Der Bettler von St. Eustache

Es war von d’Artagnan wohl berechnet, daß er sich nicht unmittelbar ins Palais-Royal begab. Er ließ Comminges Zeit, vor ihm dahinzugehen und dem Kardinal die großen Dienste zu melden, die er, d’Artagnan, und sein Freund diesen Morgen der Partei der Königin geleistet hatten.

Beide wurden auf die schmeichelhafteste Weise von Mazarin empfangen, der ihnen viele Komplimente machte und erklärte, sie seien beide ihren Zielen um die Hälfte nähergerückt.

Unserem d’Artagnan wäre Geld lieber gewesen, denn er wußte, daß Mazarin leicht versprach und sehr schwer hielt. Die Versprechungen des Kardinals galten ihm so viel wie taube Nüsse, doch stellte er sich Porthos zu Liebe, den er nicht entmutigen wollte, als wäre er sehr zufrieden.

Während die zwei Freunde bei dem Kardinal waren, ließ die Königin diesen rufen. Mazarin dachte, seine Verteidiger würden sich zu verdoppeltem Eifer angespornt fühlen, wenn er ihnen die Danksagungen der Königin selbst verschaffte. Er bedeutete ihnen durch ein Zeichen, ihm zu folgen.

Die Königin Anna von Österreich war von zahlreichen fröhlich lärmenden Höflingen umgeben, denn nachdem man einen Sieg über den Spanier davongetragen hatte, war man nun auch siegreich aus einem Kampfe mit dem Volk hervorgegangen. Broussel war ohne Widerstand aus Paris geführt worden und mußte in diesem Augenblick im Gefängnis von Saint-Germain sein, und Blancmesnil, den man ebenfalls und ohne Schwierigkeit verhaftet hatte, war im Schlosse von Vincennes eingekerkert.

Comminges war bei der Königin, die ihn alles ausführlich berichten ließ, als er an der Tür hinter dem eintretenden Kardinal d’Artagnan und Porthos erblickte.

Ei, Madame, sagte er, auf d’Artagnan zuschreitend, hier ist einer, der Euch das besser als ich erzählen kann, denn er ist mein Retter. Ohne ihn hinge ich jetzt ohne Zweifel in den Netzen von Saint-Cloud, denn sie waren nahe daran, mich in den Fluß zu werfen. Sprecht, d’Artagnan, sprecht!

Seit d’Artagnan Leutnant bei den Musketieren war, hatte er sich wohl hundertmal in demselben Gemach mit der Königin befunden, aber nie hatte diese mit ihm gesprochen.

Wie, Herr, nachdem Ihr mir einen solchen Dienst geleistet habt, schweigt Ihr? sprach Anna von Österreich.

Madame, antwortete d’Artagnan, ich habe nichts zu sagen, außer daß mein Leben dem Dienste Eurer Majestät gehört, und daß ich nur an dem Tage glücklich sein werde, wo ich es für sie verliere.

Ich weiß das, mein Herr, ich weiß das, versetzte die Königin, und zwar seit geraumer Zeit. Ich bin auch entzückt, daß ich Euch dieses öffentliche Zeichen meiner Achtung und Dankbarkeit geben kann.

Erlaubt, Madame, daß ich einen Teil auf meinen Freund, einen ehemaligen Musketier aus der Kompanie Treville, übertrage, sprach d’Artagnan mit einem besondern Nachdruck auf die letzten Worte, denn dieser Mann hat Wunder getan, fügte er bei.

Der Name dieses Herrn?

Bei den Musketieren, antwortete d’Artagnan, nannte er sich Porthos (die Königin bebte); aber sein wahrer Name ist Chevalier du Vallon.

De Bracieux de Pierrefonds, fügte Porthos bei.

Diese Namen sind zu zahlreich, als daß ich sie alle im Gedächtnis behalten könnte, und ich will nur den ersten behalten, sprach die Königin huldreich.

Porthos verbeugte sich.

D’Artagnan machte zwei Schritte rückwärts.

In diesem Augenblick meldete man den Koadjutor. Er kam, um zu sehen, was ihm der Hof biete, und falls dies seinem Ehrgeiz genüge, seinen Frieden mit Mazarin zu machen. Aber die hochmütige Königin konnte sich in dem Moment der Siegesfreude nicht enthalten, den Koadjutor ihren Triumph fühlen zu lassen. Auf ihr stummes Zeichen fiel der ganze Hof mit Spott und Gelächter über den Prälaten her, so daß er schwer gekränkt davonging, und als er über die Schwelle des Palastes schritt, murmelte:

O undankbarer Hof! Treuloser Hof! Ich werde dich morgen lachen lehren, aber aus einer andern Tonart!

Während man jedoch am Hof von Freude übersprudelte, um die Heiterkeit der Königin zu steigern, verlor Mazarin, ein verständiger Mann, den schon die Furcht vorsichtig machte, seine Zeit nicht mit eitlen und gefährlichen Späßen. Er entfernte sich nach dem Koadjutor, schloß sein Gold ein und ließ durch vertraute Arbeiter Verstecke in den Wänden anbringen.

Als der Koadjutor in seine Wohnung zurückkehrte, fand er dort, seiner wartend, Louvières, den Sohn Broussels, noch ganz erschöpft und blutbespritzt vom Kampfe gegen die Garden.

Der Koadjutor ging auf ihn zu und reichte ihm die Hand. Der junge Mann schaute ihn an, als wollte er im Grunde seines Herzens, lesen.

Mein lieber Herr Louvières, sagte der Koadjutor, glaubt mir, ich nehme innigen Anteil an dem Unglück, das Euch widerfahren ist.

Ist es wahr und sprecht Ihr im Ernst? fragte Louvières.

Aus dem Grunde meines Herzens, sagte der Koadjutor.

Dann ist die Zeit der Worte vorüber, Monseigneur, und die Stunde des Handelns hat geschlagen. Wenn Ihr wollt, Monseigneur, ist mein Vater in drei Tagen aus dem Gefängnis, und in sechs Monaten seid Ihr Kardinal.

Der Koadjutor zitterte.

Wir wollen frei sprechen und ein offenes Spiel spielen, sagte Louvières. Man spendet nicht aus eitel christlicher Liebe für dreißigtausend Livres Almosen, wie Ihr seit sechs Monaten getan habt, das wäre gar zu schön. Ihr seid ehrgeizig, denn Ihr seid ein Mann von Genie und fühlt Euern Wert. Ich hasse den Hof und habe in diesem Augenblick nur einen einzigen Wunsch: die Rache. Gebt uns die Geistlichkeit und das Volk, worüber Ihr verfügt; ich gebe Euch die Bürgerschaft und das Parlament. Mit diesen vier Elementen gehört Paris in acht Tagen uns, und glaubt mir, Herr Koadjutor, der Hof gibt aus Furcht, was er aus Wohlwollen nie geben würde.

Der Koadjutor schaute Louvières ebenfalls mit seinem durchdringenden Auge an und versetzte: Aber, Herr Louvières, wißt Ihr, daß Ihr mir nichts anderes als den Bürgerkrieg vorschlagt? – Ihr bereitet ihn seit so geraumer Zeit vor, Monseigneur, daß er Euch willkommen sein muß. – Gleichviel, sprach der Koadjutor, Ihr begreift, daß die Sache Überlegung fordert. – Wieviel Stunden verlangt Ihr zum Überlegen? – Zwölf, mein Herr, ist das zu viel? – Es ist Mittag, um Mitternacht bin ich bei Euch. – Falls ich noch nicht zu Hause wäre, so wartet auf mich. – Gut, um Mitternacht, Monseigneur. – Um Mitternacht, mein lieber Herr Louvières.

Nach zwei Stunden hatte der Herr von Retz (der Nebenname des eigentlich Jean Gondy heißenden Koadjutors) dreißig Pfarrer aus den bevölkertsten und unruhigsten Kirchspielen von Paris um sich versammelt.

Retz erzählte ihnen die Beleidigung, die ihm im Palais Royal widerfahren war. Die Geistlichen fragten ihn, was zu tun sei.

Das ist ganz einfach, antwortete der Koadjutor. Ihr leitet die Gewissen, untergrabt das elende Vorurteil der Furcht und Achtung vor dem König, lehrt Eure Beichtkinder, die Königin sei eine Tyrannin, und wiederholt so lange und so kräftig, bis es jeder weiß, alles Unglück in Frankreich rühre von Mazarin, ihrem Liebhaber und Verderber, her. Beginnt das Werk heute, auf der Stelle, und in drei Tagen erwarte ich von Euch das gewünschte Resultat. Hat übrigens einer von Euch mir einen guten Rat zu geben, so bleibe er hier, und ich werde ihn mit Vergnügen anhören.

Drei Pfarrer blieben, der von Saint-Mery, der von Saint-Sulpice und der von Saint-Eustache.

Die andern entfernten sich.

Ihr glaubt mich also wirksamer unterstützen zu können als Eure Amtsgenossen? fragte der Koadjutor. – Wir hoffen es, erwiderten die Pfarrer. – Laßt hören, Herr Pfarrer von Saint-Mery. Fangt an. – Monseigneur, ich habe in meinem Quartiere einen Menschen, der Euch von größtem Nutzen sein könnte. – Wer ist das? – Ein Kaufmann, der den mächtigsten Einfluß auf die kleinen Handelsleute in seinem Quartier ausübt. – Wie heißt er? – Es ist ein gewisser Planchet. Er hat vor ungefähr sechs Wochen ganz allein einen Aufruhr erregt. Infolge dieses Aufruhrs aber ist er, da man ihn suchte, um ihn zu hängen, verschwunden. – Werdet Ihr ihn wiederfinden? – Ich hoffe es, denn ich glaube nicht, daß er verhaftet worden ist, und da ich Beichtiger seiner Frau bin, werde ich es wohl erfahren, wenn sie weiß, wo er ist. – Gut, mein lieber Herr Pfarrer. Sucht mir diesen Mann und bringt ihn hierher, wenn Ihr ihn findet. – Um welche Stunde, Monseigneur? – Um sechs Uhr. Wollt Ihr? – Wir werden um sechs Uhr bei Euch sein, Monseigneur. – Geht, mein lieber Pfarrer, geht, und Gott stehe Euch bei.

Der Pfarrer entfernte sich.

Und Ihr, mein Herr? sagte Retz, sich zu dem Pfarrer von Saint-Sulpice umwendend. – Ich, Monseigneur, erwiderte dieser, ich kenne einen Mann, der einem bei dem Volk sehr beliebten Prinzen große Dienste geleistet hat. Er würde einen vortrefflichen Volksführer geben, und ich kann ihn zu Eurer Verfügung stellen. – Wie heißt dieser Mann? – Der Graf von Rochefort. – Ich kenne ihn. Bringt ihn mir um acht Uhr, Herr Pfarrer, und Gott segne Euch, wie ich Euch segne.

Der Pfarrer verbeugte sich und ging ab.

Nun ist die Reihe an Euch, mein Herr, sagte der Koadjutor und wandte sich zu dem letzten Besucher um. Habt Ihr mir auch etwas anzubieten, wie die zwei Herren, die uns verlassen? – Etwas Besseres, Monseigneur. – Teufel! gebt wohl acht, daß Ihr da nicht eine furchtbare Verbindlichkeit übernehmt: der eine hat mir einen Kaufmann angeboten, der andere bietet mir einen Grafen an, Ihr wollt mir also einen Prinzen anbieten? – Ich biete Euch einen Bettler, Monseigneur. – Ah, ah, sprach Retz nachdenkend, Ihr habt recht, Herr Pfarrer, ein Mensch, der diese ganze Legion von armen Teufeln, die in den Sackgassen von Paris zusammengedrängt sind, zum Aufruhr brächte und sie so laut, daß es ganz Frankreich hören müßte, schreien ließe, Mazarin habe sie an den Bettelstab gebracht … – Ich habe gerade Euern Mann! – Bravo! und wer ist dieser Mann? – Ein einfacher Bettler, wie ich Euch sagte, Monseigneur, ein Mensch, der seit ungefähr sechs Jahren auf den Stufen der Saint-Eustache-Kirche Almosen fordert und Weihwasser reicht. – Und Ihr sagt, er übe einen großen Einfluß auf seinesgleichen aus? – Weiß Monseigneur, daß die Bettlerei eine organisierte Körperschaft, eine Art Verbrüderung der Besitzlosen gegen die Besitzenden ist, ein Bund, zu dem jeder seinen Teil beiträgt, und der unter einem Haupte steht? – Ja, ich habe davon gehört. – Der Mensch, den ich Euch biete, ist General-Syndikus; er nennt sich Maillard. – Meint Ihr, wir werden ihn zu dieser Stunde auf seinem Posten treffen? – Ganz gewiß. – Wir wollen Euern Bettler aufsuchen, Herr Pfarrer, und wenn er ist, wie Ihr sagt, so habt Ihr allerdings den wahren Schatz gefunden.

Retz legte eine Reitertracht an, setzte einen breitkrempigen Hut mit einer roten Feder auf den Kopf, gürtete ein langes Schwert um, schnallte die Sporen an seine Stiefel, hüllte sich in einen weiten Mantel und folgte dem Pfarrer.

Als sie in die Rue des Prouvaires gelangten, streckte der Pfarrer die Hand nach dem Vorhof der Kirche aus und sagte: Seht, dort ist er auf seinem Posten.

Gondy schaute in der angegebenen Richtung und erblickte einen Bettler, der, mit dem Rücken an ein Gesimse gelehnt, auf einem Stuhle saß; er hatte einen kleinen Eimer in seiner Nähe und hielt einen Sprengwedel in der Hand.

Hat er ein Privilegium, sich hier aufzuhalten? fragte Gondy. – Nein, Monseigneur, antwortete der Pfarrer; er hat seinem Vorgänger diesen Platz als Weihwassergeber abgekauft. – Abgekauft? – Ja, solche Plätze werden verkauft; ich glaube, daß dieser für den seinigen hundert Pistolen bezahlt hat. – Der Bursche ist also reich? – Manche von diesen Leuten hinterlassen bei ihrem Tode zwanzig-, fünfundzwanzig-, dreißigtausend Livres und noch mehr. – Hm! versetzte Gondy lachend, ich glaubte nicht, daß ich meine Almosen so gut anbrächte.

Man näherte sich indessen dem Vorhof; im Augenblick, wo der Pfarrer und der Koadjutor den Fuß auf die erste Stufe der Kirche setzten, erhob sich der Bettler und überreichte seinen Sprengwedel.

Es war ein Mensch von sechs- bis achtundsechzig Jahren, klein, ziemlich dick, mit grauen Haaren und falben Augen. Auf seinem Gesicht stand der Kampf zweier entgegengesetzten Prinzipe zu lesen … eine schlechte Natur, gezähmt durch den Willen, vielleicht auch durch die Reue.

Als er den Mann erblickte, der den Pfarrer begleitete, bebte er leicht und schaute ihn mit erstaunter Miene an.

Maillard, sagte der Pfarrer, dieser Herr und ich sind gekommen, um einen Augenblick mit Euch zu sprechen.

Mit mir? sagte der Bettler, das ist eine große Ehre für einen armen Weihwassergeber.

Im Tone des Bettlers lag ein Ausdruck von Ironie, den er nicht zu beherrschen wußte, und worüber der Koadjutor sich wunderte.

Nach einigen Worten fragte ihn Retz, ob er geneigt wäre, seine Macht in den bestehenden Wirren geltend zu machen, und Maillard erklärte sich bereit, wenn ihm Vergebung seiner früheren Sünden gewährt werde. Diese wurde ihm in Aussicht gestellt.

Haltet Ihr die Gewalt, die Ihr über Eure Genossen ausübt, für so groß, als mir der Herr Pfarrer soeben gesagt hat? fuhr der Koadjutor fort.

Ich glaube, daß sie eine gewisse Achtung vor mir haben, erwiderte der Bettler stolz, und daß sie nicht nur alles tun werden, was ich ihnen befehle, sondern auch, daß sie mir überallhin folgen, wohin ich gehe.

Könnt Ihr mir für fünfhundert entschlossene Männer, tüchtige gutgesinnte Tagediebe, kräftige Kehlen, stehen, die im stande sind, mit ihrem Geschrei: Nieder mit Mazarin, die Mauern des Palais-Royal umzustürzen, wie einst die von Jericho einstürzten?

Ich glaube, daß ich mit noch schwierigeren und wichtigeren Dingen beauftragt werden kann.

Ah! ah! Ihr würdet es also übernehmen, in einer Nacht ein Dutzend Barrikaden zu bauen?

Ich übernehme es, fünfzig zu bauen und sie, wenn der Tag kommt, zu verteidigen.

Bei Gott, sagte Retz, Ihr sprecht mit einer Sicherheit, die mir Freude macht, und da der Herr Pfarrer für Euch bürgt …

Ich verbürge mich, versetzte der Pfarrer.

Dieser Sack enthält fünfhundertundfünfzig Pistolen in Gold; trefft also Euere Anstalten und sagt mir, wo ich Euch heute abend um zehn Uhr finden kann.

Es müßte eine hohe Stelle sein, von wo aus man ein Signal geben könnte, das in allen Quartieren von Paris gesehen würde.

Soll ich Euch ein Wort an den Vikar von Saint-Jacques-la-Boucherie mitgeben? Er wird Euch in ein Zimmer des Turmes führen, sagte der Pfarrer.

Vortrefflich, erwiderte der Bettler.

Diesen Abend also um zehn Uhr, sprach der Koadjutor; bin ich mit Euch zufrieden, so könnt Ihr über einen zweiten Sack von fünfhundert Pistolen verfügen.

Die Augen des Bettlers glänzten vor Gier, aber er drängte diese Bewegung zurück und antwortete: Diesen Abend, mein Herr; es wird alles bereit sein.

Oheim und Neffe

Lord Winter wurde von seinem Pferd und dem Lakaien an der Tür erwartet. Er ritt, ganz in Gedanken versunken, nach seiner Wohnung und schaute dabei von Zeit zu Zeit zurück, um die schwarze, schweigsame Fassade des Louvre zu betrachten. Da erblickte er einen Reiter, der sich sozusagen von der Mauer losmachte und ihm in einer gewissen Entfernung folgte; er erinnerte sich, bei seiner Entfernung aus dem Palais-Royal einen ähnlichen Schatten gesehen zu haben.

Lord Winters Lakai, der nur einige Schritte hinter ihm war, verfolgte diesen Reiter gleichfalls mit unruhigem Auge.

Tomy! sprach der Lord und machte dem Bedienten ein Zeichen, sich zu nähern.

Hier, gnädiger Herr.

Und der Bediente ritt an die Seite seines Herrn.

Hast du den Menschen bemerkt, der uns folgt? – Ja, Mylord. – Wer ist er? – Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß er Eurer Herrlichkeit von dem Palais-Royal an gefolgt ist, im Louvre angehalten hat, um Euern Abgang zu erwarten, und mit Eurer Herrlichkeit wieder vom Louvre weggeritten ist. – Ein Spion des Kardinals, sagte Winter zu sich selbst. Wir wollen uns stellen, als bemerkten wir seine Späherei gar nicht.

Lord Winter gab seinem Pferde die Sporen und ritt schnell durch ein Wirrsal von Gassen. Vor seinem Gasthause stieg er ab und ging in seine Wohnung hinauf, wobei er sich vornahm, den Spion beobachten zu lassen. Als er aber seine Handschuhe und seinen Hut auf einen Tisch legte, sah er in einem Spiegel vor sich eine Gestalt, die auf der Schwelle des Zimmers erschien.

Er wandte sich um, Mordaunt stand ihm gegenüber.

Lord Winter erbleichte und blieb unbeweglich stehen. Mordaunt hielt sich auf der Schwelle, kalt, drohend, einer Bildsäule ähnlich.

Einen Augenblick herrschte ein eisiges Stillschweigen zwischen diesen zwei Männern.

Mein Herr, ich glaubte Euch bereits begreiflich gemacht zu haben, daß mich diese Verfolgung ermüdet. Entfernt Euch also, oder ich rufe Leute und lasse Euch wegjagen, wie in London. Ich bin nicht Euer Oheim, ich kenne Euch nicht, sagte der Lord.

