zu werden anfing, sondierte mit den Augen alle Tapeten, betrachtete das Panzerhemd, das er unter seinem langen Rock trug, und suchte von Zeit zu Zeit unter seinem Bischofsmäntelchen, ob der Griff eines guten spanischen Dolches, den er bei sich hatte, im Bereich seiner Hand war.

Laßt hören, sprach die Königin endlich stillstehend, wiederholt nun Euren Rat, da wir allein sind, Herr Koadjutor.

So hört, Madame: tut, als ob Ihr die Sache noch einmal überlegt hättet; gesteht öffentlich einen Irrtum ein, denn dadurch erweist sich die Kraft starker Regierungen; entlaßt Broussel aus seinem Gefängnis und gebt ihn dem Volke zurück.

Oh! mich so demütigen! rief Anna von Österreich. Bin ich Königin, oder bin ich es nicht? Ist diese ganze brüllende Kanaille nicht die Masse meiner Untertanen? Habe ich Freunde, Leibwachen? Ah! bei unserer lieben Frau! wie Königin Katharina sagte, fuhr sie, sich immer mehr in Wut hineinredend, fort, ehe ich ihnen diesen schändlichen Broussel zurückgebe, würde ich ihn lieber mit meinen eigenen Händen erdrosseln.

Und sie stürzte mit gefällten Fäusten auf Gondy zu, den sie in diesem Augenblick wenigstens ebensosehr haßte, als Broussel.

Gondy blieb unbeweglich; nicht eine Muskel seines Gesichts rührte sich; nur sein eisiger Blick kreuzte sich wie ein Schwert mit dem wütenden Blick der Königin.

Madame, rief der Kardinal, Anna von Österreich beim Arme fassend und zurückziehend, Madame, was macht Ihr!

Dann fügte er in spanischer Sprache bei: Anna, seid Ihr toll? Ihr fangt da wie ein Bürgerweib Händel an und seid eine Königin. Seht Ihr denn nicht, daß Ihr in der Person dieses Priesters das ganze Volk von Paris vor Euch habt, und daß Ihr, wenn dieser Priester will, in einer Stunde keine Krone mehr besitzt? Später könnt Ihr hartnäckig sein, jetzt ist aber nicht die Stunde dazu; heute müßt Ihr schmeicheln und liebkosen.

Dieser scharfe Verweis, der das Gepräge einer Beredsamkeit an sich trug, welche Mazarin charakterisierte, sobald er Italienisch oder Spanisch sprach, und die er gänzlich verlor, wenn er Französisch sprach, wurde mit einem unerforschlichen Gesicht gegeben, das Gondy, ein so geschickter Physiognomiker er auch war, nur die einfache Ermahnung, sich etwas zu mäßigen, ahnen ließ.

Auf diese strenge Rüge besänftigte sich die Königin alsbald, sie ließ gleichsam von ihren Augen das Feuer, von ihren Lippen den Zorn fallen. Sie setzte sich, ihre Arme sanken kraftlos an ihren beiden Seiten nieder, und sie sprach mit einer von Tränen feuchten Stimme: Verzeiht mir, Herr Koadjutor, und schreibt diese Heftigkeit dem Umstande zu, daß ich leide. Als Frau und folglich den Schwächen meines Geschlechts unterworfen, erschrecke ich vor dem Bürgerkrieg; als Königin und an Gehorsam gewöhnt, lasse ich mich beim ersten Widerstand hinreißen.

Madame, erwiderte Gondy, sich verbeugend, Eure Majestät täuscht sich, wenn sie meinen aufrichtigen Rat als Widerstand bezeichnet. Ew. Majestät hat nur ergebene und ehrfurchtsvolle Untertanen. Das Volk grollt nicht der Königin, es fordert Broussel, verlangt sonst nichts und schätzt sich glücklich, unter den Gesetzen Ew. Majestät zu leben, vorausgesetzt, daß Ew. Majestät ihm Broussel zurückgibt, fügte der Koadjutor lächelnd bei.

Also, mein Herr, sprach die Königin, Ihr fürchtet wirklich die Volksbewegung?

