Ein Mittagsmahl aus der alten Zeit

Die zweite Zusammenkunft der alten Musketiere war nicht förmlich und bedrohlich, wie die erste. Athos hatte vorgeschlagen, sich bei einer gut bestellten Tafel einzufinden, wo jeder rückhaltlos und ungeniert seinem eigenen Genius folgen könnte.

Der Vorschlag war allen angenehm, besonders d’Artagnan, der ein großes Verlangen hatte, den guten Geschmack und die Heiterkeit ihrer früheren Unterhaltung wieder aufleben zu lassen. Porthos, dem eine Baronie winkte, war hoch erfreut über eine solche Gelegenheit, in Athos und Aramis den Ton und die Manieren der Leute von Stand zu studieren. Aramis wollte Neuigkeiten aus dem Palais-Royal in Erfahrung bringen. Athos war der einzige, der von den andern nichts zu empfangen und nichts zu erwarten hatte und nur von dem einfachen Gefühl reiner Freundschaft geleitet wurde.

Die ersten Worte, welche die vier Freunde austauschten, erhielten gerade durch die absichtliche Begeisterung, die jeder in seine Kundgebungen legte, etwas Gezwungenes, und das Mahl begann mit einer gewissen Steifheit. Man sah, daß d’Artagnan sich Gewalt antat, um zu lachen, Athos, um zu trinken, Aramis, um zu erzählen, und Porthos, um zu schweigen.

Athos gewahrte diese Verlegenheit und bestellte, um ein rasches Gegenmittel anzuwenden, vier Flaschen Champagner.

Bei diesem mit der gewöhnlichen Ruhe von Athos gegebenen Befehl sah man das Gesicht des Gascogners sich entrunzeln und Porthos‘ Stirne sich aufhellen.

Aramis war erstaunt; er wußte nicht nur, daß Athos nicht mehr trank, sondern auch, daß er einen gewissen Widerwillen gegen den Wein hegte. Dieses Erstaunen wuchs, als er sah, wie Athos sich ein volles Glas einschenkte und es mit seiner ehemaligen Begeisterung austrank. D’Artagnan füllte und leerte sein Glas ebenfalls. Porthos und Aramis stießen mit den ihrigen an. Im Nu waren die vier Flaschen leer. Man hätte glauben sollen, es dränge die Gäste, sich von ihren Hintergedanken loszusagen.

Im Augenblick hatte dieses vortreffliche Spezifikum auch die kleinste Wolke zerstreut, die im Grunde ihres Herzens zurückbleiben konnte. Sie fingen an, lauter zu sprechen, ohne daß der eine wartete, bis der andere vollendet hatte, und jeder nahm seine Lieblingsstellung bei Tische ein. Bald knüpfte Aramis – eine unerlebte Erscheinung – zwei Nesteln von seinem Wamse auf; als Porthos dies sah, öffnete er seins völlig.

Die Schlachten, die langen Ritte, die Stiche und Stöße, die sie empfangen und gegeben hatten, bestritten die ersten Kosten der Unterhaltung. Dann ging man zu den Kämpfen gegen den großen Kardinal über.

Meiner Treu! sagte Aramis lachend, die Toten sind nun sattsam gelobt, laßt uns jetzt die Lebenden durchhecheln. Ich möchte gern über Mazarin herfallen. Ist es erlaubt?

Immerhin, erwiderte d’Artagnan, ebenfalls lachend, immerhin; erzählt Eure Geschichte, und ich klatsche Euch Beifall, wenn sie gut ist.

Ein großer Fürst, sprach Aramis, mit dem Mazarin ein Bündnis abzuschließen wünschte, wurde von diesem aufgefordert, ihm das Verzeichnis der Bedingungen zu schicken, unter denen er ihm die Ehre erzeigen würde, sich mit ihm zu vertragen. Der Fürst, dem es einigermaßen widerstrebte, mit einem solchen Knauser zu unterhandeln, machte nur ungern sein Verzeichnis und schickte es ihm. In diesem Verzeichnis standen drei Dinge, die Mazarin mißfielen; er ließ dem Fürsten zehntausend Taler anbieten, wenn er darauf Verzicht leiste.

Ah! ah! ah! riefen die drei Freunde, das war nicht teuer, und er hatte nicht zu fürchten, daß man ihn beim Worte nehmen könnte. Was tat der Fürst?

Der Fürst schickte sogleich 50 000 Livres an Mazarin, mit der Bitte, nie mehr an ihn zu schreiben, und bot ihm zugleich weitere 20 000 Livres, wenn er sich verbindlich machen würde, nie mehr mit ihm zu sprechen.

Was tat Mazarin?

Er ärgerte sich, sprach Athos.

Er ließ den Boten durchprügeln, meinte Porthos.

Er nahm die Summe an, versetzte d’Artagnan.

Ihr habt’s erraten, d’Artagnan, erwiderte Aramis.

Und sie brachen insgesamt in ein so schallendes Gelächter aus, daß der Wirt heraufkam und fragte, ob die Herren etwas nötig hätten.

Darf man auch Herrn von Beaufort etwas an der Nase zupfen, sprach d’Artagnan, ich habe große Lust dazu.

Tut es, antwortete Aramis.

Und Ihr, Athos? sagte d’Artagnan.

Ich schwöre Euch, so wahr ich ein Edelmann bin, daß wir lachen, wenn Ihr komisch seid.

Man lachte in der Tat viel über d’Artagnans Erzählung. Dieser gab nämlich eine Geschichte zum besten, wonach Herr von Beaufort, dessen sprachliche Verstöße sprichwörtlich waren, zwei ähnlich klingende, aber ganz Verschiedenes bedeutende Wörter miteinander verwechselt hatte.

Die Freunde faßten darauf einhellig den Beschluß, es solle aller Parteigeist für immer von ihren Versammlungen verbannt bleiben und d’Artagnan und Porthos zwanglos die Prinzen verspotten dürfen, unter der Bedingung, daß es Athos und Aramis gestattet sei, ihrerseits Mazarin zu striegeln.

Meiner Treu, sagte d’Artagnan zu seinen zwei Freunden, Ihr habt recht, Mazarin zu grollen, denn ich schwöre Euch, daß er Euch ebenfalls nicht wohl will. – Wirklich? sagte Athos! wenn ich glaubte, der Kerl kenne mich dem Namen nach, so ließe ich mich umtaufen, nur damit man nicht annehmen könnte, ich kenne auch ihn. – Er kennt Euch nicht bei Euren Namen, sondern durch Eure Taten. Er weiß, daß es zwei Edelleute gibt, die ganz besonders zu der Flucht des Herrn Beaufort beigetragen haben, und er läßt sie sehr emsig suchen, dafür stehe ich Euch. – Durch wen? – Durch mich. – Wie, durch Euch? – Ja, er hat mich noch heute früh holen lassen, um mich zu fragen, ob ich irgend eine Spur habe. – Von diesen zwei Edelleuten? – Ja. – Und was habt Ihr ihm geantwortet? – Ich habe keine, aber ich würde mit zwei Personen zu Mittag speisen, die mir vielleicht Auskunft geben könnten. – Dies habt Ihr ihm gesagt? sprach Porthos, und eine unbeschreibliche Heiterkeit verbreitete sich über seinem Gesicht. Bravo, und das macht Euch nicht bange, Athos? – Nein, sagte Athos, die Nachforschung Mazarins fürchte ich nicht. – Ihr? versetzte Aramis. Was solltet Ihr fürchten? – Nichts, in diesem Augenblick wenigstens, das ist wahr. – Und in der Vergangenheit? sagte Porthos. – Ah, in der Vergangenheit, das ist etwas anderes, sprach Athos mit einem Seufzer; in der Vergangenheit und in der Zukunft. – Fürchtet Ihr etwa für Euern jungen Raoul? fragte Aramis. – Bah! rief d’Artagnan, man wird nie im ersten Gefechte getötet.– Und auch nicht im zweiten, versetzte Aramis. – Und ebensowenig im dritten, sprach Porthos. Überdies kommt man zurück, wenn man tot ist, der Beweis davon sind wir. – Nein, entgegnete Athos, auch Raoul beunruhigt mich nicht, denn er wird sich hoffentlich wie ein Edelmann betragen, und wenn er fällt, so stirbt er als tapferer Krieger. Doch hört, wenn ihm dieses Unglück begegnete … Athos fuhr mit der Hand über seine bleiche Stirne.

Nun? fragte Aramis. – Nun ja, ich würde dieses Unglück als eine Sühnung betrachten. – Ah! ah! rief d’Artagnan, ich weiß, was Ihr sagen wollt. – Und ich auch, sprach Aramis, aber man muß nicht daran denken, Athos. Was geschehen ist, ist geschehen. – Ich verstehe Euch nicht, sagte Porthos. – Die Geschichte von Armentières, flüsterte d’Artagnan. – Die Geschichte von Armentières! sagte Porthos. – Mylady … – Ach ja, das hatte ich vergessen.

Athos schaute ihn mit seinem tiefen Auge an und sprach:

Ihr habt es vergessen, Porthos? – Meiner Treu, ja, es ist schon lange her. – Die Sache lastet also nicht auf Eurem Gewissen? – Wahrhaftig, nein, antwortete Porthos. – Und Ihr, Aramis? – Ich denke zuweilen daran, als an einen der Gewissensfälle, die sich ganz besonders zur Diskussion eignen. – Und Ihr, d’Artagnan? – Ich gestehe, wenn mein Geist bei dieser furchtbaren Epoche stille steht, so habe ich nur Erinnerungen für den eisigen Leichnam der armen Madame Bonacieux. Ja, ja, murmelte er, ich habe oft ein Bedauern wegen des Opfers, nie Gewissensbisse wegen der Mörderin gehabt.

Athos schüttelte zweifelhaft den Kopf.

Das beruhigendste bei alledem ist, daß von diesem Vorfall keine Spur mehr übrig bleibt, sprach d’Artagnan.

Sie hatte einen Sohn, sagte Athos.

Ach! ja, ich weiß es, versetzte d’Artagnan, Ihr habt mir davon gesprochen. Aber wer weiß, was aus ihm geworden ist? Tot die Schlange, tot die Brut! Glaubt Ihr, Winter, als Oheim, werde diese junge Schlange aufgezogen haben? Lord Winter hat sicherlich den Sohn verdammt, wie er die Mutter verdammte.

Dann wehe Lord Winter, denn das Kind hatte ihm nichts getan.

Das Kind ist tot, oder der Teufel soll mich holen, rief Porthos. Es gibt so viel Nebel in diesem abscheulichen Lande, wie d’Artagnan versichert …

In dem Augenblick, wo diese Schlußfolgerung von Porthos vielleicht die mehr oder minder verdüsterten Stirnen wieder entwölkt hätte, vernahm man Tritte auf der Treppe, und es wurde an die Tür geklopft.

Herein! sagte Athos. – Meine Herren, sprach der Wirt, es ist ein Mann da, der große Eile hat und einen von Ihnen zu sprechen wünscht. – Wen? fragten die vier Freunde. – Den Grafen de la Fère. – Das bin ich, sagte Athos. Und wie heißt der Bursche? – Grimaud. – Ah, murmelte Athos erbleichend, was ist Bragelonne begegnet? – Laßt ihn eintreten, sprach d’Artagnan.

Aber Grimaud war bereits die Treppe heraufgelaufen und wartete auf der Schwelle. Bald stürzte er ins Zimmer und schickte sogleich den Wirt mit einer Gebärde weg. Der Wirt verschloß die Tür wieder. Die vier Freunde harrten in gespannter Erwartung – die Aufregung Grimauds, seine Blässe, der Schweiß, der über sein Gesicht lief, der Staub, mit dem feine Kleider überzogen waren, alles verkündete, daß er eine wichtige, furchtbare Botschaft zu überbringen hatte.

Meine Herren, sagte er, diese Frau hatte ein Kind, das Kind ist ein Mann geworden. Die Tigerin hatte ein Junges, der Tiger ist aufgeschossen. Er kommt, seid auf Eurer Hut.

Athos schaute seine Freunde mit einem schwermütigen Lächeln an; Porthos suchte sein Schwert, das an der Wand hing; Aramis ergriff sein Messer; d’Artagnan stand auf.

Was willst du damit sagen, Grimaud? fragte der letztere.

Daß Myladys Sohn England verlassen hat, daß er sich in Frankreich befindet, daß er nach Paris kommt, wenn er nicht schon hier ist.

Diese Erklärung wurde mit einem langen Stillschweigen aufgenommen. Grimaud keuchte dermaßen und war so ermattet, daß er auf einen Stuhl sank.

Athos füllte ein Glas mit Champagner und brachte es ihm.

Nun ja, was wäre es denn, sagte d’Artagnan, wenn er lebte, wenn er nach Paris käme … Wir haben wohl schon andere gesehen. Er mag kommen.

Ja, versetzte Porthos, indem er mit seinem an der Wand hängenden Degen liebäugelte, er mag kommen!

Überdies ist er noch ein Junge, sprach Aramis.

Grimaud stand auf.

Ein Junge! rief er. Wißt Ihr, was dieser Junge getan hat? Als Mönch verkleidet, hat er dadurch, daß er dem Henker von Bethune die Beichte abnahm, die ganze Geschichte herausgebracht, und hat ihm hierauf statt der Absolution den Dolch ins Herz gestoßen. Seht, er ist noch rot und feucht; denn es sind nicht mehr als dreißig Stunden, daß man ihn aus der Wunde gezogen hat.

Und Grimaud warf den vom Mönche in der Wunde des Henkers zurückgelassenen Dolch auf den Tisch.

D’Artagnan, Porthos und Aramis erhoben sich und liefen mit einer gleichzeitigen Bewegung nach ihren Degen.

Athos allein blieb ruhig und träumerisch auf seinem Stuhle.

Und du sagst, er sei als Mönch verkleidet, Grimaud? – Ja, als Augustinermönch. – Was für ein Mensch ist es? – Von meinem Wuchse, wie mir der Wirt mitgeteilt hat, mager, bleich, mit hellblauen Augen und blonden Haaren. – Und … er hat Raoul nicht gesehen? – Im Gegenteil, sie haben sich begegnet, und der Vicomte selbst führte ihn an das Bett des Sterbenden.

Athos stand auf, ohne ein Wort zu sprechen, und nahm ebenfalls seinen Degen von der Wand.

Ah, meine Herren! rief d’Artagnan, indem er zu lachen versuchte, wißt Ihr, daß wir uns wie schwachherzige Weiblein gebärden? Wie können vier Männer wie wir, die, ohne eine Miene zu verziehen, ganzen Armeen stand gehalten haben, vor einem Kinde zittern!

Ja, sprach Athos, aber dieses Kind kommt im Namen Gottes.

Der Brief Karls I

Jetzt muß der Leser mit uns über die Seine gehen und uns in das Karmeliterinnenkloster der Rue Saint Jacques folgen.

Es ist elf Uhr morgens, und die frommen Schwestern haben soeben eine Messe für den Erfolg der Waffen König Karls I. gehalten. Von der Kirche aus sind eine Frau und ein junges Mädchen, beide schwarz gekleidet, die eine wie eine Witwe, die andere wie eine Waise, in ihre Zelle zurückgekehrt.

Die Frau ist vor ein gemaltes hölzernes Betpult niedergekniet, und einige Schritte vor ihr steht, auf einen Stuhl gestützt, das junge Mädchen und weint. Die Frau muß schön gewesen sein, aber man sieht, daß die Zähren sie alt gemacht haben. Das junge Mädchen ist reizend, und die Tränen verschönern es noch. Die Frau scheint vierzig, das Mädchen vierzehn Jahre alt zu sein.

Mein Gott, sprach die knieende Beterin, erhalte meinen Gatten, erhalte meinen Sohn und nimm mein so trauriges, so elendes Leben.

Mein Gott, sprach das junge Mädchen, erhalte mir meine Mutter!

Deine Mutter vermag nichts mehr für dich in dieser Welt, Henriette, sprach die betrübte Beterin, indem sie sich umwandte; deine Mutter hat weder Thron, noch Gemahl, noch Sohn, noch Freunde mehr. Deine Mutter, mein armes Kind, ist von der ganzen Welt verlassen.

Und in die Arme ihrer Tochter stürzend, brach die Frau in lautes Schluchzen aus.

Mutter, faßt Mut, rief das junge Mädchen.

Ach, die Könige sind unglücklich in diesem Jahr, sprach die Mutter und legte ihr Haupt aus die Schulter des Kindes. Niemand kümmert sich um uns in diesem Lande, denn jeder denkt nur an seine eigenen Angelegenheiten. Solange dein Bruder noch bei uns war, unterstützte er mich, aber dein Bruder ist abgereist und gegenwärtig nicht einmal im stande, dir oder seinem Vater Nachricht zu geben. Ich habe meine letzten Juwelen verpfändet, meine Kleider und die deinigen verkauft, um die Gehalte seiner Diener zu bezahlen, die ihm ohne dieses Opfer von meiner Seite ihre Begleitung verweigert hätten. Wir sind arme Leute und auf die Hilfe Gottes angewiesen.

Aber warum wendet Ihr Euch nicht an die Königin, Eure Schwester? fragte das Mädchen.

Ach, antwortete die Bekümmerte, die Königin, meine Schwester, ist nicht mehr Königin, mein Kind, und ein anderer regiert in ihrem Namen. Eines Tages wirst du das begreifen.

Also an den König, Euern Neffen; soll ich mit ihm sprechen? Ihr wißt, wie sehr er mich liebt, Mutter.

Ach, der König, mein Neffe, ist noch nicht König, und ihm selbst fehlt es an allem; du weißt ja, denn Laporte hat es uns zwanzigmal gesagt.

Dann wollen wir uns an Gott wenden! sprach das junge Mädchen.

Und es kniete neben seiner Mutter nieder.

Die zwei weiblichen Wesen, die so nebeneinander vor demselben Betpult knieten, waren die Tochter und die Enkelin Heinrichs IV., die Frau und die Tochter des englischen Königs Karl I.

Sie hatten eben ihr Gebet vollendet, als eine Nonne sacht an ihre Tür klopfte.

Herein, meine Schwester, sprach die ältere von beiden, indem sie ihre Tränen abtrocknete und sich erhob.

Die Nonne öffnete ehrfurchtsvoll die Tür.

Eure Majestät wolle mich gnädigst entschuldigen, wenn ich sie in ihren Betrachtungen störe, sagte sie; aber es ist ein Fremder im Sprechzimmer, der von England kommt und sich die Ehre erbittet, Eurer Majestät einen Brief übergeben zu dürfen. – Ah, einen Brief! Einen Brief vom König vielleicht! Hörst du? Ohne Zweifel Nachrichten von deinem Vater, Henriette. – Ja, Madame, ich höre und hoffe. – Und wer ist der Herr? sprecht. – Ein Edelmann von fünfundvierzig bis fünfzig Jahren. – Hat er seinen Namen genannt? – Mylord von Winter. – Mylord von Winter! rief die Königin, der Freund meines Gatten? O laßt ihn eintreten!

Und die Königin lief dem Boten entgegen und faßte ihn bei der Hand.

Lord Winter kniete, in die Zelle eintretend, nieder und übergab der Königin einen in einem goldenen Etui verwahrten Brief.

Ah, Mylord, sprach die Königin, Ihr bringt uns drei Dinge, die wir seit langer Zeit nicht mehr gesehen haben: Gold, eine ergebene Seele und einen Brief von unserem Gemahl und Herrn.

Lord Winter verbeugte sich, vermochte aber nicht zu antworten, so erschüttert war er.

Mylord, sprach die Königin, auf den Brief deutend, Ihr begreift, daß es mich drängt, den Inhalt dieses Papiers zu erfahren.

Ich entferne mich, Madame, sprach der Lord.

Nein, bleibt, sagte die Königin, wir werden vor Euch lesen. Begreift Ihr nicht, daß ich tausend Fragen an Euch zu richten habe?

Der Lord ging einige Schritte zurück und blieb dann schweigend stehen.

Mutter und Tochter zogen sich in eine Fenstervertiefung zurück und lasen gierig, die Tochter auf den Arm der Mutter gestützt, folgenden Brief:

Madame und teure Gemahlin!

Wir sind am Ziele angelangt. Alle Quellen, welche mir Gott gelassen hat, sind in dem Lager von Naseby konzentriert, von wo aus ich Euch in Eile schreibe. Hier erwarte ich das Heer meiner meuterischen Untertanen, und ich werde zum letztenmale gegen sie streiten. Bin ich Sieger, so winkt uns sichere Hoffnung, werde ich besiegt, so bin ich gänzlich verloren. In letzterem Falle (ach! in unserer Lage muß man alles vorhersehen) will ich die Küste Frankreichs zu erreichen suchen; aber kann und will man dort einen unglücklichen König aufnehmen, der ein so trauriges Beispiel in ein bereits durch bürgerliche Zwistigkeiten ausgeregtes Land bringt? Eure Weisheit und Eure Liebe sollen mir als Führer dienen. Der Überbringer dieses Briefes, Madame, wird Euch sagen, was ich nicht der Gefahr eines Zufalls anvertrauen kann. Er wird Euch erklären, welchen Schritt ich von Euch erwarte. Ich beauftrage ihn auch mit meinem Segen für meine Kinder und mit allen Gefühlen meines Herzens für Euch, Madame und teure Gemahlin.

Der Brief war nicht Karl, König, sondern Karl, noch König, unterzeichnet.

So traurig der Brief lautete, dessen Eindrücke Winter auf dem Gesicht der Königin verfolgte, so brachte er doch einen Hoffnungsstrahl in ihre Augen.