Mein Oheim, versetzte Mordaunt mit seinem höhnischen Tone, Ihr täuscht Euch, Ihr werdet mich diesmal nicht wegjagen lassen, wie Ihr in London getan habt! Nein, Ihr werdet es nicht wagen. Wenn Ihr leugnen wollt, daß ich Euer Neffe sei, so werdet Ihr dies wohl zweimal überlegen, da ich mancherlei Dinge erfahren habe, die ich vor einem Jahre nicht wußte.

Ei, was liegt mir an dem, was Ihr erfahren habt? entgegnete Lord Winter.

Oh! es liegt Euch viel daran, mein Oheim, das weiß ich gewiß, und Ihr werdet sogleich meiner Meinung sein, fügte er mit einem Lächeln bei, wobei dem Lord ein Schauer durch die Adern lief. Als ich mich zum ersten Male in London bei Euch einfand, geschah es, um Euch zu fragen, was aus meinem Erbgut geworden sei. Als ich mich zum zweiten Male bei Euch einfand, geschah es, um Euch zu fragen, wer meinen Namen befleckt habe. Diesmal stelle ich mich vor Euch, um eine Frage an Euch zu richten, die viel furchtbarer ist, als alle vorhergehenden, um Euch zu sagen: Mylord, was habt Ihr mit Eurer Schwester gemacht, mit Eurer Schwester, die meine Mutter war?

Lord Winter wich vor dem Feuer dieser glühenden Augen zurück.

Mit Eurer Mutter! sagte er.

Ja, mit meiner Mutter, Mylord, antwortete der junge Mann, mit dem Kopf nickend.

Winter tat sich große Gewalt an, tauchte in seine Erinnerungen, um einen neuen Haß daraus zu holen, und rief:

Sucht, was aus ihr geworden ist, Unglücklicher, und fragt die Hölle; vielleicht wird Euch die Hölle antworten.

Der junge Mann schritt nun im Zimmer vor, bis er Lord Winter unmittelbar gegenüber stand, und kreuzte die Arme. Ich habe den Henker von Bethune gefragt, sprach er mit dumpfer Stimme und einem Gesicht, das vor Schmerz und Zorn leichenblaß wurde, und der Henker von Bethune hat mir geantwortet.

Winter fiel auf einen Stuhl, als ob ihn der Blitz getroffen hätte, und bemühte sich vergebens, zu sprechen.

Ja, nicht wahr, fuhr der junge Mann fort, mit diesem Wort erklärt sich alles. Mit diesem Schlüssel öffnet sich der Abgrund. Meine Mutter hatte von ihrem Gatten geerbt, und Ihr habt meine Mutter ermordet! Mein Name sicherte mir das väterliche Erbteil, und Ihr habt mich meines Namens beraubt. Wenn man sich als Räuber weiß, ist es nicht ganz bequem, den Menschen, welchen man arm gemacht hat, seinen Neffen zu nennen; wenn man sich als Mörder weiß, will man nicht gern dem Menschen, den man zur Waise gemacht hat, den Titel seines Neffen gönnen.

Diese Worte brachten eine ganz andere Wirkung hervor, als Mordaunt erwartet hatte. Lord Winter erinnerte sich, welches Ungeheuer Mylady gewesen war. Er erhob sich ruhig und ernst und bezwang mit seinem strengen Blick das exaltierte Auge des jungen Mannes.

Ihr wollt in dieses furchtbare Geheimnis dringen, mein Herr? sprach er. Nun wohl, es sei! Erfahrt also, wer die Frau war, über die Ihr mir Rechenschaft abfordert: Diese Frau hat aller Wahrscheinlichkeit nach meinen Bruder vergiftet, und um mich zu beerben, wollte sie mich ebenfalls ermorden, dafür habe ich Beweise. Was sagt Ihr hierzu?

Ich sage, daß sie meine Mutter war!

Sie hat einen gerechten, guten und rechtschaffenen Mann, den Herzog von Buckingham, erdolchen lassen. Was sagt Ihr zu diesem Verbrechen, für das ich die Beweise habe?

Daß sie meine Mutter war!

Nach Frankreich zurückgekehrt, hat sie in dem Kloster der Augustinerinnen in Bethune eine Frau vergiftet, die einen ihrer Feinde liebte. Wird Euch dieses Verbrechen von der Gerechtigkeit der Strafe überzeugen? Ich habe die Beweise dafür. Was sagt Ihr dazu?

Daß sie meine Mutter war! rief der junge Mann, in immer stärkerem Tone.

Von Mordtaten und Ausschweifungen belastet, allen verhaßt, drohend wie ein blutdürstiger Panther, unterlag sie den Schlägen von Männern, die sie in Verzweiflung gebracht hatte, ohne daß diese Männer ihr je den geringsten Schaden zugefügt hätten. Ein verworfenes Mädchen, eine ehebrecherische Gattin, eine entartete Schwägerin, eine Giftmischerin, eine Mörderin, fluchwürdig bei allen Menschen, die sie kennen lernten, starb sie, verflucht von Himmel und Erde. Das ist das Bild dieser Frau.

Ein Schluchzen, das Mordaunt nicht zu bemeistern vermochte, zerriß ihm die Kehle und trieb das Blut in sein leichenbleiches Gesicht; er ballte die Fäuste, und mit schweißtriefendem Gesicht, mit emporgesträubten Haaren wie Hamlet, rief er in wütendem Grimm:

Schweigt, mein Herr, sie war meine Mutter. Ihr Leben kenne ich nicht, ihre Verbrechen kenne ich nicht! Aber ich weiß, daß ich eine Mutter hatte, daß fünf Männer, gegen eine Frau verbunden, sie heimlich, nächtlicherweise, schweigend wie Feiglinge ermordet haben. Ich weiß, daß Ihr dabei wart, mein Herr, daß Ihr dabei wart, mein Oheim, daß Ihr, wie die anderen und stärker als die anderen, spracht: Sie muß sterben! Ich sage Euch also, hört wohl auf diese Worte, und sie mögen sich in Euer Gedächtnis einprägen, damit Ihr sie nie vergesset: über diesen Mord, der mir alles geraubt hat, diesen Mord, der mich namenlos, der mich arm, der mich boshaft und unversöhnlich gemacht hat … werde ich zuerst von Euch und dann von Euern Genossen, sobald ich sie kenne, Rechenschaft verlangen!

Haß in den Augen, Schaum auf dem Munde, die Fäuste geballt, trat Mordaunt noch einen Schritt, einen furchtbar drohenden Schritt gegen Lord Winter näher.

Dieser griff mit der Hand nach dem Degen und sagte mit dem Lächeln des Mannes, der seit dreißig Jahren mit dem Tode spielt: Wollt Ihr mich ermorden, mein Herr? Dann erkenne ich Euch als meinen Neffen, denn Ihr seid der Sohn Eurer Mutter.

Nein, versetzte Mordaunt, und er zwang alle Fibern seines Gesichtes, alle Muskeln seines Körpers, ihren Platz wieder einzunehmen. Nein, ich werde Euch nicht töten, wenigstens in diesem Augenblick nicht; denn ohne Euch würde ich die andern nicht kennen lernen. Aber wenn ich sie kenne, dann zittert! Ich habe den Henker von Bethune erstochen; ich habe ihn ohne Barmherzigkeit erstochen, und er war der unschuldigste von Euch allen.

Nach diesen Worten entfernte sich der junge Mann und stieg ruhig genug, um nicht bemerkt zu werden, die Treppe hinab. Dann ging er aus dem inneren Treppenplatz an Tomy vorüber, der, an das Geländer gelehnt, nur auf einen Ruf seines Herrn wartete, um zu ihm hinaufzueilen.

Aber Lord Winter rief nicht. Im höchsten Grad erschüttert, blieb er mit gespanntem Ohr stehen. Erst als er den Tritt des Pferdes hörte, fiel er halb ohnmächtig auf einen Stuhl zurück und sprach: Mein Gott, ich danke dir, daß er nur mich kennt!

Vaterschaft

Während dieser furchtbaren Scene saß Athos am Fenster seines Zimmers, den Ellenbogen auf einen Tisch, den Kopf auf seine Hand gestützt, und hörte mit Augen und Ohren Raoul zu, der ihm die Abenteuer seiner Reise und die Einzelheiten der Schlacht erzählte.

Ihr habt also der großen Schlacht beigewohnt und daran Anteil genommen, Bragelonne? sprach mit dem Ausdruck eines reinen Glückes in seinem Antlitz der ehemalige Musketier. – Ja; Herr. – Und der Kampf war heiß, sagt Ihr? – Der Herr Prinz hat elfmal in Person angegriffen. Als wir uns dem Feinde näherten, geschah es im Schritt. Man hatte uns verboten, zuerst zu schießen, und wir marschierten gegen die Spanier, die sich, die Muskete auf dem Schenkel, auf einer Anhöhe hielten. Auf dreißig Schritte zu ihnen gelangt, wandte sich der Prinz nach den Soldaten um und sagte: Kinder, Ihr werdet eine furchtbare Ladung auszuhalten haben. Hernach aber, seid unbesorgt, habt Ihr nur noch geringe Arbeit. Es herrschte eine solche Stille, daß Freund und Feind diese Worte hörte. Dann seinen Degen erhebend, rief er: Blast, Trompeter! Als wir noch zehn Schritte näher gekommen waren, sahen wir alle Musketen sich wie eine glänzende Linie senken; denn die Sonnenstrahlen funkelten auf den Läufen. Im Schritt, Kinder, im Schritt! sprach der Prinz, dies ist der Augenblick! – War Euch bange, Raoul? sagte der Graf. – Ja, Herr, antwortete der Jüngling naiv. Ich fühlte eine große Kälte in meinem Herzen, und bei dem Worte Feuer, das in spanischer Sprache in den feindlichen Reihen ertönte, schloß ich die Augen und dachte an Euch. – Wirklich, Raoul? sprach Athos und drückte ihm die Hand. – Ja, Herr, in demselben Augenblick entstand ein solcher Lärm, daß man hätte glauben sollen, die Hölle öffne sich, und die, welche nicht getötet wurden, fühlten die Wärme der Flamme. Ich öffnete die Augen wieder, erstaunt, nicht tot oder wenigstens verwundet zu sein … Der dritte Teil der Schwadron lag verstümmelt und blutig auf der Erde. In diesem Moment begegnete ich dem Auge des Prinzen. Ich dachte nur noch an eins, daran, daß er mich anschaute. Ich gab meinem Pferd beide Sporen und befand mich mitten unter den feindlichen Reihen. – Und der Prinz war mit Euch zufrieden? – Er sagte es mir wenigstens, als er mich beauftragte, Herrn von Chatillon zu begleiten, der diese Neuigkeit der Königin mitzuteilen und die eroberten Fahnen zu überbringen hatte. Und ich bin gekommen, fügte Raoul bei und schaute den Grafen mit einem Lächeln tiefer Liebe an; denn ich dachte, es würde Euch Freude machen, mich wiederzusehen.

Athos zog den Jüngling zu sich und küßte ihn auf die Stirne, wie er es bei einem jungen Mädchen getan hätte.

So seid Ihr also in die Welt eingetreten, Raoul, sprach er, Ihr habt Herzoge zu Freunden, einen Marschall von Frankreich zum Paten, einen Prinzen von Geblüt zum Feldherrn und seid am Tage Eurer Rückkehr von zwei Königinnen empfangen worden. Das ist schön für einen Rekruten. – Ach! Herr! sprach Raoul plötzlich, auf einen Herrn deutend, der soeben in der Türöffnung erschien: Dort ist ein Herr, der mich schon, als ich vor der Königin Henriette erschien, nach Euch fragte.

Mylord Winter! rief der Graf, sich umwendend.

Athos, mein Freund!

Und die beiden Männer hielten sich einen Augenblick umschlossen. Dann nahm Athos den Engländer bei beiden Händen und sprach, ihn anschauend: Was habt Ihr, Mylord? Ihr scheint ebenso traurig, als ich heiter bin!

Ja, teurer Freund, es ist wahr. Und ich sage noch mehr: Euer Anblick verdoppelt meine Furcht.

Und Winter schaute um sich her, als wünsche er, allein zu sein. Raoul begriff, daß die zwei Freunde miteinander zu sprechen hatten, und entfernte sich in der Stille.

Nun, da wir allein sind, sprechen wir von Euch, sagte Athos. – Ja, erwiderte Lord Winter. Er ist hier. – Wer? – Der Sohn Myladys.

Abermals von diesem Namen getroffen, der ihn wie ein unseliges Echo zu verfolgen schien, zögerte Athos einen Augenblick, faltete leicht die Stirne und sprach dann mit ruhigem Tone:

Ich weiß es. – Ihr wißt es? – Ja, Grimaud hat ihn zwischen Bethune und Arras getroffen und ist mit verhängten Zügeln zurückgekehrt, um mich von seiner Gegenwart zu benachrichtigen. – Grimaud kannte ihn also? – Nein, aber er war an dem Sterbebett eines Menschen, der ihn kannte. – Des Henkers von Bethune! rief Winter. – Ihr wißt es? sprach Athos erstaunt. – Er verläßt mich in diesem Augenblick und hat mir alles gesagt, antwortete Lord Winter. Ach, mein Freund, was für eine furchtbare Scene! Warum haben wir nicht das Kind mit der Mutter vertilgt?

Was befürchtet Ihr? sagte Athos, durch Vernunftschlüsse von dem Schrecken sich erholend, den er anfangs empfunden hatte; sind wir nicht da, uns zu verteidigen? Ist dieser junge Mensch ein gewerbsmäßiger Heuchler, ein kaltblütiger Mörder geworden? Er konnte den Henker von Bethune in einem Anfall von Wut töten, aber seine Rache ist nun gestillt.

Lord Winter lächelte traurig und schüttelte das Haupt.

Ihr kennt also dieses Blut nicht mehr? sagte er.

Bah! sprach Athos, der ebenfalls zu lächeln suchte, es wird in der zweiten Generation von seiner Wildheit verloren haben. Wir können nichts anderes tun, als warten. Warten wir also. Aber was führte Euch nach Paris?

Wichtige Angelegenheiten, die Ihr später kennen lernen sollt. Doch was habe ich bei Ihrer Majestät der Königin von England sagen hören? Herr d’Artagnan ist Mazariner. Verzeiht mir meine Offenherzigkeit, Freund: ich hasse den Kardinal nicht, schmähe ihn auch nicht, und Eure Ansichten werden mir stets heilig sein … solltet Ihr zufällig auch diesem Menschen angehören?

Herr d’Artagnan ist im Dienste, antwortete Athos; er ist Soldat, er gehorcht der bestehenden Gewalt. Herr d’Artagnan ist nicht reich und bedarf, um zu leben, seiner Stelle als Leutnant. Die Millionäre wie Ihr, Mylord, sind in Frankreich selten.

Ach! sprach Lord Winter, ich bin heute so arm und noch ärmer als er. Aber kommen wir auf Euch zurück.

Gut! Ihr wollt wissen, ob ich Mazariner bin? Nein, tausendmal nein! Vergebt mir ebenfalls meine Offenherzigkeit, Mylord!

Lord Winter stand auf, schloß Athos in seine Arme und sprach:

Ich danke, Graf, für diese beseligende Kunde. Ihr seht mich glücklich und vergnügt. Aber seid Ihr frei? – Was versteht Ihr unter frei? – Ich frage Euch, ob Ihr nicht verheiratet seid? – Ah, nein, antwortete Athos lächelnd. – Der schöne, elegante, anmutige junge Mann … – Ist ein Kind, das ich erziehe und das nicht einmal seinen Vater kennt. – Sehr gut, Ihr seid immer derselbe, Athos, groß und edelmütig. – Laßt hören, Mylord, was wünscht Ihr von mir? – Ihr habt die Herren Porthos und Aramis immer noch zu Freunden? – Fügt auch d’Artagnan bei, Mylord, wir sind immer noch vier treu ergebene Freunde. Wenn es sich aber darum handelt, dem Kardinal zu dienen oder ihn zu bekämpfen, Mazariner oder Frondeurs zu sein, so sind wir nur noch zwei, ich und Aramis. – Könnt Ihr mich mit diesem so liebenswürdigen und so geistreichen Freund in Verbindung bringen? – Allerdings, sobald es Euch angenehm ist. – Könnt Ihr Euch anheischig machen, ihn mir morgen um zehn Uhr auf den Pont-du-Louvre zu bringen? – Ah, ah, sagte Athos lächelnd, Ihr habt ein Duell? – Ja, Graf, und zwar ein schönes Duell, ein Duell, dem Ihr hoffentlich anwohnen werdet. – Wohin gehen wir, Mylord? – Zu Ihrer Majestät der Königin von England, die mich beauftragt hat, Euch ihr vorzustellen, Graf. – Werdet Ihr mir die Ehre erzeigen, mit mir zu Nacht zu speisen, Mylord? – Ich danke, Graf. Der Besuch dieses jungen Menschen hat mir, ehrlich gestanden, den Appetit genommen und wird mir auch den Schlaf rauben. Was hat er in Paris zu tun? Er erschreckt mich, Graf; sein Anblick verkündet Blut. – Was macht er in England? – Er ist einer der eifrigsten Anhänger Oliver Cromwells. – Was hat ihn auf diese Seite getrieben? Seine Mutter und sein Vater waren, glaube ich, Katholiken. – Der Haß, den er gegen den König hegt. – Gegen den König? – Ja, der König hat ihn zum Bastard erklärt, ihn seiner Güter beraubt und ihm verboten, den Namen Winter zu führen. – Und wie heißt er jetzt? – Mordaunt. – Als Puritaner und als Mönch verkleidet, reist er allein auf den Landstraßen Frankreichs umher? – Als Mönch, sagt Ihr? – Ja, wußtet Ihr das nicht? – Ich weiß nichts, als was er mir selbst gesagt hat. – Und aus diese Art hat er den Henker beichten hören. – Dann errate ich alles. Er ist vom Cromwell abgesandt. – An wen? – An Mazarin. Und die Königin hatte recht, man ist uns zuvorgekommen. Alles erklärt sich jetzt. Gott befohlen, Graf. Morgen also!

Als der Graf am andern Morgen seine Augen öffnete, erblickte er Raoul an seinem Bette. Der junge Mann war bereits vollständig angekleidet und las ein neues Buch.

Schon aufgestanden, Raoul? sagte der Graf. – Ja, Herr, antwortete der junge Mann mit leichtem Zögern, ich habe schlecht geschlafen. – Ihr, Raoul, schlecht geschlafen! Es fehlte Euch also etwas? fragte Athos. – Herr, Ihr werdet sagen, ich habe große Eile, Euch zu verlassen, da ich kaum erst angekommen bin, aber … – Ihr habt also nur zwei Tage Urlaub, Raoul? – Im Gegenteil, Herr, ich habe zehn; ich wünschte nur, wenn Ihr es mir gestattet, einen Tag in Blois zuzubringen. Ihr schaut mich an und werdet über mich lachen. – Nein, im Gegenteil, erwiderte Athos, einen Seufzer unterdrückend, nein, ich lache nicht, Vicomte. Ihr habt Lust, Blois wiederzusehen, und das ist ganz natürlich. – Ihr erlaubt es mir also? rief Raoul freudig. – Gewiß, Raoul. – Ach, Herr, wie gut seid Ihr! rief der junge Mann und machte eine Bewegung, als wollte er Athos an den Hals springen; aber die Achtung hielt ihn zurück.

Athos öffnete ihm die Arme.

Also kann ich sogleich abreisen?

Sobald Ihr wollt, Raoul.

Raoul machte drei Schritte, um sich zu entfernen.

Herr, sprach er, da fällt mir eben noch etwas ein, nämlich, daß ich durch die Frau Herzogin von Chevreuse, die so gut gegen mich ist, bei dem Herrn Prinzen eingeführt worden bin. – Und daß Ihr der Herzogin einen Dank schuldig seid, nicht wahr, Raoul? – So scheint es mir; doch es hängt von Eurer Entscheidung ab. – Geht durch das Hotel Luynes, Raoul, und laßt fragen, ob Euch die Frau Herzogin empfangen kann. Ich sehe mit Vergnügen, daß Ihr die Schicklichkeit nicht vergeßt. Nehmt Grimaud und Olivain mit. – Beide, Herr? fragte Raoul erstaunt. – Beide.

Raoul verbeugte sich und ging.

Als ihn Athos die Türe schließen sah und hörte, wie er mit seiner fröhlichen und wohlklingenden Stimme Grimaud und Olivain rief, seufzte er.