Ich fürchte sie in vollem Ernst, Madame, erwiderte Gondy, erstaunt, nicht weiter vorgerückt zu sein, ich fürchte, der Strom könnte, wenn er einmal seinen Damm durchbrochen hat, große Verwüstungen verursachen.

Und ich, sagte die Königin, ich glaube, daß man ihm in diesem Fall neue Dämme entgegensetzen muß. Geht, ich werde mir die Sache überlegen.

Gondy schaute Mazarin mit erstaunter Miene an; Mazarin näherte sich der Königin, um mit ihr zu sprechen. In diesem Augenblick hörte man einen furchtbaren Lärm auf dem Platze des Palais-Royal.

Gondy lächelte, der Blick der Königin entflammte sich, Mazarin wurde sehr bleich.

Was gibt es denn wieder? sagte er.

Comminges stürzte in den Salon.

Vergebt, Madame, sagte Comminges zu der Königin, das Volk hat die Wachen an die Gitter zurückgeworfen und zermalmt, es sprengt in diesem Augenblick die Tore; was befehlt Ihr?

Hört, Madame … sprach Gondy.

Das Tosen der Wellen, das Rollen des Donners, das Brüllen des entfesselten Orkans läßt sich nicht mit dem Sturme vergleichen, der sich in diesem Moment zum Himmel erhob.

Was ich befehle? rief die Königin. – Ja, die Zeit drängt. – Wieviel Mann habt Ihr ungefähr im Palais-Royal? – Sechshundert. – Stellt hundert Mann um den König, und mit dem Reste jagt mir diesen Pöbel von der Türe. – Madame, sprach Mazarin, was macht Ihr? – Geht, sagte die Königin.

Comminges entfernte sich mit dem leidenden Gehorsam des Soldaten. Plötzlich vernahm man ein furchtbares Krachen: eines der Tore begann nachzugeben.

Madame, rief Mazarin, Ihr stürzt uns alle ins Verderben, den König, Euch und mich.

Bei diesem aus der erschrockenen Seele des Kardinals dringenden Schrei wurde der Königin ebenfalls bange; sie rief Comminges zurück.

Es ist zu spät, sagte Mazarin, sich die Haare ausraufend, es ist zu spät!

Das Tor wich, und man hörte das Freudengebrüll des Volkes. D’Artagnan, den Mazarin mit seinem Freunde in einem nur durch einen Türvorhang vom Salon getrennten Kabinett gelassen hatte, von wo sie alles hören und sehen konnten, d’Artagnan nahm den Degen in die Faust und hieß Porthos durch ein Zeichen dasselbe tun. Rettet die Königin! rief Mazarin dem Koadjutor zu.

Gondy lief nach dem Fenster und öffnete es; er erkannte Louvières an der Spitze von ungefähr drei- bis viertausend Menschen.

Keinen Schritt weiter! rief er, die Königin unterzeichnet.

Was sagt Ihr? rief die Königin.

Die Wahrheit, Madame, sprach Mazarin, der Königin eine Feder und Papier reichend, es muß sein. Dann fügte er bei: Unterzeichnet, Anna, ich bitte Euch, ich will es.

Die Königin sank auf einen Stuhl, nahm die Feder und unterzeichnete.

Von Louvières zurückgehalten, hatte das Volk keinen Schritt mehr gemacht; aber das furchtbare Gemurmel, welches den Zorn der Menge andeutete, währte immer noch fort.

Der Koadjutor ergriff den von der Königin unterzeichneten Freilassungsbefehl, kehrte an das Fenster zurück und rief: Hier ist der Befehl.

Paris schien einen mächtigen Freudenschrei auszustoßen. Dann erscholl der Ruf: Es lebe Broussel! Es lebe der Koadjutor!

Und nun, da Ihr habt, was Ihr haben wolltet, sagte die Königin, so geht, Herr von Gondy. Und Gondy entfernte sich.

Ah! verfluchter Pfaffe! rief Anna von Österreich, die Hand nach der kaum geschlossenen Türe ausstreckend, ich werde dich eines Tages den Rest der Galle austrinken lassen, die du mir heute eingeschenkt hast.