Er mag nicht mehr König sein, rief sie, er möge besiegt, verbannt, geächtet werden, wenn er nur am Leben bleibt! Ach, der Thron ist heutzutage ein zu gefährlicher Posten, als daß ich wünschen könnte, er möchte ihn behalten. Doch sagt mir, Mylord, fuhr die Königin fort, verhehlt mir nichts: wo ist der König? Ist seine Lage so verzweifelt, wie er denkt?

Ach, Madame, noch verzweifelter, als er selbst glaubt. Seine Majestät hat ein so gutes Herz, daß er den Haß nicht begreift. Der König ist so ritterlich, daß er den Verrat nicht ahnt. England ist von einem Schwindelgeist befallen, der, ich fürchte es, nur im Blute erlöschen wird.

Aber Lord Montrose? antwortete die Königin, ich hörte von raschen und großen Siegen, von gewonnenen Schlachten, bei Inverlashy, bei Alfort und bei Kilsyth, ich hörte sagen, er marschiere an die Grenze, um sich mit dem König zu verbinden?

Ja, Madame, aber an der Grenze traf er Lesly; er hatte den Sieg durch übermenschliche Unternehmungen ermüdet; der Sieg hat ihn verlassen. Bei Philippaugh geschlagen, war Montrose genötigt, die Reste seines Heeres zu verabschieden und als Bedienter verkleidet zu fliehen. Er befindet sich in Bergen in Norwegen.

Gott beschütze ihn! sprach die Königin; es ist wenigstens ein Trost, zu wissen, daß die, welche so oft ihr Leben für uns gewagt haben, in Sicherheit sind. Und nun, Mylord, da ich die Lage des Königs so sehe, wie sie ist, d. h. verzweifelt, so sagt mir, was Ihr mir im Auftrage meines königlichen Gemahls mitzuteilen habt.

Wohl, Madame, antwortete Winter, der König, Euer Gemahl, wünscht, daß Ihr die Stimmung des Königs und der Königin in Beziehung auf ihn erforschen möget.

Die Königin versprach, mit Mazarin, auf dessen Willen es allein ankomme, eine Unterredung zu suchen, obwohl sie sich von seiner Krämerseele wenig für ihre Sache versprach.

Wir wollen hoffen, daß er etwas für unsere Ehre tut, sagte Henriette. Ein Freund besitzt eine so gute Beredsamkeit, daß Ihr mich beruhigt. Gebt mir also Eure Hand, und gehen wir zu dem Minister.

Madame, sprach der Lord sich verbeugend, diese Ehre macht mich ganz verwirrt.

Aber wenn er sich weigerte, sagte Henriette stille stehend, und wenn der König die Schlacht verlöre?

So würde Seine Majestät nach Holland fliehen, wo, wie ich vernommen habe, Seine Hoheit, der Prinz von Wales, verweilt.

Vorwärts, Mylord, sagte die Königin, mit dem peinigenden Zweifel von Leuten, die lange Zeit unglücklich gewesen sind, gehen wir, und Gott erhöre Euch.

Die Königin stieg in den Wagen, und der Lord begleitete sie zu Pferde, gefolgt von zwei Lakaien.

Zwei Audienzen bei Mazarin

Im Augenblicke, wo Madame Henriette die Karmeliterinnen verließ, um sich ins Palais Royal zu begeben, stieg ein Reiter vor dem Tore dieses königlichen Wohngebäudes vom Pferde und kündigte den Wachen an, er habe dem Kardinal Mazarin etwas Wichtiges mitzuteilen.

Obgleich der Kardinal oft Furcht hatte, so war er doch ziemlich zugänglich, denn er bedurfte noch viel öfter des Rates und der Auskunft. Man fand die eigentliche Schwierigkeit nicht an der ersten Tür, selbst die zweite öffnete sich leicht: aber an der dritten wachte außer seiner Garde und den Huissiers der getreue Bernouin, der Cerberus, den kein Wort zu biegen, kein Stab, und wäre er von Gold gewesen, zu bezaubern vermochte.

Als aber der Bote hier mit stolzer Stimme sagte: Ich bringe einen Brief vom General Oliver Cromwell. Wollt diesen Namen Seiner Eminenz sagen und mir dann eröffnen, ob Monseigneur mich empfangen will oder nicht, ging Bernouin, nachdem er den jungen Mann von oben bis unten mit forschendem Blick angeschaut hatte, ins Kabinett des Kardinals, dem er die Worte des Boten überbrachte.

Ein Mensch, der einen Brief von Oliver Cromwell bringt? sagte Mazarin, und was für ein Mensch ist es?

Ein echter Engländer, Monseigneur. Haare blond, rot, mehr rot, als blond; Augen grau, blau, mehr grau als blau, im übrigen stolz und steif.

Laß dir den Brief von ihm geben.

Monseigneur verlangt den Brief, sprach Bernouin, aus dem Kabinett wieder in das Vorzimmer tretend.

Monseigneur wird den Brief nicht ohne den Träger sehen, antwortete der junge Mann; aber um Euch zu überzeugen, daß ich wirklich der Träger eines Briefes bin, schaut, hier ist er.

Bernouin betrachtete das Siegel, und als er sah, daß der Brief vom General Oliver Cromwell kam, schickte er sich an, zu Mazarin zurückzukehren.

Fügt bei, sagte der junge Mann, daß ich kein gewöhnlicher Bote, sondern ein außerordentlicher Gesandter bin.

Bernouin kehrte in das Kabinett zurück und kam nach einigen Sekunden wieder heraus.

Tretet ein, mein Herr, sagte er, die Tür offen haltend.

Der junge Mann erschien auf der Schwelle des Kabinetts. Er hielt seinen Hut in der einen und den Brief in der andern Hand.

Ihr habt ein Beglaubigungsschreiben für mich, mein Herr? sagte Mazarin, der sich erhoben hatte.

Hier ist es, Monseigneur.

Mazarin nahm den Brief, entsiegelte und las:

Herr Mordaunt, einer meiner Sekretäre, wird Seiner Eminenz, dem Kardinal Mazarin in Paris, dieses Einführungsschreiben überreichen. Er ist außerdem der Überbringer eines vertraulichen Briefes für Seine Eminenz.

Oliver Cromwell.

Sehr gut, Herr Mordaunt, sprach Mazarin; gebt mir den zweiten Brief und setzt Euch.

Der junge Mann zog einen zweiten Brief aus seiner Tasche, gab ihn dem Kardinal und setzte sich.

Ganz in Gedanken versunken, hatte der Kardinal mittlerweile den Brief genommen und drehte ihn, ohne ihn zu entsiegeln, in seiner Hand hin und her. Dabei suchte er den Boten auszuforschen. Er sprach zu ihm: Ihr seid sehr jung, Herr Mordaunt, für das harte Geschäft eines Botschafters, wobei zuweilen die ältesten Diplomaten scheitern. – Monseigneur, ich zähle dreiundzwanzig Jahre, aber Eure Eminenz täuscht sich, wenn sie mir sagt, ich sei sehr jung; ich bin älter als sie, obgleich ich nicht ihre Weisheit besitze. – Wieso, mein Herr? Ich verstehe Euch nicht. – Monseigneur, die Leidensjahre zählen doppelt, und ich leide seit zwanzig Jahren. – Ah, ja, ich begreife, sagte Mazarin; Ihr habt kein Vermögen, nicht wahr, Ihr seid arm? – Monseigneur, ich sollte eines Tags ein Vermögen von sechs Millionen besitzen, aber man hat es mir genommen. – Ihr seid also kein Mann aus dem Volke? fragte Mazarin erstaunt. – Würde ich meinen Titel führen, so wäre ich Lord; würde ich meinen Namen führen, so hättet Ihr einen der erhabensten Namen Englands gehört. – Wie heißt Ihr denn? – Ich heiße Herr Mordaunt, sprach der junge Mann sich verbeugend.

Mazarin begriff, daß der Abgesandte Cromwells sein Inkognito zu bewahren wünschte. Zum Teufel mit diesen Puritanern! sagte er ganz leise, sie sind aus Marmor gehauen. Und laut fügte er bei:

Aber Ihr habt noch Verwandte? – Ja, einen, Monseigneur. – Er wird Euch unterstützen. – Ich habe mich dreimal zu ihm begeben, um ihn um seine Unterstützung zu bitten, und dreimal ließ er mich durch seine Bedienten fortjagen. – Oh, mein Gott, mein lieber Herr Mordaunt, sprach Mazarin in der Hoffnung, ihn durch sein falsches Mitleid in irgend eine Falle zu locken; mein Gott, Eure Erzählung interessiert mich sehr. Ihr kennt also Eure Geburt nicht? – Ich kenne sie erst seit kurzer Zeit. – Und bis zu dem Augenblick, wo Ihr sie kennen lerntet? – Betrachtete ich mich als ein verlassenes Kind. – Ihr habt also Eure Mutter nie gesehen? – Doch wohl, Monseigneur. Als ich noch ein kleines Kind war, kam sie dreimal zu meiner Amme. Ich erinnere mich ihres letzten Besuchs, wie wenn er erst heute stattgefunden hätte. – Ihr habt ein gutes Gedächtnis, sprach Mazarin.– O ja, Monseigneur, antwortete der junge Mann mit einer so seltsamen Betonung, daß dem Kardinal ein Schauer durch die Adern lief. – Und wer hat Euch aufgezogen? – Eine französische Amme, die mich fortschickte, als ich fünf Jahre alt war, weil niemand mehr sie bezahlte. Sie nannte mir den Verwandten, von dem meine Mutter oft mit mir gesprochen hatte. – Was wurde dann aus Euch? – Da ich auf der Landstraße weinte und bettelte, nahm mich ein Pfarrer von Kingston auf, unterrichtete mich in der kalvinischen Religion, teilte mir die ganze Wissenschaft mit, die er selbst besaß, und unterstützte mich in meinen Nachforschungen nach meiner Familie. – Und diese Nachforschungen? – Blieben fruchtlos; der Zufall tat alles. – Ihr entdecktet, was das Schicksal Eurer Mutter gewesen war? – Ich erfuhr, daß dieser Verwandte sie mit Hilfe von vier Freunden ermordet hatte. Aber ich wußte bereits, daß ich des Adels verlustig war und daß mich König Karl I. aller meiner Güter beraubt hatte. – Ah, ich begreife jetzt, warum Ihr Herrn Cromwell dient. Ihr haßt den König? – Ja, Monseigneur, ich hasse ihn, antwortete der junge Mann.

Mazarin gewahrte mit Erstaunen den teuflischen Ausdruck, womit der junge Mann diese Worte sprach; während sich ein Gesicht bei Erregung gewöhnlich mit Blut färbt, färbte sich das seine mit Galle und wurde leichenblaß.

Eure Geschichte ist furchtbar, Herr Mordaunt, und rührt mich im höchsten Grade; aber zu Eurem Glück dient Ihr einem allmächtigen Herrn; er muß Euch in Euren Nachforschungen unterstützen. – Monseigneur, einem guten Rassehunde braucht man nur das eine Ende einer Fährte zu zeigen, damit er sicher zu dem andern gelangt. – Aber der Verwandte, dessen Ihr erwähnet, wollt Ihr, daß ich mit ihm spreche? fragte Mazarin, dem daran lag, sich einen Freund bei Cromwell zu machen. – Ich danke, Monseigneur, ich werde selbst mit ihm sprechen. – Sagtet Ihr mir nicht, er habe Euch mißhandelt? – Das nächste Mal, wo ich ihn wiedersehe, wird er mich besser behandeln. – Ihr habt also ein Mittel, ihn zu erweichen? – Ich habe ein Mittel, ihm Furcht einzujagen.

Mazarin schaute den jungen Mann an, aber bei dem Blitz, der aus seinen Augen zuckte, senkte er den Kopf und öffnete, weil er nicht wußte, wie er dieses Gespräch fortsetzen sollte, den Brief Cromwells. Dieser lautete:

An Seine Eminenz Monseigneur
Kardinal Mazarin.

Ich wünschte Eure Absichten in Bezug auf die gegenwärtigen Angelegenheiten Englands zu erfahren. Die zwei Königreiche liegen einander zu nahe, als daß sich Frankreich nicht mit unserer Lage beschäftigen sollte, wie wir uns mit der Lage Frankreichs beschäftigen. Die Engländer sind beinahe einhellig für die Bekämpfung der Tyrannei König Karls I. und seiner Anhänger. Durch das öffentliche Vertrauen an die Spitze dieser Bewegung gestellt, führe ich gegenwärtig Krieg und bin im Begriffe, König Karl I. eine entscheidende Schlacht zu liefern. Ich werde sie gewinnen, denn die Hoffnungen der Nation und der Geist des Herrn sind für mich. Ist diese Schlacht gewonnen, so hat der König weder in England noch in Schottland mehr Hilfsquellen, und wenn er nicht gefangen genommen oder getötet wird, versucht er es, nach Frankreich zu entkommen, um Soldaten zu rekrutieren und sich Waffen und Geld zu verschaffen. Bereits hat Frankreich die Königin Henriette aufgenommen und, ohne Zweifel unabsichtlich, einen Herd unauslöschlichen Bürgerkrieges in meinem Lande unterhalten. Aber die Königin Henriette ist eine Tochter Frankreichs, und Frankreich war ihr Gastfreundschaft schuldig. Was aber den König Karl betrifft, so nimmt die Frage eine andere Gestalt an. Empfinge und unterstützte Frankreich den König, so würde es die Handlungen des englischen Volkes mißbilligen und England und namentlich dem Gange der Regierung so wesentlich schaden, daß ein solcher Zustand wirklichen Feindseligkeiten gleichkäme.

Es ist also dringend, Monseigneur, daß ich erfahre, woran ich mich in Beziehung auf die Absichten Frankreichs zu halten habe. Die Interessen dieses Königreichs und die Interessen Englands stehen sich, obgleich in umgekehrtem Sinne gelenkt, näher, als man glauben sollte. England bedarf der innern Ruhe, um die Vertreibung seines Königs zu vollenden. Frankreich bedarf dieser Ruhe, um den Thron seines jungen Monarchen zu befestigen. Ihr bedürft ebensosehr wie wir dieses innern Friedens, dem wir durch die Energie unserer Regierung bereits nahe gekommen sind.

Eure Streitigkeiten mit dem Parlament, Eure Zwistigkeiten mit den Prinzen, die heute für Euch und morgen gegen Euch kämpfen, die Hartnäckigkeit des von dem Koadjutor, dem Präsidenten Blancmesnil und dem Rate Broussel angeführten Volkes, alles dies muß Euch mit Unruhe auf die Möglichkeit eines fremden Krieges blicken lassen; denn dann würde England, das durch den Enthusiasmus für die neuen Ideen im höchsten Grad aufgeregt ist, sich mit Spanien verbinden, das bereits auf eine solche Allianz abzielt. Von Eurer Klugheit, Monseigneur, hoffe ich, Ihr werdet lieber Neutralität bewahren. Diese Neutralität besteht nun darin, daß Ihr den König Karl von dem Gebiete Frankreichs fernhaltet und ihn in keiner Weise durch Waffen, Geld, oder Truppen unterstützt.

Mein Brief ist also ganz vertraulicher Natur, und ich schicke ihn durch einen Mann, der mein volles Zutrauen besitzt. Oliver Cromwell hat es für besser erachtet, mit einem intelligenten Geist wie Mazarin zu verhandeln, als mit einer Königin, die bei all ihrer bewundernswürdigen Festigkeit dennoch den eitlen Vorurteilen der Geburt und der göttlichen Gewalt unterworfen ist.

Gott befohlen, Monseigneur. Habe ich in vierzehn Tagen keine Antwort, so werde ich meinen Brief als nicht geschrieben betrachten.

Oliver Cromwell.

Herr Mordaunt, sagte der Kardinal, meine Antwort auf diesen Brief wird um so befriedigender für den General Cromwell ausfallen, je mehr ich überzeugt sein kann, daß man nichts davon erfahren wird. Erwartet sie also in Boulogne-sur-Mer und versprecht mir, morgen früh abzureisen.

Ich verspreche es Euch, Monseigneur, antwortete Mordaunt; aber wie lange wird mich Eure Exzellenz auf diese Antwort warten lassen?

Wenn Ihr sie in zehn Tagen nicht erhalten habt, könnt Ihr abreisen.

Mordaunt verbeugte sich.

Das ist noch nicht alles, mein Herr, fuhr Mazarin fort. Eure persönlichen Abenteuer haben mich lebhaft gerührt. Überdies gibt Euch Cromwells Brief in meinen Augen die Bedeutung eines Botschafters. Laßt hören, ich wiederhole es, was kann ich für Euch tun?

Mordaunt überlegte einen Augenblick. Nach einem sichtbaren Zögern war er im Begriff, den Mund zum Sprechen zu öffnen, als Bernouin hastig eintrat, sich an das Ohr des Kardinals neigte und ihm zuflüsterte: Monseigneur, die Königin Henriette erscheint soeben in Begleitung eines englischen Edelmanns im Palais-Royal.

Mazarin machte eine heftige Bewegung, die dem jungen Manne nicht entging und die vertrauliche Eröffnung zurückdrängte, die er ohne Zweifel machen wollte.

Mordaunt wurde hierauf von Mazarin durch einen andern Ausgang gewiesen, damit er der Königin Henriette nicht begegne, welche sich bereits dem Haupteingang näherte.

Wir wollen unseren Lesern die Wiedergabe des unwürdigen Spieles ersparen, das Mazarin seiner hohen Besucherin gegenüber trieb. Der herzlose Italiener fühlte sich selbst der unglücklichen und doch so würdevollen Majestät gegenüber in seiner grausamen Rolle so übel, daß ihm der Schweiß aus allen Poren brach. Als er mit vollendeter Heuchelei sich ohnmächtig erklärte, der Königin irgend eine Aussicht auf Aufnahme ihres unglücklichen Gemahls zu machen, und ihr sagte, er wolle die Sache dem Parlament vorlegen, brach sie entrüstet in die Worte aus: An das Parlament, mit dem Ihr in Fehde lebt, weist Ihr mich? Ihr wollt, daß Broussel darüber Bericht erstatte? Genug, Herr Kardinal, genug. Ich verstehe Euch, oder vielmehr ich habe unrecht. Ja, geht zum Parlament, denn von diesem Parlament, dem Feinde der Könige, ist der Tochter des erhabenen Heinrich IV. die einzige Unterstützung zugekommen, die sie diesen Winter vor dem Verhungern und dem Erfrieren geschützt hat.

Nach diesen Worten erhob sich die Königin mit majestätischer Gebärde, während der Kardinal die gefalteten Hände gegen sie ausstreckte.

Ah, Madame, Madame! wie schlecht kennt Ihr mich doch.

Aber ohne sich nach dem umzuwenden, der diese geheuchelten Tränen vergoß, durchschritt die Königin das Kabinett, öffnete selbst die Türe, ging mitten durch die zahlreichen Wachen Seiner Eminenz, mitten durch die Höflinge, die sich herandrängten, um ihr ihre Huldigung darzubringen, auf Lord Winter zu, der vereinzelt dastand, und nahm seine Hand – eine arme, bereits gefallene Königin, vor der sich noch alle aus Etikette verbeugten, die aber in der Tat nur noch einen einzigen Arm hatte, auf den sie sich stützen konnte.

Gleichviel, sagte Mazarin, als er allein war, es hat mir Mühe gemacht, und ich hatte eine harte Rolle zu spielen. Aber ich habe weder dem einen, noch der andern etwas gesagt. Dieser Cromwell ist ein scharfer Königsjäger. Ich beklage seine Minister, wenn er je welche nimmt. Bernouin!

Bernouin trat ein.

Man sehe, ob der junge Mann mit dem schwarzen Wams und den kurzen Haaren, den du vorhin bei mir eingeführt hast, sich noch im Palast befindet.

Bernouin kehrte sofort mit Comminges zurück.

Monseigneur, sagte Comminges, als ich den jungen Mann zurückführte, nach dem Eure Eminenz fragt, näherte er sich der Glastüre der Galerie und beschaute etwas mit großem Erstaunen, ohne Zweifel das schöne Gemälde von Raphael, das der Tür gegenüber hängt. Dann versank er in Nachsinnen und stieg die Treppe hinab. Ich glaube, ich habe ihn seinen Grauschimmel besteigen und aus dem Hof des Palastes reiten sehen. Aber geht denn Monseigneur nicht zu der Königin?

Warum?

Herr von Guitaut, mein Oheim, sagt mir soeben, die Königin habe Nachricht vom Heere erhalten.

In diesem Augenblick erschien Herr von Villequier. Er kam im Auftrag der Königin, um den Kardinal zu holen.

Comminges hatte gut gesehen, und Mordaunt hatte getan, wie er erzählte. Die Galerie durchschreitend, die mit der gläsernen Hauptgalerie gleich lief, erblickte er Lord Winter, der wartete, bis die Königin ihre Unterredung beendet hätte.

Bei diesem Anblick blieb der junge Mann plötzlich stille stehen, aber nicht aus Bewunderung für das Raphaelsche Gemälde, sondern wie wenn ihn irgend etwas Gräßliches verzaubert hätte. Seine Augen erweiterten sich, ein Schauer durchlief seinen ganzen Körper, es war, als wollte er die gläserne Wand durchdringen, die ihn von seinem Feinde trennte; denn wenn Comminges gesehen hätte, mit welchem Ausdruck des Hasses sich die Augen dieses jungen Mannes auf Lord Winter hefteten, so würde er keinen Augenblick daran gezweifelt haben, daß dieser englische Edelmann sein Todfeind war.

Aber er blieb still stehen, ohne Zweifel, um zu überlegen, denn statt sich von seiner ersten Bewegung hinreißen zu lassen und gerade auf Lord Winter loszugehen, stieg er langsam die Treppen hinab, verließ den Palast mit gesenktem Haupte, schwang sich in den Sattel, stellte sich mit seinem Pferd an der Ecke der Rue de Richelieu auf und wartete, die Augen auf das Gitter geheftet, bis der Wagen aus dem Hofe kam.