Er verläßt mich sehr schnell, dachte er, den Kopf schüttelnd; aber er gehorcht dem gemeinsamen Gesetze. Die Natur ist so beschaffen; sie schaut vorwärts. Er liebt offenbar dieses Kind. Wird er mich aber darum weniger lieben, weil er auch andere liebt?

Athos gestand sich, daß er diese rasche Abreise nicht erwartet hatte. Aber Raoul war so glücklich, daß der Graf darüber die eigene Enttäuschung vergaß.

Noch eine Königin, die Beistand verlangt

Athos schickte schon am Morgen Aramis einen Brief, in dem er dem Freunde von Lord Winters Wunsch Mitteilung machte.

Um zehn Uhr fand er sich selbst mit seiner gewöhnlichen Pünktlichkeit auf dem Pont-du-Louvre ein. Er traf hier Lord Winter, der in demselben Augenblick erschien.

Sie warteten etwa zehn Minuten, und Lord Winter begann zu fürchten, Aramis möchte nicht kommen.

Geduld, sprach Athos, der seine Augen nach der Rue du Bac gerichtet hielt, Geduld, dort ist ein Abbé, der einem Menschen einen Faustschlag gibt und eine Frau grüßt; das muß Aramis sein.

Er war es in der Tat. Ein junger Bürger, der Maulaffen feil hielt, stand ihm im Wege, und Aramis schleuderte ihn, da er ihn mit Kot bespritzte, mit einem Faustschlag zehn Schritte von sich. Zu gleicher Zeit ging eins seiner reumütigen Beichtkinder an ihm vorüber, und da es eine hübsche, junge Person war, so grüßte Aramis sie mit seinem anmutigsten Lächeln. Einen Augenblick nachher war er bei den beiden Männern, die seiner harrten.

Wohin gehen wir? sprach Aramis, nachdem die ersten Höflichkeitsformen getauscht waren. Schlägt man sich? Ich habe keinen Degen bei mir und müßte mir erst einen holen.

Nein, sagte Lord Winter, wir machen Ihrer Majestät der Königin von England einen Besuch.

Ah, sehr gut, sagte Aramis, und in welcher Absicht geschieht dies? fuhr er, sich an Athos‘ Ohr neigend, fort.

Meiner Treu, ich weiß es nicht. Wir sollen vielleicht als Zeugen dienen.

Im Louvre ging Lord Winter den Freunden voraus. Ein einziger Portier stand an der Türe, und beim Tageslicht konnten Athos, Aramis und der Engländer sehen, wie abscheulich ärmlich die Wohnung ausgestattet war, die geiziges Mitleid der unglücklichen Königin bewilligt hatte. Große, von allen Möbeln entblößte Säle, verwitterte Wände, an denen einsame Stücke vergoldeter Leisten glänzten, Fenster, die nicht schlossen und keine Scheiben hatten, keine Teppiche, keine Wachen, keine Bedienten, das war es, was Athos sogleich in die Augen fiel, und worauf er schweigend seinen Gefährten aufmerksam machte, indem er ihn mit dem Ellbogen stieß und auf dieses Elend deutete.

Mazarin wohnt besser, sprach Aramis.

Mazarin ist beinahe König, versetzte Athos, und Madame Henriette ist beinahe nichts mehr.

Die Königin schien ungeduldig zu warten, denn bei der ersten Bewegung, die sie in dem Saale vor ihrem Zimmer hörte, kam sie selbst auf die Schwelle.

Tretet ein und seid willkommen, meine Herren, sprach sie.

Die Edelleute traten ein und blieben anfangs stehen. Aber auf eine Gebärde der Königin, die sie durch ein Zeichen sitzen hieß, gab Athos das Beispiel des Gehorsams. Er war ernst und ruhig, Aramis aber war wütend. Tiefer Jammer einer Königin hatte ihn außer sich gebracht.

Ihr betrachtet meinen Luxus, sprach Madame Henriette und warf einen traurigen Blick um sich her.

Madame, sagte Aramis, ich bitte Eure Majestät um Vergebung, aber ich bin nicht im stande, meine Entrüstung zu verbergen, da ich sehe, wie man am französischen Hofe die Tochter Heinrichs IV. behandelt.

Dieser Herr ist kein Kavalier? sprach die Königin zu Lord Winter.

Dieser Herr ist der Abbé d’Herblay, antwortete der Lord.

Aramis errötete.

Madame, sagte er, ich bin allerdings Abbé, aber wider meinen Willen. Ich hatte nie Beruf für den Mönchskragen. Meine Soutane hält nur an einem Knopf, und ich bin stets bereit, wieder Musketier zu werden. Ich zog heute früh dieses Gewand an, weil ich nicht wußte, daß ich die Ehre haben würde, Eure Majestät zu sehen. Darum bin ich aber nicht minder der Mann, den Eure Majestät als den ergebensten in ihrem Dienste finden wird, was sie auch befehlen mag.

Der Herr Chevalier d’Herblay, versetzte Lord Winter, ist einer von den tapfern Musketieren Seiner Majestät des Königs Ludwig XIII., von denen ich Euch erzählt habe, Madame. Dann sich nach Athos umwendend, fuhr er fort: Dieser Herr ist der edle Graf de la Fère, dessen Ruf Euch wohlbekannt ist.

Meine Herren, sprach die Königin, vor einigen Jahren hatte ich Edelleute, Schätze, Heere um mich. Auf ein Zeichen meiner Hand bewegte sich alles für meinen Dienst. Heute habe ich, um einen Plan auszuführen, der mir das Leben retten soll, niemand, als Lord Winter, einen Freund seit zwanzig Jahren, und Euch, meine Herren, die ich zum erstenmal sehe und nur als meine Landsleute kenne.

Das ist genug, Madame, sprach Athos, mit einer tiefen Verbeugung, wenn das Leben von drei Männern das Eurige zu erkaufen vermag.

Ich danke, meine Herren, aber hört mich, fuhr sie fort. Ich bin nicht nur die elendeste der Königinnen, sondern auch die unglücklichste der Mütter, die trostloseste der Gattinnen. Meine Kinder, zwei wenigstens, der Herzog von York und die Prinzessin Charlotte, sind fern von mir, den Streichen von Ehrgeizigen und Feinden preisgegeben. Der König, mein Gemahl, schleppt in England ein so schmerzliches Dasein hin, daß ich wenig sage, wenn ich Euch versichere, er suche den Tod als Befreier. Hier, meine Herren, ist der Brief, den er mir durch Mylord Winter überschickt hat. Lest ihn.

Athos und Aramis entschuldigten sich.

Lest, sprach die Königin.

Athos las mit lauter Stimme den Brief, in dem der König Karl fragte, ob ihm Frankreich Gastfreundschaft gewähren wolle.

Nun? fragte Athos, als er den Brief zu Ende gelesen hatte.

Nun, sagte die Königin, er hat es abgeschlagen.

Die Freunde tauschten ein Lächeln der Verachtung.

Und was ist nun zu tun, Madame? sprach Athos.

Habt Ihr Mitleid mit so viel Unglück? sagte die Königin bewegt.

Ich habe die Ehre gehabt, Eure Majestät zu fragen, was sie wünsche, daß Herr d’Herblay und ich für ihren Dienst tun sollen; wir sind bereit.

Ah, mein Herr, Ihr seid in der Tat ein edles Herz, rief die Königin mit einem Ausbruch von Dankbarkeit, während Lord Winter sie anschaute, als wollte er sagen: Habe ich mich nicht für sie verbürgt?

Aber Ihr, mein Herr?, fragte die Königin Aramis.

Ich, Madame, antwortete dieser, ich folge überall, wohin der Graf geht, und wäre es in den Tod, ohne zu fragen, warum. Wenn es sich aber um den Dienst Eurer Majestät handelt, fügte er, die Königin mit aller seiner Anmut anschauend, bei, so gehe ich dem Grafen voraus.

Wohl, wenn es so ist, wenn ihr euch dem Dienste einer armen Fürstin weihen wollt, welche die ganze Welt verlassen hat, so könnt ihr folgendes für mich tun: Der König ist allein mit einigen Edelleuten, die er jeden Tag zu verlieren fürchtet, mitten unter Schotten, denen er mißtraut, obgleich er selbst ein Schotte ist. Seit Lord Winter ihn verlassen hat, lebe ich nicht mehr, meine Herren. Ich verlange vielleicht zu viel, denn ich habe keinen Anspruch zu machen. Geht nach England, eilt zum König, seid seine Freunde, zieht an seiner Seite in die Schlacht und weicht nicht von ihm. Und für das Opfer, das ihr mir bringt, meine Herren, verspreche ich nicht, euch zu belohnen, ich glaube, dieses Wort würde euch beleidigen, sondern euch zu lieben, wie eine Schwester, und euch über alle zu stellen, mit Ausnahme meines Gemahls und meiner Kinder, das schwöre ich euch vor Gott!

Und die Königin schlug langsam und feierlich die Augen zum Himmel auf.

Madame, sagte Athos, wann sollen wir reisen?

Ihr willigt also ein? fragte die Königin voll Freude.

Ja, Madame. Wir dienen Gott, wenn wir einem so unglücklichen Fürsten und einer so tugendhaften Königin dienen. Madame, wir gehören Euch mit Leib und Seele.

Ah, meine Herren, sprach die Königin, bis zu Tränen gerührt, das ist der erste Augenblick der Freude und Hoffnung, den ich seit fünf Jahren erlebe. Ja, ihr dient Gott, und da meine Macht zu beschränkt ist, um einen solchen Dienst anzuerkennen, so wird Er ihn belohnen, der in meinem Herzen alles liest, was darin von Dankbarkeit gegen ihn und gegen euch liegt. Rettet meinen Gemahl, rettet den König, und obgleich ihr nicht empfänglich für den Preis seid, der euch auf Erden für diese schöne Handlung zukommen kann, so laßt mir doch die Hoffnung, daß ich euch wiedersehen werde, um euch selbst zu danken. Mittlerweile bleibe ich. Habt ihr mir etwas zu empfehlen? Ich bin von diesem Augenblick an eure Freundin, und da ihr meine Angelegenheiten besorgt, so muß ich mich mit den eurigen beschäftigen.

Madame, sprach Athos, ich habe nichts von Eurer Majestät zu verlangen, als ihre Gebete.

Und ich, sagte Aramis, ich bin allein auf dieser Welt und diene nur Eurer Majestät.

Die Königin reichte ihnen die Hand, die sie küßten, und sagte ganz leise zu Lord Winter: Wenn es Euch an Geld fehlt, Mylord, so zögert keinen Augenblick: zerbrecht die Juwelen, die ich Euch gegeben habe, nehmt die Diamanten heraus und verkauft sie an einen Juden. Ihr bekommt dafür fünfzig- bis sechzigtausend Livres, verwendet sie, wenn es notwendig ist; diese Edelleute sollen aber behandelt werden, wie sie es verdienen, das heißt königlich.

Die Königin hatte zwei Briefe bereit gehalten. Einer war von ihr, der andere von der Prinzessin Henriette, ihrer Tochter, geschrieben. Beide waren an den König Karl gerichtet. Den einen gab sie Athos, den andern Aramis, damit sie sich, wenn der Zufall sie trennen sollte, dem König einzeln zu erkennen geben könnten. Dann entfernten sie sich.

Unten an der Treppe blieb Lord Winter stille stehen und sprach:

Trennen wir uns, damit wir keinen Verdacht erwecken, und diesen Abend um neun Uhr finden wir uns an der Porte-Saint-Denis zusammen. Wir reiten mit meinen Pferden, soweit sie gehen können, dann nehmen wir die Post. Noch einmal Dank, meine Freunde, Dank in meinem Namen, Dank im Namen der Königin! Und die drei Edelleute drückten sich die Hände.

Nun, sprach Aramis, als sie allein waren, was sagt Ihr zu dieser Unternehmung, mein lieber Graf? – Sie ist schlimm, antwortete Athos, sehr schlimm. – Aber Ihr habt sie mit Begeisterung aufgenommen? – Wie ich stets die Verteidigung eines großen Grundsatzes aufnehmen würde, mein lieber d’Herblay. Die Könige können nur durch den Adel groß sein, der Adel aber kann nur durch die Könige groß sein. Unterstützen wir also den Monarchen, so unterstützen wir uns selbst. – Wir werden uns da drüben totschlagen lassen, sprach Aramis. Ich hasse die Engländer, sie sind plump, wie alle Leute, die Bier trinken. – Wäre es denn besser, hier zu bleiben, versetzte Athos, und einen Gang in die Bastille oder in den Kerker von Vincennes zu machen, nachdem wir die Flucht des Herrn von Beaufort begünstigt haben? Ach, meiner Treu, Aramis, glaubt mir, wir haben es nicht zu bereuen. Wir vermeiden das Gefängnis und handeln als Helden; die Wahl ist leicht.

Damit trennten sie sich. Athos machte einen Versuch bei Frau von Vendome, gab seinen Namen bei Frau von Chevreuse ab und schrieb folgenden Brief an d’Artagnan:

Lieber Freund, ich verreise mit Aramis in einer wichtigen Angelegenheit. Ich wünschte von Euch Abschied zu nehmen, aber es gebricht mir an Zeit. Vergeßt nicht, daß ich Euch schreibe, um zu wiederholen, wie sehr ich Euch liebe.

Raoul ist nach Blois gegangen und weiß nichts von meiner Abreise. Wacht über ihn während meiner Abwesenheit, so gut Ihr immer könnt, und wenn Ihr in drei Monaten keine Nachricht von mir erhaltet, so sagt ihm, er möge ein versiegeltes Paket unter seiner Adresse öffnen, das er in Blois in meiner Bronze-Kassette finden wird, zu der ich Euch den Schlüssel schicke.

Umarmt Porthos für Aramis und für mich. Auf Wiedersehen, vielleicht auf immer!

Zur bestimmten Stunde erschien Aramis. Er war als Kavalier gekleidet und hatte an seiner Seite das alte Schwert, das er so oft gezogen und mehr als je zu ziehen bereit war.

Ach, sagte er, ich glaube, wir haben unrecht, so abzureisen. ohne ein Wörtchen des Abschieds an Porthos und d’Artagnan zurückzulassen.

Das ist geschehen, lieber Freund, versetzte Athos; ich habe dafür gesorgt, ich habe alle beide für mich und für Euch gegrüßt. – Ihr seid ein bewundernswürdiger Mann, mein lieber Graf, sprach Aramis, Ihr denkt an alles. – Nun, habt Ihr Euch fest zu dieser Reise entschlossen? – Ganz und gar, und jetzt, da ich mir die Sache genauer überlegt habe, bin ich froh, Paris in diesem Augenblick zu verlassen. – Ich auch, versetzte Athos, nur bedaure ich, d’Artagnan nicht umarmt zu haben. Aber dieser Teufel ist so fein, daß er unsere Pläne erraten hätte.

Beim Schlusse des Abendessens kam Blaisois, der den Brief zu d’Artagnan getragen hatte, zurück und sagte: Gnädiger Herr, hier ist die Antwort von Herrn d’Artagnan.

Ich habe dir nicht gesagt, du solltest auf Antwort warten, Dummkopf, sprach Athos.

Ich ging auch ab, ohne darauf zu warten; aber er ließ mich zurückrufen und gab mir dies.

Und er bot Athos eine strotzende, klingende lederne Tasche.

Athos öffnete sie und zog zuerst ein folgendermaßen lautendes Billett hervor:

Mein lieber Graf!

Wenn man verreist, und besonders wenn man auf drei Monate verreist, hat man nie Geld genug. Ich erinnere mich unserer Zeiten der Armut und schicke Euch die Hälfte meiner Börse. Es ist Geld, das ich abgeschweißt habe. Macht also gefälligst keinen allzu schlimmen Gebrauch davon.

Was den Umstand betrifft, daß ich Euch nicht wiedersehen soll, so glaube ich kein Wort davon. Wenn man ein Herz und ein Schwert hat, wie Ihr, so kommt man überall durch. Auf Wiedersehen also, und nicht Gott befohlen! Es versteht sich von selbst, daß ich Raoul von dem Tage an, wo ich ihn zuerst sah, wie mein Kind liebte. Glaubt mir jedoch, daß ich Gott aufrichtig anflehe, er möge mich nicht seinen Vater werden lassen, obgleich ich auf einen solchen Sohn stolz wäre.

Euer d’Artagnan.

»N. S.
Wohlverstanden, die fünfzig Louisd’or, die ich Euch schicke, gehören Euch wie Aramis, Aramis wie Euch.«

Athos lächelte, und sein schöner Blick verschleierte sich unter einer Träne. D’Artagnan, den er stets zärtlich geliebt hatte, liebte ihn also ebenfalls immer noch, obgleich er ein Mazariner war.

Meiner Treu, sprach Aramis, die Börse auf den Tisch ausleerend, hier sind die fünfzig Goldstücke, alle nach dem Bildnis König Ludwigs XIII. Was macht Ihr mit diesem Gelde, Graf? Behaltet Ihr es, oder schickt Ihr es zurück? – Ich behalte es, Aramis, und würde es behalten, auch wenn ich seiner nicht bedürfte. Was aus gutem Herzen geboten wird, muß mit gutem Herzen angenommen werden. Nehmt fünfundzwanzig, Aramis, und gebt mir die andern fünfundzwanzig. – Das gefällt mir; in der Tat, es macht mich glücklich, zu sehen, daß Ihr meiner Ansicht seid. Aber gehen wir jetzt? – Wenn Ihr wollt; doch habt Ihr keinen Bedienten? – Nein; der alberne Bazin hat die Dummheit begangen, Mesner zu werden, wie Ihr wißt, und kann folglich Notre-Dame nicht verlassen. – Gut, dann nehmt Blaisois, mit dem ich nichts anzufangen weiß, da ich Grimaud habe. – Gern, sprach Aramis.

In diesem Augenblick erschien Grimaud auf der Schwelle.

Bereit, sagte er auf seine gewöhnliche lakonische Weise.

Vorwärts, sprach Athos.

Die Pferde warteten gesattelt und gezäumt. Die Freunde bestiegen jeder das seine, die Lakaien taten dasselbe.

An der Ecke des Quai begegneten sie Bazin, der ganz atemlos herbeilief.

Ach! gnädiger Herr, rief Bazin, Gott sei Dank, ich komme noch zu rechter Zeit! – Was gibt es? – Herr Porthos hat mir dies übergeben und dabei gesagt, es habe große Eile und müsse Euch vor Eurer Abreise eingehändigt werden. – Gut, erwiderte Aramis und nahm eine Börse, die ihm Bazin darreichte, was ist das? – Wartet, Herr Abbé, es ist auch ein Brief dabei. – Du weißt, daß ich dir bereits gesagt habe, ich schlage dir Arme und Beine entzwei, wenn du mich anders als Herr Chevalier nennest. Gib den Brief. – Wie wollt Ihr lesen? fragte Athos; es ist finster wie in der Hölle. – Wartet, sagte Bazin, schlug Feuer und zündete das Licht an, mit dem er seine Kerzen in der Kirche anzuzünden pflegte.

Beim Schein dieses Lichtes las Aramis:

Mein lieber d’Herblay!

Ich erfahre von d’Artagnan, der mich in Euerem und in des Grafen de la Fère Namen umarmt, daß Ihr in einem Unternehmen abreist, das vielleicht zwei bis drei Monate dauern wird: da ich weiß, daß Ihr nicht gern von Eueren Freunden fordert, so biete ich Euch. Hier sind zweihundert Pistolen, über die Ihr verfügen könnt; Ihr gebt sie mir bei Gelegenheit zurück. Fürchtet nicht, mich dadurch zu genieren; brauche ich Geld, so lasse ich mir von einem meiner Schlösser kommen; ich habe allein in Bracieux zwanzigtausend Livres in Gold. Ich bin, wie Ihr wohl nicht bezweifelt, Euer ergebener

Du Vallon de Bracieux de Pierrefonds.

Nun, sprach Aramis, was sagt Ihr dazu? – Ich sage, mein lieber d’Herblay, daß es ein arges Verbrechen ist, an der Vorsehung zu zweifeln, wenn man solche Freunde hat. – Also?

Also teilen wir Porthos‘ Pistolen, wie wir d’Artagnans Louisd’ors geteilt haben.