Mazarin wollte sich ihr nähern. Laßt mich, Ihr seid kein Mann, rief die Königin und ging aus dem Salon.

Ihr seid keine Frau, murmelte Mazarin.

Dann nach kurzem Nachdenken erinnerte er sich, daß d’Artagnan und Porthos anwesend sein mußten und folglich alles gehört und gesehen hatten. Er runzelte die Stirn, ging gerade auf den Vorhang zu und hob ihn auf; das Kabinett war leer. Beim letzten Worte der Königin hatte d’Artagnan Porthos bei der Hand genommen und mit sich nach der Galerie gezogen.

Mazarin trat ebenfalls in die Galerie und fand die Freunde auf und ab gehend.

Warum habt Ihr das Kabinett verlassen, Herr d’Artagnan? sagte Mazarin.

Weil die Königin jedermann weggehen hieß, und ich dachte, dieser Befehl betreffe ebensowohl uns, als die andern.

Ihr seid also hier seit …

Seit einer Viertelstunde ungefähr, sprach d’Artagnan, schaute dabei Porthos an und bedeutete diesem durch ein Zeichen, er möge ihn nicht Lügen strafen.

Mazarin gewahrte dieses Zeichen und war überzeugt, daß d’Artagnan alles gesehen und gehört hatte, aber er wußte ihm Dank für die Lüge.

Herr d’Artagnan, sagte er, Ihr seid offenbar der Mann, den ich suchte, und könnt, sowie Euer Freund, auf mich zählen.

Dann grüßte er die zwei Freunde mit seinem verbindlichsten Lächeln und kehrte ruhiger in sein Kabinett zurück, denn nach Gondys Weggang hatte der Tumult wie durch einen Zauber aufgehört.

Das Unglück verleiht Gedächtnis

Als Broussel am andern Morgen in einem großen Wagen, seinen Sohn Louvières neben sich, nach Paris zurückkehrte, lief ihm alles Volk bewaffnet entgegen. Der Ruf: Es lebe Broussel! es lebe unser Vater! erscholl allenthalben und bereitete Mazarin Todesqualen. Von allen Seiten brachten die Spione des Kardinals und der Königin verdrießliche Nachrichten zurück, die den Minister in Erregung versetzten und die Königin sehr ruhig ließen; Anna von Österreich schien in ihrem Kopf einen großen Entschluß zur Reife zu bringen, was die Unruhe Mazarins noch verdoppelte. Er kannte ihren Stolz und fürchtete ihre Entschlüsse.

Der Koadjutor war, mehr König als der König, die Königin und der Kardinal zusammen, ins Parlament zurückgekehrt. Auf seinen Rat forderte ein Edikt des Parlaments die Bürger auf, die Waffen abzulegen und die Barrikaden zu zerstören; sie gehorchten, denn sie wußten jetzt, daß es nur einer Stunde bedurfte, um die Waffen wiederzuergreifen, und einer Nacht, um die Barrikaden wiederherzustellen.

Planchet war in seine Bude zurückgekehrt; er fürchtete sich nicht mehr vor dem Galgen, er war überzeugt, daß das Volk, sobald man Miene machen sollte, ihn zu verhaften, sich für ihn erheben würde, wie es sich für Broussel erhoben hatte.

Rochefort hatte dem Chevalier d’Humières seine Chevaulegers zurückgegeben; es fehlten zwei beim Appell; aber der Chevalier, der in seinem Innern Frondeur war, wollte nichts von einer Entschädigung wissen.

Der Bettler hatte seinen Platz im Vorhof von Saint-Eustache wieder eingenommen, teilte von neuem mit einer Hand sein Weihwasser aus und forderte mit der andern das Almosen, und niemand ahnte, daß diese Hände soeben den Grundstein des Königtums zum Wanken gebracht hatten.