Er hatte nicht lange zu warten, denn die Königin blieb kaum eine Viertelstunde bei Mazarin; aber diese Viertelstunde des Harrens schien dem Wartenden ein Jahrhundert. Endlich kam die Karosse heraus, und Lord Winter, der wieder zu Pferde saß, neigte sich abermals an den Kutschenschlag, um mit der Königin zu sprechen.

Die Pferde liefen im Trab und schlugen den Weg nach dem Louvre ein, wohin sie den Wagen führten. Ehe Madame Henriette das Karmeliterkloster verließ, sagte sie zu ihrer Tochter, sie möge sie in dem Palais erwarten, das sie lange bewohnt und nun verlassen hatte, weil ihr in seinen vergoldeten Sälen ihr Elend nur noch drückender vorkam.

Mordaunt folgte dem Wagen, und als er ihn unter die dunkle Arkade hatte fahren sehen, lehnte er sich mit seinem Pferd an eine Mauer, über die sich der Schatten ausdehnte, und blieb unbeweglich inmitten der Verzierungen von Jean Goujon, einem Basrelief gleich, das eine Reiterstatue darstellt.

Er wartete, wie er bereits im Palais-Royal getan hatte.

Zufall oder Vorsehung

Nun, Madame? sagte Lord Winter, als die Königin ihre Dienerin entfernt hatte.

Nun, was ich vorhergesehen hatte, geschieht, Mylord.

Er weigert sich?

Habe ich es nicht gesagt?

Der Kardinal weigert sich, den König zu empfangen? Frankreich verweigert einem unglücklichen Fürsten Gastfreundschaft? Das ist das erste Mal, Madame.

Ich habe nicht gesagt Frankreich, Mylord. Ich habe gesagt der Kardinal, und der Kardinal ist nicht einmal ein Franzose.

Aber die Königin, habt Ihr sie gesehen?

Es ist unnütz, erwiderte Madame Henriette mit traurigem Kopfschütteln, die Königin wird nie ja sagen, wenn der Kardinal nein gesagt hat. Wißt Ihr nicht, daß dieser Italiener alles leitet, sowohl auswärts, als im Innern? Mehr noch, ich komme auf das zurück, was ich Euch bereits gesagt habe. Ich würde mich nicht wundern, wenn uns Cromwell zuvorgekommen wäre. Er war verlegen, während er mit mir sprach, und dennoch fest entschlossen, sich zu weigern. Habt Ihr nicht auch die Bewegung im Palais-Royal bemerkt, das Hin- und Herlaufen geschäftiger Leute? Sollten sie Nachrichten bekommen haben, Mylord?

Von England kann dies nicht sein, Madame; ich habe mich so sehr beeilt, daß mir sicherlich niemand zuvorgekommen ist. Ich bin vor drei Tagen abgereist, und wie durch ein Wunder durch die ganze puritanische Armee gelangt. Ich habe mit meinem Lakaien Tomy die Post genommen, und die Pferde, die wir reiten, haben wir in Paris gekauft. Übrigens bin ich fest überzeugt, daß der König, ehe er etwas wagt, die Antwort von Eurer Majestät abwartet.

Ihr werdet ihm melden, Mylord, versetzte die Königin in Verzweiflung, daß ich nichts vermöge, daß ich so viel gelitten habe, als er, mehr sogar als er, da ich genötigt bin, das Brot der Verbannung zu essen und Gastfreundschaft von falschen Freunden zu verlangen, und daß er, was seine königliche Person betrifft, sich edelmütig aufopfern und als König sterben müsse; ich werde an seiner Seite sterben.

Madame, Madame, rief Winter, Eure Majestät überläßt sich der Mutlosigkeit, und es bleibt uns vielleicht noch einige Hoffnung.

Wir haben keine Freunde mehr, Mylord, keine Freunde in der ganzen Welt, außer Euch. Oh, mein Gott! rief Madame Henriette, die Arme zum Himmel emporstreckend, hast du denn alle edlen Herzen, welche auf Erden bestanden, hinweggenommen?

Ich hoffe, daß dies nicht der Fall ist, Madame, erwiderte Winter gedankenvoll, ich habe Euch von vier Männern gesagt …

Was wollt Ihr mit vier Männern machen?

Vier ergebene Männer, vier bis zum Tod entschlossene Männer vermögen viel, das dürft Ihr mir glauben, Madame. Und die, welche ich kenne, haben in einer gewissen Zeit viel getan.

Und diese vier Männer, wo sind sie?

Das ist es eben, was ich nicht weiß. Seit etwa zwanzig Jahren habe ich sie aus dem Gesicht verloren, und dennoch dachte ich bei allen Gelegenheiten, wo ich den König in Gefahr sah, an sie.

Und diese Männer waren Eure Freunde?

Einer von ihnen hatte mein Leben in seinen Händen und schenkte es mir. Ich weiß nicht, ob er mein Freund geblieben ist, aber seit jener Zeit bin ich wenigstens der seinige geblieben.

Und diese Männer sind in Frankreich, Mylord?

Ich glaube.

Sagt mir ihre Namen, ich habe sie vielleicht nennen hören und könnte Euch in Eurer Nachforschung unterstützen.

Der eine von ihnen nannte sich Chevalier d’Artagnan.

Oh! Mylord, wenn ich mich nicht täusche, so ist dieser Chevalier d’Artagnan Leutnant bei den Garden. Ich habe seinen Namen aussprechen hören, aber merkt wohl, ich fürchte, dieser Mann gehört ganz dem Kardinal an.

Das wäre mein letztes Unglück, erwiderte Winter, und ich müßte zu glauben anfangen, daß wir wirklich verdammt seien.

Aber die anderen? sagte die Königin, die sich an diese Hoffnung anklammerte, wie ein Schiffbrüchiger an die Trümmer seines Fahrzeuges, die anderen, Mylord?

Der zweite –, ich hörte zufällig seinen Namen, denn ehe sie sich mit uns schlugen, sagten uns diese vier Edelleute ihre Namen – der zweite hieß Graf de la Fère. Die Namen der zwei anderen habe ich vergessen, weil ich gewöhnt war, sie bei ihren angenommenen Namen zu nennen.

Oh, mein Gott, es wäre doch vom höchsten Belang, sie wiederzufinden, sprach die Königin, da Ihr glaubt, diese würdigen Edelleute könnten dem König nützlich sein. Man muß sie suchen. Aber was werden vier Männer oder vielmehr drei vermögen? Denn ich sage Euch, man kann nicht auf Herrn d’Artagnan zählen.

Das wäre ein tapferer Degen weniger, Madame, doch es blieben immerhin noch drei andere, ohne den meinigen zu zählen. Vier ergebene Männer aber in der Umgebung des Königs, um ihn vor seinen Feinden zu hüten, ihn in der Schlacht zu decken, im Rate zu unterstützen, auf seiner Flucht zu geleiten, das wäre hinreichend, nicht um dem König zum Siege zu führen, doch um ihn zu retten, wenn er besiegt wäre, um ihm über das Meer zu helfen, und befände sich Euer königlicher Gemahl einmal an Frankreichs Küste, so würde er, was auch Mazarin sagen mag, so viele Zufluchtsorte finden, als der Seevogel bei den Stürmen findet.

In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, die junge Henriette erschien, und die Königin drängte mit der erhabenen Kraft, wie sie nur her Heldenmut einer Mutter besitzt, ihre Tränen bis in den Hintergrund des Herzens zurück und gab Lord Winter ein Zeichen, das Gespräch zu verändern.

Aber diese Reaktion entging der jungen Prinzessin nicht. Sie blieb auf der Schwelle stehen, stieß einen Seufzer aus und sagte, sich an ihre Mutter wendend: Warum weinet Ihr beständig ohne mich, meine Mutter?

Die Königin lächelte und sprach, statt ihr zu antworten: Seht, Lord Winter, ich habe damit, daß ich nur noch zur Hälfte Königin bin, wenigstens eins gewonnen, daß mich meine Kinder Mutter nennen, statt Madame.

Dann sich gegen ihre Tochter wendend, fuhr sie fort: Was willst du, Henriette?

Mutter, antwortete die junge Prinzessin, es ist ein Reiter im Louvre erschienen und bittet, Eurer Majestät seine Ehrfurcht bezeigen zu dürfen; er kommt vom Heere und hat, wie er sagt, Euch einen Brief vom Marschall von Grammont zu übergeben.

Und wer ist der Reiter, Henriette? fragte die Königin.

Ich habe ihn aus dem Fenster gesehen, Madame. Es ist ein junger Mensch, der kaum sechzehn Jahre alt zu sein scheint und sich Vicomte von Bragelonne nennt.

Die Königin machte lächelnd ein Zeichen mit dem Kopf, die junge Prinzessin öffnete die Tür wieder, und Raoul erschien auf der Schwelle.

Er machte drei Schritte gegen die Königin, kniete nieder und sprach:

Madame, ich überbringe Eurer Majestät einen Brief von meinem Freunde, dem Herrn Grafen von Guiche, der mir sagte, er habe die Ehre, zu Euern Dienern zu gehören. Dieser Brief enthält eine wichtige Nachricht und den Ausdruck seiner Ehrfurcht.

Bei dem Namen des Grafen von Guiche verbreitete sich eine Röte über die Wangen der jungen Prinzessin. Die Königin schaute sie mit einer gewissen Strenge an.

Aber du hast mir gesagt, der Brief komme vom Marschall von Grammont, Henriette? sprach die Königin.

Ich glaubte es, Madame, stammelte die Prinzessin.

Das ist mein Fehler, Madame. Ich meldete mich wirklich, als käme ich im Auftrag des Marschalls von Grammont, aber am rechten Arm verwundet, konnte er nicht schreiben, und der Graf von Guiche diente ihm als Sekretär.

Man hat sich also geschlagen? sagte die Königin und gab Raoul ein Zeichen, sich zu erheben.

Ja, Madame, antwortete der junge Mann und übergab den Brief an Winter, welcher vorgeschritten war, um denselben in Empfang zu nehmen, und ihn sodann der Königin einhändigte.

Bei der Nachricht, daß eine Schlacht geliefert worden sei, öffnete die junge Prinzessin den Mund, um eine Frage zu machen, die ihr am Herzen zu liegen schien, aber ihr Mund schloß sich wieder, ohne ein Wort gesprochen zu haben, während die Rosen ihrer Wangen nach und nach verschwanden.

Die Königin sah alle diese Bewegungen und übersetzte sie ohne Zweifel in ihrem mütterlichen Herzen; dann wandte sie sich abermals an Raoul und fragte: Dem jungen Grafen von Guiche ist doch nichts Schlimmes widerfahren? Er gehört nicht allein zu unsern Dienern, mein Herr, sondern auch zu unsern Freunden.

Nein, Madame, antwortete Raoul, er hat im Gegenteil an diesem Tag großen Ruhm errungen, und es wurde ihm die Ehre zu teil, von dem Herrn Prinzen auf dem Schlachtfeld umarmt zu werden.

Die junge Prinzessin klatschte in die Hände; aber ganz beschämt, daß sie sich zu einer solchen Kundgebung der Freude hatte hinreißen lassen, wandte sie sich halb um und neigte sich über eine Vase voll Rosen, als wollte sie den Geruch einatmen.

Die Königin entsiegelte hierauf den Brief und las:

Madame und Königin!

Da ich infolge einer Wunde an meiner rechten Hand nicht die Ehre haben kann, Euch selbst zu schreiben, so lasse ich Euch durch meinen Sohn, den Grafen von Guiche, von dem Ihr wißt, daß er ein ebenso treuer Diener von Euch ist, als sein Vater, hiermit melden, daß wir die Schlacht von Lens gewonnen haben und daß dieser Sieg unfehlbar dem Kardinal Mazarin und der Königin einen gewaltigen Einfluß auf die Angelegenheiten Europas geben muß. Möge also Eure Majestät, wenn sie meinem Rate folgen will, diesen Augenblick benützen, um zu Gunsten ihres erhabenen Gemahls bei der Regierung des Königs nachdrückliche Schritte zu tun. Der Herr Vicomte von Bragelonne, der Euch diesen Brief übergeben wird, ist der Freund meines Sohnes, dem er aller Wahrscheinlichkeit nach das Leben gerettet hat. Es ist ein Edelmann, dem sich Eure Majestät vollkommen anvertrauen kann, falls sie mir einen mündlichen oder schriftlichen Befehl zukommen lassen wollte.

Ich habe die Ehre zu sein,

Mit Ehrfurcht u. s. w.
Marschall von Grammont.

Die Schlacht von Lens gewonnen! sprach die Königin. Sie sind glücklich hier, sie gewinnen Schlachten! Diese Nachricht ist neu, mein Herr, fuhr die Königin fort, ich weiß Euch Dank, daß Ihr mir sie mit so großer Eile überbracht habt. Ohne Euch, ohne diesen Brief hätte ich sie erst morgen, übermorgen, vielleicht zuletzt in ganz Paris, erfahren.

Madame, sprach Raoul, der Louvre ist der zweite Palast, wohin diese Nachricht gelangt ist; niemand kennt sie noch, und ich habe dem Grafen von Guiche geschworen, diesen Brief Eurer Majestät zu übergeben, sogar ehe ich meinen Vormund umarmt haben würde.

Euer Vormund ist ein Bragelonne, wie Ihr? fragte Lord Winter. Ich habe einst einen Bragelonne gekannt. Lebt er noch?

Nein, mein Herr, er ist tot. Mein Vormund ist der Graf de la Fère, antwortete der junge Mann, sich verbeugend.

Der Graf de la Fère! rief die Königin erfreut. Lord Winter, habt Ihr mir nicht diesen Namen genannt?

Winter konnte nicht glauben, was er hörte.

Der Herr Graf de la Fère! rief er ebenfalls. Oh! mein Herr, antwortet mir. ich bitte Euch! Ist der Graf de la Fère nicht ein Mann, den ich einst als einen schönen, tapfern Herrn gekannt habe, ein Mann, der Musketier unter Ludwig XIII. war und jetzt ungefähr sieben- bis achtundvierzig Jahre alt sein kann?

Ja, mein Herr, so ist’s.

Und der unter einem angenommenen Namen diente?

Unter dem Namen Athos. Ich hörte kürzlich erst seinen Freund, Herrn d’Artagnan, ihm diesen Namen geben.

Es ist so, Madame, es ist so. Gott sei gelobt! Und er befindet sich in Paris? fuhr der Lord, sich an Raoul wendend, fort. Dann wieder zu der Königin zurückkehrend: Hofft, hofft, die Vorsehung erklärt sich für uns, da sie mir gestattet, diesen braven Edelmann auf eine so wunderbare Weise wiederzufinden. Sagt mir doch, wo wohnt er, mein Herr? Der Herr Graf de la Fère wohnt in der Rue Guenegaud im Hotel du Grand-Roi-Charlemagne.

Ich danke, mein Herr. Sagt diesem würdigen Freunde, er möge zu Hause bleiben; ich komme sogleich, ihn zu umarmen.

Mein Herr, ich gehorche mit großem Vergnügen, wenn Ihre Majestät mir Urlaub geben will.

Geht, Herr Vicomte von Bragelonne, sprach die Königin, geht und seid unserer Wohlgeneigtheit versichert.

Raoul verbeugte sich ehrfurchtsvoll vor den zwei Fürstinnen, grüßte Lord Winter und entfernte sich.

Als auch Lord Winter Abschied nehmen wollte, sagte die Königin:

Hört, Mylord, ich hatte dieses Diamantkreuz, das meiner Mutter gehörte, und diesen Sanct-Michaels-Stern, welchen ich von meinem Gemahl erhielt, bis jetzt bewahrt. Diese beiden Gegenstände sind ungefähr fünfzigtausend Franken wert. Nehmt sie, und wenn Ihr für Eure Expedition Geld braucht, verkauft sie ohne Scheu, Mylord. Seid Ihr aber im stande, sie zu behalten, so bedenkt, Mylord, daß ich das als den größten Dienst betrachten würde, den ein Edelmann einer Königin zu leisten vermag, und daß der, welcher mir am Tag unseres Glückes diesen Stern und dieses Kreuz wiederbringt, von mir und meinen Kindern gesegnet werden soll.

Madame, erwiderte Winter, Eure Majestät wird von einem treu ergebenen Manne bedient werden. Ich gehe und hinterlege an sicherem Ort diese Gegenstände, die ich nicht annehmen würde, wenn uns Mittel von unserem ehemaligen Vermögen übrig blieben; aber unsere Güter sind konfisziert, unser bares Geld ist versiegt, und es ist so weit mit uns gekommen, daß wir aus allem, was wir besitzen, Hilfsquellen machen müssen. In einer Stunde begebe ich mich zu dem Grafen de la Fère, und morgen soll Eure Majestät eine bestimmte Antwort erhalten.

Der Mönch

Zwei Menschen lagen da … der eine unbeweglich, das Gesicht nach dem Boden, von drei Kugeln durchbohrt und in seinem Blute schwimmend. Dieser, offenbar ein Priester, war tot.

Der andere schlug, als man sich ihm näherte, die Augen zum Himmel auf, faltete die Hände und verrichtete ein heißes Gebet … Eine Kugel hatte ihm den Oberschenkel zerschmettert.

Raoul, der es zuerst bemerkte, rief: Kommt hierher … dem andern ist nicht mehr zu helfen, während man diesen vielleicht noch retten kann!

Mich retten? Nein, sprach der Verwundete leise, aber mir sterben helfen, ja! – Seid Ihr ein Priester? fragte Raoul. – Nein, Herr. – Aber Euer unglücklicher Gefährte schien mir der Kirche anzugehören, versetzte Raoul.

Es ist der Pfarrer von Bethune, mein Herr. Er trug die heiligen Gefäße seiner Kirche und den Schatz des Kapitels an einen sichern Ort, denn der Prinz hat gestern unsere Stadt verlassen, und vielleicht ist morgen der Spanier darin. Da man aber wußte, daß feindliche Streifkorps im Lande umherzogen, und die Sendung gefährlich war, so wagte es niemand, ihn zu begleiten, bis ich mich anbot.

Und diese Elenden haben Euch angegriffen! Diese Schufte haben auf einen Priester geschossen!

Meine Herren, sagte der Verwundete um sich herschauend, ich leide sehr, wünschte aber dennoch in irgend ein Haus gebracht zu werden, wo ich beichten könnte. Die Kugel hat den Schenkelknochen oben zerschmettert und ist bis in die Eingeweide gedrungen.

Seid Ihr Arzt? sagte Guiche.

Nein, aber ich verstehe mich ein wenig auf Wunden, und die meinige ist tödlich. Versucht es also, mich irgendwohin bringen zu lassen, wo ich einen Priester finden kann, oder habt die Güte, mir irgend einen hierher zu führen, und Gott wird Euch für diese fromme Handlung belohnen. Meine Seele muß gerettet werden, denn mein Leib ist verloren. Mein Gott! rief er, als plötzlich die Schmerzen heftiger zu werden schienen, mit einem Ausdruck des Entsetzens, der die jungen Leute beben ließ, Ihr laßt mich nicht ohne Absolution sterben? Es wäre zu schrecklich.

Mein Herr, beruhigt Euch, antwortete Guiche, ich schwöre Euch, daß Ihr den Trost haben sollt, nach dem Ihr verlangt. Sagt uns nur, wo ein Haus ist, in dem wir Beistand fordern, und ein Dorf, wo wir einen Priester bekommen können.

Dank, Dank, und Gott vergelte es Euch. Eine halbe Meile von hier findet sich eine Herberge, und ungefähr eine halbe Meile weiter liegt das Dorf Greny. Sucht dort den Pfarrer auf. Ist er nicht zu Hause, so geht in das Augustinerkloster, das letzte Haus des Fleckens rechts, und führt mir einen Bruder herbei.

Herr d’Arminges, sprach Guiche, bleibt bei diesem Unglücklichen und wacht darüber, daß er so sanft als möglich transportiert wird. Macht eine Tragbahre aus Baumzweigen und legt alle unsere Mäntel darauf. Zwei von unsern Lakaien tragen ihn, während der dritte den zuerst Ermüdeten ablöst. Der Vicomte und ich suchen einen Priester auf.

Geht, Herr Graf, sprach der Hofmeister, aber ums Himmels willen setzt Euch keiner Gefahr aus.

Guten Mut, Herr, sprach Raoul zu dem Verwundeten, wir vollführen Euern Wunsch.

Gott segne euch, meine Herren, antwortete der Sterbende mit einem unbeschreiblichen Ausdruck von Dankbarkeit.

Und die jungen Leute sprengten im Galopp in der angegebenen Richtung fort und erblickten nach einem Ritt von zehn Minuten die Herberge.

Raoul rief, ohne vom Pferd zu steigen, den Wirt, benachrichtigte ihn, daß man ihm einen Verwundeten bringen werde, und bat ihn, mittlerweile alles vorzubereiten, was zum Verbinden notwendig sei, forderte ihn zugleich auf, wenn er in der Umgegend einen Wundarzt kenne, ihn holen zu lassen, und ritt mit seinem Freunde weiter.

Sie hatten mehr als eine Meile hinter sich und erblickten bereits die ersten Häuser des Dorfes, deren mit rötlichen Ziegeln bedeckte Dächer kräftig aus den grünen Bäumen, von denen sie umgeben waren, hervortraten, als sie einen Mönch, den sie nach seinem breiten Hut und seiner grauwollenen Kutte für einen Augustinerbruder hielten, auf einem Maultier einherkommen sahen. Diesmal schien ihnen der Zufall zu schicken, was sie suchten.