Die Schlange auf dem Wege

In Saint-Denis trafen die beiden Freunde mit Lord Winter zusammen und schlugen mit ihm den ihnen so wohlbekannten Weg nach der Picardie ein, der in Athos und Aramis einige der romantischsten Erinnerungen ihrer Jugend wach rief.

Wäre Mousqueton bei uns, sprach Athos, als sie zu der Stelle gelangten, wo sie mit den Straßenarbeitern Streit gehabt hatten, wie würde er zittern! Erinnert Ihr Euch, Aramis, hier bekam er die bekannte Kugel.

Meiner Treu, ich würde es ihm wohl hingehen lassen, denn ich selbst bebe einigermaßen bei dieser Erinnerung. Seht, dort jenseits des Baumes ist ein Punkt, wo ich glaubte, es sei aus mit mir.

Man setzte den Marsch fort. Bald kam an Grimaud die Reihe, sich in Erinnerungen zu vertiefen. Der Herberge gegenüber, wo sein Herr und er einst eine so ungeheure Schmauserei gehalten hatte, näherte er sich Athos, deutete auf das Luftloch des Kellers und sagte: Würste.

Athos lachte, denn diese Tollheit seiner Jugendjahre kam ihm so unglaublich lustig vor, als wenn man sie ihm von einem andern erzählt hätte.

Endlich nach einem Ritt von zwei Tagen und einer Nacht erreichten sie gegen Abend bei herrlichem Wetter Boulogne. Als man zu den Toren gelangte, sagte Lord Winter:

Meine Herren, machen wir es hier, wie in Paris. Trennen wir uns, um keinen Verdacht zu erregen. Ich habe eine wenig besuchte Herberge, deren Wirt mir ganz und gar ergeben ist. Ich will mich dahin begeben, denn es erwarten mich Briefe. Ihr geht in das nächste beste Gasthaus der Stadt, erfrischt Euch und findet Euch dann auf dem Hafendamme ein. Unsere Barke muß dort unser harren.

Die Sache wurde so verabredet. Lord Winter setzte seinen Weg die äußeren Bollwerke entlang fort, um durch ein anderes Tor in die Stadt zu gelangen, während die zwei Freunde durch das nächste einritten. Nach zweihundert Schritten fanden sie ein Gasthaus.

Man ließ den Pferden Futter geben, aber ohne sie abzusatteln. Die Lakaien nahmen ein Abendessen, denn es fing an spät zu werden, und die Herren, die es drängte, sich einzuschiffen, bestellten sie auf den Hafendamm, nachdem sie ihnen eingeschärft, mit keinem Menschen ein Wort zu wechseln.

Dieser Befehl betraf natürlich nur Blaisois; für Grimaud war er längst überflüssig geworden.

Athos und Aramis gingen nach dem Hafen hinab.

Durch ihre mit Staub bedeckten Kleider und ihre ganze Erscheinung zogen die beiden Freunde die Aufmerksamkeit einiger Spaziergänger auf sich. Besonders einer schien durch ihre Ankunft überrascht zu sein. Dieser Mensch, der ebenfalls aussah, als habe er eine eilige Reise hinter sich, ging traurig auf dem Hafendamme auf und ab. Sobald er sie erblickte, schaute er sie unablässig an, als brenne er vor Begierde, sie anzureden.

Er war jung und bleich, und hatte Augen von einem so unsichern Blau, daß sie, wie die des Tigers, je nach den Reflexen in allen Farben zu spielen schienen. Sein Gang war trotz der Langsamkeit seiner Bewegungen straff und keck. Er war schwarz gekleidet und trug mit viel Anstand ein langes Schwert.

Als Athos und Aramis den Hafendamm erreichten, blieben sie stehen, um ein kleines Schiff anzuschauen, das an einen Pfosten angebunden und ganz equipiert war, als ob es warte.

Das ist ohne Zweifel das unsere, sprach Athos.

Ja, antwortete Aramis, und die Schaluppe, die sich da unten segelfrei macht, sieht aus, als sollte sie uns an den Ort unserer Bestimmung führen. Wenn nur Lord Winter nicht auf sich warten läßt, fuhr er fort; es ist gar nicht lustig, hier zu verweilen; keine einzige Dame läßt sich blicken.

Stille, sagte Athos, man behorcht uns.

Der Unbekannte war, während die zwei Freunde aufs Meer hinausschauten, wiederholt hinter ihnen auf und ab gegangen und bei dem Namen Lord Winter plötzlich stehen geblieben, ohne jedoch in seinen Mienen eine Erregung zu zeigen. Mit großer Höflichkeit wandte er sich an die Freunde mit den Worten:

Meine Herren, verzeiht meine Neugierde, aber ich sehe, daß Ihr von Paris kommt oder wenigstens in Boulogne fremd seid. – Ja, mein Herr, wir kommen von Paris, antwortete Athos mit derselben Höflichkeit. Was steht zu Diensten? – Mein Herr, sprach der junge Mann, wollt Ihr wohl die Güte haben, mir zu sagen, ob der Herr Kardinal von Mazarin wirklich nicht mehr Minister ist? – Das ist eine seltsame Frage, sagte Aramis. – Er ist es und ist es nicht, antwortete Athos; das heißt, die eine Hälfte von Frankreich jagt ihn fort, während er die andere durch Intriguen und Versprechungen an sich kettet. Dieser Zustand kann sehr lange dauern. – Er ist also weder auf der Flucht begriffen, noch im Gefängnis? fragte der Fremde. – Nein, mein Herr, wenigstens nicht im Augenblick. – Meine Herren, empfangt meinen Dank für Eure Gefälligkeit, sprach der junge Mann und entfernte sich.

Was haltet Ihr von diesem Frager? sagte Aramis. – Aramis, Ihr werdet über mich spotten, Ihr werdet mich für einen furchtsamen Geisterseher halten. – Nun? – Wem findet Ihr, daß dieser junge Mann ähnlich ist? – Im Schönen oder im Häßlichen? fragte Aramis lachend. – Im Häßlichen, und soviel ein Mann einer Frau gleichen kann. – Ah, bei Gott! rief Aramis, Ihr bringt mich auf einen Gedanken. Nein, Ihr seid kein Geisterseher, mein lieber Freund. Und jetzt, wenn ich mir die Sache überlege … Ihr habt meiner Treu recht, dieser feine Mund, diese Augen, welche stets den Befehlen des Geistes und nie denen des Herzens zu gehorchen scheinen … Er ist ein Bastard von Mylady. – Aramis, Ihr lacht. – Nur aus Gewohnheit; denn ich schwöre Euch, ich wünschte dieser jungen Schlange ebensowenig als Ihr auf meinem Wege zu begegnen. – Ah, hier kommt Lord Winter, sprach Athos. – Gut, es fehlte jetzt nur noch eins, versetzte Aramis, daß unsere Lakaien auf sich warten ließen. – Nein, ich erblicke sie. Sie kommen zwanzig Schritte hinter Mylord. Ich erkenne Grimaud an seinem steifen Kopf und an seinen langen Beinen. Tomy trägt unsere Karabiner. – Wir schiffen uns alle bei Nacht ein? fragte Aramis mit einem Blick nach dem Westen, wo die Sonne nur eine goldene Wolke zurückließ, die, allmählich in das Meer sinkend, zu erlöschen schien. – Das ist wahrscheinlich, sagte Athos und ging auf Lord Winter zu. Aramis folgte ihm.

Was hat denn unser Freund? sprach Aramis; er gleicht den Verdammten Dantes, denen Satan den Hals umgedreht hat, so daß sie ihre Fersen anschauen müssen. Was zum Teufel hat er denn immer hinter sich zu sehen?

Als Lord Winter die Freunde erblickte, verdoppelte er seine Schritte und kam mit auffallender Raschheit zu ihnen.

Was habt Ihr denn, Mylord, sagte Athos, und was bringt Euch so außer Atem?

Nichts, sprach Lord Winter, nichts. Als ich jedoch an den Dünen vorüberging, kam es mir vor … und er wandte sich abermals um.

Athos schaute Aramis an.

Aber gehen wir, fuhr Lord Winter fort, das Boot muß uns erwarten, und unsere Schaluppe liegt vor Anker. Wenn wir nur schon darin säßen! Und er wandte sich noch einmal um.

He, sagte Aramis, habt Ihr denn etwas vergessen?

Nein, ein Gedanke beunruhigt mich.

Er hat ihn gesehen, sprach Athos ganz leise zu Aramis.

Man war zu der Treppe gelangt, die in die Barke führte; der Lord ließ zuerst die Lakaien hinabsteigen, welche die Waffen trugen, dann die Knechte mit dem Gepäck und fing endlich an, selbst hinabzusteigen.

In diesem Augenblick bemerkte Athos einen Menschen, der dem Rande des Meeres, parallel mit dem Hafendamm, folgte und seinen Gang beschleunigte, als wollte er auf der andern kaum zwanzig Schritte entfernten Seite des Hafens ihrem Einschiffen beiwohnen.

Er glaubte mitten im Schatten, der sich herabzusenken anfing, den jungen Menschen zu erkennen, der sie befragt hatte.

Oho, sagte er zu sich selbst, ist es wirklich ein Spion, und sollte er sich unserem Einschiffen widersetzen wollen? Da es aber, falls der Fremde diese Absicht gehabt hatte, zur Ausführung bereits zu spät gewesen wäre, so stieg Athos ebenfalls die Treppe hinab, ohne jedoch den jungen Menschen aus dem Gesicht zu verlieren. Dieser trat auf eine Schleuse vor.

Er hat es offenbar auf uns abgesehen, sprach Athos, aber schiffen wir uns immerhin ein. Sind wir einmal auf offener See, so mag er kommen.

Und Athos sprang in die Barke, die sich sogleich vom Ufer losmachte und unter der Anstrengung von vier Ruderern sich zu entfernen begann.

Aber der junge Mann bemühte sich, der Barke zu folgen oder vielmehr ihr vorauszueilen. Sie mußte zwischen der von dem Leuchtturme, der soeben angezündet worden, überragten Spitze des Hafendammes und einem überhängenden Felsen durchfahren. Man sah ihn von ferne den Felsen erklettern, so daß er die Barke beherrschen konnte, wenn sie vorüberkam.

Ah, sagte Aramis zu Athos, dieser junge Mensch ist offenbar ein Spion!

Was für ein Mensch? fragte Lord Winter, sich umdrehend.

Der, welcher uns folgte, uns ansprach und da unten erwartet. Seht!

Lord Winter folgte der Richtung des Fingers von Aramis. Der Leuchtturm übergoß mit Klarheit die kleine Meerenge, durch die man zu schiffen hatte, und den Felsen, auf dem der junge Mann stand, der mit entblößtem Haupte und gekreuzten Armen wartete.

Er ist es! rief Lord Winter, Athos beim Arme fassend, er ist es! Ich glaubte ihn zu erkennen und täuschte mich nicht. – Wer? fragte Aramis. – Der Sohn Myladys, antwortete Athos. – Der Mönch! rief Grimaud.

Der junge Mensch hörte diese Worte. Es war, als wollte er sich herabstürzen, so weit außen stand er auf dem Felsen über das Meer herabgebeugt.

Ja, rief er, ich bin’s, mein Oheim, der Sohn Myladys, der Mönch, der Sekretär und Freund Cromwells, und ich kenne Euch und Eure Gefährten.

In der Barke saßen drei Männer, tapfere Männer, deren Mut niemand zu bestreiten gewagt hätte. Jedoch bei dieser Stimme, bei diesem Tone, bei dieser Gebärde fühlten sie einen Schauder in ihren Adern.

Grimaud sträubten sich die Haare auf dem Haupt, und der Schweiß strömte von seiner Stirne.

Ah! sprach Aramis, es ist der Neffe, es ist der Mönch, es ist der Sohn Myladys, wie er selbst sagt.

Ja, murmelte Lord Winter.

Dann wartet, versetzte Aramis.

Und mit der Kaltblütigkeit, die er in den äußersten Gefahren besaß, nahm er eine der zwei Musketen, die Tomy hielt, spannte und legte auf den jungen Mann an, der, sie mit der Hand und mit dem Blicke verfolgend, aufrecht wie der Engel des Fluchs auf dem Felsen stand.

Feuer! rief Grimaud außer sich.

Athos warf sich auf den Lauf des Karabiners und hielt den Schuß zurück.

Der Teufel soll Euch holen! rief Aramis, ich faßte ihn so gut mit meiner Muskete, und die Kugel hätte ihn mitten in die Brust getroffen.

Es ist genug, daß wir die Mutter getötet haben, sprach Athos mit dumpfem Tone.

Die Mutter war eine Verbrecherin, die uns alle in uns selbst oder in denen, die uns teuer waren, getroffen hatte.

Aber der Sohn hat uns nichts getan.

Grimaud, welcher aufgestanden war, um die Wirkung des Schusses zu sehen, fiel entmutigt und die Hände ringend zurück.

Der junge Mann brach in ein Gelächter aus.

Ah! Ihr seid es, sagte er, Ihr seid es … ich kenne Euch nun.

Sein scharfes Gelächter und seine drohenden Worte gingen, vom Winde fortgetragen, über die Barke hin und verloren sich in den Tiefen des Horizonts.

Athos nahm Lord Winter bei der Hand und suchte das Gespräch auf einen andern Gegenstand zu bringen.

Wann werden wir in England landen? fragte er den Lord; aber dieser hörte ihn nicht und gab keine Antwort.

Halt, Athos, sprach Aramis, vielleicht wäre es noch Zeit. Seht, er ist immer noch auf derselben Stelle.

Athos wandte sich mit einem gewissen Widerstreben um; der Anblick des jungen Mannes war ihm offenbar peinlich.

Er stand wirklich noch immer auf dem Felsen; der Leuchtturm verbreitete eine Art von Glorie um ihn.

In diesem Augenblick rief sie eine Stimme von der Schaluppe an. Der Lotse, der am Steuerruder saß, antwortete, und die Barke erreichte das Schiff.

In einer Minute war alles an Bord, der Patron erwartete nur die Passagiere, um abzugehen, und kaum hatten sie den Fuß aus das Verdeck gesetzt, als man gegen Hastings steuerte, wo man landen sollte.

Jetzt warfen die drei Freunde unwillkürlich noch einen Blick nach dem Felsen, wo der drohende Schatten, der sie verfolgte, immer noch sichtbar hervortrat.

Dann gelangte eine Stimme, die ihnen die letzte Drohung zusandte, bis zu ihnen.

Auf Wiedersehen, meine Herren, in England!

Das Tedeum für den Sieg von Lens

Die Nachricht von dem großen Siege bei Lens war entscheidend: der Hof gewann wieder das Übergewicht über das Parlament. Alle willkürlich auferlegten Steuern, gegen die sich das letztere erhob, waren stets durch die Notwendigkeit, die Ehre Frankreich aufrecht zu erhalten, und mit der Hoffnung auf einen Sieg begründet worden. Da man jedoch seit Nördlingen nur Schlappen erlitten hatte, so war es dem Parlament leicht, an Herrn von Mazarin vorwurfsvolle Fragen in Beziehung auf die stets versprochenen und immer wieder vertagten Siege zu stellen. Diesmal aber war man zu einem Ziele gelangt, man hatte einen vollständigen Triumph, so daß die Parteigänger des Hofes und selbst der junge König mit ihnen riefen:

Ah! meine Herren vom Parlament, wir wollen sehen, was Ihr dazu sagen werdet.

Die Königin drückte ihr königliches Kind, dessen stolzes, unbändiges Wesen so gut mit ihrem Charakter im Einklange stand, an ihr Herz. An demselben Abend fand ein Rat statt, wozu der Marschall de la Meilleraye und Herr von Villeroy, weil sie Mazariner waren, Chavigny und Seguier, weil sie das Parlament haßten, und Guitaut und Comminges, weil sie der Königin ergeben waren, berufen wurden.

Von dem, was im Rate beschlossen worden war, verlautete nichts, man erfuhr nur, daß am nächsten Sonntag ein Tedeum zu Ehren des Sieges von Lens gesungen werden sollte.

Am folgenden Sonntag erwachten also die Pariser sehr heiter: ein Tedeum war zu jener Zeit noch etwas Außergewöhnliches und Großartiges. Die Sonne erhob sich strahlend und vergoldete die düsteren Türme der bereits mit einer ungeheuren Menschenmenge gefüllten Hauptstadt; die dunkelsten Gassen der Altstadt hatten ein festliches Aussehen angenommen, und die Quais entlang sah man lange Reihen von Bürgern, Handwerkern, Frauen und Kindern, die, wie ein zu seiner Quelle zurückkehrender Fluß, Notre-Dame zuströmten.

Es herrschte indessen die größte Freiheit unter dieser ungeheuren Volksmasse; alle sprachen offen ihre Meinung aus und läuteten sozusagen Aufruhr, wie die tausend Glocken aller Kirchen von Paris Tedeum läuteten. Da die Polizei der Stadt durch die Stadt selbst besorgt wurde, so störte nichts die Einhelligkeit des allgemeinen Hasses, nichts machte die Worte in diesen schmähsüchtigen Mäulern zu Eis.

Indessen hatte sich schon um acht Uhr morgens das Regiment der Garden der Königin, unter dem Befehl Guitauts und seines Neffen Comminges, mit Trommeln und Trompeten an der Spitze, vom Palais Royal an bis zur Notre-Dame aufgestellt, ein Manöver, dem die auf Militärmusik und glänzende Uniformen allezeit versessenen Pariser ruhig zuschauten.

Friquet zog seinen Sonntagsstaat an und erhielt unter dem Vorwande einer Geschwulst, die er sich durch eine Anzahl in eine Mundseite geschobene Kirschensteine verschaffte, von Bazin, seinem Herrn, einen Urlaub auf den ganzen Tag. Anfangs schlug der Mesner den Urlaub ab, aber in seiner Gegenwart nahm die Geschwulst dergestalt an Umfang zu, daß er am Ende brummend nachgab. An der Tür spuckte Friquet die Geschwulst aus und sandte Bazin eine jener Gebärden zu, die einem Pariser Gamin seine Überlegenheit über alle Straßenjungen des Weltalls sichern. In seinem Gasthaus hatte er sich natürlich dadurch losgemacht, daß er vorgab, er müsse die Messe bedienen.

Friquet war also frei und hatte, wie gesagt, seine kostbarste Toilette gemacht; als ganz besondere Zier trug er eine jener schwer zu beschreibenden Mützen, die zwischen dem mittelalterlichen Barett und dem Hute aus der Zeit Ludwigs XIII. die Mitte halten. Seine Mutter hatte ihm diese seltsame Kopfbedeckung fabriziert und sich dabei, wahrscheinlich aus Mangel an gleichem Stoffe, um die Farben nicht sonderlich bekümmert, so daß dieses Meisterwerk der Kappenmacherei des siebzehnten Jahrhunderts auf der einen Seite gelb und grün, auf der andern weiß und rot war. Friquet aber schritt darum nicht minder stolz und triumphierend einher.

Als Friquet seinen Herrn verließ, lief er in der größten Eile nach dem Palais Royal. Er kam gerade in dem Augenblick an, wo das Regiment der Garden herausmarschierte, und da er aus keinem andern Grunde erschien, als um sich seines Anblicks zu erfreuen und sich an seiner Musik zu ergötzen, so nahm er seine Stelle an der Spitze des Regiments, trommelte mit zwei Stückchen Schiefer und ging von dieser Übung zu der Trompete über, die er mit dem Munde auf höchst kunstvolle Weise nachahmte.

Diese Unterhaltung dauerte von der Barriere des Sergens bis zum Platze Notre-Dame, und Friquet fand ein wahres Vergnügen daran. Dann aber erinnerte er sich, daß er nicht gefrühstückt hatte, und beschloß nach reiflicher Überlegung, der Rat Broussel solle die Kosten seines Mahles tragen.

Er lief rasch weg, gelangte atemlos vor die Türe des Brousselschen Hauses und klopfte heftig an.

Seine Mutter, die alte Dienerin Broussels, öffnete.