Louvières war stolz und zufrieden; er hatte sich an Mazarin, den er verabscheute, gerächt und viel zur Befreiung seines Vaters aus dem Gefängnis beigetragen; sein Name war mit Schrecken im Palais-Royal genannt worden, und er sprach lächelnd zu dem seiner Familie zurückgegebenen Rate: Glaubt Ihr, mein Vater, wenn ich jetzt von der Königin eine Kompanie verlangte, sie würde mir eine geben?

D’Artagnan benutzte den Augenblick der Ruhe, um Raoul, den er während des Aufruhrs nur mit großer Mühe eingeschlossen gehalten hatte, zum Heere zurückgehen zu lassen.

Rochefort allein fand das Ende der Sache schlecht; er hatte dem Herzog von Beaufort geschrieben, er möge kommen; der Herzog mußte bald erscheinen und sollte Paris ruhig finden.

Er suchte den Koadjutor auf und fragte ihn, ob er nicht den Prinzen benachrichtigen solle, daß er seine Reise einzustellen habe; aber Gondy dachte einen Augenblick nach und erwiderte:

Laßt ihn seinen Weg fortsetzen. – Die Sache ist also noch nicht beendigt? sagte Rochefort. – Mein lieber Graf, wir sind erst beim Anfang. – Was bringt Euch zu diesem Glauben? – Meine Kenntnis des Charakters der Königin; sie wird nicht geschlagen bleiben wollen. – Sie bereitet also etwas vor? Ich hoffe es. – Sprecht, was wißt Ihr? – Ich weiß, daß sie an den Prinzen geschrieben hat, er möge in aller Eile von der Armee zurückkommen. – Ah! ah! sagte Rochefort, Ihr habt recht, man muß Herrn von Beaufort kommen lassen.

Am Abend des Tages, wo dieses Gespräch stattfand, verbreitete sich das Gerücht, der Prinz sei angelangt und die Königin hege finstere Pläne. In der Bürgerschaft tauchte der Gedanke auf, den König ins Stadthaus zu bringen und vom Koadjutor hinfort in einer dem Volk genehmen Weise erziehen und leiten zu lassen.

In der Nacht herrschte eine dumpfe Bewegung; am andern Morgen erschienen die grauen und schwarzen Mäntel, die Patrouillen bewaffneter Kaufleute und die Bettlerbanden wieder.

Die Königin hatte bis fünf Uhr morgens allein mit dem Prinzen eine Unterredung gehabt. Um fünf Uhr begab sie sich in Mazarins Kabinett. Hatte sie sich nicht niedergelegt, so war der Kardinal seinerseits bereits aufgestanden.

Er entwarf eine Antwort an Cromwell; sechs Tage waren von den zehn abgelaufen, die er von Mordaunt gefordert hatte.

Er überlas wohlgefällig den ersten Paragraphen seines Schreibens, als man an die Tür klopfte, die mit den Gemächern der Königin in Verbindung stand. Anna von Österreich konnte allein durch diese Tür kommen. Der Kardinal stand auf und öffnete.

Die Königin war im Negligé; aber das Negligé stand ihr gut, denn wie Diana von Poitiers und Ninon bewahrte Anna von Österreich das Vorrecht, stets schön zu bleiben; nur war sie an diesem Morgen schöner, als gewöhnlich, denn ihre Augen hatten den vollen Glanz, den eine innere Freude dem Blick verleiht.

Ja, Giulio, sagte sie, ich bin stolz und glücklich, denn ich habe das Mittel gefunden, diese Hydra zu ersticken.

Ihr seid eine große Politikerin, meine Königin, sprach Mazarin; nennt mir das Mittel.