Sie näherten sich dem Mönch; es war ein Mann von zwei- bis dreiundzwanzig Jahren, den jedoch seine asketischen Übungen weit älter gemacht hatten. Er war bleich, aber nicht von der matten Blässe, die manchmal eine Schönheit ist, sondern von galligem Gelb. Seine kurzen Haare, die kaum ein wenig über den Kreis gingen, den sein Hut um seine Stirne zog, waren hellblond, und seine blauen Augen schienen des Blickes zu entbehren.

Mein Herr, sagte Raoul mit seiner gewöhnlichen Höflichkeit, seid Ihr ein Priester?

Warum fragt Ihr mich? sprach der Fremde mit beinahe unhöflicher Unempfindlichkeit.

Um es zu wissen, antwortete der Graf von Guiche mit stolzem Tone.

Der Fremde berührte sein Maultier mit dem Absatz und setzte seinen Weg fort. Guiche war mit einem Sprunge vor ihm und versperrte ihm den Weg.

Antwortet, Herr, sagte er. Man hat Euch höflich gefragt, und jede Frage ist eine Antwort wert.

Es steht mir, denke ich, frei, den nächsten besten zwei Personen, die der Kitzel ankommt, mich auszuforschen, zu sagen, wer ich bin, oder es nicht zu sagen.

Guiche unterdrückte mit großer Mühe seine Lust, den Mönch braun und schwarz zu prügeln.

Einmal, sprach er mit gewaltiger Selbstüberwindung, sind wir nicht die nächsten besten zwei Personen; mein Freund, hier ist der Vicomte von Bragelonne, und ich bin der Graf von Guiche; dann fragen wir nicht aus Neugierde, sondern ein verwundeter, sterbender Mann verlangt die Hilfe der Kirche. Seid Ihr Priester, so fordre ich Euch im Namen der Menschheit auf, mir zu folgen, um diesem Manne Beistand zu leisten. Seid Ihr es nicht, dann ist es etwas anderes. Ich sage Euch übrigens mit aller Höflichkeit, die Ihr ganz und gar nicht zu kennen scheint, daß ich Euch für Eure Unverschämtheit bestrafen werde.

Die Blässe des Mönches wurde bläulich, und er lächelte auf eine so seltsame Weise, daß Raoul, der ihn fest im Auge behielt, schauderte.

Es ist ein spanischer oder flämischer Spion, sprach er und legte die Hand an den Kolben seiner Pistole.

Ein drohender, einem Blitz ähnlicher Blick antwortete Raoul.

Nun, Herr, sagte Guiche, werdet Ihr sprechen?

Ich bin Priester, meine Herren, antwortete der junge Mann, und sein Gesicht nahm wieder seine gleichgültige Miene an.

Dann, mein Vater, sagte Raoul, indem er seine Pistole wieder in die Halfter fallen ließ und seinen Worten einen ehrfurchtsvollen Ausdruck gab, wenn Ihr Priester seid, so findet Ihr, wie mein Freund Euch gesagt hat, eine Gelegenheit, Euer Amt auszuüben. Ein unglücklicher Verwundeter befindet sich in der nächsten Herberge. Er fordert den Beistand eines Dieners Gottes.

Ich begebe mich dahin, sprach der Mönch.

Und er gab seinem Maultier einen Absatz.

Folgen wir ihm, sagte Guiche, das wird sicherer sein.

Und die jungen Leute ritten im gleichen Tempo mit dem Mönch, dem sie etwa auf Pistolenschußweite folgten, weiter.

Nach fünf Minuten wandte sich der Mönch, um sich zu versichern, ob sie ihm folgten oder nicht.

Seht, sprach Raoul, wir haben Wohl daran getan. – Was für ein furchtbares Gesicht dieser Mönch hat! sagte der Graf von Guiche. – Ja furchtbar, erwiderte Raoul, besonders was den Ausdruck betrifft. Diese gelblichen Haare, diese matten Augen, diese Lippen, die beim geringsten Wort, das er ausspricht. verschwinden … – Ja, ja, sprach Guiche, dem alle diese Einzelheiten weniger aufgefallen waren, da Raoul den Mönch prüfend anschaute, während Guiche sprach. Der Beichtende sieht aus, als besäße er ein besseres Gewissen, als der Priester. Ich gestehe, ich bin gewohnt, ganz andere Priester zu sehen. – Welch ein Unglück für den Verwundeten, daß er in den Armen eines solchen Kuttenmenschen sterben soll! – Bah! sagte Guiche, die Absolution kommt nicht von dem, der sie gibt, sondern von Gott. Aber aufrichtig gestanden, ich würde lieber ohne Absolution sterben, als mit einem solchen Beichtvater zu tun haben. Ihr seid auch meiner Meinung, Vicomte, nicht wahr? Ich sah Euch den Kolben Eurer Pistolen liebkosen, als ob Ihr versucht wäret, ihm den Schädel zu zerschmettern. – Ja, Graf, es mag seltsam erscheinen, und Ihr werdet darüber erstaunen, ich fühlte beim Anblick dieses Menschen einen mir selbst unerklärbaren, unbeschreiblichen Abscheu. Ich schwöre Euch, daß mich bei seinem Anblick ein Gefühl ergriff, wie ich es empfand, als einmal bei Blois eine Schlange mir in den Weg kam und auf mich loszüngelte; ich war starr und wie gebannt, bis mich ein Wort meines Beschützers, des Grafen de la Fère, zu mir selbst brachte und ich dem Reptil im Momente, als es auf mich losfuhr, den Kopf zerschmetterte.

In diesem Augenblick kam man in die Nähe der kleinen Herberge, in die man soeben den Verwundeten brachte.

Die jungen Leute spornten ihre Rosse.

Dort ist der Verwundete, sagte Guiche, an dem Augustinerbruder vorüberreitend, habt die Güte, Euch ein wenig zu beeilen, Herr Mönch.

Nun waren die jungen Leute vor dem Beichtvater, statt ihm zu folgen; sie gingen dem Sterbenden entgegen und teilten ihm die gute Kunde mit.

Dieser erhob sich, um in der angegebenen Richtung zu schauen, und als er den Mönch sein Maultier antreiben und näherkommen sah, da fiel er, das Gesicht von einem Freudenstrahl erleuchtet, auf die Tragbahre zurück.

Wir haben nun, sagten die jungen Leute, alles für Euch getan, was wir tun konnten, und da es uns drängt, zum Heere des Prinzen zu gelangen, so setzen wir unsern Marsch fort; Ihr werdet uns entschuldigen, nicht wahr, Herr? Man sagt, es soll eine Schlacht geschlagen werden, und wir wünschten nicht, zu spät zu kommen.

Geht, meine jungen Herren, erwiderte der Verwundete, und seid für Euer Mitleid gesegnet. Gott beschütze Euch, Euch und diejenigen, die Euch teuer sind.

Mein Herr, sprach Guiche zu seinem Hofmeister, wir reiten voraus, Ihr holt uns auf der Straße nach Cambrin ein.

Der Wirt stand unter der Türe. Er hatte alles vorbereitet, Bett, Binden und Charpie, und ein Knecht war nach Lens, der nächsten Stadt, gegangen, um einen Arzt zu holen.

Hier die Bezahlung, sorgt für den Verwundeten, sagte Guiche zu dem Wirt und warf ihm Geld zu.

Gut, sprach der Wirt, es soll geschehen, wie Ihr wünscht. Aber haltet Ihr nicht an, gnädiger Herr, um Eure Wunde zu verbinden? setzte er, sich an Bragelonne wendend, hinzu.

Ah, meine Wunde ist durchaus von keiner Bedeutung, und es ist noch Zeit genug, wenn ich auf der nächsten Station danach sehe. Aber wenn Ihr einen Reiter vorüberkommen seht und dieser Reiter sich nach einem jungen Mann auf einem Fuchs und mit einem Lakaien erkundigt, so habt die Güte, ihm zu sagen, daß Ihr mich gesehen habt, ich sei jedoch weitergeritten und gedenke in Mazingarde zu Mittag zu speisen und zu Cambrin über Nacht zu bleiben. Dieser Reiter ist mein Bedienter.

Wäre es nicht besser und sicherer, wenn ich ihn um seinen Namen fragte und ihm den Eurigen nennen würde? entgegnete der Wirt.

Diese Vorsicht kann nicht schaden, sprach Raoul, ich heiße Vicomte von Bragelonne und er Grimaud.

In diesem Augenblick kam der Verwundete von der einen Seite und der Mönch von der andern. Die jungen Leute wichen zurück, um die Tragbahre vorüberziehen zu lassen. Der Mönch stieg von seinem Maultier ab und befahl, es in den Stall zu führen, ohne es abzusatteln.

Herr Mönch, sprach Guiche, hört diesen braven Mann wohl Beichte und kümmert Euch nicht um Eure Zeche und um die Eures Tieres; alles ist bezahlt.

Ich danke, mein Herr, antwortete der Mönch mit seinem gräßlichen Lächeln.

In diesem Augenblick wurde die Tragbahre von den Lakaien ins Haus gebracht. Der Wirt und seine Frau, die auch herbeigelaufen war, standen auf der Treppe.

Beim Anblick des bleichen, blutigen Mannes ergriff die Frau ihren Mann heftig beim Arme.

Nun, was gibt es? fragte dieser. – Sieh nur, erwiderte die Wirtin, auf den Verwundeten deutend. – Bei Gott, sagte der Wirt, er scheint mir sehr krank zu sein! – Das ist’s nicht, erkennst du ihn denn nicht? – Diesen Menschen? Warte doch … – Ah, ich sehe, daß du ihn erkennst, sagte die Frau, denn du erbleichst ebenfalls. – In der Tat! rief der Wirt. Weh unserm Hause, es ist der ehemalige Henker von Bethune! – Der ehemalige Henker von Bethune, murmelte der junge Mönch und machte eine Bewegung, als wollte er stille stehen, während auf seinem Gesichte das Gefühl des Widerstrebens hervortrat, das ihm sein Bußfertiger einflößte.

Als die Lakaien, die den Sterbenden auf ein Bett gelegt hatten, den Mann Gottes sich dem Lager des Verwundeten nahen sahen, entfernten sie sich und schlossen die Türe hinter dem Mönch und dem Sterbenden.

D’Arminges und Olivain harrten ihrer, stiegen wieder zu Pferde, und alle vier trabten den beiden Edelleuten nach.

Im Augenblick, wo der Hofmeister und sein Gefolge ebenfalls verschwanden, hielt ein neuer Reisender an der Schwelle des Wirtshauses.

Was wünscht der Herr? fragte der Wirt, noch bleich und zitternd von der Entdeckung, die er gemacht hatte.

Der Reisende machte das Zeichen eines Mannes, der trinkt, stieg ab, deutete auf sein Pferd und machte das Zeichen eines Reibenden.

Ah, Teufel! sagte der Wirt zu sich selbst, es scheint, dieser Mensch ist stumm. – Und wo wollt Ihr trinken? fragte er. – Hier, antwortete der Reisende, auf einen Tisch deutend. – Ich täuschte mich, dachte der Wirt, er ist nicht ganz stumm.

Und er verbeugte sich, holte eine Flasche Wein und Zwieback und setzte beides dem schweigsamen Gaste vor.

Beliebt dem Herrn sonst noch etwas? fragte er. – Allerdings, sprach der Reisende. – Was wünscht der Herr? – Zu wissen, ob Ihr nicht einen jungen Edelmann von fünfzehn Jahren, auf einem Fuchs und mit einem Lakaien habt vorüberreiten sehen? – Den Grafen von Bragelonne? sagte der Wirt. – Richtig. – Dann heißt Ihr Grimaud?

Der Reisende machte ein bejahendes Zeichen.

Nun wohl, sprach der Wirt, Euer junger Herr war erst vor einer Viertelstunde hier. Er wird in Mazingarde zu Mittag speisen und in Cambrin über Nacht bleiben. – Wie weit von hier nach Mazingarde? – Zwei und eine halbe Meile. – Danke.

Da Grimaud jetzt die sichere Aussicht hatte, seinen jungen Herrn am Abend zu treffen, so schien er ruhiger zu werden, trocknete sich die Stirn ab und schenkte sich ein Glas Wein ein, das er schweigend trank.

Er hatte sein Glas auf den Tisch gestellt und schickte sich an, es zum zweitenmal zu füllen, als ein furchtbarer Schrei aus dem Innern des Hauses drang, wo sich der Mönch und der Sterbende befanden.

Grimaud stand rasch auf. Auf seine Frage erzählte ihm der Wirt, der frühere Henker von Bethune sei, von spanischen Parteigängern auf den Tod verwundet, hergetragen worden und beichte soeben einem Augustinermönch.

Der frühere Henker von Bethune? murmelte Grimaud, seine Erinnerungen zusammenfassend … ein Mann von fünfundfünfzig bis sechzig Jahren … groß, kräftig, von dunkler Gesichtsfarbe, mit schwarzem Bart und schwarzen Haaren?

So ist es, nur sind seine Barthaare grau und seine Haupthaare weiß geworden. Kennt Ihr ihn? fragte der Wirt.

Ich habe ihn einmal gesehen, antwortete Grimaud, dessen Stirn sich bei der auftauchenden Erinnerung verfinsterte.

Die Frau lief zitternd herbei. Hast du gehört? sagte sie zu ihrem Manne. – Ja, antwortete der Wirt und schaute unruhig nach der Türe.

In diesem Augenblick vernahm man einen Schrei, etwas weniger stark, als der erste, aber in einen langen, gedehnten Seufzer ausklingend.

Die drei Personen schauten sich bebend an.

Man muß sehen, was es ist, sagte Grimaud.

Man sollte glauben, es sei der Schrei eines Menschen, den man erdrosselt, murmelte der Wirt.

Jesus, rief die Wirtin, sich bekreuzend.

Grimaud, der zwar wenig sprach, aber umsomehr handelte, stürzte nach der Tür und rüttelte mit aller Gewalt daran; aber sie war durch einen innern Riegel verschlossen.

Öffnet, rief der Wirt, öffnet, Herr Mönch! Öffnet sogleich!

Niemand antwortete.

Öffnet, oder ich sprenge die Tür! rief Grimaud.

Dasselbe Stillschweigen.

Grimaud schaute umher, nahm eine Stange, die zufällig in einem Winkel lag, und ehe der Wirt sich seinem Vorhaben widersetzen konnte, hatte er die Tür eingestoßen.

Das Zimmer war von Blut überströmt, das durch die Matratze drang. Der Verwundete sprach nicht, sondern röchelte. Der Mönch war verschwunden.

Der Mönch! wo ist der Mönch? rief der Wirt.

Grimaud lief nach einem offenen Fenster, das nach dem Hofe ging.

Er wird hier hinaus entflohen sein! rief er.

Ihr glaubt? sprach der Wirt ganz bestürzt. Hausknecht, seht nach, ob das Maultier des Mönches im Stalle ist!

Kein Maultier mehr, antwortete dieser.

Grimaud näherte sich dem Verwundeten und schaute seine rauhen Züge an, die eine furchtbare Erinnerung in ihm hervorriefen. Nach einem Augenblick stummer, düsterer Betrachtung sagte er: Es unterliegt keinem Zweifel, er ist es!

Lebt er noch? fragte der Wirt.

Ohne zu antworten, öffnete Grimaud sein Wams, um ihm das Herz zu befühlen, während sich der Wirt ebenfalls näherte. Wer Plötzlich wichen beide zurück, der Wirt stieß einen Schrei des Schreckens aus, und Grimaud erblaßte. Die Klinge eines Dolches war dem Toten bis ans Heft in die linke Seite der Brust gestoßen.

Lauft nach Hilfe! sprach Grimaud; ich bleibe bei ihm.

Der Wirt eilte ganz bestürzt aus dem Zimmer. Die Frau war bei dem Schrei ihres Mannes entflohen.

Die Absolution

Man höre, was geschehen war.

Sobald der Mönch im Zimmer war, näherte er sich dem Verwundeten. Dieser betrachtete das Gesicht dessen, der sein Tröster werden sollte; er machte eine Bewegung des Erstaunens und sagte:

Ihr seid sehr jung, mein Vater. – Die Leute meines Gewandes haben kein Alter, antwortete der Mönch trocken. – Ach, sprecht doch etwas sanfter, mein Vater, versetzte der Verwundete, ich bedarf eines Freundes in meinen letzten Augenblicken. – Ihr leidet viel? sagte der Mönch. – Ja, aber mehr in der Seele, als im Leibe. – Wir werden Eure Seele retten, erwiderte der junge Mann; aber seid Ihr wirklich der Henker von Bethune, wie diese Leute sagen? – Das heißt, antwortete lebhaft der Verwundete, das heißt, ich bin es gewesen, bin es aber nicht mehr. Ich habe vor fünfzehn Jahren mein Amt aufgegeben, wohne Hinrichtungen noch bei, schlage aber nicht mehr. O nein! – Ihr habt also Abscheu vor Eurem Stande?

Der Henker stieß einen tiefen Seufzer aus und sagte: Solange ich nur im Namen des Gesetzes und der Gerechtigkeit geschlagen habe, ließ mich mein Stand, da ich unter der Gerechtigkeit und dem Gesetze geschützt war, ruhig schlafen; aber seit der furchtbaren Nacht, wo ich als Werkzeug für eine Privatrache diente und mein Schwert mit Haß gegen ein Geschöpf Gottes erhob, seit dieser Nacht …

Der Henker hielt inne und schüttelte mit verzweifelter Miene den Kopf.

Sprecht, sagte der Mönch, der sich unten an den Fuß des Bettes gesetzt hatte und der Erzählung mit brennenden Augen folgte.

Ach! rief der Sterbende mit dem ganzen Erguß eines lange zurückgehaltenen Schmerzes, der sich endlich Lust macht, ach! ich habe diese Gewissensbisse durch zwanzig Jahre guter Werke zu beschwichtigen gesucht. Ich habe der Erde menschliche Existenzen erhalten, als Ersatz für die, welche ich ihr geraubt hatte. Das in der Ausübung meines Gewerbes von mir errungene Vermögen habe ich unter die Armen verteilt; ich bin ein beständiger Kirchenbesucher geworden. Aber ich glaube, daß mir Gott nicht verziehen hat; denn die Erinnerung an jene Hinrichtung verfolgt mich beständig, und es kommt mir jede Nacht vor, als sähe ich das Gespenst jener Frau vor meinen Augen sich erheben.

Einer Frau? Ihr habt also eine Frau ermordet? rief der Mönch.

Und Ihr auch? erwiderte der Henker; Ihr bedient Euch auch des Ausdrucks, der so furchtbar in meinem Ohre klingt? Ermordet! Ich habe also gemordet und nicht hingerichtet! Ich bin also ein Mörder und nicht ein Nachrichter!

Und er schloß die Augen und stieß einen Seufzer aus.

Der Mönch fürchtete ohne Zweifel, er könnte sterben, ohne mehr zu sagen; denn er versetzte lebhaft: Fahrt fort, ich weiß nichts, und wenn Ihr Eure Erzählung geendigt habt, werden Gott und ich richten.

An einem Abend, begann der Henker, ohne die Augen zu öffnen, als fürchte er, etwas Entsetzliches vor sich zu sehen, erschien ein Mann bei mir und zeigte mir einen Befehl. Ich folgte. Vier andere vornehme Herren erwarteten mich; sie führten mich maskiert mit sich. Ich nahm mir vor, mich zu weigern, wenn mir das, was man von mir fordern würde, ungerecht vorkäme. Nach fünf oder sechs Meilen eines schweigsamen Marsches zeigten sie mir durch die Fenster einer kleinen Hütte eine mit dem Ellbogen auf den Tisch gelehnte Frau und sagten zu mir: Diese habt Ihr hinzurichten. – Gräßlich! sprach der Mönch. Und Ihr gehorchtet? – Mein Vater, diese Frau war ein Ungeheuer. Sie hatte, wie man sagte, ihren zweiten Gatten vergiftet und ihren Schwager, der sich unter diesen Männern befand, zu vergiften gesucht. Sie hatte kurz zuvor eine junge Frau, die ihre Nebenbuhlerin war, vergiftet, und, ehe sie England verließ, Buckingham, den Liebling des Königs, erdolchen lassen. – Buckingham? rief der Mönch. – Ja, Buckingham, so ist es. – Diese Frau war also eine Engländerin? – Nein, sie war eine Französin, aber in England verheiratet.

Der Mönch erbleichte, trocknete seine Stirn und verschloß die Tür mit einem Riegel. Der Henker glaubte, er wolle ihn verlassen, und fiel seufzend auf sein Bett zurück.

Nein, nein, hier bin ich, versetzte der Mönch, rasch zu ihm zurückkehrend; fahrt fort, wer waren diese Männer? – Der eine war ein Fremder, ein Engländer, glaube ich. Die andern waren Franzosen und trugen die Uniform der Musketiere. – Ihre Namen? fragte der Mönch. – Ich kenne sie nicht; ich weiß nur, daß die vier andern Herren den Engländer Mylord nannten. – Und die Frau war schön? – Schön und jung! Oh! ja, besonders schön. Ich sehe sie noch, wie sie mit zurückgeworfenem Kopfe vor mir auf den Knien lag und mich anflehte. Ich habe später nie begriffen, wie ich diesen so schönen und so bleichen Kopf abschlagen konnte.

Der Mönch schien von einer seltsamen Bewegung ergriffen. Er zitterte an allen Gliedern; man sah, daß er eine Frage machen wollte, daß er es aber nicht wagte.