Was machst du hier, Taugenichts? sagte sie, und warum bist du nicht in Notre-Dame? – Ich war dort, Mutter Nannette, antwortete Friquet, aber ich sah, daß Dinge vorgingen, von denen Meister Broussel notwendig unterrichtet werden müßte, und mit Erlaubnis des Herrn Bazin, Ihr wißt wohl, Mutter Nannette, des Herrn Bazin, des Mesners, kam ich hierher, um mit Herrn Broussel zu sprechen. – Was willst du Herrn Broussel sagen, Affe? – Ich will mit ihm selbst sprechen. – Das kann nicht sein; er arbeitet. – Dann werde ich warten, antwortete Friquet.

Und er stieg rasch die Treppe hinauf, während Nannette langsamer folgte.

Aber sage mir doch, sprach sie, was willst du bei Herrn Broussel?

Ich will ihn benachrichtigen, antwortete Friquet, aus Leibeskräften schreiend, daß ein ganzes Regiment Garden in der Richtung nach diesem Hause marschiert. Da ich nun überall sagen hörte, es herrsche am Hof eine üble Stimmung gegen ihn, so will ich ihn warnen, damit er auf seiner Hut ist.

Broussel hörte das Geschrei des Jungen und eilte, erfreut über seinen rastlosen Eifer, in den ersten Stock hinab, denn er arbeitete in seinem Kabinett im zweiten.

Der Rat belehrte Friquet über seinen vermeintlichen Irrtum, lobte ihn aber wegen seines Eifers und hieß Frau Nannete dem Jungen Aprikosen und ein Stück Weißbrot geben.

Broussel selbst ging nun zu seiner Frau, verlangte sein Frühstück und setzte sich an das Fenster. Die Straße war gänzlich verlassen; aber in der Ferne hörte man, gleich dem Geräusche einer steigenden Flut, das ungeheure Tosen der Volkswogen, die um Notre-Dame her immer stärker anschwollen.

Dieses Geräusch verdoppelte sich, als d’Artagnan mit einer Kompanie Musketiere sich an den Pforten von Notre-Dame aufstellte, um den Kirchendienst verrichten zu lassen. Er hatte Porthos gesagt, er möge diese Gelegenheit benutzen, um die Ceremonie zu sehen. Porthos bestieg in großer Gala sein schönstes Pferd und machte den Ehrenmusketier, wie dies einst d’Artagnan so oft getan hatte.

Um zehn Uhr verkündigte die Kanone des Louvre den Aufbruch des Königs. Eine Bewegung wie die der Bäume, deren Gipfel der Sturmwind faßt und schüttelt, durchlief die Menge, die sich hinter den unbeweglichen Musketen der Garden hin und her trieb. Endlich erschien der König mit der Königin in einem ganz mit Gold überzogenen Wagen. Zehn andere Wagen folgten mit den Ehrendamen, den Offizieren des königlichen Hauses und dem ganzen Hofe.

Es lebe der König! rief man von allen Seiten.

Der Zug rückte langsam vor und brauchte beinahe eine Stunde, um den Raum zurückzulegen, welcher den Louvre von der Place Notre-Dame trennt. Hier begab er sich allmählich unter das ungeheure Gewölbe der düstern Kathedrale, und der Gottesdienst begann.

Als die Königin am Ende des Gottesdienstes bemerkte, daß Comminges in ihrer Nähe stand und die Bestätigung eines Befehles erwartete, den sie ihm, ehe sie den Louvre verließ, gegeben hatte, so sagte sie halblaut zu ihm: Geht, Comminges, und Gott stehe Euch bei!

Comminges entfernte sich sogleich, trat aus der Kirche und begab sich nach der Rue Saint-Christophe.

Friquet, der diesen schönen Offizier mit zwei Leibwachen bemerkte, machte sich das Vergnügen, ihm nachzugehen, und zwar mit um so größerer Geschwindigkeit, als die Ceremonie in demselben Augenblick endigte und der König wieder in seinen Wagen stieg.

In der Rue Cocatrix hielt ein Wagen mit Comminges‘ Wappen, den ein Gefreiter und vier Garden besetzt hielten. Der Gefreite schaute sich beständig um, und sobald er Comminges erscheinen sah, sagte er dem Kutscher ein Wort, worauf dieser die altertümliche Karosse in Bewegung setzte und vor Broussels Haus fuhr.

Comminges klopfte zur gleichen Zeit, wo der Wagen hier hielt, an die Tür.

Man öffnete. Der Offizier fragte den Bedienten und erfuhr, daß Meister Broussel wirklich zu Hause war und zu Mittag speiste. Comminges ging hinter dem Bedienten und Friquet hinter Comminges die Treppe hinauf.

Broussel saß mit seiner Familie bei Tische, ihm gegenüber seine Frau, zu seinen beiden Seiten seine Töchter und am Ende der Tafel sein Sohn Louvières.

Beim Anblick des Offiziers fühlte sich Broussel etwas bewegt; als er aber sah, daß Comminges höflich grüßte, stand er auf und grüßte ebenfalls.

Aber trotz dieser gegenseitigen Artigkeit drückte sich aus den Gesichtern der Frauen Unruhe aus. Auch Louvières wurde sehr bleich und erwartete ungeduldig die Erklärung des Offiziers.

Mein Herr, sprach Comminges, ich bin der Überbringer eines Befehles Seiner Majestät des Königs.

Sehr wohl, mein Herr, antwortete Broussel, was für ein Befehl ist es? Und er streckte seine Hand aus.

Ich habe Befehl, mich Eurer Person zu bemächtigen, mein Herr, sprach Comminges, immer in demselben Tone und mit derselben Höflichkeit, und wenn Ihr mir glauben wollt, so werdet Ihr Euch die Mühe ersparen, diesen langen Brief zu lesen, und mir folgen.

Hätte der Blitz mitten unter diese so friedlich versammelten Leute geschlagen, die Wirkung hätte nicht furchtbarer sein können. Broussel wich ganz zitternd zurück. Es war in jener Zeit etwas Schreckliches, infolge der Feindschaft des Königs eingekerkert zu werden. Louvières machte eine Bewegung, als wollte er nach seinem Degen laufen, der in einer Ecke des Speisezimmers auf einem Stuhle lag, aber ein Blick des guten Broussel, der den Kopf nicht verlor, hemmte diese Bewegung. Frau Broussel zerfloß in Tränen. Die Töchter hielten ihren Vater umfangen.

Auf! mein Herr, sprach Comminges, beeilen wir uns; man muß dem König gehorchen.

Mein Herr, sagte Broussel, ich habe eine leidende Gesundheit und kann mich in diesem Zustand nicht gefangen geben. Ich verlange Zeit.

Das ist unmöglich, erwiderte Comminges. Der Befehl ist bestimmt und muß sogleich vollstreckt werden.

Unmöglich? sprach Louvières; hüten Sie sich wohl, mein Herr, uns zur Verzweiflung zu treiben.

Unmöglich? rief eine kreischende Stimme im Hintergrunde des Zimmers.

Comminges wandte sich um und sah, mit dem Besen in der Hand, Frau Nannette, deren Augen in allen Feuern des Zornes glänzten.

Meine gute Nannette, halte dich ruhig, ich bitte dich, sprach Broussel.

Ich mich ruhig halten, wenn man meinen Herrn verhaftet, meinen Herrn, die Stütze, den Befreier, den Vater des armen Volkes? Ach ja, Ihr kennt mich wohl … Wollt Ihr gehen? sagte sie zu Comminges.

Comminges lächelte und sprach, sich an Broussel wendend: Ich bitte, bringt dieses Weib zum Schweigen und folgt mir.

Ich schweigen, ich? rief Nannette. Ach, ja, da müßte noch ein anderer kommen, als Ihr, mein schöner Königsvogel. Ihr werdet es wohl sehen.

Und Dame Nannette stürzte ans Fenster und schrie mit einer durchdringenden Stimme: Zu Hilfe! Man verhaftet meinen Herrn! Man verhaftet den Rat Broussel! Zu Hilfe!

Mein Herr, sagte Comminges, erklärt Euch sogleich: Werdet Ihr gehorchen oder gedenkt Ihr einen Aufruhr zu erregen?

Ich gehorche, ich gehorche, mein Herr, sprach Broussel, indem er sich aus den Armen seiner Töchter loszumachen und mit dem Blicke seinen Sohn zurückzuhalten suchte.

Comminges umfaßte inzwischen die Magd, die mit ihrem Geschrei nicht aufhörte, mit dem Arme und wollte sie fortreißen. Aber in demselben Augenblick heulte eine andere Stimme aus dem Zwischenstock hervor in Falsetton: Mörder! Feuer! Mörder! Man tötet Herrn Broussel! Man erwürgt Herrn Broussel!

Es war Friquets Stimme. Als Frau Nannette sich unterstützt fühlte, fuhr sie noch kräftiger fort.

Bereits erschienen neugierige Köpfe an den Fenstern, und Volk lief herbei, das schnell immer zahlreicher wurde. Als Friquet dies bemerkte, sprang er vom Zwischenstock auf den Kutschenhimmel und rief: Sie wollen Herrn Broussel verhaften; es sind Leibwachen im Wagen, und der Offizier ist da oben.

Das Volk fing an zu murren, und der Lärm nahm immer mehr zu. Die Straße konnte die Menge nicht mehr fassen, die von allen Seiten herbeiströmte. Das von dem Gefreiten hundertmal wiederholte Geschrei: Im Namen des Königs! vermochte nichts mehr gegen diese furchtbare Menge, sondern schien sie im Gegenteil noch mehr aufzubringen, so daß die jetzt zwischen Haus und Wagen aufgestellten Garden in die höchste Gefahr gerieten, als ein Reiter herbeieilte und, da er sah, daß die Soldaten bedroht wurden, mit dem Degen in der Faust mitten ins Gedränge stürzte und den Garden eine unerwartete Hilfe brachte.

Dieser Reiter, dessen Antlitz vor Zorn bleich war, war ein junger Mensch von kaum fünfzehn bis sechzehn Jahren. Er stieg ab, lehnte sich mit dem Rücken an die Wagendeichsel, machte sich einen Wall aus seinem Pferde, zog seine Pistolen aus den Halftern, steckte sie in den Gürtel und fing an, um sich zu schlagen, wie ein Mensch, der mit der Handhabung des Schwertes vollkommen vertraut ist. Zehn Minuten lang hielt er den Kampf mit dem Volke allein aus. Jetzt sah man Comminges erscheinen und Broussel vor sich her treiben.

Zerschlagen wir den Wagen! rief das Volk.

Zu Hilfe! schrie die Alte.

Mörder! schrie Friquet, der sich eifrig damit beschäftigte, die Leibwachen mit allem zu beschießen, was ihm unter die Hand kam.

Im Namen des Königs! rief Comminges.

Der erste, der einen Schritt tut, stirbt von meiner Hand! rief Raoul, der, als er sich hart bedrängt sah, seine Degenspitze einem Riesen zu spüren gab, der ihn hatte zermalmen wollen, nunmehr aber, da er sich verwundet fühlte, brüllend zurückwich.

Denn es war Raoul, der, seinem Versprechen gegen den Grafen de la Fère gemäß, nach einer fünftägigen Abwesenheit von Blois zurückgekehrt und jetzt, um die Ceremonie mit anzuschauen, durch die Straßen geritten war, welche ihn in kürzerer Zeit nach Notre-Dame führten.

Comminges warf Broussel fast in die Kutsche und sprang nach. In diesem Augenblick erkrachte ein Büchsenschuß; eine Kugel fuhr von oben herab durch Comminges‘ Hut und zerschmetterte einer Leibwache den Arm. Comminges schaute empor und sah mitten im Pulverdampf an einem Fenster des zweiten Stockes das drohende Gesicht Louvières‘.

Gut, mein Herr, rief Comminges, Ihr sollt von mir hören.

Und Ihr auch, mein Herr, erwiderte Louvières; wir werden sehen, wer lauter spricht.

Tod dem Offizier! Tod! heulte das Volk, aufgeregt durch den Flintenknall.

Und es begann eine gewaltige Bewegung.

Noch einen Schritt, rief Comminges, das Kutschenleder zurückschlagend, daß man gut in den Wagen sehen konnte, und zugleich Broussel seinen Degen auf die Brust setzend, noch einen Schritt, und ich töte den Gefangenen! Ich habe Befehl, ihn tot oder lebendig zu bringen. Ich bringe ihn tot, und dann ist alles abgemacht.

Man vernahm einen furchtbaren Schrei. Broussels Frau und Töchter streckten flehend ihre Hände nach dem Volke aus.

Das Volk begriff, daß der bleiche, entschlossene Offizier seinen Worten gemäß handeln würde, und wich, obschon unter beständigen Drohungen, zurück.

Comminges ließ den verwundeten Soldaten zu sich in den Wagen steigen und befahl den andern, den Schlag zu schließen. Fahr nach dem Palast, sagte er zum Kutscher, der mehr tot als lebendig auf dem Bocke saß.

Dieser peitschte seine Pferde, und das Volk gab Raum. Als man aber nach dem Quai kam, mußte man anhalten. Der Wagen stürzte um. Die Pferde wurden von der Menge getreten, erstickt, zermalmt. Raoul, der immer noch zu Fuß war, denn er hatte nicht Zeit gehabt, wieder zu Pferd zu steigen, begann, da er es müde war, mit der flachen Klinge dreinzuschlagen, die Degenspitze zu gebrauchen; dasselbe taten die Leibwachen. Aber dieses furchtbare letzte Mittel brachte das Volk vollends außer sich. Bereits sah man von Zeit zu Zeit in der Menge einen Flintenlauf oder die Klinge eines Degens glänzen. Es erkrachten einige Schüsse, die ohne Zweifel bloß in die Luft gefeuert waren, aber das Echo ließ darum die Herzen nicht minder beben. Aus den Fenstern regnete es fortwährend mit Wurfgeschossen. Das Geschrei: Tod den Garden! In die Seine mit dem Offizier; übertönte den Lärm, so groß er auch war. Den Hut zerknittert, das Gesicht blutig, fühlte Raoul, wie ihn nicht nur seine Kraft, sondern auch der Verstand verließ. Seine Augen schwammen in einem rötlichen Nebel, und durch diesen Nebel sah er hundert drohende Arme sich ausstrecken, bereit, ihn zu ergreifen, wenn er fallen würde. Comminges raufte sich in dem umgestürzten Wagen vor Wut die Haare aus. Die Garden konnten niemand mehr Hilfe bringen, denn jeder war mit seiner eignen Verteidigung beschäftigt. Alles war verloren, Wagen, Pferde, Wachen, Soldaten und vielleicht der Gefangene, alles sollte in Stücke zerrissen werden, als plötzlich eine Raoul wohlbekannte Stimme ertönte und ein breites Schwert in der Luft glänzte. In demselben Augenblick öffnete sich die Menge, durchbrochen, niedergeworfen. Rechts und links stechend und schlagend, eilte ein Musketieroffizier Raoul zu Hilfe und faßte ihn im Augenblick, wo er niedersinken wollte, in die Arme.

Gottes Blut! rief der Offizier, haben sie ihn ermordet, dann wehe ihnen!

Und er wandte sich um, so furchtbar anzuschauen in seiner Stärke, in seinem Zorn, in seiner drohenden Gebärde, daß die wütendsten Rebellen sich auseinander stürzten, um zu entfliehen, und daß mehrere sogar in die Seine fielen.

Herr d’Artagnan, murmelte Raoul.

Ja, Gottes Blut, und mir scheint zu Eurem Glücke, mein junger Freund! Hört, Ihr Leute! rief er, sich auf den Steigbügeln erhebend und sein Schwert schwingend, während er mit Stimme und Gebärde Musketiere herbeirief, die ihm so schnell nicht hatten folgen können. Auf, fegt alles vom Platze. Ergreift die Musketen! Macht Euch fertig! Schlagt an!

Bei diesem Befehl verschwanden die Volkshaufen so rasch, daß sich d’Artagnan eines homerischen Lachens nicht enthalten konnte.

Ich danke, d’Artagnan, sprach Comminges, die Hälfte seines Leibes durch den Schlag der umgeworfenen Kutsche streckend. Wie heißt der junge Mann, damit ich ihn der Königin nennen kann?

Raoul wollte antworten, als d’Artagnan sich gegen sein Ohr neigte und zu ihm sagte: Schweigt und laßt mich antworten!

Dann sich gegen Comminges neigend, sprach er: Verliert keine Zeit, Comminges, geht aus dem Wagen heraus, wenn Ihr könnt, und laßt einen andern herbeischaffen. – Welchen? – Bei Gott, den ersten besten, der über den Pont-neuf kommen wird. Die Leute, die darin fahren, werden es hoffentlich für ein Glück halten, wenn sie ihre Kutsche für den Dienst des Königs leihen dürfen. – Aber ich weiß nicht … erwiderte Comminges. – Geht doch, oder in fünf Minuten kommen alle diese Lumpenkerle mit Schwertern und Musketen zurück. Ihr werdet getötet, und Euer Gefangener ist befreit. Vorwärts, seht, dort kommt gerade eine Kutsche!

Mit Hilfe dieser Kutsche und dank d’Artagnans Entschlossenheit, der beim abermaligen übermächtigen Andrang des Volkes mit seinen Musketieren auf die Menge lossprengte und sie noch einmal zum Weichen brachte, gelang es endlich, den Gefangenen in Sicherheit zu bringen. Sobald er selbst entbehrlich zu sein glaubte, wandte sich d’Artagnan mit Raoul seitwärts und erreichte mit ihm glücklich die Rehziege.

Die schöne Madeleine meldete d’Artagnan, Planchet sei mit Mousqueton zurückgekommen, der heldenmütig das Ausziehen der Kugel ertragen habe und sich so wohl befinde, als es bei seinem Zustand nur immer möglich sei.

D’Artagnan befahl nun, Planchet zu rufen; aber so oft man ihn auch rief, Planchet erschien nicht: er war verschwunden. Dann machte er Raoul wohlgemeinte Vorwürfe darüber, daß er sich unberufen als Mazariner in die bürgerlichen Streitigkeiten gemischt habe, er sage ihm dies im Namen des abwesenden Grafen de la Fère. Zugleich stand er auf, ging zu seinem Sekretär, nahm einen Brief und bot ihn Raoul.

Sobald Raoul das Papier durchlaufen hatte, trübten sich seine Blicke.

O mein Gott, sagte er, seine schönen, tränenfeuchten Äugen zu d’Artagnan aufschlagend, der Herr Graf hat also Paris verlassen, ohne mich zu sehen? – Er ist vor vier Tagen abgereist, sprach d’Artagnan. Wollt Ihr’s Euch gefallen lassen, mich einstweilen als Vormund anzunehmen? – Gewiß, Herr d’Artagnan, erwiderte Raoul; Ihr seid ein so braver Mann, und der Herr Graf de la Fère liebt Euch so sehr. – Ei, mein Gott, liebt mich auch, ich werde Euch nicht sehr plagen, aber unter der Bedingung, daß Ihr Frondeur seid, mein junger Freund, und zwar sehr Frondeur. – Kann ich fortwährend Frau von Chevreuse besuchen? – Ei, mein Gott, ja! und den Herrn Koadjutor auch und ebenso Frau von Longueville. – Gut, ich werde Euch gehorchen, obgleich ich Euch nicht verstehe. – Es ist nicht nötig, daß Ihr mich versteht. Halt! rief d’Artagnan, sich nach der Tür, welche man eben öffnete, wendend, hier kommt Herr du Vallon mit ganz zerrissenen Kleidern.

Ja, sprach Porthos, von Schweiß triefend und ganz mit Staub überzogen, für die zerrissenen Kleider habe ich viele Häute zerrissen. Wollten mir diese Lumpenkerle nicht mein Schwert nehmen? Pest! was für eine Volksbewegung! fügte der Riese mit ruhiger Miene bei. Aber ich habe wenigstens zwanzig mit dem Knopfe meines Balmung totgeschlagen. Gebt mir einen Tropfen Wein, d’Artagnan.

O, ich kenne Euch, sprach der Gascogner, Porthos‘ Glas bis an den Rand füllend; doch wenn Ihr getrunken habt, sagt mir Eure Meinung.

Porthos leerte das Glas auf einen Zug. Als er es auf den Tisch gestellt und seinen Schnurrbart ausgesaugt hatte, fragte er: Worüber?

Hier ist Herr von Bragelonne, der mit aller Gewalt bei der Verhaftung Broussels helfen wollte, und den ich nur mit großer Mühe von der Verteidigung des Herrn von Comminges abhalten konnte.