Ihr wißt, sie wollen mir den König nehmen, sagte die Königin. – Ach ja, und mich hängen. – Sie werden den König nicht bekommen. – Und mich nicht hängen. – Hört! ich will ihnen meinen Sohn und mich selbst samt Euch entführen. Dieses Ereignis, das von heute bis morgen die ganze Gestalt der Dinge verändern wird, soll in Erfüllung gehen, ohne daß jemand außer Euch, mir und einer dritten Person davon erfährt. – Und wer ist diese dritte Person? – Der Prinz. – Er ist also angekommen, wie man mir sagte? – Gestern abend. – Und Ihr habt ihn gesehen? – Ich verlasse ihn soeben. – Er bietet seine Hand zu dem Unternehmen? – Der Rat kommt von ihm. – Und Paris? – Er hungert es aus und nötigt es, sich auf Gnade oder Ungnade zu ergeben. – Es fehlt dem Plan nicht an großartigem Charakter; nur sehe ich dabei ein Hindernis. Ich begreife die Wirkung, aber ich sehe das Mittel nicht, um dazu zu gelangen. – Ich werde es finden. – Ihr wißt, was der Krieg bedeutet, der heiße, erbitterte, unversöhnliche Bürgerkrieg? – Oh! ja, der Bürgerkrieg, sprach Anna von Österreich, ja, ich will diese Stadt in Asche legen, ich will das Feuer im Blute löschen, ein furchtbares Beispiel soll das Verbrechen und die Strafe verewigen. Paris! ich hasse es, ich verabscheue es! – Ganz schön, Anna, Ihr seid blutgierig; nehmt Euch in acht. Ihr bringt es dahin, daß man Euch enthauptet, meine schöne Königin, und das wäre schade! – Ihr scherzet? – Ich scherze nicht. Der Krieg mit einem ganzen Volke ist sehr gefährlich. Seht Euern Bruder Karl I. an. Es steht schlimm, sehr schlimm mit ihm. – Wir sind in Frankreich, und ich bin Spanierin. – Desto schlimmer, per Bacco! desto schlimmer! Wäret Ihr lieber eine Französin und ich ein Franzose, man würde uns beide weniger hassen. – Doch Ihr billigt mein Vorhaben? – Ja, wenn die Sache möglich ist. – Sie ist’s, sage ich Euch. Trefft Vorkehrungen zu Eurer Abreise. – Ich bin immer reisefertig; nur reise ich, wie Ihr wißt, niemals … und diesmal ebensowenig, als sonst. – Aber wenn ich reise, werdet Ihr auch reisen? – Ich werde es versuchen. – Ich sterbe vor Ungeduld über Eure Befürchtungen, Giulio; vor was habt Ihr denn Angst? – Vor vielen Dingen. – Vor welchen?

Mazarins spöttisches Gesicht wurde düster, er nahm die Königin bei der Hand und führte sie an das Fenster.

Nun? sagte die Königin in ihrer blinden Starrköpfigkeit.

Nun? was seht Ihr von diesem Fenster aus? Bürger mit Panzern, Helmen und mit guten Musketen bewaffnet, wie zur Zeit der Liga; sie betrachten das Fenster so scharf, daß sie Euch sehen werden, wenn Ihr den Vorhang so hoch aufhebt. Kommt nun an das andere Fenster. Was seht Ihr? Leute aus dem Volke, mit Hellebarden bewaffnet, bewachen Eure Tore. An jeder Öffnung des Palastes, an die ich Euch führen werde, könnt Ihr ebensoviele sehen. Eure Türen sind bewacht, die Luftlöcher Eurer Keller sind bewacht, und ich sage Euch, was mir der gute La Ramée von Herrn von Beaufort sagte, wenn Ihr nicht ein Vogel oder eine Maus seid, kommt Ihr nicht hinaus.

Ich bin also eine Gefangene hier?

Bei Gott, sprach Mazarin, seit einer Stunde beweise ich Euch dies.

Zitternd vor Zorn, rot über die Demütigung, verließ Anna das Kabinett und schlug die Tür mit der größten Heftigkeit hinter sich zu. Mazarin wandte nicht einmal den Kopf um.

In ihre Gemächer zurückgekehrt, sank die Königin auf einen Stuhl und fing an zu weinen.

Aber plötzlich kam ihr ein Gedanke; sie erhob sich und rief:

Ich bin gerettet, o ja, ja! ich kenne einen Menschen, der mich aus Paris zu bringen vermag, einen Menschen, den ich nur zu lange vergessen habe.

Und sie lief an einen Tisch, nahm Feder und Papier und fing an zu schreiben.