Endlich sagte er nach einer gewaltsamen Selbstüberwindung: Der Name dieser Frau? – Ich weiß ihn nicht. Sie hatte sich, wie ich Euch sagte, zweimal verheiratet, einmal in Frankreich, das zweite Mal in England. – Und sie war jung, sagt Ihr? – Fünfundzwanzig Jahre. – Schön? – Zum Entzücken. – Blond? – Ja. – Lange Haare, nicht wahr … die ihr bis auf die Schultern herabfielen? – Ja. – Große Augen von wunderbarem Ausdruck? – Wenn sie wollte. Oh! ja, so ist es. – Eine Stimme von seltsamer Weichheit? – Woher wißt Ihr dies?

Der Henker stützte sich mit dem Ellbogen auf sein Bett und heftete einen erschrockenen Blick auf den Mönch, der leichenblaß wurde.

Und Ihr habt sie getötet! sprach der Mönch; Ihr habt diesen Elenden, die sie nicht selbst zu töten wagten, als Werkzeug gedient! Ihr habt mit dieser Jugend, mit dieser Schönheit, mit dieser Schwäche kein Mitleid gehabt! Ihr habt diese Frau getötet! – Ach! versetzte der Henker, ich habe es Euch gesagt, mein Vater, diese Frau verbarg unter einer himmlischen Hülle einen höllischen Geist, und als ich sie sah und mich des Bösen erinnerte, das sie mir zugefügt hatte… – Euch? Und was hatte sie Euch tun können? – Sie hatte meinen Bruder, der ein Priester war, verführt und zu Grunde gerichtet; sie war mit ihm aus ihrem Kloster entflohen. – Mit Eurem Bruder? – Ja, mein Bruder war ihr erster Liebhaber; sie war am Tode meines Bruders schuld! Oh! mein Vater! mein Vater! schaut mich nicht so an! Oh! ich bin also sehr schuldig. Oh! Ihr vergebt mir also nicht!

Der Mönch verzog sein Gesicht.

Doch wohl, ich werde Euch vergeben, wenn Ihr mir alles sagt. – Oh! rief der Henker, alles! alles! alles! – So antwortet also… Wenn sie Euren Bruder verführt hat … Ihr sagt, sie habe ihn verführt, nicht wahr? – Ja. – Wenn sie seinen Tod veranlaßt hat… Ihr sagt, sie habe seinen Tod veranlaßt, nicht wahr? – Ja, wiederholte der Henker. – So müßt Ihr ihren Familiennamen kennen. – Oh! mein Gott! sprach der Henker, mein Gott! ich glaube, ich sterbe. Die Absolution, mein Vater, die Absolution! – Sage mir ihren Namen! rief der Mönch, und ich gebe sie dir! – Sie hieß … mein Gott, habe Gnade mit mir! murmelte der Henker und sank bleich, zitternd, wie ein Sterbender auf sein Bett zurück. – Ihren Namen! wiederholte der Mönch und beugte sich über ihn, als gedächte er ihm diesen Namen zu entreißen, wenn er ihn nicht nennen wollte; ihren Namen! … sprich, oder keine Absolution!

Der Sterbende schien alle seine Kräfte zusammenzuraffen. Die Augen des Mönchs funkelten.

Anna von Breuil, murmelte der Sterbende. – Anna von Breuil! rief der Mönch, sich hoch ausrichtend und seine Hände zum Himmel erhebend, Anna von Breuil, du hast gesagt, Anna von Breuil, nicht wahr? – Ja, ja, das war ihr Name, und jetzt absolviert mich, denn ich sterbe. – Ich dich absolvieren? Ich bin kein Priester! – Ihr seid kein Priester! rief der Henker; aber was seid Ihr denn? – Ich werde es dir sagen, Elender! – Ah! Herr! mein Gott! – Ich bin John Francis Winter. – Ich kenne Euch nicht! rief der Henker. – Warte, warte, du sollst mich kennen lernen; ich bin John Francis Winter, und jene Frau… war meine Mutter.

Der Henker stieß den ersten Schrei aus, den furchtbaren Schrei, den man außen gehört hatte.

Oh! vergebt mir, vergebt mir, wenn nicht im Namen Gottes, doch wenigstens in Eurem Namen, wenn nicht als Priester, doch wenigstens als Sohn.

Dir vergeben! rief der falsche Mönch, dir vergeben! Gott wird es vielleicht tun, ich nie!

Habt Mitleid! sprach der Henker und streckte die Arme nach ihm aus.

Kein Mitleid für den, der kein Mitleid gehabt hat; stirb unbußfertig, stirb in Verzweiflung; stirb und sei verdammt.

Und er zog einen Dolch unter seinem Gewande hervor, bohrte ihn dem Unglücklichen in die Brust und sprach: Hier hast du deine Absolution!

Da hörte man den zweiten, schwächeren Schrei, worauf ein langes Seufzen gefolgt war.

Der Henker, der sich erhoben hatte, fiel rücklings auf sein Bett zurück. Der Mönch lief, ohne den Dolch aus der Wunde zu ziehen, nach dem Fenster, öffnete es, sprang auf die Blumen eines Gärtchens, schlüpfte in den Stall, nahm sein Maultier, entfernte sich durch eine Hintertür, eilte in den nächsten Wald, zog aus seinem Felleisen eine vollständige Reitertracht, kleidete sich darein, erreichte zu Fuß die nächste Post, mietete ein Pferd und setzte mit verhängten Zügeln seinen Weg nach Paris fort.

Grimaud blieb allein bei dem Henker. Der Wirt rief nach Hilfe, die Frau betete. Nach einem Augenblick schlug der Verwundete die Augen wieder auf.

Hilfe! murmelte er, Hilfe! Oh, mein Gott, sollte ich nicht einen einzigen Freund finden, der mir leben oder sterben hilft!

Und er führte mit großer Anstrengung die Hand an seine Brust; seine Hand traf den Griff des Dolches.

Oh! sagte er, wie ein Mensch, der sich eines Umstandes erinnert, und ließ den Arm wieder zurückfallen.

Habt Mut, sprach Grimaud, man holt bereits Hilfe. – Wer seid Ihr? fragte der Verwundete und heftete seine weit aufgerissenen Augen auf Grimaud. – Ein alter Bekannter, antwortete Grimaud. – Ihr?

Der Verwundete suchte sich die Züge dessen, den er vor sich sah, zu erinnern. Grimaud erzählte ihm kurz, welchen Anteil er an den Ereignissen der verhängnisvollen Nacht genommen habe. – Und der Mönch, sprach der Henker, habt Ihr den Mönch gesehen? – Nein, er war bereits nicht mehr da; es scheint, er ist durch dieses Fenster entflohen. Hat er Euch gestochen? – Ja, erwiderte der Henker.

Grimaud machte eine Bewegung, als wollte er sich entfernen.

Was wollt Ihr tun? fragte der Verwundete. – Man muß ihm nachsetzen. – Hütet Euch wohl! – Und warum? – Er hat sich gerächt und wohl daran getan. Nun hoffe ich, Gott wird mir verzeihen, denn die Sühnung ist geschehen. – Erklärt Euch deutlicher, sprach Grimaud.

Diese Frau, die ich auf Eurer Herren und auf Euer Geheiß tötete… – Mylady … – Ja, Mylady, es ist wahr, so nanntet Ihr sie. – Was haben Mylady und der Mönch miteinander gemein? – Sie war seine Mutter.

Grimaud wankte und schaute den Sterbenden mit starrem Auge an.

Seine Mutter! wiederholte er. – Ja, seine Mutter. – Er weiß also dieses Geheimnis? – Ich hielt ihn für einen Mönch und enthüllte es ihm in der Beichte. – Unglücklicher! rief Grimaud, dessen Haare schon beim Gedanken an die Folgen, die eine solche Enthüllung haben konnte, sich in Schweiß badeten. Unglücklicher! Ihr habt hoffentlich niemand genannt. – Ich habe keinen Namen ausgesprochen, denn ich kannte keinen, außer dem Mädchennamen seiner Mutter, und hieran hat er sie erkannt; aber er weiß, daß sein Oheim unter der Zahl der Richter war.

Und der Verwundete sank erschöpft zurück.

Wohin reist er? fragte Grimaud. – Nach Paris. – Wer hat ihn angehalten? – Zwei junge Edelleute, die sich zur Armee begaben, und von denen der eine, ich hörte seinen Namen von seinem Kameraden aussprechen, Vicomte von Bragelonne heißt. – Und dieser junge Mensch hat Euch den Mönch gebracht. – Ja.

Grimaud schlug die Augen zum Himmel auf und sprach: Es war der Wille Gottes. – Sicherlich, versetzte der Verwundete. – Ah, das ist furchtbar, murmelte Grimaud, und dennoch hatte diese Frau ihr Schicksal verdient. Ist dies nicht mehr Eure Ansicht? – Im Augenblick des Sterbens, antwortete der Henker, findet man die Verbrechen anderer sehr klein, wenn man sie mit seinen eigenen vergleicht.

Und er sank wieder erschöpft zurück und schloß die Augen.

Grimaud hörte jetzt Geräusch im Hausflur und sah einen Augenblick darauf den Wirt mit dem endlich aufgefundenen Wundarzte zurückkehren. Dieser näherte sich dem Sterbenden, der ohnmächtig zu sein schien.

Man muß zuerst das Eisen aus der Brust ziehen, sagte er und schüttelte auf eine bezeichnende Weise den Kopf, dann schob er das Wams auf die Seite, zerriß das Hemd und entblößte die Brust. Der Dolch war, wie gesagt, bis an das Stichblatt eingedrungen.

Der Chirurg nahm ihn am Ende des Griffes; während er ihn an sich zog, öffnete der Verwundete die Augen, die entsetzlich starr blickten. Kaum war die Klinge aus der Wunde gezogen, so drang ein rötlicher Schaum aus dem Munde des Verwundeten hervor; dann sprang in dem Augenblick, wo er atmete, eine Blutwelle aus der Öffnung der Wunde; mit einem halb erstickten Röcheln heftete der Sterbende einen seltsamen Blick auf Grimaud und verschied.

Grimaud faßte den mit Blut überzogenen Dolch, machte dem Wirt ein Zeichen, ihm zu folgen, bezahlte die Zeche mit einer seines Herrn würdigen Großmut und stieg wieder zu Pferde. Nach kurzem Schwanken, ob er geradeswegs nach Paris zurückkehren, oder seinen jungen Herrn aufsuchen sollte, entschied er sich für das letztere. Nach zehn Minuten war er in Mazingarde, wo sein Herr mit dem Grafen Guiche und dessen Hofmeister, noch schwermütig unter dem Eindruck des eben erlebten Ereignisses, in der einzigen Herberge zu Tische saß.

Plötzlich öffnete sich die Tür und Grimaud erschien, bleich, bestaubt, noch bedeckt von dem Blut des unglücklichen Verwundeten.

Grimaud, mein guter Grimaud, du bist endlich hier? Entschuldigt, meine Herren, es ist kein Diener, sondern ein Freund.

Und er stand auf, lief auf ihn zu und fuhr fort: Wie geht es dem Herrn Grafen? Vermißt er mich ein wenig? Hast du ihn seit unserer Trennung gesehen? Aber ich habe dir auch viel mitzuteilen. Seit drei Tagen sind uns viele Abenteuer begegnet. Doch was hast du? Wie bleich siehst du aus? Blut? Warum dieses Blut? – In der Tat, er hat Blut an sich, sprach der Graf, sich erhebend. Seid Ihr verwundet, mein Freund? – Nein, gnädiger Herr, antwortete Grimaud, dieses Blut ist nicht von mir. – Sondern von wem? fragte Raoul. – Es ist das Blut des Unglücklichen, den Ihr in der Herberge zurückgelassen habt, und der in meinen Armen verschieden ist. – Dieser Mensch in deinen Armen! Weißt du, wer er war? – Ja, erwiderte Grimaud. – Es war der ehemalige Henker von Bethune. – Ich weiß es. – Du kanntest ihn? – Ich kannte ihn. – Und er ist tot? – Ja, sprach Grimaud.

Die jungen Leute schauten sich an.

Zunächst aber, sagte Raoul, laß dir eine Erfrischung auftragen, Grimaud, und wenn du ausgeruht hast, sprechen wir miteinander. – Nein, Herr, nein, entgegnete Grimaud, ich kann mich keinen Augenblick aufhalten, ich muß sogleich nach Paris zurückkehren. – Wie? Du kehrst nach Paris zurück? Du täuschest dich; Olivain geht ab, du bleibst.

Im Gegenteil, Olivain bleibt, und ich reise; ich bin gerade deshalb gekommen, um es Euch mitzuteilen. – Aber warum diese Veränderung? – Ich kann es Euch nicht sagen. – Erkläre dich! – Ich kann mich nicht erklären. – Was soll dieser Scherz bedeuten? – Der Herr Vicomte weiß, daß ich nie scherze. – Ja, ich weiß aber auch, daß der Graf de la Fère gesagt hat, du solltest bei mir bleiben und Olivain würde nach Paris zurückkehren. Ich werde die Befehle des Herrn Grafen befolgen. – Unter diesen Umständen nicht. – Solltest du mir etwa ungehorsam sein? – Ja, gnädiger Herr, denn ich muß. – Du beharrst also darauf? – Ja, ich gehe. Alles Glück, Herr Vicomte.

Und Grimaud verbeugte sich und wandte sich nach der Türe, um wegzugehen; zugleich wütend und beunruhigt, lief ihm Raoul nach, hielt ihn am Arme und rief: Grimaud, bleib, ich will es haben.

Dann wollt Ihr, daß ich den Grafen töten lasse? sprach Grimaud.

Grimaud grüßte und schickte sich an, wegzugehen.

Grimaud, mein Freund, sagte der Vicomte, du wirst nicht so weggehen, wirst mich nicht in einer solchen Unruhe lassen. Grimaud, sprich, sprich ums Himmels willen.

Raoul wankte und fiel auf einen Sessel zurück.

Ich kann Euch nur eines sagen, gnädiger Herr, denn das Geheimnis, das Ihr wissen wollt, ist nicht das meinige. Ihr seid einem Mönche begegnet, nicht wahr? – Ja.

Die jungen Leute schauten sich erschrocken an.

Ihr habt ihn zu dem Verwundeten geführt? – Ja. – Ihr habt also Zeit gehabt, ihn zu sehen? – Ja. – Und vielleicht würdet Ihr ihn wiedererkennen, wenn Ihr ihn je treffen solltet? – O ja, ich schwöre es. – Und auch ich, sprach Guiche. – Nun wohl, wenn Ihr ihn je trefft, sagte Grimaud, wo es auch sein mag, im freien Feld, in der Straße einer Stadt, in einer Kirche, überall, wo Ihr mit ihm zusammentrefft, setzt den Fuß auf ihn und zertretet ihn ohne Mitleid, wie Ihr es mit einer Schlange machen würdet, zertretet ihn und verlaßt ihn nicht eher, als bis er tot ist.

Und ohne ein Wort beizufügen, benutzte Grimaud das angstvolle Erstaunen, worein er seine Zuhörer versetzt hatte, um sich eilig zu entfernen.

Zwei Minuten nachher hörte man auf der Straße den Galopp eines Pferdes. Raoul lief ans Fenster.

Es war Grimaud, der wieder den Weg nach Paris einschlug. Er grüßte den Vicomte mit dem Hut und verschwand bald an der Straßenecke.

Der Tag vor der Schlacht

Raoul wurde seinen düsteren Betrachtungen durch den Wirt entzogen, der hastig in das Zimmer trat, wo die von uns erzählte Szene vorgefallen war, und ausrief: Die Spanier! die Spanier!

Die jungen Leute zogen Erkundigungen ein und erfuhren, daß der Feind wirklich über Houdain und Bethune heranrückte. Während Herr d’Arminges Befehle gab, die Pferde, die eben fraßen, marschfertig zu halten, begaben sich die jungen Leute an das Fenster des Hauses, das die Umgegend beherrschte, und sahen wirklich auf der Seite von Mersin und Sains ein zahlreiches Korps von Fußgängern und Reitern zum Vorschein kommen.

Es blieb also nichts anderes übrig, als dem weisen Rat des Herrn d’Arminges zu folgen und sich zurückzuziehen.

Die jungen Leute stiegen rasch hinab, Herr d’Arminges war bereits zu Pferde. Der kleine Trupp schlug den Weg nach Cambrin ein, wo man den Prinzen zu finden glaubte; aber er war seit dem vorhergehenden Tage nicht mehr hier und hatte sich, getäuscht durch die falsche Nachricht, daß der Feind in Estaire über die Lys setzen müsse, nach Bassée zurückgezogen.

Die Nachricht hatte den Prinzen bewogen, seine Truppen von Bethune zu entfernen und alle seine Streitkräfte zwischen Vieille-Chapelle und Venthie zusammenzuziehen. Er selbst aber war mit dem Marschall von Grammont auf Erkundigung ausgeritten; auch hatte er Offiziere zu diesem Zwecke ausgesandt, aber keiner wußte bestimmte Mitteilungen zu machen. Die feindliche Armee war seit achtundvierzig Stunden ganz und gar verschwunden.

Nun ist aber nie ein feindliches Heer so bedrohlich, als wenn es gänzlich verschwunden ist. Der Prinz, der sich eben zu Tisch gesetzt hatte, war gegen seine Gewohnheit verdrießlich und sorgenvoll, als ein Offizier vom Dienst eintrat und dem Marschall von Grammont meldete, es wünsche ihn jemand zu sprechen.

Der Herzog von Grammont bat den Prinzen mit einem Blicke um Erlaubnis und entfernte sich.

Plötzlich erscholl ein dumpfer Lärm, der Prinz erhob sich lebhaft und streckte die Hand nach der Gegend aus, von welcher der Lärm kam. Dieser Lärm war ihm wohl bekannt, es war Kanonendonner.

Alle hatten sich erhoben. In diesem Augenblick wurde die Tür wieder geöffnet, und der Marschall von Grammont sprach, strahlend vor Freude: Erlaubt Eure Hoheit, daß ihr mein Sohn, der Graf von Guiche, und sein Reisegefährte, der Vicomte von Bragelonne, die Aufschlüsse über den Feind geben, die wir suchen und die sie gefunden haben?

Wie? sprach der Prinz lebhaft, ob ich es erlaube? Ich erlaube es nicht nur, sondern ich wünsche, daß sie sogleich eintreten.

Der Marschall führte die jungen Leute ein, und diese befanden sich dem Prinzen gegenüber.

Sprecht, meine Herren, sagte der Prinz, sie begrüßend, sprecht zuerst, dann wollen wir uns die üblichen Komplimente machen. Das dringendste für uns ist jetzt, zu erfahren, wo der Feind steht und was er tut.

Der Graf von Guiche erzählte also, was sie in dem Gasthause zu Mazingarde gesehen hatten. Während dieser Zeit betrachtete Raoul den jungen General, der sich bereits durch die Schlachten von Rocroy, Freiburg und Nördlingen so großen Ruhm erworben hatte.

Ludwig von Bourbon, Prinz von Condé, den man seit dem Tode Heinrichs von Bourbon, seines Vaters, der Kürze halber und nach der Gewohnheit der Zeit Herr Prinz nannte, war ein junger Mann von höchstens sechs- bis siebenundzwanzig Jahren, mit einem Adlerblicke, einer gebogenen Nase, langen in Locken herabflatternden Haaren, von mittlerem, aber schönem Wuchse. Er besaß alle Eigenschaften eines großen Kriegers, d. h. scharfen Blick, rasche Entschlossenheit, fabelhaften Mut, was ihn nicht abhielt, zu gleicher Zeit ein Mann von Eleganz und Witz zu sein, so daß er außer der Revolution, die er durch neue Einrichtungen und strategische Erfindungen in den Krieg brachte, auch in Paris eine Revolution unter den jungen Leuten des Hofes gemacht hatte, deren natürlicher Führer er war, und die man im Gegensatz zu den Elegants des alten Hofes, für die Bassompierre, Bellegarde und der Herzog von Angoulême als Muster gedient hatten, Petits-Maitres nannte.

Bei den ersten Worten des Grafen von Guiche und aus der Richtung, woher der Kanonendonner kam, hatte der Prinz alles begriffen. Der Feind mußte in Saint-Venant über die Lys gesetzt haben und gegen Lens marschieren, ohne Zweifel in der Absicht, sich dieser Stadt zu bemächtigen und das französische Heer zu trennen.

Aber von welcher Stärke war diese Truppe? War es ein Korps, das bloß eine einfache Diversion veranstalten sollte, oder die ganze Armee?

Da Guiche diese Frage nicht zu beantworten vermochte und schwieg, überwand Raoul das sehr natürliche Gefühl der Schüchternheit, das sich seiner Person dem Prinzen gegenüber bemächtigte, und sprach, sich, ihm nähernd: Wird Monseigneur erlauben, einige Worte über diesen Gegenstand zu wagen, welche ihn vielleicht der Verlegenheit entheben?

Der Prinz wandte sich um und schien den jungen Mann mit einem einzigen Blick zu umfassen. Er lächelte, als er in ihm einen Knaben von kaum fünfzehn Jahren erkannte.

Allerdings, mein Herr, sprecht, sagte er, seine kräftige Stimme sänftigend, als richte er das Wort an eine Frau.

Monseigneur könnte den gefangenen Spanier befragen, erwiderte Raoul errötend.

Ihr habt einen Spanier zum Gefangenen gemacht? rief der Prinz.

Ja, Monseigneur.

Ah, es ist wahr! versetzte Guiche, ich hatte es vergessen.

Das ist ganz erklärlich, denn Ihr habt ihn gefangen genommen, sprach Raoul lächelnd.

Der alte Marschall wandte sich, dankbar für das seinem Sohne gespendete Lob, gegen den Vicomte um, während der Prinz ausrief: Dieser Jüngling hat recht, man führe den Spanier herbei.