Teufel! versetzte Porthos, was würde der Vormund gesagt haben, wenn er es erfahren hätte!

Seht Ihr! rief d’Artagnan, seid Frondeur, mein Freund, und bedenkt, daß ich in jeder Beziehung die Stelle des Herrn Grafen einnehme.

Dann sich gegen seinen Gefährten umwendend, sprach er: Kommt Ihr mit, Porthos?

Wohin? fragte Porthos, sich ein zweites Glas Wein eingießend.

Wir wollen dem Kardinal unsere Aufwartung machen.

Porthos leerte das zweite Glas mit derselben Ruhe, mit der er das erste getrunken hatte, nahm seinen Hut und folgte d’Artagnan.

Die Fähre

Unser Leser wird sich Raouls erinnern, den wir auf der Straße nach Flandern verließen. Sobald er seinen Beschützer aus den Augen verloren hatte, gab er seinem Pferde die Sporen, einmal um seinen schmerzlichen Gedanken zu entfliehen, und dann um vor Olivain seine große Erregung zu verbergen.

Eine Stunde raschen Rittes zerstreute bald die düsteren Gedanken. Das unbekannte Vergnügen, frei zu sein, ein Vergnügen, das selbst die angenehm empfinden, die nie unter einer Abhängigkeit zu leiden hatten, vergoldete für Raoul Himmel und Erde und besonders den fernen, azurblauen Horizont des Lebens, den man Zukunft nennt.

Als er aber nach verschiedenen Versuchen, mit Olivain ein anregendes Gespräch zu führen, dieses Bemühen als fruchtlos aufgab, stimmte ihn die Erinnerung an die allezeit geistreiche und belehrende Unterhaltung des Grafen wieder traurig, und dieses Gefühl steigerte sich noch, als er am Wege ein Schlößchen erblickte, das ein wenig La Vallière glich. Dieser Anblick versetzte Raoul fünfzig Meilen westwärts, und wehmütig rief er sich jedes Zusammensein mit seiner kleinen Luise ins Gedächtnis zurück.

Mit trübem Herzen und schwerem Kopf befahl er Olivain, die Pferde in eine kleine Herberge zu führen, die er an der Landstraße, ungefähr in einer halben Büchsenschußweite über dem Orte erblickte, zu dem man gelangt war.

Hier war es sein erstes, an seinen Wohltäter einen Brief voll zärtlicher Dankbarkeit zu richten, während er den vom Wirte eifrig aufgetischten Imbiß Olivain überließ.

Hier sowohl wie im nächsten Orte, wo er seinen Brief zur Post gab, erfuhr er, daß ein junger Edelmann mit seinem Hofmeister vor ihm her und ebenfalls zum Heere reise. Nur drei Viertelstunden sollte er voraus, aber gut beritten sein und tüchtig ausgreifen.

Wir wollen diesen Edelmann einzuholen suchen, sagte Raoul zu Olivain, dann werden wir angenehme Gesellschaft haben.

Um vier Uhr nachmittags gelangten sie nach Compiègne, wo Raoul mit gutem Appetit zu Mittag speiste und hörte, der junge Edelmann habe die Absicht geäußert, in Noyon über Nacht zu bleiben. Sofort beschloß Raoul, ebenfalls noch an diesem Tage bis Noyon zu reiten.

Vergebens protestierte Olivain mit der Bemerkung, die Pferde seien ermattet, und achtzehn Meilen für die erste Tagereise genug.

Raoul fühlte sich selbst müde; aber er wünschte seine Kräfte zu versuchen, und da er den Grafen tausendmal von Etappen von fünfundzwanzig Stunden hatte sprechen hören, wollte er nicht gar zu sehr hinter seinem Vorbild zurückbleiben.

Er ritt also immer fort, wobei er von Zeit zu Zeit den Gang seines Pferdes trotz der Bemerkungen Olivains zu beschleunigen suchte, und folgte einer reizenden schmalen Straße, welche zu einer Fähre führte und, wie man ihm versichert hatte, den Weg um eine Meile abkürzte. Auf dem Gipfel eines Hügels angelangt, erblickte er den Fluß vor sich. Ein kleiner Trupp von Berittenen hielt am Ufer und stand im Begriff, sich einzuschiffen. Da Raoul nicht zweifelte, daß es der Edelmann und sein Geleite sei, rief er, war aber noch zu weit entfernt, um gehört zu werden. Er setzte daher sein Pferd, so müde es auch war, in Galopp, aber eine wellenförmige Erhöhung entzog ihm bald den Anblick der Reisenden, und als er auf eine neue Anhöhe gelangte, hatte die Fähre das Ufer verlassen und schwamm nach dem entgegengesetzten Gestade.

Als Raoul sah, daß er nicht zeitig genug hinabgelangen konnte, um mit den Reisenden über den Fluß zu setzen, hielt er an und wartete auf Olivain.

In diesem Augenblicke hörte man einen Schrei, der vom Flusse zu kommen schien. Raoul wandte sich auf die Seite, von wo der Schrei erscholl, hielt die Hand über seine von der untergehenden Sonne geblendeten Augen und rief: Olivain, was seh‘ ich da unten!

Ein zweiter, noch durchdringenderer Schrei erscholl.

Ei, gnädiger Herr, sagte Olivain, das Seil der Fähre ist gerissen, und das Schiff treibt ab. Aber was seh‘ ich dort im Wasser?

Ja! rief Raoul, seine Blicke auf einen Punkt im Flusse heftend, es ist ein Pferd, ein Reiter! – Sie sinken! rief Olivain.

Raoul ließ sofort seinem Pferde die Zügel schießen, drückte ihm die Sporen in den Leib, und das Tier sprang, vom Schmerze gestachelt, über eine Art von Geländer, das den Landungsplatz umgab, und in den Fluß hinein, so daß Schaumwogen aufspritzten.

Ach, gnädiger Herr! rief Olivain, was macht Ihr? Mein Gott und Vater!

Raoul lenkte sein Pferd nach dem Unglücklichen, der in Gefahr schwebte. Es war dies übrigens ein ihm vertrautes Manöver. An den Ufern der Loire geboren, hatte er hundertmal den Strom zu Pferde durchschwommen.

O mein Gott! fuhr Olivain ganz in Verzweiflung fort, was würde der Herr Graf sagen, wenn er Euch erblickte!

Der Graf hätte es gemacht, wie ich, antwortete Raoul, sein Pferd kräftig antreibend.

Aber ich, aber ich! rief Olivain, der sich ganz bleich am Ufer hin- und hertrieb, wie soll ich hinüberkommen?

Spring, Hasenherz! rief Raoul, beständig schwimmend.

Dann wandte er sich an den Reisenden, der sich zwanzig Schritte vor ihm abarbeitete, und rief ihm zu: Mut, mein Herr, Mut, es kommt Hilfe!

Olivain ritt vor und wich zurück, ließ sein Pferd sich bäumen und warf sich endlich, von Scham überwältigt, wie Raoul in den Fluß, wobei er aber beständig vor sich hinbrummte: Ich bin tot! Wir sind verloren!

Die Fähre lief indessen, von der Strömung erfaßt, rasch den Fluß hinab, und man hörte ihre Insassen laut um Hilfe rufen.

Ein Mann mit grauen Haaren war aus der Fähre in den Fluß gesprungen und schwamm kräftig auf die Person zu, die dem Ertrinken nahe war. Aber er rückte nur langsam vorwärts, da er gegen den Strom schwimmen mußte.

Raoul bemerkte, wie Pferd und Reiter, denen er Hilfe bringen wollte, immer mehr untersanken. Das Tier hatte nur noch die Nüstern über dem Wasser, und der Reiter, der bei der Anstrengung gegen die Wellen die Zügel losließ, streckte die Arme aus und den Kopf vorwärts. Noch eine Minute, und alles war verschwunden.

Mut! rief Raoul, Mut!

Das Wasser lief bereits über den Kopf des Ertrinkenden und erstickte seine Stimme.

Raoul warf sich von seinem Pferde, dem er die Sorge für seine Selbsterhaltung überließ, und in drei bis vier Stößen war er bei dem Edelmann. Er ergriff sogleich das Pferd bei der Kinnkette und hob ihm den Kopf über das Wasser; das Tier atmete nun freier und verdoppelte seine Anstrengungen. Zugleich erfaßte Raoul eine der Hände des jungen Mannes und führte sie an die Mähne, an die sie sich augenblicklich mit der unwillkürlichen Zähigkeit des Ertrinkenden anklammerte. Überzeugt, daß der Reiter nicht mehr loslassen würde, beschäftigte sich Raoul nur noch mit dem Pferde, das er nach dem entgegengesetzten Ufer lenkte, während er es beim Durchschneiden des Wassers unterstützte und mit aufmunterndem Zuruf antrieb.

Bald stieß das Tier auf einen festen Grund und faßte Fuß auf dem Sande.

Gerettet! rief der Mann mit den grauen Haaren, der nun ebenfalls Fuß faßte.

Gerettet! murmelte mechanisch der junge Edelmann, ließ die Mähne los und glitt über den Sattel herab in Raouls Arme.

Raoul war nur zehn Schritte vom Ufer entfernt. Er trug den ohnmächtigen Jüngling dahin, legte ihn auf das Gras, riß die Schnüre seines Kragens auf und löste die Spangen seines Wamses.

Eine Minute nachher war der Mann mit den grauen Haaren bei ihm.

Allmählich kehrte durch die Bemühungen Raouls und des Alten das Leben auf die bleichen Wangen des Kavaliers zurück, der nun die Augen wieder öffnete, ganz verwirrt umherschaute, dann aber bald seine Blicke auf den heftete, der ihn gerettet hatte.

Ach, mein Herr! rief er, Euch suchte ich; ohne Euch war ich tot, dreimal tot!

Ei, man wird auch wieder lebendig, wie Ihr seht, mein Herr, antwortete Raoul, und Ihr seid mit einem Bade davongekommen.

Welchen Dank sind wir Euch schuldig! rief der Graukopf.

Ah, Ihr seid hier, mein guter d’Arminges! Ich habe Euch sehr geängstigt, nicht wahr? Aber daran seid Ihr selbst schuld. Ihr wart mein Lehrer, warum habt Ihr mich nicht besser schwimmen gelehrt?

Ach, Herr Graf, sprach der Greis, wenn Euch Unheil widerfahren wäre, ich hätte es nie wieder gewagt, mich vor dem Herrn Marschall zu zeigen!

Aber wie ist es denn zugegangen? fragte Raoul.

Ganz einfach, antwortete der Gerettete. Wir hatten ungefähr den dritten Teil des Flusses erreicht, als das Seil der Fähre zerriß. Bei dem Geschrei und den Bewegungen der Ruderer scheute mein Pferd und sprang in den Fluß. Ich schwimme schlecht und wagte es nicht, mich ins Wasser zu stürzen. Statt die Bewegungen meines Rosses zu unterstützen, lähmte ich sie und war nahe daran, aufs allerschönste zu ertrinken, als Ihr gerade zur rechten Zeit kamt, um mich aus dem Fluß zu ziehen. Wenn Ihr einverstanden seid, mein Herr, so gehören wir einander von nun an auf Leben und Tod.

Mein Herr, sprach Raoul, sich verbeugend, ich bin, das versichere ich Euch, ganz und gar Euer Diener.

Ich heiße Graf von Guiche, fuhr der Reiter fort. Mein Vater ist der Marschall von Grammont. Und nun, da Ihr wißt, wer ich bin, so werdet Ihr mir wohl die Ehre erzeigen, mir zu sagen, wer Ihr seid.

Ich bin der Vicomte von Bragelonne, sprach Raoul, errötend, weil er seinen Vater nicht nennen konnte, wie der Graf von Guiche es getan hatte.

Vicomte, Euer Gesicht, Eure Güte und Euer Mut ziehen mich zu Euch hin, Ihr besitzt bereits meine ganze Dankbarkeit. Umarmen wir uns, ich bitte Euch um Eure Freundschaft.

Mein Herr, entgegnete Raoul, indem er die Umarmung des Grafen erwiderte, auch ich liebe Euch bereits von ganzem Herzen. Betrachtet mich also, ich bitte Euch, als einen ergebenen Freund.

Und nun, wohin geht Ihr? fragte Guiche.

Zum Heere des Prinzen, Graf.

Ich ebenfalls, rief der junge Mann, höchst erfreut. O schön, wir tun den ersten Pistolenschuß miteinander.

So ist es gut; liebt Euch! sprach der Hofmeister. Beide noch jung, hat Euch ohne Zweifel Euer Stern zusammengeführt. Nun aber, fuhr er fort, müßt Ihr die Kleider wechseln. Eure Lakaien müssen bereits im Gasthof angelangt sein. Frische Wäsche und Wein sollen Euch erwärmen. Kommt! Die jungen Leute hatten gegen diesen Vorschlag nichts einzuwenden; sie stiegen wieder zu Pferde und schauten einander bewundernd an: es waren in der Tat zwei schmucke Reiter von schlankem, hohem Wuchs, zwei edle Gesichter mit offener Stirn, sanftem, stolzem Blick, redlichem, feinem Lächeln. Guiche mochte ungefähr achtzehn Jahre alt sein, aber er war kaum größer als Raoul, der erst fünfzehn zählte.

Sie reichten sich mit einer unwillkürlichen Bewegung die Hand, spornten ihre Pferde und ritten nebeneinander vom Flusse nach dem Gasthof.

Mesner und Chorknabe

D’Artagnan schlug den Weg nach dem Pont-Neuf ein. Er war sehr erfreut, daß er Planchet wieder gefunden hatte, indem er zunächst einen guten Diener und später, wenn Planchet wieder seine frühere Stellung im bürgerlichen Leben einnahm, eine wertvolle Verbindung mit dem feindlichen Lager zu haben hoffte. Zufrieden mit dem Glück wie mit sich selbst, erreichte er also Notre-Dame. Er stieg die Freitreppe hinauf, trat in die Kirche, wandte sich an einen Sakristan, der eine Kapelle ausfegte, und fragte ihn, ob er Herrn Bazin kenne.

Herrn Bazin, den Mesner? sprach der Sakristan.

Ihn selbst.

Er bedient da unten die Messe in der Kapelle der Jungfrau.

D’Artagnan zitterte vor Freude. Jetzt, wo er wirklich ein Ende des Fadens in der Hand hatte, machte er sich wohl anheischig, das andere zu erreichen.

Er kniete vor der Kapelle nieder, um seinen Mann nicht aus dem Gesicht zu verlieren. Es war zum Glück eine stille Messe, die bald endigen mußte. D’Artagnan, der seine Gebete vergessen und ein Meßbuch mitzunehmen versäumt hatte, benützte seine Muße, um Bazin prüfend zu betrachten.

Man darf wohl behaupten, Bazin trug sein Gewand mit ebensoviel Majestät als Glückseligkeit. Man sah, daß er zum Gipfel seines Ehrgeizes gelangt war, und daß der mit Silber verzierte Fischbeinstab, den er in der Hand hielt, ihm ebenso ehrenvoll vorkam, als der Kommandostab, den Condé in der Schlacht von Freiburg in die feindlichen Reihen warf oder nicht warf. Sein Äußeres hatte eine seiner Tracht vollkommen entsprechende Veränderung erlitten. Sein ganzer Körper hatte sich abgerundet und gleichsam kanonisiert. Die hervorspringenden Teile seines Gesichtes schienen verschwunden zu sein. Er hatte immer noch seine Nase, aber jede seiner Wangen hatte aufschwellend einen Teil davon an sich gezogen. Das Kinn verlor sich unter dem Halse. Viereckig und heilig geschnittene Haare bedeckten die Stirne bis auf drei Linien von den Augenbrauen, wobei zu beachten ist, daß Bazins Stirne zur Zeit ihrer größten Entblößung nie über anderthalb Zoll hoch gewesen.

Bald endigte der Geistliche seine Messe. Er sprach die Worte des Sakraments und zog sich zurück, indem er zum großen Erstaunen d’Artagnans seinen Segen gab, den jeder knieend empfing. Aber das Erstaunen d’Artagnans hörte auf, als er in dem Geistlichen den Coadjutor selbst erkannt hatte, das heißt, den bekannten Jean-François de Gondi, der zu dieser Zeit, die Rolle ahnend, die er spielen sollte, sich durch Almosen populär zu machen bemüht war.

D’Artagnan warf sich auf die Knie, wie die andern, empfing seinen Teil vom Segen und machte das Zeichen des Kreuzes; aber in dem Augenblick, wo Bazin, die Augen zum Himmel aufschlagend und demütig als der letzte an ihm vorüberging, faßte ihn d’Artagnan unten an seinem Rocke.

Bazin schaute nieder und machte einen Sprung rückwärts, als ob er eine Schlange gesehen hätte.

Herr d’Artagnan! rief er, vade retro, Satanas! …

Wie, mein lieber Bazin, sagte der Offizier lachend, so nehmt Ihr einen alten Freund auf!

Herr, antwortete Bazin, die wahren Freunde des Christen sind die, welche ihm an seinem Heil arbeiten helfen, und nicht diejenigen, welche ihn davon abwenden.

Mein lieber Bazin, versetzte d’Artagnan, Ihr müßt an dem Orte, wo Ihr mich findet, erkennen, daß ich mich in diesen Dingen bedeutend verändert habe, und da ich nicht daran zweifle, daß auch Euer Herr jetzt auf dem besten Wege ist, sein Heil zu gründen, so komme ich, um Euch zu fragen, wo er sich aufhält, damit er mir durch seinen Rat auch zu meinem Heile verhelfe.

Sagt lieber, um ihn mit Euch in die Welt zurückzuführen. Zum Glücke, fügte Bazin bei, weiß ich nicht, wo er ist, denn da wir an einem heiligen Orte sind, würde ich keine Lüge wagen.

Wie! rief d’Artagnan sehr ärgerlich, Ihr wißt nicht, wo Aramis ist?

Einmal ist Aramis sein Name des Verderbens; in Aramis findet man Simara, und dies ist ein Teufelsname; zu seiner Ehre hat er diesen Namen für immer aufgegeben.

Ich suchte auch nicht Aramis, erwiderte d’Artagnan, entschlossen, bis zum Ende geduldig zu bleiben, sondern den Abbé d’Herblay. Nun, mein lieber Bazin, sagt mir, wo er ist.

Habt Ihr nicht gehört, Herr d’Artagnan, daß ich Euch antwortete, ich wisse es nicht?

D’Artagnan sah ein, daß er von Bazin nichts herausbringen würde. Bazin log offenbar, aber er log mit so viel Eifer und Festigkeit, daß man leicht erraten konnte, er würde nicht von seiner Lüge abgehen.

Wohl, Bazin, sagte d’Artagnan; da Ihr nicht wißt, wo Euer Herr sich aufhält, so sprechen wir nicht weiter davon. Wir wollen uns als gute Freunde trennen. Nehmt diese halbe Pistole und trinkt auf meine Gesundheit.

Ich trinke nicht, Herr, sagte Bazin, majestätisch die Hand des Offiziers zurückstoßend, das ist gut für die Laien.

Ärgerlich über das Mißglücken auch dieses Versuches, ließ d’Artagnan Bazins Rock los; dieser benützte sogleich die Gelegenheit und zog sich rasch in die Sakristei zurück, wo er sich nicht eher in Sicherheit glaubte, als bis er die Türe hinter sich zugeschlossen hatte.

Während d’Artagnan zornig auf die geschlossene Tür schaute, fühlte er, daß jemand seine Schulter berührte, und als er sich umwandte, sah er zu seinem größten Erstaunen Rochefort vor sich stehen.

Ihr hier, mein lieber Rochefort, sagte d’Artagnan halblaut. – St! erwiderte Rochefort. Wußtet Ihr, daß ich frei war? – Ich habe es aus erster Hand erfahren. – Von wem? – Von Planchet. –Wie, von Planchet? – Allerdings, er hat Euch gerettet. – Planchet? … in der Tat, ich glaubte ihn wiederzuerkennen. Das beweist, mein Lieber, daß eine Wohltat nie verloren geht. – Was macht Ihr hier? – Ich habe Gott für meine glückliche Befreiung gedankt, sagte Rochefort. – Was weiter? denn ich nehme an, daß das nicht alles ist. – Und dann kam ich, um die Befehle des Coadjutors einzuholen und zu sehen, ob wir nicht etwas tun können, um den Mazarin in Wut zu bringen. – Unbesonnener! Ihr werdet machen, daß man Euch noch einmal in die Bastille steckt. – Oh! was das betrifft, so werde ich wohl auf meiner Hut sein; dafür stehe ich Euch. Die frische Luft ist so gut! Auch gedenke ich, fuhr Rochefort, mit voller Brust atmend, fort, eine Spazierfahrt auf das Land, eine Reise in die Provinz zu machen. – Ich ebenfalls, sagte d’Artagnan. – Darf man Euch, ohne unbescheiden zu sein, fragen, wohin Ihr geht? – Ich suche meine Freunde auf. – Welche Freunde? – Die, von denen ich Euch gestern Kunde geben sollte. – Athos, Porthos und Aramis? Ihr sucht sie? – Ja. – Auf Ehre? – Was ist denn darüber zu erstaunen? – Nichts … Das ist komisch … Und in welchem Auftrag sucht Ihr sie? – Ihr vermutet es nicht? – Allerdings. – Leider weiß ich nicht, wo sie sind. – Und Ihr habt kein Mittel, Nachricht von ihnen zu bekommen? Wartet acht Tage, und ich gebe Euch Auskunft. – Acht Tage, das ist zu viel; ich muß sie vor drei Tagen gefunden haben. – Drei Tage, das ist kurz, sagte Rochefort, und Frankreich ist groß. – Gleichviel. Ihr kennt das Wort: es muß sein. Mit diesem Wort macht man viele Dinge. – Und wann geht Ihr auf Nachforschungen aus? – Ich tue dies bereits. – Gut Glück! – Und Euch glückliche Reise! – Vielleicht treffen wir uns auf dem Wege. – Das ist nicht wahrscheinlich. – Wer weiß? der Zufall ist launenhaft. – Gott befohlen! – Auf Wiedersehen! Doch halt, wenn Mazarin mit Euch spricht, so sagt ihm, ich habe Euch beauftragt, ihm mitzuteilen, er werde binnen kurzem sehen, ob ich zum Handeln zu alt sei.

Geh, geh, sprach d’Artagnan, als der Freund sich entfernte. Tu, was du willst. Mir liegt nichts daran: es gibt keine zweite Constance in der Welt! Hierauf entfernte er sich eilig aus der Kathedrale und legte sich an der Ecke der Rue des Canettes in den Hinterhalt. Von hier konnte er Bazin, der zweifellos bald die Kirche verließ, beobachten.

Fünf Minuten nachher erschien Bazin auf dem Vorplatz. Er schaute rings umher, um sich zu versichern, ob er nicht gesehen würde, aber er erblickte unsern Offizier nicht. Dadurch beruhigt, wagte er sich in die Rue Notre-Dame. D’Artagnan stürzte aus seinem Versteck hervor und kam noch zeitig genug an, um ihn in die Rue de la Juiverie einbiegen und in der Rue de la Calandre in ein anständiges Haus eintreten zu sehen. Unser Offizier zweifelte nicht daran, daß der würdige Mesner in diesem Hause wohne.

Er trat, da er es nicht für geraten hielt, in dem Hause selbst Erkundigungen einzuziehen, in eine kleine Schenke an der Ecke der Rue Saint-Eloi und der Rue de la Calandre und verlangte ein Maß Gewürzwein. Während das Getränk bereitet wurde, schaute sich d’Artagnan um. Er erblickte in der Schenke einen aufgeweckten kleinen Jungen von zwölf bis fünfzehn Jahren, in dem er einen Burschen zu erkennen glaubte, den er zwanzig Minuten vorher unter dem Gewande eines Chorknaben gesehen hatte. Er befragte ihn und erfuhr, daß der Befragte von sechs bis neun Uhr morgens den Beruf eines Chorknaben und von neun Uhr bis Mitternacht den eines Kellners betreibe.

Während d’Artagnan mit dem Burschen plauderte, führte man ein Pferd vor Bazins Haus. Das Pferd war völlig gesattelt und gezäumt. Einen Augenblick nachher kam Bazin herab.

Halt, sagte der Junge, unser Mesner begibt sich auf den Weg. – Wohin geht er? fragte d’Artagnan. – Bei Gott, ich weiß es nicht. – Eine halbe Pistole, wenn du es in Erfahrung bringst. – Für mich? rief der Knabe, dessen Augen vor Freude funkelten, wenn ich in Erfahrung bringe, wohin Herr Bazin geht? Das ist nicht schwierig! Ihr treibt keinen Spott mit mir? – Nein, auf Offizierswort; sieh, hier ist die halbe Pistole.

Und er zeigte ihm die Münze, aber ohne sie ihm wirklich zu geben.

Ich will ihn fragen.

Das ist gerade das Mittel, um nichts zu erfahren, erwiderte d’Artagnan, warte, bis er weggeritten ist. Dann forsche, frage, unterrichte dich. Das ist deine Sache; die halbe Pistole wartet hier.

Und er steckte sie wieder in seine Tasche.

Als nach fünf Minuten Bazin, sein Pferd nach seiner Gewohnheit mit dem Regenschirm antreibend, in kurzem Trabe weggeritten war, stürzte sich der Junge wie ein Leithund auf seine Spur. Noch nicht zehn Minuten waren abgelaufen, als er wieder zurückkam.

Nun? fragte d’Artagnan, wohin ist er geritten? – Die halbe Pistole ist immer noch für mich? – Ganz gewiß. Antworte. Hier ist sie.

Der Junge steckte die Münze in seine Tasche.

Und nun, wohin ist er gegangen? sprach d’Artagnan lachend. – Nach Noisy. – Woher weißt du dies? – Ah! bei Gott, ich brauchte nicht viel Witz, um es zu erfahren. Ich erkannte in dem Pferde das eines Fleischers, der es zuweilen Herrn Bazin leiht. Ich dachte nun, der Fleischer leihe ihm sein Pferd nicht, ohne zu fragen, wohin er reite. – Und er antwortete dir, Herr Bazin … – Er begebe sich nach Noisy. Dies scheint übrigens seine Gewohnheit zu sein, denn er reitet drei- bis viermal in der Woche dahin. – Kennst du Noisy? – Ganz gewiß; meine Amme ist dort. – Ist ein Kloster daselbst? – Ein prächtiges, ein Jesuitenkloster. – Gut, murmelte d’Artagnan; es unterliegt keinem Zweifel mehr. – Ihr seid also zufrieden? – Ja. – Wie heißt du? – Friquet.

Und da unser Offizier jetzt wußte, was er wissen wollte, so bezahlte er den Gewürzwein, den er nicht getrunken hatte, und schlug rasch wieder den Weg nach der Rue Tiquetonne ein.

D’Artagnan findet Aramis auf Planchets Pferde

Als d’Artagnan eintrat, sah er einen Mann an der Ecke des Kamins sitzen; es war Planchet, aber so gut metamorphosiert durch die alten Kleider, die der Eheherr zurückgelassen hatte, daß er selbst Mühe hatte, ihn wieder zu erkennen. Madeleine stellte ihn allen Aufwärtern vor. Planchet wandte sich an den Offizier mit einer schönen flamändischen Phrase. Der Offizier antwortete ihm mit einigen Worten, die keiner Sprache angehörten, und der Handel war abgeschlossen. Madeleines Bruder trat in d’Artagnans Dienst.

Da der Musketierleutnant nicht bei Tage in Noisy ankommen wollte, hatte er Zeit vor sich, denn Noisy lag nur drei bis vier Meilen von Paris auf der Straße nach Meaux.

Er fing damit an, daß er ein tüchtiges Frühstück zu sich nahm, hierauf wechselte er seine Kleider, weil er fürchtete, die Kasake des Musketierleutnants könne Mißtrauen einflößen. Dann nahm er den stärksten und solidesten von seinen drei Degen, den er nur an festlichen Tages zu wählen pflegte, und endlich gegen zwei Uhr ließ er zwei Pferde satteln und ritt mit Planchet, nach dem die Polizei, auch in der Rehziege, immer noch eifrig gesucht hatte, davon.

Anderthalb Meilen von Paris hielt d’Artagnan an, da er sah, daß er in seiner Ungeduld immer noch zu früh aufgebrochen war, und ließ die Pferde verschnaufen. Die Herberge, wo er hielt, war voll von Leuten von verdächtigem Aussehen. Sie schienen eine nächtliche Unternehmung vorzuhaben. Ein in einen Mantel gehüllter Mensch erschien an der Türe. Als er aber einen Fremden sah, machte er ein Zeichen mit der Hand, und zwei Trinker gingen mit ihm hinaus, um sich mit ihm zu besprechen.

D’Artagnan näherte sich ganz gleichgültig der Wirtin, lobte ihren Wein und erfuhr, daß es in Noisy nur zwei stattlichere Häuser gebe; das eine gehöre dem Erzbischof von Paris und werde in diesem Augenblick von seiner Nichte, der Herzogin von Longueville, bewohnt: das andere sei ein Jesuitenkloster und das Eigentum dieser würdigen Väter. Man konnte sich also nicht täuschen.

Um vier Uhr begab sich d’Artagnan wieder auf den Weg; er ließ sein Pferd nur noch im Schritt gehen, denn er wollte erst, wenn es völlig Nacht geworden wäre, an Ort und Stelle kommen. So hatte er Muße, die Lage noch einmal gehörig zu bedenken.

Ein Wort der Wirtin hatte den Gedanken d’Artagnans eine besondere Richtung gegeben. Dieses Wort war der Name der Frau von Longueville. Diese hatte in der Tat alles, was zum Nachdenken veranlassen kann: sie war eine der vornehmsten Damen des Königreichs, eine der schönsten Frauen des Hofes. An den alten Herzog von Longueville verheiratet, den sie nicht liebte, galt sie anfangs für die Geliebte Colignys, der sich in einem Zweikampf auf der Place-Royale von dem Herzog von Guise für sie töten ließ. Dann sprach man von einer etwas zu zärtlichen Freundschaft, die sie für den Prinzen von Condé empfunden haben sollte, worüber sich die furchtsamen Seelen des Hofes skandalisierten. Ferner sagte man, ein wahrer und aufrichtiger Haß sei auf diese Freundschaft gefolgt, und die Herzogin von Longueville stehe in diesem Augenblick in politischer Verbindung mit dem Prinzen von Marsillac, dem ältesten Sohne des alten Herzogs de la Rochefoucault, den sie zu einem Feinde des Herzogs von Condé, ihres Bruders, zu machen bemüht sei.

D’Artagnan dachte an alles dies. Er dachte an Aramis, der, ohne mehr zu sein als er, einst der Geliebte der Frau von Chevreuse gewesen. Er fragte sich, warum es in der Welt Menschen gebe, die alles erreichen, was sie wünschen, diese in der Politik, jene in der Liebe, während andere, sei es aus Zufall, sei es aus Ungeschick, mit allen ihren Hoffnungen auf dem halben Weg bleiben.

Er mußte sich zugestehen, daß er trotz seines Geistes, trotz seiner Geschicklichkeit dieser letzteren Kategorie angehört habe und wohl immer angehören werde, als Planchet sich ihm näherte und sagte:

Ich wette, gnädiger Herr, Ihr denkt an dasselbe, wie ich. – Ich zweifle, Planchet, erwiderte d’Artagnan lächelnd. Doch woran denkst du? Laß hören. – Ich denke an die verdächtig aussehenden Leute, die in der Herberge tranken. – Stets klug, Planchet. – Gnädiger Herr, das ist Instinkt. – Nun, sprich: Was sagt dein Instinkt in dieser Hinsicht? – Mein Instinkt sagte mir, diese Leute seien in einer schlimmen Absicht in der Herberge, und gerade als ich mir das, was mir mein Instinkt in dem dunkelsten Winkel des Stalles sagte, überlegte, trat ein in einen Mantel gehüllter Mann mit zwei andern in eben diesen Stall. – Ah, ah! rief d’Artagnan. Nur weiter! – Der eine von den zwei Männern sagte: Er muß sicherlich in Noisy sein oder heute abend dahin kommen, denn ich habe seinen Bedienten erkannt. – Du bist deiner Sache gewiß? fragte der Mann im Mantel. – Ja, mein Prinz. – Mein Prinz? unterbrach ihn d’Artagnan. – Ja, mein Prinz, doch hört: Wenn er dort ist, was sollen wir dann tun? sprach der andere Trinker. – Was man tun soll? sagte der Prinz. – Ja, er ist nicht der Mann, der sich so fangen läßt; er wird gehörig mit dem Degen spielen. – Nun, man muß es machen wie er, dabei aber bemüht sein, ihn lebendig zu bekommen. Habt Ihr Stricke, um ihn zu binden, und einen Knebel, um ihn in seinen Mund zu stecken? – Wir haben dies alles. – Seid auf Eurer Hut, aller Wahrscheinlichkeit nach ist er als Kavalier verkleidet. – Ja, ja, Monseigneur, seid unbesorgt. – Übrigens werde ich dabei sein und Euch führen. – Ihr steht dafür, daß die Gerichte …? – Ich stehe für alles, sagte der Prinz. – Gut, wir werden unser möglichstes tun. – Und damit verließen sie den Stall. – Nun, sprach d’Artagnan, was geht das uns an? Das ist ein Unternehmen, wie es in unserer Zeit jeden Tag vorkommt. – Es ist gut, sprechen wir nicht mehr davon.

Als sie eine Meile weitergeritten waren, näherte sich Planchet d’Artagnan und sagte zu ihm: Gnädiger Herr! – Was gibt’s? – Schaut auf diese Seite. Kommt es Euch nicht vor, als erblicktet Ihr etwas wie Schatten, die mitten durch die Nacht hinziehen? Horch! es kommt mir vor, ich höre Pferdetritte. – Unmöglich, sagte d’Artagnan, die Erde ist durch den Regen aufgeweicht. Aber es scheint mir auch, als sähe ich etwas.

Und er hielt an, um zu schauen und zu horchen.

Wenn man keine Pferdetritte hört, so hört man wenigstens Gewieher.

Wirklich schlug das Gewieher eines Pferdes an d’Artagnans Ohr.

Unsere Leute sind im Feld, sagte er, aber das geht uns nichts an. Setzen wir unsern Weg fort.

Eine halbe Stunde nachher erreichten sie die ersten Häuser von Noisy. Es mochte etwa halb neun Uhr abends sein.

Nach den ländlichen Gewohnheiten hatte sich schon die gesamte Einwohnerschaft niedergelegt, und kein Licht glänzte mehr im Orte.

D’Artagnan und Planchet setzten ihren Weg fort; rechts und links von ihrer Straße hob sich auf dem düstern Grau des Himmels der noch dunklere Umriß der Dächer hervor. Von Zeit zu Zeit kläffte ein aufgeweckter Hund hinter einer Türe, oder eine erschrockene Katze verließ eiligst die Mitte des Pflasters, um sich in einen Haufen von Reisbüscheln zu flüchten, wo man ihre Augen wie Karfunkel glänzen sah. Das waren die einzigen lebendigen Wesen, welche das Dorf zu bewohnen schienen.

Ungefähr gegen die Mitte des Fleckens erhob sich, den Hauptplatz beherrschend und vereinzelt zwischen zwei Gassen liegend, eine dunkle Masse, vor der ungeheure Linden ihre entblätterten Äste ausbreiteten. D’Artagnan beschaute das Gebäude aufmerksam.

Das muß das Schloß des Erzbischofs sein, sagte er zu Planchet. Hier wohnt die schöne Frau von Longueville. Aber wo ist das Kloster?

Das Kloster? erwiderte Planchet, das Kloster ist am Ende des Dorfes, ich kenne es.

Nun wohl, sprach d’Artagnan, im Galopp bis dahin, Planchet, während ich den Gurt meines Pferdes fester anziehe, und komm dann zurück, wenn du ein erleuchtetes Fenster siehst.

Nach fünf Minuten kam Planchet zurück und sagte: Gnädiger Herr, es ist ein einziges Fenster gegen das Feld hinaus erleuchtet.

Hm! wenn ich ein Frondeur wäre, so klopfte ich hier an und wäre überzeugt, daß ich ein gutes Lager bekäme; wenn ich ein Mönch wäre, klopfte ich da unten an und wäre ebenfalls überzeugt, daß ich ein gutes Abendbrot bekäme, während es im Gegenteil leicht möglich ist, daß wir zwischen dem Schlosse und dem Kloster vor Hunger und Durst verschmachtend auf der harten Erde liegen müssen.

Ja, fügte Planchet bei, wie der berühmte Esel Buridans. Doch mittlerweile wollt Ihr, daß ich klopfe?

St! sagte d’Artagnan, das einzige Fenster, welches erleuchtet war, ist dunkel geworden.

Hört Ihr, gnädiger Herr, sprach Planchet.

In der Tat, was für ein Geräusch ist dies?

Es war wie das Tosen eines herannahenden Sturmes; in demselben Augenblick kamen zwei Reiterhaufen von je zehn Mann aus jeder von den zwei Gassen hervor, welche sich am Hause hinzogen, und umzingelten, alle Ausgänge verschließend, d’Artagnan und Planchet.

Oho, sagte d’Artagnan, indem er seinen Degen zog und sich hinter sein Pferd zurückstellte, während Planchet dasselbe Manöver ausführte. Sollte man wirklich an uns wollen?

Hier ist er, wir haben ihn! sprachen die Reiter, sich mit bloßem Degen auf d’Artagnan stürzend. – Verfehlt ihn nicht, rief eine hohe Stimme. – Nein, Monseigneur, seid unbesorgt.

D’Artagnan glaubte den Augenblick gekommen, sich in das Gespräch zu mischen.

Holla! meine Herren! rief er mit seinem gascognischen Akzente, was wollt Ihr? Was verlangt Ihr? – Du sollst es erfahren, brüllten die Reiter im Chor. – Halt, halt! schrie der, den sie Monseigneur genannt hatten, haltet ein, wenn Euch Euer Kopf lieb ist. Das ist nicht seine Stimme.

Ei, meine Herren, sprach d’Artagnan, ist man in Noisy wahnsinnig geworden? Nehmt Euch wohl in acht, denn ich sage Euch, daß ich den ersten, der sich mir auf die Länge meines Degens nähert, und mein Degen ist lang, den Bauch aufschlitze.

Der Anführer näherte sich.

Was macht Ihr hier? sagte er mit einem hochmütigen und an das Befehlen gewöhnten Tone. – Was macht Ihr hier? entgegnete d’Artagnan. – Seid höflich, oder man wird auch auf die gehörige Weise striegeln, denn obgleich man sich nicht nennen will, wünscht man doch seinem Range gemäß respektiert zu werden. – Ihr wollt nicht erkannt sein, weil Ihr einen Hinterhalt leitet, sagte d’Artagnan; aber ich, der ich ruhig mit meinem Lakaien reise, ich habe keine Ursache, meinen Namen zu verschweigen. Kennt Ihr Herrn d’Artagnan? – Leutnant bei den Musketieren? fragte die Stimme. – Denselben. – Allerdings. – Nun wohl, fuhr der Gascogner fort, Ihr müßt gehört haben, daß er ein Mann von festem Faustgelenk und seiner Klinge ist. – Ihr seid Herr d’Artagnan? Dann kommt Ihr hierher, um ihn zu verteidigen. – Wen, ihn? – Denjenigen, den wir suchen. – Es scheint, erwiderte d’Artagnan, daß ich, während ich nach Noisy zu kommen glaubte, ganz unvermutet ins Reich der Rätsel gelangt bin. – Gut, sprach die Stimme, entfernt Euch von hier, räumt uns den Platz. – Mich von hier entfernen, sagte d’Artagnan, dem dieser Befehl seine Pläne durchkreuzte, dies ist nicht so leicht, da ich vor Müdigkeit umsinke und mein Pferd ebenso. Ihr müßtet denn geneigt sein, mir ein Abendessen und ein Lager in der Gegend anzubieten. – Halunke! – Herr! rief d’Artagnan, nehmt Euch mit Euren Worten gefälligst in acht, denn wenn Ihr noch ein zweites Wort wie dieses gebrauchtet, so würde ich es Euch, und wäret Ihr nun Marquis, Herzog oder Prinz, in den Bauch zurückstoßen; versteht Ihr? – Ganz richtig, sprach der Anführer, man kann sich nicht täuschen, es ist ein Gascogner, der hier spricht, und folglich nicht der Mann, den wir suchen. Wir haben unsern Streich für diesen Abend verfehlt und können nichts Besseres tun, als uns zurückzuziehen … Wir werden uns wiederfinden, Meister d’Artagnan, fügte der Anführer, den Ton verstärkend, bei. – Ja, aber nicht mit denselben Vorteilen, rief der Gascogner spottend dem fortsprengenden Trupp nach; denn wenn Ihr mich wieder findet, seid Ihr vielleicht allein und es ist Tag.