Mittlerweile nahm der Prinz den jungen Guiche beiseite und befragte ihn über die Art und Weise, wie sie den Spanier zum Gefangenen gemacht hatten, und wer dieser Jüngling sei.

Mein Herr, sagte der Prinz, zu Raoul zurückkehrend, ich weiß, daß Ihr einen Brief von meiner Schwester, der Frau von Longueville, bei Euch habt; aber ich sehe, daß Ihr es vorzogt, Euch durch einen guten Rat, den Ihr mir erteiltet, selbst zu empfehlen.

Monseigneur, versetzte Raoul errötend, ich wollte Euer Hoheit nicht in dem so wichtigen Gespräch mit dem Herrn Grafen unterbrechen; doch hier ist der Brief.

Es ist gut, entgegnete der Prinz; Ihr werdet ihn mir später geben. Hier kommt der Gefangene. Denken wir an das Wichtigere.

Man brachte sofort den Parteigänger. Es war einer von den Condottieri, wie man sie in jener Zeit noch fand, Leute, die in schlimmen Streichen aller Art ergraut waren und ihr Blut an jeden verkauften, der es bezahlen wollte. Seitdem er gefangen war, hatte er kein einziges Wort gesprochen, so daß die, welche ihn festgenommen hatten, nicht einmal wußten, welcher Nation er angehörte.

Der Prinz schaute ihn mit einer Miene unbeschreiblichen Mißtrauens an.

Von welcher Nation bist du? fragte der Prinz.

Der Gefangene erwiderte einige Worte in fremder Sprache.

Ah, ah! es scheint, er ist ein Spanier. Sprecht Ihr Spanisch, Grammont?

Wahrhaftig, Monseigneur, sehr wenig. Nur Raoul war imstande, den Mann im reinsten Kastilianisch anzureden, der Gefangene erwiderte aber, er sei Deutscher, worauf ihn Raoul zu des Prinzen Verwunderung auch in dieser Sprache und schließlich noch italienisch zu fragen vermochte. Es war aber nichts aus dem Mann herauszubringen.

Es ist gut, sprach der Prinz, der die Ursache dieser Unwissenheit wohl begriff, dieser Mensch ist plündernd und mordend gefangengenommen worden. Er hätte sein Leben durch Sprechen erkaufen können; er will nicht sprechen. Führt ihn weg und laßt ihn über die Klinge springen.

Der Gefangene erbleichte. Die zwei Soldaten, die ihn herbeigebracht hatten, nahmen ihn an den Armen und führten ihn zur Tür, während der Prinz sich gegen den Marschall von Grammont umwandte und seinen Befehl bereits vergessen zu haben schien.

Auf der Türschwelle blieb der Gefangene stehen. Die Soldaten wollten ihn zwingen, weiterzugehen. – Einen Augenblick, sagte der Gefangene französisch; ich bin bereit zu sprechen, Monseigneur. – Ah, ah! rief der Prinz, ich wußte wohl, daß es zuletzt so kommen würde. Ich habe ein vortreffliches Mittel, die Zungen zu lösen. Benutzt es, ihr jungen Leute, wenn ihr einmal kommandieren werdet. – Aber unter der Bedingung, fuhr der Gefangene fort, daß mir Eure Hoheit durch einen Eid mein Leben sichert. – Auf mein adliges Ehrenwort, sprach der Prinz. – Dann fragt, Monseigneur. – Wo ist das Heer über die Lys gesetzt? – Zwischen Saint Benant und Aire. – Von wem wird es befehligt? – Von dem Grafen von Fuensaldagna, von dem General Beck und von dem Erzherzog in Person. – Aus wieviel Mann besteht es? – Aus 18 000 Mann und 36 Feldstücken. – Und es marschiert? – Gegen Lens.

Ihr seht, meine Herren! rief der Prinz, sich mit triumphierender Miene gegen den Marschall von Grammont und die übrigen Offiziere umwendend.

Ja, Monseigneur, sagte der Marschall, Ihr habt erraten, was dem menschlichen Genie zu erraten möglich ist.

Ruft le Plessis-Belliève, Villequier und d’Erlac zurück, sagte der Prinz; ruft alle Truppen zurück, die diesseits der Lys stehen; sie sollen sich bereit halten, noch in dieser Nacht zu marschieren. Morgen greifen wir aller Wahrscheinlichkeit nach den Feind an.

Aber bedenkt, Monseigneur, sprach der Marschall von Grammont, daß wir, wenn wir unsere ganze verfügbare Mannschaft sammeln, kaum die Zahl von 13 000 Mann erreichen werden.

Mein Herr Marschall, entgegnete der Prinz, mit den kleinen Heeren gewinnt man die großen Schlachten. Graf von Guiche, fuhr er fort, Ihr habt lange Zeit Euern Vater nicht gesehen; bleibt bei ihm, und Ihr, Vicomte, wenn Ihr nicht zu müde seid, so folgt mir.

Bis ans Ende der Welt, Monseigneur! rief Raoul, der für diesen jungen General, der ihm seines Rufes so würdig schien, eine grenzenlose Begeisterung fühlte.

Der Prinz lächelte. Er verachtete die Schmeichler, aber er schätzte die Enthusiasten.

Wohlan, mein Herr, sagte er, Ihr seid gut im Rate, wir haben soeben einen Beweis davon erhalten; morgen werden wir sehen, wie Ihr bei der Tat seid…

Und ich, Monseigneur, sprach der Marschall, was soll ich tun?

Bleibt, um die Truppen zu empfangen. Entweder werde ich sie selbst holen, oder ich schicke einen Eilboten, damit Ihr mir sie zuführt. Zwanzig gut berittene Wachen, das ist alles, was ich zu meinem Geleite brauche.

Das ist sehr wenig, versetzte der Marschall.

Genug, entgegnete der Prinz. Habt Ihr ein gutes Pferd, Herr von Bragelonne?

Das meinige ist diesen Morgen getötet worden, und ich reite einstweilen das Pferd meines Bedienten.

Verlangt und wählt selbst in meinen Ställen ein Pferd, welches Euch zusagt. Keine falsche Scham. Nehmt, was Euch am besten dient. Ihr braucht es vielleicht heute abend und morgen ganz gewiß.

Raoul ließ sich das nicht zweimal sagen. Als er zurückkehrte, sagte der Prinz, der eben zu Pferde stieg: Nun, mein Herr, gebt mir den Brief, dessen Überbringer Ihr seid.

Raoul überreichte den Brief.

Haltet Euch in meiner Nähe, mein Herr, sagte der Prinz.

Er gab seinem Pferde die Sporen, hing den Zaum auf den Sattelknopf, wie dies seine Gewohnheit war, wenn er die Hände frei haben wollte, entsiegelte den Brief der Frau von Longueville und entfernte sich, begleitet von Raoul, im Galopp aus der Straße nach Lens, während die Boten, die die Truppen zurückrufen sollten, in entgegengesetzten Richtungen mit verhängten Zügeln fortsprengten.

Der Prinz las während seines eiligen Rittes.

Mein Herr, sprach er nach einem Augenblick, man sagt mir alles mögliche Gute von Euch! Ich habe Euch nur eins zu bemerken, nämlich, daß ich nach dem wenigen, was ich von Euch gesehen und gehört habe, noch mehr von Euch denke, als man mir sagt.

Raoul verbeugte sich. Bei jedem Schritt, der die kleine Truppe gegen Lens führte, erklangen indessen die Kanonenschüsse näher und näher, was den Prinzen zu elektrisieren schien. Endlich hörte man den Donner der Kanonen so nahe, daß man offenbar nur noch eine Meile vom Schlachtfelde entfernt war. An der Wendung der Straße erblickte man das kleine Dorf Aunay. Die Bauern waren in großer Bestürzung. Das Gerücht von den Grausamkeiten der Spanier hatte sich verbreitet und erfüllte alles mit Schrecken. Die Weiber waren bereits gegen Vitry geflohen; einige Männer blieben allein.

Beim Anblick des Prinzen liefen sie herbei. Einer erkannte ihn.

Ach, Monseigneur, sprach er, kommt Ihr, um alle diese Schurken von Spaniern und alle diese Räuber von Lothringern zu verjagen? – Ja, antwortete der Prinz, wenn du mir als Führer dienen willst. – Gern, Monseigneur, wohin soll ich Eure Hoheit führen? – An einen erhabenen Ort, von wo aus ich Lens und seine Umgebung sehen kann. – Das soll geschehen, und was weiter? – Kann ich mich dir anvertrauen? Bist du ein guter Franzose? – Ich bin ein alter Soldat von Rocroy, Monseigneur. – Halt, sagte der Prinz und gab ihm seine Börse, das ist für Rocroy. Willst du nun ein Pferd, oder ziehst du es vor, zu Fuße zu gehen? – Zu Fuße, Monseigneur, zu Fuße, ich habe immer bei der Infanterie gedient. Überdies gedenke ich Eure Hoheit auf Wegen zu führen, wo Ihr selbst abzusteigen genötigt sein werdet. – Vorwärts sprach der Prinz, und keine Zeit verloren.

Eine halbe Meile marschierte man so unter einer Bedeckung von Bäumen. Die Kanonen erklangen so nahe, daß man bei jedem Schusse hätte glauben sollen, man höre die Kugel Pfeifen. Endlich fand man einen Fußpfad, der vom Wege abging und sich auf der Seite eines Berges hinzog. Der Bauer wählte diesen Fußpfad und forderte den Prinzen auf, ihm zu folgen. Dieser stieg ab, befahl einem seiner Adjutanten und Raoul, dasselbe zu tun, und den andern seine Befehle zu erwarten, dabei aber sehr auf ihrer Hut zu sein, und fing an, den Fußpfad zu ersteigen.

Nach zehn Minuten war man in die Ruinen eines alten Schlosses gelangt. Diese Ruinen bekränzten den Gipfel eines Hügels, von dessen Höhe aus man die ganze Umgegend beherrschte. Auf kaum eine Viertelmeile erblickte man Lens hart bedrängt und vor Lens die ganze feindliche Armee. Mit einem Blick umfaßte der Prinz die ganze Strecke, welche sich vor seinen Augen ausdehnte, von Lens bis Vismy. In einem Augenblick entrollte sich die Walstätte, die am andern Tage Frankreich vor einer Invasion retten sollte, vor seinem Geiste. Er nahm einen Bleistift, riß ein Blatt aus seiner Schreibtasche und schrieb:

Mein lieber Marschall!

In einer Stunde wird Lens in der Gewalt des Feindes sein. Kommt zu mir, bringt das ganze Heer mit. Ich werde in Vendrin sein, um es seine Stellung nehmen zu lassen. Morgen haben wir Lens wieder eingenommen und den Feind geschlagen.

Dann wandte er sich gegen Raoul und sagte:

Geht, Herr, jagt mit verhängten Zügeln und bringt Herrn von Grammont diesen Brief.

Raoul verbeugte sich, nahm das Papier, stieg rasch den Berg hinab, schwang sich auf sein Pferd und ritt im Galopp davon. Eine Viertelstunde nachher war er bei dem Marschall.

Es war sieben Uhr abends, als der Marschall am Sammelplatz anlangte. Der Prinz erwartete ihn daselbst; denn er hatte es gesagt, Lens war beinahe unmittelbar nach dem Abgang Raouls in die Gewalt des Feindes gefallen. Das Einstellen der Kanonade hatte überdies dieses Ereignis verkündigt.

Man erwartete die Nacht. Mit dem Eintritt der Finsternis langten nach und nach die von dem Prinzen herbeibefohlenen Truppen an. Es wurde Befehl gegeben, daß keine Abteilung die Trommel rühren oder die Trompete blasen lassen sollte.

Um neun Uhr war es völlig Nacht geworden. Eine letzte Abenddämmerung erleuchtete indessen die Ebene. Man setzte sich schweigend in Marsch. Der Prinz befehligte die Kolonne.

Jenseits Aunay angelangt, erblickte das Heer Lens. Einige Häuser standen in Flammen, und ein dumpfes Geräusch, das den Todeskampf einer im Sturme genommenen Stadt andeutete, drang bis zu den Soldaten.

Der Prinz bezeichnete jedem seinen Posten. Der Marschall von Grammont sollte die äußerste Linke halten und sich an Mericourt anlehnen. Der Herzog von Chatillon sollte das Zentrum, der Prinz selbst den rechten Flügel bilden und herwärts von Aunay bleiben.

Die Schlachtordnung vom andern Tag sollte der Tags zuvor eingenommenen Stellung genau entsprechen. Jeder sollte sich beim Erwachen auf dem Terrain befinden, wo er zu manövrieren hatte.

Die Bewegung wurde in der tiefsten Stille und mit der größten Pünktlichkeit ausgeführt. Um zehn Uhr nahm jeder seine Stellung ein. Um halb elf durchlief der Prinz die Posten und gab die Parole für den andern Tag.

Er überließ den Grafen von Guiche seinem Vater und behielt Bragelonne für sich; aber die zwei jungen Leute baten um Erlaubnis, die Nacht miteinander zubringen zu dürfen, was ihnen auch bewilligt wurde.

Es wurde für sie ein Zelt in der Nähe des für den Marschall bestimmten aufgeschlagen. Obgleich der Tag ermüdend gewesen war, so fühlte doch keiner von beiden ein Bedürfnis zu schlafen.

Man kann sich denken, daß die beiden Jünglinge am Vorabend ihrer ersten Schlacht von eigenen Gedanken bewegt wurden; nach wenigen Augenblicken setzte sich jeder von ihnen an ein Ende des Zeltes und fing an, auf seinem Schoße zu schreiben. Die Briefe wurden lang; von Zeit zu Zeit schauten sich die jungen Leute lächelnd an; sie verstanden sich, ohne etwas zu sprechen.

Sobald die Briefe vollendet waren, legte jeder den seinigen in zwei Umschläge, so daß man den Namen der Person, an die das Schreiben gerichtet war, nicht lesen konnte, ohne den ersten Umschlag zu zerreißen. Dann tauschten sie ihre Briefe lächelnd aus.

Wenn mir Unglück widerfahren sollte … sagte Bragelonne.

Wenn ich getötet würde… sprach von Guiche.

Seid unbesorgt, sagten alle beide.

Hierauf umarmten sie sich, wie zwei Brüder, hüllten sich in ihre Mäntel und schliefen den jungen, lieblichen Schlaf, den die Vögel, die Blumen und die Jünglinge schlafen.

Herr Jesus!

Als Mordaunt vor das Haus kam, sah er d’Artagnan auf der Schwelle und die Soldaten mit ihren Waffen auf dem Rasen des Gartens herumliegend.

Holla! rief er mit einer infolge seines scharfen Rittes gepreßten Stimme, sind die Gefangenen noch da?

Ja, Herr, sagte der Sergeant, und er sowohl, als seine Leute erhoben sich rasch und fuhren lebhaft mit der Hand an den Hut.

Gut. Vier Mann haben sie in Empfang zu nehmen und sogleich in meine Wohnung zu führen.

Vier Mann machten sich bereit.

Was beliebt? sagte d’Artagnan mit der spöttischen Miene, die ihm so häufig eigen war. Was gibt es, wenn ich bitten darf?

Mein Herr, antwortete Mordaunt, ich habe vier Soldaten den Befehl erteilt, die Gefangenen, die Ihr diesen Morgen gemacht habt, zu übernehmen und in meine Wohnung zu führen.

Und warum das? fragte d’Artagnan. Verzeiht meine Neugierde, aber Ihr begreift, daß mich dieser Gegenstand einigermaßen berührt.

Weil die Gefangenen jetzt mein sind, antwortete Mordaunt hochmütig, und weil ich nach meinem Gefallen über sie verfüge.

Erlaubt, erlaubt, mein junger Herr, entgegnete d’Artagnan, Ihr seid im Irrtum, wie mir scheint. Die Gefangenen gehören gewöhnlich denen, die sich ihrer bemächtigt haben, und nicht denen, die ihrer Festnehmung zusehen; Ihr konntet Mylord Winter gefangen nehmen, der, wie die Leute sagen, Euer Oheim war, Ihr zogt es vor, ihn zu töten, das ist Eure Sache; Herr du Vallon und ich konnten diese zwei Edelleute auch töten, wir zogen es vor, sie gefangen zu nehmen: jeder nach seinem Geschmack.

Mordaunts Lippen wurden weiß.

D’Artagnan begriff, daß die Sache bald eine schlimme Wendung nehmen würde, und fing an, den Gardenmarsch an der Tür zu trommeln.

Beim ersten Takt kam Porthos heraus und stellte sich auf die andere Seite der Tür, deren Öffnung er mit seiner riesenhaften Gestalt voll ausfüllte.

Dieses Manöver entging Mordaunt nicht.

Mein Herr, sagte er mit hervorbrechendem Zorn, Ihr werdet vergeblich Widerstand leisten; diese Gefangenen sind mir soeben von meinem erhabenen Gebieter, dem Obergeneral Herrn Oliver Cromwell, geschenkt worden.

Diese Worte waren ein Donnerschlag für d’Artagnan. Das Blut stieg ihm in den Kopf, eine Wolke zog vor seinen Augen hin, er begriff, welche furchtbare Hoffnung den jungen Menschen beseelte, und seine Hand fuhr mit einer instinktartigen Bewegung nach dem Griff seines Degens.

Porthos schaute d’Artagnan an, um zu erfahren, was er tun sollte, und um sein eigenes Benehmen nach dem seines Freundes einzurichten.

D’Artagnan wurde durch Porthos‘ Blick mehr beunruhigt als beruhigt, und er fing an, sich Vorwürfe zu machen, daß er die rohe Kraft seines Freundes bei einer Angelegenheit zu Hilfe gerufen hatte, die hauptsächlich der List bedurfte.

Gewalttätigkeit, sagte er zu sich selbst, würde uns alle zu Grunde richten; d’Artagnan, mein Freund, beweise dieser jungen Schlange, daß du nicht nur stärker, sondern auch feiner bist, als sie.

Ah! sprach er mit einer tiefen Verbeugung, warum sagtet Ihr das nicht gleich im Anfang, Herr Mordaunt? Wie, Ihr kommt von Herrn Oliver Cromwell, dem berühmtesten Feldherrn unserer Zeit? .

Ich verließ ihn soeben, erwiderte Mordaunt, indem er abstieg und sein Pferd einem Soldaten zu halten gab.

Warum sagtet Ihr dies nicht sogleich, mein lieber Herr? fuhr d’Artagnan fort; ganz England gehört Herrn Cromwell, und da Ihr meine Gefangenen in seinem Namen von mir fordert, so verbeuge ich mich, mein Herr, sie sind Euer, nehmt sie.

Mordaunt rückte strahlend vor, während Porthos ganz verblüfft d’Artagnan anschaute und den Mund öffnete, um zu sprechen.

D’Artagnan trat Porthos auf den Fuß, und dieser begriff, daß sein Freund ein Spiel trieb.

Mordaunt setzte seinen Fuß auf die erste Stufe der Tür und schickte sich, den Hut in der Hand, an, zwischen den zwei Freunden hineinzugehen, wobei er seinen vier Soldaten durch ein Zeichen Befehl gab, ihm zu folgen.

Um Vergebung, sprach d’Artagnan mit dem freundlichsten Lächeln und dem jungen Manne die Hand auf die Schulter legend, wenn der erhabene General Oliver Cromwell über unsere Gefangenen zu Euern Gunsten verfügt hat, so hat er Euch wohl auch eine schriftliche Bestätigung überlassen?

Der junge Mann blieb erstaunt stehen.

Er hat Euch irgend ein Schreiben für mich, einen Fetzen Papier, gegeben, worin bezeugt ist, daß Ihr in seinem Namen kommt? Habt die Güte, mir dieses Papier zu geben, damit ich wenigstens einen Vorwand habe, die Abtretung meiner Landsleute zu rechtfertigen. Ihr begreift, daß es sonst einen üblen Eindruck machen würde, obgleich ich überzeugt bin, daß General Oliver Cromwell nichts Böses gegen sie im Sinne hat.

Mordaunt wich zurück und schleuderte, den Streich fühlend, d’Artagnan einen furchtbaren Blick zu; aber dieser schaute den Puritaner mit dem liebenswürdigsten und freundlichsten Ausdruck an, der sich je über sein Gesicht verbreitet hatte.

Wenn ich Euch etwas sage, mein Herr, sprach Mordaunt, wollt Ihr mir die Beleidigung antun, daran zu zweifeln?

Ich! rief d’Artagnan, ich sollte an Eurer Aussage zweifeln! Gott soll mich bewahren, mein lieber Herr Mordaunt; ich halte Euch im Gegenteil für einen würdigen und vollkommenen Edelmann, was ich aus allem ersehe; doch, soll ich offen mit Euch sprechen, Herr? fuhr d’Artagnan mit seiner treuherzigsten Miene fort.

Sprecht.

Herr du Vallon hier ist reich, er hat vierzigtausend Livres Renten, und es liegt ihm folglich nichts am Gelde; ich spreche also nicht für ihn, sondern für mich.

Weiter, mein Herr.

Nun, ich bin nicht reich; in der Gascogne ist dies keine Schande, mein Herr; niemand ist es dort, und Heinrich IV. glorreichen Andenkens, der König der Gascogner war, wie Seine Majestät Philipp IV. der König von Spanien ist, hatte nie einen Sou in seiner Tasche.

Kommt zu Ende, Herr, erwiderte Mordaunt, ich sehe, worauf Ihr abzielt, und wenn Euch das, was ich glaube, zurückhält, so läßt sich die Schwierigkeit heben.

Ah! ich wußte wohl, daß Ihr ein Mann von Geist seid, sagte d’Artagnan. Wohl, das ist die Sache, hier drückt mich der Sattel, wie wir zu sagen pflegen. Ich bin ein Söldner und nichts weiter. Ich habe nichts, als was mir mein Degen einträgt, das heißt, mehr Schläge als Banknoten. Als ich nun diesen Morgen zwei Franzosen, die mir von hoher Geburt zu sein schienen, zwei Ritter vom Hosenbandorden, gefangen nahm, sagte ich mir: Mein Glück ist gemacht. Ich sage zwei, weil Herr du Vallon, da er reich ist, in einem solchen Fall mir stets seine Gefangenen abtritt.

Gänzlich getäuscht durch die gutmütige Geschwätzigkeit d’Artagnans, lächelte Mordaunt wie ein Mensch, der die Gründe, die man ihm angibt, sehr wohl begreift, und antwortete höflich:

Sogleich wird der Befehl unterzeichnet sein, und mit dem Befehl erhaltet Ihr zweitausend Pistolen, aber mittlerweile, mein Herr, laßt mich diese Menschen wegführen.

Nein, sagte d’Artagnan; was kann Euch an einer Verzögerung von einer halben Stunde liegen? Ich bin ein Mann von Ordnung, mein Herr, und wir wollen die Sache ganz der Ordnung gemäß abmachen.

Mein Herr, ich könnte Euch zwingen, versetzte Mordaunt, denn ich befehlige hier.

Ah! mein Herr, sprach d’Artagnan höflich lächelnd, ich sehe, daß Ihr uns nicht kennt, obgleich Herr du Vallon und ich in Eurer Gesellschaft zu reisen die Ehre gehabt haben. Wir sind Edelleute, wir sind Franzosen, wir zwei sind im stande, Euch samt Euern acht Mann zu töten. Bei Gott! Herr Mordaunt, spielt nicht den Hartnäckigen, denn wenn man halsstarrig ist, bin ich es auch, und dann überkommt mich eine wilde Widerspenstigkeit, und dieser Herr hier ist in einem solchen Fall noch viel halsstarriger, noch viel wilder, als ich; abgesehen davon, daß wir von dem Herrn Kardinal Mazarin abgesandt sind, der die Stelle des Königs von Frankreich vertritt, woraus folgt, daß wir die Stelle des Königs und des Kardinals vertreten, daher auch in unserer Eigenschaft als Botschafter unverletzlich sind, was Herr Cromwell, der ohne Zweifel ein ebenso guter Politiker als ein großer General ist, gar wohl begreifen muß. Verlangt also den geschriebenen Befehl von ihm. Das ist doch kein großes Opfer von Euch, mein lieber Herr Mordaunt?

Ja, den geschriebenen Befehl, sagte Porthos, der d’Artagnans Absicht zu begreifen anfing; man fordert nichts anders von Euch.

So gern Mordaunt auch Gewalt gebraucht hätte, so war er doch der Mann, der die Gründe d’Artagnans zu würdigen und als triftig zu erkennen wußte. Er überlegte, und da ihm die freundschaftlichen Verhältnisse zwischen den vier Franzosen durchaus unbekannt waren, so verschwand seine ganze Unruhe vor dem äußerst glaubwürdigen Beweggrund eines Lösegeldes.

Er beschloß daher, nicht nur den Befehl, sondern auch die zweitausend Pistolen zu holen, ein Preis, zu dem er die Gefangenen selbst angeschlagen hatte.

Mordaunt stieg wieder zu Pferde, und nachdem er dem Sergeanten gute Bewachung empfohlen hatte, wandte er um und verschwand.

Wohl, sagte d’Artagnan, eine Viertelstunde, um bis zum Zelt zu reiten, eine Viertelstunde um zurückzukehren, das ist mehr, als wir brauchen. Dann ging er, ohne daß sein Gesicht die geringste Veränderung ausdrückte, so daß, wer ihn beobachtete, hätte glauben müssen, er setze das vorhergehende Gespräch fort, zu Porthos zurück, schaute dem Riesen ins Gesicht und sagte zu ihm:

Porthos, hört wohl: vor allem kein Wort zu unseren Freunden von dem, was Ihr vernommen habt; es ist unnötig, daß sie erfahren, welchen Dienst wir ihnen leisten.

Gut, sprach Porthos, ich begreife.

Geht in den Stall, Ihr findet dort Mousqueton; Ihr laßt die Pferde satteln, steckt die Pistolen in die Halfter, laßt die Tiere in die Straße hinabführen, daß man nur aufsteigen darf, das übrige ist meine Sache.

Porthos machte nicht die geringste Bemerkung, sondern gehorchte mit dem großartigen Vertrauen, das er stets zu seinem Freunde hatte.

Ich gehe, erwiderte er, nur sagt mir, ob ich in das Zimmer zurückkehren soll, wo diese Herren sich aufhalten?

Nein, das ist unnötig.

Wohl, so habt die Güte, meine Börse mitzunehmen, die ich auf dem Kamin liegen ließ.

Seid unbesorgt.

Porthos ging mit seinem ruhigen, gelassenen Wesen in den Stall und schritt mitten durch die Soldaten, die, obgleich er ein Franzose war, seiner hohen Gestalt und seinen kräftigen Gliedmaßen ihre Bewunderung nicht versagen konnten.

An der Straßenecke traf er Mousqueton, den er mit sich nahm.

D’Artagnan kehrte sodann, das Liedchen weiter pfeifend, das er vorher angefangen hatte, ins Haus zurück.

Mein lieber Athos, sprach er, ich habe über Euere Bemerkungen nachgedacht, und sie haben mich überzeugt; ich bedaure, daß ich an dieser ganzen Sache teilgenommen habe; Mazarin ist, wie Ihr sagt, ein Knauser. Ich bin also entschlossen, mit Euch zu fliehen. Es bedarf keiner Überlegung mehr, haltet Euch bereit. Eure zwei Degen sind in der Ecke, vergeßt sie nicht, sie sind ein Werkzeug, das unter Umständen, wie die unsrigen, sehr nützlich sein kann. Doch das erinnert mich an Porthos Börse; gut, hier ist sie.

Und d’Artagnan steckte die Börse in seine Tasche. Die zwei Freunde sahen ihm erstaunt zu.

Nun, ich frage euch, was ist hierbei zu staunen? sprach d’Artagnan. Ich war blind, Athos hat mir die Augen geöffnet, das ist das Ganze; kommt.

Die zwei Freunde näherten sich.

Seht ihr jene Straße? sagte d’Artagnan; dort werden die Pferde sein; ihr geht durch die Tür hinaus, ihr wendet euch links, schwingt euch in den Sattel, und alles ist abgemacht; kümmert euch um gar nichts, als daß ihr wohl auf das Signal achtet. Das Signal ist, daß ich: Herr Jesus! schreie.

Aber Ihr, kommt Ihr auch, bei Eurem Wort, d’Artagnan? sprach Athos.

Ich schwöre es, bei Gott.

Einverstanden, rief Aramis. Bei dem Rufe: Herr Jesus! gehen wir hinaus, werfen alles nieder, was sich uns in den Weg stellt, laufen nach unsern Pferden, schwingen uns in den Sattel und stechen zu; meint Ihr es so?

Vortrefflich.

Seht, Aramis, sprach Athos, ich sage Euch immer, d’Artagnan ist der Beste von uns.

Gut! versetzte d’Artagnan, Komplimente! Ich mache mich aus dem Staub, Gott befohlen!

Und Ihr flieht mit uns, nicht wahr?

Ganz gewiß. Vergeßt das Signal nicht: Herr Jesus!

Und er ging mit demselben Schritt hinaus, mit dem er hereingekommen war, und fing die Melodie wieder da zu pfeifen an, wo er sie bei seinem Eintritt unterbrochen hatte.

Die Soldaten spielten oder schliefen, zwei sangen nach einer kläglichen Melodie in einem Winkel den Psalm: Super flumina Babylonis.

D’Artagnan rief den Sergeanten.

Mein lieber Herr, sagte er zu ihm, der General Cromwell hat mich durch Herrn Mordaunt rufen lassen; ich bitte, bewacht die Gefangenen gut.

Der Sergeant gab durch Zeichen zu verstehen, er könne nicht Französisch.

Dann suchte d’Artagnan seine Absicht durch Gebärden begreiflich zu machen.

Der Sergeant erwiderte, es sei gut.

D’Artagnan ging in den Stall hinab; er fand die fünf Pferde gesattelt, das seinige wie die andern.

Nehmt jeder ein Pferd an die Hand, sagte er zu Porthos und Mousqueton, wendet euch links, damit Athos und Aramis euch von ihrem Fenster aus sehen. – Sie werden also kommen? sagte Porthos. – In einem Augenblick. – Ihr habt meine Börse nicht vergessen? – Nein, seid unbesorgt. – Gut.

Porthos und Mousqueton begaben sich, jeder ein Pferd an der Hand führend, aus ihren Posten.

Als d’Artagnan allein war, schlug er Feuer, zündete ein Stück Schwamm, zweimal so groß als eine Linse an, stieg zu Pferde und hielt sodann mitten unter den Soldaten der Tür gegenüber.

Hier steckte er dem Tiere, während er es zugleich streichelte, den brennenden Schwamm ins Ohr.

Man mußte ein so guter Reiter sein, wie d’Artagnan, um ein solches Mittel zu wagen, denn kaum fühlte das Pferd den brennenden Zunder, als es einen Schrei des Schmerzes ausstieß, sich bäumte und aussprang, als ob es toll würde.

Die Soldaten, die es niederzutreten drohte, wichen hastig zurück.

Herbei! zu Hilfe! rief d’Artagnan, haltet mein Pferd, es hat den Schwindel!

In einem Augenblick schien ihm wirklich das Blut aus den Augen zu treten, und es wurde weiß vor Schaum.

Zu Hilfe! rief d’Artagnan beständig, ohne daß die Soldaten ihm Beistand zu leisten wagten. Zu Hilfe! wollt Ihr mich denn umkommen lassen? Herr Jesus!

Kaum hatte d’Artagnan dieses Wort ausgerufen, als die Tür sich öffnete, und Athos und Aramis mit dem Degen in der Faust herausstürzten.

Aber durch d’Artagnans List war der Weg frei geworden.

Die Gefangenen flüchten sich! die Gefangenen flüchten sich! rief der Sergeant.

Aufgehalten! schrie d’Artagnan und ließ seinem Pferd, das; mehrere Soldaten niederwerfend, fortjagte, die Zügel schießen.

Stop stop! riefen die Soldaten, nach ihren Waffen laufend.

Aber die Gefangenen saßen schon im Sattel, und einmal im Sattel, verloren sie keine Zeit und eilten nach dem nächsten Tore.

Mitten auf der Straße gewahrten sie Grimaud und Blaisois, die herbeikamen, um ihre Herren zu suchen.

Mit einem Zeichen machte Athos Grimaud alles begreiflich, und dieser folgte der kleinen Truppe, die wie ein Wirbelwind hinstürmte und durch die Zurufe d’Artagnans, der von hinten hinzukam, noch angefeuert wurde.

Sie flogen wie Schatten durch das Tor, ohne daß die Wächter nur daran dachten, sie aufzuhalten, und befanden sich bald im freien Felde.

Während dieser Zeit schrieen die Soldaten beständig: Stop, stop! und der Sergeant, der allmählich begriff, daß er sich durch eine List hatte hintergehen lassen, raufte sich die Haare aus.

Bald sah man einen Reiter mit einem Papier in der Hand herbeikommen. Es war Mordaunt mit dem Befehle.

Die Gefangenen! rief er, von seinem Pferde springend. Der Sergeant hatte nicht die Kraft zu antworten; er deutete auf die offenstehende Tür und das leere Innere.

Mordaunt stürzte nach der Treppe, begriff alles, stieß einen Schrei aus, als ob man ihm die Eingeweide aus dem Leibe risse, und fiel ohnmächtig zu Boden.

Echter Mut und ein guter Magen versagen nie

Die kleine Truppe eilte, ohne ein Wort zu wechseln, ohne rückwärts zu schauen, im Galopp fort, durchwatete einen kleinen Fluß, dessen Namen niemand wußte, und ließ zu ihrer Linken eine Stadt, von der Athos behauptete, es sei Durham. Endlich erblickte man ein Gehölz und gab den Pferden, sie in dieser Richtung lenkend, zum letztenmal die Sporen.

Sobald sie hinter einem grünen Vorhang verschwunden waren, der sie den Blicken etwaiger Verfolger genugsam entzog, hielten sie an, um zu beratschlagen; man übergab die Pferde zwei Lakaien, um sie weder ausgezäumt noch abgesattelt verschnaufen zu lassen, und stellte Grimaud als Wache aus.

Vor allen Dingen laßt Euch umarmen, sprach Athos zu d’Artagnan, denn Ihr seid unser Retter und der wahre Held unter uns.

Athos hat recht, und ich bewundere Euch, sagte Aramis, ihn ebenfalls in seine Arme schließend; welches Ziel würdet Ihr nicht bei einem verständigen Herrn erreichen mit Eurem unfehlbaren Auge, Eurem stählernen Arm, Eurem siegreichen Geist!

Jetzt geht alles gut, sagte der Gascogner, ich nehme alles, Umarmungen und Danksagungen, für mich und Porthos an; wir haben ja Zeit zu verlieren … geht! geht!

Von d’Artagnan darauf aufmerksam gemacht, was sie auch Porthos zu verdanken hatten, drückten die zwei Freunde diesem ebenfalls die Hand.

Nun handelt es sich darum, nicht auf den Zufall und wie Wahnsinnige umherzulaufen, sondern vielmehr einen Plan festzustellen, sprach Athos. Was wollen wir tun?

Was wir tun wollen? Bei Gott! das ist nicht schwer zu sagen.

Sprecht Ihr also, d’Artagnan!

Wir wollen den nächsten Seehafen zu erreichen suchen, alle unsere Mittel zusammen tun, ein Schiff mieten und nach Frankreich steuern. Ich für meine Person werde meinen letzten Sou dafür verwenden. Der erste Schatz ist das Leben, und das unsere hängt offenbar nur an einem Faden.

Was sagt Ihr dazu, du Vallon? fragte Athos.

Ich, erwiderte Porthos, ich bin vollkommen der Meinung d’Artagnans, dieses England ist ein abscheuliches Land.

Ihr seid also fest entschlossen, es zu verlassen? fragte Athos d’Artagnan.

Gottes Blut! erwiderte dieser, ich sehe nicht ein, was mich zurückhalten sollte!

Athos wechselte einen Blick mit Aramis.

Geht also, meine Freunde, sagte er seufzend. – Wie, geht! sprach d’Artagnan? gehen wir, scheint es mir. – Nein, mein Freund, versetzte Athos; Ihr müßt uns verlassen. – Euch verlassen! sagte d’Artagnan, ganz betrübt über diese unerwartete Kunde. – Bah! rief Porthos, warum denn einander verlassen, da wir beisammen sind? – Weil Eure Sendung erfüllt ist, und weil ihr nach Frankreich zurückkehren könnt und sogar müßt; aber die unsere ist noch nicht erfüllt. – Eure Sendung ist noch nicht erfüllt? sprach d’Artagnan und schaute Athos voll Verwunderung an. – Nein, mein Freund, antwortete Athos mit seiner zugleich so sanften und so festen Stimme. Wir sind hierher gekommen, um den König Karl zu verteidigen, wir haben ihn schlecht verteidigt, und es bleibt uns noch die Aufgabe, ihn zu retten. – Den König retten! rief d’Artagnan und schaute Aramis an, wie er Athos angeschaut hatte.

Aramis beschränkte sich darauf, ein Zeichen mit dem Kopfe zu machen.

D’Artagnans Gesicht nahm einen Ausdruck tiefen Mitleids an; er glaubte, er habe es am Ende mit zwei Wahnsinnigen zu tun.

Das kann nicht Euer Ernst sein, Athos, sagte er; der König befindet sich in der Mitte eines Heeres, das ihn nach London führt. Dieses Heer wird von einem Fleischer oder von einem Fleischerssohne, was ungefähr auf eins herauskommt, von dem Obersten Harrison, befehligt. Dem König wird bei seiner Ankunft in London der Prozeß gemacht, dafür stehe ich Euch, ich habe hierüber genug aus dem Munde Cromwells gehört, um zu wissen, was man erwarten muß.

Athos und Aramis wechselten einen zweiten Blick.

Ist sein Prozeß gemacht, so wird das Urteil ungesäumt vollzogen werden, fuhr d’Artagnan fort. Oh, die Herren Puritaner sind Leute, die ihre Geschäfte rasch besorgen. – Und zu welcher Strafe glaubt Ihr, daß man den König verurteilen wird? fragte Athos. – Ich fürchte, zur Todesstrafe; sie haben zu viel gegen ihn getan, um ihm zu vergeben, und besitzen nur noch ein einziges Mittel … nämlich ihn zu töten. Kennt Ihr die Äußerung Cromwells nicht, als er nach Paris kam und man ihm den Kerker von Vincennes zeigte, wo Herr von Vendome eingesperrt war? – Wie lautet diese Äußerung? – Man muß die Fürsten nur beim Kopfe berühren. – Ich kannte sie, sagte Athos. – Und Ihr glaubt, er werde seine Maxime jetzt, da er den König in Händen hat, nicht in Ausführung bringen? – Allerdings, ich bin sogar fest davon überzeugt; aber das ist ein Grund mehr, das bedrohte erhabene Haupt nicht zu verlassen. – Athos, Ihr werdet verrückt. – Nein, mein Freund, antwortete der Graf in sanftem Tone, aber Lord Winter hat uns in Frankreich aufgesucht und zur Königin Henriette geführt. Ihre Majestät hat Herrn d’Herblay und mir die Ehre erwiesen, uns um unsere Unterstützung für ihren Gemahl zu bitten; wir haben ihr unser Wort verpfändet; unser Wort enthielt alles … wir verpfändeten ihr damit unsere Kraft, unsern Verstand, unser Wissen, unser Leben; wir müssen unser Wort halten. Ist das Eure Meinung, d’Herblay? – Ja, sprach Aramis, wir haben es versprochen. – Dann haben wir noch einen andern Grund, fuhr Athos fort; hört: in Frankreich geht es gegenwärtig gar zu armselig und lumpig zu. Wir haben einen zehnjährigen König, der noch nicht weiß, was er will; wir haben eine Königin, die eine späte Leidenschaft blind macht; wir haben einen Minister, der Frankreich verwaltet, wie ein großes Bauerngut, das heißt, der nur darauf aus ist, so zu verfahren, daß er recht viel Gold herausschlagen kann; wir haben Prinzen, die eine persönliche und selbstsüchtige Opposition bilden und nichts erreichen werden, als daß sie Mazarin einige Goldbarren, einige Brocken der politischen Macht aus den Händen winden; ich habe ihnen gedient, nicht aus Enthusiasmus – Gott weiß, daß ich sie nach ihrem Wert schätze, und daß sie in meiner Achtung nicht sehr hoch stehen – sondern aus Grundsatz. Hier liegt es anders, hier stoße ich auf meinem Weg auf ein hohes Mißgeschick, ein königliches, europäisches Mißgeschick: ich verbinde mein Los mit demselben. Wenn es uns gelingt, den König zu retten, so ist es schön; sterben wir mit ihm, so ist das groß. – Ihr wißt zum voraus, daß ihr dabei zu Grunde gehen werdet, sprach d’Artagnan. – Wir fürchten es, und es ist unser einziger Schmerz, daß wir fern von euch sterben sollen. – Was wollt ihr in einem fremden, feindlichen Lande machen? – In meiner Jugend bin ich in England gereist; ich spreche Englisch wie ein Engländer, und auch Aramis hat einige Kenntnis von dieser Sprache. Ah! wenn wir euch hätten, meine Freunde! Mit Euch, d’Artagnan, mit Euch, Porthos, würden wir alle vier, zum ersten Male seit zwanzig Jahren wieder vereint, nicht allein England, sondern allen drei Königreichen Trotz bieten. – Habt ihr der Königin versprochen, den Tower in London zu erstürmen, versetzte d’Artagnan, hunderttausend Soldaten zu erschlagen, siegreich gegen den Willen einer Nation und den Ehrgeiz eines Mannes zu kämpfen, wenn dieser Mann Cromwell heißt? Ihr habt diesen Mann nicht gesehen, Athos, Aramis. Es ist ein Mann von Genie, der mich sehr an unsern Kardinal erinnerte, an den andern, den großen, ihr wißt, an Richelieu. Übertreibt es also nicht mit euren Pflichten. Ums Himmels willen, Athos, keine unnütze Aufopferung! Wenn ich Euch anschaue, kommt es mir in der Tat vor, als sähe ich einen vernünftigen Menschen; wenn Ihr mir aber antwortet, ist es mir, als hätte ich es mit einem Verrückten zu tun. Porthos, vereinigt Euch mit mir: was denkt Ihr von dieser Sache? Sprecht offenherzig. – Nichts Gutes, antwortete Porthos. – Hört, fuhr d’Artagnan fort, den es ungeduldig machte, daß Athos ihn nicht anhörte, sondern vielmehr auf eine Stimme zu hören schien, die in seinem Innern sprach, Ihr seid bei meinen Ratschlägen nie schlecht gefahren. Nun wohl, Athos, glaubt mir, Eure Sendung ist vollbracht, auf eine edle Weise vollbracht; kehrt mit uns nach Frankreich zurück! – Freund, erwiderte Athos, unser Entschluß ist unerschütterlich. – Ihr habt also irgend einen andern Beweggrund, den wir nicht kennen?

Athos lächelte.

D’Artagnan schlug zornig auf seine Lenden und murmelte die überzeugendsten Gründe, die er finden konnte; aber Athos beschränkte sich darauf, alle diese Gründe mit einem ruhigen, sanften Lächeln zu beantworten, während Aramis nur mit dem Kopfe nickte.