Du siehst, sprach d’Artagnan, als das Geräusch der galoppierenden Pferde verhallt war, ruhig zu Planchet, daß sie nicht an uns wollten.

Aber an wen denn sonst?

Meiner Treu, ich weiß es nicht, und es liegt mir auch nichts daran. Für mich ist die Hauptsache, in das Jesuitenkloster zu kommen. Zu Pferde also und dann angeklopft. Es mag kosten, was es will, sie werden uns nicht fressen.

Und d’Artagnan schwang sich wieder in den Sattel. Als Planchet dasselbe tat, fiel eine unerwartete Last auf das Hinterteil seines Pferdes.

He, Herr! rief Planchet, ich habe einen Mann hinter mir!

D’Artagnan wandte sich um und sah wirklich zwei menschliche Gestalten auf dem Pferde Planchets.

Es scheint, der Teufel verfolgt uns, rief er, zog den Degen und war im Begriff, den Unerwarteten anzugreifen.

Nein, nein, mein lieber d’Artagnan, sagte dieser, es ist nicht der Teufel; ich bin es, Aramis. Im Galopp, Planchet, und am Ende des Dorfes links gehalten.

Anna von Österreich im Alter von sechsundvierzig Jahren

Allein mit Bernouin, blieb Mazarin einen Augenblick nachdenklich; er wußte viel, aber er wußte immer noch nicht genug. Mazarin war Betrüger im Spiel. Er beschloß, die Partie mit d’Artagnan nicht eher anzufangen, als bis er alle Karten seines Gegners genau kennen würde.

Monseigneur hat nichts zu befehlen? sagte Bernouin.

Allerdings, antwortete Mazarin, leuchte mir, ich gehe zu der Königin.

Bernouin nahm eine Kerze und ging voraus.

Es war ein geheimer Gang vorhanden, der von den Zimmern und dem Kabinett Mazarins nach den Zimmern der Königin führte, und den der Kardinal benutzte, so oft er sich zu Anna von Österreich begab.

Als Bernouin in das Schlafzimmer gelangte, in dem dieser Gang mündete, traf er Madame Beauvais. Madame Beauvais und Bernouin waren die innigen Vertrauten dieser schon alten Liebe, und Madame Beauvais übernahm es, den Kardinal bei Anna von Österreich zu melden, die sich mit ihrem Sohne, König Ludwig XIV., in ihrem Betzimmer befand.

In einem großen Lehnstuhl sitzend, den Ellbogen auf den Tisch und den Kopf auf die Hand gestützt, betrachtete Anna von Österreich das königliche Kind, das, auf dem Boden liegend, in einem großen Schlachtenbuch blätterte. Anna von Osterreich war die Königin, die sich am allerbesten mit Majestät zu langweilen wußte. Sie blieb zuweilen stundenlang in ihr Schlafgemach oder in ihr Betzimmer zurückgezogen, ohne zu lesen oder zu beten.

Madame Beauvais erschien an der Türe des Betzimmers und meldete den Kardinal Mazarin. Das Kind erhob sich auf einem Knie und schaute, die Stirne runzelnd, seine Mutter an.

Warum kommt er so, sagte es, ohne um Audienz zu bitten?

Anna errötete leicht. Es ist wichtig, versetzte sie, daß ein erster Minister in Zeiten, wie sie jetzt sind, der Königin zu jeder Stunde über alles berichten kann, ohne daß er die Neugierde oder die Mutmaßungen des ganzen Hofes anzuregen braucht.

Aber man hat mir auf meine Frage gesagt, daß der Herr von Richelieu nicht so kam, sprach das unbeugsame Kind.

In diesem Augenblick trat Mazarin ein. Der König stand auf, nahm sein Buch, schloß es und trug es auf den Tisch, bei dem er aufrecht stehen blieb, um Mazarin zu nötigen, ebenfalls zu stehen. Mazarin bückte sich ehrfurchtsvoll vor der Königin und machte eine tiefe Verbeugung vor dem König, der ihm mit einem ziemlich stolzen Kopfnicken dankte; aber ein Blick seiner Mutter tadelte ihn, daß er sich den Gefühlen des Hasses hingab, die er seit seinen Kinderjahren gegen den Kardinal hegte, und er empfing mit lächelnden Lippen das Kompliment des Ministers.

Anna von Österreich war bemüht, auf Mazarins Gesicht die Ursache dieses unvorhergesehenen Besuches zu erraten, denn der Kardinal kam gewöhnlich erst dann zu ihr, wenn sie allein war.

Der Minister machte ein unmerkliches Zeichen mit dem Kopf, die Königin wandte sich an Madame Beauvais und sagte: Es ist Zeit, daß sich der König schlafen legt. Ruft Laporte.

Ludwig XIV. biß sich in die Lippen und erbleichte. Als einen Augenblick nachher Laporte eintrat, ging er gerade auf ihn zu, ohne seine Mutter zu küssen.

Nun, Louis, sagte Anna, warum küßt Ihr mich nicht?

Ich glaubte, Ihr wäret böse auf mich, Madame, Ihr jagt mich fort.

Ich jage Euch nicht fort. Ihr habt nur vor kurzem erst die Blattern gehabt, seid noch leidend, und ich fürchte, das lange Wachen könnte Euch anstrengen.

Ihr habt das nicht gefürchtet, als Ihr mich heute in den Palast schicktet, um die abscheulichen Edikte zu erlassen, über die das Volk so sehr murrte.

Und der König entfernte sich, ohne seine Mutter zu küssen und ohne den Kardinal zu grüßen.

Ganz gut, sprach Mazarin, ich sehe es gerne, daß man Seine Majestät mit Abscheu vor der Heuchelei erzieht. – Wie meint Ihr dies? fragte die Königin mit beinahe schüchternem Tone. – Nun, Seine Majestät gibt sich keine Mühe zu verbergen, wie geringe Zuneigung er für mich hat, was mich indessen nicht abhält, seinem Dienste, so wie dem Eurer Majestät, völlig ergeben zu sein. – Ich bitte Euch für ihn um Vergebung, erwiderte die Königin. Er ist ein Kind, das noch nicht alle seine Verpflichtungen gegen Euch zu erkennen vermag.

Der Kardinal lächelte.

Aber, fuhr die Königin fort, Ihr seid ohne Zweifel in einer wichtigen Angelegenheit gekommen. Was gibt es?

Mazarin setzte oder vielmehr lehnte sich in einen weiten Stuhl zurück und sprach in schwermütigem Ton:

Was es gibt? Aller Wahrscheinlichkeit nach werden wir bald gezwungen sein, uns zu verlassen, wenn Ihr nicht Eure Ergebenheit für mich so weit treiben wollt, mir nach Italien zu folgen. – Und warum dies? fragte die Königin.

Weil, wie es in der Oper Thisbe heißt: »Die ganze Welt verschworen ist, zu trennen unsre Liebe.«

Ihr scherzt, Herr, sagte die Königin mit einem Versuch, ihre frühere Würde wieder anzunehmen.

Ach nein, Madame, sprach Mazarin, ich scherze nicht im geringsten. Glaubt mir, ich möchte eher weinen, habe ich nicht Euch selbst eines Tages ganz freundlich dem Herzog von Orleans zulächeln sehen, als er sagte: Euer Mazarin ist der Stein des Anstoßes, er entferne sich, und alles wird gut gehen? – Was sollte ich machen? – Oh! Madame, es scheint mir, Ihr seid die Königin. – Ein schönes Königtum, der Gnade des ersten besten Tintenklecksers vom Palais Royal oder des elendesten Strohjunkers im Reich preisgegeben! – Ihr seid aber stark genug, um die Leute von Euch zu entfernen, die Euch mißfallen. – Das heißt, die Euch mißfallen, antwortete die Königin. – Mir? – Allerdings. Wer hat Frau von Chevreuse fortgeschickt? – Eine Intrigantin, welche gegen mich die Kabalen fortsetzen wollte, die sie gegen Herrn von Richelieu angefangen hatte. – Wer hat Frau von Hautefort fortgeschickt, die mir so sehr ergeben war, daß sie die Gnade des Königs ausschlug, um in der meinigen zu bleiben? – Eine Heuchlerin, die Euch jeden Abend beim Auskleiden sagte, einen Priester lieben, heiße seine Seele verderben; als ob man Priester sein müßte, weil man Kardinal ist! – Wer hat Herrn von Beaufort verhaften lassen? – Ein Brausekopf, der von nichts Geringerem sprach, als von meiner Ermordung. – Ihr seht wohl, Kardinal, versetzte die Königin, daß Eure Feinde auch die meinigen sind. – Das ist nicht genug, Madame. Eure Freunde müssen auch die meinigen sein. – Meine Freunde? Herr! sprach die Königin und schüttelte den Kopf. Ach, ich habe keine mehr! – Ja, sucht nur unter Euren ehemaligen Freunden, unter denen, die Euch gegen den Herzog von Richelieu kämpfen und ihn sogar besiegen halfen.

Wo will er hinaus? murmelte die Königin und schaute den Kardinal unruhig an.

Ja, fuhr dieser fort, unter gewissen Umständen wußtet Ihr mit dem mächtigen, feinen Geiste, der Eure Majestät charakterisiert, mit Hilfe Eurer Freunde die Angriffe dieses Gegners zurückzuschlagen. – Ich? sagte die Königin, ich habe nur gelitten. – Ja, sprach Mazarin, wie die Frauen leiden, indem sie sich rächen. Kommen wir zur Sache. Kennt Ihr Herrn d’Artagnan? fuhr Mazarin, der Königin ins Gesicht schauend, fort.

Anna von Österreich empfing den Stoß mitten im Herzen.

Sollte der Gascogner geschwatzt haben? murmelte sie. Dann fügte sie laut bei:

D’Artagnan? wartet doch. Ja gewiß, dieser Name ist mir bekannt: d’Artagnan, ein Musketier, der eine meiner Frauen liebte. Ein armes Geschöpfchen, das meinetwegen an Gift starb.

Ist dies alles? fragte Mazarin.

Die Königin schaute den Kardinal erstaunt an.

Aber, mein Herr, sagte sie, es scheint, Ihr unterwerft mich einem Verhör. – Bei dem Ihr jedenfalls, erwiderte Mazarin mit seinem ewigen Lächeln und seinem stets süßen Tone, nur nach Eurer Phantasie antwortet. – Drückt Euren Wunsch klar, aus, mein Herr, und ich werde ebenso antworten, sagte die Königin, die ungeduldig wurde. – Wohl, Madame, antwortete Mazarin, sich verbeugend. Ich wünschte, Ihr ließet mich an Euren Freunden Anteil nehmen, wie ich Euch an dem bißchen Gewandtheit und Talent Anteil nehmen ließ, womit mich der Himmel begabt hat. Die Umstände sind von ernster Bedeutung, und man muß energisch handeln. – Abermals! sprach die Königin, ich glaubte, mit Herrn von Beaufort wären wir quitt. – Ihr habt nur den Strom gesehen, der alles niederreißen wollte, und das stehende Wasser nicht wahrgenommen. – Vollendet! sagte die Königin. – Nun wohl, fuhr Mazarin fort; ich dulde alle Tage Unverschämtheiten, die sich Eure Prinzen und Eure betitelten Knechte gegen mich erlauben, lauter Automaten, die nicht sehen, daß ich ihren Faden in der Hand halte. Wir haben allerdings Herrn von Beaufort verhaften lassen, aber das war der ungefährlichste von allen. Noch ist der Prinz vorhanden. – Der Sieger von Rocroi? Daran könnt Ihr doch nicht denken! – Ja, Madame, und zwar sehr oft, aber Pazienza, wie wir Italiener sagen. Dann, nach Herrn von Condé, ist der Herzog von Orleans da. – Was sagt Ihr? der erste Prinz von Geblüt, der Oheim des Königs! – Nicht der erste Prinz von Geblüt, nicht der Oheim des Königs, sondern der feige Meuterer, der unter der vorigen Regierung, angetrieben von seinem launenhaften, phantastischen Charakter, gestachelt von erbärmlichem Ärger, verzehrt von einem platten Ehrgeiz, eifersüchtig auf alles, was ihn an ritterlichem Sinn und Mut übertraf, aufgebracht darüber, daß er wegen seiner inneren Hohlheit nichts war, sich zum Echo aller Verleumdungen, zur Seele aller Kabalen machte. Nicht der erste Prinz von Geblüt, nicht der Oheim des Königs, ich wiederhole es, sondern der Mörder eines Chalais, Montmorency und Cinq-Mars, der jetzt dasselbe Spiel zu spielen versucht und sich einbildet, er werde die Partie gewinnen, weil er jetzt nicht mehr einen drohenden, sondern einen lächelnden Mann sich gegenüberstehen hat. Aber er täuscht sich, er wird verlieren, und es liegt nicht in meinem Interesse, bei der Königin diesen Gärungsstoff der Uneinigkeit zu dulden, mit dem der verstorbene Kardinal die Galle des Königs zwanzig Jahre lang in Aufruhr erhalten hat.

Anna errötete und barg ihren Kopf in beiden Händen.

Ich will Eure Majestät nicht demütigen, fuhr Mazarin mit etwas ruhigerem Tone, aber zugleich mit seltsamer Festigkeit fort. Man soll die Königin ehren und ihren Minister achten, denn in aller Augen bin ich nur dieses.

Was soll ich denn tun? fragte Anna von Österreich, gebeugt unter dieser gebietenden Stimme.

Ihr sollt in Eurem Gedächtnis den Namen der treuen, ergebenen Männer suchen, die trotz Herrn von Richelieu über das Meer gefahren sind, Spuren ihres Blutes die ganze Straße entlang zurücklassend, um Ew. Majestät einen gewissen Schmuck zu bringen, den sie Herrn von Buckingham gegeben hatte.

Anna von Österreich erhob sich, majestätisch und zornig, als ob eine Feder sie aufgeschnellt hätte, und schaute den Kardinal mit dem Stolz und der Würde an, wodurch sie in den Tagen ihrer Jugend so mächtig gewesen war.

Ihr beleidigt mich, Herr, sagte sie. – Ich will, fuhr Mazarin unbeirrt fort, ich will, daß Ihr für Euern Gatten tut, was Ihr einst für Euern Liebhaber getan habt. – Abermals diese Verleumdung? rief die Königin; ich hielt sie für tot und erstickt, denn Ihr hattet sie mir bis jetzt erspart. Jetzt sprecht Ihr mir aber ebenfalls davon. Desto besser, denn die Frage wird jetzt ein für allemal unter uns abgemacht werden, versteht Ihr mich? – Aber, Madame, sprach Mazarin, erstaunt über diese Rückkehr der Kraft, ich verlange gar nicht, daß Ihr mir alles sagen sollt. – Und ich will Euch alles sagen, entgegnete Anna von Österreich. Hört also: Es gab wirklich zu jener Zeit vier ergebene Herzen, vier ritterliche Seelen, vier treue Degen, die mir mehr als das Leben, die mir die Ehre retteten. – Oh! Ihr gesteht! rief Mazarin.– Ist nur die Ehre der Schuldigen auf das Spiel gesetzt, mein Herr, und kann man nicht einen Menschen, eine Frau besonders, durch falschen Schein entehren? Ja, der Schein war gegen mich, und ich sollte entbehrt werden, und dennoch, ich schwöre es Euch, war ich nicht schuldig. Ich schwöre es …

Sie suchte nach etwas Heiligem, worauf sie schwören könnte, zog aus einem unter der Tapete verborgenem Schranke ein kleines, mit Silber eingelegtes Kistchen von Rosenholz hervor, stellte es auf den Altar und fuhr fort: Ich schwöre auf diese heilige Reliquie, ich liebte Herrn von Buckingham, aber Herr von Buckingham war nicht mein Liebhaber.

Und was für eine Reliquie ist es, auf die Ihr diesen Eid leistet? sprach Mazarin lächelnd; denn ich muß gestehen, als Römer bin ich ungläubig; es ist ein Unterschied unter den Reliquien.

Die Königin machte einen kleinen goldenen Schlüssel von ihrem Halse los und übergab ihn dem Kardinal.

Öffnet, mein Herr, sprach sie, und seht selbst.

Mazarin nahm erstaunt den Schlüssel und öffnete das Kistchen, worin er nur ein vom Rost zerfressenes Messer und zwei Briefe fand, von denen der eine mit Blut befleckt war.

Was ist das? fragte Mazarin.

Was das ist, mein Herr? sprach Anna von Österreich mit königlicher Gebärde und indem sie ihren immer noch vollkommen schönen Arm über das Kästchen streckte, ich will es Euch sagen; diese zwei Briefe sind die einzigen, die ich ihm je geschrieben habe; dieses Messer ist das, mit dem ihn Felton ermordet hat. Leset die Briefe, mein Herr, und Ihr werdet sehen, ob ich gelogen habe.

Es ist gut, Madame, sagte Mazarin, indem er unwillkürlich nach dem Messer griff, es aber nach einem Blick auf seine blut- und rostzerfressene Scheide schaudernd in das Kästchen legte, ich baue auf Euern Eid.

Ja, mein Herr, sprach die Königin, das Kistchen wieder verschließend und ihre Hand darauf legend; es ist allerdings wahr. Diese Reliquie klagt mich an, daß ich stets undankbar gegen die gewesen bin, welche mich gerettet haben, und alles taten, um ihn zu retten; daß ich dem braven d’Artagnan, von dem Ihr soeben spracht, nichts gegeben habe, als die Erlaubnis, meine Hand zu küssen, und diesen Diamanten.

Die Königin streckte ihre schöne Hand gegen den Kardinal aus und zeigte ihm einen herrlichen Edelstein, der an ihrem Finger funkelte.

Er hat ihn, wie es scheint, in einem Augenblick der Verlegenheit verkauft: er hat ihn verkauft, um mich zum zweitenmale zu retten, denn es geschah, um einen Boten an den Herzog zu schicken und ihn zu benachrichtigen, daß er ermordet werden solle.

D’Artagnan wußte es also?

Er wußte alles. Wie er dies machte, weiß ich nicht. Kurz, er verkaufte den Ring an Herrn des Essarts, an dessen Finger ich ihn sah, und von welchem ich ihn wieder kaufte; doch dieser Diamant gehört ihm, mein Herr, gebt ihm denselben in meinem Namen zurück, und da Ihr das Glück habt, einen solchen Menschen in Eurer Nähe zu besitzen, so sucht Vorteil daraus zu ziehen.

Ich danke, Madame, sprach Mazarin, ich werde Euren Rat benützen.

Und nun, sagte die Königin, als hätte die Aufregung sie völlig entkräftet, habt Ihr noch etwas anderes von mir zu fordern?

Nichts, Madame, erwiderte Mazarin mit seinem einschmeichelndsten Tone, ich habe Euch nur zu bitten, mir meinen ungerechten Verdacht zu vergeben, aber ich liebe Euch so unendlich, daß man nicht staunen darf, wenn ich selbst über die Vergangenheit eifersüchtig bin.

Ein Lächeln von unbeschreiblichem Ausdruck umspielte die Lippen der Königin.

Der Kardinal nahm die Hand der Königin, küßte sie zärtlich und zog sich zurück.

Kaum hatte er sich entfernt, als sich die Königin in das Gemach ihres Sohnes begab und Laporte fragte, ob der König zu Bette gegangen sei. Laporte deutete mit der Hand auf das schlafende Kind.

Anna von Österreich stieg auf die Stufen des Bettes, näherte ihre Lippen der Stirn ihres Sohnes und drückte sanft einen Kuß darauf; dann ging sie stille, wie sie gekommen war, wieder weg und sagte bloß zu dem Kammerdiener: Sorget dafür, mein lieber Laporte, daß der König dem Kardinal, gegen den er und ich so große Verbindlichkeiten haben, ein freundlicheres Gesicht macht.