Nun wohl, rief d’Artagnan wütend, nun wohl! Da Ihr es so wollt, so lassen wir unsere Knochen in diesem garstigen Lande, wo eine beständige Kälte herrscht, wo das schöne Wetter Nebel, der Nebel Regen, der Regen Sündflut ist, wo die Sonne dem Mond, und der Mond einem Rahmkäse gleicht. Ob man da oder dort stirbt, da man ja doch einmal sterben muß, daran ist wenig gelegen!

Nur bedenkt, teurer Freund, sagte Athos, daß es sich darum handelt, früher zu sterben. – Bah! ein wenig früher oder später, es lohnt sich nicht der Mühe, darüber ein Wort zu verlieren. – Wenn ich mich über etwas wundere, sagte Porthos mit spruchweiser Miene, so ist es darüber, daß es nicht bereits geschehen ist. – Oh! es wird geschehen, seid unbesorgt, Porthos, versetzte d’Artagnan. Es ist also abgemacht, fuhr der Gascogner fort, und wenn sich Porthos nicht widersetzt … – Ich! rief Porthos, ich tue, was Ihr wollt. Überdies finde ich das, was der Graf de la Fère soeben gesagt hat, sehr schön. – Aber Eure Zukunft, d’Artagnan? Euer Ehrgeiz, Porthos? – Unsere Zukunft, unser Ehrgeiz, erwiderte d’Artagnan mit einer fieberhaften Zungenfertigkeit, brauchen wir uns darum zu bekümmern, da wir den König retten? Ist der König gerettet, so sammeln wir seine Freunde, wir schlagen die Puritaner, wir erobern England wieder, wir kehren mit ihm nach London zurück und setzen ihn abermals ganz breit auf seinen Thron. – Und er macht uns zu Herzogen und Pairs, sprach Porthos, dessen Augen vor Freude funkelten, als er diese Zukunft in nebelgrauer Ferne erblickte. – Oder er vergißt uns, versetzte d’Artagnan. – Oh! rief Porthos. – Verdammt! das hat man gesehen, Freund Porthos; wir haben, wie es mir scheint, der Königin Anna von Österreich einen Dienst geleistet, der dem, den wir heute Karl I. leisten wollen, nicht viel nachstand, was die Königin Anna nicht abhielt, uns zwanzig Jahre lang zu vergessen.

Nun sagt, sprach Athos, bereut Ihr deshalb, ihr diesen Dienst geleistet zu haben? – Meiner Treu, nein, erwiderte d’Artagnan, und ich gestehe sogar, daß ich in den Augenblicken meiner schlimmsten Laune einen Trost in dieser Erinnerung gefunden habe. – Ihr seht, d’Artagnan, die Fürsten sind zuweilen undankbar, aber Gott ist es nie. – Hört, Athos, rief d’Artagnan, ich glaube, wenn Ihr den Teufel auf Erden träfet, Ihr würdet es so anstellen, daß Ihr ihn mit Euch in den Himmel zurückbrächtet. – Also? … sprach Athos, d’Artagnan die Hand reichend. – Es ist abgemacht, erwiderte d’Artagnan; ich finde England allerliebst, und ich bleibe hier, aber unter einer Bedingung. – Unter welcher? – Daß man mich nicht nötigt, Englisch zu lernen.

Nun wohl, rief Athos triumphierend, jetzt schwöre ich Euch bei dem Gotte, der uns hört, bei meinem Namen, den ich für fleckenlos halte, ich glaube, es gibt eine Macht, die über uns wacht, und ich hege die Hoffnung, daß wir alle vier Frankreich wiedersehen werden. – Es mag sein, versetzte d’Artagnan, aber ich gestehe, daß ich die entgegengesetzte Überzeugung habe. – Dieser liebe d’Artagnan, sprach Aramis, er vertritt in unserer Mitte die Opposition der Parlamente, die immer nein sagen und immer das Gegenteil tun. – Wohl, die aber mittlerweile das Vaterland retten, sagte Athos. – Wenn wir nun, da alles festgestellt ist, an das Mittagessen dächten? sprach Porthos, sich die Hände reibend. Wir haben, wie es mir scheint, in den kritischsten Lagen unseres Lebens stets zu Mittag gespeist. – Ach ja, sprecht von Mittagessen in einem Lande, wo man als Speise nur in Wasser gekochtes Schöpsenfleisch und als Trank nur Bier bekommt. Wie, zum Teufel, seid Ihr in ein solches Land gekommen, Athos? Ah, verzeiht, fügte d’Artagnan lächelnd bei, ich vergaß, daß Ihr nicht mehr Athos seid. Doch gleichviel, laßt Euern Plan hinsichtlich des Mittagessens hören, Porthos.– Meinen Plan? – Ja, Ihr habt doch einen Plan? – Nein, ich habe Hunger, sonst nichts. – Bei Gott, wenn es nur das ist, ich habe auch Hunger, damit aber, daß man Hunger hat, ist’s noch nicht abgetan; man muß etwas zu essen finden, und wenn wir nicht Gras fressen wollen, wie unsere Pferde… – Ah! rief Aramis, der sich nicht so ganz von den weltlichen Dingen abgewendet hatte, wie Athos, erinnert ihr euch der schönen Austern, die wir speisten, wenn wir beim Parpaillot waren? – Und der vortrefflichen Hammelkeulen! rief Porthos, mit der Zunge an den Lippen leckend. – Aber haben wir nicht unsern Freund Mousqueton, der uns in Chantilly ein so herrliches Leben verschaffte, Porthos? versetzte d’Artagnan. – In der Tat, sprach Porthos, wir haben Mousqueton, aber seit ich ihn zum Intendanten gemacht habe, ist er sehr schwerfällig geworden; … gleichviel, wir wollen schmausen.

Und um einer freundlichen Antwort sicher zu sein, rief Porthos:

He! Mouston!

Mouston erschien mit einem kläglichen Gesichte.

Was habt Ihr denn, mein lieber Herr Mouston? fragte d’Artagnan. Solltet Ihr krank sein? – Gnädiger Herr, ich habe Hunger. – Gerade deshalb rufen wir Euch, mein lieber Herr Mouston. Könntet Ihr uns nicht einige von den hübschen Kaninchen und etliche von den niedlichen Feldhühnern, woraus Ihr Gibelottes und Salmis machtet, in der Schlinge fangen … Ihr wißt im Gasthofe zum … meiner Treue, ich erinnere mich des Namens dieses Gasthofes nicht mehr. – Im Gasthofe zum … sprach Porthos; meiner Treue, ich erinnere mich auch nicht mehr. – Gleichviel, und mit dem Lasso einige Flaschen von dem alten Burgunder, der Euren Herrn zur Zeit seiner Verstauchung so oft erquickt hat. – Ach! gnädiger Herr, sprach Mousqueton, ich fürchte, alles, was Ihr da verlangt, ist sehr rar in diesem abscheulichen Lande, und ich glaube, wir würden besser daran tun, uns Gastfreundschaft von dem Herrn eines kleinen Hauses zu erbitten, das man vom Saume des Waldes aus erblickt. – Wie, es findet sich ein Haus in der Gegend? fragte d’Artagnan. – Ja, gnädiger Herr. – Gut, wir wollen uns, wie Ihr sagt, mein Freund, Gastfreundschaft von dem Eigentümer dieses Hauses erbitten. Meine Herren, was denkt ihr davon, erscheint euch der Plan des Herrn Mouston nicht sehr sinnreich? – Wenn der Eigentümer aber ein Puritaner ist? versetzte Aramis. – Desto besser, Gottes Tod! rief d’Artagnan, wenn er ein Puritaner ist, so erzählen wir ihm die Gefangennehmung des Königs, und zur Verherrlichung dieser Nachricht gibt er uns dagegen seine weißen Hühner. – Wenn er aber ein königlich Gesinnter ist, sprach Porthos. – Dann nehmen wir eine Trauermiene an und rupfen seine schwarzen Hühner. – Ihr seid sehr glücklich, sagte Athos, unwillkürlich über den Witz des unbeugsamen Gascogners lächelnd, denn Ihr betrachtet alles als Scherz. – Was wollt Ihr? entgegnete d’Artagnan, ich bin aus einem Lande, wo es keine Wolke am Himmel gibt. – Hier ist es anders, sagte Porthos und streckte die Hand aus, um sich zu überzeugen, ob eine gewisse Frische, die er auf seiner Wange fühlte, wirklich von einem Regentropfen herkomme.

Auf, auf! rief d’Artagnan, ein Grund mehr, uns in Marsch zu setzen … Holla, Grimaud!

Grimaud erschien.

Nun, Grimaud, mein Freund, habt Ihr etwas gesehen? fragte d’Artagnan. – Nichts, antwortete Grimaud. – Diese Dummköpfe haben uns nicht einmal verfolgt, sprach Porthos. Oh! wenn wir an ihrer Stelle gewesen wären! – Ei! sie haben unrecht gehabt, sagte d’Artagnan. Ich würde Mordaunt gern zwei Worte in dieser kleinen Einöde sagen. Seht, welch ein schöner Platz, um einen Mann gehörig niederzustrecken! – Meiner Ansicht nach ist der Sohn offenbar nicht so stark wie seine Mutter, sprach Aramis. – Ei, lieber Freund, entgegnete Athos, wartet doch, wir haben ihn erst vor zwei Stunden verlassen, und er weiß nicht, welche Richtung wir nehmen, er weiß nicht, wo wir sind. Erst wenn wir den Fuß auf Frankreichs Boden setzen, falls wir bis dahin weder erschlagen, noch vergiftet sind, wollen wir sagen, daß er seiner Mutter nachstehe. – Mittlerweile laßt uns zu Mittag speisen, sprach Porthos. – Meiner Treue, ja, denn ich habe großen Hunger, sagte Athos. – Ich auch, versetzte d’Artagnan. – Aufgepaßt, ihr schwarzen Hühner, rief Aramis.

Und die wiederversöhnten Freunde wanderten fast so lustig als ehemals nach dem erwähnten Hause.

Oliver Cromwell

Kommt ihr zu dem General? sagte Mordaunt zu d’Artagnan und Porthos; ihr wißt, daß er euch nach dem Treffen zu sich beschieden hat.

Wir wollen zuerst unsere Gefangene in sichern Gewahrsam bringen, sprach d’Artagnan zu Mordaunt. Glaubt Ihr nicht, daß jeder von diesen Herren wenigstens fünfzehnhundert Pistolen wert ist?

Oh! seid unbesorgt, erwiderte Mordaunt und schaute sie mit einem Auge an, dessen Wildheit er vergebens zu bemustern suchte; meine Reiter werden sie bewachen, und zwar wohl bewachen, dafür stehe ich Euch.

Ich werde sie noch besser selbst bewachen, versetzte d’Artagnan. Es genügt ja dazu ein gutes Zimmer, mit Schildwachen davor, oder ihr einfaches Wort, daß sie keinen Fluchtversuch machen wollen. Ich bringe die Sache in Ordnung, und wir werden sodann die Ehre haben, uns bei dem General einzufinden und ihn um seine Befehle für Se. Eminenz zu bitten.

Ihr gedenkt also bald abzureisen? fragte Mordaunt.

Unsere Sendung ist vollbracht, und es hält uns nichts in England zurück, als das Belieben des großen Mannes, zu dem wir abgeschickt worden sind.

Mordaunt biß sich in die Lippen, neigte sich an das Ohr des Sergeanten und sagte:

Ihr folgt diesen Männern, Ihr verliert sie nicht aus dem Blick, und wenn Ihr wißt, wo sie wohnen, kehrt Ihr zurück und erwartet mich am Stadttor.

Der Sergeant deutete durch ein Zeichen seinen Gehorsam an.

Statt dem Haufen der Gefangenen zu folgen, die man in die Stadt führte, wandte sich Mordaunt nun nach dem Hügel, von wo aus Cromwell dem Kampf zugeschaut und wo er soeben sein Zelt hatte aufschlagen lassen.

Cromwell hatte verboten, irgend jemand bei ihm einzulassen; aber die Schildwache, die Mordaunt als einen der innigsten Vertrauten des Generals kannte, glaubte, das Verbot betreffe den jungen Mann nicht.

Mordaunt schob also den Vorhang des Zeltes auf die Seite und sah Cromwell, den Kopf zwischen seinen Händen verborgen, an einem Tische sitzen, und zwar so, daß er dem Eintretenden den Rücken zuwandte.

Mochte Cromwell das Geräusch, das Mordaunt durch seinen Eintritt verursachte, gehört haben oder nicht, jedenfalls wandte er sich nicht um.

Mordaunt blieb an der Tür stehen. Endlich, nach Verlauf einiger Minuten, erhob Cromwell seine niedergebeugte Stirn und wandte nun, als hätte er instinktartig die Gegenwart eines anderen gefühlt, langsam den Kopf um.

Ich hatte Befehl gegeben, mich allein zu lassen, rief er, als er den jungen Mann gewahrte. – Man glaubte, dieses Verbot gehe mich nichts an, erwiderte Mordaunt; wenn Ihr indessen befehlt, so bin ich bereit, mich zu entfernen. – Ah! Ihr seid’s, sprach Cromwell, als hätte er durch die Kraft seines Willens den Schleier zerrissen, der seine Augen bedeckte; da Ihr es seid, so ist es gut, bleibt. – Ich bringe Euch meine Glückwünsche. – Eure Glückwünsche! Wozu? – Zu der Gefangennehmung Karl Stuarts. Ihr seid nun der Herr von England. – Ich war es vor zwei Stunden weit mehr, sprach Cromwell. – Wieso, General? – England bedurfte meiner, um den Tyrannen zu fassen; nun ist er gefaßt … Habt Ihr ihn gesehen? – Ja, Herr. – Wie benimmt er sich?

Mordaunt zögerte, aber die Wahrheit schien mit Gewalt über seine Lippen zu treten, und er erwiderte:

Ruhig und würdig. – Was hat er gesprochen? – Einige Worte des Abschieds an seine Freunde. – An seine Freunde! murmelte Cromwell, er hat also Freunde? Dann fügte er laut hinzu:

Hat er sich verteidigt? – Nein, Herr, er war von allen verlassen, mit Ausnahme von drei oder vier Männern, und konnte sich also unmöglich verteidigen. – Wem hat er seinen Degen übergeben? – Er hat ihn nicht übergeben, er hat ihn zerbrochen. – Daran hat er wohl getan, aber statt ihn zu zerbrechen, hätte er noch besser getan, wenn er ihn nützlicher gebraucht hätte.

Es trat einen Augenblick Stillschweigen ein.

Der Oberst, der den König … der Karl geleitete, wurde, wie mir scheint, getötet? fragte Cromwell, Mordaunt fest anschauend. – Ja, Herr. – Von wem? – Von mir. – Wie hieß er? – Lord Winter. – Euer Oheim! rief Cromwell. – Mein Oheim? versetzte Mordaunt; die Verräter Englands gehören nicht zu meiner Familie.

Cromwell blieb einen Augenblick nachdenklich, schaute den jungen Mann an und sagte sodann mit tiefer Schwermut:

Mordaunt, Ihr seid ein furchtbarer Diener.

Wenn der Herr befiehlt, sprach Mordaunt, so läßt sich mit seinen Befehlen nicht feilschen. Abraham hat das Messer über Isaak erhoben, und Isaak war sein Sohn.

Ja, entgegnete Cromwell, aber der Herr ließ das Opfer nicht vollbringen.

Ich schaute um mich her, sagte Mordaunt, und sah weder Bock noch Zicklein in den Gebüschen der Ebene.

Cromwell verbeugte sich und sprach:

Ihr seid stark unter den Starken, Mordaunt… Und wie haben sich die Franzosen benommen? – Als Leute von Mut, Herr. – Ja, ja, murmelte Cromwell, die Franzosen schlagen sich, und wenn mein Augenglas gut ist, so habe ich sie wirklich im ersten Gliede gesehen. – Sie waren dort. – Jedoch nach Euch, sagte Cromwell. – Daran sind ihre Pferde schuld und nicht sie selbst.

Es trat eine neue Pause ein.

Und die Schotten? fragte Cromwell. – Sie haben ihr Wort gehalten und sich nicht gerührt, antwortete Mordaunt. – Die Elenden! murmelte Cromwell. – Ihre Offiziere verlangen Euch zu sehen, Herr. – Ich habe keine Zeit. Hat man sie bezahlt? – In dieser Nacht. – Sie sollen abziehen, in ihre Gebirge zurückkehren und ihre Schmach dort verbergen, wenn ihre Gebirge hoch genug dazu sind. Ich habe nichts mehr mit ihnen, sie haben nichts mehr mit mir zu schaffen. Und nun geht, Mordaunt. – Ehe ich gehe, erwiderte Mordaunt, habe ich noch einige Fragen an Euch zu richten, mein Herr, und eine Bitte an Euch zu tun, mein Meister. – An mich?

Mordaunt verbeugte sich.

Ich komme zu Euch, mein Held, mein Beschützer, mein Vater, und frage Euch, Meister, seid Ihr mit mir zufrieden?

Cromwell schaute ihn erstaunt an.

Der junge Mann blieb unempfindlich.

Ja, erwiderte Cromwell, Ihr habt, seitdem ich Euch kenne, nicht bloß Eure Pflicht getan, Ihr seid ein treuer Freund, ein geschickter Unterhändler, ein guter Soldat gewesen. – Erinnert Ihr Euch, Herr, daß ich zuerst den Gedanken gehabt habe, mit den Schotten darüber zu unterhandeln, daß sie ihren König verlassen? – Ja, der Gedanke kommt von Euch, das ist wahr; ich ging in der Verachtung der Menschen noch nicht so weit. – Bin ich ein guter Botschafter in Frankreich gewesen? – Ja, Ihr habt von Mazarin erhalten, was ich verlangte. – Habe ich stets eifrig für Euren Ruhm und Eure Interessen gekämpft? – Vielleicht nur allzu eifrig, wie ich Euch soeben erst zum Vorwurf machte. Aber worauf zielt Ihr mit allen diesen Fragen ab? – Ich will Euch damit sagen, daß der Augenblick gekommen ist, wo Ihr mit einem Wort alle meine Dienste belohnen könnt. – Ah! rief Oliver mit einer leichten, verächtlichen Bewegung, es ist wahr, ich vergaß, daß jeder Dienst seine Belohnung verdient, daß Ihr gedient habt und noch nicht belohnt seid. – Mein Herr, ich kann es sogleich sein und zwar über meine Wünsche. – Wie dies? – Ich habe den Preis unter der Hand, ich halte ihn beinahe. – Und worin besteht der Preis? fragte Cromwell. Hat man Euch Gold geboten? Verlangt Ihr einen Grad? Wünscht Ihr eine Statthalterschaft? – Herr, werdet Ihr meine Bitte gewähren? – Wir wollen zuerst sehen, worin sie besteht. – Herr, wenn Ihr mir sagtet: Ihr werdet einen Befehl vollziehen! antwortete ich dann je: Ich will diesen Befehl kennen? – Wenn es jedoch unmöglich wäre. Euren Wunsch zu erfüllen? – Wenn Ihr einen Wunsch hattet und mich mit Erfüllung desselben beauftragtet, erwiderte ich dann je: Es ist unmöglich? – Aber eine mit so vielen Vorbereitungen eingeleitete Bitte … – Ah! seid unbesorgt, versetzte Mordaunt mit einem düsteren Ausdruck, sie wird Euch nicht ins Verderben stürzen. – Nun wohl, sprach Cromwell, ich verspreche Euch, Eurer Bitte zu willfahren, soweit die Sache in meiner Macht liegt; fordert! – Man hat diesen Morgen zwei Gefangene gemacht, antwortete Mordaunt, ich verlange sie von Euch. – Sie haben also ein bedeutendes Lösegeld angeboten? – Ich halte sie im Gegenteil für arm. – Es sind Freunde von Euch? – Ja, Herr, rief Mordaunt, es sind Freunde von mir, teure Freunde, und ich würde mein Leben für das ihrige geben. – Gut, Mordaunt, sprach Cromwell, der mit einer gewissen freudigen Bewegung wieder eine bessere Meinung von Mordaunt faßte, gut, ich gebe sie Euch, ich will sogar nicht einmal wissen, wer sie sind, macht mit Ihnen, was Ihr wollt. – Ich danke, Herr, rief Mordaunt, ich danke! mein Leben gehört von nun an Euch, und wenn ich es verliere, bin ich immer noch Euer Schuldner, Ihr habt meinen Dienst herrlich bezahlt. Und er warf sich vor Cromwell auf die Knie und küßte ihm die Hand, obschon der puritanische General sich diese beinahe königliche Huldigung nicht gefallen lassen wollte oder sich wenigstens den Anschein gab, als wolle er es nicht.

Wie! sagte Cromwell, ihn in dem Augenblick, wo er sich erhob, zurückhaltend, keine andern Belohnungen, kein Gold! keine Beförderung!

Ihr habt mir alles gegeben, was Ihr mir geben konntet, Mylord, und von diesem Tage an erkläre ich mich für überreich von Euch belohnt.

Und Mordaunt stürzte aus dem Zelte des Generals mit einer Freude, die aus seinem Herzen und aus seinen Augen überströmte.

Cromwell folgte ihm mit dem Blicke.

Er hat seinen Oheim getötet! murmelte er, ach! was für Diener habe ich doch! Vielleicht hat der, der nichts von mir fordert oder nichts von mir zu fordern scheint, vor Gott mehr von mir verlangt, als die andern, die nach dem Golde des Landes und der Ehre lüstern sind. Niemand dient mir umsonst. Karl, der mein Gefangener ist, hat vielleicht noch Freunde, und ich habe keine.

Und er versank seufzend wieder in seine frühere Träumerei.